Seine Durchlauchtigste Hoheit, Prinz Titus der Siebte«, gaben die steinernen Phönixe bekannt, welche die vier Ecken der großen Terrasse bewachten, wobei ihre Stimmen wie Glocken widerhallten.
Titus hielt am Rand der Terrasse inne, vor sich den gerühmten Garten der Zitadelle. An anderen Stellen im Garten gab es ungezwungene, sogar private Bereiche, aber nicht hier. Hier waren mehrere Morgen immergrüne Stauden sorgfältig beschnitten worden, um Hunderte von Parterres zu bilden, die, wenn sie von oben betrachtet wurden, einen stilisierten Phönix bildeten, das Symbol des Hauses Elberon.
Das Immergrün, das von dem Meisterbotaniker der Zitadelle herangezogen wurde, blühte spät im Sommer. Und jedes Jahr änderte sich die Farbe der Blumen. Dieses Jahr waren die Blüten von einem tiefen, lebhaften Orange, die Farbe des Sonnenaufgangs. Dalbert, Titus’ Diener und persönlicher Meisterspion, hatte berichtet, dass er das Emblem des Phönix auf den öffentlichen Gebäuden Delamers in einem ähnlich feurigen Farbton angestrichen gesehen hatte, oftmals von einem hastig gekritzelten Der Phönix steht in Flammen! begleitet.
Das letzte Mal, als der Phönix in Flammen gestanden hatte, war bald darauf der Januaraufstand gefolgt.
In der Lücke zwischen den beiden aufgerichteten Flügeln der Landschaftsphönixe war ein großer weißer Baldachin errichtet worden, der im Licht der Nachmittagssonne leuchtete. Unter dem Pavillon befand sich ein diplomatischer Empfang in vollem Gange. Bedienstete in den grauen Livreen der Zitadelle schlängelten sich zwischen Gästen in juwelfarbenen Übergewändern hindurch, boten Horsd’œuvre und Gläser mit gekühltem Sommerwein an. Eine feine, himmlische Musik schwebte auf der Brise vom Meer heran, und mit ihr das Geräusch von sanftem Gelächter und damit einhergehendem Geplauder.
Titus holte Luft. Er war nervös. Es war möglich, dass er auf die Anspannung reagierte, die unter der vorgeblichen Fröhlichkeit der Feier lag, aber in Wahrheit ging es, wie immer, vollkommen um Fairfax, seine mächtige und hell strahlende Elementarmagierin.
Er stieg eine Treppe mit breiten, flachen Stufen hinab und ging eine von Statuen gesäumte Allee entlang, mit einer Gefolgschaft aus zwölf Mann im Schlepptau. Als er sich dem Baldachin näherte, knickste und verneigte sich die gesamte Versammlung. Er mochte keine wahre Macht innehaben, aber er war immer noch, zeremoniell gesprochen, Lord und Meister der Domäne1.
Eine außergewöhnlich schöne Frau trat vor, ein Lächeln auf dem Gesicht: Lady Callista, die offizielle Gastgeberin, die renommierteste Schönheitshexe ihrer Generation und eine der Personen auf dem Angesicht der Erde, die Titus am wenigsten schätzte.
Denn er strebte danach, Bane zu zerstören, den Lord High Commander des Großen Reichs Neuatlantis und den gewaltigsten Tyrannen, den die Welt je gesehen hatte, und Lady Callista war eindeutig eine Dienerin Banes. Nicht zu erwähnen, dass er, obwohl er über keine konkreten Beweise verfügte, die seinen Verdacht bestätigten, im Grunde seines Herzens stets daran geglaubt hatte, dass Lady Callista diejenige war, die für den Tod seiner Mutter verantwortlich war.
»Meine Lady«, nahm er ihre Anwesenheit zur Kenntnis.
»Eure Hoheit«, gurrte Lady Callista, »wir sind hocherfreut, dass Ihr Euch uns anschließen konntet. Bitte erlaubt mir, Euch die neuen Botschafter des Kalahari-Reiches vorzustellen.«
Titus war ziemlich glücklich, die deutlich erkennbaren Ringe unter ihren Augen zu sehen. Das Leben war seit dem Abend des vierten Juni für sie nicht einfach gewesen, als der am meisten geschätzte Gefangene von Atlantis aus der Bibliothek der Zitadelle entkommen war. In derselben Bibliothek, in derselben Nacht hatte die Inquisitorin, eine von Banes getreuesten und fähigsten Leutnants, ein jähes und unerwartetes Ende gefunden.
Lady Callista hatte das Pech gehabt, die letzte Person gewesen zu sein, die vor Haywoods Verschwinden die Bibliothek betreten hatte. Sie war auch diejenige gewesen, die befohlen hatte, dass eine Pfütze Blut in der Bibliothek aufgewischt werden sollte, obgleich Atlantis sehr gern ein paar Tropfen dieses Blutes habhaft geworden wäre, um herauszufinden, wer für den Tod der Inquisitorin verantwortlich war.
Das Ergebnis war, dass sie nun genauso streng überwacht wurde wie Titus, ungeachtet ihres jahrelangen Dienstes in Atlantis’ Namen, und dass ihre Schritte auf das Innere der Zitadelle beschränkt waren. Obendrein musste sie sich jede Woche mit atlantischen Ermittlern treffen, wobei jede Befragung Stunden, manchmal einen ganzen Tag andauerte.
Eine unkonzentrierte und erschütterte Lady Callista stellte für Titus eine Bedrohung weniger dar.
Sobald die Vorstellung vorüber war, ließ Lady Callista Titus zurück, um mit dem neuen Kalahari-Botschafter und den Familienmitgliedern zu schwatzen, die ihn in die Domäne begleitet hatten. Titus fühlte sich nie vollkommen wohl in solchen gesellschaftlichen Situationen – er hatte den Verdacht, dass er sowohl steif als auch schroff erschien. Wenn er nur Fairfax an seiner Seite hätte haben können … Sie wusste instinktiv, wie man den Leuten die Befangenheit nahm und er war stets um einiges entspannter in ihrer Anwesenheit.
Es hätte ein idyllischer Sommer im Labyrinthengebirge für sie sein sollen – das Wandern der Gipfel zu beobachten, verborgene Wasserfälle zu erforschen, sich vielleicht sogar in die Phönixhorste in den höchsten Felskämmen zu schleichen, in der Hoffnung, Zeuge einer feurigen Wiedergeburt zu werden. Nicht, dass sie nicht schwer hätten arbeiten wollen: Ihre Pläne hatten Hunderte von Stunden zermürbenden Trainings beinhaltet und genauso viele, die dem Meistern neuer Zaubersprüche gewidmet wären, nicht zu erwähnen eine geheime Unternehmung, um herauszufinden, wohin ihr Vormund aus der Bibliothek der Zitadelle verschwunden war. Aber das Wichtigste war, dass sie so viel wie möglich hätten zusammen sein sollen, jeden Schritt ihres Weges.
Von dem Moment an jedoch, in dem er aus dem Zugabteil getreten war, das als sein persönlicher Translokator diente, war es offensichtlich gewesen, dass er während jeder Sekunde seiner Ferien beobachtet werden würde. Eine furchterregende Erkenntnis, während er sie in Form einer winzigen Schildkröte an seinem Körper versteckt gehalten hatte, unter der Wirkung eines Zaubertranks, die nicht länger als zwölf Stunden andauerte.
Er hatte es geschafft, sie in nervenzerfetzender Eile aus dem Schloss zu schmuggeln und sie, noch immer in der Form einer Schildkröte, in einer verlassenen Schäferhütte zurückzulassen. Er hatte später zurückkommen wollen, um sie in den geheimen Unterschlupf zu eskortieren, den er vorbereitet hatte – doch zehn Minuten nachdem er ins Schoss zurückgekehrt war, war er zur Zitadelle fortgerissen worden, der offiziellen Residenz des Meisters der Domäne in der Hauptstadt, von wo aus er weder mit Leichtigkeit noch im Geheimen zu den Bergen hätte fliehen können.
Er und Fairfax hatten Dutzende von Krisenplänen geschmiedet, aber nichts, was einem Szenario nahekam, in welchem sie allein in dem Labyrinthengebirge gestrandet war. Tagelang hatte er selten gegessen oder geschlafen, bis er eine dreizeilige Werbeanzeige auf der Rückseite des Delamer Observer gesehen hatte, welche die Verfügbarkeit von mehreren Steckzwiebeln für die Herbstsaat anpries: dahinter hatte sie gesteckt und ihn darüber informiert, dass sie ihn zu Beginn des Michaelis-Halbjahres in Eton wiedertreffen würde.
Vor Erleichterung wäre er beinahe zersprungen – und auch vor Stolz: Man konnte sich darauf verlassen, dass Fairfax immer einen Ausweg finden würde, ganz egal, wie verhängnisvoll die Situation sein mochte. Von da an folgte ein langes, qualvolles Warten auf das Ende des Sommers, auf den Moment, in dem sie sich wiedersehen würden.
Das Sommerende war nun endlich gekommen. Er hatte die Erlaubnis, nach dem Empfang augenblicklich nach England abzureisen. Er wusste nicht, wie er es schaffte, sich zusammenzureißen oder mit unzähligen Gästen zu sprechen. Im einen Moment litt er unter Atemnot bei dem Gedanken, sie festzuhalten, im nächsten unter dem von Furcht hervorgerufenen Schwindel – was, wenn sie Mrs Dawlishs Haus nicht betreten würde?
»… bevor Ihr aus eigenem Recht herrschen werdet. Ich muss gestehen, dass ich gehofft hatte, Euch diesen Sommer bei einigen meiner Beratungsgespräche zu sehen.«
Zwei Sekunden vergingen, bevor Titus erkannte, dass von ihm erwartet wurde, Commander Rainstone zu antworten, der obersten Sicherheitsratgeberin des Regenten.
»Der Hoftradition entsprechend sollte ich siebzehn sein, bevor ich an den Ratsversammlungen und Sicherheitsberatungen teilnehme«, sagte er.
Und er würde erst in einigen Wochen siebzehn werden.
»Was für einen Unterschied machen ein paar Tage?«, fragte Commander Rainstone, die verärgert klang. »Eure Hoheit wird in einer sehr instabilen Zeit volljährig werden und sämtliche Erfahrung benötigen, die Ihr aufbringen könnt. Wäre ich Seine Exzellenz, hätte ich darauf bestanden, dass Eure Hoheit viel früher in die Leitung eines Staates eingewiesen worden wäre.«
Seine Exzellenz war Prinz Alectus, der Regent, der an Titus’ Stelle herrschte. Alectus war zufälligerweise auch Lady Callistas Schutzherr.
»Was wollt Ihr mich wissen lassen?«, fragte Titus Commander Rainstone.
Sie war ein Mitglied der persönlichen Gefolgschaft seiner Mutter gewesen, vor langer Zeit, bevor er alt genug gewesen war, um sich an irgendetwas zu erinnern. Er kannte Commander Rainstone hauptsächlich von ihren gelegentlichen Abstechern in das Schloss im Labyrinthengebirge, wo sie ihm von Angelegenheiten berichtete, die mit der Sicherheit des Reiches zu tun hatten – oder zumindest jenen Angelegenheiten, von denen sie annahm, dass er alt genug war, sie zu verstehen.
Commander Rainstone warf einen Blick auf die Menge und senkte ihre Stimme. »Wir haben Informationen erhalten, Sire, dass der Lord High Commander von Neuatlantis seine Festung in den Hochlanden verlassen hat.«
Das war eine Neuigkeit für Titus – eine Neuigkeit, die einen Schauer aus Frost über sein Rückgrat jagte. »So wie ich es verstehe, hat er erst vor Kurzem hier in der Zitadelle diniert. Also kann es nicht allzu ungewöhnlich sein, dass er den Kommandopalast verlässt.«
»Aber bereits dieses Ereignis an sich war außergewöhnlich: Es war das erste Mal, dass er seit dem Ende des Januaraufstandes einen Fuß aus dem Kommandopalast gesetzt hat.«
»Bedeutet das, dass Lady Callista ihn erneut zum Dinner erwarten sollte?«
Commander Rainstone legte die Stirn in Falten. »Eure Hoheit, darüber scherzt man nicht. Der Lord High Commander verlässt seinen Schlupfwinkel nicht leichtsinnig, und …«
Sie hielt inne. Aramia, Lady Callistas Tochter, kam näher.
»Eure Hoheit, Commander«, sagte Aramia liebenswürdig, »ich entschuldige mich für die Unterbrechung, aber ich glaube, dass der Premierminister ein Wort mit Euch wechseln möchte, Commander.«
»Natürlich.« Commander Rainstone verneigte sich. »Wenn Ihr mich entschuldigen würdet, Eure Hoheit.«
Aramia wandte sich Titus zu. »Und Ihr habt vermutlich noch nicht den Anbau an den Brunnen der Niederlage des Usurpatoren gesehen, oder, Eure Hoheit?«
Vor beinahe fünf Monaten, während einer Party, die der heutigen gar nicht unähnlich gewesen war, hatte Lady Callista Titus auf Atlantis’ Geheiß Wahrheitsserum eingeflößt – und das mithilfe von Aramia, welche Titus als Freundin angesehen hatte. Sollte Aramia irgendein Bedauern über ihr Handeln empfinden, so war es Titus unmöglich, dieses wahrzunehmen.
»Ich habe den neuen Anbau gesehen«, sagte er kühl. »Er wurde vor zwei Jahren fertiggestellt.«
Aramia errötete, aber ihr Lächeln war hartnäckig. »Erlaubt mir, Euch auf einige Besonderheiten hinzuweisen, die Euch vielleicht entgangen sein mögen. Wollt Ihr nicht mit mir kommen, Sire?«
Er dachte darüber nach, sich geradeheraus zu weigern. Aber ein Spaziergang, der ihn vom Baldachin wegführte, hatte einige Vorteile – zumindest würde er mit niemandem sprechen müssen. »Weist mir den Weg.«
Die Niederlage des Usurpatoren, der größte und detaillierteste der neunundneunzig Brunnen der Zitadelle, war von der Größe eines kleinen Hügels und mit Reihen von Wyvern ausgestattet, die von den Elementarmächten Hesperias der Glorreichen niedergestreckt wurden. Das lange, reflektierende Becken davor erstreckte sich beinahe bis zum Rand der von Menschen geschaffenen Landzunge, auf der die Zitadelle stand. Klippen fielen dreihundert Fuß tief bis direkt auf die hämmernde Brandung des Atlantiks hinab. In einiger Entfernung wippte ein Privatboot mit eingerollten Segeln über die sonnenerleuchtete See.
Aramia warf einen Blick zurück. Titus’ Entourage, acht Wachmänner und vier Diener, war ihnen gefolgt. Doch nun, auf einen Wink seiner Hand hin, drosselten sie ihre Geschwindigkeit und blieben außer Hörweite.
»Mutter würde böse auf mich sein, wenn sie wüsste, was ich gleich tun werde.« Aramia griff in den Brunnen hinein und schnipste auf die kräuselnde Wasseroberfläche. »Und sie wird es nicht zugeben, aber sie ist recht verängstigt durch all die Treffen mit den Prüfern aus Atlantis. Sie bringen sie dazu, Wahrheitsserum zu nehmen und sie sind … sie sind überhaupt nicht nett.«
»So ist es eben, wenn man mit Atlantis in Konflikt gerät.«
»Aber gibt es denn nichts, was du für sie tun kannst, nach allem, was sie für dich getan hat?«
Titus hob eine Augenbraue. Nach allem, was Lady Callista für ihn getan hatte? »Du überschätzt meinen Einfluss.«
»Aber dennoch …«
»Da seid Ihr ja!«, erklang eine klare, melodische Stimme. »Ich habe überall nach Euch gesucht.«
Die junge Frau, die sich ihnen von der anderen Seite des Brunnens her näherte, war zum Weinen schön – Haut von der Farbe braunen Zuckers, ein Gesicht von beinahe übertriebener Perfektion und eine Kaskade von schwarzem Haar, das bis an die Kniekehlen reichte.
Aramia starrte mit offenem Mund, als ob sie nicht glauben konnte, dass es jemanden gab, der ihrer Mutter in Sachen wahrer Lieblichkeit noch Konkurrenz machte.
Titus, der dank seiner Nähe zu Lady Callista während seines Heranwachsens stets misstrauisch gewesen war, wenn es um Schönheit von solchem Ausmaß ging, ließ die Gesichtszüge der Frau außer Acht, um ihr Übergewand zu begutachten. Manchmal hörte man, wie Übergewänder aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Polstern lächerlich gemacht wurden, aber dieses hier sah aus, als ob es tatsächlich aus Polstern bestand – aus einem kunstvollen Lampenschirm, korrigierte er sich, da sämtliche Quasten und Fransen immer noch daran befestigt schienen.
»Würde es Euch etwas ausmachen, mir einen Moment mit Seiner Hoheit zu schenken?«, sprach sie zu Aramia, ihr Tonfall höflich, doch unverkennbar fest.
Aramia zögerte und warf Titus einen Blick zu.
»Ihr mögt uns verlassen«, sagte Titus. Es gab sonst nichts mehr, was er ihr zu sagen hatte.
Arama ging davon, wobei sie die ganze Zeit zurückblickte.
»Eure Hoheit«, sagte die junge Frau.
Sie hatte ihn angesprochen, bevor sie zuerst von ihm angesprochen worden war. Titus hielt sich nicht an solche Albernheiten, wenn er in der Schule war, doch hier befand er sich in seinem eigenen Palast, noch dazu auf einem diplomatischen Empfang, wo die Gäste solcherlei Etikette beinahe genauso sehr liebten wie ihre eigenen Mütter – möglicherweise noch mehr.
Ihm fiel auf, dass er sie zuvor nicht in der Menge unter dem Baldachin gesehen hatte, obwohl sie als Mitglied der Gefolgschaft des Kalahari-Botschafters durchgehen konnte – und eine Frau, die aussah wie sie, wäre nicht unbemerkt geblieben.
Nicht, dass es nie zuvor geschehen wäre, dass ein Magier ohne gültige Einladung in eine Palastfeier platzte. Aber die Zitadelle war in höchster Alarmbereitschaft nach den Ereignissen Anfang Juni, oder etwa nicht?
»Wie seid Ihr hereingekommen?«
Die Frau lächelte. Sie war nicht viel älter als Titus, zwanzig oder einundzwanzig. »Ein Mann, der immun gegen meinen Zauber ist – das mag ich, Eure Hoheit. Dann lasst mich direkt zur Sache kommen. Ich interessiere mich für den Aufenthaltsort Eurer Elementarmagierin.«
Er musste gegen seinen Schock ankämpfen, um nicht den Zauberstab auf sie zu richten und etwas Unüberlegtes zu tun. Also verdrehte er stattdessen die Augen. »Eure Meister haben mir bereits all diese Fragen gestellt. Sie haben mich sogar unter ein Inquisitionsverhör gesetzt. Müssen wir noch mehr Dergleichen hinter uns bringen?«
Ihr Haar flatterte in der Brise, die vom Meer heraufzog, wie eine Piratenflagge. Sie streckte einen Arm aus und krempelte ihren Ärmel hoch. Auf ihrem Unterarm befand sich ein Zeichen aus nüchternen weißen Linien: ein Elefant mit vier Stoßzähnen, der einen Malstrom unter seinem Fuß zermalmte – ein Symbol des Widerstands in vielen Reichen nahe dem Äquator. »Ich bin keine Agentin von Atlantis.«
»Und warum sollte das irgendetwas an meiner Antwort ändern? Ich habe keine Kenntnis über den Aufenthaltsort dieses Mädchens.«
»Wir wissen, dass sie die Prophezeite ist – eine Elementarmagierin, mächtiger als alles, was seit Jahrhunderten gesehen wurde. Wir wissen auch, dass es verheerend für jene unter uns wäre, die sich nach Freiheit sehnen, wenn sie in Banes Hände fallen würde. Lasst uns ihr helfen. Wir können sicherstellen, dass Bane niemals in ihre Nähe kommt.«
Was würdet ihr tun, wenn Bane doch in ihre Nähe kommen würde? Würdet ihr sie töten, sodass er sie niemals ergreifen wird? Und was würde euch davon abhalten, sie gleich zu Beginn zu töten, wenn es euer einziges Ziel ist, sie von ihm fernzuhalten?
»Dann viel Glück bei der Suche.«
Sie wandte sich ihm näher zu, offensichtlich nicht bereit aufzugeben. »Eure Hoheit …«
Schreie explodierten. Titus drehte sich um. Wachen rannten die Treppe hinab. Seine eigene Gefolgschaft kam auf ihn zugesprintet.
»Gute Güte«, sagte die junge Frau. »Es scheint, als ob ich Eure Hoheit verlassen muss.«
Mit einem Handgriff fiel das lächerliche Übergewand vollkommen ab. Ein rasches Aufschütteln und es glättete und ebnete sich, bis es sich – natürlich – zu einem fliegenden Teppich gewandelt hatte, viel größer und edler als der, den Titus besaß.2
Die junge Frau, die nun in eine lockere Tunika und eine Hose von der Farbe von Sturmwolken gekleidet war, sprang auf den fliegenden Teppich und sauste mit einem spöttischen Salut an Titus dem Boot entgegen, das in der Ferne wartete.