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© 2021 Frank Zimmermann
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7534-3647-0
“ZEIT IST DIE EIGENTLICHE DIMENSION VON GESCHICHTE. Ein Ereignis ist erst historisch, wenn es nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich definiert ist. Ein Ereignis wird in die vierte Dimension, jene der Zeit, versetzt, in dem man seine Entfernung von der Gegenwart misst. Die Chronologie, ein Hilfsmittel der Geschichte, ermöglicht uns, dieses Zeitintervall zwischen einem historischen Ereignis und uns in Einheiten unserer eigenen Zeitrechnung anzugeben.“1
„Geschichte benötigt Datierungen. Die Chronologie ist das Rückgrat sowohl der Archäologie als auch der Geschichte. Denn ohne Zeitrahmen gibt es keinen festgelegten Ablauf der Ereignisse, keine klare Vorstellung von dem, was in der Vergangenheit geschah, keine Kenntnis darüber, welche bedeutende Entwicklung zuerst kam.“2
„Diesmal sah Thutmosis keinen Grund, dem Wunsch seiner Offiziere zu widersprechen. Gegen sieben Uhr abends erreichte der Rest der Armee die Öffnung der Paßstraße. Es war der 20. Mai des Jahres 1468 v.Chr. Um diese Jahreszeit bleibt es lange hell in Palästina, so daß die Ägypter genügend Zeit hatten, ihr Lager am Ufer des Kina-Bachs aufzuschlagen, bevor es dunkelte.“3
Nicht selten präsentieren Fachpublikationen und populärwissenschaftliche Medien jahrgenaue Daten für Kriege, Schlachten und Regierungszeiten ägyptischer Pharaonen, vorderasiatischer Herrscher und griechischer Tyrannen. Auf diese Weise wird der interessierten Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, unser Wissen bezüglich der Datierung Jahrtausende zurückliegender Ereignisse sei gesichert. Das letzte der obigen Zitate entstammt einer einschlägigen Monografie über Thutmosis III. und schildert den Vorabend der Schlacht bei Megiddo. Auch hier suggeriert der Wortlaut mit Nennung des Jahres, des Monats, des Tages und sogar der Uhrzeit dem unbedarften Laien eine Sicherheit hinsichtlich altgeschichtlicher Daten, die in dieser Form überhaupt nicht zu gewinnen ist. Zwar ließ Thutmosis die Begebenheiten dieser Schlacht so detailiert aufzeichnen, dass Jahrtausende später während des Ersten Weltkrieges die Briten am selben Ort genau die gleiche Strategie gegen die Türken anwenden konnten und damit den Sieg davontrugen4, doch steht damit noch lange nicht fest, in welchem Jahr der wohl größte Feldherr des Pharaonenreiches seine berühmteste Schlacht schlug.
Die Herrscher des Nillandes datierten ihre Ruhmestaten nämlich nur nach dem Beginn ihrer eigenen Regierungszeit und nicht etwa fortlaufend über Jahrhunderte hinweg von einem festen Bezugspunkt in der Vergangenheit aus. Auch Thutmosis III. bildete da keine Ausnahme, sodass aufgrund seiner Annalen zunächst einmal nur festgehalten werden kann, dass die Schlacht bei Megiddo in seinem 23. Regierungsjahr, am 21. Tag des ersten Monats der Sommerzeit stattfand. Da weder von allen späteren Pharaonen des Neuen Reiches die genauen Regierungslängen bekannt sind, noch Einigkeit über die Dauer der nachfolgenden sogenannten Dritten Zwischenzeit besteht5, kann die Frage, wann genau Thutmosis III. regierte, noch nicht als endgültig beantwortet gelten.
Nun wollen wir hinsichtlich altägyptischer und mesopotamischer Daten nicht über einige Jahre oder Jahrzehnte streiten – Schwankungen, denen die konventionelle Chronologie in wissenschaftlichen Debatten ohnehin ständig unterliegt.6 Vielmehr soll in der Buchreihe „Alte Geschichte neu geschrieben“ das gesamte gängige Zeitgerüst der Althistorie überarbeitet und ein alternatives, verkürztes chronologisches Schema vorgestellt werden. Die massiven Zweifel an der Richtigkeit der konventionellen Chronologie begründen sich durch etliche Leer- und Dunkelzeiten im herkömmlichen Geschichtsbild sowie zahlreiche Anachronismen, Ungereimtheiten, Widersprüche und Brüche in der kulturellen, gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:
Die sicherlich bekannteste geschichtliche Leerzeit stellt das sogenannte Dunkle Zeitalter der Antike dar. Hiermit bezeichnet man gemeinhin den Zeitraum zwischen dem - 12. und dem - 8. Jahrhundert. Während wir über die internationalen Beziehungen der vorangegangenen Jahrhunderte u. a. durch die Briefarchive aus dem ägyptischen Tell el Amarna und dem zentralanatolischen Hattusa recht gut unterrichtet sind, fehlen für die Dunklen Jahrhunderte aus einigen Regionen, etwa aus Griechenland7, Kleinasien8, Nubien9 und Elam10 jegliche Schriftfunde(!), während sie für Assyrien11 und Babylonien12 äußerst dünn gesät sind.
Diese Dunkelzeit beschrieb der letzte große Universalhistoriker Eduard Meyer folgendermaßen: „So entschwindet der universelle Zusammenhang, der seit dem 16. Jh. die Völker des vorderen Orients nebst der ägaeischen Welt zu einem Staatensystem mit reger politischer und kultureller Wechselwirkung verbunden hatte […]. Im allgemeinen stehn die einzelnen Völker fortan jahrhundertelang isoliert nebeneinander, und ihre äußere Geschichte verläuft in derselben ermüdenden Monotonie wie schon seit langem in der mesopotamisch-babylonischen Welt […]. Bezeichnend dafür ist, daß, im Gegensatz zu der vorhergehenden Epoche, in dieser ganzen Zeit monumentale Bauten von größerer Bedeutung nirgends geschaffen wurden, weder in Vorderasien noch in Ägypten noch in der ägaeischen Welt. Auch die Bildenden Künste stagnierten.“13 Keine Monumentalbauten, keine Kunstwerke, nur wenige bis gar keine Textfunde!
In Babylonien ging den Dunklen Jahrhunderten die sogenannte Kassitenzeit voraus, aus der zwar an die 12.000 Texte bekannt sind, die jedoch allesamt kein Licht auf historische Vorgänge zu werfen vermögen: „Das ganze kassitische Zeitalter in Babylonien hat etwas merkwürdig Starres, Bewegungsloses, Entwicklungsloses […]. Kaum eine andere Geschichtsperiode Babyloniens ist so wenig beleuchtet wie die kassitische. Auch nach der kurzen Chronologie, die Hammurabi auf etwa 1700 v.Chr. herabgerückt hat, bleiben immer noch nahezu vier Jahrhunderte kassitischer Herrschaft, über die wir nicht allzuviel wissen. Es sind eigentlich nur gelegentliche Streiflichter, die in das Dunkel hineinfallen …“14
Von allen alten Kulturen scheint das Land der Pharaonen sich auch in dieser dunklen Zeit noch am besten behauptet zu haben, wie Eduard Meyer konstatierte: „Dabei steht Ägypten auch in der jetzt beginnenden Epoche des Stillstands und der Erstarrung immer noch weit höher als Babylonien, wo nun schon seit einem Jahrtausend alles höhere Leben entschwunden ist […] Wie Ägypten erstarrt und Babylonien regungslos daliegt, so sind um die Wende vom 13. zum 12. Jahrhundert auch die beiden Kulturen [die kretisch-mykenische und die hethitische – F.Z.] zugrunde gegangen, die in den Jahrhunderten vorher diesen selbstständig zur Seite getreten waren.“15 Über Jahrhunderte soll also die Frühgeschichte des östlichen Mittelmeeres und Vorderasiens ohne monumentale Bauten ausgekommen sein? Wo haben denn die Könige dieser Zeit residiert, wo das einfache Volk gelebt? Blieb eine Stadt wie Babylon und auch ihr Umland tatsächlich für tausend Jahre – eine Zeitspanne länger als jene, die uns Heutige von Friedrich I. Barbarossa trennt – ohne Fortschritt? Hat es diese Dunklen Jahrhunderte tatsächlich gegeben oder sind sie erst bei der Entwicklung der heute gültigen Chronologie entstanden?
Für zahlreiche Historiker markiert Homers Ilias16 den Beginn der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte. Doch beim Schaffen dieses Werkes scheint der erste Dichter des Abendlandes das Dunkle Zeitalter einfach ignoriert zu haben. Angeblich rund vier bis fünf Jahrhunderte nach den Ereignissen lebend, die er in der Ilias schildert, beschreibt er einen der Eberzahnhelme der Belagerer Troias:
„Aber Meriones gab dem Odysseus Bogen und Köcher
samt dem Schwert und bedeckte des Königes Haupt mit dem
Helme,
auch aus Leder geformt, inwendig mit häufigen Riemen
wölbt er sich, straff durchspannt, und auswärts schienen die Hauer
vom weißzahnigen Schwein und starreten hierhin und dorthin,
schön und künstlich gereiht, und ein Filz war drinnen befestigt.“17
Ein Exemplar dieser speziellen Helmart, die am Ende der Bronzezeit außer Gebrauch kam, konnte man 1960 bei Ausgrabungen eines Kriegergrabes im griechischen Dendra nahe dem antiken Mykene bergen. Es stellt sich also die Frage, woher Homer sein detailliertes Wissen über die Kopfbedeckungen der Achaier bezog. „So müßte die Eberzahnhelm-Episode spätestens 1200 in Versform gestaltet worden sein; denn in ungebundener Form lässt sich die Erinnerung an ein so spezielles Rüstungsstück in so präziser Weise nicht festhalten.“18 Was beispielsweise könnten wir heute über den Dreißigjährigen Krieg und die Kopfbedeckungen Wallensteins oder Gustav Adolfs von Schweden ohne Rückgriffe auf Bilder oder Schriften berichten?
Doch Homer wusste noch mehr. Neben landschaftlichen Charakteristika und Besonderheiten rund um Troia beschrieb er außerdem noch Kampftechniken, Bestattungsriten und Verteidigungsanlagen wie etwa die Gräben und Palisaden, die man in Troia mittlerweile ausgegraben hat. „Manches, wie die Eberzahnhelme oder die achtförmigen Schilde, könnte aus Funden in mykenischen Gräbern resultieren, denn Ende des 8. Jahrhunderts wurden verschiedene Kuppelgräber geöffnet und als Kultstätten eingerichtet. Doch gerade die Sitte der Brandbestattung kann nicht dieser Quelle entstammen, jene Gräber enthielten nur Körperbestattungen. Würde sich die »Ilias« einzig auf die Kenntnis der Kuppelgräber stützen, gäbe es in ihr nicht den »Anachronismus« der Leichenverbrennung. Daß die Kremation dagegen in Anatolien bereits im 2. Jahrtausend üblich war und nicht erst, wie bei den Griechen, im 1. Jahrtausend, also zu Homers Zeit, haben die archäologischen Funde mittlerweile gezeigt.“19
Noch immer sind Entstehungszeitpunkt und Urheberschaft der Homerischen Epen und die Lebensdaten des Dichters, die schon in der Antike kontrovers diskutiert wurden, umstritten. Neigte sich während des 19. Jhs. die Waagschale bezüglich der sogenannten „Homerischen Frage“ noch dahingehend, dass man mehrere unbekannte Verfasser als Urheber der Werke annahm und von einigen sogar die Existenz eines Sängers mit dem Namen Homer geleugnet wurde, so wird heutzutage aufgrund von Analysen des historischen Umfeldes und der Sprache eher die Meinung vertreten, dass im – 8. oder gar erst im – 7. Jh. in Kleinasien tatsächlich ein Dichter namens Homer gelebt und zumindest die Ilias, möglicherweise auch die Odyssee geschaffen hat. Da heutzutage die Zerstörungsschicht am Ende von Troia VIIa, die als Kandidat für einen Troianischen Krieg in Frage kommen könnte, bei - 1180 gesehen wird,20 bleibt weiterhin unklar, wie die zahlreichen Detailinformationen nach mehr als vier dunklen Jahrhunderten in die Werke Homers einfließen konnten. Mit Homer und Troia ist ein Name aus der Frühzeit archäologischer Forschung nahezu untrennbar verbunden – und damit sind wir sogleich beim nächsten Rätsel, das sich um Goldmasken, Schachtgräber und heraldische Löwen dreht.
Die Geschichte vom armen Pfarrerssohn Heinrich Schliemann, der als Siebenjähriger am Weihnachtsfest 1829 beim Anblick eines Bildes vom brennenden Troia aus Jerrers Weltgeschichte für Kinder seinem Vater gelobte, später einmal Troia auszugraben, ist hinlänglich bekannt. Doch Schliemanns archäologische Karriere endete nicht am Hügel Hisarlik, sie nahm dort ihren Anfang. Nachdem er den „Schatz des Priamos“ bergen und der Welt zeigen konnte, dass das legendäre Troia einst tatsächlich existiert hatte, machte er sich daran, die Geschichtlichkeit der Widersacher Troias im Troianischen Krieg, also der Mykener um König Agamemnon, zu belegen. Diesmal verließ er sich weniger auf die Worte Homers als vielmehr auf jene des Pausanias, der im 2. Jh. zahlreiche alte Stätten bereist und beschrieben hatte. Auf Pausanias vertrauend vermutete Schliemann das Grab des Agamemnon innerhalb der Burgmauern Mykenes nahe dem berühmten Löwentor. Dort stieß er im Sommer 1876 auf eine ringförmige steinerne Anlage und innerhalb des Steinkreises auf fünf Schachtgräber21, deren Inhalt von hohem materiellem und unermesslichem kulturgeschichtlichem Wert war. Ganze Herrscherfamilien – Männer, Frauen und Kinder – waren darin beigesetzt und mit den kostbarsten Grabbeigaben ausgestattet worden. Allein die geborgenen Goldobjekte brachten rund 13 Kilogramm auf die Waage. Darunter stachen vor allem die drei Totenmasken hervor und unter diesen wiederum jene, die seit Schliemann als „Goldmaske des Agamemnon“ bezeichnet wird. Man hat diese Bezeichnung beibehalten, obwohl die Schachtgräber heutzutage rund vierhundert Jahre vor den Troianische Krieg ins 16. vorchristliche Jahrhundert datiert werden.
Abb.1. Löwentor von Mykene. Die beiden Löwen flankieren eine Säule im Zentrum.
Nun entdeckten Ende des Ersten Weltkriegs bulgarische Soldaten nahe der Stadt Ohrid im Südosten von Nordmazedonien die antike Nekropole von Trebenište. Auch dort waren Schachtgräber angelegt und einflussreiche Persönlichkeiten22 mit reichen Beigaben bestattet worden. Zwei der Skelette trugen ebenfalls goldene Totenmasken. Anhand der korinthischen Keramik in den Gräbern wurden sie auf ca. 530 v.Chr., also mehr als 1000 Jahre später als die Schachtgräber von Mykene, datiert, „aber die Goldmasken, wenn auch hier mit eingepreßten Mäandern und Flechtbändern eingerahmt, wirken ganz mykenisch. Die Brauen sind in ähnlicher Weise gestrichelt […/ …] und auch hier lagen Goldplättchen mit Figureneinpressung bei den Skeletten – es waren Vögel und Reiterbilder – und sie müssen […] wie in Mykenai den Schmuck der Gewänder gebildet haben.[…/…] Aber das merkwürdigste ist die goldene Brustplatte, auf der die heraldischen Löwen von Mykenai wiederkehren, allerdings in eine Kreisform gestellt und in leichter Abwandlung, im ganzen aber unverkennbar.“23 Auch in Mykene bedeckten goldene Platten die Rippen der Skelette, dort allerdings nur mit Spiralornamenten verziert.24 Diese Übereinstimmungen und Zusammenhänge, die im koventionellen Chronologieschema mehr als ein Jahrtausend überbrücken, lassen sich – sofern man an eben jenem Schema festhalten will – nur schwer erklären. Der studierte Archäologe und Kunsthistoriker Hans Diebow, der unter dem Pseudonym Hans Pars schrieb, hat sich an einer Erklärung versucht: „Jedoch die Goldmasken von Trebenischte sind unzweifelhaft mykenisches Erbe, das sich dort in dem Winkel zwischen Illyrien, Paionien und Makedonien bei Barbarenstämmen so lange erhalten hatte. Daß im Schatten des Löwentores, unter dem versunkenen Plattenring des Heroons, tief in den Schachtgräbern Fürsten lagen, davon mag man um 530 v.Chr. bestenfalls noch haben sagen hören; aber daß sie Goldmasken trugen, das konnte man auch in Mykenai nicht mehr wissen. In Griechenland selbst war es nicht mehr Brauch, den Toten Goldmasken anzulegen. Wie also hätten die korinthischen Söldner ihn nach Illyrien verpflanzen können, tausend Jahre nach der Zeit der Schachtgräber? Das Löwenrelief allein aber, so bekannt es auch immer gewesen sein mag, konnte nicht spontan diesen Bestattungsbrauch am Ochridsee verursachen. Er muß sich dort auf eine alte Überlieferung gestützt haben, die beides, die Goldmasken und das Löwentor, gedanklich miteinander verband, und zwar zu einer Vorstellung, in der die Säule mit den Wächterlöwen als ein heiliges Zeichen, ein Sinnbild aus dem Ahnenkult galt. Als »Wappen« mykenischer Herrschaft allein kann sie nicht gegolten haben. Das hätte nach tausend Jahren in Illyrien keinen Menschen mehr interessiert. Wir müßten schon das Unwahrscheinliche annehmen, daß dort seit mykenischer Zeit eine jüngere Linie des mykenischen Fürstenhauses die Herrschaft für lange Zeit innegehabt habe.“25 Zu einer derart vertrackten Argumentation wird ein ausgewiesener Kenner altgeschichtlicher Kunst beim Versuch genötigt, die frappierenden Ähnlichkeiten in den Bestattungsbräuchen von Mykene und Trebenište zu erklären.
Wir wechseln den Schauplatz und begeben uns in den Libanon. Dort liegen an der Mittelmeerküste nördlich von Beirut die Ruinen der uralten Hafenstadt Byblos, die durch ihren Handel mit Zedernholz aus den Libanonbergen und importiertem ägyptischem Papyrus zu Reichtum gelangt war. Die Griechen bezeichneten die Papyrusrolle nach dieser Stadt als Biblion, worauf auch das Wort „Bibel“ zurückgeht.
Grabungen durch Pierre Montet brachten dort in den 1920er Jahren mehrere Königsgräber zutage, von denen jenes des Ahiram das Erstaunlichste war. Über einen in den Fels gehauenen Schacht gelangte man in die eigentliche Grabkammer, die zwei einfache und einen aufwendig verzierten Sarkophag enthielt. Dieser Sarkophag, der heute zu den Attraktionen des Nationalmuseums von Beirut zählt, trägt neben einer Darstellung des Königs auf seinem von Löwensphingen flankierten Thron auch eine Inschrift, die Ithobaal, der Königssohn, für seinen Vater Ahiram verfasst hatte und in der die üblichen Flüche und Verwünschungen für all jene zum Ausdruck gebracht werden, die es wagen sollten, den Frieden des Toten zu stören.
Im Übergangsbereich vom Schacht zur Grabkammer fanden sich Bruchstücke von Kanopenkrügen mit der Kartusche Ramses‘ II. darauf, in der Grabkammer eine mykenische Elfenbeinplatte und Keramik, wie sie in Zypern im - 7. Jh. hergestellt wurde. Es entbrannte ein Gelehrtenstreit über die zeitliche Einordnung des Grabes und des Sarkophages, dessen Inschrift zudem in phönizischer Buchstabenschrift ausgeführt war. Pierre Montet plädierte für die Einordnung sämtlicher Funde in die Zeit Ramses‘ II., also für das 13. vorchristliche Jahrhundert, während andere Gelehrte das Grab aufgrund der zypriotischen Keramik dem - 7. Jh. zuordnen wollten. René Dussaud argumentierte, dass Grab und Sarkophag in die Zeit Ramses‘ II. gehörten, dass jedoch Grabräuber im – 7. Jh. eingedrungen wären, das Grab geplündert, die Kanopenkrüge zerbrochen und die zypriotische Keramik dort hineingebracht und hinterlassen hätten.26 Doch warum sollten Grabräuber gebrannte Tongefäße in ein Grab schaffen, das sie ausrauben wollten?
Ungeachtet dessen blieb noch immer die Inschrift auf dem Sarkophag zu erklären, dessen Bildhauerkunst in ihrem Stil ebenfalls auf die Zeit von Ramses II. verwies. Doch eine Buchstabenschrift zu einem so frühen Zeitpunkt wie dem - 13. Jh. war für Sprachwissenschaftler und Epigrafen nicht zu akzeptieren. Lange Zeit hatte die Steleninschrift des Mescha von Moab, die über die Bibel auf - 850 datiert worden war, als ältester Beleg für eine Buchstabenschrift gegolten. „In dieser stimmen die Schriftzeichen mit der Gestalt, in der die Griechen das Alphabet übernommen haben, nahezu vollständig überein, die Rezeption ist mithin um 900 v.Chr. erfolgt, und man durfte annehmen, dass um diese Zeit in den phönizischen Städten so geschrieben wurde, wie es sich in dem abgelegenen Moab um 850 erhalten hat.“27 Dann aber waren – wiederum in Byblos – zwei Statuen der Pharaonen Scheschonk I. und Osorkon I. entdeckt worden, auf denen sich in phönizischen Buchstaben Weihinschriften der Könige Abibaal und Elibaal befanden. Da die beiden Pharaonen nach der ägyptischen Chronologie von ca. - 950 bis - 890 regiert hatten, musste der Ursprung der Buchstabenschrift um weitere 100 Jahre vorverlegt werden, obwohl es so gut wie keine Unterschiede zwischen den Schriftzeichen der Mescha-Stele und jenen auf den Statuen gab.28 Da auch die Formen der Inschrift auf dem Sarkophag Ahirams jenen der Statueninschriften entsprachen, waren die Epigraphiker zu keinerlei chronologischen Zugeständnissen bereit: „Es ist undenkbar und widerspricht allem, was wir sonst überall von der Geschichte der Schrift wissen, dass sich hier die Schrift vier Jahrhunderte lang unverändert erhalten haben sollte. Vielmehr kann König Achiram nur kurze Zeit vor Abiba’al angesetzt werden, also um 1000 v.Chr.“29 Bei diesem faulen Kompromiss, der weder die Anwesenheit von zypriotischer Keramik des – 7. Jh. noch von Alabasterkanopen aus der Zeit Ramses‘ II. noch den Stil der Bildhauerarbeiten auf dem Sarkophag erklärt, ist es bis heute geblieben.
In der altmesopotamischen Überlieferung galt Eridu (heute Tell Abu-Schachrein) im äußersten Süden des Zweistromlandes als die älteste Stadt der Welt. Als Hauptkultort des Erd- und Schöpfergottes Enki nahm sie unter den mesopotamischen Städten eine Sonderstellung ein. Der 25 m hohe Ruinenhügel beherbergte die Überreste einer Zikkurat aus der Zeit der dritten Dynastie von Ur. Die Tempel-Sondierung an der Südecke der Zikkurat ergab eine durchgängige Folge von sage und schreibe 19 Schichten. Davon wurden alleine schon die Schichten XIX bis VI der Obed-Zeit (ca. - 5500 bis - 3500) zugeordnet. In Schicht 16 konnten die Fundamentreste eines ersten Tempels ausgemacht werden. Die sogenannte Hütten-Sondierung im benachbarten Wohnviertel lieferte 14 Schichten. „Sowohl die Tempel- als auch die Hütten-Sondierung boten eine der bestüberlieferten stratigraphischen Keramiksequenzen der Obed-Zeit.“ So konnten durch Vergleiche mit dieser Sequenz Relativdatierungen für alle anderen Stätten der Obed-Zeit ermittelt werden.30 So weit, so gut, doch da die oberste und somit jüngste Schicht in Eridu in die Zeit der ersten Dynastie von Babylon, der Hammurabi-Dynastie, datiert wird, müssten nach dem archäologischen Befund Besiedlung und Bautätigkeit in Eridu bereits in der ersten Hälfte des – 2. Jtsds. aufgehört haben und die Kultstätte aufgegeben worden sein.31
Merkwürdigerweise wird Eridu jedoch noch in den Annalen Sargons II. (- 721 bis – 705), die er auf Wandtafeln in den Sälen seines Palastes in Dur-Scharukin (Khorsabad) hat aufzeichnen lassen, als eine jener Städte erwähnt, denen er die Freiheit wiedergegeben und deren Götterstatuen er wieder an ihre angestammten Plätze gebracht habe.32 Eridu wird auch auf einem Zylinder im Britischen Museum (Nr. 113.203) als eine von 8 stark befestigten Städten von Bit Jakinu genannt, die Sanherib (- 705 bis – 681) im Rahmen seines ersten Feldzugs eroberte.33 Und auch in der Inschrift der Nebi Yunus-Tafel des gleichen Herrschers wird als Beute des siebten Feldzugs die Belit-Statue von Eridu erwähnt.34
Noch der letzte neubabylonische König Nabonid (- 556 bis – 539) behauptet, an der Enki-Zikkurat von Eridu gebaut zu haben. Auch Urkunden aus der Zeit von Nebukadnezar II. (- 605 bis – 562) bis zu Dareios I. (- 521 bis – 486) nennen Eridu als Wirtschaftszentrum.35 Diese seltsamen Umstände gaben vereinzelt Anlass zu der nicht weniger ungewöhnlichen Annahme, dass die Kultstätte vielleicht verlegt worden sein könnte und der Kultbetrieb somit an einem anderen Ort fortgesetzt worden wäre: „Auffallend ist, daß nirgends Funde gemacht wurden, die jünger als die Amurruperiode waren. Da man kaum annehmen kann, daß die überaus heilige Kultstätte von dieser Zeit zu bestehen aufgehört habe, wird man wohl an eine Verlegung des Heiligtums an eine andere Stelle denken dürfen.“36 Da dieser exotische Vorschlag des österreichischen Altorientalisten Victor Christian keine breite Zustimmung fand, sind bis heute der archäologische und der historische Befund zur wichtigsten Kultstätte Südmesopotamiens unvereinbar.
Die sogenannte Amarna-Zeit bildete nur eine kurze Episode in der Geschichte Altägyptens. Sie war gekennzeichnet durch die Unterdrückung der traditionellen ägyptischen Gottheiten und die alleinige Verehrung von Aton als Sonnenscheibe. Diese Episode ist aufs Engste verknüpft mit den Pharaonen Amenophis III. in seinen späten Jahren, Amenophis IV., der sich ab seinem 4. Regierungsjahr Echnaton nannte und mit Tutanchamun, der zunächst Tutanchaton hieß. Echnaton veranlasste die Schließung des Amun-Bezirks in Karnak und ließ östlich davon ein Heiligtum für die nunmehr alleinige solare Gottheit errichten, das den Namen Gem-Aton trug. Nach dem Tod Echnatons wurde im ganzen Land jegliches Andenken an diesen ketzerischen Pharao ausgetilgt. Dies alles soll sich nach der gängigen Chronologie um die Mitte des – 14. Jh. abgespielt haben.
Nun fand sich der Name Gem-Aton als Stadtname in einer Inschrift des Pharaos Taharka im Amun-Tempel vom Gebel Barkal in Napata in Obernubien. Taharka gehörte der 25. Dynastie, der sogenannten Kuschitendynastie an, die dem – 8./- 7. Jh. zugeordnet wird und von Kusch (Nubien) aus große Teile Ägyptens beherrschte. Als einer der ersten machte James Henry Breasted darauf aufmerksam, dass diese nubische Stadt den gleichen Namen trug wie der Tempelbezirk Echnatons in Karnak: „Der Name des thebanischen Aton-Tempels stand Pate für den Namen der nubischen Stadt, und es kann somit nicht bezweifelt werden, dass Echnaton ihr Begründer war und sie nach dem thebanischen Tempel seines Gottes benannte. […] Wir finden hier den bemerkenswerten Umstand vor, dass die nubische Stadt Echnatons überlebte und noch Tausend Jahre nach seinem Tod […] den Namen trug, den er ihr gegeben hatte.“37 Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Andenken des „Ketzerkönigs“ Echnaton nach seinem Tod getilgt, seine in Mittelägypten neugegründete Stadt Achet-Aton geschleift, seine Tempel zerstört und seine Inschriften ausgemeißelt worden sein sollen. Zwar sind Echnaton und Taharka im heutzutage gültigen Zeitschema nicht mehr durch 1000, sondern nur noch durch 700 Jahre voneinander getrennt, doch bleibt die Frage ungeklärt, wie denn der Name dieser Stadt tradiert wurde, da er sonst in keiner Inschrift und in keinem Dokument erwähnt wird und wieso sich die Kuschiten dazu entschlossen, eine jahrhundertealte Ruine wieder auszubauen.
1929 entdeckte der damalige Schulrat und Antikenkonservator in Khartum Frank Addison nahe Dunqula im heutigen Sudan auf der östlichen Nilseite zwischen dem 3. und 4. Katarakt eine alte Ruinenstätte, die sich als eben jenes Gem-Aton entpuppte. Ausgrabungen unter Francis Griffith, Walter Bryan Emery und Miles Frederick Laming Macadam brachten die Gründungsurkunden von Amenophis III. zutage und bestätigten Breasteds Vermutung. Die ältesten erhaltenen Reste stammten von einem kleinen, dem Amun geweihten Heiligtum (Tempel A) aus der Zeit Tutanchamuns (konventionell ca. - 1320). Erst unter den kuschitischen Pharaonen Schabaka und Taharka (konventionell ca. – 720 bis – 680) setzte die Bautätigkeit wieder ein (Tempel T).38 So wurden durch den archäologischen Befund die rätselhaften Umstände lediglich bestätigt; eine Lösung des Rätsels ist von ägyptologischer Seite aus jedoch nicht zu erwarten.
Verweilen wir noch ein wenig bei den Kuschitenherrschern. Pianchi, Schabaka, Schebitko, Taharka und Tanotamun, so ihre Namen, herrschten während des - 8. und frühen - 7. Jahrhunderts über Ägypten. Ihre materiellen und kulturellen Hinterlassenschaften weisen verblüffende Ähnlichkeiten mit denen des sogenannten Alten Reiches auf und werden als bewusste Rückgriffe auf eine lange zurückliegende Vergangenheit gedeutet. Beim ehemaligen Cambridger Ägyptologie-Professor Toby Wilkinson hört sich dies folgendermaßen an: „Schon bald prägte die Leidenschaft für die Vergangenheit die gesamte Kultur. Schabaka gab die Richtung vor, indem er den Thronnamen Pepis II. annahm, um an das ruhmreiche Zeitalter der Pyramiden zu erinnern. Sein Nachfolger legte noch einmal nach und entstaubte eine Titulatur, die König Djedkare aus der 5. Dynastie mehr als sechzehn Jahrhunderte zuvor zum letzten Mal verwendet hatte. Hochrangige Beamte folgten seinem Vorbild und legten sich lange vergessene und oft bedeutungslose Titel zu, einfach nur weil sie so schön alt waren. Die Schriftsprache wurde bewusst »gesäubert« und auf die archaische Form des Alten Reiches zurückgeführt, und die Schreiber lernten, neue Texte in diesem antiquierten Idiom zu verfassen. […/…] In der Bildhauerei griff man bewusst auf die Proportionen des Alten Reiches zurück – die eher gedrungene und muskulöse Darstellung des männlichen Körpers entsprach perfekt dem Selbstbild der Kuschitenherrscher. Auch die von den Kuschitenkönigen bevorzugte eng anliegende Kappenkrone hatten sie offenbar wegen ihres hohen Alters gewählt. […] Diese Könige aus Obernubien waren fest entschlossen, sich ägyptischer zu geben als die Ägypter und die alten Traditionen hochzuhalten.“39
Zu jener Zeit lag nach der gängigen Chronologie das sogenannte Alte Reich bereits anderthalb bis zwei Jahrtausende zurück. Das genaue Kopieren und Wiederbeleben einer jahrtausendealten Lebensweise kann sicherlich nicht einfach gewesen sein, denn hierfür benötigte man eine Menge Informationen über Kunst, Kultur, Religion, Sprache und Alltagsleben, die man – wie es die Archäologen der Neuzeit getan haben – zunächst einmal den unter Wüstensand begrabenen Monumenten hätte entlocken müssen. Müssen wir also davon ausgehen, dass sich die kuschitischen Pharaonen als antike Altertumsforscher betätigt haben?
Als einer der schönsten alttestamentlichen Psalmen gilt der 104.40, in dem Jahwe als Schöpfergott gepriesen wird. Doch dieser „weist überraschende Ähnlichkeiten mit außerbiblischen Hymnen auf, wie z.B. mit dem Sonnenhymnus des Pharaos Amenophis IV., der in den Amarna-Texten gefunden wurde“41 und der ins 14. vorchristliche Jahrhundert datiert wird. „Psalm 104 des hebräischen Psalter weist eine verblüffende Ähnlichkeit zum Hymnus von der Sonnenscheibe auf […]. Ein Vergleich der beiden Texte offenbart, dass Psalm 104 eindeutig vom Sonnenhymnus inspiriert wurde.“42 Im Folgenden einige Beispiele (P = Psalm 104, A = Aton-Hymnus):
P: 20. Schickst du Finsternis, so wird es Nacht. In ihr schleicht alles Waldgetier umher. 21. Die Löwen brüllen nach Raub; sie verlangen von Gott ihre Nahrung. 22. Strahlt die Sonne auf, dann verkriechen sie sich und lagern in ihren Höhlen.
A: Gehst du unter im Westhorizont, so ist die Welt in Finsternis, in der Verfassung des Todes […] Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle gekommen, und jede Schlange beißt. […] Am Morgen bist du aufgegangen im Horizont und leuchtest als Sonne am Tage …
P: 23. Nun geht der Mensch an seine Arbeit und an sein Tagewerkbis gegen Abend.
A: die Menschen sind erwacht […] das ganze Land tut seine Arbeit
P: 24. Wie zahlreich sind doch deine Werke, Herr! Sie alle schufest du in Weisheit, die Erde ist erfüllt von deinem Eigentum.
A: Wie zahlreich sind deine Werke, die dem Angesicht verborgen sind, du einziger Gott, dessengleichen nicht ist! Du hast die Erde geschaffen nach deinem Wunsch
P: 29. Verbirgst du dein Antlitz, dann werden sie erschüttert; ziehst du ihren Odem zurück, dann verscheiden sie […] 30. Sendest du deinen Odem aus, so werden sie wieder erschaffen
A: Bist du aufgegangen, so leben sie, gehst du unter, so sterben sie, du bist die Lebenszeit selbst, man lebt durch dich.
Die Gruppe der monotheistischen Psalmen (90 – 104) soll während und nach dem Babylonischen Exil (nach 586 v.Chr.) entstanden sein. Sie bildet auch sprachgeschichtlich eine Einheit, doch wegen der eindeutigen Verbindungen zu Echnatons angeblich 800 Jahre älterem Aton-Hymnus wird Psalm 104 als Sonderfall und als „das Endstadium einer langen Entwicklung von Schöpfungstheologien“ erachtet, „die alle auf einen Gott vereinigt werden.“43 Für Gott sind ja angeblich 1000 Jahre wie ein Tag44 und für so manchen Religionsforscher sind 800 Jahre zwischen zwei sich teilweise bis in den Wortlaut ähnelnden Hymnen anscheinend kein Grund zur Sorge.
Das Isopata-Plateau unweit der kretischen Küste liegt nur wenige Kilometer nördlich des Palastes von Knossos. Bei Grabungsarbeiten zu Beginn des 20. Jhs. zeigte sich, dass es gegen Ende der Bronzezeit (Spätminoisch II-IIIa) als Gräberfeld gedient hatte. Der erste noch von Arthur Evans freigelegte Grabbau wurde aufgrund seiner Dimensionen und der reichen Beigaben als Königsgrab bezeichnet. Er enthielt eine sehr merkwürdige Mischung von steinernen und keramischen Gefäßen bzw. Gefäßfragmenten, die von engen Kontakten zwischen der minoischen Kultur und dem Pharaonenreich zeugten. Dem keramischen Inhalt nach gehörte das Grab eindeutig in die zweite spätminoische Periode. Auch einige Steinvasen verwiesen auf diese Zeit, wie sich aus datierbaren Funden der gleichen Gefäße in ägyptischen Gräbern ergab. So findet sich beispielsweise der gleiche Typ einer schönen Alabastervase45 aus dem Isopata-Grab auch in Abydos in Grab 116 zusammen mit Skarabäen Thutmosis‘ III.46 und in Grab 17 gemeinsam mit einem Skarabäus Thutmosis‘ III. und einem Bronzering Amenophis‘ IV.47
Doch stieß Evans im Königsgrab von Isopata auch auf das Fragment einer kleinen Dioritschale48, deren engste ägyptische Parallelen in El-Amra auf die 1. und 2. Dynastie49 und in El-Kab sogar auf die vordynastische Zeit verweisen.50 „Eine andere sackförmige ägyptische Alabastervase dieses Grabes hat wieder in der 6. Dynastie in Dendera eine gute Parallele. Und doch wird niemand das Isopatagrab ins Alte Reich datieren wollen.“51
Das nicht, doch sofern man nicht annehmen möchte, dass der im Isopata-Grab Beigesetzte ein passionierter Sammler uralter Steingefäße gewesen ist, mutet es doch äußerst merkwürdig an, dass man ihm nach dem herkömmlichen Chronologieschema 1000 bis 1500 Jahre alte Schalen und Vasen mit ins Jenseits gab. Doch anstatt auf diese Merkwürdigkeit näher einzugehen, betont man lieber die Nutzlosigkeit dieser Steingefäße für die Chronologie und für die kretisch-ägyptischen Beziehungen zur Zeit des Alten Reiches: „Die auf Kreta gefundenen ägyptischen Steingefäße, die zum Teil der Zeit des Alten Reiches angehören, stammen nicht, wie Evans annahm, aus frühminoischen, sondern aus weit jüngeren Schichten (um 1600) und können daher für alte Beziehungen nichts beweisen“52
„1961 wurden bei dem Ort Tartaria in Transsylvanien (Rumänien) 3 Tontäfelchen gefunden, die eindeutig Schriftzeichen tragen. Sie lagen in einer Grube im gewachsenen Boden, über der sich Kulturschichten abgelagert hatten, zusammen mit 26 Tonfigurinen, den Fragmenten zweier Alabasterfigurinen und einem Armreif aus Spondylos-Muschel; alles war eingebettet in Asche. Über der Grube lagen Knochen einer Person in mittlerem Alter. Die Grube wurde der untersten der darüber befindlichen Kulturschichten, der sog. Vinča-Tordos-Kultur, zugewiesen, und zwar der Schicht Früh-Vinča B 1. Dies führte nun zu einer Diskrepanz mit der bisherigen chronologischen Einordnung, als Falkenstein die auf den Täfelchen befindlichen Schriftzeichen als solche der Dschemdet-Nasr-Epoche Sumers nahestehend erkannt hatte. Man versuchte daher, Falkensteins Gleichsetzungen zu relativieren: Man bezweifelte die Abhängigkeit von Dschemdet-Nasr, man zog die viel jüngere kretische Hieroglyphenschrift heran, man wollte eher sumerische Siegel als Schrifttafeln als Vorbild nehmen und verunklärte endlich die ganze Frage durch Hinzuziehen verschiedener Topfmarken, auch aus der Tordoskultur selbst, um gegebenenfalls eine eigene Schrift auf dem Balkan zu postulieren.“53
Abb.2. Die drei Tărtăria-Täfelchen. Tafel 1 ist in vier Felder aufgeteilt. Die Zeichen in den beiden unteren Feldern sind gegenüber jenen Südmesopotamiens um 90 Grad gekippt. „Außerdem sind die Zahlzeichen nicht, wie in Uruk, mit dem Griffel eingedrückt, sondern „geschrieben“. Dies dürfte anzeigen, daß die Täfelchen nicht aus Uruk […] stammen, sondern aus einem anderen Gebiet, wo man zwar die sumerische Schrift benutzte, aber im Gebrauch sich etwas anders verhielt.“ Die Bedeutung der Zeichen ist in etwa folgende: Feld von 60 iku (links oben), Abgabe von 2 BAN (links unten), rechts oben eine weitere Maßangabe, rechts unten möglicherweise ein Eigenname. Tafel 2 enthält vermutlich eine Aufzählung verschiedener Lebensmittel ohne Zahlenangaben. Tafel 3 ist nicht wie die beiden anderen in Kästchen unterteilt. Sie „ist damit etwa gleichzusetzen mit dem Täfelchen 261 in Uruk mit dem Zeichen ATU 4, das einen menschlichen Kopf zeigt, der durch Striche mit einer Kornähre verbunden ist, was vielleicht so etwas wie „Lohn“ bezeichnen könnte. Hier könnte man an eine Schreibung von „Ziegenfutter“ denken.“ Bei den Täfelchen dürfte es sich somit um Wirtschaftstexte „aus einem von sumerischer Kultur beeinflußten Gebiet“ handeln, die in Tărtăria jedoch wahrscheinlich niemand lesen konnte. Sie sind vermutlich als Amulette verwendet worden (Helck,1995,8f).
Nicht erst Adam Falkenstein54, sondern auch schon der Ausgräber und Entdecker der Täfelchen, Nicolae Vlassa55 und mit ihm zahlreiche andere56 sahen Verbindungen zwischen den Zeichen auf den Täfelchen und frühen südmesopotamischen Schriftzeichen. Die heftigen Gegenreaktionen erklären sich allein aus den chronologischen Implikationen, die die Akzeptanz der Verbindungen zu Südmesopotamien nach sich gezogen hätte. Bis zum Aufkommen der Radiokarbonmethode war die Vinča-Kultur, zu der auch Tărtăria gehört, über typologische Vergleiche mit ägäischer Keramik auf ca. – 2700 bis – 2000 datiert worden.57 Durch die Radiokarbondatierung waren jedoch die typologischen Brücken zerschlagen, die ursprüngliche Datierung der Vinča-Kultur aufgegeben und diese dann in die Zeit von ca. – 5500 bis – 4600 verbracht worden. Während der 1957 verstorbene Gordon Childe nicht mehr erleben musste, wie sein mühsam gewobenes chronologisches Netzwerk zerstört wurde, wehrte sich sein Kollege Vladimir Milojčič gegen die Ergebnisse der neuen revolutionären Methode.58 Obwohl es in der europäischen Vorgeschichtsforschung und in Archäologenkreisen sicherlich noch mehr Skeptiker gab, war Milojčič der Einzige, der seine Stimme gegen die C14-Datierungen erhob.59
In den 2000er Jahren wurden Täfelchen und Fundumstände einer neuerlichen Untersuchung unterzogen. Es zeigte sich, dass Vlassa korrekt gearbeitet hatte, als er die Grube und ein nahegelegenes Gebäude dem gleichen Horizont (Level h11) zuschrieb und dass die Knochen einer 50 – 55 Jahre alten Frau gehört hatten. Aufgrund der beigegebenen Gegenstände und Idole vermutet man in der Bestattenen eine Priesterin. Vlassa hatte angenommen, dass hier ein Schamane bestattet worden sei. Er hatte also einwandfreie Arbeit geleistet und schon in den 1960er Jahren die richtigen Schlüsse gezogen.
Lediglich hinsichtlich der zeitlichen Einordnung und der von ihm angenommenen Verbindungen zu Südmesopotamien widersprechen ihm die heutigen Forscher, denn neuerliche C14-Datierungen ergaben für die Frauenknochen ein Alter von 5370–5140 Cal BC.60 Anstatt einer des Schreibens noch unkundigen, mit Uruk III zeitgleichen frühen Vinča-Kultur, deren Priester(innen) durch Handel erworbene, mit „geheimnisvollen“ Zeichen versehene Täfelchen als Amulette trugen, finden wir heute in den Geschichtsbüchern eine über C14 ins – 6. Jtsd. datierte Vinča-Kultur, die schon eine Schrift gekannt haben soll61 und nahe dem Fundort der Täfelchen ein Denkmal, dessen Inschrift voller Stolz auf Rumänisch verkündet: TĂRTĂRIA 5500 I.D.H. PRIMUL MESAJ SCRIS DIN ISTORIA OMENIRII („Tărtăria 5500 v. Chr. Erste geschriebene Nachricht in der Geschichte der Menschheit“).62
Rund 50 km südöstlich von Beirut liegt zwischen Libanon und Antilibanon die Ortschaft Kāmid el-Lōz. Etwas nördlich davon befindet sich der gleichnamige Siedlungshügel, der die Überreste der alten Stadt Kumidi beherbergt, die in Briefen aus dem Staatsarchiv von Pharao Amenophis IV. Echnaton mehrfach erwähnt wird. Dort wurden u. a. ein spätbronzezeitlicher Tempel und ein Palast aus der gleichen Epoche ausgegraben. Letzterer war am Ende der ersten spätbronzezeitlichen Periode durch ein Erdbeben zerstört worden, wobei das Hausinventar in die Kellerräume gestürzt war und dort drei Individuen unter sich begraben hatte.63 Während die sechs im Palast gefundenen Briefe der Amarna-Zeit wohl etwas jüngeren Datums sind, fand sich in der Türsetzung eines Kellerraumes eine Schale aus verkieseltem Vulkangestein, die aufgrund ihrer Form in die 1. bis 3. Dynastie Ägyptens datiert werden musste. War eine solche Steinschale in einer spätbronzezeitlichen Schicht an sich schon recht überraschend, so traf dies umso mehr auf die ägyptische Inschrift der Schale zu, die einen gewissen „Fürst Rawoser“ als ägyptischen Beamten auswies. „Die merkwürdige Sitte, daß ausländische Herrscher einen ägyptischen Titel trugen, war bislang nur aus Byblos bekannt. Es handelt sich hierbei um eine Art Bürgermeistertitel, der diese Fürsten als Angestellte des ägyptischen Staates charakterisiert.“ Es ergab sich jedoch im Zusammenhang mit der Inschrift noch eine weitere Merkwürdigkeit, denn „wegen der Schreibung des Gottesnamens Ra kann die Beschriftung frühestens aus der Zeit des Mittleren Reiches stammen.“64 Folgen wir dem herrschenden chronologischen Schema, so hat man also in Kāmid el-Lōz eine 4600-5000 Jahre alte Steinschale mit einer Beschriftung, die mindestens 600-1000 Jahre jünger ist, in einer 1000-1400 Jahre jüngeren Schicht entdeckt - ein seltsamer Befund.
An der Südwand des Amun-Tempels in Karnak ist ein gigantisches Relief angebracht, das sich auf den Palästinafeldzug Scheschonks I. (konv. 946 – 924 v.Chr.) bezieht und den Herrscher beim üblichen Erschlagen der Feinde mit der Keule zeigt. Dort werden Amun-Re folgende, an Scheschonk gerichtete Worte in den Mund gelegt: „Ich habe jene für Dich zertrampelt, die gegen Dich rebellierten, habe für Dich die Asiaten der Armee von Mitanni niedergeworfen. Ich habe sie gedemütigt […] zu Deinen Füßen.“65
Diese Erwähnung des indoarischen Volkes der Mitanni ist seltsam, denn „Mitanni hat als Nation mindestens vier Jahrhunderte früher aufgehört zu existieren.“66 Die Mitanni sind uns vor allen Dingen als Gegner Thutmosis‘ III. bei seinem achten und zehnten Feldzug (um – 1450) und aus der Amarna-Korrespondenz (um – 1350) bekannt. Ungefähr zu jener Zeit soll auch das Mitanni-Reich von den Assyrern besiegt worden sein, denn „mit der Zerschlagung des Mitannistaates begann der Aufstieg des mittelassyrischen Reiches.“67
Da das Mitanni-Reich in Obermesopotamien und im nördlichen Syrien gelegen haben soll, in der Liste der durch Scheschonk unterworfenen Gebiete jedoch keine Orte dieser Regionen erwähnt werden, zog man den Schluss, dass die Schreiber des Scheschonk einfach von älteren Texten abgeschrieben hätten: „Auf der Liste können keine soweit nördlich liegenden Ortschaften gefunden werden. Der Hinweis auf Mitanni ist ohne Frage älteren Inschriften entnommen…“68 Was bedeutet das aber für die Glaubwürdigkeit der Inschrift und des Reliefs?
Der Palästinafeldzug Scheschonks I. gilt als einer der wichtigsten Synchronismen zwischen Ägypten und der biblischen Chronologie. Denn in den Büchern Könige und Chronik des Alten Testaments69 ist verzeichnet, dass nur wenige Jahre nach dem Tod Salomos und der Spaltung des Reiches in Israel und Juda ein ägyptischer Pharao einen Feldzug gegen Jerusalem unternahm und den Tempel Salomos plünderte. Der Name dieses Pharaos wird in der Bibel mit Schischak angegeben. Seit den Tagen Champollions wird nun der biblische Schischak mit dem ägyptischen Pharao Scheschonk I. gleichgesetzt, sodass „das Datum der Thronbesteigung Schischaks [und damit der Beginn der 22. Dynastie – F.Z.] von der israelitischen Chronologie abhängig ist.“70
Scheschonks Palästina-Relief ist ähnlichen Arbeiten aus den Zeiten Thutmosis III. und Amenophis II. nachempfunden. Die unterworfenen Völker werden durch gefesselte Gestalten repräsentiert, deren Stricke der Gott Amun-Re in seiner Linken hält. Bei jeder dieser über 150 Gestalten wird der Rumpf durch einen ovalen Ring gebildet, in den jeweils ein Ortsname des eroberten Gebietes eingetragen ist, doch „die Reihenfolge der geographischen Namen läßt es nicht zu, die Topographie der Eroberungen festzulegen. Überraschend ist das Fehlen irgendwelcher Spuren der Anwesenheit Scheschonks im Zentrum Israels bei gleichzeitiger Genauigkeit, was das periphere Samaria und Erwähnungen von Edom betrifft. Sollte man sich nur auf diese Überlieferung stützen, dann müßte man daran zweifeln, ob Scheschonk überhaupt je nach Jerusalem vorgedrungen war.“71 Ähnlich wie Karol Mysliwiec urteilte James Henry Breasted über das Relief und seine Inschriften, „die sich aus stereotypen Phrasen zusammensetzen, welche von früheren Monumenten übernommen wurden, und daher zu vage, zu allgemein und unbestimmt sind, um als solide Grundlage für eine Untersuchung von Schoschenks Feldzug zu dienen. Hätten wir nicht den kurzen Hinweis auf seine Plünderung Jerusalems im Alten Testament, wäre kaum je zu vermuten gewesen, dass dieses Relief ein Denkmal eines bestimmten Feldzugs darstellt“72 – leere, abgekupferte Phrasen, ein magerer Befund für einen der wichtigsten Synchronismen des frühen 1. vorchristlichen Jahrtausends.
Diese Zusammenstellung einiger Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten, von denen das gängige Geschichtsbild geradezu erfüllt ist, konnte hoffentlich verdeutlichen, dass hinsichtlich chronologischer Fragen von gesichertem Wissen weder in Mesopotamien, noch bei den alten Ägyptern, noch im mykenischen Griechenland gesprochen werden kann und dass in dieser Buchreihe nicht über einige wenige, belanglose Jahre gestritten werden soll, sondern dass hier Beziehungen zwischen angeblich Jahrhunderte auseinanderliegenden Epochen zu erklären sind.
Der Zugang des Autors zur Chronologieproblematik erfolgte genau wie beim Thema „Kosmische Katastrophen“, welches den Stoff für seine erste Veröffentlichung lieferte73, über die Werke Immanuel Velikovskys. Auch auf dem Gebiet der Chronologierevision war es dieser geniale Querdenker, der mit einer weiteren Pionierleistung den Weg für eine neue Chronologie der Alten Geschichte ebnete und Gelehrte wie Außenseiter zu weiteren Nachforschungen anregte. Die in der biblischen Exodus-Erzählung geschilderten Plagen interpretierte er als Teilaspekte eines gewaltigen Katastrophengeschehens, für das er nach entsprechenden Überlieferungen in der altägyptischen Geschichte suchte. Damals wie heute leugnet die Altertumsforschung, dass so etwas wie ein Auszug aus Ägypten jemals stattgefunden hat.74 In den Klagen des Ipuwer fand Velikovsky die ägyptische Fassung der im Buch Exodus beschriebenen Katastrophenereignisse. Da dieser Text an das Ende des Mittleren Reiches, also auf ca. 1800 v. Chr. datiert wurde, der Exodus jedoch nach der biblischen Chronologie erst um ca. 1200 v. Chr. stattgefunden hatte, folgerte er, dass die ägyptische Chronologie fehlerhaft und die alte Geschichte als Ganzes verzerrt sein müsse. Tatsächlich konnte er zahlreiche Unstimmigkeiten ausmachen und versuchte in einer monumentalen Buchserie, die er Zeitalter im Chaos nannte, die Geschichte des Altertums bis zu Alexander dem Großen neu zu schreiben.
In der Einleitung des ersten Bandes der Reihe erläuterte er die Problematik: „Um das Ausmaß der zeitlichen Verschiebung in der Geschichte des Altertums zu begreifen, muß man sich das Chaos vorzustellen versuchen, das entstehen würde, wenn eine Abhandlung über Europa und Amerika geschrieben würde, in der die Geschichte der Britischen Inseln um etwa 600 Jahre verschoben wäre, so daß beispielsweise in Europa und Amerika das Jahr 1941 gezählt würde, in Großbritannien dagegen das Jahr 1341. Da Kolumbus Amerika erst 1492 entdeckte, konnte ein Churchill von 1341 dieses Land noch nicht besucht haben, dafür aber irgendein anderes – die Gelehrten würden in ihrer Meinung uneinig sein, wo dieses Land zu suchen wäre – und mit dessen Oberhaupt zusammentreffen. Ein anderes Staatsoberhaupt, nicht Franklin Delano Roosevelt von Washington, würde in der Überlieferung als Mitunterzeichner einer 75