Sebastian Pflügler

KOMMUNIKATION FÜR DIE DIGITALE ÄRA

ÜBER DEN AUTOR

Sebastian Pflügler

ist seit mehr als neun Jahren als Berater, Coach und Speaker für den Themenbereich New Work Soft Skills tätig. Er begründete das innovative und praxiserprobte Kommunikationskonzept New Era Communication, für das er unter anderem einen Lehrauftrag an der LMU München besitzt. Sebastian Pflügler ist davon überzeugt:

»Das Passwort zum Erfolg im Leben heißt Kommunikation.«

Herzlichen Dank an alle, die mich auf diesem Weg zu meinem ersten Buch begleitet und unterstützt haben. Ihr alle habt meinen Traum zum Leben erweckt.

Sebastian Pflügler

KOMMUNIKATION FÜR DIE DIGITALE ÄRA

Wie wir heute miteinander reden – und was dabei immer noch wichtig ist

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1. Auflage 2020

© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

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Redaktion: Christiane Otto, München

Umschlaggestaltung: Marc Fischer, München

Umschlagabbildung: Pand P Studio_Industrial 4.0 Cyber Physical Systems Concept, Roboter und

menschliche Halterungen mit Handshake, Logo für Mensch und Technologie, Partnerschaft mit einem

Roboter/ Shutterstock

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-86881-795-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-218-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-219-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

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INHALT

Vorwort

I. Miteinander reden und leben im digitalen Zeitalter – was hat sich verändert?

Mehr Verbindung, weniger Verbundenheit

Mehr Daten, weniger Bedeutung

Mehr Ich-Perfektionierung statt Wir-Authentizität

Mehr Spannung, weniger Harmonie

Mehr äußeres Gehetztsein, weniger innere Ruhe

Mehr Möglichkeiten, weniger Gewissheiten

Mehr Kognition, weniger Emotion

Die Veränderungen auf einen Blick

II. Miteinander reden und leben im digitalen Zeitalter – was bleibt gleich?

Das Wesen von (digitaler) Kommunikation bleibt gleich

Energie, Herz und Authentizität – die Erfolgsgaranten für stimmige Kommunikation

Das analoge Gespräch als erste Wahl bei wichtigen, schwierigen und heiklen Themen

Kommunikation ist ein Prozess, den man lernen kann

III. New Era Communication – welche Gesprächskompetenzen Sie im digitalen Zeitalter benötigen

Innere Klarheit – wissen, was Sie sagen wollen

Wohlwollende Haltung – empathisch sein und bleiben

Rhetorische Flexibilität – authentisch sagen, was Sie bewegt

Umgang mit dem unvorhersehbaren Ergebnis – mit jedem Gesprächsergebnis klarkommen

New Era Communication – ein Praxisfall

Toolbox der New Era Communication

Nachwort: Nutzen Sie die Macht der Kommunikation, um echte Verbindungen zu schaffen

Über den Autor

Anmerkungen

VORWORT

»Die Technik, welche weder gut noch böse ist, ist ohne Bezug zur Moral. Die Moral steckt nicht in dem Hammer, sondern in dem Menschen, der ihn führt.«

(Peter Bamm)1

Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte war rasant. Man denke nur mal daran, dass man sich vor 15 Jahren mit einem lauten Piep-Geräusch in das Internet einwählen musste. Heute hat jeder das World Wide Web in seiner Hosentasche und dank Datenflatrates auch meist unbegrenzt zur Verfügung. Diese technische Entwicklung wird in den nächsten Jahren nochmal immens an Fahrt aufnehmen durch Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz, Virtual Reality oder durch Quantencomputer. Das sind gute Nachrichten, da sich hieraus Innovationen ergeben werden, die beispielweise im Bereich der Medizin, beim nachhaltigen Wirtschaften oder in der Cybersicherheit den Fortschritt beflügeln. Und auch in unserem täglichen Leben und Miteinander profitieren wir durch die technischen Entwicklungen und die damit einhergehende Digitalisierung.2 Wir können mit Freunden und der Familie vernetzt sein und uns täglich austauschen, auch wenn wir Tausende Kilometer voneinander entfernt wohnen oder eine Pandemie die Welt heimsucht. Wir können tolle Momente mit unseren Kameras festhalten, Bankgeschäfte online erledigen, auch sonntags shoppen, Musik hören, uns informieren, orientieren und navigieren. Wir können im Rahmen der Sharing Economy Ressourcen mit Menschen teilen, die wir vorher noch nicht kannten und dank Homeoffice und virtuellen Teams Familie und Karriere besser miteinander vereinen.

Doch neben all den positiven Entwicklungen gibt es auch negative. Und damit meine ich nicht »Whatsappitis«, eine Sehnenscheidenentzündung des zu viel tippenden und wischenden Daumens. Ich meine die negativen Entwicklungen in Bezug auf das zwischenmenschliche Miteinander. Die Technologien haben die Interaktion und auch die Kommunikation zwischen Menschen verändert, sowohl in der Form als auch im Inhalt. Wir kommunizieren formal heute mehr, schneller und auf den verschiedensten Kanälen, inhaltlich aber häufig unreflektierter, distanzierter, schärfer und mit einem größeren Potenzial an Missverständnissen. Dies ist bedingt durch die enorme Beschleunigung, die gestiegene Anzahl an zu verarbeitenden Daten und Botschaften sowie die zwischenmenschliche Distanz, die durch Medien entstehen kann, oder wie es der Medientheoretiker Marshall McLuhan schön ausgedrückt hat: »Wir formen unser Werkzeug und danach formt unser Werkzeug uns.«3

Die Digitalisierung und die neuen Technologien bieten, wie jede technische Entwicklung, Chancen und Möglichkeiten sowie Gefahren und Risiken. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, die entstandenen Gefahren wahrzunehmen, um die Chancen weiterhin und noch besser nutzen zu können. Es ist ähnlich wie bei einer Beziehung. In der anfänglichen Phase der Verliebtheit ist alles super. Sie erkennen nur die Vorteile Ihres Partners, über kleine Unstimmigkeiten wird hinweggesehen, und Sie fragen sich, wie Sie jemals ohne Ihren Partner leben konnten. Nach der Honeymoon-Phase setzen die ersten Verschleißspuren ein und Sie erkennen, dass doch nicht alles Gold ist, was glänzt. Ich glaube, an einem ähnlichen Punkt sind wir beim Thema Digitalisierung und dem damit einhergehenden zwischenmenschlichen Wandel angekommen. Wir erkennen zunehmend, dass digitale Technologien das Zwischenmenschliche und auch uns selbst belasten, bei allen Vorteilen, die sie auch mit sich bringen. Und wir merken, dass sich die Kommunikation doch irgendwie verändert hat durch diese Technologien und wir auch mit diesen neuen Gadgets anders kommunizieren müssen. Um im obigen Szenario zu bleiben, sollten wir unsere »Beziehung zur Digitalisierung« einer ersten Paarberatung unterziehen, erkennen, wo es Nachbesserungsbedarf gibt und was jeder Einzelne tun kann, um noch mehr Freude an dieser Beziehung beziehungsweise am Kommunizieren im digitalen Zeitalter zu entwickeln. Zeiten des Wandels und der Transformation sind immer Zeiten der Rückbesinnung auf das Wesentliche. Im digitalen Wandel ist es nun Zeit für die Rückbesinnung auf das Menschliche.

»Wie genau verändert sich das Miteinander und worauf kommt es heute in der Kommunikation an?« Mit dieser Frage tun sich auch viele meiner Kunden und Workshop-Teilnehmer schwer und darauf soll dieses Buch Antworten geben. Lassen Sie uns also neben all dem Licht, das Technologien täglich in unser Leben bringen, auch die Schattenseiten beleuchten, die dadurch im Zwischenmenschlichen entstanden sind. Denn durch diese negativen Entwicklungen lassen sich wesentlich größere Implikationen für die zwischenmenschliche Kommunikation ableiten als durch die positiven. Und um Kommunikation geht es in diesem Buch. Das erste Kapitel wird die Frage beleuchten, wie die neuen Technologien die Art und Weise, wie wir Menschen miteinander kommunizieren und interagieren, verändern. Erst wenn wir verstehen, wie sich das gesellschaftliche und individuelle Miteinander und damit zusammenhängend die Kommunikation verändert haben, können wir entsprechend handeln. Doch manches hat sich auch nicht verändert. Darum geht es im zweiten Kapitel. Worauf können wir in unserer Kommunikation aufbauen und was können wir guten Gewissens beibehalten? Durch die ersten beiden Kapitel bekommen wir einen Einblick in die Kommunikation und das Miteinander unserer Zeit, um dann im dritten Kapitel die Fragen zu beleuchten: Wie kommunizieren wir in der heutigen Welt mit all den Technologien gewinnbringend? Welche Gesprächskompetenzen braucht es in der heutigen Zeit? Und sprechen wir bald alle nur noch auf digitalem Wege miteinander, oder wird es auch noch einen Platz und vor allem einen Mehrwert für das analoge Gespräch geben? Was werden wir in diesen Face-to-Face-Settings dann noch besprechen und wie führt man diese analogen und digitalen Gespräche schließlich optimal? Wir gehen also von der Diagnose zur Intervention, um schließlich im letzten Kapitel aufzuzeigen, wie sich die Zukunft der Kommunikation entwickeln und was letztendlich ihr menschliches Ziel sein wird.

Dieses Buch ist nicht gegen Technologie gerichtet, sondern spricht sich für Kommunikation aus. Es beinhaltet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, weil man alle Zeitdimensionen mit bedenken muss, um zwischenmenschliche Veränderungen zu verstehen. Alles hängt mit allem zusammen. Und so muss auch ein Buch, das den Entwicklungen unserer Zeit gerecht werden will, nicht nur Entwicklungen aus allen Zeitdimensionen, sondern auch Veränderungen in den Bereichen Medien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aufgreifen, um zu verstehen, wie dadurch das Miteinander und letztlich die Kommunikation geprägt wird. Dieses Buch ist wissenschaftlich und alltagsnah, analog und digital, technologie- und menschenorientiert, es verbindet Theorie und Praxis, ist einfach und komplex, flexibel und agil sowie solide und greifbar. Falls Ihnen diese Gegensätze unvereinbar erscheinen: Willkommen in der heutigen Kommunikations- und Lebenswelt, die so unglaublich facettenreich und durch »Gleichzeitigkeit« geprägt ist, dass uns manchmal ganz schwindelig werden kann. Es ist das Zeitalter der Wechselbeziehungen und Prozesse, nicht der starren Ergebnisse. Und diese Wechselbeziehungen im kommunikativen Miteinander werden in diesem Buch beleuchtet. Es ist dabei sowohl Navigationshilfe durch die einzelnen digitalen Veränderungen als auch ein konkreter Ratgeber, der Ihnen helfen soll, Kommunikation in diesen digitalen Zeiten erfolgreich zu gestalten.

Schließlich soll Sie dieses Buch zum Nachdenken anregen und einen bewussten Umgang mit Technologie und der Digitalisierung in der Kommunikation fördern. Denn wo Bewusstheit ist, können wieder bewusste und damit stimmige Entscheidungen getroffen werden. Und gerade in der digitalen Kommunikation, in der eine schnell getippte Äußerung für alle dauerhaft sichtbar bleiben kann, ist es wichtiger denn je, die eigene Kommunikation bewusst zu steuern. Auch in einer durchdigitalisierten Welt bleiben der Mensch und seine Kommunikation essenziell, oder um es mit meinem Lebensmotto auszudrücken: Das Passwort zum Erfolg im Leben heißt Kommunikation.

Genießen Sie das Buch!

I.
MITEINANDER REDEN UND LEBEN IM DIGITALEN ZEITALTER – WAS HAT SICH VERÄNDERT?

Die große Liebe über Tinder gefunden, das zehnjährige Abitreffen über WhatsApp organisiert und immer noch up to date sein über das Leben der Freunde aus dem Auslandssemester via Instagram-Stories.

Die Möglichkeit mit vielen Menschen gleichzeitig verbunden zu sein ist heute so groß wie noch nie. »Bringing people closer together«: Das hat Facebook versprochen und zumindest in quantitativer Hinsicht gehalten.

MEHR VERBINDUNG, WENIGER VERBUNDENHEIT

Wir kommunizieren heute mehr denn je, über die verschiedensten Kanäle zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Gemäß einer ARD- und ZDF-Onlinestudie aus dem Jahr 2019 tun die meisten Deutschen das über WhatsApp, gefolgt von Facebook und Instagram, das den größten Zuwachs verzeichnen kann.4 Die Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, haben sich vervielfacht, und wir nutzen das auch rege, was gut ist. Nun geht es bei Kommunikation aber nie um die Quantität, sondern immer um die Qualität. Es geht nie darum, wie viel Sie sagen oder mit wie vielen Personen Sie kommunizieren, sondern darum, ob das Gesagte einen Effekt auslöst, welchen Wert das Gesagte für den Gegenüber hat und ob es uns näher zusammenbringt. Gerade bei Letzterem habe ich Zweifel, denn wir sind zwar ständig miteinander verbunden, aber so ein richtiges Gefühl der Verbundenheit stellt sich selten ein.

Im Jahr 2019 stellte das Digitalfestival »South by Southwest« (SXSW), eines der größten und wichtigsten jährlichen Treffen zum Thema Digitalisierung, das Thema Digitale Isolation ins Zentrum. In über tausend Vorträgen und Diskussionsrunden beleuchtete man die Frage, wie es sein könne, dass trotz sozialer Netzwerke die Menschen einsamer sind als jemals zuvor. Einsamkeit nimmt in allen Altersgruppen zu und ist inzwischen so weit verbreitet, dass sich sogar die Bundespolitik dieses Themas annimmt. »Angesichts einer zunehmend individualisierten, mobilen und digitalen Gesellschaft werden wir Strategien und Konzepte entwickeln, die Einsamkeit in allen Altersgruppen vorbeugen und Vereinsamung bekämpfen«, heißt es im Koalitionsvertrag.5 Theresa May, die ehemalige britische Premierministerin, ernannte im Jahr 2018 sogar einen Minister gegen Einsamkeit, als Studien herausfanden, dass rund 200.000 ältere Menschen in Großbritannien innerhalb eines Monats maximal mit einem Bekannten gesprochen hatten.6 Gerade für die Gruppe der Senioren bieten digitale Dienste unglaubliche Chancen, wenn sie zum Beispiel mit ihren Enkeln skypen können. Als ich selbst in Finnland mein Auslandssemester verbrachte, war das eine tolle Art, um mit meinen Großeltern in Kontakt zu bleiben.

Die Senioren sind beim Thema Einsamkeit in absoluten Zahlen zwar ein großes Problem, aber nicht das größte, wenn man sich den Trend ansieht. Denn die am stärksten wachsende Gruppe einsamer Menschen findet sich in den Generationen Y und Z7, also bei jenen, die seit den 1980er-Jahren geboren wurden. Dies hat mehrere Gründe, wie beispielsweise die zunehmende Individualisierung oder steigende Mobilität unter jungen Erwachsenen. Aber eben auch die Nutzung von Social-Media-Kanälen trägt zu diesem Trend bei, wie Wissenschaftler der Universität Pennsylvania in einem Experiment nachweisen konnten.8 So zeigte sich, dass die Studienteilnehmer sich weniger einsam fühlten, je weniger Zeit sie auf Facebook, Instagram oder Snapchat verbracht hatten. Das rührte schlicht und ergreifend auch daher, dass ihnen so mehr Zeit zur Verfügung stand, um sich mit nahestehenden Personen im wahren Leben zu treffen. Dieses Phänomen ist in der kommunikationspsychologischen Literatur auch als Verdrängungshypothese bekannt. Sie besagt, dass durch Onlinekommunikation vor allem die Verbindung zu sogenannten »weak ties«, also schwache menschliche Verbindungen gestärkt werden.9 Die User erfahren viel über entfernte Bekannte durch ihren Newsfeed, was allerdings auf Kosten der »strong ties«, der tiefen Verbindungen mit ihrem engsten Kreis geht. Das Smartphone mag sie Personen näherbringen, die weit weg oder nicht so nahestehend sind, es entfernt sie aber auch von jenen, die neben ihnen leben oder ihnen am Herzen liegen. Durch all das Scrollen durch die Social-Media-Kanäle fehlt letztlich die Zeit zum realen Social Meeting.

Wenn wir das Smartphone nutzen, erleben wir Wirklichkeit sehr intensiv, aber eben nur die Medienwirklichkeit. Wir gehen bei Rot über die Straße, rempeln Menschen an und blenden die Gespräche der Kollegen um uns herum aus. Wir setzen uns weniger mit anderen Menschen in Beziehung als vielmehr mit unserem Smartphone. Der mobile Begleiter als Imprägnierspray gegen menschliche Beziehungen. Dabei sind diese Beziehungen zwischen Menschen doch genau das, was Menschsein ausmacht. »Leben heißt angeredet werden« und »Der Mensch wird am Du zum Ich«, sagte schon der Philosoph Martin Buber.10 Was er damit meint? Sich mit anderen Menschen in Beziehung zu setzen bringt Lebendigkeit in unser Leben und hilft uns auch, uns selbst besser zu verstehen und zu erkennen, wer wir sind oder sein wollen.

Doch wieso fördert Social Media keine tief greifenden Verbindungen zwischen Menschen? Das hat mehrere Gründe. Erstens kommunizieren wir Menschen meist sehr oberflächlich in sozialen Netzwerken. Dabei haben viele Dialoge und Chats in sozialen Netzwerken ein Narrativ à la: »Ich bin da und denke an dich, bist du auch noch da und denkst an mich?«11 Und das ist übrigens nicht nur in sozialen Netzwerken der Fall. Ich war Teil eines Forschungsprojektes, in dem wir den Austausch über das damalige Freihandelsabkommen TTIP in Kommentarbereichen von Onlinezeitungen untersuchten. Zu unserem Entsetzen fand kaum etwas wie ein Dialog statt. Im besten Fall bezogen sich die Diskussionsteilnehmer sehr oberflächlich aufeinander mittels kurzer Bewertungen wie »Super« oder »Unfug«. Weitaus häufiger fand gar kein Bezug aufeinander statt, die Leute führten also jeweils Monologe oder sie beschimpften sich auf unterstem Niveau. Auch auf solchen Seiten ist also ein Dialog eher die Ausnahme, und wenn doch einer zustande kommt, dann handelt es sich meist um einen sehr oberflächlichen Austausch.12

Zweitens eignet sich Onlinekommunikation schlicht nicht für tiefgründige Gespräche. Wir führen selten bis nie schwierige, komplexe und heikle Gespräche per Social Media oder E-Mail. Auch weil viele von uns schon die Erfahrung gemacht haben, dass das meist nicht gut endet, weil extrem wichtige Bestandteile der Kommunikation fehlen. Es fehlen Gestik und Mimik, das Augenzwinkern, das uns Ironie verdeutlicht, der Blickkontakt, der warme Herzlichkeit transportiert oder die Stimme, die uns zeigt, dass jemand etwas wirklich ernst meint. Und egal wie viele zwinkernde Smileys oder lustige GIFs eine Nachricht enthält, sie bietet einfach mehr Quellen für Missverständnisse und Fehlinterpretationen als das Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Je mehr Informationsquellen uns zur Interpretation des Gesagten fehlen, desto mehr Missverständnisse entstehen.

Drittens leidet auch das analoge Miteinander darunter, wenn Technologien sichtbar sind. So konnten Wissenschaftler anhand einer Untersuchung zeigen, dass die bloße Anwesenheit eines Smartphones zu geringerer kognitiver Leistung der Teilnehmer führte, selbst wenn diese das Mobiltelefon nicht mal nutzten. Getestet wurde dies, indem zwei Gruppen dieselben Denkaufgaben lösen sollten. Die eine Gruppe hatte ein stummgeschaltetes Smartphone auf dem Tisch, die andere nicht. Die Gruppe, die das Smartphone sah, löste die Aufgaben signifikant schlechter als jene ohne digitale Ablenkung. Die Forscher folgerten, dass die bloße Anwesenheit eines Smartphones unsere Aufmerksamkeit fordere, die dann nicht mehr für unseren Gesprächspartner oder eben Denkaufgaben zur Verfügung stünde.13 Für dieses Phänomen gibt es mittlerweile den Begriff des »Phubbing«. Der Begriff setzt sich aus dem englischen Verb to snub, jemanden vor den Kopf stoßen, und dem »Ph für Phone zusammen. Also jemanden vor den Kopf stoßen, indem man sich tatsächlich oder kognitiv mit dem Smartphone statt mit dem Gesprächspartner beschäftigt. Da Phubbing noch ein recht neues Phänomen ist, gibt es noch nicht allzu viele Studien dazu. Wie Wissenschaftler aus China jedoch zeigen konnten, leidet die Zufriedenheit beider Partner in einer Ehe unter Phubbing, und der sich zurückgewiesen fühlende Partner kann sogar Depressionen entwickeln, wenn er das Gefühl hat, immer die zweite Geige zu spielen.14 Das Smartphone verschlechtert also die Qualität des zwischenmenschlichen Miteinanders ganz erheblich. Was nun wissenschaftlich bestätigt wurde, haben viele von uns schon insgeheim gespürt und entsprechende Techniken dagegen entwickelt. Vielleicht haben Sie auch schon mal Ihre Gesprächspartner »als Spiel« aufgefordert, die Smartphones in die Mitte des Tisches zu legen, und wer als Erstes auf etwas reagiert, muss die nächste Runde zahlen. Eine etwas andere Variante findet sich in dem deutschen Film Das perfekte Geheimnis. Dort musste jeder der bei einem Abendessen versammelten Freunde jegliche Nachrichten, die das Telefon an diesem Abend empfing, jede Whats-App-Nachricht, jeden Anruf oder jede E-Mail laut vorlesen oder beantworten, mit katastrophalen Folgen für die Beziehungen der Beteiligten. Dass die ursprüngliche Version, der italienische Film Perfetti Sconosciuti, bereits in 18 Ländern adaptiert und ausgestrahlt wurde15, zeigt, wie groß das Interesse am Thema Digitalisierung ist und dass diese Strategien oder Spielereien mit dem Digitalen nicht von ungefähr kommen, sondern auch Ausdruck des wachsenden Bewusstseins sind, dass unsere kleinen Alltagsbegleiter das Zwischenmenschliche beeinträchtigen. Wenn Smartphones zugegen sind und die Aufmerksamkeit unseres Gesprächspartners auch immer ein wenig dort ist, dann merken wir das und das Gespräch bleibt oberflächlich und behandelt lediglich solche Themen, die eben auch Unterbrechungen vertragen. Oder würden Sie jemanden Ihr Herz ausschütten, der gedanklich gerade woanders ist? Tiefe geht verloren, wenn wir immer halb dabei und halb abwesend sind. Das fanden auch Wissenschaftler der Virginia State University heraus, die die Gesprächsqualität zwischen Probanden beobachteten.16 Es zeigte sich, dass, sobald ein Handy auf dem Tisch lag, das Gespräch als oberflächlicher und weniger empathisch beschrieben wurde. Fremde, die sich das erste Mal trafen, führten ohne Handy bessere Gespräche als langjährige Freunde mit Smartphone auf dem Tisch! Die Wissenschaftler nannten das den »iPhone-Effekt«.

Dieses Zeitalter der ständig geteilten Aufmerksamkeit hat krasse Ausmaße angenommen, wie man in den USA beobachten kann. Dort beschreibt die Soziologin Sherry Turkle ein Abendessen, das sie mit Studenten durchführte, um sich mit ihnen über ihr Onlineverhalten zu unterhalten.17 Von den sieben Leuten waren stets drei Leute bei ihr und unterhielten sich untereinander oder beantworteten ihre Fragen. Die anderen blickten auf ihr Smartphone. Auf die Frage, warum sie immer mit drei Personen spreche, teilten ihr die Studenten mit, dass sie für ihre Konversationen beschlossen hatten, dass immer mindestens drei Leute live bei der Konversation dabeibleiben sollten, damit sich der Sprecher wertgeschätzt fühlt, während die anderen soziale Netzwerke checken konnten. Ein ständiges On und Off, ein ständiger Wechsel zwischen realer und virtueller Welt. Dass auch hier die tiefgründigen, wichtigen oder heiklen Gespräche unausgesprochen blieben, verwundert wenig. Und dabei ist uns doch durchaus bewusst, dass unsere Gespräche unter unserer Handynutzung leiden. So gaben in einer Umfrage 82 Prozent der befragten Amerikaner an, dass es ihrem Gespräch und dem Gefühl der Verbundenheit mit dem Gegenüber schadet, wenn sie ihr Handy während der Konversation nutzen.18 Wir tauschen zu oft reale Verbundenheit gegen virtuelle Verbindung aus und sehen den Griff zum Smartphone als eine Möglichkeit, eine neue Verbindung herzustellen statt einer Störung der bereits bestehenden Verbundenheit mit dem Gegenüber.

Und darauf haben die Entwickler entsprechender Apps perfekt abgezielt. Durch Likes von anderen Menschen fühlen wir uns bestätigt und sozial aufgewertet. Es werden dabei sogar dieselben Hirnregionen aktiviert wie beim Konsum von Drogen oder Süßigkeiten. Ein nicht enden wollender Newsfeed oder die dauerhafte Push-Benachrichtigung, dass es wieder etwas Neues zu entdecken gilt, halten unsere Aufmerksamkeit wie eine Geisel und machen uns abhängig. Der App-Designer Aza Reskin bringt es in der WDR-Doku Wie uns Soziale Medien abhängig machen auf den Punkt: »Es ist so, also würden die Entwickler Kokain nehmen und über dein ganzes Display streuen.«19 Diese Technik ist deswegen so erfolgreich, weil sie unser soziales Wesen anspricht, unseren Drang nach Bestätigung, Neuigkeit und Zugehörigkeit. Durch diesen Erfolg haben wir schließlich verlernt, bloße Verbindung von tiefer Verbundenheit zu unterscheiden. Soziale Netzwerke haben zu einem neuen Miteinander geführt, dem oberflächlichen Miteinander. Und mehr und mehr finden wir uns mit dieser Oberflächlichkeit ab. Wie sonst ist es zu erklären, dass soziale Chatbots, die ein Gespräch simulieren, in Amerika derzeit dermaßen boomen. Der Tiefgang dieser Dialoge ist zwar unterirdisch, aber es ist natürlich trotzdem eine Art von Verbindung. In der Doku Homo Digitalis, die sich mit den Auswirkungen von Technik auf das menschliche Miteinander beschäftigt, soll eine Reporterin testen, inwiefern sie eine Bindung zu einer künstlichen Intelligenz aufbauen kann. Die künstliche Intelligenz ist ihre Freundin Josi, beziehungsweise ein Hologramm von ihr. Sie spricht wie Josi, sieht aus wie Josi und hat durch die Aggregation ihrer Social-Media-Accounts dieselben Einstellungen und Vorlieben wie Josi. Trotzdem ist es nicht Josi, denn das Ganze ist fingiert. Im Nebenzimmer steht ihre Freundin in Fleisch und Blut und wird mittels 3-D Kamera aufgezeichnet. Doch was wäre, wenn es eine solche künstliche Intelligenz (KI) bereits geben würde? Würden Sie Ihre Freunde als KI abbilden lassen und als tägliche treue Begleiter mit sich führen? Würden Sie Ihre Freunde vielleicht durch KI ersetzen? Ich rate Ihnen, es nicht zu tun. Dazu mehr im Kapitel »Mehr Kognition, weniger Emotion«.

Das Gefühl geringerer Verbundenheit führt schließlich noch zu einem zweiten Phänomen, nämlich dem Gefühl geringerer Verbindlichkeit. Wer kennt es nicht? Seit vier Wochen steht der Whiskyabend mit den Jungs, der Brunch mit alten Freunden oder der gemeinsame Grey’s-Anatomy-Marathon mit den Freundinnen. Nun, am Tag vor dem Event, im schlimmsten Fall zwei Stunden vor Beginn, kommt eine Welle der Absagen ins Rollen, die schwer aufzuhalten ist. »Kann heute doch nicht«, »Bin heute leider raus« oder Ähnliches hat bestimmt jeder von uns schon einmal gelesen. Verbindlichkeit beschreibt eine innere und äußere Verpflichtung. So können Sie sich innerlich entscheiden, Ihrem Partner treu zu sein, was sich in der äußeren Verpflichtung widerspiegeln kann, nicht mit anderen Menschen außer Ihrem Partner das Bett zu teilen. Fühlen wir nun wenig innere Verbundenheit zu anderen Menschen, fühlen wir uns ihnen gegenüber äußerlich auch wenig verpflichtet, und die Verbindlichkeit zwischen allen Beteiligten sinkt. Vor allem dann, wenn Sie keine direkten Konsequenzen Ihrer fehlenden Verbindlichkeit spüren müssen. Ich bin mir sicher, dass wesentlich weniger Leute so kurzfristig absagen würden, müssten sie dem Gastgeber dabei in die Augen sehen. Klar, weil wir die Enttäuschung in seinen Augen sehen würden, vielleicht auch Traurigkeit und Wut. Schicken Sie hingegen eine kurze WhatsApp-Nachricht, bleibt die emotionale Quittung Ihrer Handlung aus. Kurzum: Durch geringe Verbundenheit kommt es zu einem geringeren Verpflichtungsgefühl und dadurch zu einer geringeren Verbindlichkeit in der Kommunikation.

Was ist also die Erkenntnis dieses Kapitels? Wir sind mehr verbunden als jemals zuvor. Die Quantität an möglichen Verbindungen führt jedoch nicht wirklich zu einem positiven und tief greifenden Gefühl von Verbundenheit. Nimmt man die Definition von Einsamkeit von Peplau und Perlman aus dem Jahr 1982, wonach Einsamkeit ein subjektiv erfahrener Zustand ist,20 bei dem Menschen eine Diskrepanz zwischen den zwischenmenschlichen Beziehungen fühlen, die sie haben, und denen, die sie sich wünschen, kann man sogar sagen: Wir sind verbunden wie nie zuvor und trotzdem einsamer als jemals zuvor.

Digitaltipps:

MEHR DATEN, WENIGER BEDEUTUNG

98. Ich konnte es wirklich nicht glauben. 98 WhatsApp-Nachrichten nach einem einstündigen Kundentermin, in dem ich mein Handy auf Flugmodus gestellt hatte. Und damit rangiere ich wahrscheinlich sogar im unteren Mittelfeld (da ich viele WhatsApp-Gruppen mittlerweile auch einfach auf stumm geschaltet habe). Wer kennt das nicht? Die Nachrichtenwelle, die einen überrollt, wenn die Kommunikation im Familienchat, der Gruppe des Fußballvereins oder der ehemaligen Studienkollegen mal so richtig warmgelaufen ist. Eine Freundin von mir hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Whats-App permanent mehr als 60 und ihr E-Mail-Postfach mehr als 300 ungelesene Nachrichten anzeigt. Sie kommt nicht mehr nach und hat kapituliert. Einer meiner Coachingklienten, Geschäftsführer eines großen mittelständischen Unternehmens, löscht konsequent alle E-Mails nach dem Urlaub. Gemäß dem Motto: Wenn es wichtig ist, dann wird es schon auf anderen Kanälen zu mir herangetragen, oder die Person meldet sich dann penetrant nochmal. Dieses Verhalten ist extrem, aber auch nachvollziehbar bei all der Datenmenge, die tagtäglich auf uns einprasselt.

90 Prozent der Daten im Netz sind in den letzten zwei Jahren entstanden21. Und das hauptsächlich durch User-generated Content. Nehmen wir YouTube: Jede Minute werden auf YouTube 500 Stunden Videocontent hochgeladen.22 Wir sind eine Sendergesellschaft geworden. In der Werbung das gleiche Bild: Bis zu 100.500 Wörter prasseln jeden Tag auf uns ein, gemäß einer Studie der Universität Kalifornien.23 Wir haben also eine Unmenge an Daten tagtäglich zu verarbeiten. In Kombination mit den Bildern und Tönen, mit denen die Daten gewöhnlich gemeinsam auftreten, sind das 34 Gigabyte, die unser Gehirn tagtäglich zu verarbeiten hat. Würde man das einem Computer jeden Tag zumuten, wäre der Speicher innerhalb einer Woche voll. Und auch die vielgepriesenen Messengerdienste im Arbeitskontext wie Slack, die die Mailflut beenden sollten, führen mittlerweile zu mindestens genauso viel Datenmüll. »Group chat is like being in an all-day meeting with random participants and no agenda«, fasst der CEO von Basecamp, Jason Fried, das Ganze passend zusammen.24

Doch wir sind hier nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Denn wir produzieren nicht nur viele der Daten selbst, wir besorgen uns Daten auch ganz bewusst, selbst wenn wir nicht darum gebeten werden. Erleben durfte ich das nach einem Workshop in Heidenheim, als ich bei einem Asiaten zu Abend aß. Das Restaurant platzierte seine Gäste an großen Tafeln, sodass ich mit mehreren Leuten am Tisch saß. Ich hatte zu meiner Belustigung das große Glück, dass neben mir ein Tinderdate Platz nahm. Nennen wir sie Sven und Anja. Nachdem die beiden den Small Talk überwunden hatten, ging es um Hobbys.

In dem Zusammenhang fragte Anja: »Wie war denn eigentlich das Konzert gestern?«

Sven sah etwas verdutzt aus, antwortete dann aber: »Sehr cool. Habe ich dir davon erzählt?«

»Nein, ich habe es in deiner Instagram-Story gesehen.«

Das Gespräch kam ab hier ins Stocken und wollte auch nicht mehr wirklich Fahrt aufnehmen. Irgendwie finden wir es komisch, wenn Fremde mehr über uns wissen, als sie eigentlich sollten. Und doch haben wir es alle schon einmal getan, mal die Timeline des Kollegen durchstöbert, den neuen Freund der Ex-Freundin ausgecheckt oder nachgesehen, wofür sich der Chef außerhalb des Büros noch so begeistert. Nur sollten Sie bei Ihrer detektivischen Glanzleistung keine Fehler begehen. Denn ein altes Bild der Kollegin mitten in der Nacht zu liken oder durch einen falschen Klick zum Follower des neuen Partners der Ex-Freundin zu werden, hat schon zu manch komischer Situation geführt. Welche Bedeutung Daten mittlerweile haben, zeigt auch der bewusste Ausschluss vom Datenstrom. Kaum ist die Beziehung beendet, folgt nicht selten das Blockieren auf allen Kanälen, oder der Ex-Partner wird in neuen Netzwerken nicht mehr als Follower akzeptiert. »Du sollst nichts mehr über mich« wissen lautet die Devise, die die digitale Höchststrafe und das informationsbasierte Exil einläutet.

Doch was macht dieser Datenwust mit unserem Miteinander und unserer Kommunikation? Er bringt uns ein falsches Verständnis von Kommunikation bei. Bei Kommunikation geht es nicht um den reinen Austausch von Daten. Wenn dem so wäre, dann gäbe es keine Missverständnisse mehr, da wir beiden Gesprächspartnern denselben Datensatz in die Gehirne kopieren könnten. Wenn wir allerdings jemandem zuhören, dann ist es nicht so, dass wir dessen Informationen eins zu eins in unseren Kopf kopieren. Was wir stattdessen tun, ist diese Daten mit Bedeutung zu versehen, mit unserer Bedeutung. Kommunikation findet also immer statt. Sie führt entweder zu Stimmigkeit, wenn wir die Daten mit derselben Bedeutung versehen, wie sie der Sender gemeint hat, oder zu Unstimmigkeiten, wenn sich unsere beiden Bedeutungen unterscheiden. Machen Sie sich also bitte frei von dem Anspruch, dass Kommunikation immer zu Harmonie führen muss. Konsens und Dissens sind beides Ergebnisse von Kommunikation. Erkennen Sie stattdessen, dass es bei zwischenmenschlicher Kommunikation darum geht, Bedeutung miteinander zu verhandeln.

Dieses bewusste Aufsuchen von Daten im Netz zur Verhandlung von Bedeutung im Zwischenmenschlichen hat mittlerweile sogar zu einem anerkannten Phänomen in der Kommunikationspsychologie geführt. Es trägt den Namen »Devolution«. Der Begriff stammt eigentlich aus der Wirtschaft und beschreibt das Übertragen von Pflichten beispielsweise auf den Kunden. So müssen in vielen Geschäften die Kunden mittlerweile selbst die Waren einscannen. So wie das Einscannen auf die Kunden übertragen wurde, so wurde das Einholen von Informationen, was seit dem letzten Zusammentreffen geschehen ist, auf unsere Mitmenschen übertragen. Früher bestand ein Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation darin, sich auf den neuesten Stand zu bringen. Was war los, seit wir uns nicht mehr gesehen haben? Diese Zeiten sind vorbei. Durch den scherzhaften Tweet über den Nachbarn, das Status-Update bei LinkedIn oder die Storys über Paris bei Instagram weiß das Gegenüber bereits, was beim anderen passiert ist. Er kennt also bereits die Daten, weshalb ein reines Wiedergeben beim Zusammentreffen langweilig wäre. Im Zwischenmenschlichen tauschen wir also nicht mehr Daten aus, sondern wir verhandeln Bedeutung. Wie sehr leidet der Gesprächspartner unter dem Streit mit dem Nachbarn? Wie gefällt ihm die neue Stelle, oder was hat ihn beim Trip nach Paris besonders begeistert?

Das Face-to-Face-Gespräch wird also in einer digitalen Zukunft mehr denn je der Platz werden, wo wir Bedeutung miteinander verhandeln. Denn um Bedeutung aus Daten zu generieren, müssen wir uns mit ihnen in Beziehung setzen. Das braucht Zeit und nicht selten einen Gesprächspartner, der als Reflexionsspiegel dient. Der Datenstrom alleine führt nicht zu Weisheit und überfordert uns bisweilen. Stellen Sie sich vor, ich würde Ihnen die Aufgabenstellung geben, qualitativ hochwertige Seiten im Netz zum Thema Quantenphysik zu finden. Sie würden also anfangen zu googeln und wahrscheinlich die ersten paar Treffer als die relevantesten und qualitativ besten benennen. Klar, Sie haben ja auch kein anderes Indiz, sofern Sie nicht von Berufs wegen Quantenphysiker sind. Was will ich damit sagen? Die gefundenen Seiten sind voll mit Daten und Informationen. Das hilft Ihnen aber für ihre Bewertung überhaupt nichts. Welche Bedeutung, in diesem Sinne welche Qualität, die Seiten haben, können Sie rein anhand der Daten nicht einschätzen. Denn dazu fehlt Ihnen das Wissen. Das heißt, Daten alleine sind bedeutungslos. Erst durch Wissen und das in Kontext setzen mit bisherigen Erfahrungen, beispielsweise dem Aufsuchen anderer Websites, bekommen sie Bedeutung. Damit Kommunikation einen Wert bekommt, muss ebenfalls Bedeutung ausgetauscht werden und nicht nur Daten. Für den Austausch von Daten sind soziale Netzwerke super, für die Verhandlung von Bedeutung der analoge Austausch oder das mediengestützte Gespräch über Skype oder dergleichen. Social Media gibt uns das Futter, das wir dann im gemeinsamen Austausch verdauen.

Denken Sie aber trotz allem bewusst darüber nach, Daten zu produzieren. Denn nicht selten wirken heutzutage fehlende Daten verdächtig. Das Date ist weder auf Instagram, Snapchat noch Facebook zu finden? Komisch! Der Bewerber hat kein Profil bei XING oder LinkedIn. Hat er etwas zu verbergen? Ich hoffe, wir bekommen nie chinesische Verhältnisse, in denen das Zurverfügungstellen von Daten über den sozialen Status in einer Gesellschaft entscheidet. Doch wenn Daten das Gold des 21. Jahrhunderts sind, dann überlegen Sie sich, welche Goldquelle Sie bewusst mit nutzen wollen. Und verhandeln Sie die Bedeutung der Daten dann im Zwischenmenschlichen.

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