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© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-049-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Noch bevor die Schiffe Havanna verlassen, schmieden die Seewölfe einen äußerst verwegenen Plan
An jenem Septembermorgen im Jahre des Herrn 1598 schoben sich gespenstisch graue Nebelschwaden über die kabbelige Wasserfläche der Florida-Straße.
Gary Andrews, der wegen der schlechten Sicht auf der Back nach voraus Ausguck ging, deutete plötzlich auf die dichte Nebelwand.
„Wahrschau!“ brüllte er. „Backbord voraus kommt etwas auf uns zu!“
Die Männer an Bord der „Wappen von Kolberg“ hatten jedoch kaum noch eine Chance, die sich anbahnende unheilvolle Begegnung zu verhindern …
Arne von Manteuffel – wird auf seiner „Wappen von Kolberg“ von einer anderen Galeone gerammt und sieht sich unversehens einem Enterversuch gegenüber.
Jussuf – geistert als Späher der Arwenacks durch Havanna und gerät fast in des Teufels Küche.
Don Ricardo de Mauro y Avila – geht über Leichen, um ein hochbrisantes Staatsgeheimnis zu hüten.
Don Antonio de Quintanilla – betätigt sich als Lebensretter und heimst dafür Pluspunkte ein.
Philip Hasard Killigrew – schmiedet einen höchst verwegenen und riskanten Plan, um die Dons zu schädigen.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
„Es ist eine Galeone!“ rief unmittelbar nach dem Warnschrei von Gary Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Und sie hält genau auf uns zu. Mein Gott, wenn das nur gutgeht!“
Jetzt sahen auch die anderen Männer, einschließlich des Seewolfs, der sich bei seinem Vetter, Arne von Manteuffel, auf dem Achterdeck des ehemals polnischen Flaggschiffes aufhielt, die Galeone aus den Dunstschwaden auftauchen. Sie lief zwar langsame Fahrt, aber ihr Bugspriet zeigte wie ein ausgestreckter Zeigefinger genau in die Richtung, in der sich die Backbordseite der „Wappen von Kolberg“ in wenigen Augenblicken befinden mußte.
Nach menschlichem Ermessen konnte niemand mehr das Aufeinanderprallen der beiden Schiffe verhindern.
„Ruder hart Steuerbord!“ lautete der Befehl Arne von Manteuffels. Er reagierte geistesgegenwärtig und wollte zumindest nichts unversucht lassen.
Der flachsblonde Hein Ropers, der beim letzten Glasen der Schiffsglocke das Ruder übernommen hatte, hängte sich mit aller Kraft an den Kolderstock und legte Ruder.
Der Rumpf der „Wappen von Kolberg“ fiel etwas nach Steuerbord ab, aber für ein erfolgreiches Ausweichmanöver war es trotzdem zu spät.
Auf der fremden Galeone mußte man die „Wappen“ inzwischen ebenfalls bemerkt haben. Schrille Entsetzensschreie und laute Kommandos ließen das deutlich erkennen. Aber eine erfolgversprechende Kurskorrektur war auch dort nicht mehr möglich.
Schon nach wenigen Sekunden erschütterte ein heftiger Ruck die „Wappen von Kolberg“. Es kostete die Männer an Bord einige Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren und auf den Beinen zu bleiben. Die Bugspriete beider Galeonen kreuzten sich für einen Moment wie zwei Degenklingen, dann zerfetzten sie sich gegenseitig.
Das häßliche Geräusch von splitterndem Holz erstickte für kurze Zeit alle menschlichen Laute. Das Tuch zerrissener Vorsegel und Reste von Tauwerk klatschten auf die Back. Wäre Gary Andrews noch dort gewesen, wäre ihm übel mitgespielt worden.
Doch damit war die Begegnung im Morgennebel noch nicht zu Ende. Das Krachen und Bersten setzte sich fort und ließ gar manchem unerschrockenen Seemann den Atem stocken.
Der Steven der „Wappen von Kolberg“ donnerte mit Wucht in das ausladende Vorschiff der fremden Galeone, die von Backbord her fast rechtwinklig auf das Schiff der Deutschen zugelaufen war. Die Wucht des Aufpralls schob den unbekannten Segler ein Stück weiter und drückte schließlich dessen Heck herum, bis seine Steuerbordseite gegen die Backbordseite der „Wappen“ krachte und das Schiff bis in die letzten Verbände erschütterte.
Von diesem Augenblick an war die Hölle los.
Auf beiden Schiffen herrschte Wuhling. Vor allem aber auf der fremden Galeone. Der Grund dafür wurde rasch offenbar, denn wie dem Gebrüll zu entnehmen war, zog ihr Vorschiff beträchtliche Mengen Wasser.
Die spanisch sprechende Mannschaft sah sich somit innerhalb kürzester Zeit vor ein zweifaches Problem gestellt. Was sollte man zuerst tun – sich um das Leck kümmern oder um das unbekannte Schiff? Beides schien gleichermaßen wichtig zu sein, und ein bulliger Mann auf dem Achterdeck schrie sich fast die Seele aus dem Leib, um das, was ihm am dringlichsten erschien, zu veranlassen.
Auf der „Wappen“ überwand man das Überraschungsmoment dank logischer und gezielter Anweisungen ziemlich schnell. Dafür sorgte Arne von Manteuffel mit Unterstützung Philip Hasard Killigrews und Oliver O’Briens, der bei seiner Abwesenheit das Schiff als Kapitän führte.
Gary Andrews, der im wallenden Nebel als erster die Umrisse der spanischen Galeone wahrgenommen hatte, wischte sich über die Augen.
„So was von Zufall ist aber auch nicht zu fassen“, sagte er. „Da glaubt man wirklich, sich auf einem Ententeich zu befinden, der für zwei Schiffe nicht genug Platz bietet.“
„Schade, daß unser verehrter Mister Carberry nicht dabei ist“, erwiderte Sam Roskill. „Er hat die Florida-Straße mal schlicht und einfach als Pißrinne bezeichnet.“
Zu weiteren Betrachtungen blieb den beiden Arwenacks, die in Havanna zusammen mit Hasard und Dan an Bord gegangen waren, keine Zeit, denn auch auf der „Wappen“ wurde jetzt jede Hand dringend gebraucht. Vom Bugspriet war nicht mehr viel übrig, aber deshalb raufte sich niemand die Haare.
„Ein Stück Holz läßt sich immer ersetzen“, meinte der schlanke und drahtige Renke Eggens. „Mit dem Abdichten von Lecks sieht es da schon etwas anders aus.“
„Nur gut, daß es sich nicht um eine Kriegsgaleone handelt“, sagte Arne zu seinem Vetter Hasard. „Jetzt bleibt nur noch die Frage: Kauffahrer oder Schnapphähne?“
Der hochgewachsene Mann mit den breiten Schultern glich dem Seewolf in verblüffender Weise. Nur waren seine Haare im Gegensatz zur schwarzen Mähne Hasards blond.
Der Seewolf lächelte. „Wie die Kerle aussehen, tippe ich eher auf letzteres. Trotzdem sollten wir uns darüber klar werden, in welcher Form wir Hilfe leisten können, wenn der Kahn wirklich Wasser zieht. Schließlich waren wir an dem Zusammenprall genauso beteiligt wie diese Spanier.“
Arne nickte zustimmend. Gleich darauf eilten die beiden Männer zum Backbordschanzkleid des Achterkastells hinüber, um die Bordwand der fremden Galeone in Augenschein zu nehmen. Da die beiden Schiffskörper ziemlich dicht nebeneinander lagen, war das Vorschiff der Spanier von diesem Platz aus nicht gut einzusehen.
Wie Oliver O’Brien jedoch von der Back aus zu verstehen gab, hatte die Wuhling unter den Spaniern durchaus ihre Berechtigung.
„Die scheinen tatsächlich ganz schön was abgekriegt zu haben“, meinte Hasard.
Arne, als Kapitän der „Wappen von Kolberg“, legte die Hände trichterförmig um den Mund.
„Tut mir leid, Señor!“ rief er zu dem bulligen Mann auf dem Achterdeck der Galeone hinüber. „Das hat wohl keiner von uns beabsichtigt. Lassen Sie uns wissen, inwieweit wir Ihnen behilflich sein können.“
Auf diese Frage schien der vierschrötige, muskulöse Mann mit dem glatt nach hinten gekämmten Haar nur gewartet zu haben.
„Der Teufel soll euch holen, ihr Bastarde!“ brüllte er in spanischer Sprache. Seine Stimme überschlug sich fast vor Wut, und die drohend erhobene rechte Faust ließ deutlich erkennen, daß er weder am Austausch von „Freundlichkeiten“ noch an der Hilfeleistung Arnes und seiner Männer interessiert war. Der bunt zusammengewürfelte Haufen, aus dem die Mannschaft des spanischen Seglers bestand, schickte den Worten seines Kapitäns einen Schwall von wilden Flüchen und Verwünschungen hinterher.
Aber nicht nur was sie hörten, sondern auch was sie sahen, verwandelte die anfängliche Hilfsbereitschaft Arnes und Hasards in gerechten Zorn.
„Mit besonders höflichen Señores scheinen wir uns da in der Tat nicht eingelassen zu haben“, bemerkte Arne spitz. „Die tun ja gerade, als hätten ausschließlich wir Tomaten auf den Klüsen gehabt.“
Die eisblauen Augen des Seewolfs verengten sich, als er mit dem Kopf eine Geste in Richtung der Spanier vollführte.
„Das Leck im Vorschiff scheint sie nicht mehr zu interessieren“, sagte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, greifen sie jetzt zu den Waffen.“
Hasard sollte recht behalten.
Die Kerle hasteten über das Deck ihres Schiffes wie Ameisen, die einen Honigtopf entdeckt haben. Das Geschrei, das sie dabei veranstalteten, ließ nicht den geringsten Zweifel an ihren Absichten zu. Sie rafften in der Eile alles zusammen, was greifbar war: Musketen, Pistolen, hauptsächlich jedoch Blankwaffen aller Art.
„Das verluderte Pack will doch tatsächlich unser Schiff entern“, sagte Arne. „An ihrer Stelle, hätte ich jetzt andere Sorgen.“
Hasard lächelte grimmig. „So unsinnig ist das gar nicht. Die Kerle versuchen jetzt, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn sie das Leck nicht abdichten können, wird ihre Galeone sinken. Demnach können sie ein neues Schiff gut gebrauchen. Und im Augenblick bietet sich da ausschließlich die ‚Wappen‘ an, die auch ohne Bugspriet noch ein ganz passables Schiffchen abgibt.“
„Da hast du recht.“ Arne nickte entschlossen. „Aber mit dieser miesen Tour sollten die Schnapphähne bei uns kein Glück haben.“
Die Kommandos, die Arne von Manteuffel nun gab, waren knapp und präzise, und seine Männer bereiteten sich blitzschnell, aber ohne jegliche Panik, auf die Verteidigung ihres Schiffes vor.
Da die Schnapphähne bereits mit wüstem Gebrüll zum Steuerbordschanzkleid ihres Schiffes drängten, war Eile geboten. Die ersten Enterhaken der Spanier verkrallten sich bereits im Schanzkleid der „Wappen“.
„Sofort die Taue kappen!“ befahl Arne.
Er war sich darüber im klaren, daß von den Haken und den dazugehörigen Wurfleinen eine doppelte Gefahr ausging. Falls die Galeone der Spanier tatsächlich sank, würde sie die „Wappen“, die jetzt in gewissem Sinne mit ihr verbunden war, in erhebliche Gefahr bringen.
Etliche seiner Mannen hieben sofort mit den Cutlassen zu oder setzten die Messer an die Taue. Das war keine ungefährliche Aufgabe, denn die ersten Piraten erreichten inzwischen das Schanzkleid der „Wappen“ und gingen – eine ziemlich große Lippe riskierend – zum Angriff über.
Während der bullige Kapitän einen Teil seiner Horde dazu anfeuerte, das Schiff noch näher an die deutsche Galeone zu manövrieren, belegten etliche ihrer Kumpane die Mannschaft mit Musketen- und Pistolenfeuer, um denjenigen Rückendeckung zu geben, die flink wie Affen an den Entertauen zur „Wappen“ hinüberhangelten.
Innerhalb kürzester Zeit entbrannte ein erbitterter Kampf. Arne und seine Männer, einschließlich der wenigen Seewölfe an Bord, dachten nicht daran, sich auf eine solch rüde Art überrumpeln zu lassen. Und was den Umgang mit Schnapphähnen betraf, da hatten sie auf allen Meeren der Welt ihre Erfahrungen gesammelt.
„Los, Kerls, jetzt zeigt diesen hinterhältigen Halunken mal, was man in Pommern unter einem blauen Veilchen versteht. Das ist genau die richtige Übung nach dem Backen und Banken.“
In der Tat langten die Mannen mit Unterstützung ihrer englischen Freunde ordentlich zu. Etliche von ihnen erwiderten das Feuer der Piraten, und die Ladungen der Tromblons, die wegen ihrer trichterförmigen Mündungen eine verheerende Streuwirkung hatten, zwangen die Spanier immer wieder, hinter dem Schanzkleid ihres lecken Schiffes Deckung zu suchen.
Die wenigen, die es während der Feuerpausen schafften, die „Wappen“ zu entern, blieben nicht lange dort. Daran änderte sich auch nicht viel, als sich die Bordwände der beiden Galeonen abermals berührten.
Wenn der Piratenkapitän geglaubt hatte, mal so eben einen „Schiffstausch“ vornehmen zu können, sollte er sich gewaltig getäuscht haben.
„Ihr solltet besser zusehen, daß ihr eure Boote ins Wasser bringt, sonst kriegt ihr bald nasse Füße!“ prophezeite Arne dem bulligen Oberschnapphahn, der seine Kerle mit Flüchen, Fausthieben und Fußtritten antrieb.
Doch der spuckte verächtlich auf die Planken.
„Das könnte euch so passen, ihr räudigen Hunde!“ brüllte er.
Gleichzeitig riß er seine Pistole aus dem Gürtel, spannte blitzschnell den Hahn und richtete den Lauf auf Arne.
Hasard gelang es im letzten Augenblick, seinen Vetter zur Seite zu stoßen. Der Schuß krachte, und die Kugel pfiff dicht an Arnes rechter Schulter vorbei.
Der Spanier reagierte wiederum ziemlich schnell. Noch bevor Arne oder Hasard den heimtückischen Schuß erwidern konnten, schwang er sich über die Querbalustrade des Achterkastells und landete unten auf der Kuhl inmitten seiner durcheinanderwirbelnden Kerle. Damit war er zunächst einmal als Zielscheibe von der Bildfläche verschwunden.
„So ein hinterhältiger Mordbube!“ Wütend steckte Arne den Degen in die Scheide und zog die Radschloßpistole aus dem Gürtel. „Ich danke dir“, sagte er zu Hasard. „Du hast die Gefahr schneller erkannt als ich.“
Der Seewolf winkte ab. „Schon gut. Wer weiß, wer beim nächsten Mal schneller reagiert. Da kann’s genau umgekehrt sein. Der Kerl wird es garantiert wieder versuchen, wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen.“
Die beiden Männer stürzten sich ins Getümmel. Jetzt, als das Steuerbordschanzkleid der spanischen Galeone fast die Backbordseite der „Wappen von Kolberg“ berührte, strebte der Kampf seinem Höhepunkt entgegen.
Die Piraten drängten mit lautem Gebrüll auf die „Wappen“ hinüber, und da kaum noch jemand Zeit und Gelegenheit fand, die abgefeuerten Schußwaffen nachzuladen, gelangten die Blankwaffen zum Einsatz. Das ganze Geschehen wurde von den Dunstschwaden des Nebels überlagert. Die Morgenluft war kühl und feucht.
Die Schnapphähne kämpften zäh und verbissen. Sie waren sich sehr wohl des Erfolgszwanges bewußt, unter den sie sich selbst gebracht hatten. Zudem führte ihnen ihr Kapitän pausenlos vor Augen, daß sie den fremden Bastarden gefälligst die Schädel einzuschlagen hätten, wenn sie nicht wie die Ratten absaufen wollten.
Aber auch die Mannen von der „Wappen“ erwiesen sich als harte und entschlossene Kämpfer. Viele der Piraten schafften es erst gar nicht, an Bord der deutschen Galeone zu entern. Sie sahen sich plötzlich einer Front von Degen, Cutlassen, Entermessern und sogar Belegnägeln gegenüber.
Nur wenigen gelang es, diese todbringende Mauer zu durchbrechen. Die meisten wurden zurückgeschlagen oder fanden sich nach wenigen Sekunden im Wasser wieder. Dort aber waren sie mit sich selbst beschäftigt und schwammen um ihr Leben, denn sie waren der Gefahr ausgesetzt, von den beiden Schiffsrümpfen zermalmt zu werden.
„Glaubt bloß nicht, daß wir uns so einfach die Planken unter den Füßen wegziehen lassen!“ rief Arne grimmig und trieb einen muskulösen Burschen mit wildwucherndem Bart zum Schanzkleid zurück. Dabei stellte er wieder einmal unter Beweis, daß er ein geübter Degenkämpfer war. Er parierte die Ausfälle des Gegners sehr geschickt und mit ungeheurer Schnelligkeit.
Hasard hingegen vertauschte jetzt den Degen mit dem Radschloßdrehling, denn er hatte gesehen, daß der bullige Oberschnapphahn hinter den Reihen seiner zur „Wappen“ hinüberdrängenden Kumpane mit zwei Pistolen in den Händen die Kuhl überquerte und auf den Backbordniedergang zulief. Dort eilte er die Stufen zum Achterdeck hinauf, verharrte jedoch auf der drittletzten Stufe und kauerte sich nieder – offenbar, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten.