Ursachen und Verhaltensweisen erkennen
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Richtig reagieren mit Hilfe der Transaktionsanalyse
eISBN 978-3-939586-28-9
© 2020 Starks-Sture Verlag
Anna Starks-Sture
Sonnenstraße 12, D-80331 München
www.starks-sture-verlag.de
Umschlaggestaltung: Nadja Belg
Lektorat: Anne Meinberg
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Sein ist, wahrgenommen werden
(Vilém Flusser)
Die Autorin Manuela Rösel lebt und arbeitet als psychologische Beraterin in Berlin. Sie hat sich auf die Arbeit mit Menschen spezialisiert, die privat oder beruflich in Kontakt mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen stehen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Partner und Kinder von Betroffenen. Darüber hinaus vermittelt sie als Dozentin und Referentin themenkonzentrierte Informationen, u. a. an amtliche Helfer, Sozialpädagogen, Verfahrenspfleger und Anwälte. Die Erfahrungen ihrer täglichen Arbeit gibt sie seit 2006 authentisch und verständlich in ihren Büchern weiter.
In dem Bestseller „Wenn lieben weh tut“ (2006) zeigt sie kommunikative Möglichkeiten im Umgang mit der Störung auf. In „Wie der Falter in das Licht“ (2007) setzt sie sich überwiegend mit der Persönlichkeitsstruktur des Partners auseinander. Sie beleuchtet die Voraussetzungen und Hintergründe des Partners, der sich auf eine Borderline-Persönlichkeit einlässt.
Im deutschsprachigen Raum sind insbesondere ihre Bücher über Kinder, die in eine Borderline-Beziehung involviert sind, einmalig. Mit präziser Beobachtungsgabe zeigt sie in „Mit zerbrochenen Flügeln“ (2008) nicht nur das Erleben dieser Kinder auf, sondern auch die verhängnisvollen Konsequenzen für deren Entwicklung.
„Weil du mir gehörst“ (2011) beschreibt weiterführend Einfluss und Konsequenzen von borderline-typischen Verhaltensweisen auf Sorgerechts- und Umgangsstreitigkeiten, wobei auch gesellschaftliche Prozesse näher betrachtet werden.
Vor allem in der Auseinandersetzung Hilfe suchender Angehöriger mit amtlichen Einrichtungen, helfenden Institutionen und Beratungsstellen hat die Fehleinschätzung der Borderline-Störung für Angehörige oft tragische Auswirkungen. Psychologisch ungeschultem Personal und selbst Fachkräften fehlt oft das notwendige Wissen und Verstehen zum Einschätzen kritischer Situationen. Um sinnvoll helfen zu können, ist dies jedoch Voraussetzung.
Hier setzt die Autorin an, die mit einem umfangreichen Repertoire an Büchern nicht nur Betroffenen und Angehörigen hilft, sondern sich mittlerweile auch einen festen Platz in der Fachwelt geschaffen hat.
Mit dem vorliegenden Buch „Borderline verstehen“ ermöglicht sie nun auf der Basis der Transaktionsanalyse einen ganz besonderen und bisher beispiellosen Einblick in die Thematik „Borderline“ und leistet so einen wesentlichen Beitrag zum Verstehen eines scheinbar unverständlichen Phänomens.
Weiterführend auf der gleichen Ebene ist ein entsprechendes Buch für Partner von Betroffenen – „Wenn lieben immer wieder weh tut“ (2014) – erschienen.
Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden zu Worten.
Achte auf deine Worte,
denn sie werden zu Handlungen.
Achte auf deine Handlungen,
denn sie werden zu Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter,
denn er wird dein Schicksal.
(Aus dem Talmud)
Vorwort
1. GRUNDSÄTZLICHES
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung
Typische zerstörerische Verhaltensweisen
2. DAS KONZEPT DER TRANSAKTIONSANALYSE
Wer bin ich?
Die Transaktionsanalyse
Ich-Zustände
Das Streicheln und seine Bedeutung
Lebensanschauungen
Die Analyse von Transaktionen
Spiele der Erwachsenen
Das Rabattmarkensammeln
Dieses Buch teilt sich in zwei Bereiche. Mit dem Grundwissen zur Transaktionsanalyse (TA) erhalten Sie Informationen, die Ihnen die Auseinandersetzung mit dem zweiten Teil des Buches „Borderline verstehen“ erst ermöglichen. Die nachfolgenden Ausführungen der TA sind die Basis für eine sehr eigene Art der Auseinandersetzung mit der Problematik der Borderline-Störung und den Menschen, die sich in entsprechende Bindungen begeben. Um der außergewöhnlichen Komplexität der Thematik gerecht zu werden, habe ich mich auf der Basis der Transaktionsanalyse sowohl eingehend mit den Hintergründen der Borderline-Störung als auch mit den Anteilen der typischen Partnerpersönlichkeit auseinandergesetzt. Daraus hat sich für mich eine zum Teil gänzlich andere Art und Weise ergeben, die Borderline-Symptomatik und -Systemik zu verstehen.
Menschliches Verhalten, das unerklärlich oder suspekt erscheint, macht Angst. Was ängstigt, wird aber gemieden oder bietet unendlichen Freiraum für fantasievolle Interpretationen. Viele Menschen mit einer Borderline-Störung fürchten die Stigmatisierung, so wie die gesamte Störung stigmatisiert wird. Vorurteile, Unwissenheit, das Nicht-Verstehen der oft gänzlich verwirrenden, nicht nachvollziehbaren Handlungen Betroffener machen aus dem Thema Borderline ein Tabu-Thema.
Chaos kann nur dort regieren, wo es an Orientierung, Information und Struktur mangelt. Unverständliches Verhalten zu verstehen, ist ein erster Schritt, mit kritischen Situationen hilfreicher umgehen zu können. Für Partner von Borderline-Persönlichkeiten ist es überlebensnotwendig, dabei abgegrenzt und eigenständig zu sein. Nicht nur, um die eigene Persönlichkeit vor dem Verlust der Integrität zu bewahren, sondern auch um co-abhängige Verhaltensweisen zu vermeiden, die die Störungsmerkmale unweigerlich potenzieren.
Insofern halte ich es für unerlässlich, sich intensiv und vor allem allgemein verständlich auf die Komplexität der Borderline-Störung einzulassen. Hier bietet die Transaktionsanalyse eine außergewöhnliche Möglichkeit, die Problematik Borderline aus einem gänzlich anderen Blickwinkel zu betrachten.
Die folgenden theoretischen Grundlagen der Transaktionsanalyse sind bei Weitem nicht vollständig, sondern bieten lediglich einen Einstieg in die Thematik. Für tiefer gehendes Interesse empfehle ich die im Anhang genannte weiterführende Literatur.
Manuela Rösel, Berlin 2012
Der Begriff „Borderline“ charakterisiert psychische Beeinträchtigungen, die zwischen Neurose und Psychose schwanken. Weder dem einen noch dem anderen zuzuordnen, scheint sich die impulsive Borderline-Störung an der Grenzlinie zwischen Neurose und Psychose zu bewegen, und zeigt dabei sowohl die einen als auch die anderen Verhaltensmerkmale und Symptome auf.
Borderline ist eine schwer fassbare Persönlichkeitsstörung, die in einer einseitigen Diagnostik, die sich ausschließlich an den Kriterien des DSM IV orientiert, kaum sicher erklärt werden kann. Zu schwankend sind die Merkmale der Persönlichkeit, die auch immer wieder Anteile anderer Persönlichkeitsstörungen beinhalten. Das hervorstechende Merkmal ist die Instabilität der Persönlichkeit und vor allem der angewandte Mechanismus der Abspaltung, der durch diverse Verhaltensweisen – insbesondere in Beziehungen – auffallend präsent ist und jede zwischenmenschliche Bindung zerstört oder zumindest erschwert.
Dem ICD 10 nach (internationale statistische Klassifikation der Krankheiten, WHO) wird die Borderline-Störung den sogenannten „emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen“ zugeordnet. Die Betroffenen neigen dazu, emotionale Impulse – ohne Berücksichtigung von Konsequenzen – auszuagieren. In ihrem ausagierenden Verhalten verlieren sie gänzlich die Kontrolle über sich und die Situation, wobei sie zu explosivem, mitunter auch gewalttätigem Verhalten neigen. Ihr Selbstbild und ihre Zielvorstellungen sind unklar und chaotisch. Ihre typische Neigung zu intensiven, aber unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen kann sie immer wieder in schwere emotionale Krisen mit Suiziddrohungen/-versuchen oder zu selbstschädigenden Handlungen führen.
Eine Borderline-Störung liegt mit großer Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein Mensch unter mindestens fünf der folgenden neun Symptome leidet (diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen – DSM-IV):
Die selbstschädigenden Verhaltensweisen einer Borderline-Persönlichkeit stehen in engem Zusammenhang mit den anderen Symptomen. Die Leere, die sich aus der unklaren bzw. fehlenden Identität ergibt, erzeugt das Empfinden, nicht zu sein. Sich nicht spüren zu können, verleitet die Betroffenen oft zu Handlungen, die starke Emotionen erzeugen und die Leere betäuben sollen. Riskantes Autofahren, Promiskuität, Spielsucht oder Essstörungen gehören zu einigen dieser Verhaltensweisen. Ebenso neigt die Borderline-Persönlichkeit dazu, Stimmungsschwankungen und Gefühle von Einsamkeit und Trennungsangst durch Alkohol- und Drogenmissbrauch zu betäuben. Selbstschädigende Verhaltensweisen können aber ebenso Ausdruck von Selbst- und Fremdbestrafung sein oder dem Abbau von unerträglicher Anspannung dienen.
Borderline-Persönlichkeiten neigen oft zur Hyperaktivität und einer pessimistischen Grundeinstellung dem Leben gegenüber. Sie zeigen auffällige Stimmungsschwankungen in Richtung Depression, Reizbarkeit oder Angst und können in kürzester Zeit von „himmelhochjauchzend“ in ein „zu Tode betrübt“ schwanken. Der raschen Stimmungswechsel zwischen Euphorie und Depression sind sich die Betroffenen dabei kaum bewusst. Sie reagieren oft unmittelbar auf plötzliche Impulse und sind kaum in der Lage, ihre Wut oder sonstige Emotionalität zu kontrollieren.
Ein hervorstehendes Merkmal von Menschen mit einer Borderline-Störung sind deren unbeständige und unangemessen intensive Beziehungen zu anderen Menschen. Dabei wird der Beziehungspartner abwechselnd – und mitunter für diesen kaum nachvollziehbar – idealisiert oder abgewertet. Borderline-Persönlichkeiten erleben ihre Beziehungspartner im Rahmen einer projektiven Identifikation. Das bedeutet, dass sie ihr eigenes erwünschtes Selbstbild auf die Bezugsperson projizieren und ausschließlich das erwartete Selbstbild reflektiert bekommen möchten, und dies völlig unabhängig von eigenen Verhaltensweisen. Gleichzeitig zeigt sich die Borderline-Persönlichkeit gänzlich intolerant gegenüber Trennungen. Die fehlende Objektkonstanz macht es der Borderline-Persönlichkeit unmöglich, ihre Bezugsperson als eigenständigen Menschen wahrzunehmen. Deren Individualität wird als bedrohlich wahrgenommen, sodass die Borderline-Persönlichkeit ihre Bezugsperson nicht mehr als zugewandt erleben kann. Dabei ist sie nicht in der Lage, andere in ihrer Gesamtheit als widerspruchsfrei wahrzunehmen. So wird ein Partner nur dann als zugewandt wahrgenommen, wenn er bedingungslos verfügbar ist und jedes Bedürfnis der Borderline-Persönlichkeit erfüllt. Borderline-Persönlichkeiten entwickeln eine extreme Abhängigkeit zum Partner. Erleben sie dabei aber Zurückweisung oder Enttäuschung, wird der Partner unangemessen abgewertet und zurückgestoßen. Sowohl die Zurückweisung als auch die Enttäuschung beruhen dabei aber häufig auf realitätsverzerrender Interpretationen oder einer unangemessenen Erwartungshaltung.
Borderline-Persönlichkeiten neigen zu häufigen Zornausbrüchen, die sie in ihrer Intensität oft nicht oder kaum kontrollieren können. Häufig neigen sie dabei zu heftiger emotionaler und zeitweilig auch körperlicher Gewalt. Der typische Borderline-Zornausbruch steht in seiner Intensität oft in keinem Verhältnis zu dessen auslösendem Ereignis und basiert vielmehr auf der (interpretierten) Wahrnehmung der Betroffenen, zurückgewiesen zu werden. Die für Angehörige oft ängstigenden extremen Wutanfälle finden ebenfalls eine Ursache in der permanenten Daueranspannung Betroffener, die diese nicht regulieren können. Wut- und Zornausbrüche dienen dann oft der emotionalen Selbstregulation.
Borderline-Persönlichkeiten leiden unter einem beständigen extremen inneren Druck. Um diesen Druck kompensieren zu können, suchen sie in selbstverletzenden Maßnahmen Entlastung und Auflösung der Anspannung. Das Zerschneiden der Arme, das Ausdrücken von Zigaretten auf ihrem Körper, der maßlose Konsum von Alkohol und Tabletten bis zur Besinnungslosigkeit sind nur einige dieser typischen Verhaltensweisen.
Oft beginnt die Selbstverletzung als impulsive Selbstbestrafung, kann sich aber nach und nach zu einem ritualisierten Verhalten entwickeln. Suiziddrohungen/-versuche und Selbstverletzungen sind dabei oft unterschiedlich motiviert und können ein hilfloser Versuch sein, psychischen Schmerz mitzuteilen, um Hilfe zu rufen, andere zu bestrafen, sich von anderem Leid abzulenken oder Trauer, Wut und Angst abzuwehren.
Eines der ursächlichsten Symptome der Borderline-Persönlichkeit ist ihre andauernde Identitätsstörung. Die Frage nach dem „wer bin ich für mich und andere“ endet in andauernder Leere, fehlender Orientierung und ausbleibender Klarheit im Selbstbild, der sexuellen Orientierung, der Berufswahl und langfristiger Ziele. Unklare Werte und Vorstellungen von gewünschten Bezugspersonen hinterlassen das tiefgreifende und zerstörerische Empfinden, nicht liebenswert und einfach nur nutzlos zu sein.
Den Betroffenen fehlt somit ein konstantes Identitätsgefühl. Eigenschaften wie Intelligenz und Attraktivität akzeptieren sie nicht als konstant, sondern als Eigenschaften, die immer wieder neu verdient und im Vergleich mit anderen beurteilt werden müssen. Selbstwertgefühl und Selbstachtung basieren bei der Borderline-Persönlichkeit deshalb nicht auf bereits erbrachten Leistungen, sondern ausschließlich auf aktuellen (Miss-) Erfolgserlebnissen und der Wertung durch Dritte. Das daraus resultierende oft übermäßige Engagement und das unrealistische Streben nach Perfektion, aber auch der häufige Wunsch nach Veränderung im Berufs- und Privatleben, führen dann oft wieder in Anspannungen und selbstverletzende Verhaltensweisen (Stresssucht, Workaholic).
Aufgrund ihres fehlenden klaren Identitätsgefühls leiden Borderline-Persönlichkeiten oft unter chronischen Gefühlen von Leere und Langeweile. Diese Emotionen werden überwältigend intensiv, oft verbunden mit körperlichen Empfindungen (z.B. Druck im Kopf, Spannungen in der Brust) erlebt. Die Suche nach Erleichterung von diesen belastenden Emotionen endet für die Betroffenen oft in impulsiven und selbstschädigenden Handlungen oder enttäuschenden Beziehungen.
Ohne eine reflektierende Bezugsperson verlieren Borderline-Persönlichkeiten aufgrund ihrer gestörten Ich-Identität häufig das Gefühl für die Realität ihrer Existenz. Auch vorübergehendes Alleinsein wird oft als dauerhafte Isolation wahrgenommen. Da das Alleinsein mit massivstem Leereempfinden verbunden ist und in seiner Bedrohlichkeit oft auch als Todesangst wahrgenommen wird, erleben Betroffene immer wieder extreme Angst vor dem Verlassen werden durch nahestehende Personen. Diese Angst motiviert die Betroffenen zu verzweifelten Bemühungen, dieses Verlassen werden zu vermeiden, wobei sie auch zu extremen Mitteln (z.B. Selbstverletzung, Suizidversuche) greifen, um nahestehende Menschen verfügbar zu machen. Selbstschädigende und zerstörerische Beziehungen (z.B. Beziehungen mit Gewalt-/Missbrauchserlebnissen) führen sie oft bis zur völligen Selbstaufgabe fort. Werden Borderline-Persönlichkeiten trotz dieser Bemühungen verlassen, durchleben sie meist intensive emotionale Krisen, in deren Verlauf die hier beschrieben Symptome oft sogar noch verstärkt auftreten.
In schwierigen, unerträglichen Situationen können Borderline-Persönlichkeiten in „dissoziative“, hypnoseähnliche Zustände gelangen. Gelegentlich leiden sie auch unter psychotischen Episoden. Möglich sind beispielsweise pseudohalluzinatorische Erlebnisse, Störungen in der Körperwahrnehmung und auf den Konfliktbereich beschränkte Denk- und Wahrnehmungsstörungen. Diese treten meist als Folge emotionaler Erregung auf und gehen, auch ohne Behandlung, in der Regel nach wenigen Stunden oder Tagen vorüber. Die Borderline-Persönlichkeit erlebt diese Episoden als ich-fremd.
Bitte bedenken Sie, dass nicht jede Borderline-Persönlichkeit unter allen Symptomen leidet und diese bei jedem Betroffenen andere Ausprägungen annehmen können!
Aus diesen Symptomen resultieren jene typischen Verhaltensweisen, die Bindungen untergraben und unmöglich machen. Dazu gehören unter anderem:
die Unfähigkeit, sich und andere als eigenständige Person wahrzunehmen
die Sucht, mit Bezugspersonen zu verschmelzen
Abspaltungsmechanismen (Schwarz-Weiß-Denken)
Kontrollwahn, Eifersucht und der Versuch, den Partner zu isolieren
eine verzerrte Realitätswahrnehmung
für den Partner nicht nachvollziehbare, unangemessene Wut- und Zornanfälle
das häufig nachfolgende Verhalten des Betroffenen, als ob nichts geschehen sei
verbale Abwertungen, Demütigungen und Erniedrigungen sowie unangemessene Kritik und groteske Vorwürfe
körperliche Übergriffe
Zerstörungswut
Sadismus/Masochismus
emotionale Misshandlung von Bezugspersonen
das Einfordern bedingungsloser Zuwendung
das Bestrafen des Partners und der Angehörigen für deren eigenständiges Erleben, Denken und Fühlen
der Missbrauch von Drogen, Medikamenten, Alkohol usw.
die Neigung, sich und enge Bezugspersonen in gefährliche oder bedrohliche Situationen zu bringen
das Verwenden perverser Kommunikationsmuster (anti-sozial)
absolute Instabilität im Fühlen, Denken und Handeln
Störung der Nähe- und Distanzregulation
der Versuch, sich mittels emotionaler Erpressung durchzusetzen
Drohungen und Nötigungen
die Neigung zu suizidalen Handlungen
Rasanter Wechsel von Zu- und Abwendung, Idealisierung und Abwertung
die Unfähigkeit, Frustrationen zu tolerieren
das Zurückweisen jeglicher Verantwortung für die eigene Person und die Beziehung
die Unfähigkeit, Beziehungsarbeit zu leisten, Kritik und Konflikte hilfreich zu verarbeiten
fehlende Reflexionsfähigkeit
die Neigung, zu projizieren und sich mit dem Partner projektiv zu identifizieren
Manipulation der Bezugspersonen
Diese Verhaltensweisen sind allerdings nicht dazu bestimmt, andere Menschen zu drangsalieren oder zu zerstören, auch wenn dies oft so wahrgenommen wird. Jede dieser destruktiven Handlungen resultiert aus einer tiefen, infantilen Verzweiflung, die keinen Zugang zu hilfreicheren Lösungsmustern hat. Es sind ausgeprägt kleinstkindliche Selbsthilfemechanismen, mit denen überfordernde und somit bedrohliche Situationen abgewehrt werden. Ein Kleinstkind besitzt noch keine analytischen und schlussfolgernden Fähigkeiten und lässt sich infolgedessen von überflutenden Emotionen oder nicht hinterfragten (instinktiven) Überlebensgrundsätzen leiten. Es ist noch nicht in der Lage, Erfahrungen der erlebten Realität in seine Verhaltensweisen zu integrieren. Ein Kind kann diese Fähigkeiten noch nicht besitzen, weil es erst im Erfahren und Begreifen der Welt ein Erwachsenen-Ich ausbilden kann. Wenn es durch Erniedrigungen, Herabsetzungen und Bestrafungen aber davon abgehalten wurde, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, bleibt es im Kindheits-Ich gefangen und nutzt dessen vertraute Struktur, aus der letztendlich auch die oben beschriebenen Verhaltensweisen resultieren. Weitergehende Informationen zu den ursächlichen Hintergründen der Borderline Störung finden Sie im anschließenden zweiten Teil des Buches „Borderline verstehen“.
Um sich auf einen anderen Menschen einlassen zu können, braucht die Borderline-Persönlichkeit ein Pendant, dem diese Verhaltensmuster vertraut sind, einen Menschen, der zum Teil über ähnliche Persönlichkeitsmerkmale wie sie selbst verfügt (Angst vor dem Verlassenwerden, Definition der eigenen Person über die Zuwendung anderer …), und somit die Verschmelzung in Bindungen nicht nur erleichtert, sondern diese selbst braucht – jemanden, dem diese zerstörerischen Verhaltensmuster eine gewisse Vertrautheit bieten, der selbst frühzeitig gezwungen wurde, die eigene Emotionalität und Bedürftigkeit anderen zu opfern, einen Partner, der Selbstaufgabe und das bedingungslose Einlassen auf die Bedürftigkeit anderer als „Liebe“ versteht und somit ebenso anfällig für abhängige Bindungen ist wie der Betroffene selbst.
Wer sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen möchte, kommt nicht darum herum, sich und seine Entwicklungsgeschichte genauer zu ergründen. Dabei heißt es tatsächlich, den Dingen auf den Grund zu gehen und auch den Mut zu haben, Dinge zu entdecken, die sich unter der Oberfläche verborgen unserem Bewusstsein weitgehend entzogen haben. Die meisten Menschen haben Angst davor, sich den schmerzhaften Details ihrer kindlichen Erfahrungen zu stellen. Sie nutzen die verschiedensten Verdrängungsmechanismen, um sich nicht mit der einst erlebten Hilflosigkeit, der Ohnmacht und dem Ausgeliefertsein der ersten Lebensjahre auseinanderzusetzen. Dahinter steht aber nicht nur die Angst, sich mit den einst erlebten Verletzungen zu konfrontieren, sondern die oft noch bedrohlichere Erkenntnis, von den Eltern nicht geliebt worden zu sein. Als Kind überleben wir in destruktiven Familien oft nur, weil wir uns die Illusion erhalten, dass die Eltern gut und richtig sind, aber mit uns selbst etwas nicht stimmt. Sich selbst kann ein Kind ändern, seine Eltern aber nicht. Ihnen ist es bedingungslos ausgeliefert. Sich an der „Liebe“ der Eltern festzuhalten und diese nicht infrage zu stellen, wird dann oft zum Strohhalm, der vor dem Ertrinken rettet. Viele Menschen halten ein Leben lang an diesem Strohhalm fest und leugnen jede erlebte Realität, um die Eltern nicht infrage stellen zu müssen. Bei einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte kann sich dann auch eine Konfrontation mit den Eltern ergeben, was neue Schmerzen und Ängste, Enttäuschungen und unendlich viel Trauer mit sich bringen kann. Verständlicherweise macht es den meisten Menschen erhebliche Angst, diesen Weg zu gehen. Sie haben einst gelernt zu verleugnen, um zu überleben, andere Mechanismen stehen ihnen oft nicht zur Verfügung.
Wenn wir uns aber weigern, unsere verinnerlichten kindlichen Wunden zu betrachten und zu versorgen, wird das Leben deutliche Signale senden. Schwierige Beziehungen, Depressionen oder körperliche Erkrankungen zeigen mehr als deutlich, dass es etwas zu hinterfragen gibt.
Beziehungen haben vor allem die Aufgabe, uns mit uns selbst in Berührung zu bringen. Wir geraten nie an den falschen Partner und suchen uns zielsicher Bezugspersonen, die uns in unserem innersten Wesen berühren. Denn genau das wollen wir – berührt und gesehen werden. Wenn wir aber tief in uns offene und nicht verheilte Wunden tragen, können Berührungen nur schmerzen. Jede Beziehung trägt ein Entwicklungspotenzial in sich, und es liegt an uns, ob wir es nutzen, um vorwärtszukommen, oder ob wir es ignorieren und auf den nächsten Impuls des Lebens warten, der uns noch eindringlicher mit unseren alten Wunden konfrontieren wird. Im Kontakt mit einem Menschen, den wir lieben, kommen wir vor allem zunächst mit uns selbst in Berührung. Erst wenn wir mit uns im Reinen sind, können wir uns auch tatsächlich auf andere einlassen. Wenn wir zu Beginn unseres Lebens nicht das Glück hatten, tatsächlich geliebt zu werden und so auch lieben zu lernen, müssen wir uns unsere Liebesfähigkeit hart erarbeiten. Und so geraten wir unvermeidlich immer an den richtigen Partner, der dafür sorgt, dass wir spüren, was da noch heilungssuchend in uns ist und schon lange an die Oberfläche wollte.
Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, kann es sein, dass Sie sich in einer Beziehung wiedergefunden haben, die Sie verwirrt, ängstigt und tief verunsichert. Vielleicht haben Sie den Eindruck, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Eventuell finden Sie sich in missbräuchlichen und gewaltvollen Situationen wieder, die in Ihnen Hilflosigkeit und Ohnmacht auslösen. Sind Sie mit einem derartigen Erleben vertraut? Warum sind gerade Sie an so einen Partner geraten? Akzeptieren Sie diese Beziehung als eine weitere Strafe des Lebens oder könnten Sie sich vorstellen, in ihr eine Chance für Ihr Leben zu sehen?
Wer sind Sie? Was macht Sie aus? Über welche Informationen des Lebens verfügen Sie, und wie setzen Sie diese ein? Was macht Ihr ICH aus? Was ist in ihm enthalten, und wie wirkt sich dieser Inhalt auf Ihre Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung aus? Das Konzept der Transaktionsanalyse bietet eine hilfreiche Möglichkeit, sich selbst und andere besser zu verstehen, und auch konstruktiver mit Auseinandersetzungen und Konflikten umzugehen. Der Begriff an sich mag zunächst kompliziert erscheinen, vielleicht auch wenig Lust darauf machen, sich auf dieses theoretische Konstrukt einzulassen. Doch mit jedem Schritt der Auseinandersetzung mit den Details dieser klar strukturierten und logischen Methode wird das Konzept immer verständlicher.
Eine Transaktion ist ein Vorgang, bei dem etwas ausgetauscht wird. Ich gebe dir und du gibst mir – fertig ist die Transaktion. Wann immer zwei Menschen aufeinandertreffen, gehen sie in den Austausch. Selbst wenn wir es vermeiden, den anderen anzusprechen oder anzusehen, vermitteln wir damit etwas. Watzlawick (ein bekannter Kommunikationsforscher) sagte dazu: „Man kann nicht nicht kommunizieren“.
Die Transaktionsanalyse bietet vielfältige Aha-Erlebnisse des Ergründens und Verstehens der eigenen Person, der Personen, mit denen wir in Kontakt sind, und der Klärung dieser Kontakte, die sich ebenso individuell gestalten wie die beteiligten Personen. Für Partner von Borderline-Persönlichkeiten ergeben sich viele Chancen, das eigene Verhalten und das des Partners zu verstehen und so scheinbar unerklärliche Verhaltensweisen auf beiden Seiten nachvollziehbar zu machen.
Das Basiskonzept der Transaktionsanalyse geht auf Freud zurück, der in seinem psychoanalytischen Modell davon ausgeht, dass jeder Mensch über drei Persönlichkeitsanteile verfügt. Dabei existieren in jeder Persönlichkeit ein
1. ÜBER–ICH
(enthält Einstellungen, die von anderen beeinflusst worden sind), ein
2. ICH
(nimmt wahr und entscheidet) und ein
3. ES
(alle inneren und unbewussten Antriebe und Gefühle)
Der amerikanische Psychiater Eric Berne (1910–1970) entwickelte aus diesem Konzept heraus sein transaktionsanalytisches Modell und bereicherte die Psychotherapie damit um ein Konzept, das sich im Wesentlichen darauf konzentriert, jeden Menschen in seiner Veränderung und Entwicklung zu fördern. Dabei ging er davon aus, dass jeder Mensch von Grund auf gut ist, die Fähigkeit besitzt, zu denken und sowohl in der Lage ist, über sein Schicksal zu entscheiden wie auch Entscheidungen zu treffen oder zu ändern.
Auslösend für die Arbeit Bernes waren Versuche des Neurochirurgen Wilder Penfield, der bei seinen Patienten während einer Gehirnoperation Experimente durchführte. Da die Patienten während des Eingriffs bei völligem Bewusstsein waren, konnte er deren direkte Reaktion beobachten. Er reizte mithilfe einer elektrischen Sonde die Großhirnrinde des Schläfenlappens und gelangte zu der Erkenntnis, dass es möglich war, durch diese elektrischen Reize konkrete Erinnerungen auszulösen. Wurde dieser Reiz nach einiger Zeit wiederholt, wurde die gleiche Erinnerung erneut ausgelöst. Demzufolge war es möglich, durch einen äußeren Impuls eine einzelne und konkrete Erinnerung und nicht eine Verbindung verschiedener Erinnerungen auszulösen.
Aber die Versuchspersonen erinnerten sich nicht nur an eine vergangene Situation, sondern erlebten diese im Prinzip noch einmal. Für sie wurde im Moment der Reizung die Erinnerung Realität, da alle Gefühle, die ursprünglich einmal in dieser Situation erlebt worden sind, reaktiviert wurden. Als Erinnerung konnte dieses Erleben jedoch erst dann erkannt werden, wenn es vorbei war. Penfield schloss daraus, dass ein erlebtes Ereignis und jedes dazugehörige Gefühl im Gehirn unauflösbar miteinander verbunden sind, sodass keines von beiden ohne das andere reaktiviert werden kann.
Aus diesen Erkenntnissen heraus entwickelten nun Berne und Harris (Schüler von Berne und Gründer sowie Präsident des Instituts für Transaktions-Analyse) ihr transaktionsanalytisches Modell. Dies besagt, dass von Geburt an JEDES Erleben und JEDES damit verbundene Gefühl originalgetreu wie auf einem Tonbandgerät im Gehirn unauslöschlich aufgezeichnet werden, und demzufolge auch jederzeit wiedergegeben werden können. So erklärt sich nicht nur das Wiedererleben noch bewusster Erinnerungen, auch das ins Unterbewusste verdrängte Erleben kann so wieder bewusst und erlebbar werden. Diese Erkenntnis deckt sich mit der grundlegenden Aussage der Psychologin Alice Miller, die in ihren zahlreichen Büchern zur Thematik der Kindesmisshandlung und ihrer Folgen immer wieder eindrucksvoll darauf hinweist, dass JEDE Missachtung und Misshandlung des Kindes unauslöschlich von diesem – mit den entsprechenden Konsequenzen für dessen Leben – abgespeichert werden, und dies vor allem in den ersten vier Lebensjahren, auch wenn es oft kaum einen bewussten Zugang zu den Erfahrungen dieser wichtigsten und prägendsten Lebenszeit eines Menschen gibt.
Sowohl Penfield als auch Harris gehen davon aus, dass die Reizgebung der während der Operation verwendeten elektrischen Sonde im Alltag durch verschiedenste situationsgebundene Reize ersetzt werden kann. Diese Reize, die man auch als Trigger bezeichnet, verbinden die augenblickliche Situation mit einer zurückliegenden emotionalen Erfahrung. Die getriggerte Person transferiert dann den emotionalen Zustand der Vergangenheit in eine reale Situation und vermischt ihr Erleben aus dem Damals mit dem Hier und Jetzt.
Marion war 4 Jahre alt, als sie einen neuen Stiefpapa bekam. Anfangs war er sehr lieb zu ihr, doch mit der Zeit trank er immer öfter Alkohol. Dann schrie er sie oft an und schlug sie mitunter auch, ohne dass sie verstehen konnte, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte furchtbare Angst, wenn er nach Schnaps roch, lallte oder durch die Wohnung torkelte. Noch als erwachsene Frau spürte sie den Drang, sich zu verstecken oder wegzulaufen, wenn sie betrunkenen Menschen begegnete. Der Geruch von Alkohol oder unkoordinierte Bewegungen anderer erzeugten Panik in ihr.
Die Facetten des einstmals ängstigenden Erlebens (Alkoholgeruch, Schreien …) reaktivieren die damals erlebten Gefühle und damit auch die damaligen Reaktionen (weglaufen, verstecken …). Für Marion war der Geruch von Alkohol ein Trigger, der sie automatisch immer wieder mit dem einst Erlebten konfrontierte. Häufig läuft das Wiedererleben aber unbewusst ab, sodass als Konsequenz eines derartigen Empfindens oft nur schwer zuzuordnende Gefühle übrigbleiben.
Dieses reaktivierende, emotionale Erleben spielt in Borderline-Beziehungen auf beiden Seiten eine maßgebliche Rolle. Die Hintergründe beider Persönlichkeiten, die ja in wesentlichen Bereichen ihrer Struktur gemeinsame Merkmale aufweisen, begegnen sich auf einer Ebene, in der die Personen nicht in der Lage sind, Konflikte zu lösen. Im Gegenteil, Eskalation und Zerstörung, sowohl der Beziehung als auch der involvierten Personen, werden häufig noch forciert. Um diesen Vorgang genauer zu betrachten und so letztendlich auch Möglichkeiten zu finden, diesen destruktiven Mustern zu begegnen, ist es hilfreich, wenn wir uns zunächst einmal mit den Persönlichkeitsbereichen auseinandersetzen, die JEDER Mensch in sich trägt. In der Transaktionsanalyse werden sie als Ich-Zustände bezeichnet.
Ich-Zustände kennzeichnen sich durch drei verschiedene Ebenen, die sich an dem von Freud geschaffenen Konstrukt des Über-Ich, Ich und Es orientieren. Die Persönlichkeitsstruktur jedes Menschen beinhaltet zahlreiche individuelle Informationen und Fähigkeiten, die sich diesen drei Ebenen zuordnen lassen. Das Wechselspiel dieser Informationen, sowohl im Kontakt mit sich selbst als auch im Kontakt mit anderen, macht unsere Individualität aus und kennzeichnet unsere Kommunikation nach innen und nach außen. Die Gestaltung unserer Ich-Zustände ist die Basis unserer Lebens- und Erlebensfähigkeit, sie entscheiden letztendlich über unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit, unser Leben zu gestalten.
Im Kind-Ich sammelt ein Mensch alle emotionalen innerlich erlebten Erfahrungen, die es durch von außen verursachte Ereignisse macht.
Wenn ein Kind geboren wird, verfügt es noch über keinerlei sprachliche Möglichkeiten. Es ist aber in der Lage, Emotionen zu spüren und diese nach außen auch mitzuteilen. Es schreit, wenn es Hunger oder Angst hat, es kann seine Bedürfnisse zeigen und sich so auch aktiv für sein Überleben einsetzen. Ein Kind ist bei Weitem nicht so hilflos, wie es auf den ersten Blick scheint. Zwar existiert es in Abhängigkeit zu seinen versorgenden Bezugspersonen, aber es ist vom ersten Augenblick seines Lebens an in der Lage, zu fühlen und wird somit mit der wichtigsten Anlage für selbstfürsorgliches Handeln geboren.
Der Hunger eines neugeborenen Kindes existiert dabei nicht nur auf der physischen Ebene. Sein ausgeprägter Lebenswille braucht und sucht beständig Informationen, die es zum Über- und Weiterleben dringend benötigt. Säuglinge zeichnen sich durch eine unglaubliche Fähigkeit aus, Informationen aufzunehmen und abzuspeichern. Die überlebenswichtigsten Informationen der ersten Lebensmonate sind dabei die Reaktionen der Bezugspersonen auf das erlebte und gezeigte Gefühl.
Ein Neugeborenes kennt weder das Gefühl des Hungers, noch Angst oder Verlassensein. Es spürt aber, dass diese Gefühle auf bedrohliche Defizite hinweisen und reagiert instinktiv mit Schreien. Damit macht es nicht nur auf seine Not aufmerksam, sondern sucht gleichzeitig nach Anerkennung, Bestätigung und so auch nach Orientierung. Seine Existenz ist davon abhängig, zu erfahren, was es tun kann, wenn es sich bedürftig erlebt. Jeder, der sich einmal einem schreienden Säugling zuwendet, wird instinktiv die eigene Mimik und Intonation dem kindlichen Erleben anpassen. Erst die liebevolle Reflektion einer Mutter vermittelt dem Kind, dass es sowohl in seinem Gefühl, in dessen Ausdruck und im Bedürfnis richtig ist. Eine stabile und zugewandte Spiegelung wird für den kleinen Menschen zum Fundament seines (Über-) Lebens.