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Claudia Stöckl

FRÜHSTÜCK BEI MIR

Claudia Stöckl

FRÜHSTÜCK BEI MIR

Besondere Begegnungen

 

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Claudia Stöckl

Frühstück bei mir

Besondere Begegnungen

 

 

 

Umschlagidee und -gestaltung: kratkys.net Image

 

 

 

1. Auflage

© 2011 Ecowin Verlag, Salzburg

Lektorat: Dr. Arnold Klaffenböck

Gesamtherstellung: www.theiss.at

Gesetzt aus der Sabon

Printed in Austria

ISBN 978-3-7110-5018-2

 

 

www.ecowin.at

 

 

Für dich,
der du mir zuhörst.

Vorwort

Vorwort

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Josef Hickersberger und seine überraschende Rücktrittserklärung als Teamchef. Andrea Kdolsky exklusiv über ihre Scheidung. Stefan Petzner und die Ausführungen zu „Lebensmensch“ Jörg Haider bei gefühlten hundert Zigaretten. Hans Gruggers Comeback-Ansage nach dem schweren Unfall. Werner Faymann im Englisch-Test. Wolfgang Ambros und die „Knopferlaugen“ seines Freundes Rainhard Fendrich, der nach dem „Ö3-Frühstück“ kein Freund mehr war.

So lauteten nur einige Aufreger meiner Sendung „Frühstück bei mir“ (mehr dazu lesen Sie in dem Kapitel „Brisanz“, S. 117 ff.). Natürlich ist es wichtig, mit Interviews Gesprächsstoff zu liefern und journalistische Relevanz zu zeigen. Aber es soll nicht das Einzige sein, das zählt.

„Warum willst du dieses Buch schreiben?“, hat mich Ö3-Chef Georg Spatt gefragt, in seinem gläsernen Büro mit dem blitzblanken Schreibtisch. Eine Arbeitsfläche, die mich immer nachdenklich stimmt, denn bei mir sieht es nie so aus. Wie kann man eine Zeitung einfach lesen und sie nachher s-o-f-o-r-t zum Altpapier geben? Ohne einen einzigen Artikel auszureißen, weil sich darin sicher die entscheidende Information findet, für den nächsten Gast, die nächste Frage? Warum wachsen auf meinem Schreibtisch immer die Bücher- und Zeitschriften-Berge und wölben sich, nach gelegentlichen Abtragungen, sofort wieder auf? Sicher, mein Chef hat eindeutig die Anlage zur Ordnung, ein anderes Job-Profil – und eine Sekretärin. Aber meine Arbeits-Gebirge geben wahrscheinlich auch Antwort auf seine Frage und auf das, was mir außerdem neben den viel zitierten „Sagern“ bei meiner Arbeit wichtig ist.

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Es ist der Tiefgang. Der Wunsch, zu erfahren. Zu hinterfragen. Zu lernen. Mit kritischem Geist zu betrachten. Oder einfach versuchen, zu verstehen. Im Leben der anderen möchte ich etwas für unser aller Leben finden: Gedanken, Erkenntnisse, Erfahrungen, die inspirieren, klüger machen, aufregen, oft unterhalten oder einfach berühren. Die Wegweiser für diese Frage-Märsche stecken in dem vorab angeeigneten Wissen über den Gast (und das steckt wiederum in den Schreibtisch-Bergen). Und vieles war so wertvoll, dass sich das Festhalten lohnt. So habe ich mich im Frühjahr 2011 entschlossen, über Monate hunderte Sendungen nachzuhören, Passagen auszusuchen, Begegnungen zu beschreiben. Es war an der Zeit.

Diese Seiten sollen ein Handbuch für das Leben sein, gegliedert in unser aller großer Themen, denn in 15 Jahren und 750 Begegnungen für meine Sendung habe ich eines erkannt: Es sind immer dieselben Fragen, die das Wesentliche beschreiben. Prägungen und die Beziehung zu den Eltern, zu den Kindern. Der Widerspruch in der Liebe. Treue, Sex, Abschied. Selbstwert und Krisen. Gottesnähe und Glück. Was haben herausragende Persönlichkeiten bei mir dazu gesagt, was erlebt, was erfahren?

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Hannes Androsch und Hans Peter Haselsteiner zum Beispiel sprachen im Ö3-Frühstück zum ersten Mal über ihre unehelichen Kinder – ihre Antworten und mein Weg zu diesem brisanten Punkt finden Sie in dem Kapitel „Überraschung“ (S. 67 ff.). Unvergesslich die Begegnung mit Starköchin Johanna Maier und der Aufruhr, als ich das Drogenproblem ihres Sohnes berührte (im Kapitel „Kinder“, S. 99 ff.). Alfred Dorfer oder Thomas Brezina gestanden unerwartet schwere Lebenskrisen (in „Brüche“, S. 145 ff.). Und Almdudler-Boss Thomas Klein beschreibt in überwältigender Offenheit, wie es für ihn möglich war, sich posthum mit seinem Vater, der den Freitod gewählt hatte, zu versöhnen (Kapitel „Väter“, S. 79 ff.). Das waren nur einige der magischen Momente von „Frühstück bei mir“. In denen für manche Gäste, so wie es Thomas Klein nach der Sendung in seinem Brief an mich geschrieben hat, „die Welt still gestanden ist“. Oder Sie als Ö3-Hörer am Sonntagvormittag vielleicht einmal die Kaffeemaschine stoppten, die Dusche abdrehten, die Kinder ermahnten, leiser zu sein. Um besser zu hören, um besser zu verstehen. Jetzt ist das Besondere nachzulesen.

Auch viele praktische Tipps habe ich von meinen Gästen mitgenommen und mit der Frühstücks-Gemeinde geteilt, natürlich wollen wir von Ö3 immer auch Service liefern. Rezepte, Schönheits-Tipps, Buch-Empfehlungen (die die Buchhändler am nächsten Tag meist sehr beschäftigt haben) sind ebenfalls hier zu finden, auch das eine oder andere Gedicht, das ich vorgelesen habe, weil ich hoffte, es würde andere genauso inspirieren wie mich. „Frühstück bei mir“ soll lebendig und nützlich sein. Wie hoffentlich auch dieses Buch.

Ich hebe den Blick. Ganz oben auf meinem Schreibtisch-Gebirge liegen meine Gästebücher, fünf an der Zahl, wie quadratische Gipfelkreuze. Der Aufstieg war oft steil und immer wieder drohte die Gefahr, bei manchen Fragen abzurutschen. Im Gespräch mit Ben Becker, Wilfried Seipel, Matthias Hartmann zum Beispiel. „Sie kam und ging nicht mehr weg“, warf der Burgtheaterchef in mein Gästebuch nach unserem Interview, das gleich zu Beginn zu scheitern gedroht hatte. Darüber lesen Sie in „Gelassenheit“ (S. 181 ff.), aber auch in vielen anderen Kapiteln beschreibe ich nie gesendete Hintergründe meiner Ö3-Sendung. Ich erzähle von der Herangehensweise an die Gespräche, über manches Vor- und Nachspiel genauso wie von Erlebnissen aus meinem ganz persönlichen Leben, die fernab der Sendung wesentliche Erfahrungen waren. Denn schließlich transportiert die Interviewerin ja immer auch sich selbst.

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Ich blättere in meinen Gästebüchern. Zitate, bewegende oder amüsante Feedbacks, auch viele Zeichnungen sind da zu sehen. Zwei Deix-Figuren am Frühstückstisch beispielsweise, die sich unterhalten, „wie super der Manfred bei der Stöckl war“. Wirre Schläuche, mit Kuli über die Seite skizziert, es sollen „die unterirdischen Gänge von Prinzendorf“ sein, das ist ein echter Nitsch. Ach ja, hier der Ottifant, der in der Sprechblase nach „Claudia“ schmachtet. Ein sorgfältig gemalter Zirkuswagen, für den Bernhard Paul das Gästebuch sogar über Nacht behalten hat, damals in seiner Villa auf Mallorca. Gestrichelte Erinnerungen, hingeworfene Talentproben, Unikate. Bin ich jetzt reich?

Natürlich! Ja. 15 Lebensjahre, 750 Gäste, hunderte E-Mails, tausende wichtige Gedanken – das ist meine Bilanz. Ein Sendungs-Experiment wurde zum Radioklassiker, zur Institution, mit einer Million Hörerinnen und Hörer, Sonntag für Sonntag. 15 Jahre lang habe ich Gäste gesucht und gefunden, habe gefragt und zugehört, bin tausende Kilometer quer durch Europa gereist, manchmal sogar auf andere Kontinente. Ich und mit mir meine Sendung lieferten den Blick auf die Gegensätzlichkeit dieser Welt: einmal das Interview mit Klaus Heidegger in seiner Millionärsvilla in Malibu, dann das Treffen mit Almaz Böhm im Hochland von Äthiopien, mit Blick auf dürre Felder und geschundene Frauen, die täglich ihre Wasserkanister kilometerweit tragen müssen.

Viele Nächte habe ich nicht geschlafen, sondern geschnitten oder mich für einen Gast eingelesen. Es war immer eine große Herausforderung, oft für mich wie ein Wunder, dass jeden Sonntag um 9 Uhr dann trotz Last-Minute-Entscheidungen und häufiger Belastungstests die Sendung stand, durch die ich dann zwei Stunden führen durfte. Ich staune selber, die Aufgabe nützt sich nicht ab. Wahrscheinlich ist es die Begeisterung für diese Begegnungen, die mich trägt, das Privileg, diejenige sein zu dürfen, die an vorderster Front die Fragen stellt, vielleicht auch ein anderes Bild der Dauer-Abgebildeten zeichnet. Manchmal ist es auch die Diskussion mit der großen Ö3-Gemeinde, die beflügelt. Und die Liebe zu den Menschen. Die sicher zuallererst.

„Was wird von dem bleiben, was Sie der Welt erzählt haben? Was bleibt von journalistischer Arbeit?“, fragte ich Hugo Portisch, den großen Kommentator des Weltgeschehens und einstigen „Kurier“-Chefredakteur, in „Frühstück bei mir“. Er antwortete: „Irgendwann wird all das, was wir gesagt, geschrieben, gesendet haben, wirken. Wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Und er zieht konzentrische Kreise.“

Vielleicht ist dieses „Irgendwann“ gerade jetzt. Lesen Sie, lassen Sie die Geschichten wirken. Für die besonderen Gedanken, die besonderen Kreise in Ihrem Leben. Vom Frühstück bis zum Abendbrot.

 

 

Oktober 2011     Claudia Stöckl

WAS HEISST LIEBE?

WAS HEISST LIEBE?

Widerspruch

Richard David Precht:
„Das Wort Liebe ist ein unglücklicher Begriff.“

Widerspruch

„Das Wort Liebe ist ein unglücklicher Begriff.“

Richard David Precht

 

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Beginnen wir gleich mit dem schwierigsten Thema. Man soll sich den Herausforderungen des Lebens ja stellen. Dass die Liebe zwischen Mann und Frau voller Geheimnisse und ewiger Widersprüche steckt, weiß jeder, der zu lieben gewagt hat. Es ist auch das Thema, bei dem viele meiner Gäste plötzlich wortkarg werden oder um treffende Beschreibungen ringen. (So skizzierte Bestseller-Autor und Longtime-Single Andreas Salcher eine Entflammung mit: „Ich trage eine Frau in meinem Herzen“, Stefanie Kloß von „Silbermond“ dichtete: „Mein Herz ist beschäftigt.“) Oder mein Gast verbietet sich gleich – und oft vorab durch sein Management – private Fragen, und ich kann es gut verstehen, denn Liebe ist eben sehr oft, wie Richard David Precht schreibt, ein wirklich unordentliches Gefühl.

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Wortreich war jedenfalls Udo Jürgens über seine ewige Zerrissenheit angesichts der Verpflichtungen, die Partnerschaften eben mit sich bringen: „Natürlich überlege ich oft, ob es nicht klüger wäre, wieder eine Partnerin zu haben. Dann aber denke ich an all die Besitz-Rituale und mir graut. Ein Freund von mir sagte: Heirate oder heirate nicht – und du wirst es bereuen.“ Und Falco zeichnete in seinem letzten großen Interview vor seinem Tod, dem Gespräch mit mir in seiner Villa in der Dominikanischen Republik, die Vision seiner Traumfrau: „Auf der einen Seite muss sie eine Schlampe sein, dann muss sie gut kochen können, muss sie natürlich auch ertragen, dass ich ein Grenzgänger bin, der immer zwischen Sein und Schein und zwischen Tod und Leben agiert – wie bei einem Hochseilakt, mit einer Balancestange. Da muss eine Frau zuerst einmal mitkönnen.“ Dann zitierte er aus dem Song „Emotional“ das Leit-Thema seines Liebeslebens: „Ich glaub’, dass die Frau, die mich erträgt, noch nicht geboren ist … und das Herz geht so lange zum Messer, bis es sticht.“

Wir begeben uns nach Köln, an einem kalten Novembertag 2010. Nein, ich beklage mich nicht, dass ich oft zu meinen Gästen reisen muss, natürlich ist es spannend, sie in ihrem persönlichen Lebensraum zu erfahren. Und einfacher, eine Zusage zu bekommen, denn sie müssen sich ja dann nicht deplatzieren. Meist geht es mit dem ersten Flieger hin, am Abend zurück. „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, hat meine Mutter immer gesagt, aber ich will diese Würmer nicht finden. Seit mir Genforscher Markus Hengstschläger in „Frühstück bei mir“ bestätigt hat, dass die Disposition zum Früh- oder Spätaufsteher unverrückbar in unseren Erbanlagen steckt, stehe ich noch aufrechter dazu, ein klarer Nachtmensch zu sein. Aufstehen um 4.30 Uhr bedeutet bei mir Tagwache kurz nach dem Schlafengehen. Aber in meinem Beruf schläft man ja sehr oft auf Raten.

In diesem Fall wartete eine wirklich große Begegnung, dessen war ich mir sicher. Interview mit Philosoph Richard David Precht in seiner Wohnung in Köln, der die Liebe als „unordentliches Gefühl“ philosophisch-wissenschaftlich aufbereitet hat. Seinen Durchbruch hatte der Autor mit dem Model-Look schon davor, im Jahr 2007, mit dem philosophischen Einführungsbuch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“, Literatur-Päpstin Elke Heidenreich hatte den Titel in ihrer Sendung „Lesen!“ empfohlen, dadurch war er zur Verkaufsrakete geworden, und Richard David Precht zum Dauergast in Talkshows. 1,1 Millionen verkaufte Exemplare und das Buch in 23 Sprachen übersetzt: Ein Star war geboren, Udo Jürgens schlug ihn bei mir auf Ö3 sogar schon für den Literaturnobelpreis vor.

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Ein Jahr hatte ich auf unsere Frühstücksbegegnung gewartet, immer wieder sagte seine Managerin ab, und der Philosoph erklärte mir dann gleich fast entschuldigend, wie Medien funktionieren (er hatte es glasklar erkannt) und welche Strategie er sich zugelegt hätte, um sein Leben zu retten: „Nach Heidenreichs Empfehlung stand das Buch auf den Bestsellerlisten und war nicht lieferbar, weil der Verlag so viele Exemplare nicht drucken konnte. Erst dreieinhalb Monate später meldete sich das Fernsehen. Und nachdem ich in einer Fernsehsendung gewesen war, kam eine nach der anderen. Fernsehleute kennen nicht Leute, die irgendwo abseits des Fernsehens bekannt sind. Sondern Fernsehleute suchen sich ihre Gäste nach dem aus, wer im Fernsehen ist. Es ist ein selbstreferenzielles System. Auf diese Art und Weise wurde ich dann ein sehr regelmäßiger Talkshowgast. So regelmäßig sogar, dass ich sehr häufig Einladungen zu Talkshows und Interviews lieber nicht folge, damit es nicht zu viel wird.“

Er war anfänglich übrigens sehr kühl, dieser Richard David Precht, in dieser Wohnung nahe der Kölner Universität, dritter Stock ohne Lift. Anfänglich war ich einfach nur „schon wieder so eine Journalistin“, das Gefühl war dick da, in der kleinen Küche mit aufgeräumter Spüle, weißen Tassen im Regal, einer Schale voller Trauben auf dem Esstisch, doch daran blieb mein Blick nicht hängen. Ein 800-Liter-Aquarium – 2 Meter lang, 65 Zentimeter hoch, 60 Zentimeter breit, der Autor wusste es natürlich ganz genau – mit Schwärmen von Elefantenrüsselfischen dominierte den Raum. Für Denker Precht waren diese Tiere besonders faszinierend, „weil sie so ein großes Gehirn haben und so intelligent sind.“ Ich konnte den Blick kaum von den silbrig-grauen Fischschwärmen lassen. Ein faszinierendes Stück Leben, in das Precht einen Teil der Einkünfte aus seinem Bestseller investiert hatte. 8000 Euro seiner Tantiemen wären in die Einrichtung der Fischwelt geflossen, erzählte mir der Autor, und dass zunächst geprüft werden musste, ob der Boden der Wohnung dem Gewicht des Aquariums überhaupt standhalten konnte.

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Der Philosoph bot mir Nescafé an. Meine scherzhafte Bemerkung, dass ich eigentlich selten löslichen Kaffee serviert bekomme, konterte der Gastgeber schnoddrig: „Dann werde ich wohl als das mieseste Frühstück, das Sie bisher hatten, in Ihre Erinnerung eingehen.“ Nein, wird er nicht, dachte ich mir, und mir fielen die von mir ungeliebten, gehetzten Zwischendurch-Frühstücks-Termine ein, wie zum Beispiel meine erste Begegnung mit Hermann Maier in einem Kitzbüheler Hotel während des Hahnenkammrennes – da war nicht mal ein Glas Wasser auf dem Tisch. „Es gibt unten einen Shop mit Take-Away-Kaffee, da können Sie sich gerne einen richtigen Cappuccino holen“, schlug Precht recht nüchtern vor, er versuchte also erst gar nicht, als Gentleman durchzugehen. Für eine Tasse Kaffee wieder die drei Stöcke auf die Straße und dann wieder hinauf? Muss nicht sein. Wir wendeten uns dem Wesentlichen zu.

Was also ist der große Widerspruch bei unserem Ideal der romantischen Liebe? Der Autor, der so gekonnt Philosophie mit Neurowissenschaften verknüpft, weiß darüber viel. Seine Position bezieht sich auf die neuesten Erkenntnisse der Gehirnwissenschaften und diese sind in einem deprimierenden Satz zusammenzufassen: Leidenschaft und Geborgenheit mit einer Person auf Dauer zu empfinden ist so gut wie unmöglich. Halleluja! Das sagt die Wissenschaft. Und so erklärte es Richard David Precht in „Frühstück bei mir“:

 

Worin besteht die Unordnung in der Liebe?

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Precht: Die Unordnung in der Liebe besteht darin, dass wir von einem Partner erwarten, dass er uns ein Maximum an Erregung und Aufregung beschert und auf der anderen Seite der Mensch ist, dem wir vertrauen können, bei dem wir Sicherheit, Zufriedenheit, Geborgenheit finden. Diese beiden Zustände sind biochemisch das Gegenteil voneinander. Das heißt, die Aufregung ist an Botenstoffe wie Dopamin gekoppelt, Gefühle wie Zufriedenheit und Gelassenheit an Stoffe wie Serotonin. Normalerweise, wenn in Ihrem Gehirn der Dopaminspiegel hoch ist, ist der Serotoninspiegel im Keller und umgekehrt. Das heißt, wir erwarten von der romantischen Liebe das Zusammenbringen von zwei Zuständen, die im Gehirn eigentlich gleichzeitig nicht auftreten können, außer aufgrund der stärksten körpereigenen Droge, über die wir verfügen. Das ist unter anderem der Stoff Phenylethylamin. Unter Phenylethylamin können Sie es schaffen, Dopamin und Serotonin parallel hochzuhalten. Diesen biochemischen Ausnahmezustand nennen wir Verliebtheit. Der kann wochenlang andauern, maximal aber drei Jahre. Dann ist das Phenylethylamin abgebaut. Dann ist also Schluss.

 

Er sprach es und machte eine bedeutungsvolle Pause. Ich ließ meinen Blick durch die offene Tür ins Wohnzimmer fallen, deckenhohe Regale, vollgestopft mit Büchern, kaum zu glauben, dass der Mittvierziger mit schulterlangen Haaren und aufgeknöpftem Hemd während seines Studiums nur auf die Philosophie fokussiert war, keine Partys, keine Brüche. Studienabschluss in Mindestzeit, 1,1 Notendurchschnitt, seine Dissertation über die „gleitende Logik der Seele in Robert Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘“ wurde mit „Opus Eximium“, also „herausragende Arbeit“, beurteilt. Precht beschrieb dazu im Ö3-Frühstück: „Ich habe ausschließlich mit Heißhunger auf meine Studienfächer gelebt. Das ganze Leben drehte sich darum. Mit 29, nach der Promotion und nach dem Ende der Assistentenstelle, hatte ich also nie etwas anderes gemacht außer Uni. Ich hatte keine Praktika, keine Berufserfahrung, keine Kontakte, keine Beziehungen. Nichts. Und stand ein Jahr lang vor dem absoluten Abgrund. Da habe ich von 500 Euro im Monat gelebt, ein Jahr lang.“

Dann fasste der introvertierte Philosoph Fuß als Wissenschaftsjournalist und schließlich Buchautor, und über den Durchbruch durch seine Mentorin Elke Heidenreich haben Sie ja schon erfahren. Nun aber zurück zu einer Schlüsselfrage unseres Lebens, die uns wachhält und motiviert, zu leben:

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Wie kann die Liebe also funktionieren?

Precht: Das Wort Liebe ist ein sehr unglücklicher Begriff. Denn wir bringen unter dem Begriff Liebe drei Zustände miteinander in Berührung, die die alten Griechen aus guten Gründen noch getrennt hatten. Im Griechischen gibt es das Wort Liebe nicht. Es gibt Eros, also für die romantische, die leidenschaftliche Liebe, Agape für die Hingabe an jemand anderen und Caritas für die Nächstenliebe und die Fürsorge. Wenn ich sage, ich liebe meine Frau, meine ich nicht das Gleiche wie ich liebe meinen Nächsten oder ich liebe Schokolade. Also mit dem Wort Liebe gehen wir sehr schludrig um. Das führt dazu, dass wir die Liebe gar nicht definieren können. Sie können theoretisch mit einem Menschen verbunden sein, bei dem Sie sich völlig verstanden, geborgen und aufgehoben fühlen, und trotzdem zieht Sie nichts mehr mit diesem Menschen ins Bett.

Es gibt einen Menschen unter Umständen in Ihrem Leben, den können Sie gar nicht leiden, aber sexuell fasziniert er Sie. Beides zusammen in einer Person kriegen Sie nur unter ganz bestimmten Umständen und selten auf allzu lange Dauer. Da brauchen Sie sehr, sehr viel Glück und eine verdammt gute Dramaturgie in Ihrem Leben, damit das funktioniert.

 

Können wir uns die Dramaturgie selber schaffen?

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Precht: Nur zum Teil. Paare passen dann zusammen, wenn sie in ihren grundsätzlichen Lebensvorstellungen, ihren Werten, ihren Urlaubszielen sich sehr, sehr ähnlich sind und gleichzeitig vom Temperament möglichst verschieden, denn sonst wird’s langweilig. Aber das reicht auch noch nicht. Es gibt einen klugen amerikanischen Psychologen, Robert Sternberg. Der hat ein kluges Buch geschrieben, „Love is a Story“. Er hat darin analysiert, dass es darauf ankommt, dass die Dramaturgie der Liebe stimmt. Denn wir lauschen nicht dem Leben ab, was wir uns unter einer gelingenden romantischen Liebesbeziehung vorstellen, sondern nach wie vor Romanen und vor allem Filmen. Wir wissen aus dem Kino, was tolle Liebe ist. Also versuchen wir das quasi nachzuspielen, genau dieses Gefühl zu erzeugen, diese Rituale zu imitieren, die Sätze, die Sprüche und so weiter. Nun haben aber Menschen je nach ihrem familiären Kontext sehr unterschiedliche dramaturgische Vorstellungen von ihrem Leben. Das heißt, es gibt Menschen, die finden ihr Leben nur dann lebenswert, wenn sie ständig einen Kick bekommen. Andere finden ihr Leben besonders lebenswert, wenn es ein sehr hohes Maß an Konstanz hat. Die einen brauchen für ihr Leben ganz viele Menschen, die anderen möglichst wenige. Sie müssen einen Partner finden, mit dem Sie in diesen dramaturgischen Vorstellungen zusammenpassen. Und diese Vorstellungen können sich im Leben ja durchaus verändern. Das ist ja sehr häufig so, wenn ein Paar plötzlich Kinder kriegt und die Dramaturgie sich hundert Prozent verändert. Dann werden normalerweise die Karten komplett neu gemischt und sehr häufig geht in dem Moment die Liebe kaputt.

 

Später sollte diese Gesprächspassage viele Reaktionen hervorrufen. Unzählige Hörer hatten nach Prechts Erklärung anscheinend den „Heureka“-Moment und schrieben mir: „Jetzt weiß ich, warum meine Beziehung gescheitert ist.“ Oder manche posteten auch: „Jetzt weiß ich, wo ich ansetzen kann, um meine Partnerschaft zu retten.“

Zurück nach Köln. Seit Jahren studiert und analysiert Precht – verheiratet mit RTL-Moderatorin Caroline Mart, die Mechanismen von gelungener Paar-Beziehung, die Bedeutung von romantischer Liebe findet er allerdings übertrieben: „Noch nie in der Geschichte hat eine Gesellschaft so viel Geschiss um die romantische Liebe gemacht. Noch nie hat eine Gesellschaft so viel Sinnerfüllung von der Liebe erwartet. Noch nie hat eine Gesellschaft die romantische Liebe als Ersatz für Religion betrachtet, als sinnstiftende Funktion wie heute. Das produziert eine ganze Menge Blödsinn und falsche Lebenserwartungen.“

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Die Stimmung war jetzt gelöster in der Altbauwohnung. Anscheinend waren manche meiner Fragen auch für den Interview-Routinier interessant gewesen. Mein Taxi zurück zum Flughafen hatte Verspätung. Der „Pop-Philosoph“, der sich über diesen Titel amüsierte, zeigte mir seine Sammlung antiquarischer Bücher in dem Wohnzimmer, blätterte in vergilbten Seiten naturwissenschaftlicher Exemplare, wurde von sich aus gesprächig und weich, erzählte, dass er ein hässlicher Teenager war, und von der Liebe zu seinem kleinen Sohn Oskar. Auf meine letzte Frage, ob er durch das philosophische Nachdenken glücklicher oder unglücklicher würde, meint Richard David Precht dann noch: „Das ist eine gute Frage, aber es steht, glaube ich, keinem frei. Man kann sich nicht aussuchen und sagen, ich habe Angst, unglücklich zu werden, deswegen denke ich nicht so viel über das Leben nach. John Stuart Mill hat einmal gesagt: ‚Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glückliches Schwein‘. Das ist ein spannender Satz, aber in Wirklichkeit können wir uns das nicht aussuchen. Ich persönlich glaube allerdings so an diese Tätigkeit des Nachdenkens, wenn man dann zu der einen oder anderen kleinen Lösung oder der einen oder anderen guten Idee kommt, auch da steigt der Serotoninspiegel. Das macht glücklich.“

Und genau das soll die Liebe – trotz aller Widersprüche – auch mit Ihnen tun.

 

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Gabriel Barylli über Widersprüche in der Liebe:
 
Der Schauspieler und Autor ist mittlerweile zum fünften Mal verheiratet, hat im Zuge seiner Ehen, Scheidungen, Bücher und Theaterstücke viel über das Phänomen „Liebe“ nachgedacht. Bei unserer Begegnung im Juli 2006 hat er einen interessanten zusätzlichen Gedanken über streitende Sehnsüchte und den Widerspruch in Liebesbeziehungen auf den Frühstückstisch gelegt:
 „Es gibt Menschen, die kommen und erinnern dich auf eine unglaubliche Weise an das Glücksbild in dir. Das wäre: in der Beziehung Glück zu erleben, in der gemeinsamen liebenden Entwicklung. Doch es ist ein ganz großer Unterschied, ob dich ein Mensch an dich selbst erinnert oder ob er dein Partner ist. Es hat ja jeder Mensch eine aurische Wirkung auf dich, anziehend, abstoßend, fördernd, behindernd, und wenn du einem Menschen begegnest, dessen Aura auf dich so wirkt, dass sie dich stark macht und belebt, liegt die Vermutung nahe: Wir zwei sind ein Paar. Das muss aber nicht sein! Das bemerkt man erst, wenn man gewagt hat, sich einzulassen. Wenn schließlich beide erkennen: Partner sind wir nicht, obwohl wir eine starke Wirkung aufeinander haben, geht wieder jeder seines Weges. Dann hat das Leben gesagt: ,Ja, jetzt bist du wieder ganz deutlich erinnert worden, wer du bist, was du möchtest, wie du lieben kannst, was deine Vorstellung von Glück ist. Aber ihr zwei seid keine Partner.‘ Und das erkennt man im Erleben, im Miteinander, im Gefühl. Wie sagte auch Goethe: ,Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch.‘ Indem wir fühlen, wissen wir.“

Veränderung

Herbert Grönemeyer:
„Ich will jemanden mit meinen Gefühlen beschmeißen.“

Veränderung

„Ich will jemanden mit meinen Gefühlen beschmeißen.“

Herbert Grönemeyer

 

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Diese Geschichte ist exemplarisch, obwohl der Protagonist dieses Kapitels gerade mit dem Ausdruck seiner einzigartigen Kreativität und seiner besonderen Stimme die Massen fasziniert. Herbert Grönemeyer ist natürlich ein eigener Planet am Pop-Himmel. Ich möchte hier lediglich seine Liebes-Geschichte als Werdens-Geschichte beschreiben, als Beispiel für unsere wechselnden Gefühls- und Beziehungswelten im Lauf der Jahre, und für die punktuelle Bestandsaufnahme, die eine Interview-Begegnung bedeutet.

„Wer war am häufigsten zu Gast in deiner Sendung seit dem Beginn 1997?“, werde ich immer wieder gefragt. Natürlich waren es die Großen, die „A-Promis“, wie man es im modernen Boulevard-Alphabet herunterzählen würde: Roland Düringer, Niki Lauda, Udo Jürgens, Hermann Maier, Michael Niavarani, Benny Raich … Jedes Treffen in einer anderen Lebensphase. Wechselnde Themen, Abschiede, Single-Dasein, Eheschließungen, neue Karrieren. Genauso wie bei Herbert Grönemeyer. Viermal sind wir gesessen, Deutschlands größter Popstar und ich, haben gescherzt, gelacht, geredet und waren plötzlich sehr ernst, je nachdem auf welcher Station der Zug durch das Leben gerade haltgemacht hat.

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Beginnen wir die Reise. Departure: erste Frühstücks-Begegnung am 20. April 1998, Grönemeyer promotete sein Album „Bleibt alles anders“, Treffpunkt war, wie auch die nächsten Male, eine Hotelsuite, diesmal das „Vienna Plaza“. Österreichs Lieblingspiefke grinste, aß ein Käsebrot mit Zwergtomaten und verriet, dass er sonst Weizengras zu sich nehme, weil „es macht so ein kompaktes Gefühl“. Die Melancholie seines neuen Albums war mir bereits aufgefallen und machte mich hellhörig, er stritt jede Parallele mit seinem Leben ab: „Ich schreibe Liedtexte wie Drehbücher – es hat nichts mit meinem Leben zu tun.“ (Und gab dann bei unserem nächsten Frühstück zu, dass seine Frau zu diesem Zeitpunkt schon gegen den Krebs gekämpft hatte.) Herbert Grönemeyer Superstar, bei jedem Konzert von Tausenden umjubelt, von Frauen umschwärmt, doch in seiner Ehe konstant und glücklich, wie es schien. Anna Henkel war „eine der wenigen internationalen Filmstars in Deutschland“, als er sie 1979 am Set kennengelernt hatte. Die Liebe war, so wie der Einfall zu einem neuen Song, plötzlich groß da und wurde zu seinem privaten Hit. Station 1 von Herberts Beziehungsreise: die große Liebe.

 

Herbert, du stellst mit deinem soliden Privatleben eine Ausnahmeerscheinung in der Popwelt dar. Vor 5 Jahren hast du die Schauspielerin Anna Henkel geheiratet, seit 19 Jahren seid ihr zusammen. Ihr habt 2 Kinder, 8 und 10 Jahre alt. Wie hast du, der umjubelte Popstar, es geschafft, dein Familienleben stabil und glücklich zu halten?

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Grönemeyer: Ich bin Westfale, also ein sehr bodenständiger Mensch. Familie ist wichtig für mich. Außerdem glaube ich nicht an die Austauschbarkeit eines Menschen in einer Beziehung. Wenn man mit jemandem zusammen ist, durchlebt man gemeinsam harte und tolle Zeiten. Das gibt aber auch eine stabile Basis für das Leben. Ich habe das Glück gehabt, jemanden zu finden, der meinem Gefühl nach traumhaft zu mir passt. Deshalb stapfe ich aber nicht wie Klein-Jesus mit Plüschohren edel und redlich durch die Welt. Aber es muss schon viel passieren, dass man eine so stabile, tiefe Beziehung aus Sportlichkeit löst. Die Liebe hilft mir, in diesem verrückten Geschäft zu überleben. Sie hat mir über die Jahre viel Stabilität gegeben, weil ich immer wieder auf den Boden zurückgezogen wurde. Ich war oft in Gefahr, wegzufliegen.“

 

Ich kann die Zwischentöne hören, wie jeder, der mit wachem Ohr dabei ist. Wahrscheinlich nicht einfach, seiner Frau die Treue zu halten, wenn man von Fans vergöttert wird. Viel zu schnell sind unsere zwei Stunden Frühstückszeit vorbei. „Danke für ein wunderbares Frühstück. Ein Gedicht, das man interpretiert, ist kein Gedicht mehr“, schrieb Grönemeyer in mein Gästebuch und philosophierte, dass es mit dem Leben genauso wäre. Nicht zu Tode interpretieren, sonst wäre es kein Leben mehr. Legte mir das Gästebuch in die Hand, dann kam ein fester Händedruck, die Beteuerung, dass er sich schon auf das nächste Mal freue. Ob Höflich- oder Ehrlichkeit, egal. Es kam schneller als gedacht und es hatte nichts mit einem nächsten Album zu tun.

Zwei Jahre später trafen wir uns wieder in einer Hotelsuite, diesmal war es im „Ana Grand“ bei der Wiener Oper. Schmal war er und blass und sein Kommen alles andere als selbstverständlich, denn der Verlust seines Bruders und seiner Frau ein Jahr davor hatte seine Spur hinterlassen. Er hatte auf eine E-Mail reagiert, die ich auf Anraten seines Managements an Grönemeyer persönlich geschrieben hatte, nachdem er im „Stern“ sein Schweigen gebrochen hatte, seine Verzweiflung, die tiefe Trauer, sein Leben als Scherbenmeer beschrieb. In meiner E-Mail hatte ich ihm mein Mitgefühl ausgedrückt, ihn an unser Käsebrot mit den Kirschtomaten erinnert und an die Fans in Österreich. Seine Zusage kam überraschend, exklusiv für Ö3 und mich würde er zur Verfügung stehen, und dann ging alles ganz schnell. Wenige Tage später das Treffen in Wien, diesmal bestellte er grünen Tee. Ich weiß nicht, ob ich für ihn wirklich da war, sie war es, glaube ich, schon. Grönemeyer sah mich kaum an, starrte an die Wand, als spräche er zu ihr. Station 2 einer Liebes-Lebensreise und das Treffen mit demselben Gast in einer völlig neuen Situation. In dieser Station hält der Zug unseres Daseins oft viel zu lange. Sie heißt Trauer und Verlust.

 

Lebst du eigentlich mit der Erinnerung oder verdrängst du sie?

Grönemeyer: Ich lebe sehr stark mit der Erinnerung, weil wir einfach eine tolle Zeit zusammen hatten. Wunderbare 20 Jahre mit allen Ernüchterungen. Ich will das nicht glorifizieren, natürlich hatten wir alle Frustrationen. Aber wir haben uns relativ wenig gestritten und, wie ich glaube, sehr gut ergänzt. Also ich denke, die Erinnerung muss vorhanden bleiben und sie muss auch den Kindern erhalten bleiben. Anna ist nicht mehr da, aber sie darf denen ja nicht verschwinden. Wir reden viel über sie. Wir sagen auch, wenn das jetzt eine Situation mit ihr wäre, hätte sie das jetzt so und so gemacht, oder den hätte sie auch doof gefunden oder so. Viele Dinge gewinnen an unglaublicher Schärfe, die man im alltäglichen Zusammenleben gar nicht gesehen hat. Die Fehler, die man gemacht hat, die schönen Dinge, die man erlebt hat, und das Wertvolle, was der eine für den anderen eben war. Das bekommt jetzt eine ganz andere Schärfe.

 

Hast du sie lachend oder leidend in Erinnerung?

Grönemeyer: Lachend. Sie hat nie gelitten. Sie war eine Hamburgerin. Die Hamburger leiden nicht. Die Hamburger haben das Drama, dass sie manchmal, wenn man noch an Land schwimmen kann, nicht auch an Land schwimmen. Die gehen halt lieber mit dem Schiff unter, auch wenn das Ganze, alle Leute schon am Strand sitzen und eine Fete feiern. Sie sind einfach unglaublich diszipliniert. Das ist ja dieser Satz auch in „Nach mir“: Bin traurig, leide nicht. Eine Norddeutsche jammert nicht.

 

Also trotz der Krankheit? Sie muss ja große Schmerzen gehabt haben.

Grönemeyer: Ja. Das war ja ganz ihre Grandiosität. Sie war ja wirklich ein unglaublicher Mensch. Was mich auch echt verblüfft hat bis zum Schluss, im Grunde genommen. Mit unheimlicher Würde und Stolz hat sie das durchgestanden. Auf der anderen Seite war das für mich immer auch ein Signal, sie schafft das auch. Also sie hat die schwierigsten Phasen so überstanden. Natürlich habe ich auch versucht, ihr viel Optimismus zu geben. Jetzt ist die Frage, wie weit ich das noch hochhalten kann.

 

Wir sprechen über sein Haus in London und dass sie unbedingt umziehen wollte, aus Panik, die Presse könnte jetzt von ihrer Krankheit erfahren. Ein Haus, das Grönemeyer mit seiner Frau und den Kindern neu bezogen hat. Alles in diesem Haus erinnert an sie.

 

Hast du Fotos aufgestellt oder Fotos abmontiert?

Grönemeyer: Ich habe Fotos aufgestellt oder von den Kindern viele Dinge. Und natürlich habe ich jetzt nicht das Haus umdekoriert. Das haben wir ja zusammen eingerichtet in London, und da hat sie noch Möbel entworfen, und die haben wir noch bauen lassen. Sicherlich hat sie auch versucht, uns auch in Bedingungen zurückzulassen, in denen man auch wohnen kann, obwohl wir nie darüber gesprochen haben, dass sie es schon im Gedanken an ihren nahenden Tod macht. Also sie hat sich immer Mühe gegeben, dass das irgendwie alles schön ist. Konnte unheimlich toll einrichten. Hatte unheimlich gutes Gespür so für Optik und Mode und Bilder und Fotografie und was weiß ich. Ich will ja keinen Schlussstrich ziehen. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen und ist es. So gehe ich damit um.

 

Du singst ja auch, jede Illusion hat ihren Preis, in diesem wunderschönen Lied. Hast du das Gefühl, also wenn man das jetzt philosophisch betrachtet, das könnte der Preis sein, den du für deinen großen Erfolg zahlen musstest? Dass es so eine Art Gerechtigkeit gibt?

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Grönemeyer: Es gibt, glaube ich, keine Gerechtigkeit im Leben. Das ist das Gravierende. Das ist das Fatale, an das man sich dummerweise gewöhnen muss. Es gibt keine Gerechtigkeit, die der Mensch verstehen kann. Aber natürlich fragt man sich, ob diese Dynamik, die der Erfolg mit sich gebracht hat, nicht ein unglaublicher Stressfaktor war. Unglaublich schwer zu handhaben. Eingeschränktes Familienleben. Immer unter Aufsicht. Auf der anderen Seite sicherlich ein sehr luxuriöses Leben oder viel Geld oder man kann sich alles leisten oder so. Aber natürlich fordert so ein Erfolg auch enormen Tribut. Das ist keine Frage.

 

Grönemeyer nippte an seinem Tee. Die Früh wäre am schlimmsten, sagte er, und blickt versonnen in die Tasse, als würde sich Annas Gesicht darin spiegeln. Nun wieder eine Frau kennenzulernen wäre undenkbar für den Star. Aber er erklärte, dass so etwas wie eine weibliche Aura jetzt in seinem Haus fehlte – das Weiche, Warme, Empathische, die Gespräche mit Anna, das Gefühl, wirklich verstanden zu werden. „Weil eine Frau einfach ganz anderes redet und anders denkt und das fehlt mir ganz extrem. Ganz, ganz extrem.“ Die Angst vor dem Tod wäre jetzt allerdings geringer. „Weil ich eben das erlebt habe und ich merke, dass ich wesentlich angstfreier bin.“

 

Weil es auch ein Wiedersehen geben könnte?

Grönemeyer: Mit Sicherheit. Ja. Ich denke schon. Ich meine, da gibt es ja auch genügend Bücher darüber oder auch Erforschung von dieser Kübler-Ross. Aber letztendlich besteht, denke ich, schon die Chance, und daran glaube ich schon, dass man den anderen auch wiedersieht und dass der einen auch letztendlich abholt und dann auch vorausgegangen ist und sagt, du bleibst noch gefälligst. Ich mach’ schon mal alles schön und dann kannst du irgendwann mal kommen. Dann sehen wir mal weiter.

 

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Die Welle an Mitgefühl nach der Sendung am 21. November 1999 war gigantisch, Briefe und E-Mails wurden zu Ö3 geschickt, um dem Trauernden Beileid auszusprechen, „ich konnte während des Gesprächs nicht aus dem Auto aussteigen“, sagten mir viele, und, schnell gefragt, gehört dieses Treffen mit Grönemeyer sicher zu meinen unvergesslichen Begegnungen, voll schmerzvoll-berührender Magie.

„Das heilt keine Zeit“ sang er in seinem Song „Sie“. Gott sei Dank war es anders. Wir kommen zur dritten Frühstücks-Begegnung, es ist Frühling und das Jahr 2006. Wieder ein Hotel, und wieder eine neue Lebensphase. Diesmal war Hoffnung im Raum. „Die Liebe ist da, für jeden, der dafür bereit ist“, hat Georg Danzer einmal zu mir gesagt, und es stimmt sehr oft. Tauwetter. Die Gefühle, die das letzte Mal „im Eisblock gesessen sind“, durften wieder zum Vorschein kommen. Wir saßen bei Kiwi und Ananas, diesmal im Hotel „Triest“. Sonja Fuchs hieß seine neue Freundin, sein neues Album „Zwölf“, der 51-Jährige war gut gelaunt, kicherte. Station 3 einer Liebes-Lebensreise: nach der großen Starre die überbordende Lebendigkeit und wieder eine Frau an seiner Seite. In einer Diskothek in der Schweiz hatte sie ihn angesprochen, kannte weder ihn noch seine Songs, irgendwie hat sie etwas zum Schwingen gebracht, und schon waren wieder Gefühle da.

 

Herbert, du hast auf deinem neuen Album den Song „Du bist die“ deiner Freundin Sonja gewidmet. „Du bist die, die mich atmet, die mich fliegt. Die mich rührt und die mich stählt.“

Grönemeyer: Unglaubliche Lyrik. (lacht)

 

Wie leicht war es denn überhaupt jetzt in deinem Leben, eine neue Liebe zuzulassen?

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Grönemeyer: Natürlich waren meine Emotionen blockiert nach allem, was passiert ist. Und dass das schon eine Zeit braucht, bis der Schrank wieder aufgeht. Aber wenn man jemanden trifft und es funkt wieder, dann kann man sich ja auch nicht wehren. Das ist ja auch das Schöne daran.

 

Du singst „Du bist die, die mich atmet, die mich fliegt, die mich spiegelt, die mich liest. Wenn du es willst, bist du alles, das was zählt“ – eine große Liebeserklärung an Sonja. Was macht sie aus? Wann atmet dich eine Frau?

Grönemeyer: Ich möchte in diesem Lied einfach eine Situation beschreiben. Da sind zwei Menschen, die sich zusammen auf den Weg machen. Aber muss man sich halt immer gewahr sein, dass es auch sehr schnell kaputt geht. Und eben auch anfangen, zu begreifen, dass jeder eigenständig ist und dass man nicht anfangen soll, an dem rumzuschrauben und sich den so zurechtstutzt, wie man ihn gerne hätte. Und damit irgendwo auch die Zeit verliert. Das singe ich eben auch. „Wenn die Sehnsucht dich verlässt, dann gib mir ein Signal und sag, es ist vorbei“ meint, wenn wir uns jemals mal trennen würden, dann sollten wir eben das auch in einer Form machen, die uns nicht das Gewesene zerstört. Das streben wir sicher beide an. Dass man im Grunde dankbar dafür ist, dass dieses Gefühl der Liebe da ist, aber auch immer der Endlichkeit gewahr ist. Das ist sicherlich ein Teil dessen, was sich mir im Leben auch gezeigt hat.

 

Und dann ist es auch zur Trennung gekommen, in aller Stille. Signale wurden erkannt. Wieder ein Stück der Lebens-Liebesreise zurückgelegt, es geht weiter, mit einer neuen Wegbegleiterin, einer 36-jährigen Ärztin angeblich. Wir treffen uns wieder zum Frühstück, im April 2011, Hotel „The Ring“. Ein bisschen runder ist Gröni geworden und lacht: „Ich nenne das meinen Ten-Pack. Ab 50 muss man sich eben für das Gesicht oder den Körper entscheiden, und mager macht faltig.“ Das Album heißt diesmal „Schiffsverkehr“, handelt von Freiheit und Abenteuer und dass es irgendwann Schluss sein soll mit der Schwere des Gemüts und „dem fixen Problem“. Station 4 in Grönemeyers Liebes-Lebensreise: heiter, frisch verliebt, aus unfassbarem Grund.

 

Auf deinem Album gibt es wieder wunderschöne Balladen, zum Beispiel „Unfassbarer Grund“. Ein Liebeslied. Die Frauen werden da natürlich gleich anspringen und Sternderln in den Augen haben.

Grönemeyer:

Ist das wieder jemand Speziellem gewidmet?

Gewidmet also einer Person, die dein Leben begleitet?

Du hast in einem „Zeit“-Interview von der Sehnsucht nach einer ultimativen Liebe gesprochen. Gibt es noch den Wunsch nach etwas Größerem?

Dieses Interview endete mit der Frage: Glaubst du noch an die Liebe? Da habe ich gesagt: Ja natürlich glaube ich daran. Warum auch nicht? Wenn ich jetzt mir überlege, meine Tochter ist jetzt Anfang 20 und hat einen Freund. Nehmen wir an, die Beziehung wäre jetzt zu Ende und sie würde mir sagen: „Jetzt krieg’ ich keinen mehr. Das war’s.“ Dann würde ich sagen: „Sag mal, spinnst du?“ – „Nein. Das war jetzt so ultimativ. Das kommt nie wieder.“ Das meine ich. Das ändert sich nicht. Ob ichnun 22 bin oder 74. Es lohnt sich, an die Liebe zu glauben. Warum soll nicht immer wieder jemand auftauchen, mit dem esplötzlich passt oder wo man sagt, mein Gott, ist das eine Schönheit oder das macht Spaß, gibt mir Stärke, ist erotisch. Natürlich glaube ich daran. Das wäre auch absurd, wenn man es nicht tut.

Findest du nicht, man verliebt sich mit 50 plus anders als mit 30 plus?

Udo Jürgens hat einmal zitiert, wenn man ein bisschen älter wird, dass man auch ein bisschen kälter wird … Spürst du das?

Die Sehnsucht nach Liebe treibt einen?

So hat er sich also gestaltet, der Weg von Herbert Grönemeyer, gelegt aus dem Mosaik seiner Liebesgeschichten. Aufbau und Geborgenheit, Verlust und tiefster Schmerz, Trauer, Hoffnung, Aufbruch und immer wieder ein neuer Anfang. Ab und an durfte ich dazustoßen, mit der entscheidenden Frage: „Und wo stehst du gerade?“ Die Stationen waren vielfältig, doch ein Satz säumt die Strecke: Es lohnt sich, an die Liebe zu glauben. Und den nehmen wir gerne auf unserer Reise mit.