Im großen Wettlauf des Lebens gibt es einige Christen, die aus der Masse herausragen. Ich nenne sie Menschen mit Ausdauer. Je länger sie laufen, desto stärker werden sie. Sie scheinen folgende geistliche Qualitäten zu besitzen:
Die Christen, deren Bedrängnis so groß war, dass sie in Gefahr standen, ihr Gottvertrauen zu verlieren, erinnert der Verfasser des Hebräerbriefes an die Abenteuer der großen biblischen Helden. Sie waren Männer und Frauen mit einem unerschütterlichen Glauben, die ersten Christen mit Ausdauer. Dann stellt er diese Sieger als Zuschauer bei einem sportlichen Wettkampf dar und ruft seine Leser zu einem großen Rennen an den Start.
Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Ausdauer in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. (Hebräer 12,1–3)
Simon Petrus sprach zu Jesus: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. (...) Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. (Lukas 5, 8+10)
Tief verankert in meinem Gedächtnis ist das Bild von einer weißen Anschlagtafel. Sie besteht, oder vielmehr bestand, aus einem einfachen Holzbrett (ungefähr 60 Zentimeter mal ein Meter fünfzig), das auf zwei senkrechte, zehn mal zehn Zentimeter dicke Pfosten genagelt war. In diesem Brett waren mindestens tausend alte Reißzwecke versenkt, die an die vielen Blätter erinnerten, die irgendwann einmal auf dieser Anschlagtafel angebracht gewesen waren. Diese Anschlagtafel stand in der Nähe der oberen Kurve einer Aschenbahn an der Stony Brook School, an der Nordküste von Long Island, New York.
Die Zettel, die jeden Wochentag gegen Mittag auf die Anschlagtafel geheftet wurden, spielten in den drei Jahren, die ich als Schüler in Stony Brook verbrachte, eine wichtige Rolle in meinem Leben.
Einige betrachteten dieses weiße Anschlagbrett als das persönliche Eigentum von Marvin W. Goldberg (MWG war sein bestens bekanntes Kürzel). Er war in Stony Brook der Trainer der Laufmannschaft. Ich kann ihn jetzt noch vor mir sehen (fast fünfzig Jahre später), wie er sein Büro verlässt – kurz vor dem Klingeln der Mittagsglocke – und zur Aschenbahn geht. In der einen Hand hat er mehrere Blätter Papier, und in der anderen Reißnägel, mit denen er die Blätter an das Brett heftet.
Auf den Blättern stand mit blauer Tinte aus der breiten Spitze von Goldbergs Füller das individuelle Trainingsprogramm für jedes Mitglied seiner Mannschaft: Aufwärmen, Konditionstraining und Technikübungen.
Läufer, deren Name, wie meiner, mit einem M begann, standen normalerweise auf dem dritten oder vierten der sieben Blätter, die Goldberg an das weiße Brett heftete. Neugierig trabte ich oft zur Aschenbahn hinunter, sobald der Trainer wieder fort war, um zu erfahren, was er an diesem Tag für mich plante.
Wenn ich es nicht schaffte, selbst zur Anschlagtafel zu laufen, taten dies andere Mannschaftskameraden. Beim Mittagessen konnte man dann die Läufer zueinander sagen hören: »Du wirst nicht glauben, was Goldberg heute für dich vorhat!« oder »Dich beneide ich heute Nachmittag wirklich nicht!« Nie sagte jemand: »Heute wartet ein gemütlicher Nachmittag auf der Aschenbahn auf uns! Goldberg lässt uns bis zum Umfallen laufen. Ich kann es kaum erwarten.«
Um fünfzehn Uhr dreißig begann für das Laufteam das Training. Zuerst kam das unerbittliche Aufwärmen, dann das Konditionstraining mit dem Ziel, Ausdauer und Geschwindigkeit zu erhöhen, und zum Schluss die Technikübungen: Verbesserung der Schrittlänge, Übung der Stabübergabe, Gespräch über die Wettkampfstrategie und so weiter.
Das Konditionstraining, von dem jede Einheit ungefähr zwei Stunden dauerte, war von Trainer Goldberg sorgfältig ausgearbeitet worden. Die Übungen waren nicht aus einer Laune des Trainers heraus entstanden. Alles stand in Übereinstimmung mit einem persönlichen Plan, der für jeden einzelnen Läufer Monate (wenn nicht sogar ein ganzes Jahr) vorher aufgestellt worden war. Wenn man ihn fragte, warum man an einem verschneiten Donnerstagnachmittag im Januar bestimmte anstrengende Übungen machen musste, konnte man zur Antwort bekommen: »Wenn du das jetzt schaffst, ermöglicht dir das, beim Penn-Staffelwettbewerb Ende April 400 Meter in (hier nannte er eine bestimmte Zeit) zu schaffen. Dann fügte er noch hinzu: »Alles was wir heute tun, zahlt sich Ende Mai aus. Du wirst schon sehen.«
Die Stabübergabe in der Staffelmannschaft ist ein gutes Beispiel für das Techniktraining: Fünfundzwanzig Minuten Stabübergabe bei voller Geschwindigkeit üben. Ermüdend! Der Trainer erinnerte die Staffelmannschaft wiederholt daran, dass knappe Rennen bei der Stabübergabe gewonnen oder verloren werden. Das rechtfertigte sein Bemühen um das perfekte Timing bei der Übergabe. Einen Stab bei der Übergabe fallen lassen? Undenkbar! Das hätte Marvin Goldberg unglücklich gemacht.
MWG war sich dessen bewusst, dass einige von uns hinter seinem Rücken über das endlose Einüben der Stabübergabe klagten. »Du bist dein ganzes Leben lang Teil von Staffelmannschaften«, sagte er eines Tages zu mir. »Wenn du eine Familie hast oder wenn du mit Leuten im Beruf zusammenarbeitest, wird es Augenblicke geben, in denen du eine wichtige Botschaft oder Aufgabe an jemanden weitergeben musst. Bei diesen Stabübergaben im Leben passieren die meisten Fehler und beginnen oft die Probleme. Übe also jetzt diese Art der Stabübergabe ein, und du wirst später für wichtigere Übergaben bereit sein.«
Ich brauchte Jahre, bis ich die größere Perspektive des Trainers schätzen lernte. Als Jugendlicher sah ich darin nicht viel mehr als die Übergabe eines Stockes von einer Hand in die andere. Aber Goldberg sah alles unter dem Gesichtspunkt, Menschen für die Zukunft aufzubauen. Ich konnte damals noch nicht so weit vorausschauen.
Ich habe schon oft über Marvin Goldberg und den unauslöschlichen Eindruck, den er in meinem jungen Leben hinterlassen hat, geschrieben und gesprochen. Er war ein ernster Mann, der von jedem das Beste erwartete. Menschen, die ihn kannten, würden wahrscheinlich nicht behaupten, dass er einen großen Sinn für Humor hatte, aber sie erinnern sich bestimmt an seine Leidenschaft für Perfektion und totale Hingabe. Zweifellos erinnern sie sich auch an seinen Ehrgeiz, jungen Männern (und später, als an Stony Brook weibliche Schüler zugelassen wurden, auch jungen Frauen) zu helfen, ihr menschliches Potenzial zu entwickeln, und sie werden nie vergessen, dass es sein Wunsch war, den lebenslangen Gehorsam gegenüber Gott zu ihrem höchsten Ziel zu machen.
Ich kam in meinem zweiten Highschooljahr nach Stony Brook. Ich kam mit der Absicht, Football zu spielen. Ich träumte von dem Tag, an dem der Footballtrainer mir beim Sportlerempfang ein großes »S« überreichen würde. Dass er sagen würde: »Und jetzt eine Auszeichnung für Stony Brooks größten Running Back und den besten Spieler dieses Jahres ...« Der Buchstabe würde auf einen weißen Strickpullover genäht werden, und in meiner Fantasie bat irgendein hübsches Mädchen mit Pferdeschwanz, ob sie den Pullover für einen Nachmittag anziehen dürfe.
Die größte Hürde zwischen mir und diesem »S« bestand leider darin, dass ich dürr war wie eine Bohnenstange. Und das stellte mich in den ersten Tagen des Herbstfootballtrainings vor ernste Probleme. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, dass von mir erwartet würde, gegen Spieler anzurennen, die erheblich (und das ist eine Untertreibung!) stämmiger gebaut waren als ich. Niemand hatte mir erzählt, dass diese Riesen einem mit Vergnügen wehtaten. Da ich nicht besonders viel von blauen Flecken und Schrammen hielt, waren meine Tage als Footballspieler gezählt.
Ich stelle mir ein Telefongespräch zwischen den Footballleuten und Trainer Goldberg vor. »Marvin, wir haben hier einen Jungen. Er ist, ehrlich gesagt, ein kleiner Jammerlappen. Er tut sich nicht gern weh. Aber dieser Jammerlappen kann gut laufen. Vielleicht möchtest du ihn dir anschauen. Es wäre nicht schlecht, wenn du das bald tun könntest. Wir brauchen seinen Spind und seine Schoner.«
Ich weiß natürlich nicht, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat oder nicht. Tatsache ist, dass ich vom Footballtrainer an den Lauftrainer weitergereicht wurde. Am nächsten Tag meldete ich mich in einer Badehose und mit hohen Trainingsschuhen auf der Aschenbahn. Mehrere zähe, schnelle, konditionsstarke Läufer, die bereits auf der Aschenbahn ihre Runden drehten, grinsten.
In den ersten Tagen lief ich viel, und Trainer Goldberg stoppte meine Zeiten. Er schaute mir zu, machte dann ein paar Vorschläge zu meinen Armbewegungen, meiner Kopfhaltung oder meiner Schrittlänge. Er verteilte nur selten Komplimente und kritisierte viel. Mein Selbstvertrauen – das auf dem Footballfeld bereits sehr angeschlagen worden war – sank noch tiefer, da dieser Mann kein einziges Wort darüber verlor, welchen Eindruck er von meinen Laufqualitäten hatte. Nichts! Ich begann daran zu zweifeln, dass ich jemals das große »S« von Stony Brook bekäme, weder als Footballspieler, noch als Läufer. Alles, was Goldberg am Ende einer Übungseinheit sagte, war: »Bis morgen.« Also trat ich am nächsten Tag wieder an.
Doch eines Tages rief mich Goldberg zu sich, als ich gerade eine Reihe Sprints hinter mir hatte: »Gordie, komm bitte her.« Gordie. Der Trainer hatte mir einen neuen Namen gegeben. Die Footballtrainer hatten mich einfach MacDonald oder Mac genannt. Aber für Marvin Goldberg war ich ab dem ersten Tag »Gordie«. Mir gefiel dieser Name, und – so seltsam es klingen mag – er veränderte das Bild, das ich von mir selbst hatte. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, »Gordon« sei der Name eines alten Mannes. Er hatte mir nie gefallen. Hatte MWG das geahnt? Heute bin ich ein älterer Mann, und ich bin wieder für alle Gordon. Nur meine Frau nennt mich immer noch »Gordie«, besonders wenn sie mit mir zufrieden ist. Ein »Gordon!« aus ihrem Mund ist eine Sturmwarnung.
Als ich meinen neuen Namen hörte, lief ich in Goldbergs Richtung. Er stand neben der weißen Anschlagtafel. Als ich bei ihm ankam, legte mir Goldberg die Hand auf die Schulter und begann zu sprechen. Ich versuche, mich nach den vielen Jahren so gut wie möglich an seine Worte zu erinnern: »Gordie, ich habe dich genau beobachtet. Ich glaube, du hast das Zeug zu einem ausgezeichneten Läufer. Du hast den Körper eines Läufers und ein natürliches Talent. Und du bist schnell. Aber du musst noch viel lernen. Wenn du für Stony Brook in einem Wettkampf laufen willst, musst du schwer arbeiten. Du musst Selbstdisziplin üben, und das heißt, dass du mir vertrauen und meine Anweisungen befolgen musst. Jeden Tag musst du auf diese Aschenbahn kommen und das Training absolvieren, das auf dieser Anschlagtafel steht. Also, Gordie (der Trainer wiederholte oft den Namen seiner Läufer), lass dich nicht darauf ein, wenn du nicht bereit bist, alles was du hast, dafür zu geben.« Dann stellte er mir die folgenschwere Frage: »Gordie, bist du bereit, den Preis zu zahlen, den es kostet, ein Stony-Brook-Läufer zu werden?«
Wenn ich jetzt mit etwas größerer Weitsicht zurückblicke, begreife ich, wie wenig Ahnung ich davon hatte, was dieser Mann da sagte. Ich hörte die Worte, verstand aber ihre Bedeutung kaum. Ihm vertrauen? Seine Anweisungen befolgen? Den Preis zahlen? Noch nie hatte jemand so mit mir gesprochen! »Klar, warum nicht?«, dachte ich. »Vielleicht bekomme ich dann doch noch ein ›S‹.«
Ich glaube, dass ich an jenem Tag, an dem Marvin Goldberg mich zur weißen Anschlagtafel rief, meine ersten ernsten Schritte unternahm, um ein Mann zu werden. Ich glaube sogar, die Aschenbahn verhalf mir zu meinem heutigen Verständnis davon, was Leben heißt, und insbesondere, was christliches Leben heißt. Goldberg lud mich ein zu entdecken, was Ausdauer ist. Ein sehr wichtiger Begriff auf meinem geistlichen Weg. Heute weiß ich, dass ich zuerst als Sportler lernte, was Ausdauer heißt. Erst später und ganz langsam lernte ich das auch als Nachfolger Jesu.
Aus diesem Grund zieht sich die Geschichte von Marvin Goldberg wie ein roter Faden durch dieses Buch. Das, was er mich lehrte, als ich sechzehn war, bestimmt in großem Maß, wie ich heute, mit fünfundsechzig Jahren, lebe.
An jenem unvergesslichen Tag verlangte der Trainer von mir keine sofortige Antwort. Vielmehr sagte er: »Geh jetzt von der Aschenbahn nach Hause und denk über das nach, was ich dir gesagt habe. Wenn du entschieden hast, was du willst, komm wieder und lass es mich wissen.«
Einen Tag später sagte ich Marvin Goldberg, dass ich ihm vertrauen wollte, und dass ich bereit sei, den Preis zu zahlen. Am nächsten Tag tauchte mein Name zum ersten Mal auf dem dritten der sieben Blätter, die auf das weiße Anschlagbrett geheftet waren, auf.
Vier Monate später trug ich meinen ersten weißen Pullover mit einem großen »S«.
Vor ein paar Jahren lud mich der Rektor der Stony Brook School ein, die Rede bei den bevorstehenden Abschlussfeiern zu halten. Ich sagte sofort begeistert zu. Obwohl es bis zu dieser Veranstaltung noch mehrere Monate dauerte, malte ich mir aus, wie es wäre, auf dieses schöne Schulgelände zurückzukehren, das in den 50er Jahren drei Jahre lang mein Zuhause gewesen war.
Ich habe Stony Brook geliebt, und ich war immer dankbar für das Opfer, das meine Eltern auf sich genommen hatten, um mich dorthin schicken zu können. Die Männer und Frauen, bei denen ich in die Schule ging, waren solide, reife, noble Menschen gewesen. Durch sie habe ich ein wunderbares Gesamtbild davon bekommen, was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein. Ich begegnete Beispielen von guten Ehen, überdurchschnittlichen Charakteren und klugen Köpfen. Und niemand hat das für mich stärker repräsentiert als Marvin Goldberg.
Jetzt, Jahrzehnte später, sollte ich als Redner bei einer Abschlussfeier zurückkehren. Ich wollte, dass meine Frau Gail mitkäme. Außerdem wollte ich unsere zwei ältesten Enkelkinder Erin und Lucas auch an diesem Erlebnis teilhaben lassen. Ich konnte mich sehen, wie ich sie über den Campus führte und ihnen die Orte zeigte, mit denen ich besondere Erinnerungen verband.
Als Erstes würde ich sie zur Bibliothek führen, überlegte ich, wo ich unzählige Stunden über Büchern verbracht hatte. Dann würde ich ihnen meinen alten Schlafsaal im dritten Stockwerk zeigen, wo ich ein unvergessliches Abschlussjahr verbracht hatte.
Ich hatte vor, die Kapelle zu besuchen, ein schönes, traditionelles Anbetungshaus mit einem kleinen Turm. Ich hatte mich oft nach dem Lauftraining in diesen kleinen Raum der Stille zurückgezogen und Klavier gespielt, während die Dunkelheit sich über den Campus legte.
Aber der beste Augenblick bei dem Besuch in Stony Brook würde es sein, wenn ich Gail, Erin und Lucas mit zur Aschenbahn nehmen würde, auf der ich so viele Nachmittage verbracht hatte. Ich stellte mir vor, wie ich ihnen die weiße Anschlagtafel zeigen und ihnen meine Spannung beschreiben würde, während ich auf diesem dritten Blatt meinen Namen suchte um zu erfahren, welches Training Trainer Goldberg für mich ausgearbeitet hatte.
Schließlich kam das Wochenende. Genau wie ich es geplant hatte, besuchten wir die Bibliothek, besichtigten meinen alten Schlafsaal und warfen einen Blick in die Kapelle. Dann ging es weiter zur Aschenbahn.
Aber die Aschenbahn – meine Aschenbahn – war nicht mehr da! Alles war anders. Die Laufbahn war verlegt worden, und die neue hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem, was ich gekannt hatte. Diese Bahn hier hatte eine moderne, witterungsbeständige Laufoberfläche. Auf dieser neuen Bahn hätte ich Weltrekorde laufen können!
Die weiße Anschlagtafel? Auch fort! Was war aus ihr geworden? Und warum war ich so enttäuscht, als ich sie nicht fand?
Meine starken nostalgischen Gefühle zeigten, wie sehr mein Leben während jener Jahre in Stony Brook verändert worden war. Ich war als Junge dorthin gekommen. Als ich wegging, war ich ein Mann. Ich kam hin und fragte mich, was im Leben von mir erwartet würde. Als ich wegging, hatte ich einige Antworten. Ich kam dorthin und war auf der Suche nach Vorbildern für christliche Reife. Als ich wegging, hatte ich sie gefunden. Einen großen Teil dieser Entdeckungen machte ich auf Marvin Goldbergs Aschenbahn. Vielleicht war ich deshalb so erschüttert, als ich feststellte, dass sie nicht mehr da war.
Drei Jahre lang war ich fast jeden Nachmittag mit Laufschuhen in den Händen zu der weißen Anschlagtafel gegangen und hatte den Trainingsplan für den Tag betrachtet. Keine dieser Trainingseinheiten war je leicht gewesen. Bis ich endlich kapierte, dass der Trainer nie nachgeben würde, versuchte ich manchmal, wegen der einen oder der anderen Übung mit ihm zu verhandeln.
»Sir, haben Sie wirklich gemeint, dass ich heute zehnmal 400 laufen soll? Ich weiß nicht, ob ich ...«
»Sir, ich wollte nur fragen, ob Ihr Füller vielleicht ausgerutscht ist, als er fünf Meilen Konditionstraining schrieb.« Es war leichter, Goldbergs Füller in Frage zu stellen als Goldberg selbst.
»Sir, wir haben gestern zwölfmal 200 gesprintet; wollten Sie wirklich, dass ich heute fünfzehnmal 200 sprinten soll?«
»Sir, ich bin erkältet. Ich habe rasende Kopfschmerzen. Ich habe mir das Schienbein angeschlagen ... Sir, ich glaube, ich sterbe!«
»Was ist, Gordie?«, sagte er dann zu mir. »Warum fängst du nicht an, dich aufzuwärmen? Du wirst dich viel besser fühlen, wenn du dich gelockert hast.« MWG ließ nicht mit sich handeln. Er hatte Pläne für seine Läufer, und er hatte die Absicht, sich daran zu halten. Er wusste, dass ich (und andere) zu guten Leistungen fähig waren. Das heißt, dass er mehr an uns glaubte, als wir selbst an uns glaubten.
Aber ich möchte es noch einmal betonen: Was ich damals nicht verstand (was ich aber jetzt verstehe), war, dass Goldberg in die Zukunft sah: Er sah unser Leben mit fünfunddreißig, siebenundvierzig oder achtundfünfzig – wenn wir eine viel größere Verantwortung tragen und nicht auf die Verführungsrufe von Schnupfen und Kopfschmerzen und andere Ablenkungen würden hören dürfen, sondern das würden tun müssen, was getan werden musste. Er half uns, mit fünfzehn und sechzehn zum ersten Mal zu erfahren, dass derjenige Befriedigung im Leben erfährt, der Selbstbeherrschung praktiziert, und der bereit ist, seinen Körper und seinen Geist zu fordern und natürliche Widerstände zu überwinden. Wir dachten an Bequemlichkeit. Er dachte an ... Ausdauer.
Heute – fünfundvierzig Jahre später – lebt Trainer Goldberg im Himmel. Aber er lebt auch in meinem Herzen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an seinen Einfluss auf mein Leben erinnert werde.
Ich bin in meinem 65. Lebensjahr und laufe in unserer Kleinstadt in New Hampshire über die Shaker Road. Es nieselt leicht; meine Beine sind schwer. Und eine Stimme in mir schlägt vor, dass ich umkehre.
Aber dann ertönt irgendwo in meinen Erinnerungen die Stimme des Trainers: »Wenn du jetzt aufgibst, Gordie, kann es leicht passieren, dass du später bei etwas Wichtigerem auch aufgibst.« Also laufe ich weiter, weil der Trainer nicht locker lässt.
Der Abgabetermin für etwas, das ich zu schreiben versprochen habe, rückt immer näher. Ein Teil von mir will dem Lektor eine E-Mail schicken und ihm sagen, dass ich zu viel zu tun habe und meine Verpflichtung nicht einhalten kann. Wieder meldet sich Goldberg zu Wort: »Gordie, du hast eine Verpflichtung einzuhalten. Du hast dein Wort gegeben.«
Ein Enkelkind ruft an, um zu fragen, ob wir uns treffen können. Für einen kurzen Moment bin ich versucht, es auf ein anderes Mal zu vertrösten, weil ich dringende Dinge zu erledigen habe, die mir so wichtig erscheinen. Und ich höre den Trainer sagen: »Gordie, Männer und Frauen wie ich waren für dich da. Denk darüber nach ...«
In meiner Geschäftigkeit bin ich versucht zu verdrängen, dass ich mir Zeit nehmen muss, um meine Seele ruhig werden zu lassen und auf Gott zu hören. Sehr häufig meldet sich in solchen Momenten der Trainer zu Wort: »Gordie, wie oft haben wir darüber gesprochen, wie wichtig dein Training ist und dass es dich auf das Rennen vorbereitet? Deine Kondition wird Tag für Tag durch das Training aufgebaut. Aber du musst auch deine Seele trainieren.«
Ich sage Ihnen, der Trainer »lebt«. Und was höre ich immer wieder von ihm? Dass das Rennen des Lebens ein Langstreckenlauf ist, kein Sprint. Ich muss ein geistliches Leben entwickeln, das diese Entfernung zurücklegt und nie den Blick auf den Führungsläufer verliert, auf Jesus. Das ist der Beginn eines Lebens mit Ausdauer.
In Stony Brook wurde ich zu einem sehr guten Läufer, aber ich wurde nie der herausragende Läufer, für den Marvin Goldberg das Potenzial in mir sah. Zwar gewann ich die meisten Rennen, in denen ich antrat, und bekam für jede Saison, in der ich in Wettkämpfen lief, mein großes »S«, aber es lässt sich nicht leugnen: Ich hätte viel, viel mehr schaffen können.
Ein weiterer Aspekt von Goldbergs Vorstellung von sportlichen Leistungen wurde in meinem letzten Schuljahr deutlich, in dem ich für die Mannschaft viele Punkte holte: Die Trophäe »Läufer des Jahres« – die Trophäe, die wir alle anstrebten – überreichte er einem anderen Läufer: Einem Läufer, der sehr hart trainierte und die gesteckten Ziele übertraf. Und ich? In jenen Tagen gab ich mich zu oft damit zufrieden, nur so viel zu tun, dass ich meinen Gegner schlug. In MWGs Augen war das zwar ganz nett, aber es genügte nicht, um die Trophäe als Läufer des Jahres zu verdienen.
Trotzdem habe ich eine sehr eindrückliche Lektion gelernt, die ich seit fünfzig Jahren nicht vergessen habe. Seit jenen Tagen auf der Aschenbahn habe ich ein Verständnis für Marvin Goldbergs Methode bekommen, Sportler aufzubauen. Und was noch wichtiger ist: Er zeigte mir, wie man ein Leben als Nachfolger Jesu führen kann. Damals ahnte ich nicht, wie tief mich die Art des Trainers beeinflussen würde. Ich wusste nicht, dass ich fast jeden Tag meines Lebens bei meinen Entscheidungen seine Prinzipien anwenden würde.
Auch wenn es MWGs unmittelbares Ziel war, Sportler mit Ausdauer aus uns zu machen, glaube ich, war es sein langfristiges Ziel, Christen mit Ausdauer aus uns zu machen. Eines Tages sagte er zu seiner Crosslauf-Mannschaft: »Wenn ihr euch morgen der Ziellinie nähert, dann sprintet, selbst wenn niemand in eurer Nähe ist. Außerdem will ich, dass ihr nach der Ziellinie noch vierhundert Meter in einem guten Tempo weiter lauft.« Wir trauten unseren Ohren nicht. Über acht Kilometer laufen, dann sprinten und dann noch einmal vierhundert Meter weiter laufen?
»Sir, Sie scherzen, oder?«
»Gordie, die Mannschaften, die bei den nächsten Wettkämpfen gegen euch antreten, werden hören, dass die Stony-Brook-Läufer das machen. Und sie werden begreifen, dass wir viel mehr Kondition haben als sie. Das wird ihnen etwas zu denken aufgeben.«
Viele Jahre später erinnerte ich mich an diese Strategie, über die Ziellinie zu sprinten und dann noch vierhundert Meter weiter zu laufen. Ich musste lachen. Goldberg hatte sich in Wirklichkeit nicht sehr für die anderen Mannschaften interessiert. Diese Strategie war auf uns ausgerichtet. Mit dieser Taktik hatte er uns zeigen wollen, dass wir viel mehr Kondition hatten, als wir selbst glaubten. Außerdem sollten wir daraus lernen, wie wichtig es ist, jedes Wettrennen im Leben kraftvoll zu Ende zu führen und mehr zu leisten als nur das Minimum.
Im Laufe der Jahre, in denen ich tausendmal über meine Tage auf der Aschenbahn nachgedacht habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Marvin Goldbergs Training meine Grundeinstellung zum Leben als Christ stark geprägt hat. Wenn er heute bei uns wäre, würde er vielleicht andere Worte benutzen als ich, aber ich glaube, er würde mir zustimmen, wenn ich sage, dass er versuchte, vier Dinge zu erreichen:
»Ich sorge dafür, dass euch das Training weh tut«, sagte er oft, »damit der Wettkampf ein Vergnügen wird.« Das war seine Art, uns daran zu erinnern, dass es im Leben immer wieder anstrengende Zeiten gibt. Wir sollten uns daran gewöhnen.
Selbstdisziplin war immer gefragt. In kleinen Dingen genauso wie in großen. In der einen Minute bedeutete Selbstdisziplin vielleicht, sich anzustrengen, um einen persönlichen Rekord auf der Aschenbahn aufzustellen. In einem anderen Moment ging es um scheinbar unwichtige Kleinigkeiten:
Als wir einmal in den Mannschaftsbus stiegen und zu einer anderen Schule fuhren, hielt der Trainer mich an. »Gordie«, sagte er. »Deine Krawatte ist locker. Binde sie bitte fest. Stony Brookers reisen mit Würde.«
Ein anderes Mal stand ich an der Startlinie eines 800-Meter-Laufs. Die Läufer tänzelten mit ihren Spikes auf der Stelle und warteten darauf, dass die Startpistole gehoben würde. Plötzlich hörte ich eine leise Stimme hinter mir: »Gordie, dein Hemd steckt hinten nicht in der Hose. Stony Brookers tragen ihre Mannschaftsuniform mit Stolz.«
Die Abschlussklasse hatte eine Party geplant, die bis spät in die Nacht dauern würde. »Gordie, ich weiß, dass du dich auf Freitagabend freust, aber du hast am Samstagnachmittag einen Wettkampf. Es kann von dir abhängen, ob die Mannschaft gewinnt oder nicht. Deshalb bitte ich dich, um halb zehn die Party zu verlassen.«
Marvin Goldberg glaubte an die Stärke einer Mannschaft. Er sah den Tag voraus, an dem jeder Einzelne von uns entweder Anführer einer Mannschaft oder Mitglied einer Mannschaft sein würde. Er hatte sich vorgenommen, uns schon in jungen Jahren zu lehren, wie wir etwas zum Leben der anderen beitragen und wie wir voneinander etwas annehmen können.
Wenn bei einem wichtigen Rennen ein Läufer von uns an der Startlinie stand, sorgte Goldberg dafür, dass der Rest der Mannschaft an jeder Kurve und entlang der Geraden verteilt war, damit unser Mann während des Rennens immer die Anfeuerungsrufe der anderen hören konnte.
In meinem Büro liegt ein Holzstab, der von einer Staffelmannschaft, die in einem wichtigen Schulwettkampf die Ein-Meilen-Staffel gewann, viermal um eine Aschenbahn getragen wurde. Auf dem Stab stehen alle Namen meiner Mitläufer. Wenn ich diese Namen von Zeit zu Zeit betrachte (obwohl die Tinte schon sehr verblasst ist), sehe ich jeden von ihnen vor mir. Wir waren eine Gruppe von Brüdern oder, wie Shakespeare es nannte, »glückliche Wenige«. Goldberg hatte uns zu einer Mannschaft zusammengeschweißt.
Ich muss betonen, dass wir, die Läufer, die Mannschaft waren. Goldberg war der Trainer. Das ist ein Unterschied. MWG versuchte nie, ein Freund seiner Läufer zu sein oder sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen, nur um ihre Loyalität zu gewinnen. Bis zu unserem Abschluss war er der Trainer: Mr. Goldberg oder Trainer oder Sir. Erst als wir das Abschlusszeugnis in Händen hielten, sagte er: »Du kannst Marvin zu mir sagen.«
Wenn er während jener Tage kein Freund war, wem ähnelte der Trainer dann? Er war ein Vater. Genau das brauchten wir in jenen Tagen. Wir brauchten einen Vater, weil wir weit weg waren von unseren richtigen Vätern, und weil wir noch Kinder waren.
Ich erinnere mich an viele Male, bei denen der Trainer die Hand auf meine Schulter legte und mir mit seiner ruhigen, beherrschten Stimme einen Rat gab. Fast immer begann er mit: »Hör mal, Gordie ...«
Auf diese Weise brachte Marvin Goldberg seinen Jungen Ausdauer bei. Und er gab mir, ohne es zu ahnen, die Richtung für dieses Buch vor. Denn ein Leben mit Ausdauer – ein Leben, bei dem ich stärker werde, je älter ich werde – baut man auf ganz ähnliche Weise auf, wie Marvin Goldberg seine Sportler trainierte.
Danke, Sir, dass Sie mich das gelehrt haben!
Sie glauben, dass Aufgeben nicht in Frage kommt.
Sie wissen, dass »Gehen« undenkbar ist.
Sie sind überzeugt, dass das Ausdauertraining
eine tägliche Übung ist.
Sie verabscheuen Ziellosigkeit.
Sie haben das Gesicht von Siegern.
Als meine Mutter vor ein paar Jahren starb, rief ich eine entfernte Kusine an, um ihr die Nachricht von ihrem Tod zu überbringen. Unser Gespräch dauerte viel länger, als ich erwartet hatte, da sie anfing, mir Geschichten über die Familie meiner Mutter zu erzählen, die ich bis dahin noch nie gehört hatte.
Meine Mutter war das jüngste von acht Kindern einer schwedischen Einwandererfamilie gewesen. Mit ihr waren jetzt alle acht gestorben. »Die Familie deiner Mutter waren lauter Leute ohne Durchhaltevermögen«, sagte meine Kusine unverblümt. »Als das Leben hart wurde, begannen die Brüder zu trinken und die Schwestern zu jammern. Dann gaben sie einfach auf und starben ... einer nach dem anderen.«
Die Bemerkung verfolgte mich noch lange, nachdem das Telefongespräch beendet war. »Ohne Durchhaltevermögen!«, hatte sie gesagt. Kein schönes Kompliment für eine Familie. Da ich das Urteil meiner Kusine nicht widerlegen konnte, begann ich, die Puzzlestücke aus dem Leben meiner Mutter, so gut ich mich an sie erinnern konnte, zusammenzufügen.
Sie hatte sich sehr bemüht, meinem Bruder und mir eine gute Mutter zu sein. Aber hin und wieder hatte meine Mutter Enttäuschungen verkraften müssen. Viele Dinge liefen für sie einfach nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie bekam eine Arbeit, gab sie aber kurze Zeit später wieder auf. Sie begann überall in unserem Haus irgendwelche Projekte, stellte sie jedoch nur selten fertig. Sie verkündete, dass sich unser Familienleben ändern sollte, aber die Entschlossenheit, etwas zu verändern, hielt nicht an.
Mutter schien eine viel beschäftigte Frau zu sein, aber nur sehr wenig wurde wirklich erledigt. Sie kannte viele Leute, aber ich bin nicht sicher, ob sie viele enge Freunde hatte. Nur eine einzige Freundin fällt mir ein. Sie besaß Talente (Klavier spielen zum Beispiel), aber ich glaube nicht, dass sie eines davon weiter entwickelte.
In unserem Haus hängt ein kleines Gemälde, das meine Mutter zu malen anfing, als sie schon älter war. Es ist eines der wenigen Andenken, die sie uns nach ihrem Tod hinterlassen hat. Aber das Gemälde ist von jemand anderem fertig gestellt worden.
Ich habe meine Mutter geliebt, und ich bin ihr dankbar, dass sie treu zu ihren beiden Söhnen gehalten hat. Aber mir ist auch bewusst, dass ein ordentliches, diszipliniertes, ausdauerndes Leben eine ständige Herausforderung für sie war. Und obwohl ich weiß, dass ihr Tod die Folge eines schweren Schlaganfalls war, fürchte ich, dass sie gleichzeitig an einem gebrochenen Herzen gestorben ist.
Vor dem Gespräch mit meiner Kusine hatte ich die Einzelteile aus dem Leben meiner Mutter nie so zusammengefügt, dass ich dieses zugrunde liegende Muster gesehen hätte. Eine einzige abwertende Bemerkung – »Leute ohne Durchhaltevermögen« – hatte mir jetzt die Augen dafür geöffnet. Von diesem Wort aufgewühlt, wurden mir viele Dinge klar: über meine Mutter und über mich selbst. Dinge zu Ende zu bringen war für uns beide eine Herausforderung. Es war ein Kennzeichen für unseren Charakter.
Am positivsten kann ich es so ausdrücken: Ich habe ein Gen in mir, das mir das Durchhalten schwer macht. Ich weiß, dass dies keine medizinisch korrekte Diagnose ist, die ein Psychologe stellen würde. Aber es erklärt mir einiges, selbst wenn es zu schmerzlichen Erkenntnissen führt ... über meine Mutter und über mich selbst.
Marvin Goldberg war vielleicht der Erste, der dieses Gen bei mir entdeckte. Im Sommer vor meinem letzten Jahr in Stony Brook beschloss ich, aus seiner Laufmannschaft auszusteigen. Ich hatte keine Lust mehr zu den anstrengenden Trainingsstunden. Ich wollte etwas mehr Zeit haben, damit ich (wie soll ich das ernstzunehmend ausdrücken?) mich mehr mit Mädchen treffen konnte und mehr von den Dingen tun konnte, die unter die Rubrik »einfach Spaß haben« fallen. Ein Sportlerleben war mit solchen Wünschen nicht vereinbar.
Im nächsten Frühling, sagte ich mir, würde ich das Laufen wieder ernst nehmen und in Goldbergs Aschenbahnteam laufen, aber ich wollte im Herbst nicht all die Crossläufe bestreiten müssen, bei denen unsere Mannschaft häufig in Wettläufen über zehn Kilometer gegen Mannschaften aus niedrigeren Klassen antrat.
Da wir die Ferien zu Hause verbrachten – in meinem Fall dreitausend Kilometer von der Schule entfernt –, entschied ich mich, das alles in einem Brief darzulegen. Ehrlich gesagt, hätte ich nie die Kühnheit besessen, dem Trainer diese Dinge ins Gesicht zu sagen. Er hätte meine Argumente innerhalb weniger Minuten widerlegt. Ein Brief war also die beste Möglichkeit, entschied ich. Ich versuchte, meine Entscheidung so klingen zu lassen, als hätte ich plausible Gründe, als wäre die Entscheidung »Partys zu feiern«, statt in der Mannschaft zu laufen, Gottes Wille oder so etwas.
Es dauerte keine Woche, bis der Antwortbrief eintraf. MWG hatte mir postwendend geantwortet. Soweit ich mich erinnere, war sein mit Schreibmaschine engzeilig geschriebener Brief mehrere Seiten lang. Ich wünschte, ich hätte ihn noch. Denn selbst ich, ein junger, unreifer Teenager, hatte sehen können, dass dieser Mann vieles im Blick hatte, das größer und weitreichender war als nur die Frage, ob ich im Herbst in der Laufmannschaft bleibe oder nicht.
Ich erinnere mich, dass mein Vater mich bat, den Brief lesen zu dürfen. Als er ihn gelesen hatte, sagte er: »Das ist vielleicht der wichtigste Brief, den du in deinem ganzen Leben bekommen hast.« Vielleicht war diese Einschätzung etwas übertrieben, aber meine Aufmerksamkeit war damit eindeutig geweckt.
Kurz zusammengefasst, hatte Goldberg gesagt: »Wenn du im Herbst nicht in der Laufmannschaft bleibst, hast du damit folgende Entscheidungen getroffen: Du enttäuschst deine Mannschaftskameraden, die sich darauf verlassen, dass du ihnen hilfst, Wettkämpfe zu gewinnen. Du kehrst den Fans der Mannschaft den Rücken, die in der Vergangenheit zu jedem Rennen erschienen sind, um Sportler wie dich anzufeuern. Aber am meisten« – und damit traf er voll ins Schwarze – »verstärkst du unbewusst einen gefährlichen Charakterzug in dir: Immer wenn du mit einer Herausforderung konfrontiert wirst, die dir nicht gefällt, oder die dir zu schwer erscheint, oder die von dir ein zu großes Opfer verlangt, wird es dir von Mal zu Mal leichter fallen, ihr den Rücken zu kehren.« Mit anderen Worten: aufzugeben und kein Durchhaltevermögen zu zeigen.
Goldberg hatte nicht ahnen können, was ich Jahre später über meine Mutter erfahren sollte. Aber ich denke, er hat schon damals dieses Gen bei mir entdeckt.
Sein Brief und die Worte meines Vaters über den Brief waren stärker als mein Instinkt, alles einfach hinzuwerfen. Ich änderte meine Meinung, kehrte in die Mannschaft zurück und half, sie in jenem Jahr zur Meisterschaft in unserer Liga zu führen. Ich kann nicht behaupten, dass das ein großer Genuss für mich gewesen wäre, aber auf einer tieferen Ebene erfuhr ich die Genugtuung, dass ich etwas geleistet hatte, das gut ausging. Vielleicht ist auf lange Sicht diese Genugtuung im Leben wichtiger als der Genuss.
Goldbergs Brief hatte einen Warnschuss abgegeben. Er hatte Recht gehabt. Die Versuchung, angesichts von schweren Herausforderungen aufzugeben, meldete sich in den vielen Jahren meines Lebens in regelmäßigen Abständen. Immer wieder – bis auf den heutigen Tag – wenn ich versucht bin zu zaudern, eine eingegangene Verpflichtung nicht einzuhalten, Mühen zu umgehen, erinnere ich mich bewusst an den Tag, an dem ich als Jugendlicher in die Laufmannschaft zurückkehrte und etwas tat, zu dem ich eigentlich keine Lust hatte. Und in einem inneren Zwiegespräch mit dem Teil in mir, dem die Kraft fehlt, etwas zu Ende zu führen, sage ich: »Ich habe es damals zu Ende geführt; ich werde es auch jetzt zu Ende bringen. Ich habe es damals geschafft; ich werde es auch jetzt schaffen.«
Diese beiden Geschichten – über das Leben meiner Mutter und über meine Entscheidung als Jugendlicher – sind nur zwei Beispiele von vielen, bei denen es in meinem eigenen Leben um Ausdauer und Durchhaltevermögen ging. Es ist ein Thema, an dem ich immer wieder arbeiten muss, aber jedes Gramm Kraftanstrengung, das mich dieser Kampf kostet, lohnt sich.
Überall wo ich über ein Leben mit Ausdauer spreche, betone ich eines: Man muss damit rechnen, dass die größten Leistungen die Gott für uns plant, in der zweiten Lebenshälfte geschehen werden. Sie sollten die Reaktion meiner Zuhörer sehen, wenn ich hinzufüge: »Sind Sie unter vierzig? Ehrlich gesagt, das meiste von dem, was Sie bis jetzt getan haben, ist nicht mehr als die ersten Runden des Rennens.«
Kaleb aus dem Alten Testament ist für mich der größte Meister der zweiten Lebenshälfte. »Gib mir das Bergland«, bat er Josua. »Ich bin fünfundachtzig, und ich bin genauso stark, wie ich es mit fünfundvierzig war« (siehe Josua 14). Ich vermute, dass er das im Beisein von vielen jungen Männern sagte, die sich um leichte Aufgaben bemühten, als es darum ging, das verheißene Land einzunehmen. Im Bergland gab es geschützte Städte und Männer, von denen es hieß, sie wären Riesen. Wer wollte es schon mit ihnen aufnehmen? Der fünfundachtzigjährige Kaleb!
Wenn ich über Kaleb und seine Ausdauer spreche, frage ich meine Zuhörer manchmal: »Was ist das provozierendste Wort oder die provozierendste Idee, die Sie in letzter Zeit gehört haben? Ein provozierender Gedanke, den Sie vielleicht mit nach Hause nehmen und über den Sie noch länger nachdenken werden?«
Ausnahmslos antwortet jedes Mal jemand: »Der Gedanke, dass ich weiter wachsen kann und dass ich wie Kaleb sein und in der zweiten Lebenshälfte meinen wichtigsten Beitrag leisten kann.« Es ist nicht ungewöhnlich, wenn nach dem Ende der Veranstaltungen jemand auf mich zukommt und sagt: »Danke. Sie haben mir Hoffnung gegeben, dass meine besten Jahre noch kommen.« Ich habe in den Augen von Menschen, die das sagen, schon Tränen gesehen. Irgendwie haben sie das Gefühl, dass die ersten vierzig Jahre mehr oder weniger gescheitert sind. Sie haben ihre Kinder nicht perfekt erzogen. Sie haben eine Ehe in den Sand gesetzt. Sie haben falsche Prioritäten gesetzt. Und jetzt, in der Mitte des Lebens, blicken sie auf vierzig Jahre mit vertanen Gelegenheiten zurück, die sie bedauern.
Das muss nicht sein. Christen glauben an einen Gott, der das Leben jedes Menschen nehmen kann (und nimmt), es umkrempelt und es gebraucht, um ein Stück an seinem Reich zu bauen.
Die Geschichte von Eli, einem Priester im Alten Testament, lässt mich nicht los. In ihm sehen wir einen alten Mann, der sowohl als Vater als auch als geistlicher Führer Israels jämmerlich versagt hat. Es hätte Grund genug gegeben, ihn aufzugeben. Aber etwas geschah in seinem Leben, das die Bibel nicht ausführlich beschreibt. Wir wissen nur, dass Gott ihn gebrauchte, um einen Jungen, Samuel, auszubilden. Es war, als hätte Eli eines Tages zu sich selbst gesagt: »Ich habe alles andere in meinem Leben verpatzt; diese Gelegenheit werde ich jetzt nicht vermasseln.«
In Elis Schule wuchs Samuel zu einem der größten Propheten in Israels gesamter Geschichte heran. Sie können seine Geschichte im 1. Buch Samuel nachlesen. Für Eli war das eine wichtige Leistung in der zweiten Hälfte seines Lebens. Gewiss, er musste mit einigen Konsequenzen aus seinen früheren Fehlern leben und sterben, aber er gab Israel einen leidenschaftlichen jungen Richter. Hier ist wenigstens eine gewisse Ausdauer zu erkennen.
Zu meinen Lieblingsgeschichten in der Bibel gehört der Bericht über Paulus und seinen Begleiter Silas. Sie waren geschlagen und in ein römisches Gefängnis geworfen worden, weil sie den Frieden gestört hatten, als sie auf den Straßen von Philippi das Evangelium von Jesus predigten. »Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie« (Apostelgeschichte 16,25; Hervorhebung durch den Verfasser).
Wenn das keine Ausdauer ist! Hier sehen wir zwei Männer, die von einem Mob misshandelt worden sind – ohne rechtliche Grundlage, wie sich herausstellt –, die zusammengeschlagen und unter unbeschreiblichen Zuständen ins Gefängnis gesperrt worden sind, und sie singen! Ihre Lieder geben nicht nur ihnen selbst Kraft, sondern durch ihr Verhalten werden offensichtlich auch andere Gefangene bereichert. Man könnte sagen, dass durch zwei Männer, die nicht aufgaben, ein Gefängnis in einen Gottesdienstraum verwandelt wurde.
Einige Wochen vor dem Tod meiner schwerkranken Mutter führten sie und ich ein langes Gespräch über eine kaputte Beziehung in ihrem Leben. Sie weinte, als sie mir erzählte, was sie zur Verschlechterung dieser Beziehung beigetragen hatte. Während sie mir ihr Herz ausschüttete, spürte ich, dass ihr Gefühl versagt zu haben, sehr stark war und dass dieses Gefühl sogar ihren Blick auf ihr ganzes Leben verdunkelte.
Unser Gespräch lief ungefähr folgendermaßen ab:
»Mutter, warum lässt du dich von deinen Gedanken so sehr nach unten ziehen? Warum bekennst du nicht deine Schuld und bittest um Vergebung?«
»Ich bin nicht sicher, ob (...) je wieder mit mir sprechen würde.«
»Du kannst einen Brief schreiben. Vielleicht wäre das der erste Schritt zur Versöhnung.«
»Ich habe nicht die Kraft dazu.«
»Mutter, sag mir einfach, was du gern schreiben würdest. Ich schreibe dann den Brief für dich, und du kannst beurteilen, ob ich richtig zum Ausdruck gebracht habe, was du meinst oder nicht.«
»Ich versuche es.«
Meine Mutter zählte alle Punkte bei der gescheiterten Beziehung auf, für die sie sich verantwortlich fühlte. Da das Gespräch sie stark mitgenommen hatte, zog ich mich auf die andere Seite des Zimmers zurück und schrieb den Brief, während sie ein Nickerchen machte.
Als ich ihn fertig geschrieben hatte und sie aufgewacht war, sagte ich: »Ich habe es so geschrieben, wie ich dich verstanden habe. Ich lese dir den Brief vor, und du sagst mir, wo ich noch etwas ändern muss.« Ich begann zu lesen. Wieder gab es viele Tränen, als sie die Worte hörte, die ihre Gedanken zum Ausdruck brachten.
»Unterstreiche diesen Satz«, sagte sie beispielsweise. »Nein, sag es lieber so.« Nach und nach ging aus dem Brief immer deutlicher hervor, wie sehr meine Mutter ihre Schuld bereute. Schließlich waren wir fertig.
»Das alles will ich schon seit zehn Jahren sagen«, seufzte sie. Ich dachte bei mir: »Meine Mutter schleppt diese erdrückende Last seit so vielen Jahren mit sich herum. Warum hat sie zugelassen, dass die Last so schwer wurde?«
Der Brief wurde am nächsten Tag weggeschickt. Es dauerte nicht lang, bis eine Antwort kam. In dem Brief wurde meiner Mutter die Vergebung zugesprochen. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie sich von einer Sekunde auf die nächste um vieles leichter fühlte.
Meine Mutter hatte etwas Wichtiges zu Ende gebracht. Einige Wochen später beendete sie ihr Rennen und ging heim zu Jesus.
Bei aller Bewunderung, die wir für die Christen der ersten Generation haben, dürfen wir nicht vergessen, dass die Neigung aufgeben zu wollen, auch in jenen Tagen nicht unbekannt war. Die Menschen, an die das neutestamentliche Buch, das wir als Hebräerbrief kennen, gerichtet war, hatten offensichtlich Mühe, dem heimtückischen Druck standzuhalten, dem man ausgesetzt war, wenn man in einer nichtchristlichen Welt am Glauben festhielt.
Familien wurden getrennt; Menschen wurden aus lange bestehenden sozialen Kontakten ausgeschlossen; es gab gelegentlich körperliche Verfolgung. Der Preis den es kostete, wenn man erklärte, dass man Jesus zum Mittelpunkt des eigenen Lebens gemacht hatte, war, gelinde gesagt, hoch. Die Folge? Mehr als nur ein paar Leute gingen den Weg nur ein bestimmtes Stück. Dann gaben sie auf, dann stiegen sie aus dem Rennen aus.
Diese Welle von »Aussteigern« sorgte unter den Christen die durchhielten, für ernste Probleme. »Hatten diese Aussteiger Glauben gehabt und ihn dann verloren?«, fragten sie sich. Oder war ihr Glaube von Anfang an unecht gewesen? Der Schreiber des Hebräerbriefes ringt mit diesen Fragen.
In unserer westlichen Gesellschaft, in der der christliche Glaube seit Jahrhunderten mehr oder weniger Bestand hat, wäre es absurd, unser Leben mit den Situationen zu vergleichen, mit denen die ersten Christen konfrontiert waren. Es gibt gelegentlich Geschichten von Bedrängnissen, die Ähnlichkeit haben mit denen der damaligen Zeit. Aber in unserer Zeit hat die Frage um das Festhalten am Glauben ein ganz anderes Gesicht. Wir sind ein Volk, das (statistisch gesehen) in den meisten Fällen doppelt so lang lebt wie die Menschen im ersten Jahrhundert. Wir stehen (wenigstens in der nahen Zukunft) nicht vor der Frage, ob wir unter offener und schwerer Verfolgung zusammenbrechen werden; vielmehr stehen wir vor den folgenden Fragen: Kann man durchhalten, und kann man wachsen? Und kann man tatsächlich in der zweiten Lebenshälfte für das Reich Gottes brauchbarer sein als in der ersten?
Ausdauer hatte bei den Christen der ersten Generation viel mit echtem Leiden zu tun. Ausdauer hat für uns in den meisten Fällen mehr mit Durchhalten und Wachsen im geistlichen Sinn zu tun.
Ich möchte an dieser Stelle etwas einschieben: Mir ist bewusst, dass einige meiner Bücher bis nach China und Nordkorea und in Teile Russlands gelangen. Dort werden sie vielleicht von Menschen gelesen, die weitaus mehr mit den Christen des ersten Jahrhunderts gemeinsam haben als die meisten von uns in der westlichen Welt, wenn es darum geht, für den Glauben zu leiden. Falls solche Menschen mir die Ehre geben sollten dieses Buch zu lesen, will ich ihnen sagen, dass alles was ich über Ausdauer schreibe, auch für eine Welt wie ihre gilt. Sie sollen wissen, dass ich sie im Blick habe.
Im elften Kapitel des Hebräerbriefes wird ein begeistertes Crescendo angestimmt, als der Verfasser des Briefes auf die Geschichte biblischer Personen zurückblickt und das meisterhafte Verhalten von Menschen beschreibt die Glauben hatten, und die nicht aufgaben. Abel, Henoch, Noah, Abraham und Sarah, Josef und Mose stehen auf der Liste. Gideon wird erwähnt, Samuel, David und dann eine viel größere Zahl von Helden, deren Namen wir nicht kennen. Von ihnen heißt es: »Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt (...), Löwen den Rachen gestopft (...), sind gemartert worden (...), haben Spott und Geißelung erlitten (...). Sie sind gesteinigt worden (...), sie haben Mangel (...) erduldet (Hebräer 11,33–37). »Diese alle haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen« (Hebräer 11,39), schließt der Verfasser. Er beschreibt hier Menschen, deren gemeinsames Merkmal ein ausdauernder Glaube ist. Sie sind die Großen, die nicht aufgegeben haben!
Nachdem er diese sprichwörtliche Ruhmeshalle aufgestellt hat, geht der Verfasser zum zwölften Kapitel über und schreibt einige der provozierendsten Bibelverse, die ich je gelesen habe:
Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld (lesen Sie hier: Ausdauer) in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. (Hebräer 12,1–3)
alles