Mittag, Martina
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E-Book ISBN: 978-3-593-40305-2
Bei meinen Schulungen und Seminaren beobachte ich seit Jahren, dass sich bei vielen meiner Teilnehmer das leistungsorientierte Verhalten, das sie im Job an den Tag legen, immer wieder auch in die Freizeit einschleicht. Wir sind heutzutage einfach darauf trainiert, aus allem das Optimum herauszuholen und hartes Zeitmanagement zu betreiben. Da scheint es oft schwer, einen Gang herunterzuschalten, selbst wenn die ehrliche Absicht und das Bedürfnis nach Erholung im Vordergrund stehen.
»Die hat gut reden als Entspannungstrainerin«, denken Sie jetzt vielleicht. »Was weiß jemand, der den ganzen Tag lang Entspannung lebt und unterrichtet, schon vom knallharten Stress im Job?« Weit gefehlt! Oftmals haben Experten ihres Faches – ganz besonders wenn es um Entspannung geht – einen steinigen Weg hinter sich. Als Führungskraft einer exklusiven Hamburger Fitness- und Wellness-Kette war ich viele Jahre für ein Team von 120 Personen sowie für Qualitätsmanagement und Entwicklung verantwortlich. Dabei hatte das Wohlbefinden der Gäste und Mitarbeiter stets die höchste Priorität, und so rückte ich meine eigene Befindlichkeit |10|zunehmend in den Hintergrund. Zu dieser Zeit sah ich Pausen als nicht erforderlich an. Schließlich war die Arbeit interessant und füllte mich vollkommen aus. Die Schritte hin zum Burn-out waren schleichend. Warnungen mir nahestehender Menschen und körperliche Symptome ignorierte ich einfach. Das ging so weit, dass ich mir nicht einmal mehr die Zeit nahm, in Ruhe zu essen. Auch in meiner Freizeit dominierte der Job. Die Ruhe und Erholung, die ich propagierte, fanden in meinem persönlichen Leben damals keinen Raum. Selbst meinen gesamten Urlaub nutzte ich für berufliche Fortbildungen. Jährlich stattfindende internationale Kongresse zum Beispiel in Las Vegas, New York und Orlando sowie mein berufliches Engagement als Referentin im Bereich Fitness füllten jede freie Minute.
Zu meinem großen Glück bewegte mich meine innere Stimme schließlich dazu, an einem vierwöchigen Yoga-Retreat in Tirol teilzunehmen. Wieder einmal wollte ich mein Wissensspektrum erweitern, um beruflich noch erfolgreicher durchstarten zu können. Aber die Tatsache, dass ich vier Wochen lang Zeit hatte, herausgelöst aus meinem Alltag, über mich und mein Leben nachzudenken, löste eine Transformation aus. Der Tagesablauf dort hatte straffe Strukturen. Es gab kaum freie Minuten und auch nur wenig Freizeit, doch schwerpunktmäßig beinhaltete das Programm Ruhe und Schweigen. Dies bewirkte ein tiefes Nachdenken und Reflektieren in mir, wie ich es in den vergangenen Jahren nie zugelassen hatte. Und hätte ich geahnt, welche Konsequenzen dieser Aufenthalt haben würde, hätte ich aus damaliger Sicht diesen Weg vielleicht nicht eingeschlagen. Doch dann ging alles ganz schnell. Ich erkannte die dringende Notwendigkeit, eine bestimmte Zeit lang völlig abzuschalten. Innerhalb weniger Monate trennte ich mich von allem, was mir vorher wichtig war: von meinem Partner, meinem Job, meiner Wohnung. Den Ballast meines Lebens reduzierte ich auf ein Gepäckstück von 14,8 Kilogramm|11|. Damit reiste ich für mehrere Monate nach Indien – eine lange und wertvolle Pause.
Bei meiner Rückkehr wirkte der leistungsorientierte Alltag hier in Deutschland zunächst wie ein Schock. Und ich wurde mir schnell der Tatsache bewusst, wie groß die Gefahr ist, wieder zu alten Strukturen zurückzukehren. Sicher kennen Sie das: Sie kommen energiegeladen und mit vielen guten Vorsätzen aus dem Urlaub zurück – doch schon nach einer Arbeitswoche hat Sie der Alltag wieder fest im Griff. Sie verfallen in alte Routinen, und die guten Vorsätze rücken in den Hintergrund.
So bitter dieser Erkenntnis auch sein mag, für meine berufliche und persönliche Entwicklung hat sie entscheidende Impulse gegeben. Meine persönlichen Auszeiten habe ich mir zu Beginn meines »neuen Lebens« schwer erkämpft, aus dem Bewusstsein heraus, nie wieder in das Hamsterrad der ausschließlichen Leistungsorientierung geraten zu wollen. Sinnvoll genutzte Pausen und fest geplante Phasen der Ruhe und Erholung sind jetzt definierte Größen in meinem Leben. Die Zeit, die mir früher davonzulaufen schien, zeigt sich heute als Multiplikator meiner Schaffenskraft.
Mein jetziges berufliches Wirken ist auf die wichtige Bedeutung einer maßvollen, sinnvollen und liebevollen Pausenkultur ausgerichtet. Während meiner Arbeit mit Führungskräften merke ich immer wieder, wie stark der Bedarf nach adäquaten Pausen ist. »In der Ruhe liegt die Kraft.« Mein Anliegen ist, diesen Sinnspruch in den heutigen Alltag und in die Unternehmenskultur zu integrieren.
Seit ein paar Jahren werden auf dem Wellness-Markt eine Vielzahl von Methoden und Praktiken zur Entspannung und Regenerierung angeboten. Zugleich hat sich aber auch ein neues Phänomen dazugesellt|12|: der »Wellness-Stress«. Selbst Wellness, der Megatrend der letzten Jahre, scheint sich dem Drang unserer Gesellschaft nach ständiger Leistungssteigerung und Optimierung nicht entziehen zu können. Und so werden mitunter eifrig Methoden zur Entspannung konsumiert, ohne der Wirkung die geringste Chance zu geben, sich zu entfalten.
Die meisten von uns sind von Sprichwörtern wie »Müßiggang ist aller Laster Anfang« und »Zeit ist Geld« geprägt. Bloß nicht die Hände in den Schoß legen. Das ist etwas für alte Leute, die ihr Leben hinter sich haben. Möglichst jede freie Minute produktiv nutzen, scheint das Credo unserer modernen Zeit zu sein. Zeit für sich selbst zu haben oder sie sich gar zu nehmen, wird schnell mit Egoismus, Faulheit oder sogar Versagertum gleichgesetzt. »Nichtstun« lässt sich noch schwerer erklären. Stellen Sie sich folgenden Dialog vor:
Das Telefon klingelt.
»Hallo, ich bin es. Was machst du gerade?«
»Nichts!«
»Wie, nichts? Du musst doch irgendetwas tun.«
»Nein, ich mache gerade nichts.«
»Gar nichts? Das geht doch gar nicht! Man kann doch nicht nichts tun! Geht’s dir nicht gut? Bist du krank?«
»Nein, mir geht es gut. Ich mache nur grade einfach nichts.«
»Dein Leben möchte ich haben! Ha, ha! Also ich muss dann jetzt mal. Die Kinder vom Hockey abholen. Ach ja, und auf dem Weg dahin noch mal kurz ins Büro. Du weißt schon, die EDV-Umstellung. Wenn ich bei der Einweisung ins neue System nicht selbst vor Ort bin, läuft wieder alles aus dem Ruder. Du kennst das ja: Wenn man nicht alles selbst macht, geht es meistens in die Hose! Und später kommen noch Bernie und Antonia vorbei, um das Programm für die Sommerparty im Golfclub noch einmal durchzugehen|13|. Ich wünsche dir derweil viel Spaß beim Nichtstun. Geht’s dir auch wirklich gut? Oder muss ich mir Sorgen machen? ... Nichtstun! ... Ha, ha, guter Witz!«
Es scheint fast so, als hätten wir die Kunst des Müßiggangs, des Innehaltens oder des Nichtstuns verlernt. Das ein wenig altmodisch anmutende Wort »Muße« ist in unserem Sprachgebrauch der Inbegriff dessen, was wir unter »Sich-wohl-Fühlen in der Zeit« einmal verstanden haben. Eine Zeit, die man frei von den Ergebnissen einer Handlung genießt, in der man sich erholt und wieder Kraft tankt. »Schöpferische Muße« wird bereits in der Antike näher beschrieben und war das Privileg einer gehobenen gesellschaftlichen Klasse. Die Denker der Antike gingen davon aus, dass Glück allein in der Muße zu finden sei und nicht im zweckorientierten Handeln. Doch viele Menschen machen heute in ihrer Freizeit genau so weiter wie im Job: »Nur, wenn ich auch in meiner Freizeit etwas leiste, habe ich sie sinnvoll genutzt!«
Aber warum finden wir keine Muße mehr, obwohl wir noch nie über so viel Freizeit verfügt haben wie gegenwärtig? Sollten wir einem Menschen, der vor 200 Jahren gelebt hat, die heutige Zeit schildern, würden wir ihm sicher von den vielen technischen und zeitsparenden Errungenschaften erzählen: Unsere Wäsche brauchen wir nicht mehr mühsam mit der Hand waschen, das erledigen Waschmaschine und Trockner. Auch unser Geschirr spülen wir nicht mehr selbst, wir stellen es einfach in eine Maschine. Wenn wir Freunde in einem 30 Kilometer entfernten Ort besuchen möchten, so benötigen wir keinen Tagesmarsch mehr dafür. Wir steigen einfach in den Wagen und sind in einer halben Stunde am Ziel. Ein Besuch auf einem weit entfernten Kontinent erfordert keine monatelange Reise mit dem Schiff mehr, wir setzen uns einfach ins Flugzeug. Wollen wir nur mit jemandem sprechen, greifen wir zum Telefon und sind in wenigen Augenblicken mit dem gewünschten |14|Gesprächspartner verbunden, egal wo in der Welt er sich befindet. Brauchen wir Informationen zu einem bestimmten Thema, wälzen wir keine Bücher mehr, sondern die Suchmaschine im Internet erledigt das in Sekundenschnelle.
Doch wie erklären wir unserem Vorfahren, dass wir die eingesparte Zeit nicht genießen, sondern beklagen, dass wir immer weniger subjektiv gefühlte Zeit für uns selbst haben? Wie erklären wir ihm, dass Stress eine der Hauptursachen für die zahlreichen psychosomatischen Erkrankungen unserer Zeit ist?
Vor kurzem lief eine Dokumentation im Fernsehen, in der sich eine Gruppe von Menschen acht Tage und Nächte lang unter wissenschaftlicher Anleitung in das Leben einer Hofgemeinschaft von vor 200 Jahren begeben hat: ohne Strom, ohne Heizung, mit Strohbetten und in zeitgenössischer Kleidung. Auf dem Programm standen überlebenswichtige Aufgaben wie Feuer machen, Vieh versorgen und Brot backen. Zu Beginn der Dokumentation äußerten einige Teilnehmer den Wunsch und die Vorstellung, ein anderes Erleben der Zeit während des Experiments zu erfahren. Es gab zu dieser Zeit nämlich keine Wecker, sondern man wurde morgens von Hahnengeschrei geweckt.
Wenn ich an dieser Stelle das Leben unserer Vorfahren mit unserem modernen Leben vergleiche, dann geht es mir nicht darum, die verklärte Romantik einer früheren Zeit heraufzubeschwören. Das Leben vor 200 Jahren war sehr viel mühseliger, anstrengender und kürzer, doch hatte unsere Vorfahren aus dem Mittelalter einfach mehr Gelegenheit zur Muße. Sie lebten und arbeiteten eher naturverbunden an der frischen Luft. Das Arbeitstempo war gemächlicher. Sie konnten ihren Gedanken nachhängen, ohne dass ein |15|Handy sie dabei störte. Machten sie auf einem Fußmarsch in einer Raststätte halt, gab es dort auch keinen Fernseher, der die Katastrophen aus aller Welt stündlich verkündete. Was kümmerte man sich damals schon darum, was in weit entfernten Kontinenten vor sich ging? Oft wusste man noch nicht einmal, was in der nächsten Stadt geschah. Und wenn einen Neuigkeiten erreichten, waren sie oft schon Monate alt. Man lebte mehr im Augenblick, in der Gegenwart, im Hier und Jetzt. Man war noch kein Opfer eines ständigen Beschleunigungsdrangs, der sich heutzutage fast überall bemerkbar macht, denn der eilige moderne Mensch fühlt sich nie am richtigen Ort, er ist immer auf dem Sprung. Die Jahreszeiten bestimmten damals viel mehr als heute den Lebensrhythmus und damit die Phasen von Aktivität und Ruhe. Man hatte kein elektrisches Licht, das die Nacht zum Tag werden lässt und Schichtarbeit ermöglicht. Man musizierte und sang in geselliger Runde, es gab noch keine Unterhaltungsindustrie. Auch in kultureller Hinsicht wechselten sich Aktivität und Ruhe ab. Manche Feiertage ermunterten zu ausgelassenen Festen, andere zu Besinnung. Vorweihnachtlicher Konsumstress, wie wir ihn heute erleben, war unbekannt. Man strickte, bastelte oder schreinerte die Geschenke und das gab einem wiederum Gelegenheit zur Muße. Es scheint so, als ob Muße ein wesentlicher Aspekt der Lebensqualität unserer Vorfahren war, die wir im Zuge der extremen Beschleunigung und dem Überangebot an Zerstreuung unserer Zeit aus den Augen verloren haben.
Der Ausweg aus diesem Hamsterrad von »schneller – höher – weiter« ist unsere innere Einstellung. Wenn wir lernen, eine gewisse innere Gelassenheit zu entwickeln, dann wird das Alltägliche zu |16|einer Quelle von Inspiration und Kraft. Lassen Sie sich das Wort Gelassenheit einmal ganz langsam auf der Zunge zergehen. Vielleicht spüren Sie dabei die Schwingungen der Silbe »lassen«, die zugleich Ruhe, grenzenlose Weite und das Öffnen der Sinne in sich trägt. Wenn wir uns in Gelassenheit üben und Loslassen können, dann verbinden wir uns wieder mit unserer ursprünglichen Natur.
Entdecken Sie Ihre persönlichen Inseln der Ruhe
Dieses Buch ist eine Einladung an Sie, Ihre persönlichen Inseln der Ruhe und des Auftankens zu entdecken und sich in der Kunst der Gelassenheit zu üben. Dazu bietet uns der Alltag eine unglaubliche Fülle an Möglichkeiten und Gelegenheiten. So können Sie zum Beispiel das nächste Mal, wenn Ihr Computer abstürzt oder es wieder einmal unendlich lange dauert, bestimmte Daten zu laden, diese geschenkte Zeit für sich nutzen. Statt ungeduldig zu warten oder gar ärgerlich zu werden, weil Sie befürchten, die Zeit rennt Ihnen davon, praktizieren Sie einfach eine der Übungen aus diesem Buch. Oder Sie gewöhnen sich an, jeden Morgen ein wenig früher aufzustehen. Das muss nicht gleich eine ganze Stunde sein. Nur so viel, dass Sie sich ein kleines bisschen aus Ihrer gewohnten Komfortzone herausbewegen müssen, also etwa 15 bis 20 Minuten. Machen Sie diese gewonnene Zeit zu Ihrer persönlichen Luxuszeit. Schenken Sie sich diese liebevollen Momente, in denen Sie nur für sich da sind. Auch hier bietet Ihnen das Buch zahlreiche Anregungen.
Wir können die Fähigkeit zum Innehalten und zur Muße regelrecht trainieren, indem wir uns angewöhnen, zu bestimmten Zeiten bewusste Pausen einzulegen. Das muss nicht gleich ein langes Wochenende oder der noch weit entfernte Urlaub sein. Sich im Alltag kleine Auszeiten einzuräumen und im Jetzt anzukommen ist der |17|Schlüssel zu mehr Gelassenheit und die Grundlage für genussvolles Empfinden. Diese täglichen kleinen Oasen der Ruhe und der Besinnung können Sie individuell in Ihren Alltag einbauen. Dieses Buch zeigt Ihnen viele Möglichkeiten, dies in jeder Lebens- und Stimmungslage umzusetzen.
Üben in allen Lebenslagen
Einen Großteil der Übungen können Sie jederzeit und sofort anwenden, ohne viel Aufwand. Für die meisten Übungen brauchen Sie sich nicht einmal umzuziehen oder die Yogamatte auszurollen. Natürlich wäre es optimal, wenn Sie täglich etwa 30 bis 40 Minuten ausschließlich Zeit für sich selbst und Ihre Übungen hätten, doch in manchen Lebenslagen lässt der Alltag nun mal einfach keinen Raum. Deshalb ist es sinnvoll, sensibel und achtsam für die kleinen Pausen oder Zeitfenster zu werden, die der Alltag für jeden für uns bereithält. Wir müssen sie nur nutzen. Vielleicht denken Sie jetzt »Wie soll ich Entspannung in einem turbulenten Großraumbüro finden«, oder » Die Zeit wäre schon da, aber die äußeren Umstände (zu laut, zu viele Menschen) hindern mich an meinen Übungen«. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass diese Argumente Irrtümer sind. Ich selbst war lange Zeit der Überzeugung, mich nur entspannen zu können, wenn die äußeren Rahmenbedingungen optimal sind. Wenn ich früher einmal die Zeit hatte, ein Übungsprogramm zu Hause zu machen, ging das nur unter bestimmten Voraussetzungen. Ich war der Meinung, dass der Raum in dem ich übe, vollständig aufgeräumt, ordentlich und sauber sein muss: kein Staubkörnchen auf dem Boden, nichts durfte herumliegen, das Raumklima musste perfekt sein. Ich war überzeugt, dass äußere Reinheit die Voraussetzung für innere Klarheit sei. Also begann ich mein Entspannungsprogramm |18|stets mit aufräumen und putzen. Meistens blieb es dann auch dabei … Denn wenn ich endlich so weit war, hatte ich keine Zeit mehr. Zwar war jetzt alles sauber, aber ich selbst war wieder einmal zu kurz gekommen.
Ich möchte Ihnen eine Begebenheit schildern, die meine starren Ansichten dazu ein für allemal aufgelöst haben. Zu Beginn meines Indienaufenthalts verbrachte ich einige Wochen in Goa. Nachdem ich ausgiebig den Strand und die Umgebung genossen hatte, machte ich mich auf die Suche nach einer Yogaschule. Eine Bekannte erzählte mir ganz begeistert von einem Yogalehrer aus Nordindien, der während der Saison eine Yogaschule in dem Ort führte, in dem ich wohnte. Und so ging ich gleich am nächsten Tag hin. Die »Schule« war ein kleiner Verschlag aus löchrigen Bambusmatten im Hinterhof eines Wohnhauses, direkt neben dem Schweinestall. Während wir unsere Übungen praktizierten, unterhielten sich direkt neben dem Verschlag einige ältere Männer lautstark und zwischendurch grunzten die Schweine. Da meine Mitschüler dies offenbar ganz normal fanden, schenkte auch ich dem nach kurzer Zeit keine Beachtung mehr und konzentrierte mich auf die Yogapraxis.
Diese und andere Begebenheiten haben mir deutlich gemacht, wie nebensächlich die Umstände sind, wenn wir uns wirklich entspannen wollen. Entscheidend ist die innere Einstellung. Nutzen Sie die Momente der Regeneration im Alltag, selbst wenn um Sie herum das Leben tobt: Machen Sie eine Atemübung, während Sie mal wieder auf den Fahrstuhl warten, oder nutzen Sie die Zeit, die Sie im Stau stehen für einige Übungen aus dem Bereich Gesichtsgymnastik. Dehnen Sie Hals und Nacken, während Sie auf einen Rückruf warten, oder schließen Sie die Augen und machen eine Visualisierungsübung. Achten Sie auf die kleinen unfreiwilligen Pausen im Alltag, und nutzen Sie diese für Ihr Wohlbefinden. Mit der Zeit werden Sie immer mehr Lücken finden – mehrmals wenige |19|Minuten über den Tag verteilt, ergeben am Ende auch eine viertel oder halbe Stunde.
Der Erfolg der Kurzprogramme liegt in der Wiederholung, denn ihre volle Wirkung entfalten sie erst, wenn Sie sich regelmäßig Zeit dafür nehmen. Beginnen Sie mit wenigen Minuten täglich. Sie werden schnell merken, wie gut es Ihnen tut, etwas ganz in Ruhe und nur für sich selbst zu machen. Gehen Sie bei diesen Übungen liebevoll mit sich selbst um, in der Überzeugung, dass alles, was Sie tun, eine Spur, einen Eindruck in Ihrem Bewusstsein hinterlässt. Lassen Sie diese Zeit zu einem kleinen magischen Ritual für sich selbst werden, an dessen Wirkung Sie fest glauben.
Doch bevor wir in die Praxis einsteigen, ist es hilfreich, sich ein wenig näher mit den energetischen Grundkräften in uns zu befassen. Dies hilft zu erkennen, ob wir im Alltag lediglich einen Energieschub benötigen, oder ob es besser wäre, alle Aktivitäten von Körper und Geist herunterzufahren.
Das Bild eines Motors, der heißläuft, weil wir ihm keine Pausen gönnen, lässt sich gut mit unserem menschlichen Energiesystem vergleichen. Genau wie ein Motor regelmäßig Abkühlung und Wartung braucht, so benötigen auch wir Pausen, um von unseren Drehzahlen herunterzukommen und abzukühlen. Doch je heißer unser »Getriebe« läuft, desto schwerer erscheint es, einen Gang niedriger zu schalten: Je mehr wir zu dauerhafter Aktivität oder Hast neigen, desto eher laufen wir Gefahr, innerlich auszubrennen. Ist dann unser Tank irgendwann komplett leer, fühlen wir uns wie erschlagen und ausgelaugt. Dieses Ausbrennen entsteht durch übermäßige geistige und körperliche Aktivität, durch zu viel Beschleunigung, Antrieb und Bewegung, die sich selbst immer mehr verstärkt.
Dieses Heißlaufen fühlt sich zu Beginn durchaus sehr angenehm an: Man ist von vitaler Energie durchströmt, geniale Ideen und Inspirationen fallen einem zu. Man möchte am liebsten alles zur gleichen Zeit erledigen. In dieser ersten euphorischen Phase schafft man es tatsächlich, geistige und körperliche Höchstleistungen zu erbringen. Der Erfolg ist schon Motivation genug.
Immer zu kurz kommen dabei die Auszeiten zum Abschalten und Entspannen – vergleichbar einem See, dessen Oberfläche durch Wind und Wellengang ständig aufgewühlt ist. Doch die Wogen müssen sich ab und an auch einmal glätten. Ein stiller spiegelglatter |21|See ist in den fernöstlichen Philosophien der Inbegriff von Entspannung, die eintritt, wenn die Aktivität der Gedanken zur Ruhe kommt. Leider neigen wir jedoch dazu, unsere Kräfte und Reserven in Schaffensphasen zu überschätzen. Das heißt, wir gönnen uns keine Erholung, sondern beziehen uns auf die Ergebnisse des Vortages. Wir bemerken gar nicht, wie wir uns systematisch ausbrennen.