… und raus bist du
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Mit Schmackes landet Kathrins Faust auf dem Kinn von Dr. Hansen. Danach hat sie einen Filmriss und das ist gut so. Es ist ja wohl mehr als oberpeinlich, sich auf einer Betriebsfeier zuzuschütten und dann dem Leiter der Versandabteilung das Kinn zu verrücken. Sie fürchtet den Spott der Kollegen und die Reaktion der Geschäftleitung, für die eine derartige Entgleisung einer unliebsamen Betriebsrätin ein gefundenes Fressen sein muss, und verkriecht sich auf einer Kur, bis die ganze Sache hoffentlich in Vergessenheit geraten ist.
Als sie nach mehreren Wochen an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt, kreist dort der Hammer. Eine Entlassungswelle steht an. Unvermutet sieht sie sich in die Rolle des Esels gedrängt, der das ganze Gras, das so schön über ihren Uppercut gewachsen ist, wieder abfressen muss.
Gewidmet
den beiden Betriebsräten
Norbert und Hermann.
Die Letzten ihrer Art?
Mit einem Ruck reißt Kathrin die Bürotür auf und nutzt den Schwung der Tür, um sich quer in den entstandenen Spalt zu schieben und die Tür mit ihrem Po noch weiter aufzustoßen. Sie ist wie üblich schwer bepackt. In der linken Hand hält sie ihre Handtasche, unter den rechten Arm hat sie eine Zeitung und zwei Bücher geklemmt und zwischen ihren Zähnen steckt der Firmenausweis. Der Ausweis hat die Form einer Checkkarte, die in den Kartenleser geschoben werden muss, damit sich die Tür zu ihrem Bürotrakt öffnet. Ihr Kollege Rolo schaut kurz auf, als sie reinkommt und grinst. Es ist ihm jeden Morgen von neuem schleierhaft, wie Kathrin, so überladen wie sie ist, es fertig bringt, den Ausweis durch den Schlitz zu schieben. Vielleicht macht sie es mit dem Mund. Er nimmt sich immer vor, das einmal zu beobachten, es ist ihm aber bisher noch nie gelungen.
Kathrin tritt ein und lässt die Tür hinter sich zufallen. Sie umrundet den kleinen Tresen neben der Tür, quetscht sich an Rolos Schreibtisch vorbei, schmeißt ihre Handtasche mit geübtem Schwung unter ihren Schreibtisch am Fenster, spuckt die Karte auf die Tischplatte und lässt sich mit einem „Moin“ auf ihren Bürosessel plumpsen. „Mahlzeit“, sagt Rolo. Kathrin sieht auf die Uhr. Die Kernzeit beginnt um neun und jetzt ist es genau sieben Minuten nach neun. Das ist doch noch eine ganz zivile Zeit, für ihre Verhältnisse ist sie quasi pünktlich. Sie ist schließlich auch schon um halb zehn und einmal sogar erst um viertel vor zehn gekommen. Sieben Minuten nach neun sind also überhaupt kein Grund, sie mit „Mahlzeit“ anzupöbeln. Das ist beinahe eine Frechheit. Sie rollt mit ihrem Sessel so weit zurück, dass sie die Füße auf den Schreibtisch legen kann und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Warum so pampig? Scheißwochenende gehabt?“, fragt sie. Rolo hat nach seiner Begrüßung wieder eifrig in seine Tastatur geklimpert und dazu ein konzentriertes Gesicht gemacht. Jetzt sieht er auf. „Nee, nicht wirklich“, sagt er, „obwohl“, fährt er fort und grinst sie an, „obwohl du mir natürlich sehr gefehlt hast.“ Versöhnt wirft sie ihm ein Kusshändchen durch die Luft zu, faltet die Zeitung auseinander und will sich gerade in den Kommentar vertiefen, da sieht sie den aufgeschlagenen Ordner auf ihrem Schreibtisch liegen. Richtig, die Sache Schulz & Co wartet ja noch auf sie. Seit Tagen schmort der Schwere Systemfehler der Firma auf ihrem Schreibtisch, mit dem sie noch kein Stück weiter gekommen ist. Die Firma Schulz & Co hat von einem merkwürdigen Softwareabsturz berichtet und jede Menge Unterlagen zusammen mit einer schwammigen Fehlerbeschreibung geschickt und natürlich ist es wieder Kathrin, der die lieben Kollegen diesen Fehler zur Behebung auf den Tisch gelegt haben. Langsam hat sie den Eindruck, dass immer sie die blödesten Probleme zugeschustert kriegt.
Nun gut, was soll’s. Man betrachtet sie hier als Mädchen fürs Grobe. Sie wippt ein wenig mit dem Sessel und fängt an, über den schweren Systemfehler nachzudenken. Wie könnte sie dem Schulz helfen? Bisher ist ihr nur eingefallen, die Festplatte zu bügeln und alles neu zu installieren. Aber dann sind alle Daten, die der Rechner vor dem Absturz noch im Halsloch hatte, unwiederbringlich futsch und das ist der Firma eigentlich nicht zuzumuten. Es muss eine andere Möglichkeit geben, das Problem zu beheben. Aber welche?
Mit einem grimmigen Blick auf den Ordner nimmt Kathrin die Füße wieder vom Tisch und steht auf. „Ich hol mir erst mal einen Kaffee“, sagt sie. „Bringst du mir einen mit“, fragt Rolo. Kathrin setzt sich wieder. Nein, das will sie nicht. Im Grunde ist natürlich nichts dabei, Rolo einen Kaffee mitzubringen. Doch sie hat dann immer das Gefühl, sich klein zu machen. Wenn ein Mann mit zwei Tassen in der Hand über den Flur geht, dann bringt er seinem Kollegen einen Kaffee mit, das ist doch klar. Wenn aber eine Frau mit zwei Tassen in der Hand auf dem Flur angetroffen wird, glaubt jeder, der sie sieht, dass sie für ihren Chef Kaffee holt. Bei Rolo hätte ihr das vielleicht nichts ausgemacht, aber für Jochen, den dritten in ihrem Büro, der sich sowieso schon als Gruppenchef aufspielt, würde sie nie und nimmer Kaffee holen. Und genau das ist das Dilemma, in dem sie steckt. Wenn sie mit zwei Tassen auf dem Flur erwischt wird, sieht ja niemand, dass die zweite Tasse für Rolo und nicht für Jochen ist.
„Hallo Mädels, alles Rodscha in Kambodscha?“ Jochen stößt die Tür mit seinem Ellenbogen auf und schiebt sich ins Zimmer. Unter seinem rechten Arm hält er seine unvermeidliche Aktentasche fest an sich gepresst. Kathrin glaubt, dass darin seine beiden Tupperdosen mit der Zeitung Kriegen spielen und sich dort außer diesen wichtigen Utensilien sicherlich nicht die allerkleinste Akte befindet. Doch sie muss zugeben, dass so eine Aktentasche wesentlich mehr Arbeitseifer ausstrahlt als die Handtasche, die sie immer bei sich hat. Vielleicht sollte sie sich auch mal eine Aktentasche zulegen, um von ihrem Image als blondes Dummchen herunter zu kommen und sich mit Hilfe solch eines dienstlichen Accessoires zu einer ernst zu nehmende Kollegin zu mausern. Unter seinem linken Arm ist ein etwas zu groß geratener Schuhkarton. Immer wenn er mit Schuhkarton aufkreuzt, gibt es zusätzlich zur normalen Arbeit noch irgendeine Sonderlocke zu bearbeiten - und zwar meist keine angenehme.
„Ich hab den Bischopp auf dem Flur getroffen und der hat mir wieder eine Kundenreklamation aufs Auge gedrückt“, sagt Jochen, kämpft sich an Rolo vorbei und geht zu seinem Schreibtisch. Komisch, weder Rolo noch sie haben schon jemals den Abteilungsleiter Bischopp auf dem Flur getroffen, der ihnen dann im Vorbeigehen einen Schuhkarton in die Hand gedrückt hätte. So etwas passiert immer nur Jochen. Schade eigentlich. Wenn sie, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte, sich einen Kaffee holen gegangen wäre, hätte sie den Bischopp auf dem Flur getroffen. Dann hätte sie den Schuhkarton bekommen und dann hätte sie mal Arbeit unter den Kollegen verteilen können. Das denkt sie, während sie Jochen zusieht, wie er seine Aktentasche verstaut, den Schuhkarton auf seinem Schreibtisch abstellt und sich gemächlich aus seinem Mantel schält. Ganz tief in ihrem Herzen weiß sie natürlich, dass es niemals so passiert wäre. Bischopp hätte ihr gewiss keinen Auftrag für die Truppe mitgegeben. Und noch tiefer in ihrem Herzen weiß sie, dass der Bischopp auch dem Jochen nicht im Vorbeigehen eine Zusatzarbeit in den Arm gedrückt hat. Höchstwahrscheinlich ist Jochen zu dem Bischopp ins Büro gegangen und hat dort als Beinahe-Gruppenleiter mal nachgefragt, ob der Bischopp irgendwelche Aufgaben für das Büro hat. Ja, so macht man das, wenn man auf der Karriereleiter nach oben klettern will. Der Jochen hat es wirklich drauf, hat es mehr drauf als Rolo und sehr viel mehr als sie selbst. Jetzt, wo Jochen den Karton auf seinen Schreibtisch stellt, wird ihr mit einem Mal klar, dass das Rennen um die Leitung der Gruppe schon lange gelaufen ist. Das Rennen hatte Jochen eigentlich schon gewonnen, als Kathrin noch nicht einmal gemerkt hat, dass überhaupt ein Rennen stattfindet. Sie hat den Pfiff nicht gehört, Rolo hockt wahrscheinlich immer noch in den Startlöchern und Jochen ist schon kurz vor der Ziellinie.
Jochen vertieft sich in den Inhalt des Kartons, liest mit wichtiger Miene irgendein Schreiben, sagt „Oh“ und „Oha“ und dreht dann die anderen Papiere aus dem Karton eines nach dem anderen in seinen Fingern hin und her. „Das wäre eigentlich was für dich, Kleines“, sagt er und lächelt Kathrin mit seinem Lieber-Junge-Blick an. Dieser Blick macht sie immer ganz schwach. Er sieht wirklich gut aus und wenn er Kleines sagt, hat er so etwas an sich, dass sie sofort dahin schmilzt. Aber diesmal nicht! „Nee“, sagt sie, „tut mir leid, ich hab immer noch den schweren Systemfehler von Schulz & Co an der Backe und so wie es aussieht, werde ich da auch so schnell nicht mit zurande kommen.“ „Mensch Mädchen“, sagt Jochen und tut erschrocken, „hab ich dir das nicht gesagt? Der Schulz hat noch am selben Tag, an dem seine Reklamation hier aufgeschlagen ist, angerufen. Sein Techniker hat die Platte gebügelt und die Software neu installiert. Seitdem ist wieder alles Rodscha bei Schulzi in Kambodscha.“ Was? Schulz & Co hat den Fehler auf die harte Methode behoben und ihr sagt niemand etwas davon? Man lässt sie einfach weiter nach einer Lösung suchen? So eine Sauerei! Wortlos steht Kathrin auf und geht schnell aus dem Büro. Jetzt braucht sie dringend ihren Kaffee. Dabei muss sie sich sehr zusammen nehmen, um die Tür nicht mit Karacho ins Schloss zu donnern.
Sie geht in die kleine Teeküche und lässt sich dort Zeit mit ihrem Kaffee. Mein Gott, was für ein Arschloch ist Jochen, Lieber-Junge-Blick hin oder her, eine richtig linke Bazille ist der. Hält es nicht einmal für nötig, sie über den Anruf von Schulz zu informieren. Nach den ersten Schlucken Kaffee, die sie noch neben dem Kaffeeautomaten stehend schlürft, wird sie ruhiger. Vielleicht hat er wirklich nicht mehr dran gedacht. Man kann doch mal etwas vergessen. Auch der Jochen darf doch mal was vergessen. Als ob ihr das noch nie passiert wäre. Das hat der ja schließlich sicherlich nicht mit Absicht gemacht. Sie braucht noch einen zweiten und einen halben dritten Kaffee, bis sie sich endgültig davon überzeugt hat, dass der gut aussehende Mann mit dem Lieber-Junge-Blick das reinste Unschuldslamm ist, der sie nur aus Schusseligkeit mehrere Tage lang umsonst an dem Schulzischen Schweren Systemfehler hat herumdoktern lassen. Nach der dritten Tasse obsiegt die Freude darüber, dass sie nun die Sache vom Hals hat.
Als sie mit dem vierten Kaffee ins Büro zurückkommt, kramt Jochen auf ihrem Schreibtisch herum. „Suchst du was? Suchst du was - auf meinem Schreibtisch?“, fragt sie in einem schärferen Ton, als sie eigentlich will, und stellt die Kaffeetasse ab. Rolo hebt erstaunt den Kopf und sieht ihren erbosten Gesichtsausdruck. Er lächelt ihr beschwichtigend zu und klimpert dann weiter auf seiner Tastatur herum. „Wo ist das Begleitschreiben von Schulz & Co?“, fragt Jochen. „Ich muss denen doch noch irgendeinen Eiteitei-Brief schreiben, nach dem Motto: wie schön, dass Sie selber … aber wir hätten auch gerne … und wenn Sie mal wieder … oder so.“ Kathrin sieht Jochen verdutzt an. Wieso will Jochen den Antwortbrief schreiben? Das wäre doch wohl ihre Aufgabe. Schließlich hat sie den schweren Systemfehler verpasst gekriegt, also schreibt auch sie: wie schön, dass Sie selber … aber wir hätten auch gerne … und wenn Sie mal wieder … oder so. Das kann sie mindestens ebenso gut wie er. Oder will er sich auch den Kunden gegenüber als Chef wichtig machen? Er ist wohl doch nicht so ein Unschuldslamm, wie er tut. Vielleicht waren es doch nur die drei Tassen Kaffee, mit denen sie sich ihn harmlos getrunken hat. Na warte, dir werde ich es zeigen! Sie grinst übellaunig in sich hinein und hilft mit, nach dem Brief zu suchen, obwohl sie genau weiß, dass er hier nicht zu finden ist, weil sie ihn in einer ihrer Schubladen vergraben hat, damit er nicht auf ihrem Schreibtisch untergewühlt wird.
Jochen blättert fahrig in dem Ordner auf ihrem Schreibtisch herum. Dann hebt er ihn hoch und sucht darunter nach dem Brief. Nichts zu finden. Er wühlt rechts in einem Stapel von Papieren, wühlt links in Kathrins Ablage, hebt ihre Schreibtischunterlage hoch und sieht missgelaunt auf die Zettelchen, die darunter zum Vorschein kommen. Es sind Merkzettel, auf denen Kathrin sich allerlei Notizen gemacht hat. Die Kaffeetasse, die Kathrin auf die Unterlage gestellt hat, kippelt und fällt um. Der Kaffee läuft über den Schreibtisch und versickert in dem Ordner. „Meine Güte, was hast du hier für eine grauenvolle Unordnung“, meckert Jochen Kathrin an. Jetzt reicht es ihr. „Verzieh dich“, sagt sie, holt zwei Papiertücher aus ihrer Hosentasche und tupft den Rest Kaffee auf, der nicht von den Papieren im Ordner aufgesaugt wurde. Dann pfeffert sie den Ordner samt Kaffeepappbecher und Taschentüchern in den Papierkorb, setz sich wieder auf ihren Sessel und nimmt ihre Lieblingsstellung ein, Füße auf den Tisch und Zeitung vor die Nase.
Jochen legt mit den Worten „Nimm die Füße vom Tisch. Wie steh’n wir denn da, wenn zufällig der Bischopp reinkommt“ den Rückwärtsgang ein, haut im Vorbeigehen bei Rolo auf den Schreibtisch, brüllt ihm „Aufwachen“ ins Ohr, setzt sich an seinen Schreibtisch und macht sich wieder über den Inhalt des Schuhkartons her.
„Wenn es dir nicht zuviel Mühe macht, könntest du dich gelegentlich mal dieser Tasche zuwenden“, sagt Jochen und wirft ihr eine kleine Handtasche, die er aus dem Schuhkarton gezogen hat, quer über die Schreibtische auf den Schoß. Kathrin besieht sich das Ding genauer. Es ist quietschgrün mit zwei Henkeln und rotmetallic glänzenden Beschlägen. Die Nähte sind mit giftlila Litzen eingefasst. Insgesamt eine ausgemachte Scheußlichkeit in grellsten Farben. Langsam nimmt sie die Füße vom Tisch und hebt mit spitzen Fingern die Tasche hoch. „Hää?“, fragt sie angewidert. „Igitt“, sagt Rolo, während er kurz von seiner Tastatur aufsieht, und zieht dazu ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Jochen holt eine braune Mappe aus dem Schuhkarton, umrundet erst seinen eigenen Schreibtisch, dann den kleinen Tresen und den Schreibtisch von Rolo und erreicht schließlich wieder Kathrins Schreibtisch. „Die Tasche hat Meyerkotz geschickt. Er ist total stinkig“, sagt er und knallt ihr die Mappe auf den Tisch. Na bravo, mal wieder Meyerholz, leider kein Franz aus Hintertupfingen, sondern der wichtigste Kunde der Firma. Wenn Meyerholz stinkig ist, dann ruft er nicht wie andere Kunden im Service an und fragt nach, ob man wohl so freundlich wäre, ihm bei seinen Problemen unter die Arme zu greifen. Nein! Meyerholz geht nicht zu Schmidtchen, sondern gleich zu Schmidt. „Mach mir mal `ne Verbindung mit dem Kramer“, schnauzt er dann seine Sekretärin an. Sofort ruft die Meyerholzsche Sekretärin die Kramersche Sekretärin an, die augenblicklich erschreckt aufsteht und den Kramer ans Telefon holt, egal wo der gerade steckt. Sogar vom Klo soll sie ihn schon mal ans Telefon komplimentiert haben.
Und nun steht die Tasche von dem stinkigen Meyerholz auf Kathrins Schreibtisch. „Und?“, sagt sie und sieht fragend zu Jochen hoch.
„Meyerkotz hat Kramer angerufen, Kramer hat Schelling angerufen, Schelling hat den Neumann stramm stehen lassen, der hat die Sache an Bischopp weitergegeben. Ja, und nun ist das Ganze hier bei uns gelandet. Genauer gesagt bei dir. Handtaschen sind schließlich irgendwie Frauensache, ist doch klar, oder?“ Schon ist er wieder auf dem Rückzug, vorbei an Rolos Schreibtisch, an dem kleinen Tresen, er umrundet seinen eigenen Schreibtisch und setzt sich. Bei diesem Marsch durchs Zimmer sieht er nicht, wie Kathrin die Mundwinkel herunter zieht und ihm eine Nase dreht, sondern hört nur ihr „Ha, ha, wie ulkig.“ „Gar nicht ulkig, sondern hopp hopp“, sagt er aus der sicheren Entfernung seines Schreibtisches. Natürlich hopp hopp, denkt Kathrin. Wenn Meyerholz stinkig ist, dann muss das hopp hopp wieder behoben werden, das ist ja wohl klar. Und man kann sicher sein, dass Bischopp alle zwei Minuten hier auftauchen wird, um zu fragen, wie weit die Sache gediehen ist, weil Neumann angerufen hat, der vor Schelling schon wieder hat stramm stehen müssen. Denn Kramer fragt todsicher dauernd nach, wie weit die Sache Meyerholz gediehen ist. Der einzige, der nicht mehr anruft und nachfragt, ist Meyerholz selbst, weil er sicher sein kann, dass er dem Kramer nur ein einziges Mal Feuer unter dem Hintern machen muss, und schon brennt der lichterloh.
Kathrin schlägt die braune Mappe auf. Ihr purzeln jede Menge eng beschriebene Schreibmaschinenseiten, einige bunte Postkarten und größere Drucke, sowie mehrere CDs entgegen. Um irgendetwas zu tun, das nach Arbeit aussieht, schiebt Kathrin die CD mit der großen 1 in den Schlitz unter ihrem Monitor und drückt LOAD. Während die CD im Laufwerk orgelt, wühlt Kathrin die anderen Unterlagen durch, was auch sehr arbeitsam wirken soll. Dabei findet sie einen detaillierten Bericht der Serviceabteilung, der die Angelegenheit ziemlich genau beschreibt. Die Firma Meyerholz & Partner, steht da zu lesen, habe mit der Tatsache zu kämpfen, dass in den von ihnen gedruckten Katalogen die Farben eklatant vom Original abweichen. Zum Beweis hätten sie diese Handtasche und einige Drucke mitgeschickt. Kathrin liest den Satz noch einmal. Steht da Meyerholz & Partner? Tatsächlich Meyerholz & Partner. Der Meyerkotz hat einen Partner? Er soll doch seinem Spitznamen alle Ehre machen, wie man so hört. Wer mag wohl sein Partner sein? Muss ein Mensch mit Nerven wie Drahtseilen sein, wenn er nicht nach spätestens fünf Minuten mit Meyerkotz in Streit gerät, sondern weiterhin sein Partner bleibt.
Das Laufwerk beginnt unter der CD zu vibrieren. … Fehlfarben … der Farbeindruck entspricht nicht … liest sie weiter. Die CD 1 kommt mit lauten Klack aus dem Schlitz, sie schiebt die zweite CD hinein und liest weiter. … im Druck ganz anders … steht da. Sie fischt die Postkarten unter dem Stapel von Papieren hervor. Auf der ersten Postkarte ist die Tasche dargestellt - von vorne. Auf den nächsten Postkarten ist sie von der Seite, dann noch von oben und sogar von innen zu sehen. Auf allen Postkarten ist sie nicht etwa quietschgrün mit giftlila Litzen und roten Metallic-Beschlägen, sondern eher pissgrün mit kackbraunen Litzen, grauen Ösen und rostigen Schnallen. Kathrin grinst und liest noch einmal den Bericht: … der Farbeindruck entspricht nicht dem Original. Stimmt, das kann man laut sagen.
Zum Beweis dafür, dass es sich bei diesen misslungenen Drucken um einen gravierenden Fehler der Software des Hauses und nicht etwa um schlechtes Papier handelt, hat Meyerholz die Tasche selbst und den ganzen Schuhkarton mit Bildern dieser Scheußlichkeit von Tasche mitgeliefert, gedruckt auf 110 Gramm Edelglanz, auf 80 Gramm matt einfach, auf reißfestem Katalogpapier, auf 60 Gramm Hochglanz einfach und auf etwas, das Kathrin zur Begutachtung gegen das Licht hält. „Was ist das denn?“ „Klopapier, dreilagig“, tönt es von Jochen. „Scans und Retouschen, die mit unserer Software SoftPrint aus dem Hause PrintPress bearbeitet sind, machen auf jedem Papier eine gute Figur, meine Liebe“, sagt er, indem er den näselnden Ton des Marketingfritzen nachmacht. „MERK DIR DAS.“ Er betont jedes Wort einzeln. Kathrin merkt vor allem, dass Jochen mal wieder so eine richtige Scheißaufgabe auf sie abgewälzt hat, bei der sie nicht punkten, sondern nur verlieren kann. Denn wenn hier Lorbeeren zu ernten wären, hätte Jochen die Aufgabe todsicher selber übernommen und nicht an Kathrin weitergegeben.
Sie sitzt in der Zwickmühle. Wenn ein Kunde wie Meyerholz sich beim Allerhöchsten, beim Kramer selbst, beschwert, dann muss schnell eine befriedigende Lösung gefunden werden und das wird nicht einfach sein. Vielleicht liegt der Fehler für diese Falschfarben an SoftPrint, dem mächtigen Softwarepaket, mit dem die Firma das große Geld macht und durch das sie auf dem Markt den ersten Platz ergattert hat. Da wäre es für das Unternehmen höchst peinlich, wenn solch ein gravierender Fehler aufgedeckt würde, und für Kathrin als Überbringerin der schlechten Nachricht wäre es noch viel peinlicher.
Die schlechten Farbergebnisse könnten natürlich ebenso gut an der miesen Kalibrierung der Monitore bei Meyerholz liegen. Dann wäre ein Techniker von Meyerkotz der Schuldige und die Firma PrintPress wäre aus dem Schneider. Doch auch in diesem Fall hätte Kathrin nichts zu lachen, denn der wichtigste Kunde des Unternehmens macht per Definition keinen Fehler. Daher muss eine Erklärung für das Problem gefunden werden, bei der weder die Software fehlerhaft ist, noch ein Mitarbeiter von Meyerkotz etwas falsch gemacht hat. Es darf also im Grunde niemand schuld sein, soviel ist schon mal klar. Aber wie soll das gehen? Das ist wirklich ein ganz mieser Job, den Jochen ihr da aufs Auge gedrückt hat. Ein richtig schwarzer Peter ist das.
Kathrin beschließt, zuerst einmal den wahren Grund dafür zu suchen, warum Original und Druck derart frappant voneinander abweichen und die quietschgrüne Tasche im Druck aussieht, als ob sie von ihrer Trägerin zwei Tage im Regen vergessen worden ist. Danach wird sie sich – egal, wen sie als Schuldigen gefunden hat, um eine geeignete Mogelpackung kümmern müssen, in der PrintPress oder Meyerkotz die Kröte schlucken können.
„Na, denn man tau“, sagt Kathrin, breitet die unterschiedlichen Drucke vor sich auf dem Schreibtisch aus und studiert sie aufmerksam. Alle zeigen eine irgendwie grüne Handtasche und vermitteln den Eindruck, dass es sich nicht etwa um ein und dasselbe Modell, sondern um die gleiche Handtasche in verschiedenen Farbtönen handelt. Nach eingehenden Studien muss Kathrin zugeben, dass von allen Exemplaren das leibhaftig vor ihr stehende Original immer noch am besten aussieht.
Die zweite CD kommt mit lautem Klack aus ihrem Schlitz, Kathrin schiebt die CD mit der großen 3 in den Schlitz und liest weiter in der braunen Mappe: … Regressansprüche im fünfstelligen Bereich … steht da. Das Laufwerk holt noch einmal tief Luft, dreht angestrengt die letzte CD und hält dann erschöpft inne. Auf dem Monitor erscheint eine Dialogbox mit der Frage Starten? Kathrin drückt auf Ja und sieht Röcke, Mäntel, Blusen und Schals über den Monitor flitzen. Moment mal, war da eben nicht die Tasche? Sie drückt auf die Stopptaste und tackert die Bildfolgen Schritt für Schritt langsam rückwärts. Tatsächlich, da ist die Handtasche in Großaufnahme, pissgrün mit kackbraunen Litzen, grauen Ösen und rostigen Schnallen. Na bitte, die Tasche sieht auf dem Monitor ganz genauso beschissen aus wie auf den Postkarten, die der Meyerkotz hat drucken lassen. Von Quietschgrün mit knalliglila Litzen und roten Metallic-Beschlägen keine Spur, die Tasche hat mächtig an Farbe verloren.
So soll es sein. Auf dem Monitor muss die Handtasche genauso aussehen, wie sie nachher auf dem Druck aussehen wird – und das tut sie. Pissgrün mit kackbraunen Litzen und rostigen Beschlägen. Wo ist das Problem? Jeder Blinde hätte mit seinem Krückstock sehen können, dass die Tasche im Druck noch beschissener aussehen wird als in Wirklichkeit. Dann hätte er mit Hilfe des grandiosen Programms SoftPrint aus dem Hause PrintPress aus dem Pissgrün ein Quietschgrün und aus dem Kackbraun ein Knalliglila machen können. Aber wahrscheinlich hat mal wieder kein Schwein hingeguckt, sondern einfach nur den Druck angestoßen und so jede Menge Makulatur fabriziert. So was kommt von so was. Der Fehler hat also mal wieder vor dem Gerät und nicht im Gerät gesessen. Aber wie kommt der Meyerkotz darauf, Regressansprüche geltend machen zu wollen und dann noch im fünfstelligen Bereich? Der Depp soll die Augen aufmachen, statt dumm rumzupupen. Und wer überbringt Meyerkotz die Nachricht, dass in seinem Haus lauter blinde Deppen sitzen? Kathrin lächelt böse in sich hinein. Das wird der Jochen machen müssen! Der schreibt doch so gerne Briefe an Kunden.
Gerade will sie aufstehen und die Tasche mit den Worten „In das Fettnäpfchen kannst du dich selber setzen“ wieder zurück auf Jochens Schreibtisch schmeißen, da wird mit einem Ruck die Tür aufgerissen. Bischopp stolpert herein und sucht mit den Augen den Raum ab, bis er an Kathrins Schreibtisch oder - genauer gesagt - an der Handtasche auf Kathrins Schreibtisch hängen bleibt. „Ah, ich seh’ schon, Frau Kuhn, Sie haben … äh … ja also, können Sie schon … das mit den Fehlfarben ist ja nicht von Pappe … wissen Sie da schon … oder vielleicht … äh …“ „Ich habe die ‚Angelegenheit Meyerholz’ an Frau Kuhn weitergegeben und auf die Dringlichkeit der Sache hingewiesen, Herr Bischopp“, kommt Jochen ihr zuvor. „Wir werden Sie augenblicklich benachrichtigen, sowie der Fehler gefunden ist.“ Er lächelt servil in Richtung Bischopp und Kathrin meint sogar eine angedeutete, kleine Verbeugung zu erkennen. Kotzbrocken, denkt sie, schleimiger, alter Kotzbrocken. „Ja, dann … äh … dann …“ Bischopp geht und macht die Tür hinter sich zu.
Das ging alles so schnell, dass Kathrin nicht dazu gekommen ist, dem Bischopp zu sagen, dass sie das Problem schon gelöst hat. Jetzt springt sie auf und sagt triumphierend. „Die Monitore vom Meyerkotz sind falsch kalibriert, da hat sein Techniker Scheiße gebaut.“ „Ach sieh mal einer an, Fräulein Oberschlau“, antwortet Jochen sarkastisch. „Darauf ist die Serviceabteilung auch schon gekommen. Das wurde natürlich als erstes abgeklärt. Ganz so einfach ist die Sache nicht. Da wirst du dir wohl etwas mehr Mühe geben müssen.“ Kathrin lässt sich wieder auf ihren Sessel fallen. Ach nee, das wurde also schon als erstes abgeklärt, ihr aber vorsichtshalber verschwiegen. Dieser Arsch von Jochen! Statt sie zu informieren, hätte er sie beinahe ins offene Messer laufen lassen. Gut, dass sie nicht dazu gekommen ist, etwas zu sagen, als der Bischopp noch im Zimmer war, da hätte sie sich ja ganz schön blamiert. Oder wäre Jochen der Blamierte gewesen, der seine Kollegin nicht ausreichend informiert?
Rolo, der beim Eintreffen von Bischopp die Hände von der Tastatur genommen und friedlich in den Schoß gelegt hat, um den Auftritt von Bischopp in seiner ganzen Herrlichkeit zu verfolgen, klimpert wieder auf der Tastatur herum. Doch dann hebt er den Kopf und äfft den Bischopp nach. „Äh … Kathrin … äh … meine Süße… äh“ und fährt in normalem Ton fort, „soll ich mal den Schröder anrufen? Der hat glaub ich mal so ein ähnliches Problem gehabt. Vielleicht erinnert er sich noch. … Äh.“ Kathrin lächelt. Rolo ist ein echter Kollege und Freund, immer bereit und bemüht zu helfen, wo er kann. So machst du keine Kariere, denkt sie, Kariere machen nur Schleimer und Falschspieler vom Schlage eines Jochen. „Gute Idee“, sagt sie laut, „aber lass man, ich geh da gleich selber mal rüber.“ Sie steht auf. „Nachbarin, Euer Täschchen“, ruft Jochen ihr nach und bedeutet ihr mit der Hand, dass sie die quietschgrüne Tasche mitnehmen soll. Kathrin tippt sich leicht an die Stirn und zeigt Jochen einen Vogel. Das hätte der wohl gerne, dass sie mit diesem Teil durchs Unternehmen zieht. Wie sähe das wohl aus? Da würde doch jeder annehmen, dass ihr diese Tasche gehört und sie an Geschmacksverirrung leidet. Nein danke.
„Bye bye“, sagt sie und ist zur Tür raus.
*
Kathrin macht die Tür zum Besprechungszimmer auf, in dem die Betriebsratssitzungen stattfinden. Die Tische in diesem Zimmer sind zu einem großen Block zusammen geschoben und die Betriebsräte des Unternehmens haben ringsherum Platz genommen. Soweit sie es überblicken kann, sind schon alle da, sie ist mal wieder die letzte. Leise, um nicht zu stören und vor allem, um nicht aufzufallen, setzt sie sich auf den nächst besten leeren Stuhl. Gerade beginnt Norbert, der Betriebsratvorsitzende, mit seiner üblichen Begrüßungsansprache. „Liebe Kollegen und Kollegen“ - das innen der Kolleginnen verschluckt er meist und Kathrin weiß nicht, ob ihm das aus Nachlässigkeit oder in voller Absicht passiert - „ich eröffne die heutige Sitzung. Die Tagesordnung ist Euch zugegangen. Hat jemand Änderungswünsche oder zusätzliche Tagesordnungspunkte, so bitte ich um das Handzeichen. Wie ich sehe ist das nicht der Fall“, fährt er fort, ohne eine Pause einzuschieben, in der etwaige Änderungswünsche oder zusätzliche Tagesordnungspunkte hätten eingebracht werden können. „Damit kommen wir zum ersten Tagesordnungspunkt, dem Protokoll. Morton, bitte …“
Morton bohrt gerade hinter vorgehaltener Hand in der Nase und ist anscheinend fündig geworden. Er fährt erschreckt zusammen, als er seinen Namen hört, entsorgt schnell seinen Fund unter dem Tisch, räuspert sich, kramt in der dicken Mappe, die er vor sich liegen hat, und fischt drei DIN A 4 Blätter aus dem Stapel. Du meine Güte, drei Seiten, das kann ja ewig dauern. In einschläferndem Singsang beginnt Morten vorzulesen. „Protokoll vom … „
Kathrin reißt einen Zettel aus ihrem Notizheft. Milch Brot Eier, schreibt sie links untereinander auf das Blatt. Dann schaut sie auf und kaut an ihrem Kuli. Was könnte sie heute Abend kochen? Ihr Blick schweift durch das Besprechungszimmer. Die Tische bilden ein Viereck. Norbert als Betriebsratsvorsitzender sitzt an der Stirnseite zusammen mit seinem Adlatus - dem emsigen, dem eifrigen, dem immer-zu-Diensten-Morten, der rechten und linken Hand von Norbert, dem Mann für alle Fälle, dem Mädchen für alles. Hinter den beiden das weiße Schreibbord. Diesen Platz beansprucht er immer für sich, denn hier entstehen in beinahe jeder Sitzung seine gefürchteten Zeichnungen, die er fabriziert, wenn er dem Gremium etwas klar machen will. „Ich zeich euch das ma …“ sagt er dann, nimmt den Fasermaler und beginnt mit großen Schwüngen die Tafel voll zukritzeln. Zwei dieser Schwünge sind dauerhaft an der Tafel verewigt. Sie lassen sich nicht mehr wegwischen, weil Norbert in seinem Eifer den falschen Stift erwischt hat, nämlich den Permanent Marker und nicht den Stift mit der abwischbaren Farbe.
Kathrins Blick geht von Morton weiter zu den Kollegen, die ihr gegenüber an der Fensterseite des Vierecks sitzen. Eigentlich sind das die besten Plätze, denkt sie. Man hat die Fensterfront im Rücken und muss nicht gegen das Licht gucken. Die Gesichter und vor allem die Mienen sind von Kathrins Platz aus nur schemenhaft zu erkennen. Wer dort sitzt, wirkt auf die anderen wie ein Scherenschnitt, hat sozusagen eine Tarnkappe auf, kann aber seinerseits die gegenüber sitzenden Leute mit ihren beleuchteten Mienen sehr gut erkennen. Außerdem hat man die Tür im Auge. So entgeht einem nicht, wer eben mal den Kopf zur Tür hereinsteckt und sich mit einem „Ach ich wusste gar nicht, dass hier …“ wieder zurück zieht.
Am Fenster sitzt der harte Kern des Betriebsrates, die wichtigen Betriebsräte, die das Sagen haben. Sie rekrutieren ihre Wählerschaft aus den fast vollständig gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und Arbeiterinnen der Produktionsabteilung und sitzen fest im Sattel. Der schreckliche Hermann ist natürlich mitten unter ihnen. Ein richtiger Prolet ist das und Kathrin findet ihn zum Kotzen, wovon der schreckliche Hermann wahrscheinlich gar nichts ahnt und was ihn sicherlich auch nicht die Bohne interessieren würde.
Bohneneintopf könnte ich kochen, denkt Kathrin, Bohneneintopf wäre mal wieder lecker, schön mit Hackfleischklößchen, Kartoffeln und Karotten - und mit Bohnen natürlich. Dem Betriebsratsvorsitzen gegenüber sitzen die Gemäßigten, wie Kathrin sie innerlich nennt, Hanno und Gert, deren Wähler die Angestellten von Service und Softwareentwicklung sind. Diese Plätze sind nicht so gut wie die Plätze an der Fensterseite, aber auch nicht wirklich schlecht, nicht so schlecht jedenfalls wie die Plätze an der Tür, wo Kathrin sitzt. Sie sitzt auf dem allerschlechtesten Platz im ganzen Raum, den Fenstern gegenüber, am weitesten von Norbert entfernt, und wenn die Tür aufgeht, hat sie sie im Kreuz. Kathrin ist die Quotenfrau, sie hat nur 13 Stimmen bekommen, weniger als alle anderen, aber sie hat damit einen Sitz im Betriebsrat ergattert, denn es gibt die Quotenregelung, die besagt, dass das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein sollte. Da vor allem in der Produktion viele Frauen beschäftigt sind, müssten eigentlich vier der elf Betriebsräte Frauen sein, doch da sich nur Kathrin gemeldet hat und sich sonst keine weitere Frau den Betriebsratswahlen gestellt hat, ist Kathrin die einzige Frau im Gremium. Und das nicht ohne Kommentar von Hermann, der keinen Zweifel daran lässt, dass er eine Frauenquote für völlig überflüssig hält. Wenn Frauen Betriebsrätin werden wollen, sollen sie sich aufstellen und wählen lassen, ist seine Meinung. Sollten sie genügend Stimmen bekommen, sind sie drin, sonst bleiben sie draußen, genau wie die Männer auch. Aber so über die Quote durch die Hintertür … „Wo bleibt denn da die Gleichberechtigung, da werden doch die Frauen gegen über den Männern ganz klar vorgezogen, so was ungerechtes!“ hat er damals gesagt, als bekannt gegeben wurde, dass Kathrin trotz ihrer geringen Stimmenzahl von jetzt ab zur Mannschaft gehört. „Die Frauenquote gleicht nur die Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern aus“, hatte Jogi damals gemurmelt „oder glaubst du tatsächlich, dass du in den Betriebsrat gewählt worden wärst - als Frau?“ Kathrin war damals über Jogis Unterstützung froh gewesen, denn sie selber hätte gar keine Erwiderung gewusst. Und selbst wenn sie eine gewusst hätte, wäre sie bestimmt still geblieben, denn irgendwie hat sie immer ein bisschen Angst vor Hermann.
Tiefkühlbohnen Karotten Hackfleisch schreibt Kathrin in drei Zeilen untereinander unter die Eier. „Hat jemand Änderungswünsche oder Ergänzungen zum Protokoll“, übernimmt Norbert wieder die Leitung der Sitzung, „so bitte ich um das Handzeichen. Wie ich sehe ist das nicht der Fall“, fährt er wieder ohne Pause fort. „Damit kommen wir zu Punkt zwei der Tagesordnung: der Fahrradständer am Südtor. Wie ihr alle wisst …“, beginnt er jetzt einen längeren Sermon über die Wichtigkeit von Fahrradständern im Allgemeinen und von überdachten im Besonderen.
Also Bohneneintopf? Oder vielleicht doch lieber irgendwas, das Phillip richtig gerne isst. Filetsteak mag er am liebsten. Ob sie ihm ein Filetsteak servieren sollte? Das würde ihn vielleicht etwas besänftigen. Phillip ist in letzter Zeit ziemlich unausstehlich und nur sehr schwer zu ertragen. Fünfzehn Jahre sind wirklich ein schreckliches Alter. Pubertät meets Wechseljahre, denkt sie und erschrickt über sich selber. Nana, soweit ist sie ja wohl noch lange nicht mit ihren zweiundvierzig Jahren. Zweiundvierzig! Mein Gott, so alt. Schon sechs Jahre keine sechsunddreißig mehr? Sechsunddreißig! Das war eine schöne Zeit, noch jung, noch voll im Saft, aber nicht mehr so grauenhaft harmlos und so grenzenlos naiv wie zum Beispiel mit fünfundzwanzig.
„… die Geschäftsleitung dagegen …“, dringt an ihr Ohr. Natürlich, die Geschäftsleitung ist dagegen. Die Geschäftsleitung ist immer dagegen. Gegen was ist sie diesmal? Gegen irgendwas im Zusammenhang mit dem Fahrradständer. Gegen Sachen, die Geld kosten, ist die Geschäftsleitung immer, das ist geradezu gottgegeben, und wenn Kathrin sich die Mühe machen würde, darüber nachzudenken, wäre sie vielleicht auch dagegen. Was soll ein Fahrradständer? Dazu noch mit Dach darüber, ein richtiger, ausgewachsener Unterstand wäre das. Der nimmt nur Platz weg und gerade den Platz dicht am Südtor, wo sie am liebsten mit ihrem Auto parkt. Da will sie bestimmt keine wuchtigen Unterstände haben, die ihr den Parkplatz wegnehmen, so dass sie längere Fußmärsche unternehmen muss, um zum Südtor zu kommen, vielleicht sogar bei Regen.
Der schreckliche Hermann haut gerade mit der Faust auf den Tisch und reißt sie aus ihren Gedanken. „Trotzdem, liebe Kollegen und Kollegen…“ Oha! Kathrin grinst. Der denkt wohl, dass er der kommende Betriebsratsvorsitzende wird und lässt schon mal das innen weg, „sollten wir nicht locker lassen und…“ Natürlich, der Betriebsrat sollte nie locker lassen. Und was kommt am Ende dabei heraus, wenn die Geschäftsleitung dagegen ist und der Betriebsrat nicht locker lässt? Um was es auch immer geht, es wird nicht so groß, so lang, so breit, so teuer, wie der Betriebsrat es fordert, aber auch nicht so klein, so kurz, so billig oder etwa gar nicht, wie die Geschäftsleitung es will. Eine schmutzige Hand wäscht die andere, denkt Kathrin.
„Damit kommen wir zur Abstimmung:“, sagt Norbert: „Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen.“ Für was denn? Kathrin hat gerade gedacht, dass sie kein Krösus ist und es daher kein Filetsteak gibt; aber den Bohneneintopf will sie Phillip nun doch nicht antun und hat die Tiefkühlbohnen Karotten Hackfleisch wieder durchgestrichen. Unauffällig schielt sie zu Hanno. Der hebt die Hand, ist also dafür. Dann ist Kathrin auch dafür. Sie hebt ebenfalls den Arm. „Gegenstimmen?“ Hermann hebt den Arm. Na dann hat sie ja alles richtig gemacht, denn wenn Hermann dagegen ist, ist sie todsicher dafür, soviel steht mal fest.
„Dann kommen wir jetzt zum letzten Tagesordnungspunkt: Aussprache und Verschiedenes. Hat jemand etwas zu sagen?“ Diesmal macht Norbert eine Pause, eine lange Pause sogar. Gerd meldet sich. „Am Südtor ist die Asphaltierung abgesackt. In der Kuhle steht regelmäßig Wasser. Man kann die Firma nur noch in Gummistiefeln betreten und bei Regen muss man schwimmen.“ Norbert notiert sich etwas auf dem großen Block, der vor ihm liegt, und nickt. „Ich kümmere mich drum. - Weitere Punkte?“ Er hebt fragend den Kopf. „Hermann? … Jogi? … Hanno? … Kathrin? …“ Er ruft jeden einzeln auf, sieht ihn fragend an und geht erst zum nächsten über, wenn der Aufgerufene mit dem Kopf geschüttelt oder „nein“ gesagt hat. Kathrin schüttelt den Kopf. Das mit der großen Pfütze vor dem Südtor ist ihr auch schon aufgefallen, aber sie hatte sich irgendwie nicht zuständig gefühlt. Schade, das hätte sie auch vorbringen können. Als Betriebsrat hat man schließlich die Aufgabe, sich um das Wohl der Kollegen zu kümmern und nicht nur in den Sitzungen dumm herum zu sitzen. Aber ihr fällt irgendwie nie was ein. Sie weiß sowieso nicht, was sie von dieser Abfragerei halten soll. Irgendwie findet sie das blöd. Was soll das? Aber andererseits, wenn sie wirklich etwas vorzubringen hätte, dann weiß sie, dass sie es auch vorbringen könnte und nicht etwa nicht gesehen oder untergebügelt würde. „Wie ich sehe, ist das nicht der Fall“, sagt Norbert, „die Sitzung ist geschlossen.“
Kathrin schaut auf die Uhr: halb zwölf, um neun hat die Sitzung angefangen. Jetzt lohnt es sich eigentlich nicht mehr, vor dem Mittagessen noch zurück ins Büro zu gehen. Nachdenklich bleibt sie sitzen. Vor ihr liegt ihr Notizzettel. Sie malt einen großen Kreis und in den großen Kreis zwei kleine Kreise, noch zwei Dreiecke oben auf den großen Kreis und eine Spirale hinten dran. Dann schaut sie hoch. Hanno und Gerd stehen am Fenster. Die wollen wohl auch nicht mehr ins Büro und starten gleich von hier in die Kantine. Heute ist schon Dienstag, es geht also stramm aufs Wochenende zu. Was hat sie bis jetzt eigentlich geschafft? Sie schaut auf ihren Notizzettel: Milch Brot Eier Tiefkühlbohnen Karotten Hackfleisch steht da und daneben ist ein kleines Schweinchen gezeichnet.
*
Kathrin schließt ihre Haustür auf, macht sich die Schuhe an der Matte sauber und tritt ein. „Haaalo, ich bins“, ruft sie in den Flur, erhält aber keine Antwort. Die Tür zum Wohnzimmer steht ein wenig auf und sie hört gedämpft das mechanische Klicken eines Computerspiels, untermalt von einem eintönig-sphärischem dideldum dideldei, das wohl ebenfalls von dem Spiel herrührt. Sie geht auf die Tür zu und stößt sie auf. Auf dem Sofa sitzt ihr Sohn, hält einen grauen Kasten vor sich und drückt mit der linken Hand hektisch auf die Knöpfe, während er rechts mit einem kleinen Pinnökel hin und her rührt. „Hey Mutter“, sagt er, ohne sie anzusehen, und starrt weiter wie gebannt in den Fernseher, „setz dich und sei ruhig, ich bin gerade beim Endgegner.“ Schön, wenn man so herzlich empfangen wird, denkt Kathrin, nimmt brav neben ihrem Sohn auf dem Sofa Platz und sieht dem Geschehen im Fernseher zu.
Auf dem Bildschirm sind so etwas Ähnliches wie Comicfiguren zu sehen. Ein kleiner Comic-Junge läuft hin und her und erschlägt mit seinem Schwert irgendwelche Krabbeltiere. Die Tiere quellen aus Kugeln, die eine große, gelbe Ente, die in einem Korb am oberen Bildschirmrand schwebt, auf den Jungen wirft. Die Krabbeltiere tänzeln auf dem Boden herum und versuchen, den kleinen Jungen mit ihren Zangen zu zwicken. Doch der Junge verteidigt sich und ersticht die Krebse mit seinem Schwert. Jedes Mal, wenn er einen erwischt hat, steigt eine kleine Rauchwolke auf und der Krebs verschwindet im Nichts. Aber es scheint ein ganz nutzloses Unterfangen zu sein, all diese Krebse zu erschlagen, denn ständig wirft die Ente neue Kugeln, aus denen wieder neue Krebse mit großen Zangen heraus kommen. Die Ente hat einen überdimensionalen, roten Schnabel, mit dem sie freundlich lächelt. „Warum schmeißt die nette Ente mit Kugeln?“, fragt Kathrin. „Die nette Ente ist der Endgegner und will mich umbringen.“ „WAS? Warum das denn?“ „Du nervst“, sagt Phillip statt einer Antwort.
Je länger Kathrin zusieht, desto mehr fiebert sie mit dem Spiel mit. „Da“, sagt sie aufgeregt und zupft Phillip am Ärmel, „da links, da ist noch ein Krebs, den hast du noch nicht erwischt.“ Phillip rückt unwillig von ihr ab. „Der ist blau. Die Blauen tun nichts, ich erschlage nur rote Gegner.“ Ach ja, jetzt merkt auch sie, dass die kleinen Krebse unterschiedliche Farben haben. Es gibt rote, grüne und blaue. Die roten sind aber in der absoluten Überzahl. „Woher weißt du, dass die Roten rot sind?“, fragt Kathrin. „Das SEHE ich! Mein Gott Mutter, sei still, ich muss mich konzentrieren.“ Also versucht Kathrin, nicht weiter zu stören, sondern zieht nur ganz leise die Spielanleitung, die auf dem Tisch liegt, zu sich heran und blättert darin herum. Endlich findet sie die Seite, auf der die Spielsituation dargestellt ist, die sie gerade auf dem Bildschirm sieht. Da sind die gelbe Ente mit ihrem roten Schnabel und jeweils ein roter, ein grüner und ein blauer Krebs abgedruckt. Endgegner des 2ten Level steht in fetten Buchstaben unter der Ente und in der Zeile darunter in kleinerer Schrift Nimm Dich vor den roten Krabben in Acht.
So so, dieses Computerprogramm kann also rot und grün und gelb und blau auf dem Bildschirm darstellen und genau dieselben Farben auch in die Spielanleitung drucken. Das ist ja interessant. Damit kann das blöde Computerspiel mehr als der ganze Laden, in dem sie arbeitet, und der Meyerkotz ist völlig zu Recht stinkig darüber, dass das mit dem Programm, das er von ihnen gekauft hat, nicht klappt.
Es klingelt. Kathrin steht auf und geht zum Telefon. Na, das hätte sie sich ja denken können, die Ladestation ist leer, das Mobilteil liegt mal wieder irgendwo in der Wohnung herum. Phillip lässt das Telefon immer genau dort fallen, wo er es nicht mehr braucht. „Wo ist das Telefon?“, fragt sie, doch Phillip starrt weiter in den Fernsehkasten und drückt wie wild auf den Knöpfen herum. Kathrin bleibt stehen, horcht angestrengt und versucht, das Klingeln zu orten. Könnte aus Phillips Zimmer kommen. Hoffentlich hält der Anrufer solange durch, bis sie das Teil gefunden hat.
Als sie Phillips Zimmer betritt, wird der Ton lauter. Na prima, das Ding muss also hier irgendwo versteckt sein. Sie hebt zwei Hosen hoch, die auf dem Fußboden liegen, schubst zwei Socken und eine schmutzige Unterhose mit dem Fuß beiseite, aber sie kann das Ding nirgends entdecken. Also liegt es wohl in Phillips Bett. Phillip hat ein Hochbett, aber es gibt keine Leiter zum Aufsteigen. Die Leiter, die es einmal dazu gab, hat er in den Keller gewuchtet, denn sie war ihm in dem kleinen Zimmer im Weg. In sein Bett kommt er auch ohne Leiter. Dafür stellt er sich auf die Heizung, stemmt sich am Bettrand hoch und schwingt die Beine ins Bett, zack, ist er drin. Kathrin kann das nicht. Da der Telefonhörer anscheinend im Bett liegt, kann sie also auch nicht telefonieren, zumindest nicht jetzt und nicht mit demjenigen, der gerade versucht anzurufen. Sie hüpft noch ein bisschen vor dem Bett auf und ab und versucht, das Telefon im Bett zu ertasten. Dann gibt sie auf. Sie will das Zimmer gerade wieder verlassen, da findet sie das Telefon doch noch. Es liegt unter einem aufgeschlagenen Buch auf Phillips Schreibtisch.
„Ja?“, sagt sie, nachdem sie den grünen Knopf gedrückt hat. „JA! Was soll das heißen: JA. Kannst du dich nicht vernünftig melden?“, kommt es aus dem Hörer gemeckert. Wortlos geht Kathrin zurück ins Wohnzimmer. „Dein Vater“, sagt sie und hält Phillip das Telefon hin. Augenblicklich lässt Phillip den grauen Kasten fallen, greift nach dem Hörer und verschwindet mit einem „Hallo, Papa, wie geht’s, Du hör mal, was ich heute …“ aus dem Zimmer. Kathrin bleibt allein mit der Ente und den Krebsen zurück. Sie hebt den grauen Kasten vom Boden auf, drückt auf alle Tasten und rührt hektisch mit dem Pinnökel herum, doch sie kämpft auf verlorenem Posten. Die roten Krebse zwicken sie von allen Seiten und im Nu ist sie tot.
Game over.
*
„Moin allerseits“, sagt Kathrin, umrundet den kleinen Tresen neben der Tür, quetscht sich an Rolo vorbei, der mal wieder im Weg sitzt, schmeißt ihre Handtasche schwungvoll unter ihren Schreibtisch und lässt sich auf ihren Bürosessel plumpsen. „Mach das noch mal, ich fühl deinen Busen so gern in meinem Nacken“, sagt Rolo, ohne allerdings von seiner Tastatur aufzublicken. „Später“, sagt Kathrin. „SPÄ-TER hast du keine Zeit mehr“, lässt sich Jochen von gegenüber vernehmen. „Der Bischopp war schon zweimal hier wegen Meyerkotz, aber du hattest sicher bisher Besseres zu tun, als dich um derart unwichtige Dinge wie die Reklamation unseres größten Kunden zu kümmern. Warum das Unternehmen so jemanden wie dich beschäftigt, ist mir wirklich schleierhaft.“
Du meine Güte, hat Jochen mal wieder schlechte Laune, denkt Kathrin. Ist heute Montag? Montags hat Jochen traditionell schlechte Laune, die sich oft bis zum Dienstag hinzieht und die er konsequent an Rolo und Kathrin auslässt. Kathrin guckt auf ihren Terminkalender. Nee, heute ist weder Montag noch Dienstag. Da hätte sich die Laune von Jochen doch langsam bessern können. Muss ja ein ganz grauenhaftes Wochenende gewesen sein, wenn seine miese Stimmung so lange vorhält. Sie rollt mit ihrem Stuhl ein wenig zurück, damit sie bequem die Füße auf den Tisch legen kann.
Kathrin hatte lange Zeit geglaubt, dass Jochens Wochenenden ganz himmlisch sein müssen und dass er dann am Montag total vergrätzt ist, weil jetzt wieder fünf elende Arbeitstage vor ihm liegen. Das wäre ihr nur allzu verständlich vorgekommen, denn ihr geht es genauso. Auch sie findet die Wochenenden am schönsten und könnte auf die fünf Arbeitstage bis zum nächsten Wochenende gut verzichten.
Jochen lebt mit seiner Freundin zusammen, die für ihn putzt, backt, kocht und überhaupt in jeder Hinsicht für sein leibliches Wohl sorgt, wie er gar nicht oft genug erwähnen kann. Jeden Mittag holt Jochen zwei Tupperdosen aus seiner Aktentasche und verzehrt genüsslich deren Inhalt. In der einen Dose sind zwei belegte Brote mit einem Salatblatt unter und einem Gürkchen über der Scheibe Käse. In der anderen Dose liegen zwei Dutzend mundgerecht geschnittene Apfelscheiben und Karottenstücke, von zarter Frauenhand geschnitzt und so liebevoll eingetuppert, wie es grobe Männerpfoten gar nicht bewerkstelligen können - und Jochens schon gar nicht. Dafür hat er ja auch sein Frauchen, das ihm tagtäglich den Himmel auf Erden bereitet und am Wochenende das Paradies schlechthin beschert. So jedenfalls dachte Kathrin.
Doch dann kam ein Wochenende, an dem Jochens Freundin zu ihren Eltern fuhr, wie Jochen erzählte. Kathrin hatte damals das ganze Wochenende schlecht geschlafen, weil sie sich vor Jochen und seiner schlechten Montagslaune fürchtete, die jetzt sicherlich noch schlechter sein würde, wo seine Freundin ihm nicht das Paradies schlechthin bescheren konnte. Aber der Montag kam und es erschien ein ausgesprochen leutseliger, gut gelaunter Jochen, der einen Scherz nach dem anderen vom Stapel ließ. An diesem Montag war Kathrin