Alles nur Theater
Agenten spaßen nicht
Guten Appetit, mein Schatz
Alles wegen Max
El Diablo Chi Chi
Sweety´s Trottel
Kernige Lügen
Mein gefiederter Freund
Endlich der Richtige
Erben will gelernt sein
Klappe zu für Waldemar
„Muss das sein, dass du schon wieder weggehst?“ Er sah ihr mit einer Mischung aus Ärger und Enttäuschung zu, wie sie in den kurzen Lackmantel schlüpfte und den Gürtel fest zuzurrte. Das betonte ihre Taille. Sie hatte eine tolle Figur. Sie war überhaupt eine tolle Frau, fand er. Und er war noch genau so verliebt in sie wie an dem Tag vor fünf Jahren, als er sie vom Fräulein Blaschke zur Frau Mayer gemacht hatte. Mayer mit >Y<, darauf legte sie großen Wert. Weil es ein kleines Bisschen weniger spießig klang als Meier mit >E-I<. Helmut schmunzelte bei diesem Gedanken und bei der Vorstellung, dass seine Karin tatsächlich davon träumte, Schauspielerin zu werden.
In der einen Hand die Lackledertasche, in der anderen den Türgriff, drehte sie sich ihm noch einmal zu. „Wir haben heute eine Sprechprobe. Da werden die Rollen vergeben. Kann spät werden, warte nicht auf mich. Tschau!“
Damit ließ sie ihn allein. Wie schon oft in den letzten Wochen. Seit sie sich der Amateur-Theatergruppe angeschlossen hatte, hatte ihr Leben eine neue Perspektive gewonnen. Karin war aus ihrer Lethargie erwacht. Karin wusste jetzt, was sie wollte: FREIHEIT! Zeit, um Rollentexte auswendig zu lernen. Zeit, um in angesagten Kneipen zu sitzen so lang wie sie wollte. Zeit, um mit Robert ins Bett zu gehen so oft wie sie wollte. Vor allem das.
Robert war der Regisseur ihrer Gruppe. Der einzige Profi unter ihnen. Arm wie eine Kirchenmaus, aber mit Vorzügen ausgestattet, die einem normalen Spießerehemann eben fehlten: einem Gang wie ein Panther, einer Arroganz gegenüber allem Bürgerlichen, einer provozierenden Lässigkeit und einem beachtlichen Know-How in Liebesdingen. Eben ein echter Künstler in Karins Augen. Und das totale Gegenteil von ihrem Helmut.
Helmut dem Oberspießer. Mit wöchentlichem Wasch- und Erotikzwang. Immer Freitagabends. Erst das Bad, dann das eheliche Bettchen. Und am Samstagmorgen war das Auto dran. E-kel-haft. Karin wunderte sich, dass sie es überhaupt bis heute mit ihm ausgehalten hatte.
Aber nicht mehr lange. Dann war Schluss mit Helmut. Was bleiben würde, wäre ein schickes schwarzes Trauerkleid für sie, mit süßem kleinen Schleierhut dazu. Und, natürlich, ihre Freiheit.
„Hallo, Karin!“ Der dickliche junge Mann sprang erfreut vom Stuhl auf und ging ihr entgegen, um ihr den Mantel abzunehmen. Dabei wäre er viel lieber gerannt. Gerannt, um sie schnell in seine Arme zu schließen. Was allerdings nicht drin war. Noch nicht drin. Karin Mayer war verheiratet und damit tabu für einen angehenden Polizeibeamten. Obwohl ihr Mann, dieser Helmut, ein richtiges Monster war. Karin, dieses sanfte Geschöpf mit den veilchenblauen Augen, hatte ihm in der vergangenen Zeit ich Herz ausgeschüttet. Hatte ihm genau erzählt, wie der Kerl, der sich ihr Ehemann nannte, sie psychisch fertigmachte. Wie er sie beschimpfte und bedrohte, und wie er sie in der Wohnung als seine Gefangene hielt.
Guntram hatte ihr spontan seine Hilfe angeboten. Doch sie hatte nur die blonden Locken geschüttelt, auf ihre sanfte, traurige Art. „Vielleicht“, hatte sie geflüstert, „vielleicht bist du einfach nur da, wenn ich dich brauche. In meiner Nähe, falls.....“ Hier stockte ihre Stimme. Er merkte, dass sie erst Luft holen musste, um weiterreden zu können: „.....falls er gewalttätig wird, wenn ich ihm sage, dass ich mich scheiden lasse.“
„Wann? Sag mir einfach, wann ich da sein soll. Ich werde vor dem Haus stehen. Wenn es sein muss, 24 Stunden lang. Ich werde eure Fenster nicht aus den Augen lassen. Keine Sekunde. Verlass dich auf mich, Karin.“ >Liebes< wollte er noch hinzufügen. Doch dafür war es noch zu früh. Noch.
Alles lief wunderbar. Der Idiot stand da unten, hinter den Mülltonnen, und starrte hoch zum Fenster im dritten Stock. Braver Guntram. Ein Augenzeuge, dessen Aussage so solide und unumstößlich war wie der Fels von Gibralta. Die Gardinen hatte sie schon morgens abgenommen, um sie zu waschen. Helmut, der Gute, hatte ihr noch dabei geholfen. Die Lampen waren alle angeknipst. Der Briefbeschwerer lag auf dem Nachttisch. Die Show konnte beginnen.
„Das ist nett von dir, dass du mit mir proben willst. Bist eben doch der beste Ehemann von allen.“ Karin schenkte ihm ein reizendes Lächeln, denn ihre Mimik konnte der da unten nicht sehen. Hören konnte er auch nichts. Was zählte, das waren die Gesten. Die musste überzeugend wirken. Deshalb hob sie abwehrend die Hand vors Gesicht, als Helmut sich ihr näherte, um sie zu küssen. „Nicht,
Schatzi, ich habe was mit Knoblauch gegessen“, gab sie kichernd als Erklärung ab. Immer noch lächelnd ging sie aufs Bett zu. Er folgte ihr. Langsam, ganz langsam, ließ sie sich auf die Knie nieder, faltete die Hände und fixierte ihn. „Du weißt, was du zu tun hast?“
„Klar weiß ich. Sooo ungebildet bin ich auch nicht. Dieser Othello erwürgt seine Frau. Mit bloßen Händen, etwa auf diese Art…“ Die Finger zu Krallen gekrümmt wie Graf Dracula persönlich beugte er sich über sie. Dazu knurrte er: „Hast du auch zur Nacht gebetet, Dorothea?“
Es war zu komisch. Während sie lachte, griff sie nach dem Briefbeschwerer. Ein schweres, spitzes Ding aus Messing, das erfreulich gut in der Hand lag. Jetzt war er direkt über ihr mit seinem glattrasierten Gesicht, dem ordentlichen Haarschnitt und dem Herrenduft, 7, 95 Euro die Flasche, dem Weihnachtsgeschenk seiner lieben Mutter.
„Na los, Helmut, mach schon. Du musst genau so tun, als würdest du zudrücken.“
Das war ihre letzte Regie-Anweisung. Dann schlug sie zu. Gleich zwei Mal, vorsichtshalber.
Er sackte zusammen wie ein Souflé, das zu früh aus dem Ofen gekommen war. Pffffffffft, die ganze Luft draußen. Sie ließ das blutige Messingding fallen, schrie auf und hastete zum Fenster. Ja, er war hinter den Mülleimern hervorgesprungen und nun auf dem Weg zu Haus, um ihr zu Hilfe zu eilen. Guntram, der junge Polizist, hatte mit eigenen Augen gesehen, wie ihr Mann sie erwürgen wollte und wie sie um ihr Leben gekämpft hatte. Notwehr war´s gewesen, reine Notwehr.
Immer mehr Blut sprudelte aus den beiden Kopfwunden, um schließlich in einem trägen dicken Strom in der Velours-Auslegeware zu versickern. Der tote Helmut hatte Augen und Mund weit aufgerissen. Dadurch sah er gleichermaßen erstaunt wie dümmlich aus.
„Desdemona heißt es, nicht Dorothea“, belehrte ihn seine hübsche Witwe. Sanft und nachsichtig. „Othello und Desdemona.“
Ingo hatte nicht zu viel versprochen. Silvester auf dem Dorf war spitze. Echt. O-ber-af-fen-geil. Mal was anderes als Gala-Menü im Steigenberger oder Schickie-Mickie-Fete bei Hetty. Ganz was anderes. Simone kicherte, als sie daran dachte, wie sie mit dem Rest der Clique den GASTHOF ZUM GRÜNEN BAUM gestürmt hatte. Durch die Eicherustikalstube durch, hoch in den so genannten Festsaal. Das war ein lächerlicher Raum voller lächerlicher Tischreihen vor lächerlichen Sitzbänken, dekoriert mit lächerlichem Papierzeugs.
Und erst die Leute!
Die waren das Lächerlichste von allem. Dralle Dorfschönheiten in engen Stretchminis, Marke Wurstpelle. Die reiferen Damen mit frischen Dauerwellen, gebrannt in der Hölle. Ein Kopf wie der andere. Putzig, einfach putzig.
Simone hatte sich zwischen ihnen gefühlt wie der Schwan zwischen den hässlichen Entlein; ganz grazil, ganz erhaben. Eben mit Klasse. Allein dieses Feeling war die lange Fahrt von der Stadt aufs Land wert gewesen. Sie hatte es genossen.