Copyright 2015 Eckard Wulfmeyer
Eckard Wulfmeyer
Pfotenland
Medemstade 64
21775 Ihlienworth
Tel.: 04755-333505
Mail: info@pfotenland.de
www.pfotenland.de
www.wege-zum-hund.de
ISBN:
9 783739 298634
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
Alle Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, von:
Eckard Wulfmeyer
Ich danke all den vielen Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet, die mich in den letzten Jahren auf diesem Weg zum Hund begleitet haben, die mir vertrauten und diesen Weg fernab moderner Trends gegangen sind und sich heute freuen, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Hund zu haben. Die überrascht waren, wie einfach und befreiend es ist. All diesen Menschen ist dieses Buch gewidmet. Und all den Menschen, die diesen Weg noch gehen werden.
Ich danke allen, die mir bei diesem Projekt geholfen haben, sei es durch Fotos, Ideen, Anregungen, Diskussionen oder einfach nur für ein Foto Modell stehen.
Ich danke Hannah Biester und Sarah Wulfmeyer für ihre vielen Stunden der Rechtschreibungskorrektur dieses Buches und ihrer eingebrachten Kreativität im Ausdruck und Layout.
Ich danke den Mitarbeitern unseres Pfotenlands in Ihlienworth für ihre Gedanken und ihr Feedback.
Mein besonderer Dank gilt meiner Frau Andrea Rahe, die mich auch dieses Mal wieder mit Rat und Tat unterstützt hat und ohne die dieses Buch nicht so wäre, wie es nun ist.
Die Beschreitung des Pfoten-Pfades ist eine spannende Reise, vergleichbar mit einer Safari. Wir befinden uns in einem fremden Land mit einer unbekannten Sprache und endemischen Verhaltensregeln. Nun kommt ein Eingeborener dieses Landes zu uns und soll bei uns leben. Gefragt hat ihn allerdings niemand. Hätte er die Wahl gehabt, wäre er sicher lieber unter Seinesgleichen geblieben.
Daher sind wir es diesem kostbaren Lebewesen schuldig, seine Sprache und sein Verhalten zu lernen, es ernst zu nehmen und seine Bedürfnisse zufrieden zu stellen.
Begeben wir uns also auf Safari und versuchen mit unseren beschränkten Mitteln, uns ein klein wenig in die Welt des Hundes hineinzuversetzen.
Foto: Jeanette Güldner
Es gibt unendlich viele Dokumentationen über den Hund, wissenschaftlich fundiert oder auch emotional beladen. Aber was sagt das wirklich über das Individuum Hund? Ich kann schreiben, wie viele Zähne und wie viele Krallen er hat, welche Farbvarianten es gibt und wie sie heißen, wie toll er hören kann und was er mit seinem Gehör alles anstellen kann, dass er zwei identische PKW anhand ihrer Motorengeräusche unterscheiden kann, er seine Ohren ähnlich einer Richtantenne ausrichten kann, um Beute, die sich dicht unter der Erdoberfläche bewegt, zu orten. Ich kann erwähnen, wie genial seine Augen aufgebaut sind, mit dem eingebauten Nachtsichtgerät, dem Tapetium, das ihm dabei hilft, selbst bei starker Dämmerung noch klar und deutlich zu sehen, oder, dass er mit seinen Sinnesorganen durch Wasser hindurch riechen und so Menschen finden kann, die am Grund eines Sees liegen, dass er durch sein Geruchsorgan einzelne Geldscheine voneinander unterscheiden kann. Dass er nur aufgrund des Geruches unterscheiden kann, ob sich in einer Tasche 10,- € Scheine oder 50,- € Scheine befinden. Ich kann berichten, dass die Hunde über den Geruch, neben dem Sehen und Hören einen weiteren Kommunikationskanal haben, die so genannte olfaktorische Kommunikation. Sie riechen dadurch unsere Stimmung und durchschauen uns sofort und viel genauer als wir sie.
Mit vorgespielten Emotionen von uns können wir sie nicht beeindrucken. Im Gegenteil, wir würden uns unglaubwürdig machen. Michael Fleischer sagt: "Der Mensch nimmt in der interspezifischen Kommunikation meist weniger Zeichen wahr, als an ihn gesendet werden, und der Hund nimmt mehr wahr, als der Mensch an ihn bewusst sendet." Deswegen durchschaut der Hund bei uns Menschen auch sofort alles, was nicht authentisch ist. Doch all diese Fakten würden nur an dem vorbeigehen, was den Hund für uns so liebenswert macht, ihn so wichtig macht, dass wir ihn schon vor Jahrtausenden domestiziert haben und er uns Menschen seit dem über Generationen begleitet.
Es wären nur Zahlen, wissenschaftliche Aneinanderreihungen, die aber das Wesen, das was den Hund für uns so bedeutend macht, nicht erfassen. Wenn wir beschreiben sollen, was ein Hund ist, was wir an ihm lieben oder hassen, je nach Blickwinkel des Betrachters, so stellen wir schnell fest, dass es gar nicht so einfach ist, die Faszination Hund einzufangen und in Worte zu fassen. Denn genauso wie wir Menschen unterschiedliche Individuen sind, genauso unterschiedlich sind die Beweggründe für Zuneigung oder Abneigung gegenüber dem Hund. Und genauso unterschiedlich sind die Versuche, zu beschreiben, was ein Hund ist.
Was wir aber sagen können: Ihm ist wichtig in einem klaren, sicheren und stabilen Umfeld zu leben und das Überleben seines Rudels zu sichern, damit auch seine Gene, und wenn es nur die seiner Geschwister sind, die ja zum Teil auch seine sind, weitergegeben werden an die kommenden Generationen, und damit auch ein Teil von ihm. Ihm ist wichtig, dass wir ihn so sehen wie er ist und was er ist: ein Hund!
Natürlich gibt es noch gesunde Rassen und informierte Züchter, gut sozialisierte Welpen und interessierte Halter, kurzum: Hunde, die ernstgenommen, bewegt, begrenzt, weder zur Schnecke noch zum Affen gemacht werden und einfach so sterben dürfen, nachdem sie ein Hundeleben lang glücklich und frei waren. Nur sind sie inzwischen die große Ausnahme. Hier ist die Rede von den anderen: Denn irgendetwas geht bei fast jedem Hund schief. Bei den meisten sogar einiges und bei gar nicht so wenigen alles.
Ob ein Hund vernünftig an der Leine gehen kann, hängt nicht von der Rasse ab.
„Kein anderes Haustier wird so sehr mit Gefühlen
überfrachtet, überhaupt so unsachlich betrachtet,
falsch gehalten und würdelos behandelt wie der
Hund.“ - Dr. Feddersen-Petersen , Universität Kiel
Seine vielen Eigenschaften, allen voran natürlich seine uns gegenüber viel besseren Sinnesleistungen, haben den Hund über Jahrtausende für uns zu einem Aufpasser, Sicherheitsdienst und Einbruchmeldeanlage gemacht. Er ist bei vielen Arbeiten ein Helfer und hat in den letzten Jahrtausenden der Menschheit geholfen zu bestehen, sich zu entwickeln und Fortschritte zu machen.
Stellvertretend für die Millionen von Hunden, die den Menschen in ihrer Entwicklung geholfen haben, sei eine kurze Geschichte von Senta erzählt. Senta war ein Hütehund und die rechte Hand meines Großvaters, der in der Mitte des letzten Jahrhunderts eine Schäferei betrieb. Senta hatte einen Wurf junger Welpen. Bereits einige Tage nach der Geburt musste sie wieder mit raus an die Herde. Dort wurde jeder Hund gebraucht. Mein Großvater blieb mit der Herde in der Nähe seiner Schäferei und schickte Senta zwischendurch immer wieder nach Hause, damit sie ihre Welpen säugen konnte. Nach Aufforderung durch meinen Großvater machte sich Senta auf dem Weg. Meine Großmutter öffnete zur vereinbarten Zeit die Tür zu den Welpen und Senta ging geradewegs zu ihren Jungen und säugte sie. Wenn alle satt waren und sich zur Ruhe begaben, rannte Senta wieder los zu meinem Großvater und machte dort ihren Job an den Schafen weiter. Senta verstarb in der Schäferei im Alter von 14 Jahren.
Die Fähigkeiten des Hundes, zu spüren wie unsere aktuelle Gefühlswelt gerade aussieht, machen ihn zu einem Freund, dem wir gerne unsere Zuneigung geben, manchmal uns sogar anvertrauen in schweren Stunden. Er gibt auch gerne seine Zuneigung an uns zurück. Es ist unbeschreiblich, wenn dein Hund stolz an deiner Seite ist und dir vertraut. Für deinen Hund ist es unbeschreiblich schön, mit dir jemanden zu haben, der weiß, wie das Leben funktioniert und ihn sicher und behütet durchs Leben führt. Jemanden, zu dem er aufschauen kann, jemanden, den er versteht und weiß, woran er ist.
Wir verbinden mit dem Hund Spaß, mit ihm spazieren zu gehen und Abenteuer in der Natur zu erleben, mit ihm Wälder zu durchstreifen und zu erforschen. Ein Stück weit uns selbst zu finden. Entspannung und Erholung. Wir verbinden mit dem Hund einen treuen Begleiter, der mit uns überall durch dick und dünn geht. Wir verbinden mit dem Hund Geborgenheit, dass er mit uns kuschelt und auf uns aufpasst. Wir erwarten von dem Hund Zuneigung. Jemanden, den wir gern haben können und von dem wir uns wünschen dass auch er uns gerne hat. Das alles zusammen sind ganz schön viele Erwartungen, die wir an einen Hund stellen. An unseren Hund stellen. Und es bedarf einer vertrauensvollen und stabilen Beziehung zu seinem Menschen, damit er all diesen Vorstellungen entsprechen kann und nicht am Ende einer von beiden oder womöglich beide voneinander enttäuscht sind.
Damit dies nicht passiert, müssen wir den Hund als Hund verstehen und ihn begreifen. Wir müssen uns klarmachen, was das Wichtigste für ihn in seinem Leben ist. Es ist nicht die Jagd oder die Nahrungsaufnahme, wie gerne angenommen wird, die ist nur Mittel zum Zweck.
Das Wichtigste für ihn ist das Rudel, seine soziale Gemeinschaft! Es sorgt für die Strukturen in seinem Leben. Hier bekommt er Sicherheit in Form von Obhut, Geborgenheit und Klarheit in Form von sozialen Regeln, die das Zusammenleben ordnen. Hier weiß er immer und bei jedem, woran er ist und dass er sich auf ihn verlassen kann, wie auch die anderen wissen, dass man sich auf ihn verlassen kann. Hier lebt er in einer Hierarchie, die ihm Sicherheit und Schutz verspricht. Wie wichtig dies für den Hund ist, zeigt sich daran, dass sich um die 70 % seiner gesamten Kommunikation mit dem sozialen Miteinander im Rudel beschäftigt.
Vergiss nie, dass dein Hund nur dich hat, du sein ganzes Leben bist. Wenn du nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommst, vergiss nicht: Du hast deine Arbeit, deine Freunde, deine Hobbys, deine Familie. Dein Hund hat nur dich. Mit einem Computer, Smartphone oder Fernseher weiß er nichts anzufangen. Dein Hund begleitet dich nur einen Teil deines Lebens, aber du begleitest ihn sein ganzes Leben. Du bist sein Leben. Du kannst ihn nicht ein paar Tage nicht beachten, wie ein Buch oder ein Spielzeug oder ihm heute etwas weniger Beachtung schenken, weil dir andere Dinge wichtiger sind, oder heute nicht mit dem Fahrrad fahren, weil es eben geregnet hat und er dann dreckig wird und diesen Dreck in deine Wohnung trägt. Sperre ihn nicht weg, wenn du mal mit ihm böse bist, das hilft ihm nicht sondern trennt euch nur, es entfernt euch voneinander. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, dann hättest du dir keinen Hund holen sollen, sondern ein Stofftier oder einen elektrischen Hund mit Fernbedienung. Der stellt auch nicht deine Geduld auf die Probe oder deinen Willen oder deine Weltanschauung. Dein Hund tut das. Er ist eben ein Hund.
Entscheidend für deinen Hund ist nicht die Größe deines Gartens. Auch nicht die Anzahl der Spielzeuge, die sich im Garten oder im Haus befinden, oder die Witzigkeit der Sprüche auf seinem Geschirr. Noch weniger Taschen voller Zubehör, die ihn beschränken oder geschmacksoptimierte Leckerlies. All das wird er in deinen Augen nicht zu schätzen wissen. Er wird diese Dinge links liegen lassen, denn sie sind ihm nicht wichtig. Wichtig ist ihm ein Mensch, auf den er sich verlassen kann, mit dem er leben kann, mit dem er Bereiche seines Lebens teilen kann. Und hast du nun den Gedanken, dass all diese Sachen dein Hund nicht links liegen lassen würde, dann sagt dies schon eine Menge über eure Beziehung aus.
Man kann auch trotz Vollzeit-Arbeitsstelle einen Hund halten. Aber das ist anstrengend. Sehr anstrengend. Und zwar für mehrere Jahre. Und die Erwartungshaltung deines Hundes dir gegenüber ist natürlich dann noch höher. Für dich bedeutet so eine Situation, jeden Tag nach der Arbeit mit deinem Hund los zu ziehen. Nicht für 15 Minuten, nicht für 1 Stunde, sondern für mehrere Stunden. Jeden Tag nach deiner Arbeit. Bei jedem Wind, bei jedem Wetter, bei Regen, Frost und Schnee. Du darfst nie vergessen, dass dein Hund den ganzen Tag alleine Zuhause war, sich ausgeruht hat für den Abend, wenn du erledigt von der Arbeit kommst. Er war den ganzen Tag alleine und er möchte noch etwas von diesem Tag haben. Er möchte noch etwas erleben. Er möchte mit dir zusammen sein und er möchte die Energie loswerden, die in ihm steckt. Er möchte mit dir toben, mit dir Abenteuer erleben, die Welt erforschen.
Foto: Sandra von Bergen
Kannst du ihm das nicht geben oder willst du ihm das nicht geben, so wird dein Hund enttäuscht sein von dir und entweder resignieren und sich selber aufgeben oder er wird protestieren, dir zeigen, dass er enttäuscht ist und dir damit zeigen, dass etwas in eurer Beziehung nicht in Ordnung ist. Wie dieser Protest aussieht, kann sehr viele Facetten haben. Das kann Nagen an sich selbst sein, das Umgestalten der Wohnungseinrichtung oder Pinkeln in der Wohnung. Es kann das Anspringen sein oder der Versuch, die Wände hochzukrabbeln vor Aufregung. Es kann das im Kreis laufen sein, wie um einen Baum oder im Gehege, es kann auch ein anhaltendes Fiepen und Jaulen sein. Es ist quasi ein Schrei des Hundes aus einer psychischen Qual heraus.
Das Einsperren in Transportboxen oder Welpenausläufen, und ich höre immer wieder von Menschen in solchen Situationen, dass das gemacht wird, ist dann übrigens keine Lösungsstrategie, sondern eine Vermeidungsstrategie, die es nicht besser macht, sondern das psychische Leid des Hundes noch erhöht. Versetze dich dazu ruhig selbst mal in die Lage des Hundes. Eine solche Unterbringung kommt einer Isolationshaft gleich.
Ein psychisch und physisch ausgeglichener Hund kann auch den Tag über alleine bleiben. Doch dazu musst du es schaffen, ihn in diese Ausgeglichenheit zu bringen, und das ist, wie ich eingangs bereits erwähnte, sehr anstrengend, aber es ist möglich.
Immer wenn du mit deinem Hund zusammen bist, gibt es einen der führt und einen der folgt. Etwas anderes kommt in dem archaischen Weltbild des Hundes nicht vor. Ohne Führung geht es nicht, ohne Führung bricht das Rudel auseinander. Wenn du als Mensch nicht führen willst oder kannst, übernimmt das der Hund und du bist dann derjenige, der folgt. Einer führt, einer folgt.
Stelle dir vor, du gehst mit mehreren Bekannten durch einen Wald mit vielen Abzweigungen. An jeder Abzweigung bleibt ihr stehen und diskutiert, ob ihr links oder rechts abbiegt oder geradeaus geht. Ihr geht Kompromisse ein und mal darf der eine und mal darf der andere entscheiden. Ihr kommt nur mühsam und schleppend voran. Womöglich kommt ihr gar nicht gemeinsam an, weil ihr euch zwischendrin zerstritten habt, und irgendwann jeder seinen eigenen Weg gegangen ist.
Stelle dir die gleiche Situation vor, ihr habt aber vorher festgelegt, wer die Richtung bestimmt, um zu eurem Ziel zu gelangen. Ihr habt vorher überlegt, wer euch führen soll und das habt ihr auf der Grundlage entschieden, wen ihr dafür am geeignetsten haltet, euch sicher, präzise und schnell durch den Wald zu führen. Es käme zu keinen Diskussionen. Zielsicher würdet ihr durch den Wald gehen und schnell würdet ihr den Bestimmungsort erreichen.
Das Gleiche passiert, wenn du mit deinem Hund durch den Wald gehst. Nur einer von euch kann bestimmen, wo es lang geht. Es mag zwar sein, dass ihr an vielen Abzweigungen der gleichen Meinung seid, aber an den Abzweigungen, an denen ihr unterschiedlicher Meinung seid, zeigt sich, wer führt und wer folgt. Wenn du an einer solchen Abzweigung deinen Hund erst überzeugen musst, den von dir eingeschlagenen Weg mitzugehen, bist du schon in einer Diskussion mit deinem Hund, die Zeit und Energie kostet und manchmal auch Nerven. Und dieses darfst du auf alle Situationen in eurem Zusammenleben anwenden. Hunde sind keine Demokraten und werden es auch nie werden.
Für Hunde bedeutet das Diskutieren einer Entscheidung nur die Unfähigkeit des anderen, zu führen. Warum geht dein Hund dann aber trotzdem an der Abzweigung rechts ab, wie du es wolltest, und nicht links, wie er es wollte? Er kann dich ja schlecht alleine im Wald lassen. Wie sollst du denn ohne ihn wieder aus dem Wald finden? Schließlich kannst du schlechter sehen, schlechter hören, schlechter riechen, schlechter laufen als er. Und eine schlechtere Vorstellung von Führung hast du auch noch, wie du ihm eben an der Abzweigung bewiesen hast.
Foto: Jeanette Güldner
Ihr beiden geht den Weg im Wald weiter entlang. Auf Entfernung siehst du schon, dass dir jemand mit seinem Hund entgegenkommt. Du schaust nun auf deinen Hund mit den Gedanken: "Was macht er? Hat er den anderen Hund schon gesehen? (Den braucht er nicht sehen, den hat er schon längst gerochen oder gehört oder beides.) Läuft er gleich zu dem anderen Hund und seinem Menschen hin?" Dann kombiniert dein Hund: "Mein Mensch ist unsicher. Vermutlich hat er Angst vor dem anderen Hund. Und er schaut mich an, weil er nicht weiß, was zu tun ist. Er fragt mich, was zu tun ist. Also werde ich mal überprüfen, was es mit dem anderen Hund auf sich hat, um dafür zu sorgen, dass mein Mensch sicher an diesem anderen Hund vorbeigehen kann." Ich bin mir sicher, dass du gerade selber merkst, wer hier die Führung übernommen hat. Und sollte dein Hund anschließend den anderen Hund anknurren, anbellen oder ähnliches, dann weißt du ja, dass dein Hund entschieden hat, was in der Situation zu tun ist, und nicht du.
Ein Hund hat immer das Verlangen, in einem Rudel zu leben, in einer Gemeinschaft, in der man zusammen das Überleben sichert durch Nahrungsbeschaffung und Weitergabe der Gene. Ohne eine solche Gemeinschaft führt er ein unausgefülltes Leben. Es bedeutet Einsamkeit, erhöhter Aufwand bei der Nahrungsbeschaffung und keine Chance, seine Gene an die nächste Generation zu vererben. Daher ist er immer bestrebt, in einem Rudel zu sein und wenn er in einem Rudel ist, dann ist er eins von zwei Dingen: Führer oder Folgender.
Der Hund an sich hat nicht den Anspruch der Führende in einer Gemeinschaft zu sein. Es ist ein anstrengender Job. Ständig muss man aufpassen, man muss präsent sein, man muss ständig Entscheidungen treffen, die Auswirkungen über das Wohl und Wehe der Rudelmitglieder haben. Man muss seine volle Konzentration und seinen gesamten Willen in den Dienst des Rudels stellen. Man muss dafür sorgen, dass keiner zu kurz kommt und dass alle an einem Strang ziehen. Soziale Spannungen muss man ausgleichen und Disziplin bei allen Mitgliedern einfordern. Aber einer muss den Job machen und wenn du es nicht bist, dann muss der Hund die Funktion übernehmen. Und so fragt er, wer von euch beiden die Position ausfüllen wird. Wer der Geschäftsführer in eurer Gemeinschaft ist. Und dies fragt er dich durch sein Verhalten, und in dem er dich beobachtet und dabei zu dem Schluss kommt, ob du fähig bist die Aufgabe, das Rudel zu leiten und sicher durch alle Eventualitäten zu führen, zu erfüllen oder nicht.
Erwarte nun kein spektakuläres Verhalten deines Hundes bei dieser Abfrage. Er wird nicht den Kampf mit dir suchen oder dich zu einem Spiel dabei herausfordern oder einen Tanz aufführen. In den allermeisten Fällen sind es Kleinigkeiten seines Verhaltens, die den Ausschlag geben wie er dich sieht. Es könnte zum Beispiel sein, dass er dich bei der Begrüßung mit gestreckten Vorderpfoten anspringt, was einer Ohrfeige gleich kommt, und prüft, wie du reagierst. Oder wenn du bei Hundebegegnungen auf ihn schaust, um zu sehen, was er macht, wie er sich verhält, kann dein Hund das nicht anders interpretieren, als dass du ihn fragst, was in dieser Situation zu tun ist. Und wenn du es schon in dieser alltäglichen Situation nicht weißt, wie sollst du es dann in anderen, gefährlichen, Situationen wissen?
Er wird sich dir immer mal wieder in den Weg stellen und schauen, ob du um ihn herum läufst. Oder er bringt dir einen Ball, schmeißt dir diesen vor die Füße, was nichts anderes bedeutet, als dass er dir das Kommando gibt, diesen Ball zu werfen. Und wenn er dir ein Kommando geben kann und du dieses ausführst, bedarf es wohl keiner Erläuterung, wer führt und wer folgt. Das Gleiche gilt, wenn ein Hund zu dir kommt, dich lieb anschaut, deine Hand mit seiner feuchten Nase anstupst, seine Flanke an deinen Beinen reibt, er dir also das Kommando gibt, ihn zu kraulen und zu streicheln.
Wenn du diesen Kommandos deines Hundes nachkommst, weiß der Hund, wer von euch beiden führt und wer folgt. Wundere dich dann nicht, wenn dein Hund dich als Kratzbaum ansieht, an dem man sich reiben und schubbern kann, aber nicht als einen sicheren und souveränen Menschen, auf den man sich in schwierigen Situationen verlassen und dem man vertrauen kann.
Das heißt nun nicht, dass du nicht mit deinem Hund spielen oder nicht mit deinem Hund kuscheln darfst. Du kannst ihm gerne den Ball werfen bis deine Schulter schmerzt. Du kannst ihn gerne - nein, du sollst ihn sogar - kraulen und streicheln. Beachte nur dabei, dass es von dir ausgeht und du nicht dem aufdringlichen und respektlosen Fordern deines Hundes nachkommst. Wenn er lernt, dass es für ihn von Vorteil ist, fremdbestimmt zu leben, und nicht selbstbestimmt, hast du einen wichtigen Schritt in seiner Entwicklung zu einem selbstbewussten und ausgeglichenen Hund getan. Er hat dann die Chance, ein freier Hund zu werden, weil du ihn sicher durch das Leben führst. Er hat dann die Chance, wirklich frei zu sein.
Wenn du Kinder hast und diese dir vor den Augen des Hundes auf der Nase herum tanzen, dann darfst du dich auch nicht wundern, wenn dein Hund dich nicht ernst nimmt. Es ist ja nicht so, dass er nicht mitbekommen würde, was da gerade bei euch Zuhause passiert. Und natürlich zieht er auch aus diesen Beobachtungen seine Schlüsse. Genauso bemerkt er, ob du krank bist, ob es dir körperlich oder psychisch nicht gut geht und zieht auch diese Faktoren bei seiner Entscheidung, dir bei einem Kommando zu vertrauen, mit ein.
Dadurch haben es zum Beispiel Menschen mit Depressionen oder Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren, bei ihrem Hund immer schwerer, die Gefolgschaft zu erlangen. Gerade für Menschen mit Depressionen ist das ein energiezehrender Aufwand, müssen sie sich doch mit ihrer Depression und ihrem Hund gleichzeitig auseinandersetzen. Ihnen fällt es vergleichsweise schwer, Entscheidungen zu treffen, was aber unabdingbar ist, wenn man jemanden anleiten, jemanden führen möchte. Und gerade draufgängerische Hunde sehen die Depressionen eines Menschen als Verlust der Übersicht und Kontrolle über die Gesamtsituation und haben das Gefühl, dass ein Vakuum entsteht, das sie füllen müssen.
Wenn ein Hund mit seinen Forderungen Erfolg hat und du seinen Kommandos nachkommst, stellt er sich unwillkürlich auch die Fragen, ob er dieses Verhalten wiederholen kann und was er noch beeinflussen kann, was er machen kann und was nicht? Und diese Fragen wird er dir stellen. Er wird sie dir so stellen, wie er es als Hund eben nur kann: durch sein Verhalten. Und er wird dich dann wieder ganz genau beobachten und aus deinem Verhalten die entsprechenden Rückschlüsse ziehen. Er wird feststellen, ob er mit dir machen kann was er will oder ob du ein Mensch bist, der über die entsprechenden Führungsqualitäten verfügt, ihn sicher und vertrauensvoll durch sein Leben zu leiten. Sollte dein Hund zu letzterem Entschluss kommen, dann hast du den vielfach umschriebenen treuen Begleiter an deiner Seite, der mit dir durch dick und dünn geht. Er wird dir in Situationen vertrauen, die ihm unsicher, brenzlig oder gefährlich erscheinen und wird sich auf dich verlassen. Er wird sein Leben und seine Gesundheit in deine Hände und deine Entscheidung legen. Und so etwas ist unbezahlbar. Das bringt dir kein Weihnachtsmann, kein Osterhase und kein Paketdienst. Das musst du dir erarbeiten. Das bekommst du nicht geschenkt. Du musst dich als würdig und respektvoll dem Hund gegenüber beweisen. Dann folgt er dir ruhig und gelassen überall hin.
Wenn du es nicht bist, der führt, dann ist es dein Hund, denn einer muss ja schließlich sagen, wo es lang geht. Und manchmal kann es sogar von Vorteil sein, wenn der Hund führt.
Im Spätherbst 1944 wurde mein Großvater in den "Volkssturm" eingezogen. Er musste die Schäferei quasi Hals über Kopf verlassen und an die Front. Meine Großmutter stand plötzlich ganz alleine vor den Arbeiten der Schäferei, mit denen sie bis dahin nicht vertraut war. Was war wann zu tun? Wann musste sie was mit den Schafen machen? Wann mussten die Schafe auf welche Weide und wann mussten die Schafe wieder zurück in den Stall? All das war für meine Großmutter etwas Neues. Was tat sie? Sie ließ die Hunde laufen und machen. Sie öffnete nur die Gatter, zu denen die Hunde, weil sie situativ mitdachten, die Schafe trieben. Den Tag über hüteten die Hunde selbstständig die Schafe und abends trieben sie die Schafe zum passenden Sonnenstand wieder hinein in den Stall. So lernte meine Großmutter nach und nach von den Hunden, wie das mit der Weidewirtschaft in der Schäferei funktionierte.
Meine Großmutter mit meiner Mutter und einer Welpenschar.
Im Lauf der Jahre haben viele Menschen mit ihren Hunden hilfesuchend unser Pfotenland aufgesucht und seitdem Hundehalter immer mehr ins Visier der Öffentlichkeit geraten, ist der Besuch einer Hundeschule oft schon verpflichtend.
Einigen Hundehaltern ist bereits im Vorfeld bewusst, dass sie selbst der Verursacher der Schwierigkeiten mit ihrem Hund sind. Ihnen ist von Anfang an klar, dass ihr Hund sich problematisch verhält, weil sie etwas falsch machen im Zusammenleben mit ihrem Hund. Und das, obwohl sie sich um ihren Hund liebevoll kümmern, ihn versorgen, sein Fell pflegen und regelmäßig mit ihm Gassi gehen. Sie finden nur nicht heraus, was es ist.
Andere kommen zu mir und berichten mir davon, wie sehr sie ihren Hund lieben, wie gut er eigentlich hört, wie gut er eigentlich folgt, wie toll ihr Hund ist, und wenn er jetzt noch auf Zuruf zu ihnen kommen würde, dann wäre er fast schon perfekt. Ach ja, wenn er auch noch aufhören würde alles zu fressen, was er auf dem Boden findet, dann täte das ihm und seiner Figur auch ganz gut. Und wenn er nicht mehr ewig die Socken der Kinder durch das Haus schleppen würde, dann wäre das auch ganz toll. Aber eigentlich sind wir zufrieden mit unserem Hund, höre ich immer wieder. Und dann passiert es, dass ein Hund, während seine Menschen mir erzählen, wie gut und lieb und treu ihr großer Hund doch sei, er eine Unterhose eines Kindes als Kothaufen absetzt. Selbst Überraschungseier und Plastikteile von Kinderspielzeug habe ich hier schon in abgesetztem Kot gefunden. Oder es passiert, dass der fast perfekte Hund sein Bein hebt und seinen Menschen markiert.
Was kann ich tun, wenn mein Hund ein Verhalten an den Tag legt, dass mir eigentlich nicht gefällt? Was kann ich tun, wenn ein Hund andere Dinge wichtiger findet als mich? Wenn er den Besuch nicht in Ruhe lässt, ihn bedrängt oder gar anbellt? Oder sich als Innenarchitekt betätigt? Oder er über bestimmte Untergründe, Brücken oder Treppen nicht geht? Er vom Tisch klaut oder Dinge, die ihm nicht gehören, in sein Körbchen trägt? Er vor lauten Geräuschen scheut oder bestimmte Gegenstände meidet? Er nicht alleine zuhause bleiben mag? Er immer wieder von zuhause weg läuft? Er manche Menschen anspringt, wenn er sie sieht? Jedes Spazierengehen mit ihm an der Leine zu einem Tauziehen wird? Er einfach etwas Anderes wichtiger findet, wenn ich ihn rufe?
Egal aus welchen Gründen die Menschen mit ihren Hunden zu mir kommen, sie haben in den meisten Fällen gemeinsam, dass sie in irgendeiner Form Hilfe benötigen im Zusammenleben mit ihrem Hund. Und für diese Hilfe ist es notwendig, dass die Menschen verstehen, dass sie ihr Verhalten gegenüber dem Hund ändern müssen, denn ihr bisheriges Verhalten gegenüber dem Hund hat dafür gesorgt, dass sie nun bei mir sind. Wenn man nichts ändert, dann ändert sich nichts, wie man hier an der Küste sagt. Nicht jeder ist bereit dazu oder kann die Vorrausetzungen zur Lösung des Problems erfüllen. Daraus ergeben sich verschiedene Optionen.
Die am häufigsten gewählte Option ist, mit dem Problem zu leben. Es wird versucht, das Problem zu vermeiden. Nach all den Jahren staune ich immer noch, wie kreativ Menschen darin sind, kritische Situationen zu umgehen, um bloß nicht in einen Konflikt mit dem eigenen Hund zu geraten. Für sie ist Nachgeben der leichtere Weg, auch wenn es stört und nervt, womöglich sogar die ganze Familie.
Da wird der ganze Garten eingezäunt, damit der Hund nicht weg läuft. Wo ich mir die Frage stelle, warum der Hund wohl seine Menschen so doof findet, dass er von ihnen weg laufen will. Wenn der Hund die Nachbarschaft zusammen jault, wenn seine Menschen das Haus verlassen, dann hinterlässt man ihm Futterberge damit er gar keine Zeit hat, zu jaulen. Oder man kauft ihm ein teures Spielzeug, welches mit Futter gefüllt ist, damit er beschäftigt ist und bloß nicht heult. Häufig wird auch ein Halsband angewendet, das, wenn der Hund bellt, einen Wasserstrahl ins Gesicht des Hundes spritzt oder dem Hund einen Stromschlag gibt, damit er nicht bellt. Gerade beim letztgenannten wundere ich mich am meisten, denn die Menschen reden immer wieder von Freiheit, sind gegen Unterdrückung und Knechtschaft, aber binden ihrem Hund solche Halsbänder um als Hilfsmittel, was aber vielmehr ihre Hilflosigkeit verdeutlicht. Und diese Menschen sagen mir dann noch, dass sie ihren Hund über alles lieben. Die Anwendung ist bei diesen Hilfsmitteln nach dem Tierschutzgesetz bestenfalls grenzwertig und einige sind klar verboten. Und eines erreichen all diese Hilfsmittel definitiv nicht: Eine feste, stabile, vertrauensvolle Beziehung zu seinem Hund zu bekommen.