Der Körper und seine anatomischen Grenzen
Das Balletttraining:
Tanztechnik und System
nach Antonio Castillo
Books on Demand
Ich widme dieses Buch meinen Eltern, Anna Isabel Castillo-Sala und Pablo Emilio Castillo-Coronado.
Meiner engagierten Schülerin Kirsten Wagner danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung beim Schreiben dieses Manuskriptes.
Antonio Castillo
Das Ballett als ein Stilelement des modernen Bühnentanzes ist weltweit bekannt und beliebt. Umso mehr muss es verwundern, dass es bisher kaum umfassende Literatur zu diesem Thema gibt.
Insbesondere über den Ursprung dieses Tanzstiles herrscht unter Fachleuten Uneinigkeit. Dabei stellt das wechselvolle Schicksal der Tanzkunst im Laufe der Jahrhunderte ein Kapitel Kulturgeschichte dar. Dem Leser diese Geschichte näher zu bringen, ist eines der Ziele dieses Buches. Des Weiteren unternimmt der Autor mit seinem Werk den Versuch, für die Entwicklung der Kunstform Ballett entscheidende Tanzstücke zu interpretieren und bedeutende Tänzerinnen, Tänzer, Choreographen und Gönner des Balletts zu charakterisieren.
Durch die genaue Schilderung der Lehrmethode Antonio Castillos sowie aufeinander aufbauender Trainingsstunden soll der Leser außerdem mit den Regeln und Fachausdrücken des Balletts bekannt gemacht werden und wie durch ein Lehrbuch in die Lage versetzt werden, Übungen und Schrittfolgen auf anatomisch korrektem Wege und möglichst gesundheitsfördernd zu erlernen, verschiedene Schritte zu Kombinationen zusammenzufügen und Erlerntes nachzuschlagen. Die genauen Erläuterungen der Muskelarbeit bei den einzelnen Übungen ermöglichen es dem Leser, langsam und Schritt für Schritt das Training zu beginnen und sich durch geduldige Wiederholungen –sinnvoller Weise auch begleitend zu privatem Unterricht- eine gute Grundausbildung zu verschaffen. Folgt man den Ausführungen dieses Buches, so sind einer stetig ansteigenden Perfektion bei der Kunst des Balletts keine Grenzen gesetzt!
Dr. Heike Wagner
(September 2005)
Das Ballett ist im Wesentlichen eine Kunst mit Tradition, einer Tradition, die vergleichbar ist mit einer lebendigen Kraft.
Die Musik hat ihre Partitur, das Drama sein Buch, die Malerei vergangener Zeiten kann man an den Wänden der Museen, und, bis zu einem gewissen Grad, anhand von Reproduktionen bewundern. Aber das Ballett genießt diese Vorteile nicht. Hier ist die Kunst vergänglich; die Tradition wird von Meister zu Meister weitergegeben. Wäre die Weitergabe einmal –und sei es auch nur über den Zeitraum von 20 Jahren, also die Erfolgsspanne einer Tänzergeneration- unterbrochen, könnte der Schaden nicht wieder gut zu machen sein. Denn nach dem Tod eines großen Tänzers scheint nur sein Name zu bleiben, und gelegentlich ein wenig Legende, die ihn begleitet. Aber dies ist ein oberflächlicher Eindruck. Die Tradition wird mit jedem großen Tänzer bereichert, und etwas von seinem Beitrag zu dieser Kunst überlebt und wird auf den Bühnen der Welt gezeigt und an künftige Tänzer weitergegeben. So haben die Taglioni, die Pawlowa, Nijinsky positive Beiträge zur Kunst des Balletts geleistet und diese Kunst bereichert.
Nijinsky als „Faun“
Das Ballett kennt nicht die Hindernisse der Sprache. Seine Ausdrucksformen sind Musik, Farbe, Bewegung. Aber nicht die Worte. Durch das Ballett kann man also künstlerische Werte eines bestimmten Landes über die ganze Welt verbreiten (universalisieren). So betrachtet, ist das Ballett das Schaufenster zur Kunst des Volkes. Aber die Kunst um der Kunst Willen bildet heutzutage kein so volkstümliches Thema wie das der Kunst um der Propaganda Willen. Und das Ballett ist echte Propaganda. Das geht so weit, dass man vielfach den Duft des künstlerischen Gefühls eines fremden Landes nur durch die Tänzer einatmen kann, die uns dieses Land schickt.
Allerdings kann das Ballett kein volkstümliches Schauspiel sein, denn dazu ist es zu teuer. Aber das macht nichts. Das Volk liefert seinen Beitrag durch seine Figuren, die die Techniker dann eingliedern, und es ist selten, dass Ballettaufführungen nicht als eines ihrer wesentlichsten Elemente volkstümliche Formen der Musik, des Tanzes und sogar der Kleidung und Bräuche eines Landes enthalten.
Ich glaube daher, dass alles, was man zur Förderung der Liebe zum Ballett tut, einen kulturellen Wert hat.
Das Ballett kann man aber nur verstehen, wenn man seine Geschichte kennt. Zwar ist das Ballett an sich eine moderne Kunst, der Tanz als solcher aber ist uralt. Die Form des Tanzens, die man Ballett nennt, ist erst in unseren Jahrhunderten entwickelt worden, sodass die Geschichte des Balletts nur einen Bruchteil der Geschichte des Tanzes ausmacht. Um allerdings die Geschichte des Balletts nachvollziehen zu können, müssen wir uns zunächst mit der Geschichte des Tanzes und seinen Ursprüngen befassen. Zeugnis von dieser Geschichte erlangen wir durch die Archäologie.
Frühe Darstellungen von Tänzern
Frühe Darstellungen von Tänzern
Die Archäologie, das ist die Wissenschaft, die, nach dem gesprochenen Wort, das, was geschehen ist, und zwar nicht gestern oder vorgestern, sondern in fernen Zeiten, am Korrektesten überliefert. Die Archäologie spricht zu uns durch Dokumente, die in Archiven aufbewahrt sind, durch Denkmäler, durch Spuren von Leben in Wohnungen, Straßen, auf Märkten und in Theatern, oft in Trümmern untergegangen, aber doch noch präsent. Die Archäologie gräbt aus, sucht, forscht, vermutet, deutet und sammelt sorgfältig, und ihre Suche endet nie. Was die Archäologie entdeckt, sei es groß oder klein, enthüllt ein Stück Zivilisation, Einzelheiten des Alltages, des öffentlichen und religiösen Lebens von Menschen, die Jahrhunderte vor uns gelebt haben. Die Archäologie öffnet Fenster jenseits unserer Vorstellung, durch die wir ein Panorama beobachten können, das mannigfaltiger als alles Vergangene und Gegenwärtige ist. In anderen Worten: Indem die Archäologie in ihren Forschungen voranschreitet, verschafft sie uns die Möglichkeit zu erfahren, woher wir stammen, wie wir in früheren Jahrhunderten gelebt haben, welchen Veränderungen unser Leben unterworfen war und warum.
Im Jahr 1910 hat der deutsche Geophysiker Alfred Wegener bewiesen, dass die Landmassen der Erdteile waagerechten Verschiebungen unterworfen waren und es wahrscheinlich auch gegenwärtig noch sind. Diese Bewegungen haben im Laufe der Erdgeschichte nicht nur die geographische Lage der Erdteile in Bezug auf den Äquator und die Pole, sondern auch die Entfernungen der Erdteile und Regionen untereinander verändert, ebenso wie ihre Gestalt. Wegeners Theorie, die heute unter Geologen anerkannt ist, besagt, dass am Ende des Primärs die Gesamtheit der Festländer einen zusammenhängenden Kontinentalblock –Pangea oder ganze Erde genannt- bildete, der immer mehr Risse bekam und sich in riesige Teile spaltete. Der größte Teil dieser Risse trennte die Masse der Alten Welt von einem Kranz von Erdteilen, der aus dem heutigen Amerika, der Antarktis und Australien bestand. So erklärt sich die Parallelität, die zwischen der Entwicklung der Küsten des Atlantischen Ozeans besteht. Das Ergebnis des Abtreibens der Kontinentalblöcke, die durch den Spalt getrennt wurden, war die Entstehung des Indischen und des Atlantischen Ozeans. Der Indische Ozean vergrößerte sich nochmals, als sich ein neuer Riss zwischen Indien und Afrika auftat im Verlauf des Eozäns und des alten Quartärs.
Afrikanischer Tänzer (Jäger)
Diese Ereignisse haben für die Geschichte des Totem- und des afro-asiatischen Tanzes große Bedeutung. Im Allgemeinen ist die Tätigkeit, den menschlichen Körper in einer bewussten Weise in Bezug auf Raum und Rhythmus zu bewegen, belebt von mimischem Ausdruck und wird begleitet von der Musik. Das Ergebnis ist eine Kunst, die Tanz genannt wird. Jede Bewegung, die an die rhythmischen, figürlichen und mimischen Grundwerte gebunden ist, nennt man Tanz.
Dem Wort Tanz = danza kann man jedoch das Wort Tanz = baile gegenüberstellen. Bei Letzterem handelt es sich mehr um eine Definition des Gesellschaftstanzes. Der Ursprung des Wortes „danza“ wird von den Sprachforschern als ungewiss bezeichnet. Die geläufigste Meinung hierzu vertreten von Wartburg und Meyer-Lübke: Es sei fränkischer Herkunft und käme von ditjan = schwingen. 1951 allerdings behauptete el Die, danza sei von dem Lateinischen deantiare abgeleitet.
Frühe Darstellungen des Tanzes
Auf den oberen Abbildungen sind griechische und etruskische Tänzer zu sehen. Die Griechen und die Etrusker entwickelten erste Schulen für Tänze und Tänzer; für die griechische Schule ist zum Beispiel der runde Rock typisch.
Nach vielen Theorien waren Musik und Tanz die ersten künstlerischen Äußerungen, die der Mensch entwickelt hat. Eine interessante Besonderheit in der Entwicklung des Tanzes bildet die Totemkultur, die in den ersten Stadien menschlicher Entwicklung erscheint. In der Epoche des Totems dachte der Mensch, dass die ganze sichtbare Welt von dem Gott Totem erschaffen worden sei. Es wurden ihm untergeordnete Gottheiten abgeleitet: der Steingott, der Windgott, der Vogelgott, der Antilopengott, der Schlangengott usw.. Nach der Vorstellung der damaligen Menschen war es ihre Aufgabe, diese jeweiligen Götter am Leben zu erhalten. Die Verbindung zu Totem stellte ein Stamm mittels besonderer Riten her. Es entstanden ein mystisches Band und der Glaube, dass wenn der Totem-Gott der Schlange in den Menschen eindringt, sich dieser wie eine Schlange verhalten muss, und entsprechendes Verhalten je nach Gottheit verlangt werde. So führte der Ritus der Nachahmung (etwa der Schlangen- oder Windbewegungen) zum Tanz. Als der Mensch allmählich von der niederen zu höherer Kultur überging, entwickelte sich in den Riten ein Rhythmus. Zunächst bediente man sich rhythmischer Geräusche. Nach der Musikkunde waren die ersten Rhythmen, nach denen der primitive Mensch tanzte, sprachliche Rhythmen, also Nachahmungen der Vögel, des Windes, des Wassers. Die Bewegungen hierzu wurden immer bewusster, immer organisierter ausgeführt, bis die Riten religiöse Formen annahmen. Mit der Entwicklung der afro-asiatischen Kultur trat der Tanz in die Welt der Kunst ein und wurde zum Teil der sozialen und staatlichen Einrichtungen, in symbolischer und figürlicher Form der charakteristischen Darbietung. Die afrikanische Intuition war lebhaft und dynamisch, die asiatische eher in sich versenkt, abstrakt und feierlich.
Der Tanz in Afrika hat seit dem Altertum seinen hervorragendsten Ausdruck in Ägypten gefunden. Sein wesentlichstes Merkmal sind auch heute noch Mimik und stark erotische Ausstrahlung, weite Schritte und Sprünge, eckige Bewegungen, fast akrobatische Kunstfertigkeit der Tänzer.
Zeitgleich mit dem ägyptischen entwickelte sich der asiatische Tanz. Zu unterscheiden sind hier zwei grundlegende Formen: der chinesische und der indische Tanz. Bei diesen Tänzen werden die symbolischen Bewegungen bei fast unbewegten Beinen ausgedrückt durch das Zusammenziehen des Unterleibes, wobei Gesichtszüge und Kopf starr gehalten werden. Arme, Hände und Finger haben große Ausdruckskraft, während die Beine sich nur selten zu einem weiten Schritt und kaum jemals zu einem Sprung öffnen.
In der Indischen Götterlehre der Vedas, den heiligen Büchern Indiens, ist der Tanz dem göttlichen Denken in der Carola (ausdrucksvoller Tanz, der getanzt wird, indem man sich an den Händen hält und einen Kreis bildet; dabei begleitet man sich mit Gesang) des Schiwa nataraja immanent. Es klingen hier Parallelen an zu Drama und Schauspiel, die Grundbegriffe der indischen Orchestrierung leiten sich aus diesem Tanz ab. Untrennbar verbinden sich Wort, Geste, Tanz und Drama, mit Schwerpunkt auf der Ausdruckskraft der Arme und Hände.
Auch im alten China wurde der Tanz vorwiegend zu religiösen Festen organisiert. Von den Herrschern eingeführt, waren peinlich genau einstudierte Pantomimen und symbolische Darstellungen eine Umsetzung des Glaubens, dass die Gestaltung edler Bewegungen Macht und Einfluss überträgt. Konfuzius und Lao-Tse nutzten den Tanz zur Vermittlung moralischer Botschaften. Später sah man in China den Tanz mehr als etwas Gutes und Schönes. Diese Merkmale waren auch in der alten Musik gegenwärtig: in den Festen, die mit dem Tanz ta-chao im Felderbauzyklus und in dem großen Tanz von U-Wang (1122 v.Chr.) getanzt wurde (64 Tänzer stellten sich hierzu in acht Reihen auf und tanzten sieben choreografische Figuren). Diese Feste wurden von Philosophen abgehalten und von den ersten Dynastien geehrt, ebenso wie die sechs kleinen Tänze zur Einweihung der Jugend. Schon der Name eines Tanzes rief im China des Altertums Ideen und Sprünge hervor. Streng war die Verteilung der Rollen, Vorlieben zeigte man für bürgerliche und militärische Tänze, die mit Ring- und Fechtkünsten vermischt waren. Die Frauen dagegen tanzten mit entspannten und wiegenden Händen in langen Seidenärmeln, und bewegten zu schnellen Schritten ihre Hüften. Die Motive der Tänze kehrten wieder in Farbe und Kleidung der Tänzer.
Der chinesisch-indische Tanz pflanzte sich über die Jahrtausende auf allen asiatischen Gebieten fort. Er ist Ursprung des getanzten Dramas, das sich in Japan, Korea und Indonesien mit seiner reichen Ornamentik, dem Gebrauch der Maske und des Schattenspiels noch heute großer Beliebtheit erfreut. Die Technik der Körperbewegung wird hierbei bestimmt durch eine außerordentliche Spannung und Verzerrung der Glieder, die so eine Beweglichkeit erreichen, die man anderswo vergeblich sucht.
In Europa findet man erste Zeugnisse des Tanzes in Sizilien, in den Höhlen der Addura, an der Biscaya von Cogul und in der Gascogne von Combrelles: sie sind älter als die Fundstücke aus Afrika und Asien. Griechische Darstellung datieren dagegen erst auf das Ende des 2. Jahrtausends v. Chr.. Dafür erreichte dieses Land in wenigen Jahrhunderten eine unvergleichliche Vielfalt an Tanzformen, von religiösen bis hin zu kriegerischen. Die europäischen Tanzformen vereinigten dabei in sich die akrobatische und pantomimische Gestaltung der Ägypter, die religiöse und panische Ausdruckskraft der Inder und die chinesische Moral. Der Tanz triumphierte so in allen Äußerungen der hellenischen Gesellschaft. Die dynamische Harmonie des Körpers wurde mit Hilfe eines technischen Registers erfasst, die Fußspitze zeigte nach Unten in den Bewegungen des Fußes.
Die Römer entwickelten diese Art des Tanzes weiter und kreierten einen archaischen Tanz, der zutiefst originell war in seiner Verschmelzung religiöser und kriegerischer Merkmale. Allerdings hinderten der Mangel an sozialem Zusammenhalt, die ständige Abwesenheit der jungen Männer zur Ableistung ihrer Kriegspflichten und die strengen Sitten den Tanz daran, sich als bedeutende Kunstform durchzusetzen. Zwar gab es insbesondere in Griechenland Volksfeste zur Verbreitung bestimmter Tänze unter der Jugend, aber mehr setzte sich der dionystische Tanz des rohen Volkes durch, der bisweilen orgiastische Züge trug und bei heimlichen Versammlungen religiöser Sekten im Rom des 2. Jahrhunderts v. Chr. gezeigt wurde. Später dann entdeckten die Römer ihre Leidenschaft für die Pantomime, die den Tanz verdrängte. Vom Tanz bis zur Pantomime ist es nur ein kurzer Schritt, und die durch Pilade und Battilo eingeführte Mischung aus Tanz und Schauspiel dominierte die Kunst des gesamten Kaiserreiches.
Entwicklung des italienischen Tanzes am Hofe
Der Übergang von der alten zur mittleren Zeit wird gekennzeichnet durch den Verfall des hellenischen Tanzes und der römischen Pantomime. Es entwickelte sich nun der Sprungtanz in verschiedenen Ausprägungen; in Mitteleuropa kehrten daneben die Fruchtbarkeitstänze mit erotischen und magischen Motiven zurück, die ihre Wurzel in germanischem und slawischem Stammgut hatten. Feuer- und Maskentänze, vor allem aber Dämonentänze mit einer Vermischung von Heiligem und Profanen erregten die Sinne der Menschen.
Im ersten Jahrhundert n. Chr. zeichneten sich die ersten eigenständigen Äußerungen der europäischen Völker ab, es entstanden Volks- und Kunsttänze. Der spanische Tanz, der durch die gaditanischen Tänze (Tänze von Cádiz) schon die Dichter des kaiserlichen Roms entzückt hatte, bot in Europa die eigenste und selbständigste Tradition an. Seine unverwechselbaren Merkmale sind bis heute der leidenschaftliche pantomimische Inhalt, der wesentliche Ausdruck, der den Händen und Armen und den sich wiegenden Hüften und Schultern anvertraut wird, das rhythmische Stampfen auf den Boden mit den Absatz, der Spitze und der Sohle des Schuhs und endlich die wiegende, schlangenartige Linie des Körpers und damit die Tendenz zur Beugung und Spirale, zur konzentrischen Bewegung. Diese Merkmale gehen auf unterschiedliche – auch geographische – Einflüsse zurück. Grundlage des spanischen Tanzes sind griechische und phönizische, arabische und vor allem Zigeunereinflüsse (el flamenco).
Die ersten deutschen Tänze, die uns bekannt sind, waren Kriegstänze. Tacitus erwähnt den Schwerttanz, von nackten Jünglingen ausgeführt, und Sachs nennt den Werbetanz der Bayern.
Bei den romanischen Völkern entstand aus dem Tanz im 12. / 13. Jahrhundert die Ballade. Die französische Ballade hatte eine sehr einfache Form, die sich vom italienischen Typ etwas unterschied. Typisch für den italienischen Tanz war der Saltarello, ein sehr fröhliches und tanzbares Stück, dessen Choreografie ausschließlich von Italienern stammte. Sie wurden die ersten Tanzmeister und entwickelten im 13. Und 14. Jahrhundert lebhafte Volkstänze wie die Volta, die Furlana, die Chiarantana.
Mit dieser Entwicklung gelang der Sprung zum akademischen Tanz des 17. Jahrhunderts. Für das Fortschreiten dieser Tanzform und damit für die Geschichte des Balletts besonders wichtig sind das Auftauchen und die Kreuzung einiger Tänze des pantomimischen Geschmacks: der Moresca, des Canario, des Mattacine und des Brando. Im Glanze der Renaissance übernahm der Tanz eine große Rolle bei Festen und der Erziehung der Jugend. Kreuzungen von Modetänzen aus verschiedenen Ländern wurden häufiger, es kam zu Verschmelzungen verschiedener Stilrichtungen. So entwickelte sich ein eigenständiger europäischer Stil, obwohl ähnliche Tänze immer noch unterschiedliche Namen trugen, je nach ihrer sprachlichen Herkunft. Dennoch kann man verbindende Merkmale dieser europäischen Tänze (z.B. Tarantella, Menuett, Walzer, Reel, Polka, Mazurka) beobachten, wie eine Steigerung des Gefühls, harmonische Bewegungen der Glieder, leidenschaftliche Sprünge und die Drehung des ganzen Körpers. Diese Gaben, die in dem italienisch-französischen Austausch entwickelt und im Theater eingeführt wurden, haben zu dem Ausbau und zur Festlegung jenes eminent theatralischen Stils geführt, der die Grundlage des Balletts bildete und den Glanz der europäischen Tradition entfesselte.
Aber parallel zur Entwicklung des Theatertanzes (akademischer Tanz = Ballett) tanzte das Volk weiterhin seine überliefertenTänze in Scheunen und auf öffentlichen Plätzen sowie auf privaten Festen, während Bürger und Adel eine eigene Tanzkultur entwickelten.
Paolo III.
Auch der Einfluss der Katholischen Kirche auf die Geschichte des Balletts darf nicht unterschätzt werden. Unter dem Pontifikat Alexanders VI. fand der Tanz immer mehr Eingang an die Höfe Italiens. Entsprechend der Schöpfung des Totem-Tanzes hatte auch die christliche Religion Hymnen und Tänze entwickelt; man tanzte zum Beispiel auf Friedhöfen zu Ehren der Verstorbenen. Organisierte sich die Kirche zunächst in republikanischer Form, so amte sie schon bald die Organisation des (römischen) Reiches nach. Rom und die Kirche sind die Eckpfeiler, auf denen das Papsttum errichtet wurde, und die Bischöfe als kaiserliche Staatsbeamten erzielten zunehmend Einfluss auf die Bevölkerung und die Krone. Im 4. Jahrhundert, zur Zeit der christlichen Kaiser, wurde allerdings jede Tätigkeit des Theaters und des Tanzes als unmoralisch angesehen. Im Jahre 398 wurde unter Papst Siricio im Konzil von Cartagena gegen jeden, der an Festtagen an Theatervorführungen teilnahm, das Urteil der Exkommunizierung ausgesprochen, und ihnen wurde die Taufe verweigert. Der Heilige Augustinus definierte den Tanz gar als „unzüchtige Tollheit und Ding des Teufels“. Der Wille, den Körper zu verdammen, der schon zu Beginn des Christentums sichtbar war, zeigte sich besonders in der mittelalterlichen Welt und dem kirchlichen Absolutismus. Nur indem man den Körper demütige, behaupteten die Priester der Kirche, könne man die Läuterung des Geistes erreichen. Diese allein aber mache den Menschen würdig, sich Gott, dem Inbegriff der Geistigkeit, zu nähern. Schon im griechischen Denken und in den Werken Platos finden wir diesen Dualismus von Körper und Geist. Die mittelalterliche Hexenverfolgung fügte sich in die absolutistische Tendenz dieser Periode ein. Dabei nahm das Wesen des Bösen und Teuflischen vorwiegend ein weibliches Aussehen an. Die Frau als Lebensspenderin war Hauptziel der Verfolgung. Ihr verführerischer Körper, ein Instrument der Sünde, mit der Natur verbunden aber auch verachtet, wurde als eines der Mittel dargestellt, deren sich der Teufel bedient, um den Geist von seinem Aufstieg zur Läuterung abzubringen. Im Bereich solcher dualistischen Visionen verwelkte das tänzerische Geschehen, allein der Totentanz überlebte.
Erst an den Höfen des 13. Jahrhunderts erschien der Tanz von neuem, noch immer von der Kirche verboten. Die Bevölkerung nutzte ihn nun als Ausflucht und entwickelte Tanzlieder und literarische Gedichte wie die von Petrarca. Diese gingen einher mit Umzügen und Maskenbällen. Die Merkmale dieser Darstellungen waren auffällig und kündeten von großen choreografischen Aktionen. Und das Glück war dieser Gattung des Tanzes hold, auch im Schloss des päpstlichen Hofes im 14. Jahrhundert. Denn unter Sixtus IV. komponierte Kardinal Riaro, ein Neffe des Papstes, im Schloss Santangelo Ballette, die er dann aufführen ließ. Bremste die Katholische Kirche viele Jahrhunderte lang durch ihr Verbot die Entwicklung des Tanzes in Europa, so half sie nun bei seiner Wiederbelebung und ermöglichte die Entwicklung einer der schönsten Kunstformen des Menschen überhaupt, des Balletts.
Apollo’s Tanz
Die größte Zeit der schönen Künste war zweifellos die Renaissance. Wie das Wort Renaissance es schon sagt, erlebte hier etwas, das schon entwickelt worden war, seine Wiedergeburt. Dies gilt auch für das Ballett. Schon die alten Griechen fingen an, Relevé Attitude Croissèe Devant (½ Spitzentanz mit dem rechten Bein vorn, 1/8 Wendung nach rechts) und Tendus (Strecken des Beines bis zur Zehenspitze), also Grundschritte des akademischen Balletts zu tanzen. Entsprechende Tanzschritte nahm nun Papst Alexander VI. ohne jeden Vorbehalt an, denn seine Tochter Lucrecia Borgia war dem Tanz leidenschaftlich ergeben. Die übrigen Damen des italienischen Hofes begannen bald, sie nachzuahmen. Es heißt, zur dritten Hochzeit Lucrecias mit Alfonso d’Este habe dessen Schwester extra Tanzstunden genommen, um ihrer neuen Schwägerin zu imponieren. Die Damen des Hofes übten italienische und französische Tänze ein, um nicht hinter Lucrecia zurückzustehen. Dennoch ist über die damaligen Tänze außer der Art der Bekleidung fast nichts bekannt. Einen Wendepunkt brachte die Hochzeit von Galeazzo Sforza und Isabella d’Aragona, die 1489 in Tortona gefeiert wurde. Bei dieser Gelegenheit leitete Bergonzio Botta ein großartiges choreografisches Gastmahl, bei dem man zum ersten Mal einem einheitlichen Thema folgte: der allegorischen Verherrlichung der ehelichen Liebe. Botta gelang die Verschmelzung der Elemente Musik und Pantomime, die sich geordnet um die Komödie herum bewegten. Auch dieses Schauspiel wurde sogleich an anderen Höfen nachgemacht.
Ein anderer Papst, der zur Entwicklung der schönen Künste in Italien beitrug, war Leo X.. Die Familie Medici hatte große Bedeutung für die Geschichte der italienischen Kunst, vor allem in Florenz.
Leo X.
Kardinal Giovanni de Medici
Kardinal Giovanni de Medici, der sein Pontifikat als Leo X. übernahm, brachte einen denkwürdigen Prunk mit an den Hof. So wurde 1513, als die Ernennung seines Bruders Giuliano und seines Neffen Lorenzo zu Römischen Patriziern gefeiert wurde, der Platz des Campidoglio in ein Theater verwandelt und von dem Architekten Pier Pasello mit Statuen und symbolischen Gemälden geschmückt. Das Fest wurde eingeleitet durch die Feier der Heiligen Messe auf dem Altar, der im gleichen Theater errichtet worden war. An dem Mahl nahmen 44 Personen teil. Der Tisch wurde auf der Bühne hergerichtet, und die Anrichte stapelte sich in 42 Gold- und Silberstufen übereinander. Die Servietten waren so gefaltet, dass sie lebende Vögel verschiedener Arten verbargen, und auf den Servietten befanden sich Fähnchen mit den Wappenbildern des Papstes und des römischen Volkes. Nachdem sich die Gäste die Hände gewaschen hatten, öffneten sie die Servietten, und die Vögel flogen heraus. Einige aber, die gezähmt waren, blieben bei den Gästen sitzen und umflatterten sie. Danach traten Mädchen und Knaben ein, als Nymphen gekleidet, sprachen Gedichte und führten symbolische Tänze auf. Zwischendurch erschien der allegorische Wagen.
Vom Erfolg jener Feste war Leo X. sehr befriedigt. Sein Verdienst war es, dass das künstlerische Leben in Rom einen Aufschwung nahm. Er war selbst Dichter, Musiker, Archäologe und Philosoph und liebte alles Schöne. Sein Pontifikat war für Rom ein immerwährendes Fest („Genießen wir das Papsttum, da Gott es uns gegeben hat.“), und Leo X. inspirierte durch seine Vergnügungen die Malerei, die Dichtkunst und die Musik und Tänze jener Epoche. Allerdings setzte er sich auch der Kritik, zum Beispiel durch Pallavicini, aus, weil er sich statt mit Theologen mit Dichtern und Künstlern umgab.
Die Medici, nachdem sie einmal den päpstlichen Stuhl innehatten, erwiesen sich als Meister in den Verstrickungen der italienischen Politik. Um ein Bündnis mit Frankreich zu festigen, nahm Leo X. den Vorschlag Franz I. an, seinen Neffen mit einer französischen Prinzessin zu verheiraten. Im März 1518 schickte er seinen Neffen Lorenzo nach Frankreich, und dieser schloss mit Madeleine, einer Prinzessin aus dem regierenden Hause von Frankreich, im Schloss von Amboise die Ehe. Das Paar genoss seine Ehe allerdings nicht lange, denn Madeleine starb am 28. April 1519, als sie einem Mädchen das Leben schenkte. Dieses Kind wurde später in der Geschichte des Balletts sehr berühmt – es war Katharina de Medici. Ihr Vater starb ebenfalls noch 1519.
Das Mäzenat Leos X. verdient lebhaften Beifall auf dem Gebiet der Kunst. Während seiner Amtszeit wurde die erste Schule für vornehme Tänze gegründet. Ihr Sitz war in Mailand und ihr Gründer Diobono Pompeo. Aus dieser Schule gingen die ersten höfischen Tanzmeister hervor; sie wurden an alle europäischen Höfe geschickt.
Katharina de Medici
Die kleine Katharina de Medici verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in Florenz, aber ihre Erziehung wurde später am päpstlichen Hof von Leo X. und Clemens dem VII. fortgesetzt. Auch Clemens VII. war ein Medici. Er war diplomatisch und schlau und hatte sich zum Ziel gesetzt, die Familie Medici an alle europäischen Höfe zu verschwägern. Mit Katharina bot sich ihm eine einmalige Gelegenheit: Franz I. von Frankreich hielt für seinen zweiten Sohn Heinrich von Orleans um ihre Hand an. Um die Hochzeit zu segnen, reiste Clemens VII. am 01. Oktober 1533 per Schiff nach Frankreich und wurde in Marseille vom gesamten Hofstaat und dem Brautpaar empfangen. Von dem Augenblick ihrer Eheschließung an förderte Katharina de Medici 48 Jahre lang an ihrem Hofe die ersten Schritte des Balletts in seiner choreografischen Form. Der Tanz wurde die hauptsächlichste Unterhaltungsform bei Hofe, obwohl Katharina auch alle anderen Künste liebte.
Im Jahre 1554 lud der Marschall von Brissac, der Stadthalter Frankreichs in Piemont, Diobono Pompeo nach Paris ein. Diobono wurde mit der körperlichen und gesellschaftlichen Erziehung des zweiten Sohnes von Katharina, Karls, Herzog von Orleans (und später König Karl IX.) beauftragt. Er bekam ein Honorar als Tänzer von 200 Francs, ein Honorar als Kammerdiener von 260 Francs und eine Pension von 1.000 Francs sowie zusätzlich 160 Francs für Kleidung. Eine Abhandlung seines Schülers Cesar Negri ist die einzige Quelle, die uns genaue Nachrichten über sein Leben und Wirken vermittelt. Negri, dem Erben und Fortführer seiner Schule, verdanken wir wesentliche geschichtliche Erkenntnisse über die Meister des 16. Jahrhunderts. Negri selbst zeigt uns die Schule Diobonos als wesentliches Bindeglied zwischen der Entwicklung im 14. Und 16. Jahrhundert. Durch diese Schule wurde der spätere Aufstieg der italienischen Tanzmeister an den Höfen Deutschlands, Spaniens und Frankreichs und damit die europäische Verbreitung des italienischen Gesellschaftstanzes, der Grundlage des künftigen akademischen Tanzes, begründet.
Eines der Mitglieder der Schule Diobonos war Baltazarini Belgioioso, der 1554 an den Hof Katharinas de Medici kam. Durch seine Fähigkeiten als Choreograf und Musiker sowie als Organisator von Festen stieg er hier rasch auf. Er wurde zum Diener des Königs und der Königinmutter im Jahre 1567 ernannt und nahm als Violinspieler und Choreograf an vielen Schauspielen des Hofes teil. Die Tanzmeister im 14. und 15. Jahrhundert waren alle auch Musiker: sie mussten selbst ein Instrument spielen können, um den Takt bei den Schritten des Tanzes, den sie lehrten, anzugeben.
Margarete von Navarra