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© 2019 Harald Kirschninck

Illustration: Harald Kirschninck

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7494-1108-5

Inhaltsverzeichnis

  1. Alexander Isaac
  2. Mosche Mordechai Kaz (= Marcus Michel Cohen)
  3. Dr. med. Markus Michel Cohen
  4. Ely Moses Ely
  5. Aron Levin
  6. Siegfried Sussmann
  7. Nathan Magnus Oppenheim
  8. Hermann Oppenheim
  9. Jonas Samuel
  10. Isaac Abraham Sussmann
  11. Selig Nathan Oppenheim
  12. Siegmund Stern
  13. Julius Hasenberg
  14. Markus Lippstadt

Bestandsplan Jüdischer Friedhof Januar 2019. © Dr. Jacobs und Hübinger. Berlin und Bodo Schubert, Blankenfelde.

Vorwort

Dieser Band stellt einen Ausschnitt aus den Büchern „Was können uns die Gräber erzählen? Biografien und Geschichten hinter den Grabsteinen des jüdischen Friedhofs in Elmshorn.“ dar.

Es werden hier 14 Grabsteine vorgestellt, deren Geschichte beispielhaft ist für die Geschichte der Juden in Elmshorn. Er ist gedacht als Begleitung für einen Besuch des Jüdischen Friedhofes. Es zeigt anhand der Beispiele, dass wir nicht nur Namen vorfinden, sondern Geschichten, die häufig spannend, aufwühlend, aber auch erschreckend sein können.

Der Friedhof existiert sein Beginn Ende des 17. Jahrhunderts, seit dem Beginn der Geschichte der Juden in Elmshorn mit dem Schutzbrief von Behrend Levi im Jahre 1685. Mit sehr viel Glück hat der Begräbnisplatz die Zeit des Nationalsozialismus überstanden. Es wurden sehr viele Anstrengungen unternommen, diesen Friedhof einzuebnen. Glücklicherweise sind alle Versuche gescheitert, so dass wir heute ein sehr gut erhaltenes Zeugnis für die Geschichte eines sehr wichtigen Teils von Elmshorn besitzen. Neben der Friedhofskapelle („Tahara-Haus“) stehen noch circa 170 Grabsteine auf dem 1740qm großen Grundstück an der Feldstraße. Bis auf einige wenige Steine, deren Inschriften fehlen oder nicht mehr lesbar sind, sind alle Steine namentlich erfasst und viele Lücken (ohne) Steine geschlossen. Deren Geschichten bzw. Biografien wurden durch den Autor erforscht und in den Bänden „Was können uns die Gräber erzählen?“ veröffentlicht.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei Alan Gordon, der mir den Zugang zu wichtigen Dokumenten ermöglichte, bei Dr. Bert Sommer (bert.sommer@gmx.de) für die sehr schönen Schwarzweiß-Fotos der Grabstätten, Nathanja Hüttenmeister vom Steinheim-Institut für die Übersetzungen der Grabinschriften und Alisa Fuhlbrügge, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Elmshorn, bedanken. Der Friedhof wurde im Jahre 2018 gründlich restauriert, so dass die ehemaligen jüdischen Mitbewohner von Elmshorn nicht vergessen werden.

Kleine Geschichte der jüdischen Gemeinde in Elmshorn

Die ersten Juden in Schleswig-Holstein ließen sich um das Jahr 1600 in Hamburg, Altona und Wandsbek nieder. Es hatte aber sicher schon vorher Verbindungen der christlichen Bevölkerung in Holstein mit ihnen gegeben, da ihr Haupterwerbszweig im Hausierhandel, d.h. im Verkauf ihrer Waren an der Haustür auf dem Lande, bestand. Die Juden waren nach ihrer Herkunft zu unterscheiden: Zum einen die Sepharden (1), zum anderen die Ashkenasen (2). Die Sepharden kamen aus Portugal. Sie hatten dort gezwungenermaßen den christlichen Glauben annehmen müssen. Im Zuge der Inquisition (3) flüchteten sie aus Portugal und kamen um 16oo auch nach Hamburg.

Zur gleichen Zeit wie die Sepharden waren auch die Ashkenasen nach Hamburg gekommen. Diese wurden auch als „Deutsche Juden" bezeichnet und stammten zum einen aus dem osteuropäischen (vor allem polnischen) Raum und zum anderen aus dem deutschen Reichsgebiet.

Bald nach der Erbauung von Glückstadt im Jahre 1616 ließen sich dort portugiesische Juden nieder. Christian IV. von Dänemark (4) versuchte 1629, die Sepharden verstärkt nach Glückstadt zu ziehen, indem er den Kauf-, Handels- und Handwerksleuten freie Religionsausübung zusicherte. Der Grund dafür lag sicher in der Absicht des Königs, Glückstadt zu einem großen Handelsplatz und Seehafen zu machen. Glückstadt sollte zu Hamburg in Konkurrenz treten. (5) Da die Sepharden hierzu vom König wegen ihrer sehr guten Handelsbeziehungen nach ganz Europa gebraucht wurden, konnten sie gewisse Bedingungen stellen, die ihnen auch erfüllt wurden. (6)

Bis ungefähr 1850 war es den deutschen Juden nur erlaubt, sich in den Städten und Flecken Altona, Elmshorn, Friedrichstadt, Glückstadt, Kiel, Lübeck-Moisling und Wandsbek niederzulassen.

1649 ging das Amt Barmstedt mit dem Flecken Elmshorn aus gottorpischen Händen in den Besitz der Grafen von Rantzau über.

Bald nach der Übernahme wurde das Amt Barmstedt am 16. Nov. 1650 zur Reichsgrafschaft erhoben. Damit unterstand die Grafschaft direkt dem deutschen Kaiser in Wien. Als Reichsgraf gewann Christian v. Rantzau neue Vergünstigungen. So stand ihm u.a. das Recht zu: Asyl zu gewähren, Juden aufzunehmen, Hochgericht, Stock und Galgen zu setzen, er hatte also das Recht auf Leben und Tod.

Die neue Reichsgrafschaft Rantzau umfasste die beiden Kirchspiele Elmshorn und Barmstedt und 23 weitere kleine Dörfer. Ihre Größe betrug 4,5 Quadratmeilen oder nach 228 Quadratkilometer. (7) Die Krückau bildete die südliche Grenze, sodass der Flecken Elmshorn nördlich der Au zur Reichsgrafschaft und die Dörfer Vormstegen und Klostersande unter königlicher und klösterlicher Jurisdiktion lagen. Die Au war damit nicht nur Grenze eines Verwaltungsbezirks, sondern auch eine politische. Die nördliche Grenze der Grafschaft lag beim Pfahlkrug.

Graf Christian v. Rantzau verstarb am 8. November 1663, erst 49-jährig, in Kopenhagen. Sein Nachfolger wurde der einzige Sohn Detlev von Rantzau (8). Detlev vermachte im Jahre 1669 dem König von Dänemark testamentarisch die Grafschaft, falls seine Söhne ohne männliche Nachkommen sterben würden. Als eine Bedingung sollte das Gebiet für immer von der Grafschaft Pinneberg getrennt bleiben und auch unter königlicher Herrschaft den Namen "Grafschaft Rantzau" tragen. (9)

Unter Graf Detlev wurde 1685 die jüdische Gemeinde in Elmshorn gegründet. Diese Jahreszahl ergibt sich aus dem ersten überlieferten Schutzbrief, den Graf Detlev zu Rantzau dem Juden Berend Levi am 14. Januar 1685 ausgestellt hatte. (10) Dieser Schutzbrief gilt als Dokument zur Gründung der jüdischen Gemeinde in Elmshorn. Nach der Ausstellung des Schutzbriefes für Berend Levi wuchs die Zahl der Juden in Elmshorn sehr schnell an, sodass schon 1688 ein eigener Hauslehrer für den Unterricht der Kinder angestellt werden konnte. Die Gemeinde kam zunächst sehr gut mit ihren christlichen Nachbarn aus, zu gut wie der damalige Hauptpastor Magister Nikolaus Petersen (11) meinte. In seiner Schrift "Gravamina" (12) beschwerte sich Petersen am 4.Juni 1694 darüber, dass Christen an den Sabbaten für die jüdischen Mitbürger Handreichungen ausführten. Auf diese Hilfestellung seitens der Christen waren die Juden angewiesen, da es ihnen von ihrem Glauben her untersagt ist, am Sabbat zu arbeiten. Nicht einmal die Kerzen in der Synagoge durften sie auslöschen und auch zu kochen war ihnen nicht erlaubt. Aus diesem Grunde benötigten sie die Hilfe ihrer christlichen Nachbarn. In der späteren Synagoge wurde eigens ein christlicher Kirchendiener angestellt.

Nach Übergang Elmshorns unter dänische Herrschaft im Jahre 1727 versuchte die Obrigkeit zunächst einmal, sich einen Überblick über die Juden und ihre Lage in Elmshorn zu verschaffen.

In seinem Begleitschreiben an den König stellte Administrator v. Blome fest, dass die Elmshorner Judenschaft aus "gantz geringen und fast bettelarmen Leuten bestehet", die in den vergangenen Jahren jährlich 22 Reichsthaler in das Rantzauische Register bezahlt hätten. Die Elmshorner Bevölkerung sehe die Juden mit gemischten Gefühlen: Bäcker, Höker und diejenigen, die Buden und Stuben zu vermieten hätten, würden diese gerne sehen; anders verhalte es sich aber mit den Kaufleuten und Krämern (auch den Glückstädtern und den aus anderen Orten), die über die Konkurrenz klagten. (13)

In dieser Quelle wird auch der Unterschied des jüdischen und des christlichen Handels sichtbar. Während die Christen in ihren Geschäften auf die Kunden warten, ziehen die jüdischen Kaufleute über das Land und verkaufen ihre Waren an der Haustür. Angesichts der sehr schlechten Wegeverhältnisse ist dieses für sie von einem entscheidenden Vorteil. Wozu soll der Kunde einen oft langen und mühsamen Weg über schlammige Pfade und Wege auf sich nehmen, wenn er die Ware frei Haus geliefert bekommt? Dieser Vorwurf des Hausierens wird von den christlichen Kaufleuten sehr häufig gemacht. Die Juden durften aber auch nur auf diese Weise handeln, da es ihnen nicht erlaubt war, "offene Läden zu halten".

Die Folge von Blomes Bericht war ein Rescript (14) des dänischen Königs, in dem dieser die Niederlassung der Juden in Elmshorn neu regelte. Der dänische König Friedrich IV. (15) gab am 15. Sept. 1727 eine Verordnung heraus, die die Aufnahmebedingungen für neu hinzuziehende Juden verschärfte. Der Grund dafür mag nicht zuletzt darin zu sehen sein, dass die Elmshorner Juden in der Mehrzahl sehr arm waren. Sie brachten der königlichen Kasse bei weitem nicht die Summe an Schutzgeld, die man sich erhoffte. Daher sollte bei einer Neuaufnahme von Juden darauf geachtet werden, dass diese ausreichend Geld besaßen. Um dieses sicherzustellen, ordnete Friedrich IV. an, dass diese Juden sich ein Haus kaufen sollten. Dieses Verfahren stellte in der damaligen Zeit etwas Besonderes dar, war es doch den jüdischen Mitbürgern im ganzen deutschen Reich nicht erlaubt, Grundbesitz zu erwerben. Dennoch besserte sich die finanzielle Lage der Elmshorner Juden nicht wesentlich. Daher folgte am 9. Juli 1736 ein weiteres Rescript:

Der dänische König Christian VI. verschärfte nach weiteren eingegangenen Beschwerden christlicher Kaufleute, die sich durch die Konkurrenz der jüdischen Händler in ihrer Existenz bedroht sahen, erneut die Niederlassungsbedingungen. Nachdem es sich herausgestellt hatte, dass keine großen Schutzgeld-Einnahmen seitens der jüdischen Mitbürger zu erwarten waren, sollte nach dem Willen des Königs die Elmshorner Judenschaft aussterben. Daher wurde nicht nur den neu hinzuziehenden, sondern auch den schon z. T. sehr lange dort lebenden Juden der Aufenthalt erschwert. Wurden die einmal gegebenen Konzessionen auch nicht wieder entzogen, so sollten jetzt doch auch die erwachsenen Nachkommen der Elmshorner Juden, sobald sie sich selbständig machten und sich verheirateten, die Auflage erfüllen, sich innerhalb von drei Monaten ein Haus zu bauen oder zu erwerben. Die Alternative dazu bedeutete den Fortzug aus Elmshorn. (16)

Der Streit mit den christlichen Kaufleuten begann sich im Januar 1727 zu verschärfen. Am 21.Januar dieses Jahres stellte die "Seyden- und Tuchhändler Compagnie" den Antrag an den König, ein Hausierverbot für Juden und Christen zu erlassen. (17) Beschwerden dieser Art führten schließlich zu dem Verbot des Hausierens vom 19.Juli 1737. (18) Hiermit wurde den Juden in Elmshorn ihre Existenzgrundlage genommen, da wie aus der Befragung von 1726 hervorging, von 20 Juden 16 den Handel als Beruf angaben. Die Gemeinde verarmte sehr rasch. Da es für die Juden, außer dem Handel, keine Berufe gab, in denen sie tätig werden konnten (das Handwerk war ihnen außer als Schlachter untersagt), blieb ihnen nur, die königliche Verordnung zu missachten, aus Elmshorn fortzuziehen oder zu verhungern. Die Juden entschieden sich für die erste Möglichkeit.

Vor dieser Situation standen aber nicht nur die Elmshorner Juden, sondern alle in den beiden Herzogtümern. Auf diese Anordnung hin, wandten sich die Juden an den König, um erneut auf ihre schwierige Lage hinzuweisen. Wegen der Verarmung der Juden und dem dadurch ausbleibenden Schutzgeld wurde diese Bitte vom König erhört und am 27. Jan. 1744 erteilte er den Elmshorner Juden das Hausierprivileg in der Grafschaft Rantzau und der Grafschaft Pinneberg. (19)

Am 12. Oktober 1824 wurde vom dänischen König ein wichtiger Schritt in Richtung der Gleichberechtigung der Juden vollführt. Er erließ über die Schleswig-Holstein-Lauenburgische Kanzelei zu Kopenhagen ein Patent, das den Juden den Beitritt zu den Zünften in den Herzogtümern erlaubte. (20) Während alle deutschen Staaten die Emanzipation der Juden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchführten, dauerte dieser Prozess in Holstein am längsten, denn erst am 14. Juli 1863 erlangten die Juden hier ihre Freiheit. An diesem Tag trat schließlich das Emanzipationsgesetz in Kraft. (21) Die allerletzten Schranken der politischen Gleichberechtigung aber fielen erst durch das Bundesgesetz vom 3. Juli 1869, das nach der Einverleibung Schleswig-Holsteins in Preußen für das Gebiet des Norddeutschen Bundes erlassen wurde. Dieses Gesetz enthielt nur einen einzigen Artikel:

"Alle noch bestehenden aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Theilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein. " (22)

Schon während der Bemühungen um die Emanzipation der Juden kam es zu einem starken Anstieg des Antisemitismus. Es handelte sich beim modernen Antisemitismus um ein postemanzipatorisches Problem und war nicht mit dem mittelalterlichen Judenhass gleichzusetzen. Er zielte nicht nur auf die Aufhebung der Emanzipation und die soziale Ausgrenzung der Juden, sondern glaubte, über die Judenfrage die Gesamtheit der aktuellen Probleme lösen zu können. Im Rassismus bekam er dann seine scheinwissenschaftliche Grundlage. Durch das rassische Element nun wurden die Juden auf Grund ihres Rassencharakters für minderwertig erklärt. Im Gegensatz zum Judenhass des Mittelalters, bei dem es dem einzelnen Juden durch Übertritt zum Christentum möglich gewesen war, den "Fluch des Verruchten" und damit seine Außenseiterstellung aufzugeben und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden, war dieses jetzt nicht möglich, da es nun nicht mehr von der Religion, sondern von der "Rasse" abhängig war, ob ein Mensch wertvoll oder minderwertig war. Dieses hatte für die Juden etwas Endgültiges, d.h. sie konnten ihre Lage nicht verbessern.

Warum wurden nun gerade die Juden die Zielscheibe dieser feindlichen Strömungen?

Es gab sicherlich noch aus dem mittelalterlichen Judenhass herrührende Ressentiments. Die Juden waren und blieben eine Minderheit und Minderheiten eigneten sich seit jeher zu "Sündenböcken", die man für alle Widrigkeiten, die einem widerfuhren, verantwortlich machen konnte. Weiterhin spielte das "Ostjudenproblem" eine große Rolle. Diese im Mittelalter aus dem deutschen Reichsgebiet nach Polen und Russland geflüchteten Juden, die wegen ihrer streng orthodoxen Lebensweise, Kleidung und ihrer jiddischen Sprache, selbst bei ihren inzwischen assimilierten Glaubensbrüdern z.T. nicht gern gesehen wurden, bildeten eine nicht zu übersehende Außenseitergruppe.

Weitere Gründe lagen darin, dass die Juden, trotz ihres geringen Anteils an der Bevölkerung, überproportional im Handel, Bankwesen und in der Presse vertreten waren. Nach der ihnen gewährten Emanzipation drängten die Juden sehr stark in die Städte, da ihnen dort die Aufstiegsmöglichkeiten verlockender als auf dem Lande erschienen. Sie nutzten intensiv diese Aufstiegsmöglichkeiten in der neuen Gesellschaft und wurden so zu Repräsentanten des liberalkapitalistischen Wirtschaftssystems.

Jüdische Synagoge am Flamweg. O. Autor. o.J.

Der Boykott vom 1. April 1933

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 kam es überall im Reich zu "spontanen Aktionen" gegen jüdische Geschäftsinhaber, Rechtsanwälte, Richter, Ärzte und Privatpersonen. Der Vorgang spielte sich immer gleich ab. Immer drang eine "erregte Menschenmenge" in laufende Gerichtsprozesse ein, an denen jüdische Richter bzw. Anwälte teilnahmen. Die Verhandlungen mussten vertagt oder sogar abgebrochen werden. Die "nichtarischen" Richter und Anwälte wurden aufgefordert, kurzfristig Urlaub zu nehmen, damit die Gerichte weiterarbeiten konnten.

Die nationalsozialistischen Übergriffe blieben der Weltöffentlichkeit nicht verborgen und es kam zu Kundgebungen gegen das Naziregime. Die USA, England, Frankreich, Belgien, Holland, Polen und verschiedene andere Länder leiteten Boykottmaßnahmen gegen deutsche Waren ein.

Seit dem 29. März beherrschte der bevorstehende Boykott der jüdischen Geschäfte und Ärzte die Schlagzeilen auf den Titelseiten der Tageszeitungen. Das Ziel des Boykotts war es, dass die jüdischen Geschäftsinhaber, Ärzte und Juristen am 1. April ihre Geschäfte und Praxen schließen.

In Elmshorn wurde für den 1. April die Polizei durch 20 "Hilfspolizisten" verstärkt, die in der Fabrik von H. Schwarz in der Catharinenstraße kaserniert wurden. Die neuen Kräfte wurden ausschließlich aus der SS und SA rekrutiert. (23) Jeder Widerstand gegen diese SA- und SS-Angehörigen konnte fortan als Widerstand gegen die Staatsgewalt ausgelegt werden. Wie verlief nun der Boykott in Elmshorn?

Die "Elmshorner Nachrichten berichteten darüber am 1. April 1933:

" Der Abwehrkampf gegen die Gräuelhetze in Elmshorn"

„Keinen Pfennig für die Juden!" Unter dieser Parole wird der Abwehrkampf gegen die Gräuel-propaganda der Juden im Ausland hier in Elmshorn geführt. Schon von 8 Uhr an sah man Streifen der SA und SS in der Stadt. Um 10 Uhr standen die Posten der SS vor den jüdischen Geschäften. An den Schaufenstern prangten gelbe Zettel mit der Aufschrift "Jude". In Elmshorn wurden folgende Geschäfte von dem Boykott betroffen: "Produktion" mit ihren sämtlichen Geschäftsstellen, Irma Rosenberg, Königstraße; Max Meyer, Schulstraße und die "Epa" (24) Die "Epa" hielt ihre Räume heute geschlossen. Das eiserne Gitter zeigte schon jedem, der hier Einkäufe machen wollte, dass der Gang vergeblich gewesen war. Vor der "Epa" hatte sich gegen 10 Uhr eine große Menschenmenge versammelt, die sich aber ruhig verhielt. Durch die Ansammlung wurde der Verkehr an dieser sehr belebten Straßenkreuzung (25) stark behindert. Der Überfallwagen war sofort zur Stelle. Polizeibeamte und Hilfspolizei zerstreuten die Menge schnell. Die Leitung der Säuberungsaktion hatte der kommissarische Bürgermeister, Herr Rechtsanwalt Spieler. (26) Er setzte in der Marktstraße Streifen der Hilfspolizei ein, die die Menge in Bewegung hielt. Dann fuhr er mit dem Überfallwagen nach anderen Plätzen, wo jüdische Geschäfte waren, und sah nach dem Rechten. - Auch das Abwehr-Komitee gegen jüdische Gräuel- und Boykotthetze unter der Führung des SS-Führers Herrn W. Grezesch (27), fuhr zur Kontrolle mit einem Auto die Straßen ab. Zur Aufklärung der Bevölkerung wurden Flugblätter mit verschiedenem Inhalt verteilt. Die Firmen Max Meyer und Irma Rosenberg haben heute ihr Geschäft freiwillig geschlossen. Die Posten der SA wurden daher eingezogen. Auch bei der "Produktion" wurden die Posten zurückgezogen, da nach neueren Meldungen kein jüdisches Kapital in diesem Betriebe investiert ist. - Verhaftet wurden heute Morgen von Hilfspolizisten zwei Personen. Ein Mann hatte einen SA-Mann, der Posten stand, belästigt. Er wurde kurzerhand festgenommen. Ein anderer Mann hatte versucht, ein Judenplakat abzureißen. Auch er kam in Staatspension.“ (28)

Die jüdischen Geschäftsinhaber haben reagiert und ihre Geschäfte geschlossen. Diesem Umstand war es vermutlich zu verdanken, dass es zu keinen größeren Ausschreitungen kam. Misshandlungen oder Hausdurchsuchungen wie in anderen Städten sind in Elmshorn nicht bekannt geworden. Die Bevölkerung verhielt sich zum größten Teil passiv. Dieses entsprach auch den Berichten aus anderen Teilen des Reiches. Das Ergebnis des Boykotts war für die Nationalsozialisten nicht befriedigend. Viele Mitbürger ließen sich nicht einschüchtern. Die Absicht lag wohl vielmehr bei einer Machtdemonstration. Die Gegner sollten durch den Straßenterror eingeschüchtert, die Anhänger mobilisiert und fanatisiert werden. Der zunächst auf mehrere Tage angelegte Boykott wurde von der Regierung nach dem ersten Tage abgebrochen. Die Wirkung auf die deutschen Juden dagegen war sehr groß. Hierbei kann man nicht den materiellen Schaden sehen, denn der war nicht sehr groß. Anders verhielt es sich mit dem psychischen Schaden!

Vertreibung aus den Elmshorner Vereinen

Der Boykott war die erste große, von der nationalsozialistischen Regierung geplante und gelenkte Maßnahme gegenüber Juden. Es folgte jetzt eine Zeit der "gesetzlichen Ausschaltung".

Stolz konnte der Elmshorner Männerturnverein (EMTV) von 1860 am 13.10. 1933 verkünden:

" ...Gleichschaltung im EMTV

Die Richtlinien der D.T. schreiben vor:

  1. Marxisten sind in unseren Reihen nicht zu dulden.
  2. Nur Arier (29) können deutsche Turner sein.
  3. Das Führerprinzip ist durchzuführen.
  4. Die Wehrhaftigkeit ist zu pflegen.

Zu den Forderungen 1 und 2 ist nur zu sagen, dass, sofern es überhaupt Marxisten bei uns gegeben hat, diese heute nicht mehr bei uns sein dürften. Der bei uns gepflegte vaterländische Geist hat sie ferngehalten oder verscheucht. Einige Nicht-Arier sind aus unserem Verein ausgeschieden, so dass es heute Nicht-Arier unter uns nicht mehr geben dürfte ...“ (30)

Hiervon wurden mindestens sieben Elmshorner Juden betroffen, die dem EMTV angehörten. Damit setzte der EMTV einen Teil seiner Mitglieder vor die Tür, die in der Geschichte des Vereins oftmals eine große Rolle spielten. Das Vorgehen des EMTV war der Auftakt zur Vertreibung der jüdischen Mitbürger aus den Vereinen und Klubs in Elmshorn. Es folgte bald auch der Gesangsverein "Concordia". Drei Jüdinnen wurden von dem Vorsitzenden persönlich zu Hause aufgesucht, um ihnen den Ausschluss bekannt zu geben. Dieses sprach auch für die enge persönliche Beziehung, die sie zur Liedertafel "Concordia" gehabt haben. (31) Bei der Feuerwehr und der Sanitätskolonne vom Roten Kreuz kam es zunächst noch nicht zur Vertreibung der jüdischen Kameraden. Auch in diesen Vereinigungen haben die Juden eine große Rolle gespielt. Und noch am 24. Mai 1937 stand in den "Elmshorner Nachrichten" im Jahresbericht der Sanitätskolonne 1936/37 zu lesen:

" .... Am Ende des Jahres verstarb dann auch der einzige bisher noch lebende Gründer unserer Kolonne, unser Ehrenmitglied Louis Mendel. Wir werden den beiden Entschlafenen ein ehrendes Gedenken bewahren.“ (32)

1933 gab es in Elmshorn noch sechs jüdische Schüler. Am 25. April wurde das erste einer ganzen Reihe von Schulgesetzen, -erlassen und -verordnungen veröffentlicht. Dieses bestimmte, dass der Anteil der jüdischen Schüler in den mittleren und höheren Schulen den Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung nicht übersteigen durfte. Da die Zahl der betreffenden Schüler in Elmshorn zu gering war, hatte dieses Gesetz keine Auswirkungen. Zu Ostern 1938 verließen die letzten beiden jüdischen Oberschüler die Bismarckschule. (33) Nach dem Novemberpogrom 1938 gab es auch an den Volksschulen Elmshorns keine "Volljuden“ mehr.

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