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Herstellung und Verlag
BoD Books on Demand GmbH
Norderstedt
Printed in Germany,
ISBN 9783752698602
Zum Thema Zeit gibt es Unzähliges an Literatur – offenbar ein unerschöpfliches Thema. Denn wir sind in sie unauflöslich eingebunden. Wenn man es ganz kritisch betrachtet, dann sind wir, wie im Titel formuliert, sogar Gefangene der Zeit.
Das Problem ist nur, die meisten Betrachtungen zu diesem Thema kreisen um die eigentliche Frage herum wie die Motten um das Licht.
Jeder sieht und empfindet die Zeit auf seine Weise, wobei gerade bei diesem Aspekt unzählige subjektive Eindrücke einfliessen.
Auch die Physiker und die Philosophen helfen uns zu letzter Erkenntnis auch nicht weiter. Abstrakte Formeln und philosophische Abhandlungen lassen den Normalbürger im Regen stehen.
Auch dieses Buch ist nur eine Sammlung von Einzelteilen, von Splittern oder Fragmenten quasi, die einen Versuch darstellen, ein wenig Licht in dieses von jedem Menschen so anders gesehene und interpretierte Thema hineinzutragen, in das er nun einmal hineingeboren wurde.
Durch die verschiedenen Betrachtungsweisen ist es möglich oder sogar unabwendbar, dass manche Schwerpunkte oder Gedanken in einigen Kapiteln eine Wiederholung finden. Es besteht also nicht die Notwendigkeit, das Buch von Anfang bis Ende durchzulesen, sondern je nach Laune und Affinität kann man sich einzelne Kapitel vornehmen.
Dieses Thema, über das ich bereits vor einigen Jahren ein Referat auf einem grossen Kongress hielt, liess mich nie so richtig los.
Wenn man die Gelegenheit hat, es zu Papier zu bringen, ist es manchmal eine Art Befreiung – dann kursieren die Gedanken nicht ständig im eigenen Kopf, sondern haben eine Materialisierung in Form von Buchstaben und Bildern gefunden.
Eventuell besteht dann sogar – ganz vorsichtig optimistisch formuliert – die Chance, dass andere und neue Gedanken diesen Platz erobern können.
Diese wesentlich erweiterte und geänderte Version, die Sie jetzt vor sich liegen haben oder gerade lesen, ist das Ergebnis dieser Ansätze.
Bad Soden, im November 2020
Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben,
sondern es ist viel, was wir nicht nützen.
Seneca
Gebraucht der Zeit,
die geht so schnell von hinnen,
doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinen
Goehe (im „Faust“)
Die Zeit ist eine Vase.
Es kommt darauf an, ob man Disteln oder Rosen
hineinstellt.
Rudolf Rolfs
Die Zeit bringt Rat,
Erwartetet’s in Geduld.
Man muss dem Augenblicke auch was vertrauen.
Schiller (im „Wilhelm Tell“)
Der Mensch wird geboren. Ab diesem Zeitpunkt beginnt etwas für den Menschen gnadenlos zu laufen: Seine Zeit.
Zuerst gemessen in Tagen, dann in Monaten, dann in Jahren und in der Folge bei Bedarf in Jahrzehnten.
Die einzige Gewissheit, die ein Mensch in dieses Leben mitbringt, ist, dass seine Zeit irgendwann abgelaufen ist und ein Ende hat. Dazwischen können im traurigsten Fall Tage oder Monate liegen, meistens jedoch Jahre oder Jahrzehnte. Wenn es hochkommt, sogar hundert Jahre, wie es in den letzten Jahren immer häufiger vorkommt, denn die Menschen insgesamt werden älter.
Nun erhebt sich die berechtigte Frage: Was soll der Mensch mit diesem Geschenk – und Leben ist ein Geschenk, von wem auch immer – beginnen? Wozu soll er es nutzen? Gibt es Aufgaben, die zu lösen, zu bewältigen sind? Hat alles einen Sinn –und wenn ja, wozu? Kann oder sollte es so etwas wie ein sinnloses Leben geben?
Wie sollte der Mensch die ihm zugeteilte Zeit nutzen, wenn es so etwas oder jemanden gibt, der ihm die Zeit, seine Zeit zuteilt?
Ist das ganze Erdendasein für jeden Menschen eine Schule, die es zu durchlaufen gilt? Gibt es Sitzenbleiben, Nachsitzen, Nachhilfestunden, Zeugnisse, Noten?
An dieser Stelle lassen wir erst einmal die religiösen Aspekte ausser acht.
Es gibt in diesem Zusammenhang so viele Fragen, die uns animieren sollten, uns aus verschiedenen Blickrichtungen mit dem rätselhaften Phänomen der Zeit und unserem Eingesperrtsein darin zu befassen.
Die Zeit ist ein Geheimnis, vielleicht ist sie gar eines der grössten Geheimnisse für den Menschen, weil er so direkt und unauflösbar in sie eingebunden ist, ja sogar von ihr gefangen ist..
Seit alter Zeit, seit jenen archaischen Momenten, als der Mensch das mystische Dunkel verliess, zögernd, tastend noch, dann aber behende in die Helligkeit des Logos eintrat, in die Phase klaren, strukturierten Denkens also, als – wie es der Schriftsteller und Humanist Peter Bamm formulierte – aus dem Menschenaffen der Affenmensch wurde, versuchte er das Geheimnis der Zeit zu ergründen, ihm nahe zu kommen oder gar zu verstehen.
Der Mensch erkannte den ewigen Rhythmus der Tage, die durch das Tagesgestirn geprägt waren:
Hahnenschrei, Morgenröte, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Tag und Nacht, eventuell noch den höchsten Stand der Sonne.
War es anfangs nur der Tag und sein Ablauf, der zählte, kam später das Erkennen des jährlichen Rhythmus hinzu, das Auf und Ab der Tageslängen..
In unseren Breiten ist der Ablauf des Jahres durch die unterschiedlichen Jahreszeiten deutlich spürbar. Diese starke Differenzierung gibt es in den weiter südlich gelegenen Regionen nicht so ausgeprägt.
Hier entstanden aber die alten Hochkulturen, die zeitmässig eine Art Quantensprung in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation darstellen.
Im Alten Ägypten gestaltete der Fluss Nil das Jahresgeschehen.
Vielleicht kommt es aus eben dieser Zeit, dass wir in den Metaphern vom Fluss der Zeit oder vom Fluss des Lebens sprechen.
Die jährliche Nilschwemme präsentierte den Ägyptern drei Jahreszeiten: Überschwemmung, Aussaat und Ernte.
Diese Einteilung der Jahreszeiten wurde auf eine gewisse Art und Weise zum Geburtshelfer dieser frühen Hochkultur.
Durch die jährliche Überschwemmung mussten nach dem Zurückweichen der Nilflut die Grundstücke und Felder neu vermessen und wieder gerecht verteilt werden. Dies förderte den Berufsstand oder die Institution des Landvermessers und des Schreibers und im Lauf von Jahrzehnten damit das Entstehen einer Schrift.
Aus unserer heutigen Sicht, die wir mit Wort, Ton und Bild geradezu überflutet werden, kann dieser ungeheure Sprung in der Entwicklung gar nicht genug gewürdigt werden.
Das Neue daran war: Man musste den Dingen einen Namen geben, später ein Zeichen dafür zu (er)finden und wiederum später eine Abstraktion.
Durch eine Art Notwendigkeit und durch äussere Umstände entstand demzufolge eine Einteilung der Jahres-Zeit – also eine mehr pragmatische Lösung.
Doch dem Menschen mit seinem suchenden Verstand und seiner Neugier war diese grobe Differenzierung nicht genug – er wollte den Tag weiter aufteilen..
Er erfand die Sonnen- und die Wasseruhr, die weitere Unterabschnitte des Tages und der Zeit angeben konnten.
Mit dem Messen der Zeit veränderte sich etwas dramatisch im Bewusstsein des Menschen: Er spürte und erkannte, dass er sterblich war, dass seine Lebensspanne auf dieser Welt endlich war, dass nach Geburt und Leben unausweichlich der Tod folgte.
Diese Limitierung durch die Zeit konnte und wollte der Mensch im Alten Ägypten nicht akzeptieren.
So schufen eine Art pragmatische Philosophie und Religion das Weiterleben nach dem Tod – allerdings nicht im irdischen Dasein, sondern im Reich des Unterwelt-Gottes Osiris.
Einbalsamierung und Mumifizierung waren die notwendigen Schritte, um den Körper im Diesseits zu erhalten, der wiederum die Garantie dafür war, dass das Ka (der Energiekörper) und das Ba (der Seelenvogel) in ihre Heimatstelle, heute würde man etwas technisch orientiert Ausgangsbasis sagen, zurückkehren konnten.
Dort in den Gefilden des Osiris, im Lande Amenti, wie die Ägypter sagten, lebte der Diesseits-Tote weiter, von der Zeit unbelastet und unberührt, aus ihrer Gefangenschaft befreit, Er ging dort auf die Jagd, erntete, bestellte die Felder etc. Ja, es gab sogar so etwas wie einen Bädeker für das Jenseits.
Und wer es sich leisten konnte, dem gab man sog. Uschebtis (übersetzt: die Antwortenden) mit in den Sarg, damit sie ihm drüben als Diener zur Verfügung standen.
Wir uns modern dünkenden Menschen der Jetzt-Zeit schmunzeln ein wenig über diese archaischen Vorstellungen. Aber wie sieht es denn mit unseren Vorstellungen von Himmel und Hölle aus. Dort oben nur Halleluja und Wolke Sieben und dort unten nur Feuer und schlechte Luft. Was werden wohl spätere Generationen über unsere Zeit denken? Um es einmal deutlich zu sagen: Wir sind das Mittelalter der Zukunft!
Im Alt-Ägyptischen gab es aber kein Wort, das so umfassend und so abstrakt ist wie unser Begriff Zeit.
Aber es gibt eine Reihe von Wörtern, die etwas mit dem Thema Zeit zu tun haben (in einem späteren Kapitel davon mehr). Es gab aber keine Jahrzehnte oder Jahrhunderte in unserem Sinn, sondern das Jahr - das sich „Verjüngende“ – begann immer wieder neu im Sinn einer in sich kreisenden Zeit.
Die Stunde als kleinste Zeiteinheit hiess „die Vergehende“, denn sie musste der Folgestunde Platz machen und sie kam erst nach ca. 23 Stunden wieder zurück.
Für uns heutige Menschen scheint es nur schwer nachvollziehbar, dass andere Kulturen nicht unserem Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft-Denken verhaftet waren, sondern eigene Vorstellungen entwickelt hatten.
Eine der ältesten und vor allem am längsten währenden Kulturen ist die des Alten Ägypten.
Einen fortlaufenden Zeit-Kalender in unserem Sinn gab es nicht, sondern mit dem Tod eines Pharao endete eine Zeitphase und begann erneut mit der Inthronisation des Nachfolgers. Daraus ergaben sich für die heutigen Ägyptologen einige Probleme, denn sie mussten die einzelnen Herrscher-Zeiten wie Ziegelsteine zu einem kalendarischen Gebäude in unserem Sinn zusammenfügen. Das war nicht immer eine leichte Aufgabe. Vor allem deswegen, weil man ungeliebte Pharaonen im Nachhinein einfach totschwieg, so als hätten sie nie regiert und nie gelebt..
Wesentlich interessanter ist hingegen die Unterscheidung der Zeit an sich.
Sie sahen die Zeit nicht als zielgerichtete Grösse an, die aus der Vergangenheit kommend den imaginären Knotenpunkt Gegenwart schneidet um weiter in die Zukunft zu enteilen.
Bei ihnen trug die Zeit zwei wesentliche Aspekte in sich: Zyklische Wiederholung und ewige Dauer.
Die unserer Sprache (und Denkwelt) innewohnende Differenzierung Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft wurde bei ihnen durch die Begriffe Neheh (Nechech ausgesprochen) und Djet (Dschet) ersetzt.
Zwei Hieroglyphen, die man immer wieder in allen Königsgräbern und Tempeln findet, drücken diese beiden Formen aus.
Der Ägyptologe Jan Assmann hat sich in seinem Buch „Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im Alten Ägypten“ sehr eingehend mit diesem Thema befasst.
Im Denken der alten Ägypter spielte, was die Zeit anbetrifft, die Sonne eine wichtige Rolle, denn in ihrer Vorstellung war sie es, die durch das Aufgehen und Untergehen den Rhythmus des Tages und damit auch die Zeit als solche hervorbrachte. Dieses Werden und Vergehen drückte sich im Wort Neheh aus.
Bei all ihren Beobachtungen zeigte sich in der gesamten Natur ein zyklisches, also immer wiederkehrendes Geschehen, das allerdings nicht selbstverständlich war, sondern durchaus von Göttern beeinflusst werden konnte.
Tag und Nacht, das Wiederkehren der Nil-Schwelle, und damit Saat und Ernte, am eigenen Leib das Geborenwerden und Sterben, ringsherum das Blühen, Wachsen und Welken der Pflanzen, die sich abwechselnden Mondphasen – kurzum, ein ständiger Neubeginn und ein immer wiederkehrendes Ende. Der Mensch akzeptierte diese rhythmische zeitliche Gefangenschaft und unterwarf sich ihr.
Die andere Hieroglyphe für das Wort Djet enthält das Symbol der Schlange, die in fast allen alten Kulturen eine besondere Rolle in der Religion spielte. Man glaubte, dass durch die Häutung die Schlange sich immer wieder regenerierte und daher so etwas wie eine Art Kontinuität wenn nicht gar Unsterblichkeit darstellte. Das Korsett der Zeit schien ihr nichts anzuhaben.
Nach Assmann bezeichnet das Wort Djet eine Zeit, in der das Gewordene und Vollendete ruhte.
Beide Begriffe – so Assmann – ergänzen sich zu einem umfassenden Gesamtbegriff von Zeit und Ewigkeit.
Abschliessend muss man zu diesem Gebiet eines konstatieren: Es ist immer ausserordentlich schwierig, sich in eine völlig anders gewachsene Kultur oder besser gesagt Kultur-Philosophie hineinzudenken, da deren Wurzeln gänzlich anders strukturiert waren. Wir, die wir mehr von der griechisch-römischen Kultur geprägt sind, können auch nicht ganz aus unserer Haut heraus und unsere Wurzeln einfach abstreifen.
So sind also Interpretationen des Alt-Ägyptischen Denkens auch nur