Zum Inhalt

TV-STAR SUCHT MANAGER FÜR COMEBACK“. Diese vielversprechende Zeitungsannonce stürzt das Leben der arbeitssuchenden Irene unversehens in ein heilloses Durcheinander. Denn sie hat ihre Rechnung ohne die alternde und äußerst extravagante ungarische Ex-Wettermoderatorin Martha Kűlföldi gemacht, die sich nun einbildet, kurz vor ihrer Pensionierung die internationale TV-Welt als fragwürdige Talkshowmasterin aufmischen zu müssen. Als Irene sich dann auch noch in den einzigen Sohn der Möchtegern-Diva verschaut, ist das Chaos perfekt.

Dieser ironische Roman entstand im Jahre 1999 und wurde nach der alten Rechtschreibung (vor 1996) lektoriert.

Der Autor

© Patrick Karez, 1999

Patrick Karez wurde in den Siebziger Jahren als Kind Prager Eltern in Deutschland geboren. Nach seiner Matura lebte er zehn Jahre lang in Paris, wo er an der Université de Paris-Sorbonne in Kunst- und Architekturgeschichte s.c.l. promovierte und als Kunstkritiker für eine dem französischen Ministerium für Kultur anhängige Institution tätig war. In diesem Rahmen publizierte er bereits mit Mitte Zwanzig – so etwa Kunstkritiken, Übersetzungen aus dem Tschechischen, Englischen und Französischen – und verfasste nebenher kontinuierlich belletristische Texte. Nach seinem Studium ging er für ein Vierteljahr nach Südostasien, lebte ferner für mehrere Jahre in Budapest, Rom, New York und Wien, wo er sieben Jahre lang als Mitarbeiter für die Österreichische Nationalgalerie Belvedere samt anhängigen Häusern tätig war. Das 19. Jahrhundert und die Kunst der Jahrhundertwende zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. So stammen etwa aus der Feder des Autors u.a. die beiden Romanbiographien „Gustav Klimt“ (erschienen im November 2014 im acabus Verlag, Hamburg; 2. Auflage im Juni 2018; russische Ausgabe bei Molodaya Gvardiya, Moskau, vorauss. Ende 2019) sowie „Egon Schiele“ (erschienen im September 2016, im acabus Verlag, Hamburg). Nach seinem Romanerfolg „Schwartz auf Weiss“ (2004, publiziert 2018), legt der Autor nun den im Jahre 1999 entstandenen, ironischen Roman „Diva – Whatever happened to Martha Kűlföldi“ vor.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Dr. Patrick Karez

Cover/Layout: © 2019 Patrick Karez & Roman Bitzinger

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7481-9749-2

FÜR KAROLA

UND FÜR ALLE SCHWIEGERTÖCHTER

(by the way: „Schwiegermutter“ heißt „Belle-mère“ auf Französisch: „Die schöne Mutter“! Ein geradezu unverschämter Euphemismus…)

Inhaltsverzeichnis

I

TV-STAR SUCHT MANAGER FÜR COMEBACK

Irene zog den Filzschreiber mit einem Klick aus der Verschlußkappe, während diese zwischen ihren Vorderzähnen klemmen blieb, und kreiste die Annonce zweimal ein.

Seltsame Anzeige“, dachte sie, während sie sich wieder auf den Rücken zurückrollen ließ, die Zeitung mit beiden Händen hoch über ihr Gesicht haltend.

Diese ewige Jobsuche hatte sie inzwischen völlig zermürbt – und mittlerweile kreiste sie ohnehin eine jede Anzeige wahllos und apathisch ein, ganz egal worum es sich dabei auch handelte. So hatte sie sich letztens erst telephonisch für eine Stelle als „Floor Manager“ beworben, ohne auch nur die leiseste Ahnung gehabt zu haben, was dies überhaupt bedeutete. „Manager“ klang jedenfalls gut. Nein, es klang super! Es klang nach Upper East Side, nach Penthouse, nach Rooftop-Bars, nach Cocktails, Longdrinks und Amuse-Gueules – ja, sogar nach Privat-Learjet und nach privater Karibikinsel. In ihrer Jugend, in den Achtzigern, da war es etwas ganz Tolles gewesen, Manager zu sein. Doch inzwischen war sie gewarnt: Alles, was mit „Manager“ endete, hatte ausschließlich etwas mit Putzen zu tun, warum auch immer. Ganz egal ob „Floor Manager“, „Store Manager“, und so weiter – scheinbar sagte man heute nicht mehr „Putzfrau gesucht“, wenn man eine Putzfrau suchte, sondern eben „Floor Manager gesucht“. Ein purer Zynismus, wie sie fand. Zumal, wenn eine Reinigungskraft für ein Hochhaus gesucht wurde und es dann in der Annonce hieß: „Floor Manager mit Aufstiegsmöglichkeiten gesucht!“. Ein „Store Manager“ war übrigens auch nicht viel besser. Ganz im Gegenteil sogar. Denn der durfte dann nicht nur putzen, sondern zusätzlich auch noch Regale befüllen. Nein. Ganz so tief war sie nun doch noch nicht gefallen. Das Bißchen Anstand und Würde wollte sie sich dann doch noch beibehalten, obwohl es inzwischen allerdings nicht mehr ganz so rosig für sie ausschaute. Denn ihre Jobsuche erstreckte sich nun schon fast über drei Monate.

Gestern erst war sie erneut reingefallen. Auf diese blöden, neuen Ausdrücke. Auf diese fadenscheinigen Anglizismen. Auf diese heimtückischen Euphemismen. Da hatte sie nämlich auf den Ruf nach einem „Platform Assistant“ geantwortet. Kurz darauf wurde ihr klar, daß es sich dabei um nichts weiter als um einen lausigen Callcenter-Job handelte. Eine Stelle also, die sie – neben jener eines „Floor-“ oder „Store Managers“ – unter gar keinen Umständen antreten wollte. Dennoch schien es zur Zeit gar keine anderen Jobangebote zu geben – außer eben irgendwo putzen zu gehen, beziehungsweise irgendwo telephonisch Klinken putzen zu gehen.

So hatte sie sich das letzte Jahr ihres Lebens nun wahrlich nicht vorgestellt. Als Teenager, da hatte sie sich einmal einen Plan gemacht. Einen Zeitstrahl erstellt. Auf einem großen Blatt Papier nämlich. Darauf hatte sie sich ihren weiteren Lebensverlauf minutiös aufgezeichnet. Im Jahre 2000 zum Beispiel, hatte sie eigentlich schon längst Millionärin sein wollen. Stattdessen war sie nicht nur arbeitslos, sondern auch vollkommen mittellos. Und zur Erfüllung ihres Fünfjahresplans blieben ihr nicht einmal mehr sechs Monate übrig. Denn dann stünde es bereits vor der Tür, dieses ominöse Jahr 2000. Nach ferner Zukunftsmusik hatte es einst geklungen, in den tiefen Strudeln ihrer eigenen Jugend. Das Jahr 2000! Das hatte ganz nach denkenden Robotern und nach fliegenden Autos geklungen. Nach fliegenden Autos, die mehr Raumschiffe waren als Autos. Nach Reisen zum Mars. Oder zur Venus. Mit denkenden Robotern in fliegenden Autos, die mehr Raumschiffe waren als Autos. „Raumschiff Venus antwortet nicht“, dieser todlangweilige Pseudo-Science-Fiction-DDR-Trash-Film, Baujahr 1959, war immer noch futuristischer als dieses so ganz und gar nicht futuristisch anmutende Jahr 2000, das in nur sechs Monaten schon ins Haus stand. Im Grunde hatte sich in den letzten 30 Jahren rein gar nichts geändert, dachte Irene bitter. Vor allem in ihrem eigenen, verkorksten Leben nicht.

Nein. So hatte sie sich das letzte Jahr ihres Lebens nun wahrlich nicht vorgestellt! Das letzte Jahr zumindest, in welchem ihr Alter sich bezüglich der ersten der beiden Ziffern noch aus einer Zwei zusammensetzte. Damit wäre nämlich bald schon Schluß. Sehr bald sogar! Dann stünde beinhart und unerbittlich eine Drei davor. Dann wäre alles aus. Dann wäre sie alt. Wie sie meinte. Unbrauchbar. Und unfickbar. (Aber das meinte sie nicht. Das dachte sie nur.) Denn fickbar war sie natürlich immer noch. Zumindest theoretisch. Praktisch allerdings nicht. Beziehungsweise schon länger nicht mehr. Seitdem ihr vor ein paar Monaten der letzte Trottel davongelaufen war. Ein wirklich sehr dummer Kfz-Mechaniker aus Dülken. Aber selbst der war immer noch schlau genug gewesen, um sich baldmöglichst vor ihrem ewigen, frustrierten Blabla in Sicherheit zu bringen. Und zwar für immer.

Es war ihr stets ein Rätsel gewesen, wie andere Mädels es nur schafften, einen Typen dauerhaft an sich zu binden. Entweder das, oder eben ständig einen neuen zu finden. Sie selbst war diesbezüglich nicht gerade sonderlich talentiert, was sie übrigens auch selbst erkannte, dennoch konnte sie einfach nichts daran ändern. Vermutlich war sie einfach zu schüchtern. Nein.

Schüchtern war sie eigentlich gar nicht. Oder zu häßlich? Nein. Auch das war sie nicht. Solange sie auch nachdachte, sie kam einfach nicht darauf, was es war. Denn es war definitiv ein Problem. Nicht immer. Nicht früher. Aber jetzt. Und zwar zunehmend. Mit jedem einzelnen Tag, der verstrich. Der sinnlos verstrich. Der ungeliebt verstrich. Der ungefickt verstrich. Um es mit ihren Worten zu sagen. Beziehungsweise mit ihren Gedanken. Denn so etwas dachte man natürlich nur. Man sprach es nicht aus. Vor allem als „Dame“ nicht. Was sie ja ohnehin nicht war. Aber wer war das heute schon? Vielleicht noch die eine oder andere Oma im Pelzmantel und mit Perlenkette, dachte sie. Aber das war‘s dann auch schon. Die Damen waren mittlerweile genauso ausgestorben und obsolet geworden wie Telegraphenstationen, Telegramme oder Grammophone. Die Bezeichnung „Dame“ war geradezu eine Garantie für chronische Ungeficktheit, wie sie fand. Gut, eine Proletin war sie zwar auch nicht, aber im Grunde ihres Herzens bereute sie es, keine zu sein, denn die waren ja geradezu bekannt dafür, stets gut gefickt zu sein. „Dumm fickt gut“, heißt es so schön, beziehungsweise: „Dummheit frißt, Intelligenz säuft“ – und dies nicht ohne Grund. Denn nur mittels Alkohols läßt sich das Gehirn eines halbwegs intelligenten Menschen auf jenes eines Proleten zurückprogrammieren, sozusagen downgraden – die einzige Chance auf guten Sex. Und auf ein unbeschwertes Leben ohne tiefschürfende – also lästige und völlig unnütze – Gedanken obendrein. Im Grunde befand sich Irene in einer schrecklichen kognitiven Pattstellung, wie so viele durchschnittlich intelligente Menschen übrigens auch: Nicht dumm genug, um halbwegs glücklich sein zu können und obendrein auch noch guten Sex zu haben – und nicht intelligent genug, um seine überdurchschnittliche Intelligenz mittels billigen Fusels mutwillig auf ein unterdurchschnittliches Niveau zu senken, um somit ebenfalls halbwegs glücklich sein zu können und darüber hinaus endlich guten Sex zu haben. All die Millionen Menschen, die irgendwo dazwischen lagen – zwischen sehr dumm und sehr intelligent also – die hatten nunmal kein gutes Leben, und erst recht keinen guten Sex, so sehr sie sich auch danach sehnten und so sehr sie auch danach strebten. Irene war leider eine von ihnen. Dennoch bestand bei ihr durchaus noch Hoffnung. Wenn es so mit ihr weiterginge, würde auch sie eines schönen Tages zur Alkoholikerin werden und somit ihrem durchschnittlichen Leben einen unterdurchschnittlichen Anstrich verleihen. Guter Sex wäre dann natürlich inklusive. Endlich. Nach so vielen Jahren des Darbens. Und der sinnlosen Zeitverschwendung. Durch sinnlose Gedanken.

Endlich stand sie auf, fütterte geistesabwesend ihre Katze und sah dabei nicht minder geistesabwesend durch die speckigen Fensterscheiben ihres 30m2-Appartments in den tristen Hof hinab. Eigentlich wäre der Innenhof gar nicht mal so deprimierend gewesen, hätte es sich bei den hofseitigen Hinterhausfassaden nicht um graue Nachkriegsbauten gehandelt. Denn hier in Wien, zumal in den inneren Bezirken, erwartete man wohl eher die prachtvollen Gründerzeithäuser aus der Zeit Kaiser Franz Josephs – und nicht etwa diese grauen, schmucklosen Kästen mit Flachdach, deren Fenster horizontal anstatt vertikal verlaufen, sodaß man weder den Himmel noch die Erde sehen kann, sondern vielmehr dazu verdammt ist, gegen seinen Willen sozusagen, seine Nachbarn zur Rechten und zur Linken auszuspionieren… Die deprimierende Siedlung in Köln-Wahn, aus der Irene vor einigen Monaten geflohen war, hatte sie offensichtlich bis hierher, ins schöne Wien, verfolgt, um sie sich kurzerhand erneut einzuverleiben. Köln-Wahn, Köln-Porz, Köln-Nippes, Köln-Bilderstöckchen: Diese schrecklichen Kraut-und-Rüben-Namen schrieen förmlich nach häßlicher Architektur und häßlichen Menschen mit Knollnasen und blondierter Sauerkrautdauerwelle in Trainingsanzügen aus grellbunter Fallschirmseide aus dem benachbarten Billigsupermarkt – doch Wien-Margarethen, Wien-Mariahilf, Wien-Leopoldstadt, Wien-Josephstadt: diese mehr oder weniger imperialen Namen verlangten geradezu nach noblen Palästen, mit ihrem süßlichstaubigen Duft aus der Kaiserzeit!

Irene seufzte leise. Sie fühlte sich, als sei sie dem Schicksal erneut in die Falle getappt. Was auch immer sie unternahm, wohin auch immer sie fliehen mochte – das Schicksal schien sie stets einzuholen. Und in ihren Augen war es ihr Schicksal, frustriert und ungefickt, allein in einem grauen Nachkriegskasten zu hocken, zusammen mit ihrer dämlichen Muschi, während nur einen Straßenblock weiter die Jungen, Reichen und Schönen in ihren Prunksälen mit Viermeterdecken, Flügeltüren und Sternparketten nobel residierten und dekadent feierten, wobei jene, Ironie des Schicksals, dank des seit Generationen vererbten Friedenszinses für ihre üppigen Quadratmeter erheblich weniger Miete zahlen mußten als sie selbst, für ihre triste Schrottbude…

Nein, es mußte doch auch einmal eine Gerechtigkeit für sie selbst geben, dachte sie bitter, während sie ihrer Katze dabei zusah, wie diese sich mechanisch das kleine pelzige Arschloch leckte.

„Du hast es gut, Muschi!“, seufzte Irene, „Kannst den ganzen Tag daliegen und Dir nach Herzenslust die Futt schlecken, während Mammi einen blöden Job suchen muß!“

Muschi sah kurz zu ihr auf, antwortete jedoch nicht.

„Siehst Du? So weit ist es schon gekommen mit mir, daß ich jetzt mit meiner Katze rede…“, den Rest des Satzes verschluckte Irene allerdings und dachte ihn vielmehr: „Ich brauche dringend einen Mann!

Mit einem durch Mark und Bein dringenden Seufzer, so daß selbst ihre Katze verstört zu ihr hinaufschaute, griff Irene nun endlich zum Telephon und wählte die Nummer.

„Ja, Haaaaalloooo?“

Ach, Du Schreck! Weshalb sprach diese Frau am anderen Ende der Leitung die Vokale „A“ und „O“ nur derart offen aus? So offen, daß es sich beinahe anstößig anhörte? Und das „L“ hörte sich so weit verschluckt an, als sei die gute Frau gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt. Schon zweifelte Irene, überhaupt die richtige Nummer gewählt zu haben…

„Haaallooo? Rrrufän Sie wägän die Annoncä an?“

Die Annonce? Das „R“ gerollt wie bei einem Trommelwirbel des ungarischen Husarenregiments oder bei einem böhmischen Ehestreit? Allmählich sah Irene klarer…

„Ja. Ich… habe Ihre Anzeige gerade in der Zeitung…“

„Gut! Und wälchä Qualifikation könnän Sie mitbringän?“

„Qualifikation?“, wiederholte Irene perplex, „Ich…“

„Naja, habän Sie schon für die Färnsähn oder den Thäatär gäarbeität? Odär habän Sie Wirtschaft studiert? Odär…“

„Ja! Wirtschaft studiert!“, Irene fiel ein Stein vom Herzen.

„Aha? Und wo? An die Wirtschaftsunivärsität odär an die Fachhochschulä?“

„Ähm“, (Mist!), „Also vielmehr eine Lehre. Als Außenhandelskauffrau…“

„Außänhandäl! Gut!“, die andere Stimme lachte, „Ich bin quasi die Produkt – und Sie müssän mich in die Ausland äxportierän!“

Irene schwieg.

„Wann habän Sie Zeit?“

„Ähm…“

„Jätzt?“

„Ähm…“

„Gut! Kommän Sie doch in ätwa einär Stunde zu mir!“

Nachdem die Frau ihr umständlich die Adresse vermittelt hatte, legte sie auf. Kopfschüttelnd und mit einem unguten Gefühl im Magen, das sie nur allzu gut kannte, machte sich Irene auf den Weg…

II

Die mysteriöse Frau wohnte in einer deprimierenden Siedlung aus den Siebziger Jahren, irgendwo am südlichen Stadtrand Wiens. Dennoch öffnete sie in einer derart majestätischen Pose die Haustür, daß Irene den Eindruck erhielt, als öffne sich da mindestens das Portal zu einem imperialen Sommerpalast oder zu einer hochherrschaftlichen Villa.

„Ah! Sie sind‘s! Kommän Sie hinäin! Folgän Sie mir auf die Loggia!“; die Frau führte Irene durch einen engen und dunklen Hausflur, der mit geschmacklosem dunklem Holz getäfelt war, auf dem Unmengen von grellbunten, handbemalten Tellern hingen. Irene fühlte sich sofort in eine Touristen-Csárda am Balaton oder in eine Kaschemme irgendwo im Böhmerwald oder in Transsylvanien versetzt.

Diese anstößigen Vokale!“, dachte sie, „Die spricht ja das A glatt wie O aus!

In der Tat. War bei der Kűlföldi nicht alles Pott wie Deckel. Aber A war wie O. Das A und O sozusagen. Und so. Wurde Anorak. Ungeniert zu Onorok. Und Paprika. Verwandelte sich kurzerhand. In Poppriko.

„Sätzän Sie sich!“; die Frau hatte Irene nun durch das Wohnzimmer, welches mit geschmacklosen Büromöbeln aus schwarzem Furnier bestückt war (wie sie auch einmal vor vielen Jahren im Westen modern gewesen waren), auf eine winzige Terrasse geschleust; „Was möchtän Sie trinkän?“

„Ähm…“

„Kaffää? Gut!“; und die Frau verschwand wieder.

Irene war noch völlig benommen von dieser imposanten Erscheinung, die halb einem Papagei – halb einer Vogelscheuche – glich. „Wie kann man sich in diesem Alter noch derart auffällig schminken und überhaupt derart grell zurechtmachen?“, dachte sie angewidert, während ihr der süße, der zuckersüße, der zum Erbrechen süße Parfümhauch ihrer Gastgeberin um die Nase wehte. Diese Frau war offensichtlich in den frühen Achtzigern, beziehungsweise in den späten Siebzigern, einfach steckengeblieben, dachte sie. So etwa zur Anfangszeit von Denver-Clan und Dallas, diesen trashigen Fernsehserien, die sich damals ein jeder ansehen mußte, ganz einfach, weil es sonst gar nichts anderes im Abendprogramm zu sehen gab… Die blondierten, dauergewellten Haare auftoupiert wie eine Löwin, die Augenränder in Kampfbemalung, wobei sich aufdringliche Signalfarben wie Gelb, Grün und Lila die Hand gaben, eine Perlenkette aus Perlen, die wohl im Kühlwasser eines Atomreaktors gezüchtet worden sein mußten, so groß waren sie, der Blazer mit den Mega-Schulterpolstern und diagonalem Revers, der nur durch einen einzigen, dafür aber riesenhaften schwarzen Knopf verschlossen wurde, die linke Seite schwarz, die rechte Seite fuchsienfarben. Das alles stank förmlich nach Denver-Clan! Alexis Colby war offensichtlich aus ihrer Gruft zurückgekehrt…

„Hier, Ihrä Kaffää!“

Das ist aber schnell gegangen. Den muß sie wohl schon vorher fertig gehabt haben“, dachte Irene und nippte an der Tasse. Instantkaffee. Aus der Thermoskanne.

„Sooooo…“, die Frau ließ sich seitlich und räkelnd wie eine Katze in die Lehne ihres Gartenstuhls zurückfallen, nachdem sie sich eine Cigarette angezündet hatte. Sie tat dabei große, tiefe Züge, die sie mit offenem Mund verschluckte. Irene konnte zusehen, wie sie dabei stets die Zunge nach oben wölbte, als wolle sie mit der Zungenspitze ihre Oberlippe berühren, wobei sie schließlich jedoch die Zunge weiter nach hinten in den Rachen kippen ließ, gleich so, als wolle sie diese, zusammen mit dem Cigarettenrauch, verschlucken. Wenn sie den Rauch wieder ausstieß, gab es ein langgezogenes, zischendes, ja, seufzendes Geräusch, das Irene, wie alles an dieser Frau, zutiefst verstörend und vulgär erschien.

„Ach, übrigäns…“, die Frau setzte eine nonchalante Miene auf, so als sei die nun folgende Information völlig unnötig, da sie ja ohnehin zum allgemeinen Wissen der Menschheit gehöre, „Ich bin Martha Kűlföldi. Abär das wissän Sie ja wahrschäinlich bäräits.“

Dabei nahm ihr Gesicht plötzlich eine lauernde Miene an.

„Ach…“, Irene wußte nicht recht, wie sie reagieren solle. Vielmehr wagte sie es nicht, die Wahrheit zu sagen. Nämlich dieser Frau einzugestehen, daß sie sie zum Verrecken nicht kannte, daß wahrscheinlich niemand sie kannte und auch niemand sie wahrscheinlich je kennen wollte. Doch stattdessen setzte sie einen geheuchelten Ausdruck der Überraschung auf – so als wolle sie damit sagen: „Mein Gott! Martha Kűlföldi! DIE Martha Kűlföldi? Ich fasse es nicht! Ich kann es nicht glauben!

Spätestens da wurde Irene bewußt, daß diese Frau sie zutiefst einschüchterte. Sie hatte regelrecht Angst vor diesem Psychopapagei, der anscheinend geradewegs mit einer Zeitmaschine aus den Endsiebzigern – beziehungsweise aus den frühen Achtzigern – ins Hier und Jetzt hineinkatapultiert worden war… Diese spitzen Schuhe hatte Irene schon seit 1986 nicht mehr gesehen. Und dann dieser Nagellack! Und all die Ringe! An jedem Finger mindestens drei!

„Ich war einä großä Star in Ungarn“, sagte diese (und sie redete laut, sehr laut, obwohl ja weit und breit kein anderes Geräusch zu vernehmen war), während sie mit einem langgezogenen Zischen den Cigarettenrauch ausstieß, „Abär nicht nur in Ungarn, sondärn in die ganzä Wält!“

„Ach…“, Irene war beim besten Willen kein derartiger ungarischer (Welt)Star bekannt. Außer Marika Rökk, oder Zsa Zsa Gabor vielleicht. Aber waren die nicht schon lange tot? Beziehungsweise: so gut wie? Da diese Frau Kűlföldi nicht die geringste Miene machte, sie über ihren einstigen Starruhm aufzuklären, nahm Irene nun ihren ganzen Mut zusammen:

„Und… wo… und wann… war das genau? Ich meine…“

Die Kűlföldi sah sie mit ihren grell geschminkten Augen groß an. Irene fand, daß sie mit ihrer schrillen Kriegsbemalung und den auftoupierten Haaren irgendwie aussah wie eine Tigerin. Völlig von dieser dominanten Erscheinung eingeschüchtert, brach sie ihre Frage mit lediglich drei unzusammenhängenden Substantiven ab – was in den Ohren ihres Gegenübers jedoch noch unverschämter klingen mußte:

„Kino? Fernsehen? Theater?“

„Nein! Nicht die Thäatär!“, die Kűlföldi winkte dieses Wort ab wie eine lästige Schmeißfliege, „Das ist doch schräcklich langwäilig! Immer nur hystärischä Frauän, die mit Mässär übär Bühnä rännän und Männär ärmordän! Nein, die Thäatär ist nichts für mich! Färnsähn! Färnsähn ist meine Mädium! Tollär Job!“

„Ach… und was da genau?“

Die Kűlföldi war plötzlich wie versteinert. Mit weit aufgerissenen Augen musterte sie Irene von Kopf bis Fuß.

„Sie kännän mich nicht?“, stammelte sie fassungslos.

„Ähm… Doch! Doch…“

„Na ja“, die Kűlföldi zerquetschte mit einer erbarmungslosen Geste ihre Cigarette in dem lächerlichen kleinen Aschenbecher aus Zsolnay-Porzellan, „Abär Sie könnän mich auch gar nicht richtig kännän, denn Sie sind ja noch viel zu jung!“; sie lachte – diese plötzliche Eingebung brachte ihr in eine bedrohliche Schieflage geratenes Weltbild in Sekundenbruchteilen wieder ins Lot.

„Sie könnän mich gar nicht kennen!“, wiederholte sie lachend ihre Aussage, und es klang vielmehr wie eine Beschwörung.

Irene schwieg. Die Antwort auf ihre Frage stand dennoch aus. Als die Kűlföldi jedoch keinerlei Anstalten machte, darauf einzugehen, hakte sie noch einmal schüchtern nach:

„Und bei welchen Fernsehproduktionen haben Sie…?“

„Ach, Tausändä!“, die Kűlföldi hatte sich bereits eine neue Cigarette angezündet und blies den Rauch in Irenes Gesicht, „Jädän Tag war ich in die Färnsähn! Wichtigä Sändung! Noch Kaffää?“

„Nein, danke“; Irene sah sie mit erwartungsvoller Miene an.

„Was schauän Sie mich so an?“, die Kűlföldi schien sich in die Ecke gedrängt zu fühlen.

Wie um das unangenehme Schweigen zu brechen, beugte sie sich nun umständlich vor, um Irene die (noch halbvolle) Kaffeetasse vollzugießen, wobei sie die Hälfte davon danebenschüttete. Irene hingegen blieb standhaft. Ihr fragender Blick durchbohrte förmlich ihr Gegenüber, welches sich nun mit abgehackt wirkenden, zupfenden Gesten die Haarspitzen richtete, wobei die unzähligen Ringe an den Fingern klimpernde Geräusche von sich gaben.

Wättärbärichtä!“, rief sie plötzlich, lauter als nötig, aus – und in ihrer Stimme mischte sich Wut mit Verzweiflung.

„Wetter…?“

„Ja! Wättärbärichtä! Ganz wichtig für Ungarn! Und die ganzä Wält!“; angewidert zerquetschte sie auch diese Cigarette im Aschenbecher, obwohl sie gerade einmal zwei Züge aus ihr getan hatte.

Irene mußte sich mit aller Kraft ein Lächeln verkneifen. „Wetterberichte“, hallte es immer wieder in ihrem Kopf. Sie durfte jetzt bloß nicht lachen! Bloß nichts anmerken lassen, denn sonst wäre es auf der Stelle aus mit ihr. Die Tigerin würde sich dann sicherlich mit einem Satz auf sie stürzen und ihr mit einem gezielten Biß in den Nacken den Garaus machen.

„Warum sagän Sie nichts? Was starrän Sie mich so an wie ein… wie einä Stock?“, rief die Kűlföldi wütend aus.

Irene preßte ihre Lippen fest aufeinander.

Beherrsche Dich! Laß Dir nichts anmerken!“, sagte sie sich immer wieder.

„Ich war einä großä Star! Immär eingäladän von die Botschaft und mit die Sondärbotschaftär pär Du! Und noch vor wänigä Jahrä bin ich mit die Sondärbotschaftär von die Handälsvärträtung auf die Donaupfeil von Budapäscht nach Wien gäfahrän und habä mit ihm Champagnär gätrunkän!“

Nicht lachen! Bitte, lieber Gott, nicht lachen!

„Und Angäbotä hattä ich! Pah!“, es folgte eine weit ausladende Geste, „Von die Slowakäi! Bis Rumäniän!“

Stell’ Dir einfach etwas Trauriges oder Schreckliches vor! Das Begräbnis von Oma! Versuche sie als Leiche vor Dir zu sehen! Nein. Besser noch: Muschis Vorgänger, Elvis, wie er in Köln-Wahn vom Schulbus überfahren wurde, nachdem er in einem unachtsamen Moment von mir aus dem Fenster getürmt war!

Es wirkte.

„Ich hättä in die Slowakäi oder in Rumäniän einä Topstar wärdän könnän! Und sogar in die Ukrainä!“

Allmählich dämmerten Irene die ganzen Ausmaße des wahnsinnigen Plans, den diese verrückte alte Schachtel da ausheckte… Die Worte der Zeitungsannonce kamen ihr wieder in den Sinn:

TV-STAR SUCHT MANAGER FÜR COMEBACK
(beziehungsweise:
TV-STAR SUCHT MÄNÄGÄR FÜR COMEBÄCK“)

Pah, von wegen ‚Star‘!“, dachte Irene.

„Ich war einä… einä Diva!“, rief die Kűlföldi plötzlich hysterisch aus, Tränen der Wut und Enttäuschung im Auge.

Eine bedrückende Schweigeminute trat ein. Da die Kűlföldi nichts mehr sagte, lag es an Irene, das Schweigen zu brechen.

„Und…“, begann sie nun vorsichtig ihre Frage, in einem Tonfall, in welchem man für gewöhnlich nur mit Geisteskranken (beziehungsweise mit Gemeingefährlichen) redet, „Was kann ich nun für Sie tun?“

„Abär das ist doch klar!“, die Kűlföldi starrte sie erneut mit ihren weit aufgerissenen Augen an, „Sie hälfän mir bei die Comebäck! Als Mänägärin! Als Agäntin! Als Assistäntin!“

Irene verschluckte sich an dem letzten Rest Kaffee, den sie in ihrer Verlegenheit aus dem Boden der Tasse geschlürft hatte. Das potentielle Lachen vorhin, das hatte sie gerade noch so eindämmen können – doch gegen diesen Hustenanfall ließ sich einfach nichts machen. Mit tränenden Augen sah sie die Kűlföldi an, die sich inzwischen wieder, mit einer neuen Cigarette in der nach außen abgewinkelten Hand bewaffnet, in Drohgebärde vor ihr aufgebaut hatte.

„Und was ist jätzt?“, fragte diese, sichtlich enerviert, „Heutä kommän noch vielä andärä Bäwärbär! Machän Sie mir einä Angäbot! Einä Vorschlag! Einä Plan!“

„Einen Plan?“, fragte Irene schockiert, während sie sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischte. Immer noch kam Instantkaffee aus ihrer Luftröhre hoch, wenn sie hustete.

„Ja, zu die Kuckuck! Einä Plan! Ist das dänn so schwär?“, und wieder gab es eine Cigarette weniger auf dieser Welt, „Einä richtigä Wirtschaftsstratägie! Die TV-Sändär anschreibän, mit einä eigänä Show! So vielä von diesä blödä Talkshows in die Färnsähän!“

„Sie…“, ungläubig sah Irene diese offensichtlich komplett verrückte Frau aus ihren vertränten Augen an, „möchten eine Talkshow machen? Im… österreichischen Fernsehen?“

„Warum nicht? Odär liebär gleich in Deutschland odär in Amärika! So vielä schlächtä Talkshows und keinä richtigä Untärhaltung!“

Na, unterhaltend, das wäre sie!“, dachte Irene – nicht ohne Anerkennung vor so viel konzentriertem Wahnsinn.

„Tja, und…“

„Ach, die Bäzahlung? Machän Sie sich keinä Sorgä um das Gäld!“, die Kűlföldi winkte ab, „Sie bäkommän Prozäntä!“

Prozente?“, Irene schluckte (und immer noch kam dabei Kaffee nach – weiß der Teufel woher), „Also… kein Grundgehalt?“

„Abär wozu einä Grundgähalt?“, die Kűlföldi schüttelte ihre Löwenmähne, „Schließlich soll Sie ja mein Ärfolg auch motivierän!“, und wieder klickte das kleine silberne Gasfeuerzeug, „Abär keinä Angst: Wärdän wir alläs mit die Anwalt väreinbarän!“

„Nun…“, („Bloß raus hier! Nur weg von hier!“), „Also… Ich brauche aber ein paar Tage Bedenkzeit, um…“

„Bädänkzeit? Ein paar Tagä?“, die Kűlföldi schien schockiert, „Abär was gibt äs da zu bädänkän, Kindchän? Sie hälfän mir – und ich hälfä Ihnän! So einfach ist das!“

Plötzlich schlug irgendwo im Haus eine Tür zu.

„Ach!“, augenblicklich setzte die Tigerin eine verzückte Miene auf, „Das ist meinä Sohn!“

III

Irene rechnete mit dem Schlimmsten – um so mehr erstaunte es sie, als plötzlich ein normaler, ein völlig normaler (so schien es zumindest auf den ersten Blick) junger Mann durch die Verandatür zu ihnen hinausschaute und höflich grüßte. Er erschien ihr nicht unbedingt als klassische Schönheit, doch bereits auf den ersten Blick war Irene von seiner scheinbaren Verletzlichkeit und Zartheit gefesselt, die doch so sehr mit seiner offensichtlichen Männlichkeit (er war ja folgerichtig mindestens zur Hälfte Ungar!) im Widerspruch stand.

„Ah! Attila! Komm här zu uns!“, seine Mutter breitete die Arme aus.

Diese Seite an ihr, beziehungsweise diese neue Rolle, war Irene bislang völlig verborgen geblieben.

„Das ist die Attila! Meinä Sohn!“, sagte sie, wobei der Stolz ihr förmlich Tränen in die Augen trieb, „Und das hier, ist… Wie war doch gleich Ihrä Namä?“

„Irene!“, sagte Irene. Und streckte dem jungen Mann die Hand hin.

„Sätz Dich doch zu uns, Attilka!“, die Kűlföldi wies ihm – mit einer ebenso zärtlichen wie bestimmenden Geste – einen Platz am Plastiktisch an.

„Nein, danke!“, erwiderte dieser trotzig – und es kam für Irene recht überraschend, denn niemals hätte sie erwartet, daß ausgerechnet der Sohn der großen Tigerin es wagen würde, dieser zu widersprechen, beziehungsweise sich ihren Wünschen zu widersetzen.

„Sätz Dich!“, wiederholte die Kűlföldi nun erneut ihren Wunsch. Und diesmal klang es schon weitaus mehr nach einem Befehl.

„Ich muß jetzt los.“

„Ach, nun komm schon! Nur kurz, Schatz!“

„Nein. Und bitte, nenn mich nicht Schatz.“

Irene beobachtete schweigend dieses groteske Kammerspiel, das sich da vor ihren Augen abzuwickeln begann. Es gab da also durchaus einen, der es wagte, dieser Frau Paroli zu bieten. Zumindest hatte es den Anschein danach.

„Na gut, wenn Du also unbädingt stähän bleibän möchtest!?“, umgehend stieß die Kűlföldi ein operettenhaftes, künstliches Lachen aus. Und dennoch bemerkte Irene augenblicklich, daß da gerade der Haussegen schiefhing. Wäre sie selbst wohl nicht anwesend gewesen, so hätte die Kűlföldi ihrem Sohn jetzt mit Sicherheit ordentlich die Leviten gelesen. Beziehungsweise hätte dieser es dann vermutlich erst gar nicht gewagt, seiner Mutter zu widersprechen. Die Anwesenheit einer unbekannten jungen Frau, hatte ihn scheinbar zu dieser Palastrevolte angestachelt.

„Ah! Ist äs nicht schön hier?“, fragte die Kűlföldi nun mit gespielter Nonchalance, um vom Thema abzulenken – also von ihrem offensichtlichen Scheitern als Autoritätsperson, zumindest vor den Augen ihres Gastes, der ja nicht nur weiblich war, also per se schon eine Konkurrenz, sondern auch noch deren Untergebene, zumindest sollte sie es bald schon werden.

Niemand reagierte auf diese Aussage, die ja lediglich zum Füllen der Leere, beziehungsweise der Stille, in den Äther geworfen worden war. Und doch legte die Kűlföldi noch eins drauf. Mit einer weit ausladenden Geste auf den minuskülen Garten hinter ihr deutend, fragte sie nun, direkt an Irene gewandt:

„Wie gäfällt är Ihnän dänn, unsär Park?“

Park?“, dachte Irene irritiert. Seit wann konnte man bei rund acht Quadratmetern, zumal in einer kastenförmigen Vorstadtsiedlung, nein: in einer kastenförmigen Vorstadtreihenhaussiedlung, von einem Park sprechen?

„Ah!“, die Kűlföldi lehnte sich mit geschlossenen Augen in ihrem Plastikstuhl zurück, der augenblicklich ein furzendes Geräusch von sich gab, „So einä tollä Park! So einä großä Loggia! So einä schönä Anwäsän! Und so zäntral, an die Stadt! Hörän Sie dänn nicht die Vögäl zwätschkärn?“

„Zwitschern!“, korrigierte ihr Sohn sie umgehend.

„Wie?“

„Es heißt: zwitschern! Nicht: zwetschkern! Zwetschgen sind was anderes.“

„Ach, das weiß ich doch sälbst, Du Dummes!“, wieder stieß die Kűlföldi ihr operettenhaftes Lachen aus – schrill, hoch und geradezu kristallin, ähnlich der Arie einer gewissen Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte, „Also, Inäs! Wie gäfällt är Ihnän dänn, unsär Park?“

„Heißt sie nicht Irene?“, fragte Attila mit irritierter Miene.

„Ach!“, die glucksenden, künstlichen Lachlaute der Kűlföldi überschlugen sich förmlich, „Inäs, Iränä, Isabäll – das ist doch alles das Gleichä, nicht wahr, Irina?“

Mit verzweifelter Miene schaute die (erneut falsch) Angesprochene zu Attila, der soeben leicht die Augen verdrehte, während er sich rücklings, mit verschränkten Armen (wobei sich sein Bizeps beachtlich wölbte) an den Türrahmen lehnte – das rechte Bein, salopp und bestimmt zugleich, dagegengestemmt. Deutlich zeichnete sich die respektable Beule in seiner dunkelblauen Adidas-Sporthose ab – und Irene bemerkte, wie ihr das Blut in die Schläfen schoß. Was für ein Vollprolet dieser Attila doch war! (Nicht nur ihre deprimierenden Behausungen holten sie immer wieder ein, wohin auch immer sie flüchten mochte – jener gewisse Männertypus tat es scheinbar auch.) Und doch war er auch so sanft. Und zart. Und hart. Beides zugleich. Zartbitter. Wie die Schokolade, die sie so gern aß. Zartbitter. Wie ihr ganzes Leben es war. Zuckerbrot und Peitsche. Längst schon stand für Irene völlig außer Diskussion, daß sie jemals diesen hirnrissigen Job annehmen würde – wäre da doch nur nicht dieser Sohn aufgetaucht. Ein Bild von Mann. Beide Hände voll von Mann. Von Vorstadtsiedlungsmann. Von Vorstadtreihenhaussiedlungsmann. In Adidas. Und mit strammem Bizeps. Wobei der Rundkragen des weißen T-Shirts, unter der halb geöffneten Adidas-Jacke, auch noch den Ansatz einer (scheinbar sogar recht üppigen) Brustbehaarung freigab. Ein regelrechter Sechser also. Im Lotto. Dieser Kerl. Allein der wäre es also wert, sich die ganze (offensichtlich hirnrissige) Sache noch einmal zu überlegen. Sollte sie sich also tatsächlich auf dieses völlig verrückte Unterfangen einlassen, dann einzig und allein wegen ihm. (Denn ganz so oft begegnete Irene jungen Männern nicht. Zumal nicht von diesem Kaliber.)

„…und dann habä ich diesä Wagän bäkommän, mit die diplomatischä Kännzeichän!“, plapperte die Kűlföldi munter weiter, wobei Irene den ganzen Anfang der Story verpaßt hatte. Attilas imposante Erscheinung, trotzig in den Türrahmen gestemmt, hatte sie voll und ganz in Beschlag genommen.

„Könnän Sie sich das vorställän?“, fragte die Kűlföldi nun, direkt an Irene gewandt, da ihr offensichtlich nicht entgangen war, daß diese mit ihren Blicken anderweitig beschäftigt war, „Da bäkommä ich doch glatt von die Sondärbotschaftär eine Cädä-Kännzeichän für meinä Wagän!“

„Aber Mama!“, warf ihr Sohn nun, völlig entnervt, ein, „Das stimmt doch gar nicht! Du hattest doch nie ein CD-Kennzeichen am Wagen!“

gänauähnlich