ROBERT SCHEER wurde 1973 in Carei, Rumänien geboren. Seine Muttersprache ist Ungarisch. 1985 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Nach einer abgebrochenen Karriere als Rockmusiker studierte er Philosophie in Haifa und Tübingen. Seit 2003 lebt er in Tübingen.
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Von Robert Scheer erschienen bisher:
Der Duft des Sussita. Roman, Hanser Berlin
Pici. Sachbuch, Marta Press, Hamburg
ÜBER DIESES BUCH
Ex-Weltfußballer Lothar Matthäus soll als Trainer die Mannschaft des israelischen FC Maccabi Netanja aus der Talsohle führen. Lothar Matthäus, sein Dolmetscher und dessen Onkel Sauberger begeben sich auf Talent-Suche in einem Land, in dem die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt und (mindestens) drei Weltreligionen unerbittlich aufeinanderprallen. Robert Scheer erzählt mit viel Humor und Fantasie und die Leser erfahren interessante Dinge über Israel.
»Die große Kunst ist weder bloßes Abbild noch Nachbild, sondern eine ursprüngliche Offenbarung unseres inneren Lebens.«
Ernst Cassirer, Was ist der Mensch?
Wahr ist, dass Lothar Matthäus in der Saison 2008/2009 Trainer der Mannschaft des israelischen FC Maccabi Netanja war. Wahr ist auch, dass Dietmar »Didi« Hamann, wenn man denn Wikipedia Glauben schenken darf, seine frühe Kindheit in Konnersreuth verbracht hat. Alles andere ist reine Fantasie, nichts als Fantasie, so wahr mir Gott helfe.
Ausgerechnet an einem Schabbes sollte ich Lothar Matthäus zu einem Spiel der dritten Liga begleiten. Ein Spiel der dritten Liga in irgendeinem verschlafenen Nest im Norden Israels! Da war mit Sicherheit nichts zu holen für seinen Verein, so viel stand für mich, seinen Dolmetscher, schon mal fest. Und ich machte mir keine Hoffnungen, dass dieses Spiel in dem deutschen Ex-Fußballweltmeister wieder den grenzenlosen Enthusiasmus wecken würde, mit dem er ein knappes Jahr zuvor das Training des israelischen Erstligisten Maccabi Netanja übernommen hatte. Lothar Matthäus war zu diesem Zeitpunkt schon reichlich geknickt, und das konnte ich nur allzu gut verstehen nach der Geschichte, die diesem Spielbesuch vorausgegangen war.
Matthäus war von Rabbi Avramoff, dem Chef von Maccabi Netanja, beauftragt worden, sich in dem kleinen Kaff einen vielversprechenden Spieler anzuschauen.
»Wenn Ihnen dieser Spieler gefällt«, hatte der Rabbi Matthäus eingeschärft, »dann müssen Sie ihn auf der Stelle für unseren Verein verpflichten.«
Matthäus fragte den Rabbi, ob es nicht besser wäre, sich den deutschen Mittelfeldspieler Didi Hamann zu holen. Der wäre genau der Richtige, um die Mannschaft wieder nach vorn zu bringen.
»Ha-maaan?«, rief der Rabbi mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen, während seine Stimme bei der zweiten Silbe des Namens in eine bedrohliche Tonhöhe schnellte. »Auf gar keinen Fall kommt ein Hamaaan zu unserem Verein«, sagte der Rabbi streng. »Kein Ha-maaan. Sie müssen das verstehen! Kein Ha-maaan kann je zu uns kommen, Herr Matthäus. Niemals! Vergessen Sie das. Ja, denken Sie nicht einmal im Traum daran. Dieser Mann existiert für uns praktisch überhaupt nicht.«
Lothar Matthäus tat alles, was in seiner Macht stand, um den Rabbi von Didi Hamann zu überzeugen. Und Didi Hamann wäre zu dem Zeitpunkt für einen geradezu lächerlichen Preis zu haben gewesen. Ein echtes Schnäppchen also, wie es in den Sportzeitschriften hieß, und somit keine sonderliche Belastung für das Budget von Maccabi Netanja, einerseits. Andererseits war Geld das geringste Problem: Der Rabbi und sein Bruder waren schließlich so reich wie nur wenige ihrer Landsleute in Kasachstan, wo die Brüder herkamen. Die Gebrüder Avramoff waren mit einem Wort stinkreich, allerdings auch dermaßen geizig, dass sich selbst der sparsamste Schwabe noch für sie geschämt hätte. Ganz offensichtlich hatten sie sich Dagobert Ducks Devise zu eigen gemacht, der ja stets betont hatte, er wäre nie der reichste Mann der Welt geworden, wenn er nicht so eisern gespart hätte. Didi Hamann war jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ein ausgezeichneter Mittelfeldspieler und außerdem noch sehr günstig zu haben. Es wäre also in zweifacher Hinsicht ein sensationelles Geschäft für das Team gewesen.
»Auf den könnte man setzen, auf den ist wirklich Verlass!«, insistierte Matthäus hartnäckig.
Der Rabbi jedoch wollte davon nichts wissen, obwohl Matthäus ihm immer wieder versicherte, dass Didi Hamann als einziger in der Lage wäre, der Mannschaft in ihrer derzeitigen Lage zum entscheidenden Durchbruch zu verhelfen.
»Mit Hamann«, schwärmte Lothar Matthäus, »könnten wir nach oben kommen, vielleicht sogar bis ins Viertelfinale der Champions League.«
Und was man nicht alles an Pokalen, Meisterschalen und sonstigen Trophäen mit dieser Mittelfeldlegende einheimsen könnte – nicht auszudenken, hielt Matthäus dem Rabbi vor. Mit dessen Hilfe würde vielleicht sogar einer ihrer Mannschaft zum Spieler des Jahres werden oder gar er selbst, so fügte er in aller Bescheidenheit noch hinzu, zum Trainer des Jahres.
Doch es half alles nichts. Der Rabbi und sein Bruder weigerten sich standhaft, Didi Hamann einzukaufen und machten so die ehrgeizigen Träume ihres deutschen Trainers mit einem Schlag zunichte.
Nicht einfach, mit so einem Tiefschlag umzugehen. Aber damit musste Matthäus nun wohl oder übel klarkommen. Und wer war geeigneter, mit so einer schwierigen Situation umzugehen als Lothar Matthäus? Wer hatte mehr Erfahrung mit Stress als er, diese Fußballikone? Er konnte das. Keine Frage. Er war ein Profi. Jede Niederlage bedeutete für ihn schließlich nur eine neue Herausforderung, ein Aufstieg aus der Asche, ein Adlerflug in himmlische Höhen. Und von einem Höhenflug wurde ihm nicht schwindlig, ebenso wenig wie von einem Absturz. Betrachtete er den griechischen Pechvogel Phönix doch als seinen wahren Bruder im Geiste. Und wenn der Rabbi partout nicht wollte, dann musste eben eine andere Lösung gefunden werden.
Hamann würde definitiv nicht nach Israel kommen. Denn der Rabbi und sein Bruder behaupteten, der Mittelfeldspieler sei ein Nachfahre von Haman dem Bösen, jenem Haman aus dem alttestamentarischen Stamm der Amalekiter, der einst die Juden hatte vernichten wollen. Ein Amalekiter also. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Amalekiter!
»Wir Juden haben sogar einen Feiertag namens Purim, um genau dies zu feiern, nämlich dass es Haman doch nicht gelungen ist, uns zu vernichten, lieber Herr Matthäus«, erklärte der Rabbi seinem Trainer salbungsvoll. »Purim ist unser schönster, unser allerschönster Feiertag, fröhlich, bunt, so etwas wie Halloween. Bei uns Juden gibt es ja ansonsten kaum Feiertage, nur Trauertage. Purim aber ist ein Feiertag, der größte und schönste Feiertag überhaupt. Fast hätte der Bösewicht Haman alles kaputtgemacht, alle Juden vernichtet. Dass es Gott sei Dank nicht so gekommen ist, das feiern wir nun jedes Jahr, und zwar seit sehr vielen Jahren. Bei uns ist es eine heilige Tradition, den Sieg über Haman zu feiern.«
»Aber was, bitteschön, hat das Purimfest mit meinem Freund Didi Hamann zu tun?«, fragte Lothar Matthäus mit einem ersten Anflug von Verzweiflung.
Der Rabbi verzog bei der erneuten Erwähnung von Didi Hamann schmerzlich das Gesicht, bevor er seine Stirn in bedrohlich finstere Falten legte. »Ha-maaan ist ein Satan«, zischte der Rabbi schließlich ganz leise, so als wollte ihm dieses Wort nur mit dem allergrößten Widerwillen über die Lippen kommen.
»Wie bitte?«, piepste Matthäus überrascht, als ich ihm – zugegebenermaßen recht zögerlich – den letzten Satz des Rabbis aus dem Hebräischen übersetzt hatte.
»Er ist der Satan, lieber Herr Matthäus, verstehen Sie jetzt? Es geht hier um dunkle Gestalten, sehr dunkle Gestalten«, sagte der Rabbi unruhig, während er theatralisch mit den Händen vor seinem umfangreichen Bauch in der Luft herumfuchtelte. Pathetisch sah das aus, so pathetisch, dass ich das Gefühl hatte, einer Szene aus einem alten Stummfilm in Schwarz-Weiß beizuwohnen. Nicht ganz klar war allerdings, ob der Hauptdarsteller eher Nosferatu oder Charlie Chaplin ähnelte. Der Rabbi jedenfalls erweckte den Eindruck, als ob er mit seiner Performance höchst zufrieden wäre. Seine eigenen Worte schienen auf ihn selbst wie ein wohltuendes Aphrodisiakum gewirkt zu haben, das seine Augen nun vor lauter Selbstzufriedenheit zum Funkeln brachte.
»Der Satan?! Warum soll denn ausgerechnet der Didi Hamann der Satan sein?«, ereiferte sich Lothar Matthäus.
»Er heißt doch Ha-maaan, oder?«, drängte der Rabbi. »Heißt er so oder nicht?! Sagen Sie es mir. Ist das sein Name? Sagen Sie es mir. Sagen Sie es.«
»Ja, schon«, erwiderte Matthäus etwas lahm.
»Deswegen ist er von dem Samen Amaleks, ein Kind des Satans. Ist doch logisch«, sagte der Rabbi.
»Verstehe ich nicht«, sagte Matthäus. »Warum soll es logisch sein, dass Didi Hamann ein Kind des Satans ist?«
»Ist so«, meinte der Rabbi mit einem vernichtenden Blick, »er ist ein Kind des Teufels, der Dunkelheit.«
»Nur weil er Hamann heißt?«, fragte Matthäus ungläubig.
»Genau, Sie sagen es, Sie sagen es! Die Sünde liegt schon in seinem verdammten Namen«, sagte der Rabbi energisch, »dies alles müssen Sie aber nicht wirklich verstehen. Letztendlich sind Sie, bei allem Respekt, nur Fußballtrainer und kein Theologe. Und Ihre Religion ist nur ein rundes Leder. Ich weiß allerdings nicht, ob ich selbst dies alles verstehe …«
»Moment mal«, rief da Lothar Matthäus und tippte sich an die Stirn, als ob dort soeben ein Lämpchen angegangen wäre. »Wissen Sie eigentlich, wo mein Freund Didi Hamann herkommt?«
»Das weiß ich nicht und das interessiert mich auch nicht!«, schrie der Rabbi und drehte sich auf dem Absatz um, um Matthäus klarzumachen, dass das Gespräch von seiner Seite aus beendet war. Doch Matthäus stellte sich ihm mutig in den Weg.
»Mein Freund Didi Hamann kommt aus einer wahren Hochburg des katholischen Glaubens«, ereiferte er sich. »Schon allein deshalb kann er unmöglich der Satan sein.«
»Ihr Glaube in allen Ehren«, fiel ihm da der Rabbi ins Wort, »aber jede Religion hat nun mal ihre eigenen Ikonen …«
»Genau!«, unterbrach ihn Matthäus. »Und eine unserer Ikonen ist die berühmte Resl von Konnersreuth.«
»Die Resl von was?«, fragte der Rabbi und hielt sich die linke Hand wie einen Trichter hinter sein Ohr.
»Die Therese von Konnersreuth«, sagte Matthäus und fügte, sich bekreuzigend, ein »Gott hab sie selig« hinzu. »Und aus Konnersreuth kommt auch mein Freund Didi. Aus demselben Ort wie unsere stigmatisierte Resl. Stellen Sie sich das mal vor. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn er sogar mit ihr verwandt wäre. Mit unserer Resl, die aus denselben Wundmalen geblutet hat wie unser Jesus Christus, und die deswegen vielleicht sogar schon bald selig gesprochen wird von unserem Papst, dem Benedikt …«
»Euer Papst ist ein wirklich anständiger Kerl«, fiel ihm der Rabbi erneut ins Wort, »aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ein Mann namens Ha-maaan mir auf keinen Fall in unseren Verein kommt. Ganz gleich, woher er kommt.«
»Und das nur wegen seines Nachnamens?«, hakte Matthäus noch einmal nach.
»Sagen Sie ihn nicht«, fiel ihm der Rabbi mit einer abwehrenden Handbewegung ins Wort. »Dieser verfluchte Name ist heute bereits schon viel zu viele Male gefallen. Das bringt nur Unglück. Also sprechen Sie ihn bitte nicht aus, diesen entsetzlichen Namen … um Himmels willen nicht, lieber Herr Matthäus. Ich will ihn nicht mehr hören! Kann ihn nicht mehr hören!«
»Das kapier’ ich einfach nicht«, murmelte Matthäus und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Das alles müssen Sie auch nicht verstehen, Herr Matthäus«, sagte da der Rabbi. »Es ist aber genau so, wie ich es Ihnen gesagt habe. Kein Ha-maaan kommt zu uns, um Fußball zu spielen oder sonst etwas zu tun, auch wenn er mit Vornamen Didi heißt. Egal. Ist vollkommen egal. Hier hat so jemand nichts verloren. Wir können so einen Menschen hier bei uns nicht willkommen heißen geschweige denn gebrauchen. Nein, nein und nochmals nein! Das ist klar genug, hoffe ich. Wir sind dazu gezwungen, so eine Person von unserem Zuhause fernzuhalten, so fern wie nur möglich, weit, weit weg. Der Teufel soll ihn holen …«
Der Rabbi hielt kurz inne. »Sein Vorname ist mir vollkommen wurscht. Aber er heißt doch Hamaaan, oder etwa nicht?«
»Ja, schon.«
»Das ist sein Name, ja?«
Matthäus nickte.
»Sagen Sie es, Herr Matthäus«, sagte der Rabbi.
»Ja!«
»Das genügt!«, sagte der Rabbi streng.
»Wenn Sie meinen«, flüsterte Lothar Matthäus und ließ resigniert den Kopf hängen.
»Das meine ich!« Der Rabbi meinte es und blieb dabei.
In der oberen Etage von Maccabi Netanja herrschte Fassungslosigkeit. Zum allerersten Mal hatte der Rabbi seinem deutschen Trainer, den er über alle Maßen schätzte, eine klare Absage erteilt.
Und Lothar Matthäus geriet gewaltig unter Druck. Ohne ein gutes Mittelfeld sah er schwarz für den Verein. Und ich sah schwarz für meine berufliche Karriere als Dolmetscher. Wenn Matthäus seinen Trainerjob verlieren würde, dann würde auch ich gehen müssen. Schade drum, denn ich mochte meinen Job, obwohl er nicht gerade üppig bezahlt war. Aber hey! Beschweren konnte ich mich wirklich nicht. Ich arbeitete zwar hart, aber nicht sehr hart, und die Arbeitszeiten waren auch ganz okay. Hinzu kam, dass mein Boss kein geringerer als die Fußballlegende Lothar Matthäus war, ein Mann, der fünf Weltmeisterschaften mitgemacht hatte, mit 150 Länderspielen deutscher Rekordnationalspieler gewesen war und Europameister und einmal auch Fußballer des Jahres und der erste Weltfußballer des Jahres überhaupt. Ein Rekord hatte in seiner Karriere den nächsten gejagt. Mit acht Elfmetertoren war er lange Zeit der beste Strafstoßschütze der Nationalmannschaft gewesen, und, um noch einmal auf seine Seelenverwandtschaft mit dem Pechvogel Phönix zu sprechen zu kommen: Wer außer ihm hatte es schon fertiggebracht, in einem DFB-Pokal-Endspiel zweimal den Elfmeter zu verschießen? Und dann war ausgerechnet ihm, einem der großen Söhne der fränkischen Sportmetropole Herzogenaurach, in einem WM-Finale der Schuh aus dem Leim gegangen! Ironie der Geschichte? Oder hatte er sich einfach nicht rechtzeitig von seinen ausgelatschten Pumas trennen können? Egal, jedenfalls war ich mächtig stolz darauf, einen so engen Kontakt zu einem Mann mit einem solch wechselvollen Schicksal zu haben, und wer hatte das schon außer mir und vielleicht noch einem guten Dutzend wirklich sehr schöner Frauen?
Jedenfalls musste Matthäus nun ohne Didi Hamann auskommen, den er schon als neuen führungsstarken Mannschaftskapitän im Mittelfeld von Maccabi Netanja gesehen hatte. Und das alles, weil sein Freund in den Augen des Rabbis den falschen Nachnamen hatte. Diese Tatsache brachte den deutschen Trainer beinahe um seinen Verstand. Er schlief nicht mehr gut, wurde bleich und lachte kaum noch. Sogar die Anzahl seiner Frauen nahm ab, und die wenigen, die da noch kamen, wurden immer dünner. Und das alles wegen Haman, dachte ich.
Im Gegensatz zu Lothar Matthäus strahlte der Rabbi über sämtliche Backen, als er seinem Trainer von einem jungen drusischen Spieler aus der dritten Liga berichtete. Viele Experten, so der Rabbi, sähen in dem Jungen die Zukunft des israelischen Fußballs, und er sei außerdem wirklich noch sehr günstig zu haben. Es stünden schon einige andere Vereine in Verhandlungen mit ihm, aber er, Lothar Matthäus, habe das große Glück, dass der Drittligist ein riesiger Fan von ihm sei. »Nun machen Sie doch nicht so ein finsteres Gesicht«, sagte der Rabbi und klopfte Matthäus ermunternd auf die Schulter. »So einem Talent begegnen wir schließlich nicht alle Tage. Bei seinem nächsten Spiel am Wochenende werden Sie ihn also unter die Lupe nehmen, und wenn er Ihnen gefällt, dann kaufen Sie ihn sich.« Noch während seiner letzten Worte hatte sich eine leichte Falte auf der Stirn des Rabbis gebildet, und er fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Sie können ihn haben, obwohl er ein Druse und kein Jude ist. Hauptsache, er kann gut spielen. Außerdem ist er Israeli wie Sie und ich.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich bemüßigt, den Rabbi darauf aufmerksam zu machen, dass Lothar Matthäus kein Israeli, sondern ein Deutscher wäre, doch wischte der Rabbi meinen Einwand mit einer lapidaren Handbewegung beiseite. »Egal, im biblischen Sinn sind wir Menschen eigentlich doch alle Israelis«, sagte er jovial und holte angesichts meiner zweifelnden Miene zu einer weiteren Erklärung aus. »Stammen wir nicht alle von Adam ab? Und sind wir in diesem Sinn nicht alle irgendwie Juden, also Israelis? Das ist doch gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man sich nur einmal ernsthaft, schonungslos und kritisch Gedanken darüber macht. Gewiss stimmen nicht alle mit mir darin überein, und nicht für alle ist der Glaube an Adam und seine Nachfahren so selbstverständlich, wie das früher einmal war …«
Der Rabbi redete und redete, bis mir ganz schwindlig war, und Lothar Matthäus, mein armer Boss, hatte es längst aufgegeben, den Gedankengängen des Rabbis zu folgen, die ich ihm brav Wort für Wort ins Deutsche übersetzte. Nach einigen biblischen Zitaten aus dem Buch eines bekannten Propheten kehrte der Rabbi zum eigentlichen Thema zurück. »Ich habe gehört, einem Gerücht zufolge, also einem Fußballgerücht nach könnte der junge Spieler so etwas wie der neue Maradona des Nahen Ostens werden …«
Na gut, dachte ich, einen Maradona der Karpaten gab es ja bereits in der Gestalt des rumänischen Spielers Gheorge Hagi, dem wohl brillantesten Linksfuß Osteuropas, den die Welt je gesehen hatte. Aber wer, um alles in der Welt, war dieser neue Maradona des Nahen Ostens, von dem der Rabbi da so endlos schwadronierte? Maradonas Namen im Zusammenhang mit einem völlig unbekannten Spieler aus der dritten Liga zu nennen hielt ich allerdings für einen schweren Frevel. Aber das behielt ich lieber für mich. Denn tief religiöse Menschen sind in der Regel sehr empfindlich, wenn es um die Verwendung religiöser Begriffe in profanen Angelegenheiten geht. Und ich wollte deswegen nicht meinen Job verlieren. So behielt ich auch den Gedanken für mich, dass Maradona für den Fußball so etwas wie Moses für die Juden war. Ich schwieg also und überließ meinem Boss Matthäus das Wort, der ungestraft aussprechen konnte, was ich mich nur zu denken traute. »Na, na, na«, widersprach der dem Rabbi, »Maradona war schon eine Klasse für sich, an die keiner so leicht heranreicht.«
»Na gut«, ruderte da der Rabbi zurück, »vielleicht ist er kein Maradona, noch nicht. Aber das kann er ja unter Ihren Fittichen noch werden.«
Bevor wir uns auf den Weg in das kleine Kaff im Norden machten, rief ich meinen Onkel Sauberger an. Mir lag sehr daran, dass er uns dorthin begleitete, weil er ein guter Freund von meinem geschlagenen Boss war, viel mehr Ahnung vom Fußball hatte als ich und auch besser über den Menschenschlag der Drusen Bescheid wusste, dem wir dort begegnen würden.
»Der neue Maradona des Nahen Ostens?«, prustete er los, als ich ihm von dem jungen Spieler erzählte.
»Sagt jedenfalls der Rabbi«, erwiderte ich.
»Ja, ja, das habe ich auch in so einem Käseblatt gelesen. So macht man Schlagzeilen, die die Leute noch hinterm Ofen hervorlocken, aber geben würde ich darauf keinen einzigen Schekel.«
Dann hörte ich Onkel Sauberger am Telefon laut und ungeniert schmatzen. Ob er wieder Wurst esse, fragte ich ihn. Was sonst, erwiderte er, und zwar von einem ganz ausgezeichneten Schwein. Schweinefleisch war Onkel Saubergers Lebenselixier, und das ausgerechnet in Israel, wo dies als unrein und nicht koscher galt. Aber das war Onkel Sauberger ziemlich wurscht.
»Blutwurst«, brachte er zwischen zwei Schmatzern hervor. »Fabelhaft. Fein gewürzt. Zergeht auf der Zungenspitze wie Seide. Bin sehr zufrieden mit meiner neuen Kreation. Du und dein Boss Lothar, ihr solltet die unbedingt mal probieren.«
»Darüber wollte ich mir dir reden«, sagte ich.
»Über die Wurst?«, fragte Onkel Sauberger ganz interessiert. Wenn es um die Wurst ging, war mein Onkel ganz Ohr. Wurst war seine Welt, der Dreh- und Angelpunkt seines Daseins. Der Sinn seines Lebens, das er mit der Erfindung immer neuer Kreationen verbrachte, die weltweit großen Anklang fanden. Und so wunderte es mich nicht, dass wir schon nach wenigen Sätzen bei der Wurst angelangt waren. Ernsthaft Sorgen um Onkel Sauberger würde ich mir erst machen, wenn dies mal nicht mehr der Fall sein sollte.
»Nein, heute geht es mal nicht um die Wurst«, sagte ich lachend, »oder ja, vielleicht in gewisser Hinsicht doch.«
»Nun mach es nicht so spannend, ich hab nicht ewig Zeit«, rief mich Onkel Sauberger zur Ordnung, und so erzählte ich ihm, dass Lothar Matthäus und ich ihn gern zu einem kleinen Ausflug mitnehmen würden.
»Doch nicht etwa in das rumänische Restaurant in Jaffa?«, fiel mir Onkel Sauberger ganz begeistert ins Wort. »Das wäre schön!« In dem besagten Restaurant, das nicht nur Onkel Saubergers, sondern auch Lothar Matthäus’ Lieblingslokal war, gab es einen ausgezeichneten Schweinebraten und erstklassige Kutteln.
»Nein«, sagte ich und hörte, wie er enttäuscht ausatmete. »Wir würden dich gerne dabeihaben, wenn wir uns morgen ein Spiel ansehen.«
»Ein Spiel?«, fragte Onkel Sauberger, bevor er dem Vernehmen nach wieder in seine Wurst biss und so lustvoll darauf herumkaute, dass mein Magen heftig zu knurren anfing. Tatsächlich hatte ich den ganzen Tag noch nichts gegessen.
»Hallo, bist du noch dran?«, riss mich Onkel Sauberger aus meinen hungrigen Gedanken.
»Was denn für ein Spiel?«, fragte er ganz begierig.
»Dritte Liga«, erwiderte ich knapp.
»Ah«, sagte Onkel Sauberger, »der Lothar will den neuen Maradona sehen!«
Nach einem lauten Rülpser sagte er: »Ich hab ein paar Mal den Maradona der Karpaten gesehen, den Hagi. Trickreich wie ein rumänischer Fuchs, Augen wie ein Adler und einen unglaublichen linken Fuß wie ein Bär!«
»Ja, ja«, sagte ich leicht genervt. »Wahrscheinlich hast du auch den echten Maradona mal spielen sehen.«
»Leider nur im Fernsehen, was wirklich ein Jammer ist!«
»Und? Was meinst du? Kommst du mit?«
»Warum nicht«, sagte mein Onkel. »Da ich schon den echten verpasst habe, will ich mir den des Nahen Ostens nicht entgehen lassen.«
»Das wäre wirklich eine Sünde, eine Fußballsünde«, scherzte ich.
»Schön gesagt, mein Lieber. Wenn es um Fußball geht, dann bin ich religiös. Tief religiös. Also will ich auf keinen Fall eine Sünde begehen.«
»Gut«, sagte ich und freute mich nun förmlich darauf, mit ihm und meinem Boss in den Norden zu fahren.
»Auf geht’s zu den Drusen!«, rief Onkel Sauberger. Auf ihn als Stimmungskanone konnte man sich wirklich verlassen. Ich wollte schon auflegen, als ich ihn noch etwas sagen hörte. »Ist morgen nicht Schabbes?«, fragte er mich.
»Ja, schon«, sagte ich.
»Und der Rabbi?«, fragte Onkel Sauberger.
»Der Rabbi ist ja derjenige, der uns hinschickt. Er selber kommt nicht. Muss ja beten und sich ausruhen. Der Goj Matthäus wird der Fahrer sein.«
»Ein Schabbes-Goj also, verstehe«, lachte Onkel Sauberger, bevor er auflegte.
Am nächsten Tag, dem besagten Sabbat, holten wir Onkel Sauberger mit Lothar Matthäus’ schwarzer Mercedes-Limousine ab und bretterten über staubige Landstraßen Richtung Norden nach Daliyat El Karmel, einem drusischen Dorf, das ungefähr zwanzig Kilometer südöstlich von Haifa inmitten von Weinbergen auf einem Hügel des Karmelgebirges lag. Allerdings hatten wir zu Onkel Saubergers Bedauern keine Zeit, um im Dorf noch einen Bhar zu uns zu nehmen, ein reichlich süßes Getränk aus Ingwer, Muskat, Zimt, Nelken und Nüssen, von dem uns mein Onkel während der letzten fünfzig Kilometer unablässig vorgeschwärmt hatte. »Ach, die Drusen«, stöhnte er, »schon ein interessantes Völkchen. Obwohl sie Araber und Muslime sind, glauben sie an so etwas wie die Seelenwanderung und dienen treu und brav in der israelischen Armee. Und: Sie haben eine vorzügliche Küche, nur leider ohne Schweinefleisch. Aber so ein fettes Lammschaschlik, da sage ich auch nicht Nein.« Nur hatten wir, wie schon gesagt, keine Zeit mehr für einen kleinen Imbiss, sondern fuhren auf direktem Weg zu dem Stadion, wo das drusische Derby der dritten Liga stattfinden sollte.
Kurz vor dem Anpfiff ließen wir uns erschöpft auf der schäbigen Tribüne nieder, die aus von der Sonne schon reichlich aufgeheizten Steinblöcken bestand. So etwas Heruntergekommenes wie dieses Stadion hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Abgesehen von seiner perfekt dilettantisch asymmetrischen Form erinnerte mich dieses Bauwerk an den Zweiten Tempel der Juden in Jerusalem, vielleicht weil es so unglaublich demoliert und veraltet aussah. Die einzelnen Fanblöcke der Tribünen wurden nur noch an wenigen Stellen von rostigen Metallgeländern getrennt, die größtenteils niedergetrampelt oder komplett aus ihren Verankerungen gerissen worden waren. Selbst die Stadionfarben waren rostbraun, und der einzige frische Farbtupfer bestand aus einer israelischen Flagge, die in einsamer Höhe über den dicht besetzten Rängen träge hin und her flatterte.