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Bildung

geht nur mit Anstrengung

Wie wir wieder eine Bildungsnation werden können

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© CLASSICUS Verlag, Hamburg

1. Auflage November 2011

Druck: Timm Specht Druck & Produktion GmbH

ISBN: 978-3-942848-27-5 (Print)

ISBN: 978-3-845016-56-6 (Ebook)

Ein Wort vorweg

 

In kaum einem Bereich unserer Gesellschaft haben in den letzten Jahrzehnten so große Veränderungen stattgefunden wie im Bildungsbereich – und damit in den Schulen. Gezielt wurde das vielgliedrige Schulwesen in Verruf gebracht, bis schließlich das permanente Erproben aller möglichen neuen Systeme gängige Praxis wurde, bis jeder Kultusminister oder Bildungssenator „seine“ Schulreform für die einzig seligmachende hielt und diese seinem Land verordnete.

 

Auf diese Weise ist eine große Zersplitterung in der deutschen Schullandschaft entstanden. Über alle 16 deutschen Länder hinweg gibt es mittlerweile an die fünfzig unterschiedliche Schulformen. Wichtig bei alldem ist aber allein die Frage: Haben die vielen Reformen die Schule verbessert? Machen sie das Lernen für unsere Kinder effektiver? Verlassen die Schüler die Schule – welche auch immer – mit gesichertem Wissen und einer ihnen nützenden Allgemeinbildung?

 

Wenn wir Unternehmen, mittelständischen Betrieben, Institutionen oder der Universität glauben können, dann ist das absolut nicht der Fall. Im Gegenteil: Viele Schüler - auch deutschstämmige - beherrschen die deutsche Sprache nicht mehr in ausreichendem Maße. Auch bei den Grundrechenarten hapert es gewaltig. Und immer lauter werden die öffentlich geführten Klagen über fehlendes Wissen in den naturwissenschaftlichen Fächern.

 

Längst sind bei Lehrern und Eltern massive Zweifel entstanden, ob die in den letzten Jahrzehnten so vehement propagierte Philosophie des (von Kindern) selbstbestimmten Lernens, das ausschließlich Spaß machen soll, aber nicht anstrengend sein darf, so richtig ist.

 

Diese und andere Erscheinungsformen im Bildungsalltag nimmt Josef Kraus unter die Lupe. Sachkundig und prägnant formuliert er, was nötig ist, um Schule wieder zu einem Ort des effektiven Lehrens und Lernens zu machen. Dabei stützt er sich auf seine eigenen jahrzehntelangen Erfahrungen als Lehrer, Schulpsychologe, Ausbilder von Schulpsychologen und Schulleiter an bayerischen Gymnasien. Als langjähriger Präsident des Deutschen Lehrerverbandes bringt er zudem Erfahrungen in einem bildungspolitischen Ehrenamt mit, in dem er mehr als hundert Schulminister und noch mehr Reformen hat kommen und gehen sehen.

 

Mit manchen seiner 33 Thesen mag man nicht einverstanden sein, aber man kann einem Fachmann in Sachen Bildung und Schule wie ihm - im Gegensatz zu den zahlreichen selbsternannten Bildungsexperten und –ökonomen – analytische Schärfe, fundiertes Wissen und große Praxiserfahrung nicht absprechen.

 

 

Claudia Ludwig, Verlegerin

November 2011

Einleitung

 

Deutschland jagt seine Schulen von einer Reform zur nächsten, von einem Durchlauferhitzer in den nächsten. Goethe würde zu solcher Reformitis sagen: „Es gibt nichts Entsetzlicheres als tätige Unwissenheit.“ Unwissenheit, ja Ignoranz - das ist überhaupt das Grundproblem der real praktizierten Schulpolitik in Deutschland.

 

Die sich als progressiv verstehende Bildungspolitik neigt sogar zu ersatzreligiösen Ansprüchen. In der Folge erleben wir in Schulpolitik und Schulpädagogik permanent einen Triumph der Ideologie über das Urteilsvermögen, des Bedarfs an Wohlbefinden über die Erkenntnis. Es ist dies Realitäts- und Wissenschaftsfeindlichkeit.

 

Wenn es früher mit der Jugend nicht so recht klappen wollte, sagte man: Jetzt hilft nur noch beten. Heute sagt man: Da hilft nur noch eine Bildungsreform und noch eine Bildungsreform und noch eine Bildungsreform. Bildungspolitik erscheint damit als Ersatzreligion, als Sozial- und Zivilreligion mit keinem geringeren Anspruch als dem der totalen Gerechtigkeit.

 

Statt dessen sollte Bildungspolitik werben für die Bereitschaft, die Unterschiedlichkeit der Menschen zu akzeptieren; für die Einsicht, daß Unterschiede Bereicherung bedeuten; für die Überzeugung, daß Gleiches gleich und Unterschiedliches unterschiedlich behandelt werden muß. Das wäre eine rationale und realistische Politik.

 

Würde man vor allem bedenken, was man wissen könnte und was nachfolgend skizziert wird, hätte man zu deren Wohl längst Schluß machen müssen mit dem ständigen Herumexperimentieren an jungen Menschen. Denn jeder junge Mensch hat nur eine Bildungsbiographie. Das unterscheidet junge Menschen von Werkstücken. Mit Werkstücken kann man experimentieren: Mißlingen sie, kann man sie einschmelzen oder erneut auf eine Fertigungsstraße bringen. Mit jungen Menschen geht das nicht. Deshalb brauchen wir wieder mehr Behutsamkeit und mehr Umsicht in der Bildungspolitik. Damit sich unsere Schulen mal wieder konsolidieren können, gilt: Mal keine Reform, das wäre doch mal eine Reform! Und: Schulpolitik in Deutschland braucht fern aller Ideologien wieder einen Blick für Fakten und Wahrheiten. Das kostet kein Geld. Im Gegenteil: Es würde Geld gespart, das man sonst mit vollen Händen für schulpolitische Prestigeprojekte hinauswirft. Dieses Geld sollte man verwenden für eine Maßnahme, die sehr effektiv und zudem nicht einmal sehr kostspielig wäre: Gebt den Schulen schlicht und einfach eine Stunden- und Lehrerversorgung von 105 Prozent! Mit diesem Plus an fünf Prozent kann man in Krankheitszeiten Unterrichtsausfall vermeiden; in den anderen Wochen Förderkurse für Spitzen- und für Risikoschüler einrichten. So einfach ist das. Millionen von Schülern hätten etwas davon.

 

Josef Kraus

November 2011

1. Bildung ohne Anstrengung geht nicht.

 

Die um sich greifende Wohlfühl-, Gute-Laune-, Spaß- und Gefälligkeitspädagogik schadet unseren Kindern. Wir müssen Kindern wieder mehr zutrauen und auch mehr zumuten. In Deutschland greift indes seit einigen Jahrzehnten eine Erleichterungspädagogik um sich. Progressive Pädagogen und Bildungspolitiker tun so, als gingen Bildung und Lernen ohne Anstrengung. In der Folge werden die Ansprüche heruntergefahren: der mutter- und der fremdsprachliche Wortschatz wird drastisch gekürzt, ein Auswendiglernen von Gedichten findet fast nicht mehr statt, das Einprägen von historischen oder geographischen Namen und Daten gilt als vorgestrig, Grundschüler dürfen gegen jede Orthographieregel „phonetisch“ schreiben (Motto: „Wenn Falsches richtig ist.“), die lateinische Ausgangsschrift soll durch die Grundschrift ersetzt werden, Deutschprüfungen bestehen im Ankreuzen von Multiple-Choice-Aufgaben oder im Ausfüllen von Lückentexten. Die Beispiele sind Legion. Daß diese pseudopädagogische Erleichterungsattitüde falsch ist, wußten Generationen von Eltern und Lehrern seit der Antike. Selbst ein Sigmund Freud, der bekanntermaßen vieles auf das Luststreben des Menschen zurückführte, war überzeugt: Leistung und Erfolg, ja das Erleben von Glück, setzen Bedürfnis- und Triebaufschub voraus. Trotzdem wurden Leistung und Anstrengung vor allem von einer 68er geprägten Pädagogik schier zu Mißgunst-Vokabeln. Da ist im Zusammenhang mit Schule immer noch und in übler Weise die Rede von „Leistungsstreß“, „Leistungsdruck“, „Leistungsterror“. Wer Leistung und Anstrengung aber zu Mißgunst-Vokabeln macht, versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder und unserer Gesellschaft.

 

Denn wer das Leistungsprinzip bereits in der Schule untergräbt, setzt eines der revolutionärsten demokratischen Prinzipien außer Kraft. In unfreien Gesellschaften sind Geldbeutel, Geburtsadel, Gesinnung, Geschlecht Kriterien zur Positionierung eines Menschen in der Gesellschaft. Freie Gesellschaften haben an deren Stelle das Kriterium Leistung vor Erfolg und Aufstieg gesetzt. Das ist die große Chance zur Emanzipation für jeden einzelnen. Ganz zu schweigen davon, daß der Sozialstaat nur dann funktioniert, wenn er von der Leistung von Millionen von Menschen getragen wird. 

 

Jeder soll seines Glückes Schmied sein können. Mit Ellenbogengesellschaft hat das nichts zu tun. Vielmehr ist auch der Sozialstaat zugunsten Benachteiligter, Kranker und Alter nur realisierbar mit der millionenfachen Leistung und Anstrengung der Leistungsfähigen. Auch Sozialstaatlichkeit ist nur mit dem Leistungsprinzip machbar. Ein simpler Beweis hierfür ist die Tatsache, daß 20 Prozent der besonders Leistungsfähigen 70 Prozent des Steueraufkommens leisten. Deshalb kann das Sozialprinzip auch nicht über das Leistungsprinzip gestellt werden.

 

Auch im internationalen, im globalen Wettbewerb geht es nicht ohne Leistung. Wir sollten ansonsten auch froh sein, wenn wir leistungshungrige Spitzenschüler für zukünftige Eliten haben. Demokratie in Deutschland darf nicht zum Diktat des Durchschnitts werden. Eine zur Gleichheit verurteilte Gesellschaft wäre zur Stagnation verurteilt. Wer Elite legitimerweise sein kann, darüber gilt es zu streiten. Bloße Macht-Elite oder blanker Geldadel kann es nicht sein. Eine Leistungs- und Verantwortungselite muß es sein, die zugleich Reflexions- und Werte-Elite ist. Vor einem solchen Hintergrund ist selbst Ungleichheit gerecht – nämlich dann, wenn Elite allen nützt, wenn das Handeln von Eliten quasi zu einem “inequality surplus”, zu einem Mehrwert führt. Die Schulbildung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie nach Talenten Ausschau hält und sie fördert.

2. Schule ist keine Institution zur Herstellung von Gleichheit, sondern zur Förderung von Verschiedenheit und Individualität.

 

Gewiß ist das Spannungsverhältnis von Gleichheit und Freiheit nicht aufhebbar. Deshalb gilt, was Goethe meinte: „Gesetzgeber oder Revolutionäre, die Gleichheit und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Scharlatane“. Es gibt also kein Zugleich. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an Alexis de Toqueville (1835) und dessen warnendes Wort: Freiheit erliege gern der Gleichheit, weil Freiheit mit Opfern erkauft werden müsse und weil Gleichheit ihre Genüsse von selbst darbiete.

 

Freiheit oder Gleichheit? Bezogen auf Schulbildung lautet die Frage: Soll ein Schulwesen am Prinzip Freiheit oder am Prinzip Gleichheit orientiert sein? Gewiß doch an der Freiheit! Auch wenn wir dazu neigen, jede Form von Ungleichheit zu skandalisieren, gilt: Die „conditio humana“ kennt keine Gleichheit. An der Unterschiedlichkeit und an der Vielfalt von Menschen ändern keine noch so moralisierende egalitäre Zivilreligion, kein Schulsystem und auch kein noch so gestalteter Unterricht etwas. Es ist nun einmal das unüberwindbare Dilemma des pädagogischen Egalitarismus: Egalitäre Schulpolitik erzielt vermeintliche Gleichheit allenfalls durch Absenkung des Anspruchsniveaus. Wer aber die Ansprüche senkt, der bindet gerade junge Menschen aus schwierigeren Milieus in ihren „restringierten Codes“ fest. Selbst ein hochindividualisierender Unterricht zementiert Unterschiede.

 

Die Lernforscherin Elsbeth Stern schrieb dazu 2005: „Je besser der Unterricht ist, je mehr wir die Schüler ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend fördern, desto mehr schlagen die Gene durch – und die sind nun einmal ungleich verteilt.“

 

Verschiedenheit ist keine Ungerechtigkeit. Vielmehr ist nichts so ungerecht wie die gleiche Behandlung Ungleicher. Mit „Selektion“ in dem von gewissen Leuten intendierten Sinn hat dies nichts zu tun. „Selektion“ ist leider zum demagogischen Kampfbegriff geworden. Dieser Begriff soll ganz offenbar gezielt dunkle Kapitel deutscher Geschichte assoziieren lassen. Das ist schäbig, denn hier wird ein millionenfaches Leid der Opfer des NS-Terrors für billige Zwecke instrumentalisiert.