Bisher von Jennifer L. Armentrout im Carlsen Verlag:
Obsidian. Schattendunkel
Onyx. Schattenschimmer
Opal. Schattenglanz
Origin. Schattenfunke
Opposition. Schattenblitz

Oblivion. Lichtflüstern
Oblivion. Lichtflimmern
Oblivion. Lichtflackern

Revenge. Sternensturm

bittersweet-Newsletter
Bittersüße Lesetipps kostenlos per E-Mail!
www.bittersweet.de

Unsere Bücher gibt es überall im Buchhandel und auf carlsen.de.

Alle Rechte vorbehalten.
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.

Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Widergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Alle deutschen Rechte bei CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016
Originalcopyright © 2014 by Jennifer L. Armentrout
Originalverlag: Entangled Publishing, LLC
Originaltitel: Opposition. A Lux Novel, Book Five
Umschlagfotografien: Trevillion Images / © Mark Owen
Lichtreflexe: iStockphoto.com/ © Vectorig
Umschlaggestaltung und -typografie: formlabor
Aus dem Englischen von Anja Malich
Lektorat: Julia Reuter
Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN: 978-3-646-92848-8

Für alle Leser, die irgendwann einmal zufällig über Obsidian
gestolpert sind und sich gedacht haben: Aliens auf der Highschool?
Warum eigentlich nicht? Ich habe schon seltsamere Dinge gelesen.
Und die Katy, Daemon und wer sonst noch so dazugehört dann
genauso lieb gewonnen haben wie ich. Dieses Buch ist für euch. Danke.

Kapitel 1

Katy

Früher hatte ich mir für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich den Weltuntergang miterleben würde, immer vorgenommen aufs Dach unseres Hauses zu steigen und so laut wie nur irgend möglich »It’s the End of the World as We Know It (And I Feel Fine)« von R.E.M. zu grölen. Leider ist das echte Leben dann selten so cool.

Es geschah vor unseren Augen – die Welt, wie wir sie kannten, ging gerade unter und ich fühlte mich alles andere als »fine«. Und cool schon gar nicht.

Ich öffnete die Augen und schob langsam den dünnen weißen Vorhang zur Seite. Dann blickte ich hinaus, über die Veranda und die Lichtung hinweg in den dichten Wald, der Lucs Blockhaus umgab. Es lag außerhalb von Coeur d’Alene, einer Stadt in Idaho, die ich kaum aussprechen, geschweige denn buchstabieren konnte.

Die Lichtung war leer. Kein flackerndes weißes Licht schimmerte durch die Bäume. Dort war niemand. Falsch. Dort war nichts. Kein Vogel zwitscherte oder flatterte von Ast zu Ast. Kein Rascheln irgendeines Waldbewohners war zu hören. Nicht einmal das leise Summen von Insekten. Es war so ruhig und still, dass mir kalte Schauer über den Rücken liefen.

Ich starrte in den Wald hinein und heftete den Blick auf die Stelle, an der ich Daemon zum letzten Mal gesehen hatte. Der Schmerz saß tief und meldete sich pochend in meiner Brust. Der Abend, an dem wir auf dem Sofa eingeschlafen waren, kam mir ewig lang her vor, dabei waren gerade einmal achtundvierzig Stunden vergangen, seit ich überhitzt und von Daemons wahrer Erscheinungsform geblendet aufgewacht war. Er war nicht in der Lage gewesen, sie zu kontrollieren, doch wahrscheinlich hätte es auch nichts geändert, wenn wir gewusst hätten, was es zu bedeuten hatte.

Viele andere seiner Spezies, Hunderte – wenn nicht Tausende – Lux, waren auf die Erde gekommen und Daemon … er war fort, genau wie Dee und Dawson, seine Schwester und sein Bruder, während wir nach wie vor hier waren, in Lucs Blockhaus.

Ich spürte einen Druck auf der Brust, als würden mir mit einem Schraubstock Herz und Lungen zusammengepresst.

Immer wieder musste ich an Sergeant Dashers Warnung denken. Ich hatte wirklich geglaubt, er und Daedalus wären vollkommen übergeschnappt, doch sie hatten richtiggelegen.

O Mann, sie hatten so richtiggelegen.

Die Lux waren gekommen, wovor Daedalus gewarnt und worauf sie sich vorbereitet hatten, und Daemon … der Druck auf der Brust wurde so stark, dass er mir den Atem raubte. Ich kniff die Augen zusammen. Ich hatte keine Ahnung, warum er mit ihnen gegangen war und warum ich weder von ihm noch von seiner Familie etwas gehört hatte. Sein Verschwinden ließ mich verängstigt und ratlos zurück und lag wie ein Schatten über jedem Moment, den ich wach war, und selbst die kurze Zeit, die ich geschlafen hatte, war nicht frei davon gewesen.

Auf welcher Seite stand Daemon? Sergeant Dasher hatte mir diese Frage einst gestellt, als ich in der allzu realen Area 51 festgehalten worden war, und ich konnte mir noch immer nicht eingestehen, dass ich die Antwort jetzt wusste.

In den letzten beiden Tagen waren weitere Lux vom Himmel gefallen. Wie ein endloser Sternschnuppenregen waren immer mehr gekommen und dann –

»Nichts.«

Ich schlug die Augen auf und der Vorhang glitt aus meinen Fingern, bis er wieder gerade hinunterhing. »Verzieh dich aus meinem Kopf.«

»Ich kann nichts dafür«, erwiderte Archer, der auf dem Sofa saß. »Du denkst dermaßen laut, dass ich das Gefühl habe, ich müsste mich in die nächste Ecke setzen und mich vor- und zurückwiegend Daemons Namen vor mich hin flüstern.«

Meine Haut kribbelte vor Unbehagen, dabei konnte ich noch so sehr versuchen meine Gedanken, Sorgen und Ängste für mich zu behalten, es war zwecklos, da nicht nur einer, sondern sogar zwei Origins im Haus waren. Ihre nette kleine Gabe, Gedanken zu lesen, konnte einem ganz schön auf den Geist gehen.

Wieder zog ich den Vorhang ein Stück zurück und suchte den Wald ab. »Noch immer kein Lux?«

»Nein. In den letzten fünf Stunden ist kein einziges Licht mehr zu Boden gerauscht.« Archer klang so erschöpft, wie ich mich fühlte. Auch er hatte nicht viel geschlafen. Während ich unsere Umgebung nicht aus den Augen lassen konnte, hatte er die ganze Zeit die Fernsehnachrichten verfolgt. Auf Kanälen aus aller Welt war unaufhörlich über das »Phänomen« berichtet worden.

»Ein paar Sender behaupten, es handele sich um einen gewaltigen Meteoritenschauer.«

Ich schnaubte verächtlich.

»Jetzt noch irgendetwas vertuschen zu wollen ist zwecklos.« Archer seufzte ermattet und er hatte Recht.

Was in Las Vegas geschehen war – was wir angerichtet hatten –, war gefilmt und binnen Stunden übers Internet verbreitet worden. Zwar waren die Videos am Tag nach der Zerstörung wieder aus dem Netz verschwunden, doch der Schaden war bereits angerichtet. Angefangen bei den Aufnahmen, die vom Pressehubschrauber aus gemacht worden waren, bevor Daedalus ihn abgeschossen hatte, bis hin zu den Leuten, die alles mit ihren Handykameras gefilmt hatten – die Wahrheit ließ sich nicht leugnen. Doch im Internet geschahen manchmal seltsame Dinge. Während einige Leute in ihren Blogs den Weltuntergang beschworen, war das Ereignis für andere ein Anreiz, kreativ zu werden. Anscheinend war es bereits zu einem Meme geworden.

Ein unglaublich fotogener, leuchtender Alien als viraler Hit.

Genauer gesagt handelte es sich um Daemon in seiner wahren Erscheinungsform. Auch wenn die menschlichen Züge nicht mehr zu erkennen waren, wusste ich, dass er es war. Er wäre megastolz darauf, wenn er es sehen könnte, aber ich hatte –

»Hör auf«, sagte Archer beschwichtigend. »Wir haben keine Ahnung, was Daemon oder die anderen im Moment treiben und warum. Sie werden wiederkommen.«

Ich wandte mich vom Fenster ab und drehte mich zu Archer um. Das sandfarbene Haar trug er militärisch kurz geschoren. Er war groß, hatte breite Schultern und sah aus wie jemand, der zuschlagen konnte, wenn es darauf ankam, und ich wusste, dass er es auch tat.

Archer konnte geradezu tödlich sein.

Als ich ihm in Area 51 zum ersten Mal begegnet war, hatte ich ihn für einen normalen Soldaten gehalten. Erst später, gemeinsam mit Daemon, hatten wir herausgefunden, dass er Lucs Mann bei Daedalus und, genau wie Luc, ein Origin, das Kind eines männlichen Lux und eines weiblichen Hybriden, war.

Unwillkürlich ballten sich meine Hände zu Fäusten. »Kannst du es dir wirklich vorstellen? Dass sie zurückkommen?«

Amethystfarbene Augen bewegten sich vom Fernseher zu mir. »Etwas anderes kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Etwas anderes können wir uns alle im Moment nicht vorstellen.«

Beruhigend klang es nicht gerade.

»Tut mir leid«, sagte er und verriet damit, dass er meine Gedanken abermals belauscht hatte. Er nickte in Richtung Fernseher, bevor ich eine Chance hatte auszuflippen. »Irgendetwas geht da vor sich. Warum sollten so viele Lux auf die Erde kommen und dann einfach wieder in der Versenkung verschwinden?«

Das war die Frage des Jahres.

»Ich glaube, das ist ziemlich offensichtlich«, sagte eine Stimme aus dem Flur. Ich drehte mich um und sah Luc das Wohnzimmer betreten – groß und feingliedrig, das braune Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Luc war jünger als wir, vierzehn oder fünfzehn, aber er war wie ein frühreifer Mafia-Boss und zeitweise angsteinflößender als Archer. »Und du weißt genau, was ich meine«, fügte er, den Blick auf Archer gerichtet, hinzu.

Während sich Archer und Luc einen erbitterten Kampf lieferten, wer dem Blick des anderen länger standhielt, was sie in den letzten zwei Tagen oft getan hatten, ließ ich mich auf der Lehne eines Sessels in der Nähe des Fensters nieder. »Würdest du das bitte für alle im Raum hörbar erklären?«

Luc hatte etwas Jungenhaftes an sich, sein Gesicht war noch immer ein wenig kindlich rund. Gleichzeitig blitzten seine violetten Augen so weise, dass sie ihn alles andere als kindlich wirken ließen.

Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen den Türrahmen. »Sie planen. Hecken eine Strategie aus. Warten ab.«

Das klang nicht gut, überraschte mich allerdings nicht. Ich spürte plötzlich ein Ziehen zwischen den Schläfen. Archer blickte ohne ein weiteres Wort wieder auf den Fernseher.

»Warum sollten sie sonst herkommen?«, fuhr Luc fort und blickte, den Kopf zur Seite geneigt, auf den zugezogenen Vorhang vor dem Fenster neben mir. »Ich bin mir sicher, dass es ihnen nicht darum geht, Hände zu schütteln und Babys zu knuddeln. Sie sind aus einem bestimmten Grund hier und es ist kein guter.«

»Daedalus hat eine Invasion von ihnen schon immer befürchtet.« Archer setzte sich zurück und legte die Hände auf den Knien zusammen. »Die ganze Sache mit den Origins ist nur deshalb entstanden. Immerhin haben sich die Lux in der Vergangenheit nicht gerade dadurch hervorgetan, freundlich mit anderen intelligenten Lebensformen umgegangen zu sein. Aber warum ausgerechnet jetzt?«

Ich rieb mir die schmerzenden Schläfen. Ich hatte Dr. Roth nicht geglaubt, als er behauptet hatte, die Lux selbst hätten den Krieg mit den Arum verschuldet – einen Krieg, der ihrer beider Planeten zerstört hatte. Und Sergeant Dasher und Nancy Husher, das Superbiest an Daedalus’ Spitze, hatte ich für abartige Freaks gehalten.

Ich hatte mich geirrt.

Und Daemon ebenfalls.

Luc hob eine Augenbraue und lachte heiser. »Na ja, ich weiß nicht. Vielleicht hat es mit dem öffentlichen Spektakel zu tun, das wir in Las Vegas hingelegt haben. Wir wussten, dass es hier Spitzel gab, Lux, die nicht besonders gut auf Menschen zu sprechen waren. Wie sie mit den anderen Lux, die bis dahin nicht auf diesem Planeten waren, in Kontakt getreten sind, weiß ich nicht, aber ist das wirklich wichtig? Es war jedenfalls der perfekte Moment für den Auftritt.«

Ich verengte die Augen. »Du hast gesagt, du fändest es super.«

»Ich finde viel super. Atomwaffen, kalorienfreie Limonaden, Jeanswesten …«, antwortete er. »Das bedeutet aber nicht, dass man deshalb die Menschheit auslöschen sollte oder dass Diätdrinks gut schmecken oder dass du sofort zum nächsten Walmart rennen musst, um dir eine Jeansweste zu kaufen. Ihr dürft mich nicht so genau nehmen.«

Ich verdrehte die Augen so sehr, dass sie mir fast aus dem Kopf fielen. »Was hätten wir denn sonst tun sollen? Wenn Daemon und die anderen nicht aus der Deckung gekommen wären, hätte Daedalus uns wieder festgesetzt.«

Keiner der Jungs antwortete, doch die Worte hingen unausgesprochen in der Luft. Wieder festzusitzen wäre superätzend gewesen, aber wenigstens wären Paris, Ash und Andrew dann noch am Leben. Genauso wie die unschuldigen Menschen, die gestorben waren, als die Sache den Bach runterging.

Doch daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Die Zeit konnte für kurze Zeit angehalten werden, doch niemand konnte sie zurückdrehen und Dinge rückwirkend ändern. Was passiert war, war passiert, und Daemon hatte diese Entscheidung getroffen, um uns alle zu beschützen. Ich würde es nicht zulassen, dass er jetzt zum Sünden-Alien gemacht wurde.

»Du siehst erschöpft aus«, stellte Archer fest und es dauerte einen Moment, bis ich merkte, dass er mich meinte.

Luc musterte mich ebenfalls mit seinen beunruhigenden Augen. »Nein, du siehst sogar beschissen aus.«

Vielen Dank auch.

Archer ging nicht darauf ein. »Ich glaube, du solltest versuchen zu schlafen. Wenigstens ein bisschen. Wenn etwas passiert, wecken wir dich.«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf, für den Fall, dass die verbale Ablehnung nicht ausreichte. »Ich fühle mich gut.« In Wahrheit war ich weit davon entfernt, mich gut zu fühlen. Ehrlich gesagt war ich kurz davor, mich in die nächste Ecke zurückzuziehen und mich vor- und zurückzuwiegen, doch ich konnte jetzt nicht schlappmachen und schlafen konnte ich auch nicht. Nicht, solange Daemon irgendwo dort draußen war, und nicht, wenn die ganze Welt kurz davor war … verdammt, ja, zur Dystopie zu werden, wie die Welt in den Büchern, die ich immer gelesen hatte.

Bücher. Seufz. Wie sehr ich sie vermisste.

Archer blickte finster drein, was ihn ein wenig unheimlich aussehen ließ, aber bevor er mich zusammenfalten konnte, drückte sich Luc vom Türrahmen ab und sagte: »Ich glaube, sie sollte unbedingt mal mit Beth reden.«

Überrascht blickte ich in Richtung der Treppe im Flur. Ich hatte vor einer Weile nach Beth gesehen und sie hatte geschlafen. Wie fast immer. Ich war beinahe neidisch darauf, wie sie das alles hier verschlafen konnte.

»Warum?«, fragte ich. »Ist sie wach?«

Luc schlenderte durchs Wohnzimmer. »Ich glaube, ihr beide müsst euch mal von Frau zu Frau unterhalten.«

Seufzend ließ ich die Schultern hängen. »Luc, ich glaube nicht, dass unser Verhältnis zueinander jetzt oberste Priorität hat.«

»Nein?« Er ließ sich neben Archer aufs Sofa fallen und legte die Füße auf dem davorstehenden Tischchen ab. »Was tust du denn die ganze Zeit, außer aus dem Fenster zu starren und auf die passende Gelegenheit zu warten, dich an uns vorbei in den Wald zu schleichen, um nach Daemon zu suchen, wo du dann aber wahrscheinlich von einem Puma gefressen wirst?«

Zornig warf ich meinen Pferdeschwanz über die Schulter zurück. »Erstens würde ich sicher nicht von einem Puma gefressen werden. Und zweitens tue ich dann wenigstens etwas, anstatt nur dumm rumzusitzen.«

Archer seufzte.

Worauf Luc mich breit anlächelte. »Fangt ihr jetzt wieder an zu streiten?« Er blickte in Archers versteinerte Miene. »Ich finde es immer lustig, wie ihr aufeinander herumhackt. Wie Mutter und Vater bei einer ehelichen Auseinandersetzung. Am besten verstecke ich mich in meinem Zimmer, damit es noch authentischer wird. Vielleicht sollte ich eine Tür zuschlagen oder –«

»Halt die Klappe, Luc«, brummte Archer und sah dann grimmig zu mir. »Das Thema hatten wir jetzt wirklich oft genug. Sich auf die Suche zu machen ist alles andere als schlau. Sie sind zu viele und wir wissen nicht, ob –«

»Daemon überhaupt einer von ihnen ist!«, rief ich und sprang wutschnaubend auf. »Er ist nicht einer von ihnen geworden. Und Dee und Dawson auch nicht. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist.« Meine Stimme versagte und ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals. »Aber das würden sie nicht tun. Er würde es nicht tun.«

Archer beugte sich mit blitzenden Augen vor. »Das kannst du gar nicht wissen. Wir auch nicht.«

»Du hast gerade noch behauptet, sie kämen wieder!«, fauchte ich ihn an.

Anstatt zu antworten, richtete er den Blick auf den Fernseher und ich fühlte mich in dem bestätigt, was ich tief in mir drinnen bereits wusste. Archer rechnete nicht damit, dass Daemon oder einer von den anderen je wiederkäme.

Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf so schnell, dass mein Pferdeschwanz hin- und herpeitschte. Dann verschwand ich mit großen Schritten in Richtung Tür, bevor wir uns wieder knietief in dem Streit verfransten.

»Wohin gehst du?«, wollte Archer wissen.

Ich widerstand der Versuchung, ihm den Mittelfinger zu zeigen. »Ich habe anscheinend ein Gespräch von Frau zu Frau mit Beth zu führen.«

»Gute Idee«, kommentierte Luc.

Ohne darauf einzugehen, stapfte ich die Treppe hinauf. Ich hasste es, herumzusitzen und nichts zu tun. Ich hasste es, dass jedes Mal, wenn ich die Haustür öffnete, Luc oder Archer neben mir standen, um mich zurückzuhalten. Und was ich am allermeisten hasste, war die Tatsache, dass sie in der Lage waren, mich zurückzuhalten.

Ich mochte zum Hybriden mutiert und noch so viele besondere Lux-Fähigkeiten haben, aber sie waren Origins und konnten mich von hier nach Kalifornien kicken, wenn es drauf ankam.

In der oberen Etage war es dunkel und still. Ich konnte nicht sagen, warum, doch ich fühlte mich nicht wohl hier. Jedes Mal, wenn ich heraufkam und den langen schmalen Flur entlangging, stellten sich mir die Nackenhaare auf.

Am ersten Abend hatten Beth und Dawson das letzte Zimmer auf der rechten Seite in Beschlag genommen und dort hatte sich Beth nun verkrochen, seit … seit er gegangen war. Ich kannte sie nicht sehr gut, aber ich wusste, dass sie bei Daedalus viel durchgemacht hatte. Außerdem hielt ich sie nicht für die allerstabilste unter den Hybriden, was allerdings nicht ihre Schuld war. Dennoch machte sie mir, auch wenn ich es nicht gern zugab, manchmal Angst.

Vor der Tür blieb ich stehen und klopfte an, anstatt in den Raum hineinzuplatzen.

»Ja?«, hörte ich sie mit dünner, näselnder Stimme sagen.

Kurz hielt ich inne, während ich die Tür öffnete. Beth hörte sich fürchterlich an, und als ich sie erblickte, stellte ich fest, dass sie genauso schlecht aussah, wie sie klang. Inmitten von Decken saß sie mit dunklen Ringen unter den Augen am Kopfende des Bettes. Ihr ausgemergeltes Gesicht war blass und wirkte spitz, das Haar war ungewaschen und ungekämmt. Ich versuchte nicht allzu tief einzuatmen, denn in dem Raum roch es nach Schweiß und Erbrochenem.

Entsetzt blieb ich vor ihrem Bett stehen. »Bist du krank?«

Ihr glasiger Blick driftete von mir zu der Tür des angrenzenden Badezimmers. Es konnte gar nicht sein. Hybride – wir konnten nicht krank werden. Weder eine normale Erkältung noch der gefährlichste Krebs konnte uns etwas anhaben. Genau wie die Lux waren wir immun gegen alles, was es an Krankheiten gab. Aber Beth? Nein, sie sah nicht gut aus.

Mir wurde immer unbehaglicher zu Mute und jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an. »Beth?«

Sie wandte den Blick wieder in meine Richtung, ohne mich jedoch richtig anzusehen. »Ist Dawson zurück?«

Es versetzte mir einen fast physisch schmerzhaften Stich. Die beiden hatten so viel durchgemacht, mehr als Daemon und ich, und das … Mein Gott, es war nicht fair. »Nein, er ist noch nicht wieder da, aber was ist mit dir? Du siehst krank aus.«

Sie legte eine schmale, blasse Hand an ihren Hals und schluckte. »Ich fühle mich nicht besonders gut.«

Ich war mir nicht sicher, wie schlecht es ihr ging, und fürchtete mich fast davor, es herauszufinden. »Was ist los?«

Sie hob eine Schulter und es sah aus, als wäre bereits diese Bewegung anstrengend für sie. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie leise und griff nach dem Rand der Decke. »Es ist nichts Schlimmes. Wenn Dawson zurück ist, wird alles wieder gut sein.« Abermals driftete ihr Blick fort von mir. Sie ließ die Decke los und strich sich mit der Hand über ihren zugedeckten Bauch: »Uns wird es wieder gut gehen, wenn Dawson zurück ist.«

»Uns …?« Ich riss die Augen auf und konnte nicht weitersprechen, weil ich den Mund nicht mehr zubekam.

Ungläubig starrte ich auf ihre Hand und beobachtete schockiert, wie sie sie langsam und gleichmäßig über den Bauch kreisen ließ.

O nein, verdammt noch mal, nein, nein, nein.

Ich beugte mich vor und hielt dann inne. »Beth, bist du … bist du schwanger?«

Sie lehnte den Kopf gegen die Wand und kniff die Augen zu. »Wir hätten besser aufpassen sollen.«

Meine Knie wurden plötzlich weich. Ihr Schlafbedürfnis. Die Erschöpfung. Jetzt ergab alles einen Sinn. Beth war schwanger, auch wenn ich mich im ersten Moment – total idiotisch – fragte, wie es dazu hatte kommen können. Dann setzte mein Verstand jedoch wieder ein und ich hätte am liebsten geschrien: Wo hattet ihr die Kondome? Auch wenn die Frage jetzt irgendwie hinfällig war.

Sofort sah ich das Bild von Micah vor mir, dem kleinen Jungen, der uns geholfen hatte Daedalus zu entkommen. Micah, der allein mit den Gedanken anderen das Genick brechen und Gehirne zu Brei werden lassen konnte.

Heilige Alien-Babys, und so einen hatte sie im Bauch? So ein Zombie-Kid – unheimlich, gefährlich und hochgradig tödlich? Klar, auch Archer und Luc waren wahrscheinlich einst solche kleinen Monster gewesen, aber beruhigend war das nicht, denn die jüngsten Origins, die Daedalus hervorgebracht hatte, waren ein ganz anderes Kaliber als Lucs und Archers Generation.

Und auch Luc und Archer waren mir immer noch irgendwie unheimlich.

»Du guckst mich an, als wärst du sauer«, sagte sie mit leiser Stimme.

Ich zwang mich zu einem Lächeln, auch wenn ich mir sicher war, dass es ziemlich bescheuert aussah.

»Nein, ich bin nur überrascht.«

Langsam hoben sich ihre Mundwinkel. »Ja, das waren wir auch. Der Zeitpunkt ist echt ungünstig, nicht wahr?«

Ha. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.

Während ich sie weiter anstarrte, schwand das Lächeln wieder aus ihrem Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu ihr sagen sollte. Glückwunsch? Das kam mir irgendwie falsch vor, aber es nicht zu sagen erschien mir auch nicht richtig. Wussten sie überhaupt von den Origins, von den vielen Kids, die Daedalus züchtete?

Und würde dieses Baby wie Micah sein?

O Mann, hatten wir nicht schon genug Sorgen? Meine Brust zog sich zusammen und ich fürchtete eine Panikattacke zu bekommen. »Wie … wie weit bist du?«

»Im vierten Monat«, antwortete sie und schluckte sichtbar.

Ich musste mich setzen.

Verdammt, ich brauchte jemand Erwachsenen.

Plötzlich spukten Bilder von schmutzigen Windeln und kleinen, vor Wut geröteten Gesichtern in meinem Kopf herum. Würde es ein einziges Kind werden oder würden es drei? Die Frage hatten wir uns bei den Origins noch nie gestellt, aber die Lux kamen immer im Dreierpack.

Ach du heilige Scheiße, drei Babys?

Beth sah mich abermals an und irgendetwas in ihren Augen ließ mich erschaudern. Während sie sich vorbeugte, ließ sie die Hand ruhig auf ihrem Bauch liegen. »Sie werden nicht mehr dieselben sein, wenn sie wiederkommen, stimmt’s?«

»Was?«

»Sie«, wiederholte sie. »Dawson, Daemon und Dee. Sie werden nicht als dieselben zurückkommen, oder?«

Wie benommen ging ich ungefähr eine halbe Stunde später wieder hinunter. Luc und Archer waren nach wie vor im Wohnzimmer. Beide saßen auf dem Sofa und schauten Nachrichten. Als ich den Raum betrat, blickte Luc auf, während Archer aussah, als hätte ihm jemand an einer sehr unangenehmen Stelle einen Stock hineingerammt.

Mir war sofort alles klar.

»Ihr beide wusstet über Beth Bescheid?« Als sie mich ausdruckslos ansahen, hätte ich ihnen am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt. »Und niemand ist auf die Idee gekommen, mir davon zu erzählen?«

Archer zuckte mit den Schultern. »Wir haben gehofft, dass es kein Thema wird.«

»O Mann.« Kein Thema werden? Als wäre es nichts, mit einem Alien-Hybrid-Baby schwanger zu sein? Als würde es – ich weiß nicht – von selbst wieder vergehen? Ich ließ mich in den Sessel fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Was käme als Nächstes? Jetzt mal im Ernst. »Sie kriegt ein Kind.«

»Das passiert, wenn man ungeschützten Geschlechtsverkehr hat«, witzelte Luc. »Aber ich bin froh, dass ihr beide miteinander geredet habt, denn wenn ich eins nicht wollte, dann, diese Nachricht zu überbringen.«

»In ihr wächst eins dieser Grusel-Babys heran«, fuhr ich fort und strich mir mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Sie wird ein Baby bekommen und Dawson ist nicht einmal da und um uns herum bricht unterdessen die Welt zusammen.«

»Sie ist erst im vierten Monat.« Archer räusperte sich. »Jetzt lass uns mal nicht in Panik verfallen.«

»Panik?«, flüsterte ich. Mein Kopf schmerzte immer mehr. »Sie braucht jetzt bestimmte Dinge wie, keine Ahnung, einen Arzt, um sicherzugehen, dass mit der Schwangerschaft alles in Ordnung ist. Sie braucht besondere Vitamine, Essen und wahrscheinlich viel Schokolade und saure Gurken und –«

»Das können wir ihr besorgen«, erwiderte Archer. Ich blickte erstaunt zu ihm auf. »Außer den Arzt, natürlich. Wenn ihr jemand Blut abnimmt, könnte es, gerade im Moment, schwierig werden.«

Ich sah ihn an. »Warte mal. Meine Mom –«

»Nein.« Ruckartig drehte sich Luc zu mir um. »Du darfst auf keinen Fall Kontakt zu deiner Mutter aufnehmen.«

In mir spannte sich alles an. »Sie würde uns helfen. Zumindest könnte sie uns grob einweisen, was wir für Beth tun müssen.« Die Idee hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Aber ich machte mir nichts vor. Dabei spielte keine unerhebliche Rolle, dass ich sie sehen wollte. Ich musste sie sehen.

»Wir wissen doch schon, was Beth braucht. Es sei denn, deine Mutter hat Insiderinformationen, wie man mit schwangeren Hybriden umgeht, ansonsten wird sie uns nicht viel mehr sagen können als Google.« Luc nahm die Füße vom Tisch und ließ sie schwer zu Boden fallen. »Es ist gefährlich, mit deiner Mutter in Kontakt zu treten. Vielleicht wird ihr Telefon abgehört. Es ist zu gefährlich, für sie und für uns.«

»Glaubst du wirklich, dass sich Daedalus zurzeit überhaupt um uns schert?«

»Willst du es etwa riskieren?«, fragte Archer zurück und sah mich provozierend an. »Willst du uns alle in Gefahr bringen, Beth eingeschlossen, weil du darauf hoffst, dass sie mit anderen Dingen beschäftigt sind? Willst du das deiner Mutter antun?«

Ich hielt den Mund fest geschlossen und funkelte ihn böse an. Mein Wille zu kämpfen aber schrumpfte wie ein Ballon, aus dem die Luft entwich. Nein. Nein, ich würde es nicht riskieren. Ich würde es weder uns noch meiner Mom antun. Tränen stiegen mir in die Augen und ich zwang mich tief Luft zu holen.

»Ich arbeite an einer Idee, wie wir hoffentlich das Nancy-Problem lösen können«, verkündete Luc. Ich hatte ihn allerdings lediglich an der hohen Kunst des Rumsitzens arbeiten sehen.

»Okay«, sagte ich mit heiserer Stimme und verdrängte meinen Kopfschmerz und die in mir aufsteigende Panik. Ich musste mich zusammenreißen, auch wenn die dunkle Ecke immer mehr lockte. »Beth braucht ein paar Dinge.«

Archer nickte. »Das stimmt.«

Weniger als eine Stunde später übergab Luc uns eine Liste, die er mit Hilfe des Internets zusammengestellt hatte. Ich fühlte mich wie in einer trashigen Aufklärungssendung.

Am liebsten hätte ich angefangen zu lachen, als ich den gefalteten Zettel in die hintere Tasche meiner Jeans schob, doch dann hätte ich wahrscheinlich nicht mehr aufhören können.

Luc blieb mit Beth im Blockhaus zurück für den Fall … ja, für den Fall, dass etwas noch Schlimmeres geschah. Ich hingegen begleitete Archer. Vor allem, weil ich das dringende Bedürfnis hatte, mal rauszukommen. Auf jeden Fall aber hatte ich damit das Gefühl, etwas zu tun, und vielleicht – vielleicht bekämen wir in der Stadt irgendwelche Hinweise, wohin Daemon und seine Geschwister verschwunden waren.

Mein Haar hatte ich aufgedreht und unter einer Baseballkappe versteckt, die den Großteil meines Gesichts verbarg, so dass es fast unmöglich war, mich zu erkennen. Ich wusste nicht, ob es überhaupt ein Thema war, aber ich wollte kein Risiko eingehen.

Es war später Nachmittag und die Luft draußen war so frisch, dass ich dankbar war ein langärmeliges weites Hemd von Daemon übergezogen zu haben. Durch den starken Tannenduft in der Luft hindurch nahm ich seinen einzigartigen erdig herben Geruch wahr.

Meine Unterlippe zitterte, als ich auf der Beifahrerseite in den Wagen stieg, und ich hatte Mühe, mich anzuschnallen. Archer warf mir einen kurzen Blick zu und ich zwang mich, nicht mehr an Daemon zu denken, an überhaupt nichts mehr zu denken, was Archer nicht wissen sollte. Allerdings blieb dann kaum etwas übrig.

Deshalb dachte ich an bauchtanzende Füchse in Baströcken.

Archer schnaubte. »Du bist komisch.«

»Und du hast kein Benehmen.« Ich beugte mich vor und blickte angestrengt aus dem Fenster, während wir die Ausfahrt hinabfuhren. Ich suchte zwischen den Bäumen nach etwas Verdächtigem, doch da war nichts.

»Ich habe es dir doch schon gesagt. Manchmal ist es schwer, es nicht zu tun.« Am Ende des Schotterwegs bremste er ab und schaute prüfend in beide Richtungen, bevor er auf die Straße einbog. »Glaub mir. Es gibt Zeiten, in denen ich mir wünschte, die Gedanken von Menschen nicht lesen zu können.«

»Die letzten beiden Tage, in denen du mit mir da festgesessen hast, gehörten wahrscheinlich dazu.«

»Willst du es wirklich wissen? Du warst gar nicht schlecht.« Als ich die Augenbrauen hob, sah er mich an. »Du hast dich gut zusammengerissen.«

Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte, denn seit der Lux-Invasion hatte ich ständig das Gefühl, im nächsten Moment zusammenzubrechen. Und ich war mir nicht sicher, warum es nicht auch geschah. Noch vor einem Jahr wäre ich hundertprozentig durchgedreht und aus besagter dunkler Ecke nicht mehr rausgekommen, doch ich war nicht mehr dieselbe wie zu der Zeit, als ich an Daemons Tür geklopft hatte.

Wahrscheinlich würde ich nie mehr dieselbe sein.

Insbesondere während ich bei Daedalus festgehalten worden war, hatte ich viel mitgemacht. Ich mochte nicht einmal mehr daran denken, was ich dort erlebt hatte, aber die Zeit mit Daemon und selbst die Monate bei Daedalus hatten mich stärker gemacht. Zumindest redete ich mir das gern ein.

»Ich muss mich zusammenreißen«, sagte ich schließlich und umschlang mich selbst, während ich auf die vorbeirauschenden Tannen starrte, bis ich nur noch verschwommene Äste mit Nadeln wahrnahm. »Weil ich weiß, dass Daemon auch nicht durchgedreht ist, als ich … als ich nicht da war. Deshalb darf ich es jetzt auch nicht tun.«

»Aber –«

»Machst du dir Sorgen wegen Dee?«, schnitt ich ihm das Wort ab und war plötzlich wieder in der Lage, mich voll auf ihn zu konzentrieren.

Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte mehrfach, doch er antwortete nicht. Während wir uns Coeur d’Alene, der größten Stadt in Idaho, näherten, konnte ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass ich jetzt eigentlich etwas ganz anderes tun sollte. Dass ich tun sollte, was Daemon für mich getan hatte.

Er hatte versucht zu mir zu gelangen, als ich gefangen war.

»Das war etwas anderes«, mischte sich Archer in meine Gedanken ein, während er zum nächstbesten Supermarkt abbog. »Er wusste, worauf er sich einließ. Du nicht.«

»Ach ja?«, fragte ich, während er den Wagen auf einem Parkplatz in der Nähe des Eingangs abstellte. »Er hatte vielleicht eine Ahnung, aber ich glaube nicht, dass er es wirklich wusste. Trotzdem hat er es getan. Er war mutig.«

Archer sah mich lange an, bevor er den Schlüssel aus dem Zündschloss zog. »Und du bist auch mutig, aber du bist nicht dumm. Zumindest hoffe ich, dass du das weiterhin unter Beweis stellst.« Er öffnete die Fahrertür. »Bleib in meiner Nähe.«

Ich schnitt ihm eine Grimasse, folgte ihm aber hinaus. Der Parkplatz war ziemlich voll und ich fragte mich, ob sich die Leute wohl für die bevorstehende Apokalypse rüsteten. In den Nachrichten hatten sie von Ausschreitungen in vielen Großstädten in Folge der »Meteoriteneinschläge« gesprochen. Die Polizei und das Militär hatten dem ein Ende gesetzt, doch nicht ohne Grund gab es die Fernsehsendung Preppers – Bereit für den Weltuntergang. Coeur d’Alene schien von den Geschehnissen fast unberührt, obwohl so viele Lux in den nahe gelegenen Wäldern gelandet waren.

Abgesehen davon, dass alle Leute im Supermarkt ihre Wagen mit haltbaren Lebensmitteln und Wasserflaschen füllten. Obwohl ich den Blick gesenkt hielt, während ich die Liste herauszog und Archer nach einem Korb griff, fiel mir unwillkürlich auf, dass niemand Toilettenpapier einpackte.

Das wäre das Erste, was ich mir schnappen würde, wenn das Ende der Welt nahte.

Ich hielt mich dicht neben Archer, als wir uns auf den Weg in die Drogerieabteilung machten, wo wir begannen die endlosen Reihen brauner Flaschen mit gelben Deckeln abzusuchen.

Seufzend blickte ich auf die Liste. »Warum können die das nicht alphabetisch sortieren?«

»Das wäre zu einfach.« Sein Arm versperrte mir die Sicht und er nahm ein Fläschchen in die Hand. »Eisen brauchen wir, oder?«

»Stimmt.« Ich griff nach der Dose, auf der Folsäure stand, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was Folsäure war und welche Wirkung sie hatte.

Archer kniete sich nieder. »Und die Antwort auf deine Frage von eben lautet ja.«

»Hä?«

Er blickte zu mir auf. »Du hast gefragt, ob ich mir um Dee Sorgen mache, und das tue ich.

Ich umfasste die Dose mit der Folsäure fester und holte tief Luft. »Du magst sie, habe ich Recht?«

»Ja.« Er wandte sich den größeren Dosen mit den Schwangerschaftsvitaminen zu. »Obwohl Daemon ihr Bruder ist.«

Ich blickte auf ihn hinab und lächelte ein wenig, zum ersten Mal seit die Lux –

Das Krachen, wie ein Donner in Überschalllautstärke, kam aus dem Nichts und erschütterte die Regale mit den Tabletten. Vor Schreck wich ich einen Schritt zurück.

Archer richtete sich schnell auf und ließ den Blick über den vollen Supermarkt schweifen. Die Leute waren mitten im Gang stehen geblieben, einige hielten die Einkaufswagen fest umklammert, andere hatten sie losgelassen und sie rollten langsam mit knirschenden Rädern davon.

»Was war das denn?«, fragte eine Frau einen Mann, der neben ihr stand. Sie drehte sich um und hob ein kleines Mädchen hoch, das höchstens drei Jahre alt war. Während sie die Kleine an sich drückte, drehte sie sich mit aschfahlem Gesicht um. »Was war das – ?«

Abermals schallte es krachend durch das Geschäft. Jemand schrie. Flaschen und Gläser fielen aus den Regalen. Schritte donnerten über den Linoleumboden. Das Herz pochte mir bis zum Hals, als ich mich in Richtung Eingang drehte. Auf dem Parkplatz leuchtete etwas auf, als würde ein Blitz in den Boden einschlagen.

»Verdammt«, fluchte Archer.

Die kleinen Härchen auf meinen Armen stellten sich auf, als ich ans Ende des Gangs hastete und dabei nicht einmal vorgab den Kopf gesenkt zu halten.

Kurz war es still, dann donnerte es wieder und wieder, und die immer zahlreicheren gleißenden Lichtstrahlen, die einer nach dem anderen den Parkplatz erhellten, fuhren mir bis in die Knochen. Die Schaufenster bekamen Risse und die Schreie … die Schreie wurden lauter und panischer, während die Scheiben zerbarsten und die Scherben in Richtung der Kassen geschleudert wurden.

Die hellen Lichtstrahlen auf dem Parkplatz verformten sich zu Armen und Beinen. Die langen, geschmeidigen, rötlich leuchtenden Körper, die entstanden, ähnelten Daemons, waren aber dunkler, fast blutrot.

»O nein«, flüsterte ich und das Fläschchen mit den Tabletten glitt mir aus der Hand. Es fiel zu Boden.

Sie waren überall, Dutzende. Lux.