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1. Auflage
© 2020 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
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Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: Buch.Bücher Theiss
Lektorat: Arnold Klaffenböck
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Coverfoto: Martin Vukovits
ISBN 978-3-7110-0280-8
eISBN 978-3-7110-5305-3
Vorwort
Wie das Haus uns gefunden hat
Der Traum
Das Haus
Das Grundstück
Die Nachbarn
Giulio
Pordina
Die Carabinieri und die Jagd
Grappa
Fahrzeugkontrolle
Warenkontrolle
Ein Philosoph in Uniform
Nationalität San Lorenzo
Bonzo
Der Pfarrer
Die Hochzeit
Die Straße
Bimbo 1
Bimbo 2
Die Olive und wir
Der Fleischer
Signora Capelli
La vita è così
Gufo
Einbrecher
La fortezza
Die Katze
Das Offerte
Glaube und Aberglaube
Der Tod im Bauernhaus
Mago
Pan
Toskanischer Frühling
Abendwind
Liebe Leserin, lieber Leser!
Oh, und wie wir ihn kennen, den Traum vom Aussteigen aus der täglichen Tretmühle, aus dem Stress, aus dem Erfolgszwang. Wir kennen diesen Traum, jedoch nur von anderen, die ihn träumen, wir selbst haben ihn nie geträumt. Im Gegenteil, das Aussteigen schien uns immer, als wäre es eine Art Kapitulation vor uns selbst. Wir hielten und halten es eher mit Marcel Prawy, der meinte: „Je älter du wirst, desto mehr musst du arbeiten, um jung zu bleiben!“
Wir haben es uns nicht gewünscht, das alte Bauernhaus in der Toskana, schon gar nicht, um es als Fluchtburg zu benützen. Vielmehr, so kommt es uns vor, hat dieses Haus uns gesucht und gefunden. Später lernten wir einige toskanische Sprichwörter kennen und stellten überrascht fest, wie sehr sie auf unsere Erlebnisse zutrafen. Eines davon, „Die Wunder wachsen, ohne dass man sie säen muss“, hätte unsere Situation nicht besser beschreiben können, als wir auf der Autobahn von Florenz in Richtung Pisa fuhren. Nie zuvor und nie mehr danach wurden die Tankstellen auf dieser Autobahn bestreikt. Und so begann das Wunder seinen Lauf zu nehmen, ohne dass wir es bemerkten. Aber davon später, gleich im ersten Kapitel dieses Buches.
Hingegen haben wir geschrieben, immer wieder und mit viel Vergnügen. Denn das, was uns da alles widerfahren ist, in diesem Haus und seiner Umgebung, mit den Menschen, auf die wir nun trafen, war oft so herzerfrischend oder so eigenartig, manchmal auch traurig, öfter aber erheiternd, dass wir begannen, diese Begebenheiten und Begegnungen zu Papier zu bringen, einfach, um sie für uns festzuhalten und sie als Erinnerungen zu bewahren. Ja, manches davon haben wir Freunden erzählt, um ihnen etwas von der Stimmung zu vermitteln, von der Lebenseinstellung der Menschen, die uns hier umgaben. Und wieder wuchs ein Wunder, ohne dass wir es zunächst bemerkt hätten.
Hannes Steiner hatte von einigen unserer toskanischen Geschichten gehört und gemeint, es wäre doch vergnüglich, unsere Notizen als Ecowin-Buch zu veröffentlichen. Ein Buch ohne politische Analysen, ohne Blick auf die Krisen dieser Welt und ohne Rückblick auf die österreichische Geschichte. Auch kein Buch im Alleingang. So manches, wovon wir beide hier erzählen, haben wir gemeinsam erlebt, doch jeder von uns hatte auch seine eigenen Erlebnisse und hatte sie niedergeschrieben, allerdings nicht mit der Absicht, sie zu veröffentlichen.
Nun tun wir es doch. Und sogar mit großem Vergnügen. In der Hoffnung, dass auch die Leserinnen und Leser unsere Erzählungen vergnüglich finden.
Traudi und Hugo Portisch
Le meraviglie nascono senza seminarle.
Die Wunder wachsen, ohne dass man sie säen muss.
Zugegeben, es gehört auch Glück dazu. Aber Glück ist nicht so selten, wie man glaubt. Die meisten Menschen merken nur nicht, wenn es sich ihnen anbietet. Genau genommen muss man Glück haben, um Glück zu erkennen. Das ist dann eine Sternstunde. Uns schlug eine auf der Autobahn zwischen Florenz und Pisa. Da ging uns das Benzin aus. Das heißt, der Benzinanzeiger stand schon geraume Zeit auf null, aber keine der Tankstellen auf dem Weg war offen: Streik. Also nichts wie runter von der Autobahn.
Gleich nach der Abfahrt fanden wir auch eine Tankstelle, die nicht bestreikt, aber zur Stunde wegen Siesta geschlossen war. Dafür war das Espresso daneben offen. Dankbar schlürften wir unseren Cappuccino und freuten uns, da zu sein. Vor uns lag eine Pinienallee, die allmählich im leichten Bodennebel verschwand, dennoch ein strahlend blauer Himmel und dazwischen, sanft aus dem Nebel aufsteigend, Weingärten, Olivenhaine, darüber wie eine Krone aus grauem Stein und roten Dachziegeln, Campanile zwischen Zypressen, ein toskanisches Dorf auf der Kuppe eines Hügels. Es war November, und doch hatten die Weinstöcke noch ihre Blätter, in Farben, als hätte Gucci sie aufeinander abgestimmt, Gelb, Ocker, Braun in allen Nuancen. Die Olivenhaine blinkten in Grün und Silber im Wind, der aus dem Apennin kam. Er roch nach Frost.
Dass wir das nun alles sahen, rochen und schmeckten, war nichts als Zufall oder Glück, was in Sternstunden auf das Gleiche kommt. Die Fahrt war nicht beabsichtigt gewesen. Sie war ein Akt der Selbstbefreiung, Ausbruch aus Arbeit, Hektik, Verdruss. Nichts wie weg, so weit es eben geht in den vier Tagen zwischen Allerseelen und dem nächsten Sonntag.
Jemand sagte Italien. Im Herbst? Jemand sagte Toskana. Vielleicht. Falls aber doch, dann sind wir auch dort, hier ist die Telefonnummer: Ruft uns an, kommt auf eine Jause. Wo seid ihr? In Benevento. – Das herausgerissene Notizblatt mit der Telefonnummer steckt noch in der äußeren Tasche meines Rockes. Ein Zufall – der Rock sollte gar nicht mit auf diese Reise. Und wer weiß schon, wo Benevento liegt. Wir wussten es nicht und hatten auch nicht nachgesehen. Hätte das Benzin gereicht, säßen wir jetzt nicht in dem Espresso, würden den Kellner nicht nach Benevento fragen. Benevento war der Ort über uns, aus grauem Stein, roten Dachziegeln, Campanile zwischen Zypressen. Zufall. Wir riefen an. Sie kamen, uns zu holen. Sie waren Gäste bei jemandem, der ein Haus hatte, gleich unterhalb der Stadtmauer von Benevento, mit einer traumhaften Sicht über die toskanischen Hügel bis hinüber zu den Pisaner Bergen. Als Gäste der Gäste erhielten wir die in Wien versprochene Jause und wunderten uns über die Zufälle, die uns bis hierher und da herauf geführt hatten.
Schließlich verabschiedeten wir uns, standen schon vor der Türe, da läutete das Telefon. Erwartete Gäste, die sich entschuldigten, sie seien noch in Bozen mit Motorschaden, kämen heute nicht mehr und wahrscheinlich auch nicht morgen. Das zweite Gästezimmer wäre nun frei, ob wir nicht bleiben wollten? Es sei ohnedies schon dunkel, die Weiterfahrt würde nichts mehr bringen. Wir blieben, kosteten den Wein des Hauses, saßen vor dem offenen Kaminfeuer, diskutierten fröhlich in die Nacht hinein und schliefen herrlich.
Am nächsten Tag hätte es regnen können, oder der Nebel hätte, wie hier so oft in dieser Jahreszeit, die Hügel hochsteigen und die Sicht verschlingen können. Aber als wir die Fensterläden öffneten, war es, als hätte Botticelli eine Landschaft ohne Vordergrund gemalt. Aus dem Morgennebel in den Tälern ragten, in goldgelbes Licht getaucht, die toskanischen Hügel mit Dörfern, die wie Schwalbennester an ihnen klebten oder wie Adlerhorste ihre Gipfel beherrschten. Entlang der sanften Rücken aber standen Pinien und Zypressen wie Morsezeichen aneinandergereiht – Punkt, Punkt, Strich, Strich, Punkt, Strich –, als wollten jene, die sie gepflanzt haben, uns Nachricht geben. Beugte man sich aber aus dem Fenster, gab es auch einen Vordergrund: An der Wand des Hauses wuchsen Orangenbäume als Spalier hinauf und an den Fenstern seitlich vorbei und boten ihre goldgelben Früchte an, als wären sie ein lebender Korb. Wir sogen alles ein, Landschaft, Vordergrund, Licht, Luft, Farben, und kamen berauscht zum Frühstück. Wir sprachen von Traum, von Pracht, von Paradies, von einem Haus, das man hier haben müsste. – Ein Haus? In den Hügeln gäbe es noch immer verlassene Bauernhäuser. Man brauche sich nur eines auszusuchen.
„Wenn man von Traum und Paradies spricht, sollte man nicht so wörtlich genommen werden“, meinte ich. „Weshalb eigentlich nicht?“, meinte meine Frau. Eine Stunde später fuhren wir in einer kleinen Wagenkolonne durch die benachbarten Hügel, von Bauernhaus zu Bauernhaus. Das erste war unbewohnt, aber niemand kannte den Besitzer. Im zweiten wohnte ein Bauer, der sofort bereit war, es uns zu verkaufen, nur müsste er danach weiter darin wohnen dürfen, denn wohin sonst sollten er, seine Frau und seine Kinder ziehen? Das dritte stellte uns auf die Probe.
Trotzig lag es da, auf einer vorspringenden Terrasse inmitten eines großen Olivenhains. Der Einfahrt in den Hof wandte es eine graue, abweisende Steinmauer zu, die nur oben im ersten Stock von einer Reihe von Fensterhöhlen durchbrochen war, und von einer Schießscharte, die auf die Einfahrt zielte. An der türlosen Wand darunter klebte ein halb zusammengebrochener Stall. Auf dem Hof türmte sich ein längst zu Humus gewordener Misthaufen, übersät mit Brennnesseln. Links davon eine lang gezogene Scheune, oben offen, darunter ein paar Ställe für Schweine, Hasen und Hühner.
Das war das Haus, wie ich es sah. Meine Frau sah es anders. Nicht von der Einfahrt her, sondern von vorne, von der Terrasse aus. Und da umarmte es uns mit zwei gewaltigen Zitronenbäumen, die die Wände des Hauses hochwuchsen, die gesamte Mauer bedeckten und die auch noch die Türen und Fenster zugewachsen hatten. Eine der Türen gab nach, und wir betraten den wichtigsten Raum jedes toskanischen Bauernhauses, die Cantina, den Weinkeller. Ein Keller zu ebener Erde, ein fensterloser Saal, in dem auf mächtigen Balken die Bottiche stehen, in denen der Wein gemacht wird, und die Fässer, in denen er lagert. Die Balken hier waren längst morsch und eingeknickt, die Bottiche und Fässer hatten sich aufgelöst, die Eisenringe, die sie einst zusammengehalten hatten, lagen wirr ineinander verhakt, und die Holzsegmente ragten aus ihnen heraus wie Gerippe.
Von der Cantina ging es über Steinstufen in den Nachbarraum, der einst die Küche war. Eine offene Herdstelle, im Kamin darüber der rußige Haken, an dem die Kochtöpfe ins Feuer gehängt wurden. Neben der Feuerstelle ein steinerner Waschtrog, eine seiner Wände, hochgezogen und quer gerillt, hatte als Waschbrett gedient. Von der Decke hing ein Draht, an dessen Ende eine kaputte Glühbirne baumelte. Sonst war da nichts mehr. Nicht, dass man dies dem Raum ansah, aber in alten toskanischen Bauernhäusern geht es immer von der Küche in die gute Stube des Hauses. Und von dort in die Vorratskammer und von dieser in den Stall. So war es auch hier. In der Vorratskammer stand ein riesiges Tongefäß, eine Coppa, in der das Olivenöl aufgehoben worden war, eingeritzt im Ton die Jahreszahl 1870, und am Boden des Gefäßes noch zwei fingerhoch Öl. Genießbar.
Im Stall lag Stroh, aber es roch nicht mehr nach Stall. Da hatten schon lange keine Tiere mehr gestanden. Zurück in die Küche. Zwischen ihr und der Cantina führte eine Steintreppe in den ersten Stock. Vierzehn Stufen, dann stand man unter dem steil aufragenden Dachstuhl in einem großen Raum mit altem Ziegelboden. Die satte dunkle Farbe der Ziegel verriet, dass hier Oliven gespeichert worden waren, Jahr um Jahr, so wie die Ernte eingebracht wurde, abgestreift und abgeschlagen von den bizarren Olivenbäumen in die darunter ausgebreiteten Netze, in Butten heimgetragen und gelagert, bis die Menge groß genug war, um die Säcke zu füllen zum Transport in die Ölmühle.
Bog man aber von der Treppe nach der anderen Seite des Hauses, betrat man dessen wohl ältesten Teil, der ein Turm gewesen sein musste. Drei kleinere Zimmer, hier hatten sie geschlafen, die Bauern, und ihre Familien waren nicht klein. Einer der letzten Bewohner des Hauses hatte sich ein wenig Komfort geleistet, die Wand durchbrochen und an der Außenseite ein Plumpsklo angeklebt. Die Wände zeigten dicke Sprünge, durch einen konnte man sogar den Himmel sehen. Über den Zimmern gab es noch einen Dachboden. Als wir ihn betraten, löste sich ein Dutzend Fledermäuse von den Dachbalken. Aber sie flohen nicht, sondern verteidigten ihr Zuhause gegen uns Eindringlinge, indem sie uns immer wieder wütend anflatterten.
In einem Teil des Dachbodens hingen Drähte von der Decke mit Drahthaken. Hier wurden die Trauben zu Rosinen getrocknet, aus denen dann der süße Wein gepresst wird, den die Bauern „Vin Santo“ nennen, wohl, weil die Pfarrer die kräftige Trockenbeerauslese dem leichten Rebensaft dieser Gegend als Messwein vorzogen. Beugte man sich aus den offenen Bodenfenstern, blickte man auf das Dach und den Schornstein eines großen, gemauerten Brotbackofens. Hob man den Blick, stand man verzaubert da: Da war sie wieder, die ganze Pracht der Toskana mit ihren Hügeln und Dörfern und Campanile und Villen, ihren Pinien und Zypressen und ihren Wäldern von Edelkastanien.
Als wir wieder vor dem Haus standen, sahen wir einander fragend an. Was war davon zu halten? „Wenig“, meinte ich. „Viel“, meinte meine Frau. „Alles“, meinten unsere Gastgeber. Ein derart schönes Haus werde man nicht bald wieder finden. – Aber es ist doch eine Ruine oder doch beinahe eine. – Keineswegs. Die paar Risse ließen sich leicht wieder zusammenschrauben, tatsächlich mit meterlangen Schrauben, die von Wand zu Wand gespannt werden. Zu beachten hingegen seien die zumindest drei verschiedenen Bauphasen, in denen man das Haus offenbar in Abständen von vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, errichtet hatte. Das ergäbe die vielen Winkel und Stufen, die verschieden hoch gelegenen Ebenen der Fußböden und der Balkendecken, die reizvolle Verschränkung mehrerer Dächer.
Selbst die Scheune mit ihrem Schweine- und Hühnerstall hatte Stil. Das Haus, erklärte unser Gastgeber, müsse man schon wegen der einzigartigen Zitronenbäume kaufen, die als dichtes Spalier seine Wände bedeckten. Aber den Ausschlag gab dann ein Fund zwischen den Brennnesseln auf dem verrotteten Misthaufen im Hof. Da standen dicht gedrängt ein Dutzend Parasolpilze von einer Größe, Dicke und Gesundheit, wie wir sie alle noch nie gesehen hatten. Für Pilznarren wie wir ein fast zwingendes Omen.
Im Übrigen ließ man uns kaum noch eine Wahl: Bei dem nächsten Nachbarn erfuhren wir, welchem „Padrone“ das Haus gehörte, einem Conte Anzilotti, dem hier alle Häuser gehörten und auch alle Olivenbäume und Weinstöcke dazwischen. Aber obwohl die meisten Bauern, die hier zuerst als Halbsklaven, dann als Pächter in diesen Häusern gewohnt hatten, in die Industrie abgewandert seien, habe der Conte bisher keines der Häuser verkauft. Außerdem sei er kaum jemals da. Seine Villa stünde zwar nicht weit von hier, aber er wohne in Florenz und komme nur alle heiligen Zeiten einmal vorbei. Und selbst dann bekäme ihn kaum jemand zu Gesicht. Er sei alt und menschenscheu.
Doch die Kette der Zufälle riss nicht ab. Wir fuhren zu der Villa, das Tor stand offen, der Conte war da und sogar bereit, mit uns zu reden. Das Haus, meinte er, das Haus sei nicht zu haben. Weil erstens ihm die Idee eines Verkaufs gar nicht erst kommen würde. Weil zweitens er erst seine Töchter fragen müsste, ob sie damit einverstanden wären, dass er sie um einen, wenn auch zugegeben kleinen Teil ihres Erbes sozusagen bringe, indem er es verkaufte, wobei er das Geld solcherart noch vor seinem Tod auch durchbringen könnte. Man müsse verstehen, meinte die graue dürre Gestalt in dem großen Lehnsessel mit abgeschabtem Seidenbezug, dass die Töchter in Anbetracht solcher Auspizien ihre Zustimmung gewiss verweigern würden. Und drittens würde er auch nicht verkaufen, weil er schon einmal einen Preis für das Haus genannt hatte, das sei vor zehn Jahren gewesen, als sich ebenfalls jemand für das Haus interessierte, und dieser Preis sei damals als zu hoch zurückgewiesen worden. Er sei doch kein Wucherer! Niemals werde er daher je wieder einen Preis nennen, denn er lasse seine Preise nicht als zu hoch zurückweisen.
Erleichtert wollte ich mich schon mit Dank empfehlen – erleichtert, denn mittlerweile war mir vor diesem doch sehr plötzlichen Hauskauf recht unheimlich zumute geworden. Doch der uns begleitende, mit unseren Gastgebern befreundete Bauer, der uns zu dem Haus geführt hatte, dachte gar nicht daran, so schnell aufzugeben. Und nach zehn Minuten zähen Argumentierens hatte er den Conte so weit, dass dieser bereit war, zumindest zu sagen, welchen Preis er vor zehn Jahren für das Haus verlangt hatte. Es war ein niedriger Preis.
Zu unserer Überraschung aber meinte der Conte, er wolle von uns gar keinen Kommentar zu diesem Preis hören, denn wir würden ihn heute wohl genauso wenig akzeptieren, wie er vor zehn Jahren vom damaligen Interessenten akzeptiert worden sei. Sollten wir das so verstehen, dass der Preis heute noch derselbe sei wie damals? Wie denn sonst! Bei ihm gäbe es kein Handeln, weder hinunter noch hinauf. Also fänden wir den Preis ganz in Ordnung? Ja. Ob er da nicht doch mit seinen Töchtern reden könnte, wir wären sehr interessiert. Nun, das müsse er sich noch überlegen. Und selbst wenn er es täte, glaube er nicht, dass sie damit einverstanden wären. Sollten sie es aber wider Erwarten doch sein, so würde er morgen um zehn Uhr vormittags zu uns hinüberkommen, bereit, zum Notar zu gehen. In diesem Fall erwarte er zehn Prozent Anzahlung bei Unterschriftleistung unter den Vorvertrag, den Rest in drei Monaten bei Unterzeichnung des Vollvertrags. Sagte er und entließ uns mit einer Handbewegung, so, als sei seine Geduld mit uns nun endgültig zu Ende. Es war eine Nacht des Bangens. Ich wünschte inständig, der Conte würde um zehn Uhr nicht erscheinen. Was sollten wir denn mit einem Haus in der Toskana, noch dazu mit einer – da ließ ich mich nicht bekehren – Halbruine. Meine Frau wünschte inständig, der Conte würde Punkt zehn Uhr vor der Tür stehen, das Haus hatte sie bereits völlig in seinen Bann gezogen. Unsere Gastgeber wünschten von unseren Überlegungen nichts mehr zu hören: Die Entscheidung liege nicht mehr bei uns, käme der Conte, werde gekauft, käme er nicht, wäre das leider sehr traurig. Doch auch wenn der Preis, wie alle meinten, sehr vorteilhaft sei, so hätte ich doch die Anzahlung nicht bei mir, versuchte ich sachlich dagegenzuhalten. Keine Sorge, die Anzahlung strecke man uns gerne vor, boten die Gastgeber an. Dennoch könnte ich mich gegen einen Kauf entscheiden, meinte ich, kein Vertrag, kein Kaufzwang. Falsch, wir hätten den Preis akzeptiert, somit einen Vertrag geschlossen. Aber der Conte habe sich seine Entscheidung doch noch offen gelassen. Er ja, wir nicht. Argumentieren half da nichts mehr, nur noch hoffen.
In dieser Nacht hoffte jeder von uns auf etwas anderes.
Um Punkt zehn Uhr stand der Conte vor der Tür.
Um elf Uhr beglaubigte uns der Notar, dass wir soeben ein Haus gekauft hatten, von dessen Existenz wir vor 48 Stunden noch keine Ahnung gehabt hatten. Da war uns erst das Benzin auf der Autobahn ausgegangen.
Chi crede d’ingannare il Dio, inganna se stesso.
Wer glaubt, Gott zu betrügen, betrügt sich selbst.
Wir sind lange gegangen, Hand in Hand, weil die Nebelschwaden, die uns umhüllten, so dicht waren, dass wir kaum den Weg sahen. Doch da war ein Weg – unsere Füße spürten ihn. Manchmal drehten wir uns ängstlich um, aber hinter uns war nichts. Ein weißes Nichts, wie eine undurchsichtige Wolke.
„Wir sind im Niemandsland“, sagte mein Mann.
„Ja“, sagte ich und hielt seine Hand fester.
Plötzlich, ganz ohne Warnung, war der Nebel verschwunden, und wir standen allein auf einem Hügel. Um uns herum endlose Wolkenberge. Darunter ahnte ich die Erde.
Wie in einem Zeichentrickfilm segelte unverhofft eine rosarote, duftige Wolke heran und blieb vor uns stehen. Aus ihr sah uns Gott an. Wir kannten ihn aus Kirchengemälden. Er trug einen weißen Bart und ein himmelblaues Gewand, wie es sich gehörte.
Wir waren erstarrt. Gott ist nachdenklich, dachte ich. Er ist menschlich, aber auch nicht, er ist göttlich, aber auch nicht. Ich spürte, wie er in unsere schwarzen Seelen blickte.
„Ich brauche eine Zwischenbilanz“, sagte Gott plötzlich sehr nüchtern und eher ungöttlich.
„Ja, die brauche ich auf jeden Fall, bevor wir abrechnen!“
Dieser menschliche Jargon, dachte ich. Aber warum sollte Gott denn nicht mit unseren modernen Vokabeln vertraut sein, er ist doch allwissend. Weshalb sollte Gott nicht auch Worte wie Zwischenbilanz und Abrechnung kennen? Gott sah mich durchdringend an. Mir schien überhaupt, dass er für meinen Mann viel sanftere Blicke hatte als für mich.
„Also“, sagte Gott, „sprechen wir von eurem Leben. Bis jetzt scheint mir, dass ihr mehr oder minder dieselben Fehler begangen habt wie die meisten Menschen. Da war viel Leichtsinn, viel sündige Gedankenlosigkeit und wenig Respekt für mich – aber lassen wir das. Jetzt scheint ihr an einem gefährlichen Wendepunkt angelangt zu sein. Es ist nicht üblich, dass ich mich einmische, aber in eurem Fall will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und euch ernstlich warnen, bevor es zu spät ist!“
Das Letztere fügte Gott hinzu, als wäre es schon bald zu spät. Mir blieb das Herz stehen.
„Ihr habt einen Bauernhof gekauft.“
Wir nickten beide. Worauf sollte das hinaus?
„Wie groß ist er?“
„Ungefähr vier Hektar“, sagten wir wie aus einem Munde. Aber wir wissen, dass Gott das ja weiß, also ist die Frage eine Art Anklage.
„Ungefähr? Heißt das, dass ihr das nicht genau wisst? Was baut ihr an?“
„Oliven, Wein, Obst und Gemüse.“
„Versteht ihr etwas davon?“
Wir sahen einander entsetzt an. „Nicht genug“, sagten wir. Gott kann man nicht belügen.
„Habt ihr Betriebswirtschaft gelernt?“
Wir erstarrten. Gott und die Betriebswirtschaft!
Wir stotterten: „Nein.“
Ist Gott wirklich allwissend? Ein strafender Blick traf mich.
„Wisst ihr, dass nicht nur jeder Grashalm und jeder Baum, sondern auch jeder Käfer und jede Schlange und sogar die Skorpione auf eurem Grund mir gehören? Wisst ihr, dass euch eigentlich gar nichts gehört? Alles in eurer Hand ist nur ein Lehen.“
Ich dachte, jetzt wird Gott mittelalterlich. Aber mir war klar, worauf das alles hinaus wollte, und ich begann mich zu fürchten.
„Ihr habt dieses Land gekauft, aber ihr wusstet nicht, wie groß die Verantwortung ist, die ihr da übernommen habt! Stimmt es nicht, dass eure Olivenbäume nicht immer rechtzeitig gepflegt werden und dass dadurch schon einige einen jämmerlichen Tod sterben mussten, der gar nicht notwendig war?“
Wir nickten traurig. Gottes Auge ist überall, dachte ich und erinnerte mich an einen Spruch in meinem Stammbuch. Vor mir funkelte plötzlich auf Gottes Stirn das allwissende Auge, dreieckig, groß und sehr böse.
„Das allein verdient schon viele Jahre Fegefeuer“, sagte Gott. „So ein Leichtsinn.“
„Ja“, sagten wir. Was hätten wir sonst sagen sollen?
„Ich werde euch eine Frist von fünf Jahren geben. Bis dahin will ich Resultate sehen! Resultate!“, grollte seine Stimme durch die Wolken und schwoll an wie Donner. Blitze zuckten um uns herum. Ich versteckte mich hinter meinem Mann, wie es einst Eva getan hatte – ohne Erfolg. Das Auge durchdrang mich.
„Im Schweiße deines Angesichtes sollst du arbeiten. Versteht ihr das? Denn wenn ihr jetzt nicht schwitzt, dann müsst ihr später schwitzen! Ihr wisst schon, was ich meine.“ Gott zwinkerte mir zu, er hatte einen göttlichen Witz gemacht. Wir hatten ihn verstanden.
„In fünf Jahren werdet ihr gelernt haben, alles selbst zu pflügen, zu säen, zu schneiden, zu spritzen und zu ernten. In fünf Jahren wird euer Stückchen Erde eine Augenweide sein. Wenn nicht …“ Gott aber wollte nicht nur drohen. Und deshalb fügte er etwas milder hinzu: „Geht rasch an die Arbeit, fünf Jahre sind eine kurze Zeit!“
Damit drehte sich Gott plötzlich um und wandte sich einem anderen Menschenpaar zu, das aus dem Nichts unvermittelt auf der anderen Seite der Wolke erschienen war.
Wir waren entlassen. Zwischenbilanz negativ.
Mein lieber, praktischer Mann meinte, als wir dann zusammen wieder vom Nebel verschlungen wurden: „Am besten, wir verkaufen das Ganze gleich einem, der wirklich etwas davon versteht und die Sache richtig macht.“
Da schrie ich, und die Wolken rund um mich hallten wider von meinem Schrei: „Nein, nein, nie werden wir dieses gottvolle Stückchen Erde verkaufen. Und wenn ich 100 Mal selbst mit dem Pflug gehen müsste und dabei umfalle und mir alle Knochen bräche, wenn ich mir beim Sägen die Finger abschneide und weiß Gott, ich meine, weiß der Himmel, ich meine, das ist ja gleichgültig. Nein, nein, wir dürfen nicht aufgeben!“ Und ich schrie und schrie, bis ich schweißgebadet aufwachte.
Il fabbricare è un dolce impoverire.
Bauen ist eine süße Art, ärmer zu werden.
Es ist interessant, dass unser Haus für jeden etwas ganz anderes zu sein schien, als wir es zum ersten Mal sahen. Mein Mann sah nur eine Ruine, vor der ihm eher schauderte, besonders wenn er daran dachte, was da noch zu tun war, um daraus auch eine menschliche Behausung zu machen. Er sah die hässlichen, halb verputzten Wände, den verfallenen, schmutzigen Ziegenstall, das aus der Scheune quellende verfaulte Stroh und die triste Fassade.
Er sah den öden Hof aus gestampfter Erde, und im Hause drinnen sah er nur die grauschwarzen Wände, den halb zerstörten Kamin und unzählige Mäusespuren und die Fledermäuse. Die beiden Wespennester unter dem Dach entgingen ihm nicht, noch der modrige Geruch, den es in alten Häusern gibt, die lange nicht bewohnt waren. Die Fensterstöcke waren zum Großteil herausgebrochen und die meisten Türen nicht mehr zu verwenden. Das alles sah er.
Ich aber sah etwas ganz anderes. Ich sah die traurige Fassade und dachte sofort, dass man da einiges tun musste, um dem Ganzen ein freundlicheres Gesicht zu geben. Vielleicht eine Arkade, wie sie viele Häuser hier haben. Ich sah die vielfältigen Dachkonstruktionen, die im Laufe von Jahrzehnten, ja wahrscheinlich Jahrhunderten, entstanden waren. Ich sah vor allem die Einmaligkeit der Lage, denn von der Terrasse vor dem Haus sah man hinüber auf sanfte toskanische Hügel und dahinter die Pisaner Berge.
Das Haus lag in einem großen Olivenhain, der zu dieser Jahreszeit – es war November – silbrig glänzte. Ich sah die Pracht der beiden Zitronenbäume, die auf der Terrassenseite des Hauses als Spalier an der Wand standen, aber sie gefielen auch meinem Mann und allen, die je unser Haus gesehen haben.
Die Scheune ließ mich in Entzückungsrufe ausbrechen, denn im Geiste sah ich schon daraus ein schönes Nebenhaus werden. Im Haus selbst sah ich die großen Bottiche, in denen einst Wein gekeltert wurde, und das herrliche Mauerwerk aus uraltem Stein. Das war die Cantina, der Weinkeller, denn in der Toskana waren die Keller immer ein Teil des Wohnhauses und ebenerdig.
„Was sollte man denn aus der Cantina machen?“, fragte mein Mann zweifelnd, und ich antwortete, ohne nachzudenken: „Das wird unser Wohnzimmer.“
Dabei hatten wir das Haus bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesehen und wussten auch nicht, ob es überhaupt zum Verkauf stand. Für meinen Mann waren die Geister dieses Hauses abweisend, während sie für mich einladend waren. Das ist ein gutes Haus, dachte ich, hier kann man leben. Der zerfallene Kamin in der Wohnküche schüchterte mich nicht ein, noch störten mich die Mäusespuren, im Gegenteil, die fand ich eher lustig – schließlich waren wir ja auf dem Land! Natürlich müsste man den Kamin wegreißen, denn der war wirklich nicht mehr zu verwenden. Aber das war kein Grund zum Verzweifeln! Ich sah die herrlichen alten Ziegelböden, die fast durchwegs noch zu gebrauchen waren, und bei mir lagen da schon Woll- und Flickenteppiche darauf, die dem Haus etwas mehr Freundlichkeit geben würden. Als wir in den ersten Stock stiegen, konnte auch mein Mann nicht umhin, sich an der herrlichen Aussicht zu begeistern. Von hier sah man hinaus in die Ebene durch ein stilles Tal mit Zypressen, Pinien und Olivenhainen. Herrschaftliche Villen standen da unten, und über allem lag ein zarter Herbstnebel, der alles verzauberte.
„Das Wespennest bringt Glück“, sagte ich.
„Du bist nicht objektiv“, sagte mein Mann. „Das Haus ist eine Ruine!“
„Aber schau doch, wie schön diese alten Balken an den Decken sind! Und die Steintreppen! Hast du je etwas so Schönes gesehen?“
Also, wir waren keineswegs einer Meinung.
Eine dritte Meinung hatte später der Baumeister, als er das Haus zum ersten Mal sah, denn er sagte trocken: „Am besten, wir reißen es ab, da kann ich Ihnen um weniger Geld ein neues bauen, das nach etwas aussieht.“
Als wir das Haus gekauft hatten, berieten wir mit einem Wiener Architekten, ob er uns beim Umbau helfen könnte. Für mich war ein Architekt, mit dem ich mich auf Deutsch verständigen konnte, unbedingt notwendig, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich mit einem italienischen Baumeister mit meinen damaligen Kenntnissen der Sprache auskommen sollte. Zudem ist hinzuzufügen, dass mein Mann, als das Haus gekauft war, zu mir sagte: „Nun, das ist dein Baby. Ich kann die nächsten Monate nicht hier verbringen und den Bau beaufsichtigen. Ich schlage vor, du nimmst gleich Italienisch-Stunden, und sobald du dich halbwegs verständigen kannst, suchst du einen Baumeister, und dann können wir anfangen, umzubauen.“
Allein sollte ich das also machen? Es schien mir plötzlich nicht mehr ganz so lustig wie früher, als ich so gedrängt hatte, das Haus zu kaufen.
In der Nacht schlief ich sehr schlecht. Immer wieder träumte ich, dass ich vor vielen Menschen eine Rede in Italienisch halten musste und dass ich kein einziges Wort herausbrachte.
Bei meinem Mann war das anders, der hatte in der Nacht vor dem Hauskauf nicht schlafen können. Jetzt, wo die Sache beschlossen war, war er ganz ruhig. Er verließ sich auf mich. Ich wusste damals nicht, ob ich mit der Sprache wirklich zurechtkommen würde. Es war aber nicht so schlimm, wie ich dachte, denn ich fand einen sehr tüchtigen Lehrer, der mich nicht schonte und mich wie ein Schulkind Grammatik lernen ließ und mit mir Vokabeln paukte. Ich glaube, ich konnte nach den ersten zehn Stunden mehr als heute, wo ich zwar schon alles verstehe und ziemlich fließend spreche, aber noch immer arge Grammatikfehler mache, die mir mein Lehrer nie hätte durchgehen lassen.
Im Januar hatte der Architekt Zeit, in die Toskana zu fahren, und so war ich gezwungen, mit meinen damaligen mageren Kenntnissen auszukommen. Ich wohnte im Hotel Centrale am Hauptplatz der nahen Stadt und begann gleich an Kellnern und Dienstpersonal mein Italienisch auszuprobieren, mit dem Resultat, dass mir alle helfen wollten, indem sie ihre paar Brocken Englisch oder Deutsch präsentierten. Ich bat sie, mir stattdessen zu helfen, wenn ich etwas falsch sagte, aber dazu waren sie zu taktvoll. Nun, so ging es nicht.
Der Architekt kam mit zwei Mitarbeitern an einem nebligen Januartag. Ich wartete gespannt, was er zu dem Haus sagen würde, denn davon hing ja seine Bereitschaft ab, es umzubauen. Wir fuhren über die schlechte kleine Straße durch die Olivenhaine, und da merkte ich schon, dass sich die Stimmung im Auto merklich besserte. Ein Olivenhain ist für das mitteleuropäische Auge eine ganz besondere Sache. Er erzeugt Farben und Stimmungen, wie wir sie in unseren Gärten und Wäldern nicht kennen. Es ist etwas Geheimnisvolles daran, das niemand versteht, der es noch nicht gesehen hat. Ich nehme an, es ist das unglaubliche Alter der Bäume – manche sind über 200 Jahre alt – und ihre seltsam bizarren Stämme, die bei jedem Wetter anders aussehen. Im Winter sind sie am schönsten, wenn der Nebel in ihnen wie ein Schleier hängt.
Als wir beim Haus ankamen, zwang ich mich, nicht gleich Fragen zu stellen, und ließ es erst einmal langsam von den geübten Augen dreier Fachleute bestaunen. Niemand sagte etwas. Ich öffnete nach einem Rundgang um die äußeren Mauern des Hauses die Tür und ließ die drei ein. Ich führte sie schweigend herum, und sie machten es sehr spannend, indem auch sie schwiegen.
Als wir wieder unten in der Cantina angekommen waren, sagte der Architekt nur: „Das machen wir.“
Seine Mitarbeiterin sagte: „Es ist prachtvoll.“ Der zweite Mitarbeiter aber meinte, so etwas habe er noch nie gesehen, was eigentlich offen ließ, ob es ihm gefiel oder nicht.
Es wurde nicht viel Zeit versäumt. Die drei machten sich sofort an die Arbeit, zückten ihre Maßstäbe und Notizblöcke und begannen alles auszumessen. Ich geleitete mal den einen, mal den anderen hierhin und dorthin, aber es war mir nicht klar, was da vor sich ging. Jeder Winkel, und da gab es sehr viele und kaum einer war ein rechter Winkel, wurde vermessen. Erst bei Einbruch der Dunkelheit wurde aufgehört. Noch nie hatte ich eine derart komplizierte Arbeitsleistung gesehen, und noch nie eine, die so schweigsam und so vollständig koordiniert vor sich ging. Ich wollte den Architekten verschiedene Dinge fragen, aber er meinte, man könne nichts besprechen, bevor nicht alles ausgemessen wäre.
Die vielen Pläne, die daraus entstanden, waren ein solches Meisterwerk an Präzision, dass später ein ganzes Konvolut davon von der noch offenen Baustelle entwendet wurde. Wir suchen seither immer das Haus in der Gegend, das genau nach unseren Plänen nachgebaut worden ist. Wozu sonst konnte jemand diese Pläne brauchen?
Unser Haus war ganz augenscheinlich in drei verschiedenen Bauperioden entstanden und hatte deshalb auch vier verschiedene Dächer, wenn man die Scheune dazuzählt, die erst später errichtet worden war. Dem Architekten gefiel das Haus außerordentlich. Es war nicht nur ein ihm wenig bekannter Stil, er spürte auch die Atmosphäre dieses alten Hauses.
Ich wusste nicht, wie man einen Baumeister finden konnte. Aber es bot sich bald einer von selbst an, der in der Gegend ansässig war. Er wohnte in einem kleinen Straßendorf am Fuß unseres Hügels, und dort hatte man natürlich schon längst davon erfahren, dass irgendwelche Ausländer ein Haus gekauft hatten.
Einen Baumeister allein zu finden, wäre sehr schwierig gewesen. Als ich ihn das erste Mal sah, gefiel er mir gut, auch wenn aus ihm nur herauszubringen war, dass er unser Haus am liebsten abreißen würde.