Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für Sandro, Sabina und Filippo

ISBN 978-3-492-97284-0

März 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Coverabbildung: Santi Luca e Martina mit Blick auf das Forum Romanum (Ingo Boelter/Mauritius Images)

Karte: cartomedia, Karlsruhe

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht.

Vorwort

oder: Willkommen in der Welthauptstadt der Skeptiker

No nun te lasso mai
Roma capoccia der mondo infame

Antonello Venditti

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ich von einem deutschen Radiosender interviewt. Die römische Stadtregierung war gerade zurückgetreten, bei dem Interview ging es um die Hintergründe, nämlich Korruption und Amtsmissbrauch. In ungefähr fünf Minuten sollte ich den Hörerinnen und Hörern also die politische Lage in der italienischen Kapitale erklären. Irgendwann unterbrach mich die Moderatorin und sagte: »Sie lieben Rom aber trotzdem.« Es klang weniger wie eine Frage als wie eine Feststellung, ja ein letztinstanzliches Urteil. Ich weiß gar nicht, was mich mehr verblüffte, das »trotzdem« oder das »lieben«. Und ziemlich kläglich warf ich ein, das würde ich dann doch lieber etwas vorsichtiger formulieren. Das war’s auch schon, es kam Musik. Erst später ging mir auf, dass man in Deutschland offenbar Rom nicht als eine normale Metropole betrachtet. Denn würde man angesichts eines Korruptionsskandals in Zürich oder Amsterdam einen Journalisten fragen, ob er die Stadt, in der er lebt und arbeitet, liebt? Und dann fiel mir noch ein, dass meine Entgegnung auf die seltsame Frage typisch römisch gewesen war. Öffentliche Liebeserklärungen für diesen Haufen alter Steine und kecker Kuppeln? Na, wir wollen hier aber bitte nicht peinlich werden. Wir Römer.

Wir hätten es nämlich im Prinzip immer gern eine Nummer kleiner. Weil wir dem Pathos und den Superlativen nicht trauen, die sich seit jeher über unsere Stadt ergießen, um ihre Schönheit zu beschreiben, ihre Grandezza, ihre Ewigkeit. Vielleicht, weil damit immer nur Rom gemeint ist, während sich für die Römer eigentlich niemand interessiert. Goethe war nicht der Erste und nicht der Letzte, der sich von Roms Kunstschätzen und den »unendlichen, obgleich überreichen Trümmern« seiner vieltausendjährigen Geschichte überwältigt zeigte, gleichzeitig jedoch aus seiner Geringschätzung für die Römer keinen Hehl machte. Er erwähnt sie in seinen römischen Tagebüchern nur am Rande, lieber verbreitet er sich über antike Statuen und Monumente. Heute existiert eine spezifisch deutsche Italienliteratur, in der es sich genau umgekehrt verhält, denn vor der großartigen Kulisse werden nun ausführlich die Italiener im Allgemeinen und die Römer im Besonderen als putzig-liebenswertes, melodramatisch-aufgeregtes Völkchen beschrieben, das zur Ernsthaftigkeit ebenso wenig fähig ist wie zur echten Tragödie. Als sei die Stadt losgelöst von ihren Menschen, als sei Rom nicht von den Römern geformt, sondern stehe gleichsam über ihnen. In dem »trotzdem«, das mir die Radiofrau hingeworfen hatte, klang genau das mit, die Unterscheidung zwischen der erhabenen Stadtlandschaft und den Niederungen ihres Alltagslebens. Wenn auch die Römer durch den Korruptionssumpf waten, Rom kann man dennoch lieben.

Diesen Unterschied gibt es natürlich nicht. Es existiert kein Rom ohne Römer, genauso wie es keine Römer ohne Rom gibt. Die Stadt und ihre Bewohner bilden vielmehr einen einzigartigen Kosmos, entstanden in einer fast dreitausendjährigen Geschichte; einen Kosmos, der kein Museum bildet, sondern eine bedeutende europäische Metropole. Mit der Besonderheit, dass Rom als doppelte Hauptstadt fungiert – die der Republik Italien und die der katholischen Christenheit.

Erst seit gut 150 Jahren existiert innerhalb des römischen Stadtgebietes ein Kirchenstaat, eigenständig natürlich, aber doch keineswegs isoliert. Der Vatikan ist der kleinste Staat der Welt, umgeben von einer multikulturellen Großstadt. Über viele Jahrhunderte waren die Päpste die Herrscher von Rom und die Römer ihre nicht immer duldsamen Untertanen. Das hat die Stadt wie die Städter geprägt. Aber heute wächst der Abstand zusehends, und zwar nicht nur, weil Rom neben der Peterskirche auch eine der größten Moscheen des Kontinents beherbergt. Genau wie das übrige Europa hat sich auch die einstige Stadt der Päpste von der Religion entfernt. Die Zahl der Kirchgänger ist hier nicht höher als anderswo, und in manchen Gemeinden wirken längst ausländische Pfarrer, weil kaum noch junge Italiener Priester werden wollen.

Das Leben in Rom unterscheidet sich also in manchen Aspekten nicht von dem in Köln oder Berlin. Aber etwas ist anders: Man schwimmt hier unweigerlich im Fluss der Geschichte. Wohin man auch blickt, andere haben ihre Zeugnisse hinterlassen, wohin man auch geht, man wird kaum der Erste sein. Schwierig, so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Noch schwieriger, sich bemerkbar zu machen, selbst Zeichen zu setzen. Die Stadt ist nicht gelähmt, aber träge. Und ihr Phlegma ist wahrscheinlich das Fundament für ihre Überlebensfähigkeit. Was auch geschieht, es geht immer weiter. Egal, ob man selbst dazu beiträgt oder nicht.

Man lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Und man pflegt gegenüber dem Leben und seinen Unwägbarkeiten eine gesunde Skepsis. Der Fanatismus ist den Römern fremd, die leise Ironie ihr hervorstechender Wesenszug. Und bloß nicht so wichtig nehmen bitte, wer will sich denn aufplustern vor all diesen Ruinen! Eine kleine Szene aus einem Tabakgeschäft in der Via Merulana zwischen Santa Maria Maggiore und dem Lateran. Ein Ladenloch, in dem man auch Lotterielose, grobes Meersalz und Briefmarken erwerben kann, also im weiteren Sinne staatliche Handelsgüter: An diesem Morgen sind neben dem Besitzer ein stämmiger Mittfünfziger und eine winzig kleine, uralte Frau zugegen. Alle drei rauchen und paffen, was das Zeug hält, bei großzügig ignoriertem Rauchverbot und sorgfältig geschlossener Ladentür. Der Stämmige liest das Mitteilungsblatt der Carabinieri. Die winzige Frau füllt konzentriert ihren Lottoschein aus, dafür braucht sie zwei Zigarettenlängen. Dann reicht sie den Schein dem Tabakhändler und flüstert: »Vielleicht wird es endlich was. Ich spiele schon fast 70 Jahre, weißt du. Und nie kommt was rein. Langsam dämmert mir, ich bin ein Verlierertyp.« Da kommt es laut dröhnend von dem Stämmigen: »Ich muss doch bitten, schöne Frau. Wir sind hier alle Verlierer!«

Das ist Rom. Abgeklärt und desillusioniert, aber deshalb nicht herzlos. Keine Angst, man kann sich in dieser Welthauptstadt der Skeptiker sehr wohlfühlen, vielleicht sogar zu Hause. Aber erwarten Sie jetzt bitte keine Gebrauchsanweisung. Wie sollte das denn gehen: Rom gebrauchen? Mit ein paar griffigen Spielregeln erfassen, wie diese Stadt lebt, wie sie atmet, wie man sich in ihr bewegt? Und auch, wenn Sie von Piazza zu Piazza geführt werden – dieses Buch ist kein Reiseführer, denn davon gibt es nun wirklich mehr als genug. Vielmehr ist jeder Platz Ausgangspunkt für eine imaginäre Wanderung durch das römische Innenleben. Manche Orte und die an sie geknüpften Gedankenspaziergänge sind gegenüber älteren Auflagen verschwunden, neue sind hinzugekommen. Denn die Stadt verändert sich, und ich habe mich natürlich auch verändert, nachdem ich in ihr mehr als die Hälfte meines Lebens verbracht habe. Eine Lebenshälfte, in der ich zur Römerin mutierte, obwohl ich immer noch keinen italienischen Pass besitze. Wir Römer sind allergisch gegen Bürokratie.

Übrigens ist – die Bemerkung sei an dieser Stelle erlaubt – der Begriff Deutschrömer hochinteressant. Weil er einzigartig ist. Es gibt keinen Deutschlondoner und keinen Deutschpariser, von einem Deutschmoskauer oder einem Deutschnewyorker ganz zu schweigen. Dabei haben in all diesen Städten stets Deutsche gelebt, vielleicht sogar mehr als in Rom. Aber in Rom empfanden sich die Deutschen als eher zugehörig als in anderen Städten. Sie eigneten es sich an. Und grenzten sich gleichzeitig ab von den übrigen Römern.

Heute ist der Begriff endgültig anachronistisch, denn in der Vielvölkerstadt gibt es Deutschrömer und Frankorömer ebenso wie Römer aus Indien, China, Syrien, Rumänien und Russland. Es sind neue und gleichzeitig uralte Römer, kamen doch im wahrhaft kosmopolitischen Weltreich der Antike nicht nur die Gladiatoren, sondern die Cäsaren selbst aus Nordafrika oder vom Balkan.

Rom ist weltläufig, Rom ist modern, Rom ist nirgends nur Kulisse, noch nicht einmal in der Altstadt, wo immer weniger Menschen leben. Rom ist nicht Caput Mundi, Haupt der Welt, aber auch nicht capoccia der mondo infame, die »Birne eines Kosmos der Niederträchtigkeit«, wie es in einem gleichnamigen Lied des cantautore, Liedermachers, Antonello Venditti heißt – dass »Roma capoccia« zur inoffiziellen Stadthymne avancierte, sagt natürlich viel aus über die grenzenlose Selbstironie der Römer. Man darf sich von all der Geschichte, all der Größe, all dem Genius eben auch nicht erdrücken lassen.

Mit Rom fertigzuwerden ist auch für die Römer schwierig. Denn entweder versucht man, alles zu ergründen, wühlt sich durch Kilometer von Literatur und hat am Ende doch nur die Hälfte verstanden. Oder man verzichtet von Anfang an darauf, will gar nicht erst wissen, was sich hinter all den Palazzi verbirgt, den vielen Kirchen, den Kaiserforen, und begreift natürlich erst recht nichts. So wie jenes gut gekleidete römische Paar um die 30, das sich in einer kalten Novembernacht auf der Via dei Fori Imperiali wiederfand und vollkommen die Orientierung verloren hatte. »Wir sind auf der Forenstraße«, sagte er, hob den Blick vom Smartphone und wies auf das Forum Romanum. »Dieses Forum, dieses verdammte Forum«, schimpfte sie und schüttelte den Kopf mit den gepflegten langen Haaren. »Wozu war das eigentlich nütze?«

Solch grundsätzliche Fragen kann der vorliegende Band leider nicht beantworten. Aber vielleicht kann er dazu führen, dass Sie Rom und die Römer am Ende ein wenig mögen und verstehen. Trotzdem.

Piazza Navona

Die größte Bühne der Stadt

Im Weltdorf Rom ist die Piazza Navona so etwas wie der zentrale Dorfplatz. Egal, woher man kommt und wohin man geht, am Ende trifft sich alles hier, auf einer Piazza ohne überragende Sehenswürdigkeiten. Sicher, es gibt zwei Kirchen, aber an welcher römischen Piazza stehen die denn nicht – mal abgesehen vom Campo de’ Fiori, wo noch im Morgengrauen des 17. Jahrhunderts der Naturforscher und Philosoph Giordano Bruno verbrannt wurde? Und es stimmt, die Piazza Navona hat drei Brunnen, aber auch das sind, bei allem Größenwahn von Gian Lorenzo Berninis Vierflüssefontäne eigentlich drei unter vielen. Für die wuchtigen, aber schmucklosen Adelspaläste gilt das erst recht. Kirchen, Brunnen, Palazzi, und fertig ist ein römischer Platz. Was also hat diese Piazza, das die anderen nicht haben? Warum quillt sie die meiste Zeit des Jahres über von Touristen und mehr oder weniger talentierten Straßenkünstlern, wieso schlendern selbst die Römer abends und am Sonntag so gern über ihr schiefergraues Kopfsteinpflaster, um ausgerechnet hier das besondere Gefühl zu genießen, in Rom zu sein?

Grandezza. Eine Mischung aus Weitläufigkeit und barocker Monumentalität, eingebettet in ein Gewirr und Genetze schmaler Straßen, wie sie eher in ein Dorf passen würden. Die Piazza Navona ist nicht riesig, aber doch sehr groß. Sie ist nicht rund, nicht eckig, sondern oval. Sie ist belebt, doch ohne Verkehr. Und so bietet sie eine wahrhaft grandiose Kulisse für alle, die ihre Stadt als Bühne erobern und erleben. Was in Rom ja ziemlich viele sind.

Acht Uhr morgens, Auftritt der Frühaufsteher. Die Statisten schlürfen nun in einem der vielen Cafés ihren Espresso: Streifenpolizisten, Müllwagenfahrer, Kioskbetreiber. Während die Kellner über die teuren Sitzplätze draußen mit großen Gesten und noch größerem Palaver die Sonnenschirme aufspannen, streben Priester und Seminaristen mit wehenden Soutanen zur Päpstlichen Universität im Palazzo dell’Apollinare an der Nordseite, vorbei an einem halben Dutzend Frauen in teurer Sportkleidung, die mit weihevollen Gesichtern ihre bunten Yogamatten ausgerollt haben. Die Show der ersten Protagonisten hat also begonnen, doch die Zuschauer lassen noch auf sich warten. Um diese Zeit flaniert nur ein Trio älterer Herren aus der Nachbarschaft von einem Brunnen zum nächsten und betrachtet die Szenerie mit unbeweglicher Miene, als Publikum und Nebendarsteller zugleich.

Roms Frühsportler kommen gern hierher, weil der motorisierte Verkehr draußen bleiben muss. Aber auch, weil man hier dennoch nichts vom römischen Leben verpasst. Sehen und gesehen werden auf einem der schönsten Plätze der Welt, einen besseren Freilufttrainingsraum gibt es nicht. Und so radelt, joggt und turnt hier eine stetig wachsende Fitnessgemeinde, was nolens volens die ovale Piazza zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückführt – erhebt sie sich doch über einem antiken Stadion. Navona leitet sich vom altgriechischen agon ab, was Wettkampf bedeutet. Cäsar und Augustus hatten diese Stätte unweit des Tibers bereits für Spiele auserkoren, bevor Domitian 86 n. Chr. hier eine riesige Arena für fast 30 000 Zuschauer anlegen ließ. Nichts Neues unter der Sonne also – typisch Rom.

Genauso typisch, dass es bei dieser Bestimmung nicht bleibt, denn tausend Jahre sind für Rom ja nur ein Tag. Kaum ziehen die Frühsportler ab, kommen die Touristen und mit ihnen als neue Statisten die fliegenden Händler mit ihren Handy-Accessoires und Kitsch-Souvenirs. Apropos Kitsch: An dieser Stelle soll bemerkt werden, dass auch Kaiser Domitian davor nicht gefeit war, ließ er doch in Ermangelung eines echten, selbst eroberten Obelisken aus Ägypten kurzerhand ein Fake für den Park seines Landhauses herstellen. Heute thront der falsche Obelisk im echten Bernini-Brunnen wie ein authentisches Prunkstück, gerade versucht sich ein Franzose an der Deutung seiner Hieroglyphen. Die Morgenstille ist zwischenzeitlich dem mittäglichen Gejohle gewichen, die Cafés sind bald bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Es ist die Stunde, in der die Piazza Navona fast wieder zu jenem quirligen Marktplatz wird, der hier 400 Jahre lang das Herz der Stadt bildete, nach der trostlosen Verlassenheit im Mittelalter. Denn es gab eine Zeit, da sämtliche Einwohner Roms in das alte Stadion des Domitian gepasst hätten, so ausgestorben war die einstige Metropole, und damals lag auch die Piazza Navona wüst und leer. Bevor die ersten Häuser über den verfallenen Tribünen erwuchsen, mussten die Päpste erst aus ihrem Exil im französischen Avignon heimkehren. Im Jahre 1477 schließlich, wurde der zentrale Markt vom Kapitolshügel auf den neu entstandenen Stadionplatz verlegt. Und der Trubel begann.

Marktkarren, Gemüseberge, Brottürme, Weinfässer, flatterndes Federvieh und Wannen voller Schnecken – die Piazza Navona war der Bauch von Rom. Pferderennen, Tanzfeste, Karneval: Eine Lustbarkeit jagte die nächste. Als die berühmtesten Baumeister des Barock das Oval schließlich mit prachtvollen Palazzi und kunstvollen Brunnen geadelt hatten, erfand man neue, höchst populäre Spiele. An Sommersonntagen wurden zur allgemeinen Gaudi und Erfrischung die Abflüsse der Brunnen verstopft, und aus dem zur Mitte abschüssigen Marktplatz entstand ein See mitten in der Stadt. Das Volk badete seine Füße darin oder fuhr mit Eselskarren durch das Wasser, der Adel vergnügte sich dezenter und spritzte mit den großen Rädern seiner teuren Kutschen lieber die anderen nass.

Heute ist das alles verboten, nur das Anschauen ist noch erlaubt. Streng wacht das Kultur- und Denkmalpflegeamt über den decoro, also die Unversehrtheit und Würde des einmaligen Ensembles. Mit Elektrodrähten werden Römer, Fremde, ja sogar die Tauben von den Brunnen ferngehalten, und wer seinen Müll hier liegen lässt oder auf den Marmorbänken Bier trinkt, bekommt es mit der Polizei zu tun. Selbst der Weihnachtsmarkt, der traditionell von Anfang Dezember bis zum 6. Januar stattfindet, unterliegt strikten Auflagen. Decoro! Rom kann auch streng sein, jedenfalls in seinem schönsten Freiluftsalon. Doch an lauen Sommerabenden, wenn sich die halbe Stadt auf der Suche nach einem kühlen Lüftchen und heißen Vergnügen in ihrem Freiluftsalon drängt, mag man immer noch spüren, dass dieser Platz bei aller Würde nicht ganz altersstarr geworden ist; und bei aller Monumentalität kein Museum.

Palazzi, Kirchen und Brunnen. Antike, Renaissance und Barock. Wohnzimmer und Alltagsbühne, Sportstudio und grandiose Kulissenlandschaft. Wasser und Stein, Spektakel und Stille. Der Geist der Stadt wohnt hier. Es ist der überaus vitale Geist der riesigen Schichttorte Rom, in der es alles schon gegeben hat und vieles noch geben wird. An der nächsten Schicht wird bereits gebaut, ohne dass man fürchten müsste, es könnte die letzte sein. Doch ist das uralte Gefüge, in dem öffentlicher Prunk, privater Reichtum und einfache soziale Verhältnisse bis hin zur puren Armut neben- und miteinander auf engem Raum existierten, gerade im Herzen der Stadt besonders bedroht.

Zusehends verwandelt sich die vieltausendjährige Urbs in eine moderne City mit mehr Büros als Wohnungen und mehr Hotel- als Schlafzimmern. In der Altstadt residiert der gigantische Hofstaat der Republik Italien – die fast tausend Parlamentarier, die hier je nach Wahlkreis und Gusto ein kleines Apartment oder eine repräsentative Wohnung halten, und natürlich ihre Büros. Flankiert werden die Volksvertreter von Fernsehstars und reichen Ausländern. Denn das Wohnen im Centro Storico ist teuer geworden und mühsam, ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Es halten sich einige Familien, die das seltene Glück hatten, ein Apartment zu erben, und deshalb mietfrei wohnen, und natürlich der Adel, der seine Stadtpaläste seit Jahrhunderten besitzt.

Die letzten Vertreter des popolino, des römischen Kleinvolks, aber kämpfen auf verlorenem Posten. Bis vor ein paar Jahren kam auf die Piazza Navona noch regelmäßig der arrotino, der Messer- und Scherenschleifer. Er stellte sein Rad mit dem Schleifstein neben einen der Brunnen und hob zu seinem Singsang an: Donne, è arrivato l’arrotino – »Frauen, der Messerschleifer ist da.« Und die Kundschaft kam dann auch tatsächlich, mit Plastiktüten voller Messer und Scheren, stellte sich geduldig in einer Schlange an, hielt einen Schwatz. Heute arbeitet ein solches Relikt aus dem dörflichen Rom nur noch vor der Markthalle an der Piazza Vittorio Emanuele II., dem einzigen Altstadtteil, der tatsächlich die soziale Vielfalt der alten Stadt bewahrt hat. Doch anderswo kann man den für Rom einst so typischen Sound der kleinen Handwerker immer seltener hören. Ihre Werkstätten sind Billigpizzerien, Eisdielen und Weinbars gewichen – was auch daran liegt, dass viele Handwerker keine Nachfolger finden. Andere schließen, weil die Mieten für das Geschäft zu teuer werden, nachdem sie schon ihre Wohnungen im Zentrum verlassen mussten. Und denen, die ausharren, tut es besonders weh, wenn wieder ein Kunde, vor allem aber ein Nachbar, wegzieht. Noch 1950 lebten innerhalb der 19 Kilometer langen Stadtmauern, die Kaiser Aurelian um 270 errichtet hatte, über 370 000 Menschen. Heute haben im Kern der Altstadt um die Piazza Navona gerade noch 37 000 Römer ihren Erstwohnsitz, und innerhalb der alten Mauern insgesamt noch knapp 100 000.

Wir haben Jahre nahe der Piazza Navona verbracht, in einer winzigen Wohnung mit einer riesigen Terrasse. Unser Vermieter war ein eleganter Signore mit verwandtschaftlichen Verbindungen in den römischen Kirchenadel, der in den unteren Stockwerken seines Palazzos steinalte Witwen zu Mietpreisen beherbergte, die von der Stadtverwaltung bereits vor Jahrzehnten eingefroren worden waren. Was die Mieten anging, funktionierte Rom nämlich lange wie eine sozialistische Stadt. Jedenfalls offiziell, in Wirklichkeit gab es eine Zweiklassengesellschaft mit alten Mietverträgen zu lächerlichen Beträgen und sogenannten Übergangskontrakten zu horrenden Preisen. Für Letztere hatte unser Vermieter unter Missachtung sämtlicher Bau- und Sicherheitsvorschriften die attraktive Dachetage in seinem Haus ausgebaut, um an einem atemberaubenden Blick über grüne Dächer, 16 Kirchtürme, die Peterskuppel und das Pantheon richtig Geld zu verdienen. So kam es, dass jedes unserer Fenster ein Monument der Ewigen Stadt einrahmte, Küche und Toilette aber über einem sechs Stockwerke tiefen Abgrund schwebten.

Auf der Beletage im vierten Stock wohnte ein aufstrebender christdemokratischer Politiker nebst verwitweter Mamma und unverheirateter Tante. Auch der Vater dieses Politikers war schon Politiker gewesen. Roms politische Bühne zeichnet sich dadurch aus, dass man ziemlich selten neue Namen lernen muss. Ämter werden von Eltern auf die Kinder vererbt wie früher die Rittergüter, weswegen der Volksmund auch vom feudo eines Politikers spricht, wenn der Wahlkreis gemeint ist: ein kleines Feudalreich. Unser Nachbar und seine Verwandtschaft pflegten – auch das unabdingbar für römische Volksvertreter – beste Beziehungen zur Kirche. In jedem Frühling schickten sie uns mit warmen Empfehlungen ihren Beichtvater, der unsere Wohnung segnen sollte. »Man weiß ja nie«, erklärten sie mit einer vagen Handbewegung. »Schaden kann es jedenfalls nicht.«

Tapfer klingelte der Priester dann immer auch in der Etage unter uns, wo die Enkel des früheren Portiers hausten. Ihr heruntergekommenes Zuhause war ursprünglich einmal Großvaters Dienstwohnung gewesen, aus der die Sippschaft auch Jahre nach dem Ableben des rechtmäßigen Bewohners nicht ausziehen wollte. Kündigung hin oder her, wozu gibt es Gewohnheitsrecht? Der Hausbesitzer duldete sie als echter Grandseigneur, und dem Priester galten ohnehin nur die Hausregeln von Mutter Kirche. Die Portierssippe bekam seinen Segen, wiewohl das ganze Viertel wusste, dass sie einer zwar unregelmäßigen, dafür aber nicht ganz legalen Arbeit nachgingen. Sie schlugen sich mit kleineren Einbrüchen und Diebstählen durch und waren sehr erfreut darüber, als endlich ein Aufzug eingebaut wurde, weil sie so die geklauten Mopeds sehr viel bequemer in den fünften Stock transportieren konnten. Hier wurden die Zweiräder sorgfältig ausgeschlachtet und ihre Einzelteile am frühen Sonntagmorgen zum Verkauf auf den Flohmarkt an der Porta Portese gebracht.

Von uns nahmen die Nachbarn allerhöchstens mal ein dringend benötigtes Ersatzteil wie den verschlissenen Sitz der Vespa oder die asthmatische Batterie des Fiat Cinquecento. Wir regten uns ziemlich auf, bis uns der rettende Gedanke kam, dass triftige Gründe sie offenbar daran gehindert hatten, um Erlaubnis zu fragen. Vielleicht hatten sie auch unsere Fahrzeuge schlicht nicht erkannt?

Kein Römer zeigt seine Nachbarn an. Er würde sich ja sonst gleich zwei Blößen geben – einmal als kleinkarierter Geizhals, der auf sein Besitzrecht pocht, um damit die Not eines armen Mitmenschen noch zu vergrößern. Und zum Zweiten als Handlanger der Polizei, die im fünften Stock sowieso öfter zu Besuch war. Manchmal sah man dann die Nachbarn, wie sie mit eilig gepackter Tasche zwischen zwei Polizisten das Haus verließen. Es ging ins Gefängnis der »Himmelskönigin« Regina Coeli zu Trastevere. Von dort erreichten die Hausgemeinschaft Postkarten mit dem Kolosseum auf der Vorderseite, hinten standen eilig hingeworfene Grüße. Un pensiero, ein freundlicher Gedanke, aus der Zelle in den Mietpalazzo.

Ganz oben neben uns war die temperamentvolle Paola eingezogen, die jeden Morgen mit dem Moped in ihr Büro bei einer großen Versicherungsanstalt brauste. Von ihrem Mann, einem Schauspieler aus einem uralten Adelsgeschlecht, hatte sie sich eigentlich getrennt. Jedenfalls was das Wohnen unter einem Dach betraf, denn sie war aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. »Zwanzig Jahre mit ihm in einem Apartment reichen«, sagte Paola. Aber er kam dann doch jeden Tag zu Besuch, und bald stand auch sein Name auf der Klingel, mit gehörigem Abstand unter ihrem.

Eines Abends lernten wir bei ihnen eine Schauspielerkollegin kennen, die Tochter eines reichen und mächtigen Bauunternehmers. Es war eines dieser Abendessen, wie sie für die römische Gesellschaft typisch sind, wo meist nicht nur einzelne Personen um einen Tisch sitzen, sondern quasi mit ihnen ihre höchst unterschiedlich schillernden Familiengeschichten. Unser Nachbar war der Spross eines Adelsclans mit dem für Rom obligatorischen Papst in der Familie, sein Gast die Erbin eines Großkapitalisten mit kommunistischem Parteibuch. Ihr Vater hatte der KPI eine Parteizentrale direkt unter dem Kapitol geschenkt, aber auch die Träume von Fußballfans jeglicher politischer Couleur erfüllt, indem er die AS Roma kaufte, den Klub der Stadtrömer. Seine Tochter heiratete bald darauf den Mannschaftskapitän und wurde in den Augen der Fans damit endgültig zur Märchenprinzessin.

Adel und Schauspiel, Kommunisten und Mäzene, Fußball und Kunst: Bis heute sind diese Welten verbunden, ja verzahnt. Und es gibt sie wirklich, diese Abende auf den Dachgärten der alten Stadt, wo die Römer über allem schweben dürfen, über ihrer grandiosen Vergangenheit und den engen Grenzen einer kleinlichen Gegenwart. Wer von außen kommt, droht sich leicht im engen Dickicht der römischen Beziehungen zu verirren. Bis er selbst zur Schlingpflanze geworden ist.

Unserer Terrasse gegenüber lebte ein Notar mit seiner Familie, im Schatten des Kirchturms der großen Augustinerkirche, um den Dutzende von Mauerseglern schwärmten. Uns trennte nur die Schlucht der Straße voneinander. So eng lebten wir neben dem Notar, dass wir sehen konnten, welche Bücher seine Kinder lasen, und ahnten, mit wem seine Frau telefonierte. Umgekehrt war das alles vermutlich auch so, und doch blieb es beiderseits beim freundlichen Winken zur Begrüßung. Nie haben wir auch nur die Namen der Familienmitglieder erfahren. Rom kann sehr familiär sein – und bleibt dabei eher selten so diskret.

In unserer Straße kannte jeder jeden, und die Betreiberin des Friseursalons unten im Haus wusste immer noch ein bisschen mehr. Sie behielt es nicht für sich. Allmorgendlich versammelten sich bei ihr die Signoras aus der Nachbarschaft, ließen sich die Haare richten, die Augenbrauen zupfen und die Nägel feilen und klatschten dabei über alle, die gerade nicht in dem winzigen Salon saßen, vor allem aber über ihre Männer.

Die Straße, eine Welt, dominiert von einem großen Patrizierpalazzo, in dem eine Stiftung der Democrazia Cristiana residierte, auch als es die Partei schon nicht mehr gab. Eine Pizzeria, eine Bar, zwei Trattorien und ein nobles Fischrestaurant, dessen Küchenabzug direkt vor unserem Schlafzimmer aufgebaut war. Unter diesem Lüftungskamin versammelten sich die Katzen von den umliegenden Dächern und schmachteten sehnsüchtig den Fischdüften nach. Einmal stieg Rauch vor unserem Fenster auf. Aber nicht der Fischkamin hatte Feuer gefangen, sondern ein Nachbar verbrannte sein Bücherregal. Nach dieser Anstrengung grillte er sich an gleicher Stelle ein Steak: Weltdorf!

Oben wurde gefackelt, unten gefroren. An unserer Straße lag ein Ladenverlies, dessen Besitzerfamilie ewig erkältet war, weil ein boreales Feuchtklima zwar der Konservierung von Champignons und Radieschen dienlich ist, nicht aber der sonnenbedürftigen Gesundheit eines Römers. Weswegen in einer weiteren Verkaufshöhle auf der anderen Straßenseite auch sommers wie winters der Heizlüfter brummte. Hier wurden Putzmittel, Antimückenkerzen, Teflonpfannen und Lichterketten für den Weihnachtsbaum feilgeboten, von einer perfekt blondierten Signora, die in der hintersten Ecke ihres Ladens das Dasein eines fernsehsüchtigen Grottenolms pflegte. Über der Kasse liefen auf einem winzigen Bildschirm Seifenopern und Dialekttalkshows, ununterbrochen, von morgens bis abends. Die Tochter, so berichtete die Signora stolz, hatte als Stewardess bei der staatlichen Fluggesellschaft Alitalia angeheuert, und man muss Freud nicht gelesen haben, um zu ahnen, warum. Wem keine Dachgeschosswohnung im Zentrum vergönnt ist, der tut gut daran, gleich über die Wolken zu ziehen.

Der Zeitungshändler Antonio bewahrte unsere Hausschlüssel auf, und wir hüteten dafür schon mal seinen Sohn. Unsere kleine Tochter lernte unter Anteilnahme des ganzen Viertels laufen, denn es gab schon damals nicht sehr viele Kleinkinder im Centro Storico. Morgens spielte sie im Park an der Engelsburg, nachmittags tollte sie über die Piazza Navona und in den heißen Monaten durch die Kirche San Luigi dei Francesi. Da war es unter den Caravaggio-Bildern herrlich kühl, während sich unsere Dachwohnung längst in einen Backofen verwandelt hatte. Wenn es regnete, gingen wir ins Pantheon und sahen den Tropfen zu, wie sie aus dem großen Loch in der Mitte auf den Marmorfußboden rieselten. Hatte jemand Geburtstag, holten wir Ricottakuchen aus der jüdischen Bäckerei auf der anderen Seite des Largo Argentina. So war das Leben im schönsten Kiez Europas, allein, es ging nicht ewig so weiter.

Als das zweite Kind kam, reichte das kleine Penthouse nicht mehr aus. Wir bezogen ein großes Erdgeschossapartment an einem Park außerhalb der Stadtmauern, langweilten uns dort ein paar Jahre, und kaum waren die Kinder größer, ging es ins Zentrum zurück. Aber nicht mehr an den alten Ort. Denn in unserer Straße gab es keinen Gemüsehändler mehr und keine fernsehsüchtige Krämersfrau, sie konnten die Mieten nicht mehr zahlen und waren ersetzt worden durch lukrativere Geschäfte wie Restaurants, Weinbars und Eissalons. Auch der Mietpreis für unsere Wohnung hatte sich innerhalb von acht Jahren fast verdreifacht, die Spur der Portierssippe sich verflüchtigt. Geblieben sind Paola, ihr Schauspieler und der Politiker im vierten Stock. Der hat nur die Partei gewechselt.

Piazza Montecitorio

Alle Macht ist vergänglich

Das italienische Parlament ist eines der größten der Welt. Aber weil es in einem der vielen barocken Adelspaläste der Altstadt untergebracht ist, weil nichts auf die Abgeordnetenkammer hinweist, kein Schriftzug, noch nicht einmal eine Plakette, könnte man glatt daran vorbeilaufen. Schlicht, fast versteckt ist das Eingangstor, auf das der Obelisk aus der Sonnenuhr des Augustus seinen langen Schatten wirft. Auf dem weiten, hügelig ansteigenden Platz ist kein einziges Auto zu sehen, dafür aber fast immer eine Handvoll Demonstranten, meistens die in dieser Hinsicht überaus rüstigen Rentnerverbände. Zwei Carabinieri beobachten in einem kleinen Wachhäuschen unter dem Obelisken das Kommen und Gehen der Abgeordneten – weil aber viele durch die Hintertür schlüpfen oder die Sitzung gleich ganz schwänzen, haben die Ordnungshüter ziemlich viel Zeit. Für einen kleinen Schwatz mit den Mammas, die ihre Kinder unbekümmert über die autofreie Piazza hüpfen lassen. Oder mit Touristen, die fragen, ob sie hier denn eigentlich richtig sind. Weil sie es kaum fassen können, dass das Zentrum der staatlichen Macht so unspektakulär, mitten in der Stadt und für die Bürger derart zum Greifen nah liegt, ganz ohne Absperrungen und Bannmeile.

Mons Citatorius, der antike Name des künstlichen, weil aufgeschütteten Hügels, legt die Vermutung nahe, dass an dieser Stelle schon in der Antike Wahlversammlungen abgehalten wurden. Andere Quellen verweisen auf den etwas weniger noblen Mons Acceptorius – einen Abfallhügel des Marsfeldes. Eindeutig ist hingegen die Geschichte des Palazzo, der die heutige Piazza dominiert und der natürlich für einen Papst gebaut wurde. Gian Lorenzo Bernini begann im Auftrag von Innozenz X. 1653 mit dem Bau und versah ihn mit jener rhythmisch gegliederten, geschwungenen Fassade, die den riesigen Kasten um so vieles leichter erscheinen lässt. Seit Innozenz XII. (1691–1700) residierte auf dem Montecitorio das päpstliche Gericht, und erst als das italienische Parlament an dieser Stelle schon gut 30 Jahre tagte, erfolgte die Erweiterung nach hinten heraus mit dem neuen Eingang an der Piazza del Parlamento.

Seither heißt die gigantische Abgeordnetenkammer im Volksmund transatlantico, womit über das Verhältnis der Römer zur Macht schon allerlei gesagt wäre. Wie ein Ozeandampfer schaukelt die Legislative durch das wild aufschäumende Meer ihrer Notverordnungen, Gesetze und Gesetzchen, von denen es in Italien ungefähr zehnmal so viele gibt wie in Deutschland. Unmöglich, sie alle zu kennen. Und zu befolgen.

Von außen betrachtet scheint der römische transatlantico manchmal schier unterzugehen in den Strudeln der Gesetzgebung. So manche Verordnung wird am Anfang der Legislaturperiode in Angriff genommen und ist am Ende immer noch nicht spruchreif. Aber was sind schon fünf Jahre, wenn doch die großen Fragen der Menschheit seit Jahrtausenden keine Antwort finden?

Parlament kommt von parlare  reden. Und geredet wird viel auf dem Montecitorio sowie im Senat, dem nur wenige Schritte entfernten parlamentarischen Oberhaus. Wenn es die Lage erfordert, auch bis tief in die Nacht. Es wird debattiert und gestritten und manchmal sogar mit allen Bandagen gekämpft. Schon mehrfach konnte die Welt im Fernsehen verfolgen, wie sich Abgeordnete oder Senatoren der Republik Italien mit beachtlichem Körpereinsatz wilde Raufereien lieferten – übrigens blieben die beteiligten Herren dabei stets in Anzug und Krawatte, denn das sind die Vorschriften.