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„Geopolitik ist der wichtigste Architekt des polnischen Charakters“

In Polen leben 38 Mio. Menschen. Zum Vergleich: In Schweden sind es 10 Millionen, in Deutschland 81 Millionen, in Tschechien 10 Millionen, in der Slowakei 5 Millionen, in Ungarn 10 Millionen, in der Ukraine 44 Millionen, in Litauen 3 Millionen, in Weißrussland 10 Millionen, in Russland 144 Millionen, in Großbritannien 64 Millionen und in den USA 321 Millionen.

Polen ist 1½ mal so groß wie Spanien, etwas kleiner als Deutschland, aber es würde 54 mal in Russland hineinpassen.

Nationalismus & Identität

Eine kleine Warnung vorab

Vor langer, langer Zeit zogen die drei slawischen Brüder Czech, Lech und Rus an einem schönen Frühlingsmorgen aus, um eine neue Heimat zu suchen. An der ersten schönen Lichtung gründete Czech das Land der Tschechen. Die beiden anderen zogen weiter, bis Lech einen Adler beim Nestbau entdeckte. Er hielt dies für ein Zeichen Gottes und gründete an dieser Stelle Gniezno, die erste Hauptstadt Polens. Rus reiste allein weiter.

Die Standortwahl von Lech gehört wohl zu den zehn schlechtesten Entscheidungen in der Geschichte des Landes, denn Polen ist eine flache, offene Ebene, die von Militärexperten als „ein idealer Ort für eine Feldschlacht“ beschrieben wird (heutzutage allerdings nicht länger in Form von Invasionen, sondern für NATO-Manöver u. Ä.). Fast jedes europäische Land hat irgendwann auf polnischem oder um polnischen Boden gekämpft – sogar die Schweden, so erstaunlich das auch klingen mag! Für ganze Jahrhunderte verschwand Polen gänzlich von der Weltkarte.

Aber die Vergangenheit ist eine andere Geschichte. Heute ist Polen geradezu auf schwungvolle Weise unabhängig und will es auch bleiben. Es hat seinen festen Platz innerhalb der EU eingenommen. Es ist heute ebenso bereitwillig Gastgeber für amerikanische Raketenbasen wie einst für die russischen. Die einzigen zu erwartenden oder erhofften Invasionen sind solche durch Touristen und Investoren.

Wie die Polen sich selbst sehen

Polen sind selbstkritisch. Sie kennen sich selbst nur allzu gut, mit all ihren Fehlern und Schwächen. Gerne reiten sie immerzu auf ihren Schwachstellen herum. Es gibt kein Problem, sei es gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher, nationaler oder lokaler Art, das nicht immer wieder minutiös zerlegt wird, um dann in jeder erdenklichen Art und Weise wieder zusammengesetzt und endlos diskutiert zu werden. Es gibt keine nationalen Eigenheiten, weder real noch imaginär, über die nicht geklagt wird und deren Konsequenzen dann aufgezählt werden. Wenn es aber darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen, na ja, dann wird’s schwierig mit den Polen. Sie sind streitlustig, undiszipliniert, führen Dinge nicht zu Ende, sie sind wie Strohfeuer, wie jeder Pole wieder und wieder betonen wird.

Das alles ist jedoch ein Spiel, das man nur unter sich spielt. Polen mögen es gar nicht, wenn Außenstehende sie auf ihre Fehler hinweisen. Werden sie angegriffen, verteidigen sie jede Schwäche, wobei sie in der Regel anfangen mit „Du kannst das doch gar nicht beurteilen! Das ist ein typisch polnisches Problem!” Beharrt man weiter auf einem Fehler, beleidigt man sie. Polen sind nur allzu schnell beleidigt, aber es währt zum Glück nie lange. Die perfekte Lösung für ihre Probleme kommt ihnen meist zu fortgeschrittener Stunde, wenn der Alkoholdunst die Gemüter erhitzt hat. Aber in der Katerstimmung am darauffolgenden Morgen ist alles wieder vergessen.

Wie sie über andere denken

Slawische Bruderschaft hin oder her, die Polen waren schon immer der Meinung, Osten ist Osten, aber der Westen ist am besten. Beides trifft an der östlichen Grenze Polens aufeinander. Wenn man das Geld sprechen ließe, würde es den Polen raten, für Ruhm und Reichtum gen Westen zu ziehen, da die Länder im Osten reich an armen Menschen sind, die sich keine polnischen Klempner leisten können.

Ihre russischen Nachbarn halten sie für brutal, ein zum Regiertwerden geborenes Volk, ohne Unternehmergeist und Fleiß. Ein Volk, das seine Erfolge nur seiner zahlenmäßigen Überlegenheit und dem Besitz von unverzichtbaren Rohstoffen zu verdanken hat. Auch wenn sie sich vor der russischen Mafia fürchten, denen sie die Schuld an der Zunahme der Kriminalität auf polnischem Boden geben, so waren die Polen trotzdem schnell zur Stelle, um das Beste aus den sich ergebenden Handelsmöglichkeiten mit Russland und dessen ehemaligen Herrschaftsgebieten herauszuschlagen. Viel Geld konnte auf dem schwierigen russischen Markt verdient werden, allerdings konnte man auch viel wieder verlieren. Gerade weil sie so vertraut sind mit den Russen, warnten die Polen auch als Erste vor der Gefahr von Rohstoffen im Würgegriff Russlands. Immer wenn die Russen nun bei einem Kälteeinbruch den Gashahn zudrehen, kann der Rest Europas die Ängste und die Ressentiments der Polen besser nachvollziehen.

Die Polen halten ihre deutschen Nachbarn für Langweiler. Ein einzelner Deutscher bleibt am liebsten in seinem eigenen Garten und pflegt seine „Heimat”, aber als Nation sind die Deutschen zum Dominieren geboren (egal ob durch Krieg oder Handel). Manche Polen haben immer noch Angst, dass Schlesien von Deutschland zurückgefordert werden könnte. Dennoch hoffen sie, dass ihre voneinander abhängigen Volkswirtschaften und die gemeinsame EU-Mitgliedschaft die militärischen Bestrebungen der Deutschen in Schach halten. Ein stetig größer werdendes Heer von polnischen Migranten lässt sich in Deutschland nieder und auch 25 Prozent der polnischen Exporte landen dort.

Die Polen haben das Pech, zwischen Deutschland und Russland zu liegen, aber sie versuchen diesen Umstand zu ihrem Vorteil zu nutzen, indem sie mit beiden Geschäfte machen und als Vermittler zwischen den beiden agieren – und sie sind gute Seiltänzer!

Nationen zum Bewundern suchen die Polen weit über ihre Landesgrenzen hinaus. Auf der Suche nach einem Stilguru wenden sie sich am liebsten Italien zu, und zwar nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Bona Sforza, Ehefrau von Sigismund dem Alten, brachte zusammen mit Architekten, Künstlern und Handwerkern die Renaissance nach Polen. Sie revolutionierte die polnische Küche mit aus Italien mitgebrachtem Salat, Lauch, Kohl und Blumenkohl. Warschau wurde im 18. Jahrhundert von Bacciarelli und Canaletto gemalt, als es neben anderen durch den italienischen Architekten Domenico Merlini neugestaltet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg verwendete man Canalettos Gemälde dann als Grundlage für die Rekonstruktion der Straßen und Fassaden, die von den Deutschen zerstört worden waren.

Die Polen – insbesondere die Adligen – waren jahrhundertelang im Bann des französischen Stils, von der Sprache bis zur Mode. Wenn man es sich leisten konnte, lebte man in Frankreich. Die Polen, die alles dafür taten, weder zu Russen noch zu Deutschen zu werden, erfanden sich neu als französische Imitationen. Napoleon wurde angebetet, obwohl er die Polen lediglich als Kanonenfutter betrachtete. Polnische Gesetze und viele zivile Einrichtungen basieren auf dem Code Napoléon. Aber der französische Fremdenhass und die häufige Verbrüderung mit Deutschland in EU-Gremien haben die einseitige Liebe versickern lassen. Die französisch-polnischen Beziehungen sind so eisig, dass Französisch kaum mehr an polnischen Schulen unterrichtet wird.

Heutzutage schlagen die polnischen Herzen und Gemüter für die Engländer. Es gibt englische Pubs und englische Produkte, englische Aushängeschilder über den Geschäftstüren, und Englisch wird an allen polnischen Schulen gelehrt. Fußballfans versuchen den englischen Fußballhooligans nachzueifern, zum Glück nur mit mäßigem Erfolg.

Großbritannien und Irland waren die ersten EU-Länder, die den Polen ihre Türen öffneten. Und die Polen reisten dort massenweise hin zum Arbeiten, Studieren und zum Vergnügen. Das Ergebnis: Die römisch-katholische Kirche ist die am schnellsten wachsende Glaubensgemeinschaft in Großbritannien. Europäische Demografen müssen immer wieder Überstunden machen, um die neuesten Zahlen zu ermitteln.

Die Polen bewundern die Amerikaner für ihre zielstrebige Jagd nach Geld, aber sie finden sie dennoch nie kulturalni (unkultiviert), was in den Augen der Polen ganz klar verachtenswert ist. Amerikanische Polenwitze kennt man in Polen kaum, aber polnische Amerikaner werden von den Polen ausgelacht und als Naivlinge belächelt, zu denen sie durch ein Leben in Amerika geworden sind.

Obwohl die Skandinavier gleich auf der gegenüberliegenden Seite des Ostseeraums leben, es regelmäßigen und regen Fährverkehr zwischen Polen und diesen Ländern gibt, haben sie dennoch kaum etwas mit den Polen gemein. Und das, obwohl die Polen scharenweise nach Schweden und Norwegen ziehen, um dort ihr Familieneinkommen bei der Obsternte und ähnlichem aufzubessern. Für billige Arbeitskräfte und Designer wenden sich schwedische Firmen überdies gern an Polen. Die Polen reden nicht gern über erstere und die Schweden nicht gern über letztere. Erst vor kurzem hat der Gründer von IKEA zugegeben, dass sein Glück (und seine Vorliebe für Wodka) daher rühre, dass er in den 1960er Jahren die IKEA-Baupakete aus Polen bezog. Nicht das dies ein Problem wäre. Es regiert eine gelassene Gleichgültigkeit auf beiden Seiten, wie sie eben manchmal unter Nachbarn vorkommt. Man teilt sich die Ostsee, aber vielmehr auch nicht. Öl und Wasser vermischen sich nun mal nicht.

Betrachtet man das Verhältnis Polens zu seinen kleineren Nachbarn, so wurde das polnisch-ukrainische Kriegsbeil aus politischer Zweckdienlichkeit begraben. Die Litauer hingegen toleriert man, beziehungsweise man hat sie sogar ganz gern, auch wenn das leider nicht immer auf Gegenseitigkeit beruht. Zu lange hatten die beiden die gleiche Regierung, wobei die Polen die Seniorpartner waren. Während viele Polen ihren Lebensunterhalt im Ausland verdienen, wird der Mangel an Arbeitskräften in Polen durch Ukrainer und Litauer ausgeglichen. In den Augen der Polen fehlt es den Tschechen an „Seele“, um als echte Slawen durchzugehen. Dass sie einen Dramatiker zum Präsidenten gewählt haben, war zwar cool, aber der Effekt hat sich langsam erschöpft. Die Slowaken, mit denen die Polen sich das Tatragebirge teilen, werden durchaus gemocht. Aber letztendlich sind es die Ungarn, die von den Polen wie Brüder behandelt werden, obgleich sie überhaupt keine Slawen sind. Obwohl man sich mit den Ungarn weder eine Grenze noch eine Sprache teilt, oder vielleicht auch gerade deshalb, sieht man in den Ungarn Seelenverwandte, mit denen man sich Sehnsüchte, Temperament und die Liebe zu Hochprozentigem teilt.

Wie andere sie sehen

Die Polen wurden schon immer als verrückte Romantiker betrachtet. Damit meinte man wohl eigentlich „manipulierbare Hitzköpfe”, was nur zu oft stimmte. Winston Churchill sagte: „Es gibt wenige Tugenden, die die Polen nicht besitzen und wenige Fehler, die sie vermieden haben.” Der britische Exzentriker Quentin Crisp ging sogar noch weiter und beschrieb die Polen so: „Keine Nation, sondern ein gestörter Geisteszustand.”

Ein Großteil des Westens sieht in Polen einen Pool von Wanderarbeitern, eine Nation von Geld überweisenden Männern. Die Ungarn bewundern die Polen dafür, ihr wirtschaftliches und politisches Wunder aufrechterhalten zu haben, während ihr eigenes im Stillstand verharrt. Als Helden angebetet zu werden, fällt den Polen nicht gerade leicht, denn Helden beschweren sich nicht. Man kann aber kein guter Pole sein, wenn man nicht auch mal ordentlich jammert.

Vor dem Zweiten Weltkrieg galten die Polen als Mitteleuropäer. Nach dem Krieg, als die Grenzen sich weit nach Westen verlagert hatten, zählte man Polen zu den Osteuropäern. Mit dem Fall der Berliner Mauer und der wiedergewonnenen Unabhängigkeit der baltischen Staaten ist Polen – ohne sich auch nur einen Zentimeter bewegt zu haben – wieder zu einem zentraleuropäischen Land geworden. Wen wundert es da noch, dass viele Leute außerhalb Europas keine Ahnung haben, wo Polen genau liegt. Manche verwechseln es mit Holland, weil es im Englischen so ähnlich klingt. Viele glauben, es läge unter einer ewigen Schneedecke begraben, weil sie es wohl mit dem Nordpol assoziieren.

Charakter

Der defensive Pole