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„Du thronst auf Erinnerungen großer, vergangener Tage.“
Es gibt 9,8 Millionen Schweden und im Vergleich dazu 5 Millionen Norweger, 5 Millionen Finnen, 5,5 Millionen Dänen, 54 Millionen Engländer, 81 Millionen Deutsche, 142 Millionen Russen und 321 Millionen Amerikaner.
Die Schweden sind ein geschäftstüchtiges, aufrichtiges Volk, das an einer milden Form von Größenwahn leidet. So finden sie es beispielsweise völlig angemessen, dass der Kartograph Mercator Schweden großzügigerweise in der Größe Indiens zeichnete. Sie lehnen es ab, mit anderen Skandinaviern in einen Topf geworfen zu werden, als ob sie keine eigene Identität besäßen.
Aus schwedischer Perspektive sind die Unterschiede zwischen den nordischen Ländern gravierend. Dänemark ist horizontal, Norwegen ist vertikal, Island schmilzt weg, Finnland ist ein Labyrinth und Schweden ist atemberaubend idyllisch.
Darüber hinaus gibt es sprachliche Unterschiede. Jeder finnische Satz beginnt im Falsett und endet im Bariton. Norwegisch klingt wie rückwärts betontes Finnisch, ist aber eigentlich ein regionaler schwedischer Dialekt. Die Dänen mit ihren Doppel- und Kehlkopfknacklauten hören sich an, als wären sie steckengeblieben zwischen dem Hinunterschlucken und Ausspucken einer sehr heißen Kartoffel. Nur die schwedische Sprache hat sich aus dem grunzenden isländischen Kauderwelsch in den bekannten und beliebten Singsang des Sprechers aus der IKEA-Werbung entwickelt. Schweden finden aufeinandertreffende Konsonanten wie in Jazz oder Tschüss schwierig. Für einen Schweden wäre ein Satz wie „John aus Tschechien raucht einen Joint im Dschungel“ ein echter Zungenbrecher. Er würde wohl in etwa sagen: „Yohn aus Schechien raucht einen Yoint im Schungel.“
Die Unterschiede von nationaler Kultur und Charakter sind ebenso eklatant. Die Norweger sind ein einfaches, direktes Volk, die Dänen heiter und lebenslustig. Die Finnen sind eine wortkarge Schar, deren Mückenstiche sie zum Schreien und Herumhüpfen bewegen, was in Reiseführern irrtümlich als Volkstanz aufgeführt wird. Die Schweden haben diese Eigenschaften kombiniert und ihnen zu neuen Höhen verholfen, indem sie Humor in schlichten Gesprächen gefunden, Schweigsamkeit durch Small-Talk ersetzt und Körpersprache komplett abgeschafft haben.
Schweden sind immer wieder darüber erstaunt, dass Ausländer keine eingerahmte Landkarte Schwedens über dem Bett hängen haben. Sie wundern sich über Leute, die denken, die schwedische Hauptstadt sei Oslo, oder dass Schweden die Heimat von Swatch sei. Solche Offenbarungen von Unkenntnis können nur mit einer gezielten Aufklärungskampagne bekämpft werden, weshalb sie nie müde werden, andere über Schweden zu belehren.
Bei einem Vergleich mit anderen Ländern gibt es kaum etwas, bei dem die Schweden und ihr Land nicht positiv abschneiden würden, und sei es die Länge einer Diskussion, die Breite einer Verallgemeinerung oder die Höhe einer Standhaftigkeit. Um sie glaubhafter zu machen, erhalten die meisten Vergleiche eine dünne Schicht an Selbstkritik, doch diese kann den darunterliegenden Nationalstolz nicht vertuschen.
Die Schweden zeigen Verachtung für die öffentliche Zurschaustellung von Patriotismus und übersehen dabei geflissentlich, dass das Blau und Gelb der schwedischen Flagge allgegenwärtig ist – an Fahnenstangen im Garten, auf Postkarten und Geburtstagskuchen, an den Zweigen von Weihnachtsbäumen oder auf den Gesichtern von Fußballfans. Ihre Farben finden sich wieder auf Kerzen und Servietten, Flaschenetiketten und Keksdosen, sogar in den Logos schwedischer Firmen.
Schweden sind keine Patrioten im üblichen Sinne. Siegesdenkmäler haben eher die Form von Runensteinen als von Bronzestatuen. Zwar zeigt das Denkmal des kriegerischen Königs Karl XII., das in einem Park in der Stockholmer Innenstadt aufragt, mit einem Finger drohend nach Russland und hält ein gezogenes Schwert in der anderen Hand – aber das letzte Mal, dass jemand der Statue Beachtung geschenkt hat, war, als Studenten in der Nacht ein Riesen-Jojo an den Finger gehängt hatten. Fragt man die Schweden, was sie mit ihrem Heimatland verbindet, werden sie eine Menge zu sagen haben, aber nicht über den Staat, die Geschichte oder die Kultur, sondern über tiefe Wälder, idyllische Schäreninseln, Krebse mit Aquavit und blumengeschmückte Maibäume.
Ihre Flagge zeigt ein gelbes Kreuz auf blauem Hintergrund und symbolisiert damit das christliche Erbe der Nation. Die Farben der Flagge lassen Erinnerungen an die Sommer der Kindheit wachwerden, als der Himmel blauer und die Sonne goldener strahlten als heute. Für die Schweden ist die Nationalflagge hauptsächlich eine angenehm anzusehende Dekoration. Sie animiert die Leute eher zu einem Picknick auf der Wiese als zu einer Großkundgebung.
Die schwedische Nationalhymne sagt alles: „Du thronst auf Erinnerungen großer, vergangener Tage“, was sich auf die Stormaktstiden, die ‚Großmachtzeit’ bezieht, als Schweden über einen Großteil Nordeuropas herrschte (s. Karte). Davor hatten bereits die Wikinger die Völker rund um das Mittelmeer, auf den Britischen Inseln und in Nordamerika ihre Schlagkraft schmecken lassen. Heutzutage werden schwedische Schulkinder dazu ermahnt Haltung anzunehmen (att sträcka på sig), wenn das Thema Wikinger im Geschichtsunterricht behandelt wird.
Allerdings haben die Schweden seit diesen ungestümen Tagen mit ihrem Kampf für eine bessere Welt eine spektakuläre Kehrtwendung von Rambo zu Rimbaud hingelegt, während man so nebenbei noch ein paar Waffenverkäufe tätigt. Während des 20. Jahrhunderts, als andere Nationen sich selbst zerstörten, versuchten sie die zerbrochenen Teile wieder zusammenzufügen. Raoul Wallenberg, Folke Bernadotte, Dag Hammarskjöld und Olof Palme sind als unerschrockene Vermittler in die Geschichte eingegangen, die für ihren Mut mit dem Leben bezahlt haben. Inspiriert durch ihre berühmten Landsleute sehen sich die Schweden nun im Allgemeinen als das Gewissen der Welt.
Zudem halten sie sich für die Ehrlichkeit in Person. Mit unfehlbarer Regelmäßigkeit bekennen sich schwedische Kabinettsmitglieder zu ihren Skandalgeschichten und treten umgehend zurück. Ehrlichkeit wie sie nicht besser sein kann.
Die Norweger finden die Schweden unerträglich eingebildet, während die Dänen sie für Spaßbremsen halten. Die Briten sehen sie als sexy, aber kalt an und die Amerikaner denken, sie seien Schweizer.
Der weltweite Ruf der Schweden, etwas steif zu sein, ist irreführend – sie sind stocksteif. Der Autor Herman Lindqvist hat dies folgendermaßen zusammengefasst: Die Schweden betrachten die Welt durch einen Rahmen, der von Martin Luther, Gustav Wasa (dem Gründer des schwedischen Staates), der Abstinenzbewegung und 100 Jahren Sozialismus zusammengehalten wird. Luther bescherte den Schweden den Geschmack für Einfachheit, Vasa die nationale Identität, die Abstinenzbewegung die Tendenz zur Scheinheiligkeit und der Sozialismus die Arbeitsscheu.
Viele Ausländer, die in Schweden wohnen, finden die Einwohner sozial unzugänglich. Nachbarn kümmern sich um ihren eigenen Kram und Kollegen gehen nach der Arbeit sofort nach Hause. Es soll Neuzugezogene gegeben haben, die ihre schwedischen Nachbarn zum Kaffee eingeladen oder ihre Kollegen aufgefordert haben sollen, für einen Drink mit in die nächste Kneipe zu kommen. Derartigen Initiativen gegenüber zeigt man sich normalerweise angenehm überrascht.
Die Schweden sind in der Hinsicht einzigartig, dass sie eigentlich gegen kein anderes Land etwas haben. Die herablassende Haltung, die sie ihren nordischen Nachbarn gegenüber einnehmen, rührt nicht daher, dass man eine Abneigung gegen sie hätte, sondern von der sicheren Überzeugung, dass Schweden überlegen ist.
Natürlich schätzen sie es nicht, wenn die Deutschen noch vor dem Frühstück mit ihren Handtüchern die wenigen Liegestühle am Pool reservieren; oder wenn die Amerikaner fragen, wie viel die schwedische krona in richtigem Geld (nämlich US-Dollar) wert ist; oder wenn sich die Italiener in der Schlange am Skilift vordrängeln. Aber das betrachtet man als kleinere Abweichungen von der schwedischen Verhaltensnorm, die auf Konformität beruht.
Auf Reisen ziehen die Schweden es vor, die Einheimischen auf sicherem Abstand zu halten, indem sie sie im Hintergrund der Selfies halten, die sie mit ihren Smartphones aufnehmen. Aber grundsätzlich haben Fremde etwas Positives: Deren seltsame Gesichter und Marotten erinnern die Schweden daran, wie wundervoll es doch ist, normal zu sein – also schwedisch.
Die Kultur der Schweden entwickelte sich im Laufe der Zeit als ein Mittel, ihre Umwelt zu überleben und miteinander auszukommen. Das raue Klima machte die schwedischen Wikinger zu zähen Jägern, die es vorzogen, in ihrer freien Zeit auszuruhen, anstatt Kontakte mit ihren Nachbarn zu pflegen. Außerdem gab es nur wenige Nachbarn – und diese waren weit entfernt. Herausgekommen ist dabei ein Land voll introvertierter Menschen, die noch immer sehr viel Wert auf ihre Unabhängigkeit legen und jede Menge Bewegungsfreiheit brauchen. Wie ein schwedisches Sprichwort sagen würde (wenn es dieses denn gäbe, was aber nicht so ist): Einer ist Gesellschaft, zwei sind ein Gedränge.
Ein gemeinsamer Zug aller Schweden ist eine intensiv gefühlte svårmod, eine tiefgründige Melancholie, hervorgerufen von langen Wintern, hohen Steuern und dem Gefühl, weitab am geopolitischen und sozioökonomischen Rand festzusitzen. Sie brüten, mit sich selbst beschäftigt, lange über den Sinn des Lebens nach, ohne jemals zu befriedigenden Antworten zu gelangen. Die kahlen Bilder und ungelösten Verwicklungen in vielen von Ingmar Bergmans Filmen sind treffende Schnappschüsse der schwedischen Psyche.
All diese svårmod macht die Schweden gehemmt und im sozialen Umgang unbeholfen. Wenn sich zwei schwedische Personen zum ersten Mal begegnen, sind eigentlich vier Personen anwesend: die beiden sichtbaren Personen und dazu deren unsichtbare Alter Egos, die dicht daneben stehen und jedes Wort und jede Geste kritisieren. Nur wenn es sich um alte Bekannte handelt, treten die Alter Egos etwas zur Seite, wiewohl sie immer noch die Köpfe schütteln.
Kein Wunder, dass die Schweden bei einer ersten Begegnung etwas reserviert, ja sogar kühl erscheinen: Sie sind so damit beschäftigt, mit ihren Alter Egos zu diskutieren, dass sie sich nicht wirklich auf die Leute, die direkt vor ihnen stehen, konzentrieren können.
Wenn sie sich dann aber endlich von ihren inneren Kämpfen befreien können, sind sie zu einer Freundlichkeit und Gastfreundschaft fähig, die schon fast an Herzlichkeit grenzt.
Ein anderer, weitverbreiteter Zug ist undfallenhet – die Neigung, Ja zu sagen und Druck nachzugeben. Während ihre Wikingervorfahren auch die kleinsten Kleinigkeiten mittels harter Konfrontationen austrugen, vermeiden moderne Schweden Konflikte, wo immer sie können. Sie glauben, und- fallenhet sei eine viel intelligentere Strategie. Immerhin hat sie das Land fast zwei Jahrhunderte lang aus Kriegen herausgehalten und ihm geholfen, einen der höchsten Lebensstandards der Welt zu erlangen.
In den meisten Ländern versucht ein Verkäufer einen Kunden, der sich über einen Fehler bei einem Produkt oder Service, das oder den er gerade erworben hat, beschwert, mit Ausflüchten abzuwimmeln. Doch nicht im Land von undfallenhet