Umwelt und Wachstum

Sind Marktwirtschaft und Nachhaltigkeit unvereinbar?

F.A.Z.-eBook 6

Frankfurter Allgemeine Archiv

Projektleitung: Franz-Josef Gasterich

Produktionssteuerung: Christine Pfeiffer-Piechotta

Redaktion und Gestaltung: Hans Peter Trötscher

eBook-Produktion: Rombach Druck- und Verlagshaus

Alle Rechte vorbehalten. Rechteerwerb: Content@faz.de

© 2012 F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main.

Titelgestaltung: Hans Peter Trötscher. Foto: F.A.Z.-Foto / Helmut Fricke.

ISBN: 978-3-89843-157-6

Vorwort

Von Joachim Müller-Jung

Nicht viele Kulturwissenschaftler und Ökonomen, auch nicht die Philosophen unserer Zeit, würden »Der stumme Fühling« unter den einflussreichsten Büchern dieses Jahrhunderts verbuchen. Und dennoch war das Buch einer publizistisch erfolgreichen, aber privat schwer gebeutelten, krebskranken amerikanischen Biologin – Rachel Carson – vor fünfzig Jahren der Beginn einer historischen Entwicklung. Eine Zeitenwende. Umweltschutz war als politisches Thema damals schon nicht neu, regional war er virulent. Doch in seiner globalen Dimension, die später in einem nahezu weltweiten Verbot von DDT gipfelte, hatte die Ökologie-Bewegung noch nie zuvor so viel konkretes Material und so überzeugende Gründe zum politischen Aufbegehren in der Hand. Welche Wirkung die umweltpolitische Bewegung auf dem Felde der Ökonomie und der Politik haben sollte, die daraus erwuchs, war freilich damals, und lange noch nach Carsons Tod, nicht absehbar.

Die Farbe Grün blieb ungeliebt. Dennoch ist heute klar: Die Umweltbewegung von unten war im Westen gewachsen wie die Marktwirtschaft in den Nachkriegsjahren von oben her zur vorherrschenden Wirtschaftsform wurde, ohne allerdings deren Überzeugungskraft oder auch nur näherungsweise den gesellschaftlichen Stellenwert zu erreichen wie das freie Wirtschaften. Ökologie als politisches Motiv war in allen Systemen stets mit Feindbildern behaftet. Das hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren durchaus geändert, auch wenn hinter vielen vermeintlich ökologischen Initiativen grüner Dogmatismus und Fortschrittfeindlichkeit vermutet und deshalb gerne auch leidenschaftlich bekämpft wird. Tatsache ist aber, dass Umweltschutz inzwischen breiten wissenschaftlichen und politischen Rückhalt genießt – zumal in den jüngeren Generationen. Nur, dass die ökologischen Ziele politisch mittlerweile in einem Konstrukt und gelegentlich auch in einem Formalismus aufgegangen sind, die unter dem sperrigen Titel Nachhaltigkeit – einem geradezu historischen Begriff aus der Fortwirtschaft – alles zu bedienen versprechen: erfolgreiches Wirtschaften plus soziale Gerechtigkeit plus umweltschonendes Handeln. Diese Formel funktioniert allerdings nur in dieser bodenlosen Abstraktion. Sie geht deshalb selten auf im tagespolitischen Geschäft, weil der Blick der vielen unterschiedlichen, wie man heute sagt, »Stakeholder«, fast nie gleichmäßig auf alle drei gesellschaftlichen Ziele gerichtet ist. Mit anderen Worten: Alle reden vom Gleichen und meinen doch oft etwas Anderes.

Auf dem »Nachhaltigkeitsgipfel« der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro in diesem Jahr, genau zwanzig Jahre nach dem legendären »Erdgipfel von Rio«, auf dem die großen völkerrechtlichen Umweltschutzkonventionen vereinbart worden waren, sind die Konflikte der unterschiedlichen Interessen vielleicht so offen wie nie zuvor in einem solchen Plenum diskutiert worden. Alle waren sie da, und in Massen: Gut achttausend Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und ebenso viele aus dem Business-Bereich, die Tausende Delegierte der knapp zweihundert Vertragsstaaten sowieso. Welches Event man auch besuchte und welchen Vortrag man hörte – es ging natürlich stets um die Lösung des alten Nord-Süd-Konfliktes und um den neuen Ost-West-Konflikt der Wirtschaftsmächte. Vor allem aber ging es um die eine Frage und die eine Farbe: Welchen Fortschritt wollen wir, und wie erreichen wir, dass er grün wird? Mit anderen Worten: Auf welcher Basis baut die Menschheit eine gemeinsame und hoffentlich gerechtere, gesündere Zukunft auf. Der Riocenter war von A bis Z in die Farbe grün getaucht, sogar das Licht in den Kongresshallen war spät abends eine kräftiges, homogenes Grün. Und in den politischen Foren beherrschte ein Leitbegriff die Szenerie: »Green Economy«. Folgerichtig stand auch das Abschlusspapier von Rio unter diesem Kerngedanken. Ein kritischer Journalist, aber längst nicht nur dieser, muss natürlich versuchen, herauszufinden, was das im Einzelnen für unser Leben und Wirtschaften bedeutet. Oder handelt es sich womöglich, wie einige mutmaßen, um Etikettenschwindel. Ist arbeitsplatzerhaltendes Wachstum und technologischer Fortschritt unter den restriktiven Bedingungen einer rigiden Umweltpolitik überhaupt machbar? Ist ein ökologischer Umbau, wie er in der Forderung der Klimapolitiker nach »Dekarbonisierung« einer kohlenstoffbasierten Energiewirtschaft enthalten ist, überhaupt auf die Schnelle – und vor allem: zu bezahlbaren Preisen – möglich?

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als einer der führenden nationalen Medien tauchen solche kritischen Fragen fast täglich in den Nachrichten- und Kommentarkonferenzen auf. An konkreten Themen wie der Energiewende machen sie sich fest. Endgültige Antworten findet man selten, die Kontroversen werden offen ausgetragen. Klar erkennbar ist jedoch, dass es heute nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie einer umweltverträglichen und marktwirtschaftlich klugen Gestaltung der Zukunft geht. Die Sehnsucht nach langfristig tragbaren und letztlich berechenbaren Bedingungen ist unübersehbar, die Sorge vieler vor Katastrophen unabweisbar. Rachel Carson hätte diese Sensibilität wohl schon als großen Fortschritt gepriesen.

Ausgangslage: Zwischen Weltuntergang und »weiter so«

Propheten des Untergangs

Der Club of Rome misstraut dem Markt und wünscht sich planwirtschaftliche Vorgaben.

Von Philip Plickert

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.« Dieser Ausspruch wird wahlweise Mark Twain, Niels Bohr oder auch Winston Churchill zugeschrieben. Prognosen sind umso schwieriger und unsicherer, wenn der Blick sehr weit in die Zukunft reichen soll. Die Gefahr von Fehlprognosen steigt. Das hat die Denkfabrik Club of Rome mit ihrem berühmten Prognosebericht »Die Grenzen des Wachstums« (1972) gezeigt. Es war ein Warnruf, der von der Ölpreis- und Wirtschaftskrise scheinbar bestätigt wurde.

Doch mit der Warnung vor einem Kollaps haben sich die Wissenschaftler um Dennis Meadows, die damals noch mit sehr simplen Computermodellen rechneten, geirrt. Ihre Simulationen waren zu mechanisch, und vor allem haben sie die Innovationsfähigkeit der Menschen und der Wirtschaft unterschätzt. Der technische Fortschritt und die Erfindungsgabe der Menschen ermöglichen es, mit Knappheiten umzugehen. Heute leben mehr Menschen denn je in relativem Wohlstand, weil das rasante Wachstum der Schwellenländer Hunderte Millionen aus der Armut gehoben hat. Die (fossilen) Ressourcen sind zwar knapp und werden teurer, sind aber noch keineswegs erschöpft, wie die apokalyptischen Szenarien der Club-Wissenschaftler vor vierzig Jahren besagten.

Auch der neue Report des Club of Rome, eine Vorausschau bis ins Jahr 2052, gönnt sich kein bisschen Optimismus, sondern schwelgt in Angstszenarien. Hauptautor Jorgen Randers, ein norwegischer Betriebswirt und Zukunftsforscher, war schon am ersten Bericht 1972 beteiligt. Nun werde zur Mitte des 21. Jahrhunderts das apokalyptische Umweltszenario eintreten, warnt er. Neu ist der Klimahitzekollaps, von dem in den siebziger Jahren noch niemand sprach. Damals gab es Klimawissenschaftler, die vor einer drastischen Abkühlung bis hin zu einer neuen Eiszeit sprachen.

Randers sagt den entwickelten Volkswirtschaften, vor allem den Vereinigten Staaten, wirtschaftliche Stagnation voraus. Die Produktivitätsentwicklung sei im Sinkflug. Insgesamt müsse man mehr investieren und weniger konsumieren. Stutzig macht die Prognose, dass China »eine Erfolgsgeschichte« sein werde – wegen seiner »Fähigkeit zu handeln« –, wogegen Randers pauschal »Kapitalismus und Demokratie« unter der Überschrift »die eigentlichen Ursachen« für ihre Kurzsichtigkeit geißelt. Diese Passagen von Randers‘ Bericht durchweht der Glaube an die Überlegenheit zentralistischer Planungssysteme gegenüber ungeplanten marktwirtschaftlichen und demokratischen Prozessen. Nicht wenige Klimawissenschaftler neigen zu autoritären Träumen von einem globalen CO2-Regime.

Eine Hauptangst war lange Zeit auch das ungebremste Wachstum der Weltbevölkerung. In dieser Frage vollzieht der Club überraschend eine Wende: Während sich in den siebziger Jahren Pessimisten eine Bevölkerungsexplosion ausmalten und manche Propheten die Erde mit bis zu 15 Milliarden Menschen überquellen sahen (oftmals mit malthusianischen Katastrophenszenarien vermischt), prognostiziert der neue Club-Bericht eine markante Verlangsamung des Bevölkerungswachstums. Die Zahl der Erdenbürger von jetzt 7 Milliarden werde bis 2040 nur noch auf 8,1 Milliarden steigen und dann sinken. Doch Demographiefachleute widersprechen. »Kompletter Unsinn« sagt Gerhard Heilig, der Chef der Bevölkerungsschätzer bei den Vereinten Nationen.

Wenn aber ein zentraler Baustein der Club-Prognose so schief liegt, wie treffend ist dann das Gesamtbild? Das Weltklima ist ein extrem komplexes System mit vielfältigen Wechselwirkungen. Seriöse Forscher geben zu, dass sie es erst in Ansätzen verstehen. Alle Prognosen unterliegen gewaltiger Unsicherheit. Der Club of Rome glänzt mit einer besonders schlimmen, pseudogenauen Prognose zu Temperatur (2 Grad Erhöhung bis 2052) und Meeresspiegel (Anstieg um 50 Zentimeter). Ist das nicht eine groteske Anmaßung von Wissen? Immerhin bringen Horrorszenarien öffentliche Aufmerksamkeit und politischen Einfluss sowie mehr Spenden und Subventionen für die Klimarettungsindustrie – nur nutzt sich dieser Effekt auf die Dauer auch ab.

Große Fragezeichen muss man auch über die These von der Stagnation der westlichen Industrienationen setzen. Die Annahme einer dauerhaft gedrückten Produktivitätsentwicklung ist durch die Daten nur zweifelhaft gedeckt. Manche Analysten glauben, wir befinden uns am Ende einer der langen Wellen der Wirtschaft, der sogenannten Kondratieff-Zyklen. Doch wer sagt, dass die Phantasie der Forscher am Ende ist? Schon der erste Bericht des Club of Rome krankte daran, dass er den technischen Fortschritt viel zu gering schätzte. Die Menschheit ist anpassungsfähig und wird auf neu entstehende Knappheiten kreative Antworten finden.

Die Untergangspropheten im Club of Rome misstrauen dem Markt als Entdeckungsverfahren. Sie wünschen planwirtschaftliche Vorgaben, vor allem in der Energie- und Klimapolitik. Die »Fähigkeit zu handeln« von Planwirtschaften mag hoch sein. Doch was sie »großer Sprung nach vorn« nennen, geht oft fürchterlich daneben – genau wie Großprognosen auch.

Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11.5.2012