Rafa und seine Schwester Niki können es kaum glauben: da läuft eine Schildkröte einem Porsche genau vor die Räder! Sie retten sie gerade noch und nennen sie „Speedy“. Nun darf Speedy bei ihnen im Garten leben und sie bauen ihm eine Rennstrecke. Doch als die Geschwister eines Tages aus der Schule kommen, gähnt ihnen statt des Gartens eine Baugrube entgegen. Und wo ist Speedy?
Martin Klein, geboren 1962 in Lübeck, verbrachte seine Kindheit im Ruhrgebiet und machte am Niederrhein Abitur. Er wurde Sportstudent, Landschaftsgärtner, Diplom-Ingenieur und Autor. 1990 erschien sein erstes Kinderbuch. Viele weitere folgten. Sie wurden bislang in 15 Sprachen übersetzt und erhielten verschiedene Auszeichnungen. Martin Klein lebt in Berlin und Potsdam.
Barbara Jung hat Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration studiert. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als freie Illustratorin für verschiedene Kinder- und Jugendbuchverlage. Schräge Personalien und ein gewisser Humor sind ihr die liebsten Zutaten für ein gelungenes Buch. Sie lebt mit ihren Kindern in Frankfurt am Main.
„Ich bin ein Problemkind“, sagte Rafa düster.
Vor Kurzem hatte er gehört, wie sich zwei Mütter im Supermarkt unterhielten und dieses Wort benutzten. Die beiden hatten besorgte Gesichter gemacht. Rafa hatte sich gefragt, was ein Problemkind wohl war.
Und jetzt war ihm aufgefallen, dass der Begriff gut auf ihn selbst passen könnte.
Niki widersprach ihm sofort. „Bist du nicht.“
„Bin ich doch“, beharrte Rafa. Er senkte den Kopf und betrachtete sorgenvoll die Waschbetonstufe, auf der er saß.
„Was soll das denn sein, ein Problemkind?“, fragte Niki und fast im selben Moment fiel ihr eine lustige Antwort ein: „Ein Problemkind ist ein Zwillingsbruder, der seine Schwester nervt.“
„Haha“, sagte Rafa.
Die Geschwister saßen auf der obersten Eingangsstufe vor ihrem Mietshaus. Das war ihr Stammplatz. Man hatte von dort einen guten Blick auf die Umgebung und es ließen sich prima alle möglichen Angelegenheiten besprechen.
„Wie du schon oft genug mitbekommen hast, krieg ich einfach keine Erlaubnis fürs Kartfahren“, erklärte Rafa. „Und jetzt ist es endgültig vorbei. Ich darf nämlich nicht mal an meinem Geburtstag ins Motodrome. Mama hat erklärt, das müsse etwas sein, das auch ihr ein kleines bisschen Spaß macht. Und Papa hat gesagt, das würde unsere CO2-Bilanz endgültig ruinieren, und komisch gelacht. Haha.
Es ist unheimlich lustig, Eltern zu haben, die ihr Auto abgeschafft haben und Kartfahren schlimm finden. Für mich bedeutet das: Rennfahrer-Karriere ade. Ich bin raus.“
Rafa schaute missmutig auf die leere Straße.
„Wenn du erst erwachsen bist, kannst du trotzdem Rennfahrer werden“, sagte Niki. „Keiner kann dir’s verbieten.“
„Zu spät“, erklärte Rafa. „Wer erst mit achtzehn anfängt, schafft es nicht mehr. Das weiß jedes Kind und jeder Weltmeister ist der Beweis! Hamilton, Vettel, Schumacher, Senna, Lauda und so weiter: Alle großen Formel-1-Champions haben schon im Kindergarten ein Kart gehabt. Und ich krieg nix und darf nix!“
„In so einem Motodrome stinkt es mächtig, oder?“, fragte Niki.
„Das muss so sein“, sagte Rafa. „Das gehört dazu.“
„Und es herrscht ein Riesenkrach, oder?“
„Toller Sound“, sagte Rafa.
Niki schwieg erst einmal und betrachtete die Umgebung. Es war nicht viel los. Ringsum herrschte die typische Irgendwann-am-Nachmittag-vor-dem-Haus-Ruhe.
Irgendwo bellte ein Hund. Niki fand, dass sein Gebell sympathisch klang. Bestimmt war es ein netter Hund. Vielleicht sogar ein Labrador. Labradore waren die tollsten Hunde auf der ganzen Welt.
Niki dachte: Niemals werde ich mit so einem freundlichen Bellen gemeint sein, und plötzlich verstand auch sie genau, was ein Problemkind ist. Niemals werde ich begeistert angewedelt werden, überlegte sie weiter. Und niemals werde ich für einen Hund Unterstützung von meinem Bruder bekommen. Ich bin das einzige Kind auf der Welt, bei dem nicht nur die Eltern, sondern auch der Zwillingsbruder kein Haustier haben will. Weil das angeblich auch ihm Arbeit machen würde. Das ist schlimm.
Missmutig schaute sie Rafa an. Der bemerkte es nicht. Er horchte mit erhobenem Kopf Richtung Straße.