Inhalt

Nationalstolz & Identität

Charakter

Einstellungen & Werte

Verhalten

Familie

Manieren

Freizeit & Vergnügen

Humor

Kultur

Essen & Trinken

Was wo verkauft wird

Gesundheit & Hygiene

Systeme

Verbrechen & Strafe

Regierung & Bürokratie

Geschäftsleben

Obsessionen

Sprache & Ideen

Die Autoren

„Die Franzosen sehen Brillanz in allem, was sie tun, und französische Staatsmänner von der Renaissance bis heute haben Frankreich als leuchtendes Vorbild gesehen.“

Die französische Bevölkerung umfasst 67 Millionen Menschen – im Vergleich zu 46 Millionen Spaniern, 54 Millionen Engländern, 61 Millionen Italienern, 81 Millionen Deutschen und 322 Millionen Amerikanern.

Nationalstolz & Identität

Vorwarnung

Die Franzosen legen Wert auf die wichtigen Dinge des Lebens – nämlich darauf Franzose zu sein (oder Französin versteht sich). Sie kümmern sich mehr darum, alles sehr stilvoll zu tun, als darum, was sie tun. Sie sind überzeugt von ihrer kollektiven und individuellen Überlegenheit gegenüber allen anderen. Ihr Charme liegt darin, dass sie den Rest von uns nicht verachten: Sie bemitleiden uns dafür, keine Franzosen zu sein.

Die Idee von la force ist der Grundgedanke in allem, was die Franzosen, mal besser, mal schlechter, in den letzten 1000 Jahren getan haben. La force ist ihr Gefühl für die Essenz des Lebens. Es ist verknüpft mit anderen großen Ideen wie la gloire und la patrie, femininen Wörtern, die von unerschöpflichen Energiereserven künden.

Die Franzosen sind fasziniert von allem, was dynamisch, vor Leben sprühend und beweglich ist. Unter ihrer schicken und adretten Erscheinung reagieren sie auf atavistische und primitive Impulse.

Innerhalb von nur 200 Jahren versuchten sich die Franzosen an einer Revolution, die ihre Gesellschaft auf den Kopf gestellt hat, einer imperialen Autokratie, einer wiederbelebten Monarchie, einem gewählten König, einer Republik, einem weiteren Herrscher, noch einer Revolution, mehr Republiken und vielen weiteren Revolutionsversuchen. Irgendwie haben sie all das aufgesogen und damit einen Lebensstil kreiert, um den sie die Welt beneidet.

Während die meisten Nationen auf die spärlich verhüllte Marianne (das Symbol der französischen Republik), die mit der Muskete in der Hand die Barrikaden erstürmt, etwas befremdet reagieren würden, spornt sie die Franzosen zu patriotischer Leidenschaft an (und rührt das Publikum von „Les Misérables“ zu Tränen).

Zwar ist ihr Nationalsymbol der Hahn – ein farbenfroher, männlicher Vogel, der viel Lärm macht, alle Konkurrenten vertreibt und keine Eier legt –, aber sie vergessen nie, dass ihr Land la France ist.

Die Franzosen sind sinnliche Menschen, die sich küssen, während andere sich mit einem Handschlag begnügen; die stolz, ihre Art Liebe zu machen, mit ihrem Genuss von ausgedehnten Mahlzeiten vergleichen; die Musik schreiben, die wie ein Sonnenaufgang über dem Meer klingt. Aus diesem Grund erfreuen sie sich auch an solchen Feinheiten, wie sich etwa siebeneinhalb Minuten Zeit dafür zu nehmen, eine kleine tarte des cerises in einer Schachtel zu verpacken, sie mit einer Schleife zu versehen und dem Kunden wie ein neugeborenes Baby zu überreichen – obwohl das kleine Kunstwerk innerhalb kürzester Zeit nach Verlassen der Pâtisserie verspeist wird.

Wie sie sich selbst sehen

Die Franzosen sehen sich als das einzig wirklich zivilisierte Volk der Welt. Schon vor langer Zeit entdeckten sie die absoluten Weisheiten des Lebens und deshalb fühlen sie sich dazu verpflichtet, den Rest der Menschheit zu erleuchten.

Sie sehen sich als Experten in allen wichtigen Dingen. Alles, worin sie keine Experten sind, ist nicht wichtig. Alles Leben, alle Energie ist eine Naturgewalt, die sie aus vollem Herzen annehmen. Sie sehen Ruhm, wo andere eine Niederlage sehen. Zwar mögen sie ein Reich verlieren (Algerien) oder ein Rugbyspiel im Parc des Princes, aber sie wissen, dass sich Frankreich wieder und zu noch größerem Glanz erheben wird. Die Franzosen würden niemals „Armes altes Frankreich“ sagen, wie die Deutschen hin und wieder „Armes Deutschland“ sagen. Die Franzosen haben keine Zeit für Selbstmitleid, weder wenn es um die Nation noch wenn es um Geschäftliches geht. Stattdessen heißt es „Weiter, weiter“, auf die Barrikaden, zur nächsten Wahl, Erfindung oder Verhandlung.

Es liegt ein kindlicher Enthusiasmus und Optimismus in der Art wie die Franzosen ihre Zukunft und ihr Schicksal sehen. Sie glauben, dass alles gut wird – einfach, weil alles Französische das Weltbeste ist. Die zweite Geige zu spielen ist kein Hobby der Franzosen.

Sie sehen Ehre in der Verführung, Triumph in einem gelungenen entrecôte und Weltherrschaft in einer Flasche grand cru. Nicht umsonst wurde Louis XIV. der „Sonnenkönig“ genannt, denn die Franzosen finden Brillanz in allem, was sie tun. Französische Staatsmänner von der Renaissance bis heute haben Frankreich mit einem Licht im Dunkel verglichen. Ihre Rolle im Verhältnis zum Rest der Welt grenzt ans Messianische.

Wie sie andere sehen

Um ihrem Überlegenheitsgefühl Gültigkeit zu verleihen, akzeptieren die Franzosen großzügig die Notwendigkeit der Existenz anderer Nationen. Man darf aber kein politisch korrektes Verhalten von ihnen erwarten. Sie können rassistisch, chauvinistisch und fremdenfeindlich sein, allerdings mit großem Charme, und wo andere Nationen sich schuldig fühlen würden, solche Ansichten zu haben, empfinden Franzosen diese als natürlich.

Sie empfinden die Engländer als kleingeistig, unkultiviert und schlecht angezogen; ein Volk, das die meiste Zeit damit verbringt zu gärtnern, Cricket zu spielen und süßes, warmes Bier in Pubs zu trinken. Sie nennen die Engländer, die als Tagestouristen nach Calais kommen, „les fuck-offs“ und bezeichnen die Briten als „perfide“ (aufgrund eines schwebenden Verfahrens, indem noch nicht endgültig geklärt wurde, ob Napoleon während seines Aufenthaltes auf St. Helena vergiftet wurde). Die Schotten werden in einem ganz anderen Licht gesehen: Abgesehen von historischen Verbindungen liefern die Schotten Malt Whisky.

Sie finden die Spanier stolz, aber laut, und glauben, dass sie mehr Wein produzieren, als für die Weingüter des Midi gut ist. Obwohl der spanische Wein für die Geschmacksknospen der Franzosen minderwertig ist, konstatieren sie: ça existe („er existiert“) – und das sagt alles.

Die Franzosen verabscheuen die Deutschen nicht direkt, aber sie mögen sie auch nicht. In guten Zeiten zeigen sich die Franzosen gern in der Führungsrolle der EU, in schlechten Zeiten überlassen sie diese gern den Deutschen. Die Franzosen finden nichts Glanzvolles oder Romantisches daran, die Verantwortung für ein sinkendes Schiff zu haben. Sie erkennen gern die industrielle Überlegenheit der Deutschen an, halten ihre Kultur aber im Vergleich zu ihrer eigenen für unterlegen. (Das ist keine Diskriminierung. Aus ihrer Sicht sind alle anderen Kulturen der ihrigen unterlegen.) Auf politischer Ebene fühlen sie sich den Deutschen ebenfalls überlegen, da die Deutschen jede internationale „Präsenz“ verloren haben, nachdem man ihnen nach dem Ersten Weltkrieg alle Kolonien genommen hat. Und obwohl Frankreich keinen großen Anteil mehr an der Welt besitzt, sind das französische Gesetz, die französische Sprache und Kultur auf jedem Kontinent vertreten.

Trotz aller Vorbehalte und wie unbequem sie den Gedanken auch finden mögen, gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den Franzosen und den Deutschen: eine gewisse Förmlichkeit, die Zurückhaltung und der traditionelle Glaube an die eigene kulturelle Überlegenheit.

Im Kontrast zu diesem zwiespältigen Verhältnis steht die Haltung der Franzosen zu den Schweizern und Belgiern. Die Schweizer werden im französischen Werbefernsehen gnadenlos karikiert. Sie mögen gastfreundlich sein, sind aber Putzteufel und sprechen ein äußerst merkwürdiges Französisch. Die Belgier werden als rundherum langweilig und bar jeglicher Finesse angesehen – Charakterzüge, die von den Franzosen, die Stil über alles schätzen, verachtet werden. In ihren Augen waren die Belgier schon immer bête, stumpfsinnig, und sie sind die Zielscheibe zahlloser französischer Witze. Zum Beispiel:

Zwei belgische Soldaten schlafen unter einem Baum. Plötzlich werden sie von einem grollenden Geräusch geweckt.

„Tod und Teufel“, sagt der Erste. „Ein Sturm!“

„Nein“, sagt der Andere, „das sind Bomben.“

„Gott sei Dank“, sagt der Erste. „ Ich habe panische Angst vor Donner!“

Heutzutage schwingt bei diesen Witzen allerdings ein wenig Neid mit, seit die Franzosen feststellen mussten, dass die Belgier inzwischen einen höheren Lebensstandard haben als sie selbst.

Besondere Beziehungen

Geschichtlich gesehen, verbindet Frankreich eine besondere Beziehung mit den USA und Kanada, da es große Teile des ersteren besessen und des letzteren bevölkert hat. Aber inzwischen kommt es zu Komplikationen. Wenn heutzutage ein französischer Film in einem Kino im französischsprachigen Teil von Kanada gezeigt wird, dann mit Untertiteln, denn die Kanadier verstehen das Original nicht mehr, weil der Akzent so unterschiedlich ist.

Die Franzosen hegen schon lange große Bewunderung für die Amerikaner – für ihre Verfassung (basierend auf der französischen), für ihre Gesetzgebung (basierend auf der französischen) und dafür, dass sie die Briten aus dem Land geschmissen haben. Dennoch unternehmen sie große Anstrengungen, um den korrumpierenden Einfluss der amerikanischen Kultur auf die eigene abzuwehren, indem sie die Anzahl der Restaurants von Fast-Food-Ketten begrenzen, den Import amerikanischer Waren beschränken und Euro-Disney ausreichend weit von Paris abgeladen haben, um diesem Unternehmen eine faire Chance des Scheiterns zu verschaffen.

Eigenartigerweise haben es die Franzosen aber geschafft, Generationen über Generationen von Amerikanern dazu zu bringen, sich in sie zu verlieben, ohne dass diese Liebe erwidert würde.

Wie andere sie sehen

Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten: raffiniert, skeptisch, empfänglich für das weibliche Geschlecht. Aber das Problem mit den Franzosen ist für viele, dass sie sie als inkonsequent empfinden. Das liegt daran, dass die anderen nicht erkennen, dass die Franzosen wichtige Entscheidungen auf der Basis des Eigennutzes treffen, ein Merkmal bäuerlicher Weltanschauung.

Dieser Charakterzug zieht sich durch alle Belange französischen Lebens. Sie bringen einen zur Verzweiflung mit ihrem schwerfälligen Umgang mit den Vorzügen der Marktwirtschaft, aber erheitern anderseits mit ihren Träumereien, die eines Don Quijote würdig wären. Sie erschaffen die schönsten Bilder der Welt und gleichzeitig die hässlichsten Tapeten. Sie bauen die wunderbarsten Gemüse an und servieren sie nie in ihren Restaurants. Sie arbeiten hart, sind aber nie bei der Arbeit zu sehen. Fährt man zu einer beliebigen Zeit eines Tages, einer Woche, eines Monat oder Jahres durch Frankreich, erscheinen einem 95 % des Landes unbewohnt oder im Tiefschlaf zu sein.

Was andere dabei verstehen müssen, ist, dass die Franzosen Beständigkeit als langweilig ansehen und langweilig zu sein, muss um jeden Preis vermieden werden.

Wie sie von anderen gesehen werden möchten

Da die Franzosen mit einem Übermaß an Selbstbewusstsein ausgestattet sind, ist es ihnen eigentlich egal, was andere von ihnen halten.

Charakter

Der Franzose an sich

Jeder Franzose hegt den heimlichen Wunsch Cyrano de Bergerac zu sein, der angeberische, schwadronierende Held aus dem Stück von Edmond Rostand. Cyrano stammte, wie auch der heldenhafte Musketier d’Artagnan, aus der Gascogne. Er war stark, aber sensibel; ein großer Schwertkämpfer und doch ein Poet von ungemeiner Zärtlichkeit; ein leidenschaftlicher Liebhaber, der dennoch durch die großartigste unerwiderte Liebesgeschichte starb, die es in der Literatur gibt; ein Mann, der scheiterte, aber das glanzvoll. Aber wofür ihn alle Franzosen am meisten lieben, ist, dass er bis zum Ende seinen panache (Schneid) bewahrt hat.

Den Cyrano im Film von 1991 mit Gérard Depardieu zu besetzen war ein Geniestreich, weil Depardieu sich in eine große Anzahl von Stars (Edith Piaf, Yves Montand et les autres) einreiht, die von der Gosse zum Glanz aufgestiegen sind. Die Franzosen lieben ihre Helden, ob echt oder fiktional, für eine verderbte, unterprivilegierte, kriminelle Vergangenheit – ein Außenseiter, der sich seinen Weg bahnt.