Er nennt sich Joachim Friedrich. Sie sich Hortense Ullrich. Er ist ständig auf Lesereisen, bemüht sich aber redlich, von Zeit zu Zeit seine Familie in Bottrop zu sehen. Sie sitzt in Bremen und versucht vergeblich, zwei aufmüpfige Hunde, zwei chaotische Teenager-Töchter und gelegentlich ihren Mann zu erziehen. Die beiden hatten absolut nichts miteinander gemeinsam. Außer ihrem Erfolg als Autoren und ihrem Humor. Bis eine E-Mail von Hortense Ullrich an Joachim Friedrich den Roman PinkMuffin@BerryBlue auslöste ...
Er nennt sich BerryBlue. Sie sich PinkMuffin. Er wuchtet Sahnetorten im Café seiner Eltern. Sie ist eine aufmüpfige Tochter aus gutem Hause. Die beiden hatten absolut nichts miteinander gemeinsam. Bis sie sich über E-Mail kennengelernt und die verrücktesten Abenteuer erlebt haben. Und das, ohne sich je richtig getroffen zu haben. Das soll sich nun endlich ändern. Doch kurz nach dem ersten Date überschlagen sich die Ereignisse: Ein Hund verspeist eine Urkunde und ein Kidnapper verwechselt sein Entführungsopfer. BerryBlue landet im Knast und PinkMuffin vor einer Fototapete mit Palmen. Und das ist erst der Anfang ...
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Ich klaue keine Brieftaschen!
Hi, MAX,
Mann, kannst Du böse gucken! Ich habe echt gedacht, Dein Blick brennt Löcher in mich rein. Der Typ war wohl nicht Dein Typ. Haha!
Na gut, wahrscheinlich bist Du nicht in der Stimmung für blöde Witze. Ich habe das Ganze wohl irgendwie missverstanden. Jedenfalls habe ich fast einen Herzanfall bekommen, als ich Dich und das Mädchen da sitzen sah. Da hab ich die Panik gekriegt und – na ja, den Rest kennst Du ja.
Auch wenn Du jetzt möglicherweise ein bisschen sauer auf mich bist, könntest Du der Polizei bitte erklären, dass ich Deine Brieftasche nicht geklaut habe? Denn das habe ich wirklich nicht! Auch wenn es vielleicht so ausgesehen hat.
Danke! Und ich mach’s wieder gut! Ehrlich!
Berry
PS: Wenn man so oft verhaftet wird wie ich, hat das auch seine Vorteile. Jeder kennt mich hier schon und die meisten grüßen mich sogar freundlich – mal abgesehen von Kommissar Knauer und Wachtmeister Sampft. Aber zumindest lassen sie mich diese Mail an Dich schreiben. Melde Dich bitte bald!
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Ein BISSCHEN sauer?!?
Du bist ein absolut hirnloser Pfingstochse!
Ich kann’s echt nicht fassen! Was hast Du Dir denn dabei gedacht?! Wie kommst Du auf die Idee, dass ein polizeibekannter Taschendieb der perfekte Junge für mich wäre?! Wenn Du meine Idee mit dem doppelten Blind Date nicht gut fandest, hättest Du ja was sagen können!
Das war echt mies von Dir! Ich such Dir ein supernettes Mädchen und bin total gespannt, wen Du für mich ausgesucht hast, und dann so was! Ein heruntergekommener Strauchdieb, der alten Damen die Handtaschen klaut! Wenn es wenigstens ein Juwelendieb gewesen wäre, haha! Nein, den letzten Satz nehm ich zurück, ich bin supersauer und find das alles gar nicht witzig!
Jetzt tu ich Deinen Eltern einen Gefallen (Deinen Eltern – nicht Dir!) und ruf bei Kommissar Knauer an und klär die Sache. Dann kannst Du nach Hause dackeln. Vielleicht triffst Du ja einen Fahrraddieb, den kannst Du mir dann auch noch vorbeischicken. Schau Dich um, auf so einem Polizeirevier wimmelt es nur so von Gaunern und Verbrechern – und Holzköpfen wie Dir! Da muss doch was für mich dabei sein! Zu dumm aber auch, dass mein von Dir so liebevoll ausgesuchtes Date gleich verhaftet wurde! Vielleicht hätte ich mit dem Typ ja irgendein Ding drehen können – Banküberfall oder so.
Das war echt ’ne üble Nummer von Dir! Es geschieht Dir recht, dass die Polizei Dich mitgenommen hat!
Du kannst meine Mailadresse löschen, das war’s.
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Noch sauer?
Liebe MAX!
Danke! Danke! Danke! Ich meine, nicht für Deine letzte Mail, denn die war echt – na, halt so, wie Deine Mails immer sind, wenn Du sauer auf mich bist. Und das passiert ja mindestens alle zwei Tage. Hahaha!
Bitte glaub mir, MAX, das Ganze war ein total blöder Zufall. Wie sollte ich wissen, dass Du tatsächlich ein Mädchen zu dem Blind Date mitbringst? Ich dachte, Du kommst allein! Also musste ich schnell einen Typen für Dich suchen! Der, den ich in der Eile gefunden habe, war eine echte Notlösung. Das musst Du mir glauben! Dass ich dabei ausgerechnet an einen Gangster geraten würde, konnte ich ja nicht ahnen. Andererseits hätten mir sein nervöser Blick und seine noch nervöseren Hände zu denken geben müssen.
Also, mit anderen Worten: Ich kann verstehen, dass Du sauer auf mich warst. Das bist Du doch nicht mehr, oder? Schließlich hast Du mich vor dem Gefängnis bewahrt. Dein Timing war echt perfekt.
Ich sitze vor Kommissar Knauer an seinem Schreibtisch, während sich Wachtmeister Sampft wie immer ein Tütchen Brause nach dem anderen in den Mund schüttet.
»Wie bist du an die Brieftasche gekommen, wenn du sie, wie du behauptest, nicht gestohlen hast?«, fragt mich der Kommissar.
Ich zermartere mir das Hirn, was ich darauf sagen soll. Schließlich kann ich ihm nicht von unserer missglückten Verabredung erzählen. Erstens geht ihn das nichts an und zweitens würde er mir die irre Geschichte ohnehin nicht glauben. Ich muss ihm auch nicht antworten, denn sein Telefon läutet.
Er nimmt ab. »Knauer! – Wer? – Ach so. – Wie bitte? Sind Sie sicher? – Na schön. Wie Sie wollen.« Er legt auf und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du hast die Brieftasche also bei dir gehabt, weil du auf sie aufpassen solltest.«
Um ehrlich zu sein, brauche ich einen Augenblick, bis ich schalte: »War das MAX?«
»Fräulein von Hardenberg.«
»Sag ich doch! Mathilda Antonia Xenia von Hardenberg, MAX eben! Hat sie gesagt, ich sollte auf die Brieftasche aufpassen?«
»Das wollte ich eigentlich dich fragen.«
»Wie? Ach so! Ja! Ja, genauso war es. Sie hat mir die Brieftasche gegeben, damit ich darauf aufpasse.«
Kommissar Knauer lehnt sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Das ist eine ziemlich blöde Ausrede, findest du nicht?«
»Warum sollte ich denn ihre Brieftasche stehlen?«
»Weil sie reich ist.«
»Stinkreich«, nuschelt Sampft mit vollem Mund. »Kosmetikfabrik. Alter Adel. Und deine Eltern haben nur eine kleine Konditorei und ein Café, also wenig Kohle.«
»Ja und? Nur weil meine Eltern nicht so viel Geld haben, klaue ich noch lange keine Brieftaschen! Und die von MAX schon gar nicht! Außerdem hat sie doch gerade bestätigt, dass ich darauf – aufgepasst habe, und Sie haben den echten Taschendieb gefangen.«
Sampft schüttet sich das wohl zehnte Tütchen Brause in den Mund. »Hinter dem sind wir schon lange her. Ist ein ziemlich ausgebuffter Typ. Er hat einen besonders hinterhältigen Trick, obwohl er eigentlich ganz einfach ist –«
»Sampft!«, zischt Kommissar Knauer seinen Kollegen an. »Wollen Sie jetzt Unterricht für Taschendiebe geben?«
»Wie? Äh, nein, Herr Kommissar. ’tschuldigung.«
So, wie der Kommissar drauf war, hätte er mich wohl am liebsten dortbehalten und in eine Zelle gesteckt. Wahrscheinlich dachte er, wer so oft verhaftet wird wie ich, muss doch irgendwann mal schuldig sein. Aber er musste mich laufen lassen. Gegen Deinen Anruf hatte er keine Chance.
Echt, MAX, dafür bin ich Dir total dankbar! Und Du bist doch jetzt auch nicht mehr sauer auf mich, oder?
BerryPS: Wenn ich wieder zu Hause bin, melde ich mich noch mal. Ich sitze nämlich gerade neben Sampft im Polizeiauto.
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Entschuldigung nicht akzeptabel
Nee, Berry,
so einfach kommst Du mir diesmal nicht davon. Ein »blöder Zufall« war das? Wie bitte?!
Wir hatten verabredet, dass ich für Dich das ideale Mädchen mitbringe, jemanden, der gut zu Dir passt. Und Du solltest für mich den perfekten Jungen aussuchen. Das war die Abmachung. Wie kommst Du dann auf die Idee, ich würde allein kommen?
Sorry, aber Deine Logik kann ich nicht nachvollziehen. Du tauchst zu unserem Vierer-Date allein auf, und als Du mich mit Clara siehst, quatschst Du den Nächstbesten (na, in diesem Fall wohl den Nächstschlechtesten) an und überredest ihn dazu, mit mir den Abend zu verbringen?! Hast Du ihn dafür bezahlt? Und hast Du gedacht, Du kommst damit durch? Also wirklich! Und mit Clara hast Du keine zwei Worte gewechselt, sondern auch noch versucht, ihr diesen Typ anzudrehen. Kein Wunder, dass sie sauer war und nach fünf Minuten gegangen ist. Sauer war sie auf mich, denn ich hatte ihr ja von Dir vorgeschwärmt, und nun glaubt sie, ich hätte mir mit der Sache einen Scherz auf ihre Kosten erlaubt. Sie war eins der wenigen Mädchen in meiner Klasse, die wirklich nett sind und die mich noch nicht gehasst haben.
Als dann die Polizei aufgetaucht ist und den Kerl festgenommen, ihn durchsucht und drei fremde Brieftaschen bei ihm gefunden hat, war ich immer noch nicht entzückt über den Verlauf meines Blind Dates.
Dass die Polizei Dich auch noch überprüft und meine Brieftasche bei Dir gefunden hat, hat mich auch nicht sehr viel fröhlicher gemacht.
Natürlich war mir klar, dass Du mein Portemonnaie nicht geklaut hast! Das war der Typ – der hatte es wohl noch in der Hand, als die Polizei kam, und hat es Dir schnell untergeschoben. Für den Gedankengang muss man kein Einstein sein.
Ich hätte das gleich vor Ort klären können, aber ich fand es eine gerechte Strafe, dass Du von der Polizei abgeführt wurdest. Hach!
Damit sie Dich wieder laufen lassen, hab ich Knauer gesagt, ich hätte Dich gebeten, mein Portemonnaie für mich aufzubewahren, das wäre alles ein Missverständnis.
Sauer bin ich nach wie vor, mein Lieber. Erwarte nicht, dass ich milde lächle und sage: »Typisch Berry!«
Für den Blödsinn, den Du verzapft hast, brauche ich ’ne bessere Erklärung. Bis dahin kann ich Dich nicht mehr leiden!
In diesem Sinne,
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Ich sag es Dir jetzt einfach!
Hallo, MAX,
Du hast ja recht. Ich frag mich, warum ausgerechnet mir immer solche Sachen passieren. Als ich gesehen habe, dass Du diese Clara mitgebracht hast (stimmt, sie scheint in Ordnung zu sein, aber sie ist trotzdem überhaupt nicht mein Typ), habe ich echt die Panik bekommen. Ich bin ins Internetcafé nebenan gerannt und da saß dieser Gangster, von dem ich noch nicht wusste, dass er einer ist. Ehrlich gesagt, habe ich ihn mir gar nicht so genau angesehen und ich weiß noch nicht einmal mehr so genau, was ich ihm eigentlich für eine Geschichte aufgetischt habe. Aber sie muss wohl so überzeugend gewesen sein, dass er gleich mitgekommen ist. Hätte mich das stutzig machen müssen? Ja, wahrscheinlich.
Als wir dann bei Euch waren, ist mir schnell klar geworden, was ich da für ein Exemplar angeschleppt habe. Nur, da war es zu spät.
Ich wollte die Situation retten, aber damit habe ich wohl alles nur noch schlimmer gemacht. Mir ging immer nur ein Gedanke durch den Kopf: Ich muss diesen Idioten von MAX fernhalten. Darum habe ich auch versucht, ihn Clara anzudrehen.
Gut, nachdem Du mir dreimal vors Schienbein getreten hast und Clara mir ihr Getränk ins Gesicht geschüttet hat, wäre es vielleicht Zeit gewesen, damit aufzuhören. Aber, wie gesagt, ich war echt nicht mehr zurechnungsfähig.
Nun wirst Du Dich wahrscheinlich fragen, warum ich so eine Panik geschoben habe. Glaub mir, MAX, ich hab lange überlegt, ob ich Dir schreiben soll, was ich Dir jetzt schreibe. Vielleicht macht es unsere Freundschaft kaputt oder Du lachst mich aus oder lässt mich verhaften. Aber ich halte es einfach nicht mehr länger aus. Darum sag ich es Dir jetzt einfach:
Ich habe mich in Dich verliebt.
Nicht nur so ein bisschen. Es hat mich voll erwischt. Wenn ich abends einschlafe, sehe ich Dein Gesicht vor mir, und wenn ich morgens aufwache, bist Du wieder da. Und in der Zeit dazwischen geht es mir genauso.
Erst wollte ich es nicht wahrhaben und habe mir eingeredet, dass ich keine Freundin brauche. Aber als Du mir dieses »Blind Date« vorgeschlagen hast, bei dem ich den »idealen Jungen« für Dich mitbringen sollte und Du das »ideale Mädchen« für mich, da wusste ich es: Das einzige Mädchen, das für mich infrage kommt, bist Du! Darum bin ich allein gekommen. Ehrlich gesagt, habe ich ein bisschen gehofft, dass Du auch allein kommst, weil Du genauso denkst wie ich. Aber das scheint ja wohl nicht der Fall zu sein. Deshalb bin ich auch so in Panik geraten und hatte Angst, Dir zu gestehen, warum. Aber nun ist es raus und ich fühle mich besser.
Mehr schreibe ich jetzt nicht. Ich will die Mail abschicken, solange ich noch den Mut dazu habe.
Berry
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: War’s das?
Hallo, MAX,
warum meldest Du Dich nicht? Ich hatte wohl recht, oder? Ich renne ungefähr alle zehn Minuten aus dem Café in mein Zimmer rauf, um nachzusehen, ob eine Mail von Dir gekommen ist.
Glaub mir, mit mir ist echt nichts mehr los. Meine Mutter und unsere Café-Stammomas machen sich schon Sorgen um mich. Sogar unsere hartgesottene Karate-Serviererin Kassandra fragt mich ständig, was mit mir los ist, warum ich dauernd über meine Füße stolpere und das Tablett fallen lasse (zwei Tassen und drei Kuchenteller sind dabei schon draufgegangen). Ich habe ihnen natürlich nichts gesagt und vielleicht hätte ich es Dir auch nicht schreiben sollen.
Willst Du nun nichts mehr von mir wissen? Wenn das so ist, dann lass uns wenigstens Freunde bleiben. Denn gar nichts mehr von Dir zu hören, würde ich echt nicht aushalten.
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Oh Berry!
Oh Berry!
Ähm, also, das ist ein etwas hilfloses »Oh Berry«, kein geschmachtetes »Oh Berry«. Nicht, dass Du das falsch interpretierst und denkst, ich sei megaverliebt.
Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll. Das liegt daran, dass ich nicht weiß, was ich fühlen soll ...
Nee, so kommen wir nicht weiter. Also, versuchen wir’s mal ganz sachlich.
–
Moment noch.
–
Nee, klappt immer noch nicht. Gib mir noch ’ne Minute.
–
Okay, nächster Versuch.
Ich hatte eine Erklärung von Dir gefordert, wieso Du allein zu unserem Partner-Date gekommen bist, weil ich sauer auf Dich war. Na, und die hast Du mir jetzt gegeben. Wow. Doppel-Wow.
Also, fangen wir erst mal damit an: Ich bin nicht mehr die Bohne sauer auf Dich. Kein bisschen! Ehrlich.
Im Gegenteil, es ist so, so – wenn ich jetzt »süß« sage, klingt’s doof, nach Kicherhuhn, wenn ich sage »reizend«, klingt’s nach Kirschgeschwader-Oma mit Stützstrümpfen, und »rührend« klingt heulig. Aber das trifft’s womöglich am besten. Denn ich musste echt schlucken.
Aber das willst Du ja alles gar nicht wissen, bestimmt überfliegst Du die Mail hektisch mit den Augen, um irgendwo den Satz »Ich bin auch in Dich verliebt« zu finden. HALT! Das war er nicht, das gilt nicht! (Nur für den Fall, dass Du die Mail nicht in Ruhe Wort für Wort liest!)
Ich kann den Satz nicht schreiben, weil ich nicht weiß, ob er stimmt. Ich kann aber auch nicht das Gegenteil behaupten.
Lass es mich anders erklären: Ich war noch nie verliebt.
Ja, ja, ich weiß, so was gibt’s doch gar nicht! Jeder war schon mal verliebt und in unsrem Alter verliebt man sich ständig, blablabla.
Ich halt nicht.
Das liegt vielleicht daran, dass ich die meisten Leute doof finde. Ich weiß, dass ich das nicht so pauschal sagen sollte, aber jetzt mal ehrlich: Fast alle (zumindest die, die ich kenne) sind furchtbar oberflächlich, unsensibel, berechnend, hinterhältig, arrogant, machthungrig, schadenfroh, geldgierig, eitel ... Na, ich könnte stundenlang so weitermachen.
Und dann hab ich Dich getroffen, Du bist so ... anders. Nämlich ehrlich. Ja, das ist es wahrscheinlich, was mir am besten gefällt. Du bist ehrlich, Du bist einfach Du selbst. Du machst keine Spielchen, verstellst Dich nicht, versuchst nicht zu beeindrucken (und wenn, dann nur durch zahlreiche Verhaftungen, haha), Du bist gut gelaunt, enthusiastisch und zu allen Leuten nett, kurz: Du bist liebenswert.
Also, Du bist es wert, dass man Dich liebt.
Und da kommen wir jetzt zu dem Punkt, den ich nicht einschätzen kann.
Ich weiß echt nicht, was Liebe genau ist. Also, theoretisch kann ich es natürlich erklären. Philosophisch, theologisch, psychologisch ist mir das alles klar, aber was nützen mir Schopenhauer, Leibniz und Nietzsche, hier geht es ja um ein Gefühl, und ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein.
Ich finde Dich supertoll, ich mag Dich, ich verbringe gerne Zeit mit Dir (etwas mehr als bisher wär nicht schlecht, haha), mir macht es Spaß, mit Dir zu mailen – aber: Ist das »Liebe«?
Ich weiß es nicht. Ich hab keine Vergleiche.
Aber ich weiß, wovor ich Angst habe: nämlich enttäuscht zu werden. Und einen wirklich guten Freund zu verlieren. Ich hab Angst vor einer Veränderung in unserer Beziehung, weil ich sie bisher erste Sahne fand.
Das ist mein Problem.
Ich bin zwar sonst nicht so, aber am liebsten würde ich den Kopf in den Sand stecken und so tun, als hättest Du mir nie geschrieben, dass Du in mich verliebt bist.
Kannst Du das rückgängig machen? Und mich trotzdem noch mögen? Und mein Freund bleiben?
max (in kleinen Buchstaben, fühl mich gerade nicht nach Großbuchstaben)
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Lass es uns doch versuchen!
Liebe MAX!
Dir ist nicht nach Großbuchstaben? Nach Deiner Mail ist mir nach sehr großen Buchstaben!
Du kannst Dir wahrscheinlich nicht vorstellen, wie ich mich über Deine Mail gefreut habe.
Ich hätte die ganze Welt umarmen können! Dass es letztlich nur meine Mutter, Kassandra, die Bömmelmann-Zwillinge und Oma Czybulski waren, hat mich nicht gestört. Wenn ich es mir überlege, hätte ich mir zwar sparen können, Oma Czybulski einen dicken Schmatzer auf ihre Knitterbäckchen zu geben, aber das war mir in dem Augenblick auch egal!
Dass Du noch nie verliebt warst, kann ich fast nicht glauben. Nicht nur, dass Du unglaublich toll aussiehst (ist ja auch kein Wunder, bei einem ehemaligen Fotomodell als Mutter), Du bist auch anders, ganz anders als alle Mädchen, die ich bisher kennengelernt habe. Als ich gelesen habe, was Du da über mich geschrieben hast, ist mir echt die Luft weggeblieben und gleichzeitig habe ich nicht verstanden, dass Du mich so siehst. Ich finde, ich bin ganz normal, so wie ich eben bin. Du bist es doch, die immer ehrlich ist, keine Spielchen macht, nicht mit ihrem vielen Geld angibt. Du bist es doch, mit der es nie langweilig wird!
Bitte, MAX, lass es uns versuchen! Wie sollen wir sonst herausfinden, was wir füreinander fühlen? Sicher ist auch ein klitzekleines Risiko dabei, aber was gibt es schon ohne Risiko?
Bitte!
Dein Berry
(Ich denke an Dich! Jede Sekunde!)
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Risiko!
Oh Berry,
schon wieder dieses »Oh Berry« – das kann man ziemlich oft anwenden, je nach Betonung und Kontext ergibt es ’ne völlig andere Wirkung. Diesmal ist es zögerlich gemeint, mit einem Hauch von Abwehr drin.
Hoffentlich machen wir jetzt nicht alles kaputt. Aber Du hast das Wort Risiko erwähnt, und hey, Risiken haben mich noch nie geschreckt.
Wir sollten uns treffen. Wenn Du willst, kannst Du mich abholen und dann gehen wir irgendwo hin. Wo, muss ich noch recherchieren. Vielleicht gibt es ja perfekte Orte für Leute, die sich schon ewig kennen, plötzlich feststellen, dass sie eventuell (in meinem Fall) oder total (in Deinem Fall) verliebt sind, und nun ein erstes offizielles Date haben. Bis Du hier bist, hab ich die perfekte Location gefunden.
Ist übrigens niemand zu Hause bei mir, mein Vater ist geschäftlich in London, meine Mutter in Mailand bei Prada, ebenfalls geschäftlich (haha).
Also dann – bis gleich.
Gruß,
MAX
PS: Denk bitte nicht jede Sekunde an mich, mach zwischendrin mal kurze Pausen und achte drauf, in welchen Bus Du einsteigst!
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Ich bin schon unterwegs!!!
♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥♥
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Ich freu mich!
♥
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: Bist Du verletzt?
Hallo, MAX!
Ich mache mir echt Sorgen! Hoffentlich hast Du Dich nicht verletzt, als Du gegen den Schrank geknallt bist. Ich hab da wohl etwas übertrieben, als ich Dich von mir weggestoßen habe.
Ich kann mich nicht mehr so richtig erinnern, aber ich glaube, ich habe ein paar Sachen in Deinem Zimmer umgestoßen und von Deinem Schreibtisch gefegt. Ist dabei was kaputtgegangen? Wenn ja, dann ersetze ich es Dir natürlich, genauso wie das Klettergerüst für die Rosen, das ich von Eurer Hauswand abgerissen habe.
Aber das Wichtigste ist, dass Du keine Gehirnerschütterung oder so was hast.
Bitte melde Dich bald!
Berry
Von: PinkMuffin
An: BerryBlue
Betreff: Maulesel und Dolomiten
Oh Berry!
(Scheint meine neue Anrede für Dich zu werden – diesmal ist es kopfschüttelnd gemeint.)
Ganz offensichtlich bist Du der stolze Besitzer eines Chaos-Abos. (Wo kriegt man so ein Abo denn her? War’s teuer?) Ein einfaches »Entschuldigen Sie bitte, Herr von Hardenberg, ich werde unverzüglich das Zimmer Ihrer Tochter verlassen« hätte genügt. Dann wärst Du zur Tür rausgegangen. Mein Vater hätte noch ein wenig rumgebrüllt, aber damit wäre die Sache erledigt gewesen.
Aber nein, nicht in der Welt von Berry Kranz! Du machst einen Hechtsprung aus meinem Zimmer, hältst Dich am Rosenrankgitter fest und reißt es mit Dir in die Tiefe. Ich nehme mal an, Dir ist nichts passiert. So wie Du weggesprintet bist und dabei sogar unsere Wachmänner umgerannt hast – Respekt.
Aber weißt Du, wozu Dein filmreifer Abgang geführt hat? Zu einem ebenso filmreifen Satz, den mein Vater mir entgegengezischt hat: »Wenn du dich noch einmal mit diesem Berry triffst, wirst du den Rest deiner Schulzeit in einem abgelegenen Klosterinternat in den Dolomiten verbringen, das nur auf dem Rücken eines Maultieres zu erreichen ist.«
Toll, was? Jetzt geht das schon wieder los. Und ich dachte, wir könnten uns ganz normal, wie andere Leute auch, verabreden und was unternehmen.
Aber egal. Du willst wissen, ob ich eine Gehirnerschütterung habe. Ich hab ’ne Beule und mein Kopf schwirrt, aber das liegt mehr daran, dass Du mich beinahe geküsst hättest. Das Kopfschwirren wurde dadurch verursacht, die Beule kam eindeutig von Deiner völligen Überreaktion auf das Erscheinen meines Vaters in meinem Zimmer. Ich meine, ehrlich, Berry, Du setzt an, mich zu küssen, und das Nächste, was ich mitkriege, ist, dass ich durch mein halbes Zimmer segle und gegen den Schrank knalle, weil Du mich kräftig weggeschubst hast. Wow. Ich war richtig froh, als ich meinen Vater in meinem Zimmer entdeckt hatte und mir klar wurde, dass er der Grund für Deine heftige Reaktion war. Dein anschließender Hechtsprung über meinen Schreibtisch hat mich sehr beeindruckt, aber als Du aus dem Fenster gestiegen bist, hab ich wieder an Deinem Verstand gezweifelt.
Na, wie auch immer. Erzähl mir vom Café. Wie geht’s den Bömmelmann-Zwillingen? Was macht Deine Mutter? Gibt’s was Neues von Kassandra?
Hier läuft alles wie immer, mein Vater kam früher aus London zurück, weil sein Deal geplatzt ist, meine Mutter hat dafür ihren Aufenthalt in Mailand verlängert, weil sie noch zu einer Modenschau bei Versace will. Colette hat mit »die kleine Assistent von die Kommissar Schlüss gemacht«, armer Sampft. Sie will jetzt in größeren Gewässern fischen. Sie hat ein Auge auf einen Geschäftsmann aus Brasilien geworfen, der unlängst zu einem Dinner bei uns eingeladen war. Na, das wird lustig. Unser liebestolles französisches Hausmädchen angelt sich einen Millionär.
Ich halte Dich auf dem Laufenden.
Alles Liebe,
MAX
Von: BerryBlue
An: PinkMuffin
Betreff: 20 Sekunden!
Hi, MAX,
hätte Dein Vater nicht 20 Sekunden später kommen können? Er macht doch sonst immer so gute Geschäfte, warum ausgerechnet dieses Mal nicht? Wenn er wenigstens aufs Klo hätte gehen müssen, bevor er zu Dir ins Zimmer kam. Das hätte schon gereicht! Dann hätte ich es gewusst – und Du auch! Dann hätten wir gewusst, wie es ist, wenn wir uns küssen.
Es wäre so schön gewesen, das weiß ich. Es wäre das Schönste gewesen, was mir jemals in meinem Leben passiert ist. Wäre! Hätte! Würde!
Ich kriege das Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie Du Deine Augen schließt und Dein Gesicht immer näher kommt. Ich kann Dich sogar noch riechen, wenn ich will. Oh Mann!
Diesen Duft werde ich wohl nie wieder vergessen. Es hat nach – ich weiß nicht, ob ich das wirklich schreiben soll. Ich hab Angst, es wird zu kitschig. Ach, was soll’s. Ich schreib einfach, woran ich denken musste, als Du mir so nah gekommen bist.
Als ich noch ein ziemlich kleiner Knirps war, sind meine Eltern mal mit mir in die Berge gefahren. Es war noch ziemlich früh im Jahr, Mai oder so. Gleich am zweiten Tag haben wir eine Wanderung gemacht. Als ich kaum noch laufen konnte, sind wir endlich auf einer einsamen Bergwiese gelandet. Meine Eltern haben eine Decke auf die Wiese gelegt und das mitgebrachte Essen ausgepackt. Ich war so fertig, dass ich mich rücklings auf die Decke fallen ließ und in den Himmel geguckt habe. Und da ist mir dieser Duft in die Nase gestiegen. Ich habe meine Mutter gefragt, was da so toll riecht, und sie hat geantwortet: »Das sind die wilden Wiesenblumen.«
Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, dass das wohl der schönste Duft ist, den es auf dieser Welt gibt. Ja, und genau so hast Du geduftet, MAX. Wie wilde Wiesenblumen auf einer Bergwiese. Oh Mann! Das ist echt kitschig, oder? Aber es ist mir egal.
Ich sehe im Augenblick sowieso alles ganz anders. Vorhin habe ich in meiner CD-Sammlung nach Liebesliedern gesucht.
Außerdem stelle ich fest, dass ich Liebesgedichte überhaupt nicht mehr blöd finde. Ich könnte sogar selbst welche schreiben.
Keine Angst! Ich mach’s nicht. Ich finde bestimmt jede Menge andere Möglichkeiten, mich zu blamieren.
Trotzdem kann ich es nicht anders sagen: Ich habe solche Sehnsucht nach Dir!