Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2016 Olaf Ehlerding
Illustration und Cover: Olaf Ehlerding
1. Auflage
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7412-0340-4
Scheiß Wetter! Scheiß Hitze! Wo sind diese bekloppten Wolken? Jemand sagte doch, es würde hier viele Wolken geben. Nichts gibt's hier! Nur scheißblauer Himmel, scheiß Hitze und scheiß Sand, alles große Scheiße hier!“ Kele fluchte und seine Zunge hing wie bei einem Straßenköter im tiefsten Ghetto heraus. Das machte er schon den ganzen lieben langen Tag. Eigentlich tat er seit drei Wochen nichts anderes, wenn man einmal vom Marschieren und Schlafen sowie Essen, Trinken und gelegentlicher Notdurft absah. Das jedoch betraf alle eintausend Naruna und alle von ihnen fluchten mehr oder weniger. Nur Kele, der kleine, pechschwarze Krieger von den Götterquellen fluchte mit solcher Inbrunst und Ausdauer, dass sich sogar die Götter vor Scham hinter den Wolken verbergen würden, wenn diese da wären.
Drei Wochen dauerte bereits der quälende Marsch durch Schmutz, Staub und Hitze. Schweiß perlte von den Häuptern der Soldaten und verklebte sich auf deren Körpern mit dem feinen Wüstenstaub zu Dreckkrusten.
„Da bist du dem Kompanieführer mächtig auf den Leim gegangen. Keiner außer dir hat Riskat's dummes Geschwätz für voll genommen. Nur du, du ...“, zischte Hakko durch seine wulstigen Lippen hervor. Eine passende Beleidigung lag ihm bereits auf der Zunge. Er ließ aber Vorsicht walten. „Erzähl einfach mal was anderes!“
Hakko und Kele waren vom Grundsatz her ganz in Ordnung und Ellan's beste Freunde.
„Nein! Dicklippe! Ahh...! Scheiße!“ Kele schrammte den Fuß versehentlich gegen einen Stein. Normalerweise machten ihm kleine Wehwehchen nichts aus. Dieser Stein jedoch war zu groß, zu spitz und hatte im feinen Wüstenstaub einfach nichts zu suchen. Deswegen hatte Kele nicht auf-gepasst. Der kleine Zeh blutete am Nagel.
Hakko blieb stehen und rammte den Schaft des Speeres in den lockeren Sandboden. Im Bruchteil einer Sekunde schlug er mit der flachen Hand auf sein Knie, auf den Bauch und dann auf seine Stirn. Und zwar genau dorthin, wo er wie alle Naruna, abgesehen von den Offizieren, das Brandmal des ägyptischen Auges hatte. „Wenn du nichts anderes auf Lager hast, dann halt doch einfach die Schnauze, kleiner schwarzer Gno … Arschloch!“ Grade noch so hatte Hakko die Kurve gekriegt und „kleiner schwarzer Gnom“ nicht vollständig ausgesprochen. Denn jeder, der Kele wegen seiner Größe oder Hautfarbe beleidigte, zog eine Sturmwand der Wut auf sich und dieser Sturm schlug Zähne aus. In dieser Hinsicht zeigte er nur begrenzte Toleranz und hatte deswegen einen Kameraden um ein Haar totgeschlagen, wenn Ellan nicht dazwischen gegangen wäre. Arschloch hingegen konnte man hinnehmen, denn dieses Wort war ein Teil von Hakko's Tick, zu dem ebenfalls die unkontrollierten Schläge auf verschiedene Körperteile gehörten.
Kele blieb nun gleichfalls stehen und starrte Hakko zornig in die Augen. „Du hast Glück gehabt, dass du das nicht gesagt hast, was du sagen wolltest! Und meine Schnauze werde ich bestimmt nicht halten. Nein! Nimm bloß deinen Speer wieder über die Schulter und hör auf, wie ein Irrer 'rumzuzappeln!“
Hakko nahm wütend seinen Speer über die Schulter. „Dann erzähl du mal was Neues! Die Sonne scheint nicht weniger, je mehr du darüber motzt. Wenn ich eine Wolke wäre, würde ich bei deiner Fresse auch schnell das Weite suchen! Außerdem hast du immer noch keinen vernünftigen wahren Namen. Was hältst du von Wolkentreiber oder Wettermotzer?“ Bedrohlich nahe kam er Kele und ihre Nasen berührten sich fast.
„Sei ja vorsichtig bei der Auswahl von irgendwelchen wahren Namen, mit denen ich nicht einverstanden bin. Wolkenkacker oder so finde ich schlecht und außerdem ist es immer noch scheiße heiß, Dicklippe,“ raunte Kele.
„Haltet beide eure dämlichen Klappen!“, funkte Ellan genervt dazwischen. „Ich habe genug von diesem dummen Gerede. Marschiert weiter!“ Eigentlich hatte er Verständnis für das sinnlose Gequatsche seiner Freunde. Wollten sie sich doch nur von der Qual des Marsches, von der unerträglichen Hitze und dem brennenden Durst ihrer trockenen Kehlen ablenken.
Normalerweise war je einem halben Tagesmarsch ein großes Wasserdepot in der Wüste angelegt. Ägyptische Versorgungstrupps tauschten stets leere gegen gefüllte Amphoren aus. Doch an den Depots, an denen sie vorbei kamen, lagen nur noch zerbrochene Tonscherben herum, was erheblich zur allgemeinen Niedergeschlagenheit beitrug.
Kele stammte aus einer Region, die noch südlicher als das Land Kusch lag, von dem Ellan und Hakko kamen. Wobei Hakko mit den langen, kräuseligen Haaren und der braunen Haut wie ein Durchschnittskuschit aussah. Ellan dagegen war zu bleich für einen typischen Kuschiten und entsprach daher eher einem Nordägypter.
Südlich von Kusch lag Nubien. Aber von dort kam Kele ebenfalls nicht her, behauptete er stets. Allerdings, woher er nun kam, konnte sich keiner seiner Kameraden richtig erschließen. Deswegen sagte Kele einfach, er käme aus dem Land, aus dem die Quellen des Nils aus den Abgründen der Unterwelt emporschießen. Das verstanden alle, denn davon berichteten die ägyptischen Mythen als das heilige Land der Götterquellen. Jedoch war Kele kein heiliger, sondern ein ruppiger, gedrungener Krieger mit pechschwarzer Haut und kurzem Kraushaar. Er war sogar kleiner als die meisten Frauen. Dafür war er einer der härtesten Kämpfer und leicht zur Weißglut zu bringen. Das mussten kleine Männer bei den Sklavensoldaten, eben den Naruna sein, wenn sie älter als zwanzig werden wollten. Weniger harte Männer mit noch weniger Zorn in den Muskeln starben spätestens kurz nach der Pubertät. Seit einigen Tagen war Kele's linkes Auge stark entzündet und es tränte. Ständig rieb er daran. Ellan vermutete die Ursache in dem feinen Wüstenstaub, der durch den ständigen Seewind der Großen Grünen, wie die Ägypter das Mittelmeer nannten, aufgewirbelt wurde.
Die Naruna waren leicht bekleidet, dafür aber schwer bewaffnet. Helle Leinengewänder, Lendenschurze und ein Nemes, also ein Kopftuch, welches vor der Sonne schützte. An den Füßen trugen sie nichts, weil es ihnen verboten war. Je heißer der Wüstensand, desto schneller die Truppe, war die Meinung der Offiziere. Das war am Anfang auch so. Mittlerweile schleppten sie sich völlig ausgezehrt mit aufgeplatzten Lippen durch den lockeren Sand und die schmerzenden Füße waren ihnen egal.
Über den Schultern hing ein Rucksack für Proviant und die persönlichen Dinge. Ausgerüstet waren die Naruna mit einem Speer und einem mit Rindsleder bespannten rechteckigen Schild. An ihren Gürteln hingen kleine Kriegsäxte und Messer.
Die fünf Offiziere hingegen waren mit schillernden bronzenen Schuppenpanzern, Lederhosen und Halbhelmen bekleidet. Selbstverständlich trugen sie festes Schuhwerk, obwohl sie hoch zu Ross ritten. Die vier Kompanieführer, die je zweihundertfünfzig Naruna unter sich hatten, sowie der General litten an keinerlei Mangelerscheinungen.
Ellan, den sie zuweilen auch Sichelnarbe nannten, fühlte sich seit Tagen nicht besonders gut. Nicht nur der Wassermangel machte ihm zu schaffen, sondern es war mehr. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie vor drei Wochen aufbrachen. Zehntausende bewarfen die Soldaten der Amundivision mit Blumen und umjubelten sie, als sie aus der Divisionsfestung bei Memphis abrückten. Prächtige Rüstungen hatten sie an und wurden durch eine goldene Widderkopfstandarte angeführt. Junge Frauen warfen sich dem Stolz der ägyptischen Armee um die Hälse und küssten sie zum Abschied.
Irgendwann kamen dann die Naruna durch das Tor und der Platz vor der Festung lichtete sich rasch. Nur zwielichtige Gestalten und Huren suchten die Reihen der Naruna nach Schuldnern ab, die bei ihnen noch in der Kreide standen. Natürlich waren die Sklavensoldaten kein schöner Anblick. Einfache Gewänder, Schurze und barfuß. Viele Narben und Verunstaltungen durch die Vielzahl der Kämpfe und vor allem hatten die meisten kuschitischdunkle Haut. Besonders unheimlich war den Leuten die bronzene Divisionsstandarte mit einem sitzenden Esel, der mit einem spitzen und einem schlaffen Ohr böse grinste. Im Allgemeinen galt der Esel als unheilig, als ein Bösewicht und Dämon der Unterwelt. Die Naruna fühlten sich allerdings vielmehr als die Packesel des Reiches, auf denen der gesamte Dreck aufgeladen wurde.
Erst als die Naruna den Platz vor der Festung verlassen hatten, trabten die vier Offiziere durch das Tor. Angeführt von dem korrupten alten General Keeba, folgten der arrogante Riskat, der versoffene Ismail, der aufgedunsene Talli sowie der Grünschnabel Jazid von der Akademie. Sie alle wollten in der Öffentlichkeit nicht zu den Naruna gehören, obwohl sie sie anführten. Ganz zum Schluss kamen noch fünf Ochsenkarren durch das Tor. Auf einem saß der Medikus Gordan, der ausschließlich für die Gesundheit der Offiziere zuständig war. Zerzauster grauer Vollbart, schmierige silbergraue Haare und meistens am Lallen. So, wie der aussah, waren die Naruna recht froh, dass er nur die Offiziere behandelte. Denn was sollte außer Amputationen auch mehr dabei herauskommen. Die vier anderen Ochsenkarren, auf denen eine Plane den Inhalt abschirmte, gehörten den Offizieren. Nur Jazid hatte keinen Karren, denn er war noch zu frisch dabei. Was die Karren der Offiziere beinhaltete, war ein offenes Geheimnis. Sichelnarbe vermutete Gold und Silber, das die Offiziere durch die Unterschlagung und den Verkauf des Narunaproviants ergaunert hatten.
Die Naruna wurden ausgebildet, um die Linien in der Schlacht zu halten. Um jeden Preis und Flucht bedeutete Tod! Entweder durch den Feind, der nachsetzte und sie gnadenlos hinschlachtete oder irgendwann später durch die ägyptischen Streitwagen, die sie mit ihren messerscharfen Radklingen niedermähten. Also gab es nur eine Wahl. Standhaft die Linie halten und versuchen, irgendwie zu überleben. Das wurde ihnen schon als Kinder während der mehrjährigen Ausbildung eingeprügelt. Täglich acht Stunden marschierten sie damals. Danach bis zum Sonnenuntergang den Kampf mit Speer, Schild und Dolch trainieren. Nie mit Übungswaffen, nur mit scharfen Waffen. Viele Jungen überlebten die Ausbildung nicht. Jene aber, die überlebten, waren die Härtesten im Kampf Mann gegen Mann. Wenn sie ihre Dienstzeit mit dreißig Jahren beendet hatten, so versprach man ihnen, würden sie, genau wie alle anderen Veteranen, eine Parzelle im Grenzland Kusch zu Nubien bekommen. Das war sowieso die Heimat der meisten Naruna und galt als unruhiges Grenzgebiet. Der Wermutstropfen an dieser ganzen Rechnung allerdings war, kaum einer dieser jungen Männer erreichte das Alter von dreißig Jahren.
Seit einiger Zeit wurden die Verluste in ihren Reihen nicht mehr durch neue Sklavensoldaten aufgefüllt. Ramses, so wurde erzählt, hatte die gewalttätige Rekrutierung kurz nach seiner Inthronisierung abgeschafft. Ein Soldat sollte freiwillig für sein Land kämpfen und als Entlohnung Sold oder Plündergut erhalten. Von ehemals einer ganzen Division mit viertausend Kämpfern waren nunmehr nur noch eintausend über.
Ellan schätzte sein eigenes Alter auf zwanzig. Vielleicht zwei, drei Jahre jünger oder älter. Die Sonne und die Narben im Gesicht ließen ihn jedoch gut und gerne doppelt so alt erscheinen. Dies brachte ihm eine Menge Respekt bei seinen Leuten ein. Darauf war er allerdings keineswegs stolz. Mittlerweile er fühlte sich dermaßen schlecht, wie er sich noch nie gefühlt hatte und ihm beschlich eine dumpfe Ahnung, nicht im Kampf zu sterben, sondern hier irgendwo im Staub zu krepieren. Er ertastete die Beule im Nacken und er wusste, dass diese seinen Tod bedeuten könnte.
Schwerfällig setzte er einen Fuß vor den anderen und immer wieder warteten Hakko und Kele auf ihn. Sein muskelbepackter Körper war in ein Leinengewand gehüllt, welches vom Schweiß und Dreck übel roch. Ellan hatte viele Narben von den unzähligen Kämpfen, die er überlebt hatte. Eine war jedoch besonders. Sie befand sich auf der Wange und erinnerte an eine Sichel, mit der Bauern Getreide ernteten oder an das Chepesch, ein Schwert, dessen oberer Teil der Klinge sichelförmig war und das er stets an seinem Gürtel trug, wenn es nicht in einem Gegner steckte. Der düstere Blick verängstigte nicht nur den Feind, sondern die Kameraden ebenfalls, wenn es sein musste und deshalb taten sie meistens, was er verlangte.
Doch jetzt schaute er nur noch trübe durch seine glasigen Augen. Ziemlich fertig war er und so sah er auch aus. Sein Rucksack kam ihm so schwer wie ein Felsbrocken vor und plötzlich wurde ihm schwindlig. Alles drehte sich im Kreis. Die Große Grüne auf der einen Seite und die Berge des Sinais auf der anderen wechselten die Positionen und sprangen wie Tavernentänzerinnen auf und ab. Er fühlte sich hundeelend und spürte, sein Fieber wurde immer schlimmer. Seinen und den Gestank der Kameraden nach Schweiß, Urin und Tier nahm er schon lange nicht mehr wahr. Schließlich machte ihm zusätzlich die brütende Hitze zu schaffen.
Den letzten Rest seines Wasserbeutels ließ er auf die verbrannten Lippen tropfen. „Leer!“, stöhnte er und schmiss den Beutel wütend weg.
„Warum tust du das?“, fragte Hakko, der wieder einmal mit Kele auf ihn wartete. Andere Naruna latschten desinteressiert an ihnen vorbei.
„Warum nicht!“, knurrte Sichelnarbe. Er würde sowieso bald sterben. Warum also den leeren Beutel behalten? Dann fasste er sich wieder in den Nacken. Die Beule war größer geworden. Er fühlte, dass etwas Schmieriges heraus kam und er versuchte den Eiter, den er dort vermutete, herauszudrücken. Nur leicht hatte er gedrückt und er schrie laut auf, denn es schmerzte höllisch. Dann hielt er sich die Hand vor die Augen. Eiter war da und auch eine Menge Blut.
Er putzte die Hand an seinem Schurz ab, der fleckig von all dem war, was man in normalen Zeiten als widerlich empfand. Aber hier liefen alle mehr oder weniger so herum. Zum wiederholten Male wurde ihm schwindlig und diesmal auch dunkel vor den Augen. Wie ein gefällter Baum fiel er in den heißen Sand.
Wie lange Ellan ohnmächtig war, konnte er nicht sagen. Wahrscheinlich nur wenige Augenblicke. Er hob den Kopf und blinzelte mit den Augen. Hakko und Kele konnte er nirgendwo sehen. Die Naruna marschierten an ihm gleichgültig wie Ameisen vorbei, denen man mitten in den Weg geschissen hatte. Ein Pferd schnaubte. „Na prima“, dachte Ellan angewidert. Ein Pferd in der Nähe bedeutet immer auch ein Offizier in der Nähe und er wusste schon ganz genau, wer da auf dem Gaul hockte.
„Es ist für mich das reinste Vergnügen, dich auf dem Bauch liegen zu sehen“, grinste Riskat schadenfroh. „Am liebsten würde ich dich niedertrampeln. Leider geht das nicht so ohne weiteres. Also aufstehen, du faules Schwein!“, schrie er.
Ellan streckte den Hals hoch und die Sonne blendete ihn. Nur einen Spalt bekam er daher die Augen auf. Sand klebte auf der verschwitzten Haut und er hustete kräftig seine verstaubte Lunge frei.
Da saß dieser großspurige Offizier und Dreckskerl auf seinem Gaul. Angeblich der Sohn eines Großgrundbesitzers aus dem Delta. Aber es war hinlänglich bekannt, nur die Taugenichtse oder später Geborenen gingen zum Militär. Einen derartigen Nichtsnutz hatte Sichelnarbe nun als Vorgesetzten.
Riskat war einige Jahre älter als Ellan und führte die dritte Kompanie. Nicht ein einziges Mal hat ihn Ellan kämpfen sehen. Stets stand er hinter den Linien und gab dumme Befehle. Wenn Offiziere flohen, hieß das taktischer Rückzug. Die Hochgeborenen wurden nicht von den Streitwagen niedergemäht. Zu wertvoll seien sie für die ägyptische Gesellschaft, um nutzlos in einer Schlacht zu sterben, hieß es. Wenn jedoch die Narunakämpfer vor dem Feind flüchteten, bedeutete das den Tod, wenn man vom Feind oder von der eigenen Seite erwischt wurde. Verstecken konnte man sich nicht lange, denn das ägyptische Auge auf der Stirn verriet sie überall.
Riskat hatte eine glatte gepflegte Gesichtshaut, aus dem ein scheußlicher Silberblick lugte. Abfällig rümpfte er die Nase. „Na, wird’s bald! Sonst habe ich doch den ersehnten Grund, dich niederzutrampeln, du verlauster Kuschit!“
Ellan griff vor Zorn in den Sand. „Irgendwann werde ich dir das verfluchte Maul stopfen“, krächzte er leise. „Gib mir Wasser!“
„Wasser willst du haben?“, spottete Riskat. „Wasser kannst du haben!“. Der Kompanieführer rotzte Ellan knapp vors Gesicht. „Da hast du dein Wasser. Schleck es auf! Sofort! Oder du wirst als letztes nur noch die Hufe spüren.“
Jetzt reichte es! Ellan zog seltsam brutal den Mundwinkel hoch und langte in einem kurzen Atemzug mit seiner großen Pranke nach dem Unterschenkel des Pferdes. Die Fingernägel drückten fest ins Fleisch. Das Tier wieherte vor Schmerzen, befreite sich vom harten Griff und bäumte sich auf. Fast wäre der hochnäsige Drecksack zu ihm in den Sand gepurzelt und dann hätte Ellan ihm mit dem Ellbogen die Zahnreihen in den Rachen gedrückt. Doch leider kam es nicht dazu. Der Kompanieführer bekam seine graue Stute wieder unter Kontrolle und zog nun hysterisch seinen Säbel aus der Lederscheide.
Ellan spürte plötzlich feste Griffe unter seinen Armen, die ihn mit einem kräftigen Ruck wieder auf die Beine stellten. Es waren seine Freunde Kele und Hakko, die ihn fest hielten. Sie würden ihn niemals irgendwo liegenlassen. Das beruhigte ihn.
„Alles in Ordnung, Kompanieführer Riskat! Wir sorgen dafür, dass er nicht mehr zusammenbricht.“ Hakko hielt Ellan mühsam auf den Füßen, während Kele die Waffen und Ellan's Rucksack übernahm. Riskat starrte sie böse an, steckte jedoch seinen Säbel in den Gürtel zurück. „Glück gehabt! Los, weitermarschieren!“ Mit erhobener Nase trabte er davon.
Hakko kratzte sich am Brandmal auf der Stirn. Vielen juckte es am ägyptischen Auge. Besonders wenn es heiß war und sie schwitzten. Immer wenn die Naruna miteinander sprachen oder sich nur ansahen, beobachtete sie das Auge des Gegenüber. Das sollte sie stets daran erinnern, keinem Kameraden zu vertrauen. Doch gemeinsames Leid, gemeinsamer Kampf und der gemeinsame Wille zu überleben schweißte die Freunde zusammen.
„Hier trink das, Sichelnarbe!“ Hakko drückte ihm seinen schlabbrigen Lederbeutel vor den Mund. Nur noch wenig Wasser war drin.
Ellan schob Hakko's Hand beiseite. „Nein, dann hast du nichts mehr! Ich werde es sowieso nicht mehr schaffen. Es reicht, wenn einer krepiert!“
Sein Freund ließ jedoch nicht locker. „Wenn du Arschloch verreckst, wird es mir todlangweilig. Außerdem wird es abends wieder Wasser geben. Ich werde es bis dahin schon aushalten. Wenn du nichts trinkst, werde ich mich aus dem Staub machen und du weißt genau, was das bedeutet. Also, trink schon!“
Ellan wusste, dass Hakko es ernst meinte, niemals aufgeben und ihn die ganze Zeit weiter nerven würde. Und wenn Sichelnarbe verreckte, würde sich Dicklippe verpissen. Das stand mal fest. Die Häscher würden den Fahnenflüchtling in der Wüste schnell aufspüren und ihn leicht an dem Auge auf der Stirn erkennen. Nach tagelanger Folter würden sie ihn dann auf einem Pfahl langsam verbluten lassen.
Ellan nahm seinen schmuddeligen Nemes vom Kopf und wischte sich damit das dreckverschmierte Gesicht ab. Dann trank er hastig Hakko's Wasserbeutel leer. Es schmeckte nach ranzigem Leder. Jedoch war ihm bereits dermaßen übel, dass ihm das nichts mehr ausmachte.
Kele reichte Hakko seinen Schild zurück. „Wenn du Sichelnarbe schulterst, hast du noch eine Hand frei. Trag ihn selbst. Dann kommst du auch nicht auf zappelige Gedanken, Dicklippe!“
Hakko schmollte mürrisch mit den wulstigen Lippen, von denen er seinen wahren Namen bei den Naruna erhielt. „Dir verpasse ich bald auch einen richtigen Namen!“, entgegnete er Kele.
„Du hast es jahrelang nicht geschafft! Warum solltest du es bald schaffen? Gib es einfach auf und kümmer dich endlich um Sichelnarbe!“
Ellan wusste sehr gut, dass sich Hakko über seinen wahren Namen fortwährend ärgerte und noch keinen passenden Spitznamen für Kele gefunden hatte, mit dem der kleine Mann von den Götterquellen einverstanden war. Allerdings hatte man Ellan und Hakko nie um Erlaubnis darum gebeten.
Hakko nahm angesäuert den Schild entgegen und Kele stampfte gedrungen voran. Mittlerweile waren sie die Letzten und die Ochsengespanne fuhren an ihnen vorbei. Der Medikus Gordan warf nur einen gelangweilten Blick auf sie, anstatt anzuhalten und sich um den kranken Ellan zu kümmern oder ihn auf dem Gespann mitzunehmen. Die Schwächsten und Kränksten waren immer die Letzten. Und dort bissen bekanntlich die Schakale in das Fleisch, wie ein altes Sprichwort besagte.
Hakko hielt Ellan's Hüfte fest und nahm dessen Arm über die Schulter. In der anderen Hand hielt er seinen Schild und konnte auf diese Weise Ellan etwas vor der heißen Sonne schützen. Sie schleppten sich hinter Kele her. Ellan ging es mit jedem Schritt schlechter und seine Arme und Beine schmerzten unerträglich. Er brauchte Ablenkung. „Erzähl mir was!“, befahl er keuchend.
„Was?“, fragte Dicklippe.
„Einfach irgendwas!“
Hakko grübelte, was er Spannendes erzählen könnte. Alles, was sie erlebt hatten, war im Grunde immer dasselbe. Plötzlich leuchteten seine Augen auf. „Lass uns abhauen! Die können ihre Kriege alleine führen. Wir suchen uns Frauen und bauen irgendwo in Kanaan Melonen oder Zitronen an. Was hältst du davon?“
Ellan hustete noch den Rest Sand aus und dann er antwortete er wie gewohnt. „Blöde Idee und die ist auch nicht neu. Wer von uns bringt die Zitronen auf den Markt? Uns wird man überall erkennen! Und welche Frau will uns damit heiraten?“ Ellan zeigte dabei auf die Stirn. „Die einzigen Frauen, die sich für uns erwärmen, sind blind oder Huren. Erzähl mal was anderes!“
Dicklippe schaute Ellan von der Seite an. Dann kam ihm die Idee. „Vielleicht etwas über den Feldzug in der libyschen Wüste?“
„Ja, die Geschichte ist gut. Auch wenn du sie schon zehnmal erzählt hast. Aber was soll's“, krächzte Ellan.
„Dann beginn ich mal ...“, zögerte Hakko.
„Jau, dann beginn mal!“
„Gut, dann beginn ich mal. Es … war unser … erster Feldzug. Du warst fünfzehn, glaube ich. Ich war vielleicht dreizehn oder vierzehn. Vielleicht sogar auch fünfzehn. Oder vielleicht doch schon sechzehn? Ich weiß gar nicht richtig, wie alt ich damals war oder eigentlich jetzt bin.“
Ellan verzog grimmig die Miene. „Und macht dir das was aus? Erwartest du von jemanden Blumen zum Geburtstag?“
Immer wenn Hakko beschäftigt oder abgelenkt war, vergaß er seinen Tick. Wenn aber die Langeweile aufkam, schlug er sich instinktiv selbst. Es war etwas Inneres, was ihn dazu zwang. Die irren Bewegungen kamen einfach von alleine. Keiner konnte sich erklären, warum. Ellan vermutete die Ursache in der Kindheit, wo jeder der Naruna irgendeinen Schaden davon getragen hatte. Jedoch wenn Hakko etwas zu tun hatte, war er ganz anders. Egal ob er aß oder schlief, Waffen schärfte, Geschichten erzählte, was er recht gut konnte oder Feinde erschlug. Besonders dann wirkte er seltsam ruhig. Selbst im Chaos der Schlacht strahlte er immer Besonnenheit aus und erschlug Feinde so wie ein Schreiber, der in aller Seelenruhe eine Warenlieferung notierte. „Ich erwarte nichts! Wäre halt nur schön, genau zu wissen, wie alt man ist.“
„Für wen?“
Hakko nahm die Kante des Schildes und kratzte sich damit an der Stirn. „Vielleicht für dich?“
Die Sonne blendete Ellan. „Dein Alter ist mir so egal wie ein toter Fisch im Nil, Dicklippe.“
„Na, dann eben für mich.“
„Und was bringt dir das?“
Hakko überlegte, was er dazu sagen sollte und schürzte angestrengt die ausladenden Lippen. „Eigentlich nichts.“
„Siehst du! Zerbrech dir lieber nicht den Kopf und erzähl die libysche Geschichte weiter!“
Sie schlurften weiter im heißen Sand. Ständig mussten sie nach unten gucken, damit sie nicht in der Wagenspur umknickten. Die Sonne stand zwar nicht mehr hoch, dennoch brannte sie unerträglich heiß. Eine Pause war nicht nur sinnlos, sondern auch gefährlich. An der Küste gab es nur flaches Wüstenland. Keine Häuser, Palmen oder Ruinen. Einfach nichts, was Schatten spenden könnte. Das Sinaigebirge mit seinen Felsvorsprüngen und Höhlen war zu weit weg.
„Libysche Wüstenreiter hatten damals die westlichen Oasen geplündert und der Befehl war, sie zur Hölle zu jagen. Blöderweise gerieten wir in eine Falle. Unsere Truppe hat mächtig einen auf den Sack bekommen und war über sämtliche Wüstendünen verstreut. Ich suchte dich und sah, wie du zwei Reiter nacheinander mit dem Speer erledigt hattest. Der dritte Drecksack aber wich deinen heftigen Angriffen geschickt aus oder du hast blöd daneben gezielt“, grinste Hakko. Ellan jedoch verzog keine Miene.
„Dann griff er dich wieder an und du hast den Speer in den Schenkel des Kamels geworfen. Genau in diesem Moment verpasste der Libyer dir dieses Ding auf der Wange und seitdem heißt du Sichelnarbe“, kicherte Hakko und fuhr nach einigem Zögern wieder fort. „Du hast geblutet wie eine geschlachtete Sau und man konnte durch dieses Loch gut deine Zähne sehen. Ziemlich hässlich war das, würde ich mal behaupten. Das Kamel humpelte mit dem Speer davon und der Libyer lag im Sand. Er bettelte um sein Leben, denn er hatte beim Sturz seinen Chepesch verloren und dieser lag nun vor dir. Blutverschmiert und wie ein wilder Stier ranntest du auf ihn zu. Er schrie irgendetwas und hielt schützend seine Hände hoch. Doch wer versteht schon dieses verrückte Wüstenkauderwelsch. Er jammerte noch lauter, als du seinen Bauch aufgeschlitzt hattest. Und schrie wie ein verrückter Pavian, als er seine Innereien zurück drückte.“ Hakko dachte kurz nach, wie er wohl die Geschichte noch spannender hinauszögern könnte. „Du wolltest ihn aber nicht töten. Du wolltest ihn elendig verrecken lassen. Da habe ich ihm als ein Akt der Gnade die Kehle durchgeschnitten.“
„Leider! Ich war nicht sehr begeistert damals … und bin es auch heute noch nicht. Mit Gnade kommt man nicht weit. Oder glaubst du etwa, jemand ist gnädig mit dir, … wenn du sagst, dass du schon mal mit jemand anderem gnädig warst? Ich … jedenfalls habe keinen Grund dafür“, brummte Ellan.
„Nein, das hast du wirklich nicht. Aber Menschen und sogar Feinde oder Tiere verdienen ein gewisses Maß an Gnade. Jedenfalls hast du seitdem dieses merkwürdige Chepesch. Obwohl du unzählige Feinde damit niedergemacht hattest, ist es nie kaputt gegangen.“
Sie schlurften weiter durch den Sand und Dicklippe sagte nichts mehr. Das war jedoch nicht gut, denn Ellan wurde seine Übelkeit wieder bewusst. „War das alles?“
„Was war alles?“
„Die Geschichte, du Blödmann!“, schnauzte Ellan.
„Wieso? Sonst behauptest du immer, ich quatsche zu viel“, entgegnete Hakko aufgebracht.
„Hast du noch eine andere Geschichte auf Lager?“
„Die mit dem Warzenschwein und der langen Narbe über deinem Bauchnabel, die du von diesem Vieh gekriegt hast? Oder lieber die von unserem letzten Feldzug in Kanaan? Von dort hast du auch einige wunderschöne Erinnerungen auf der Haut.“
Ellan's viele Narben zeugten von zahllosen Kämpfen. Und Kanaan war ein besonders hartes Pflaster gewesen. Selbst für Sichelnarbe. Vor zwei Jahren eroberten die Naruna mit mehreren Divisionen unter Führung des Feldmarschalls Boduril das Fürstentum Amurru nördlich von Kanaan. Dieser Feldzug gegen den amurritischen Fürsten Bentesina und die Stadt Kadesh wurde bemerkenswert schnell und ohne nennenswerte Verluste beendet. Gelegentlich machten noch rebellische Kanaaniter beim Rückmarsch der Truppen aus dem Hinterhalt einige Schwierigkeiten. Die Rebellen wurden schnell besiegt und die Überlebenden wurden nach Pi-Ramesse verschleppt, um dort als Sklaven Ramses' Stadt aufzubauen.
Ellan musste sich übergeben. Nur zäher grüner Schleim kam heraus. Sein Freund hatte erhebliche Mühe, ihn auf den Beinen zu halten. „Heute Abend sollten wir die Versorgungsfestung Scharuhen erreichen. Dann ist es nicht mehr weit bis nach Gaza. Dort wird alles besser!“
„Das wollen wir hoffen, falls ich es bis dahin schaffe!“ Der Druck in Ellan's Nacken wurde immer stärker. Er hatte das Gefühl, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Beule platzte. Und dann? Es juckte zudem sehr stark und wieder musste er sich im Nacken kratzen. Doch das tat verdammt weh. Also ertrug er das Jucken.
Dicklippe musterte besorgt die blutige Beule. „Sieht nicht gut aus, Ellan. Sieht sogar sehr böse aus!“
„Unser gesamter Feldzug sieht böse aus! Die Versorgung ist beschissen! Unsere Offiziere sind beschissen! Die Hitze ist beschissen! Ich fühle mich beschissen! Alles ist beschissen! Gerade mal ein dutzend Ochsengespanne mit Proviant und Wasser haben wir aus der Silefestung mitbekommen und die Wasserdepots waren für den Marsch nicht vorbereitet. Das soll nun für eintausend Mann bis Gaza reichen? Unter Boduril war alles besser. Der hatte diesen scheiß Keeba ständig im Auge.“
Hakko wusste nicht, ob der Proviant bis Gaza reichte. Rechnen allgemein war noch nie sein Ding gewesen. Allerdings hatte er den gesunden Verstand eines Soldaten und der sagte ihm, Ellan hatte Recht. „Die Speicher in Sile waren doch prall gefüllt. Mehr als alle Divisionen mitnehmen könnten. Warum haben wir nicht mehr mitgekriegt?“
„Warum wohl!“, brauste Ellan auf. „Weil die die Offiziere unseren Proviant verschachert haben. Die selbst haben aber genug auf ihren Karren … und sie haben das Gold dort. Darauf kannst du Gift nehmen, Dicklippe!“ Sichelnarbe kochte vor Zorn. Seine sichelförmige Narbe nahm gefährlich dämonische Züge an.
„Gepökeltes Fleisch, Oliven, getrocknete Datteln, bester Wein, ...“
„Halt die Schnauze!“, unterbrach ihn Ellan noch wütender.
„Na gut! Und was willst du tun?“
„Nichts! Sieh mich doch an! Sehe ich so aus, als könnte ich noch etwas machen?“ Stunde um Stunde sah er blasser aus, fast schon wie eine wandelnde Leiche. Da halfen ihm auch keine Geschichten aus Libyen, Amurru oder sonst woher. Es gab nur noch eine Lösung.
„Vielleicht sollte man die Beule aufschneiden?“ Hinter ihnen lief ein Neuling, der sich anscheinend freiwillig gemeldet hatte. Obwohl Ramses seinerzeit befahl, die Verluste der Naruna nicht mehr durch neue Rekruten aufzufüllen, wurde dieser Obae ihnen in Memphis zugeteilt. Er war kein Kuschit, wie die meisten der Truppe. Auch keiner wie Kele aus dem Land der Götterquellen. Noch nicht einmal ein Nubier war er. Nein, er war genauso hellhäutig wie die selbstgerechten Offiziere und deshalb verpasste Hakko ihm den wahren Namen Hellhaut, was bestimmt nicht als Kompliment zu verstehen war. Er hatte deutlich bessere Zähne als ein gewöhnlicher Naruna und neben seiner hellen Haut war das ein weiteres Merkmal, warum Ellan ihm nicht traute.
„Hat dich einer gefragt?“ Ellan wollte nichts mit Obae zu tun haben und einfach nur weitergehen.
Doch Hakko hielt ihn fest. „Vielleicht hat er aber Recht. Mehr als sterben kannst du nicht. Und das wirst du, wenn wir den Eiter nicht herausholen und die Wunde reinigen! Darauf kannst du ebenfalls Gift nehmen, Sichelnarbe!“, schnauzte Dicklippe seinen Freund an.
Die ersten Fliegen setzten sich auf die stinkende Nackenbeule. Gierig schlürften sie den Wundsaft. Ellan vertrieb sie immer wieder vergeblich, denn die lästigen Viecher kamen stets zurück. „Vielleicht sollte ich wirklich Gift nehmen? Dann brauche ich mir dein erbärmliches Geschwätz nicht mehr anzuhören. Und jetzt weiter!“
Nach einigen Stunden sahen sie die Festung Scharuhen. Ausgezehrt durch Unterernährung, Krankheit und Hitze schlängelte sich der Haufen bis auf wenige hundert Meter heran. Zwei Dutzend Kameraden hatten bereits ihr Leben während des strapaziösen Marsches verloren.
„Dort wartet Wasser und frisches Brot auf uns.“ Hakko strotzte vor Zuversicht.
Ellan wischte sich Schweiß und Dreck von den Augen und konnte tatsächlich im Flimmern der Hitze etwas ausmachen, was wie eine Festung aussah. Scharuhen war, bei positiver Betrachtung, eine baufällige Festung. Eigentlich war es nur noch eine Ruine, die seit der Endschlacht gegen die Hyksos vor mehr als zweihundertfünfzig Jahren immer weiter zerfiel und nur noch gelegentlich notdürftig ausgebessert wurde.
Zwei der vier Türme standen noch und ein Großteil des Gemäuers war eingestürzt. Um den Stützpunkt herum standen schattenspendende Palmen, deren Blätter träge herunterhingen, sowie Häuser, aus denen Qualm aufstieg.
Ellan keuchte. Er war am Ende. Hakko hatte größte Mühe, Sichelnarbe's massiven Körper aufrecht zu halten. „Lass es! Es hat … keinen Zweck mehr.“
„Gleich sind wir da, Ellan. Dann wird alles gut. Vertrau mir! Sieh doch mal, wie sich die Landschaft verändert hat! Büsche und Gräser. Nur bisschen vertrocknet vielleicht. Aber besser als Wüste“, versuchte Dicklippe ihn aufzubauen und schob seinen kranken Freund weiter voran, der ständig hustete und sich nur noch schwach auf den Beinen halten konnte.
„Soll ich helfen?“, fragte Obae, der neben Hakko schlenderte. „Danke!“, erwiderte Hakko zynisch. „Den Rest schaffe ich auch noch ohne dich.“
Obae hörte nicht auf ihn und stützte Ellan von der anderen Seite. So ging es besser.
„Du bist doch vor kurzem zu uns gestoßen. Weißt du, wohin es geht?“, wollte Hakko wissen.
„Nach Gaza,“ antwortete Obae trocken. „Mehr weiß ich auch nicht. Aber du kannst ja raten, gegen wen es geht.“
„Syrien, Hatti, Mitanni, Assyrien, Amurru, Kanaan oder Babylon?“, zählte Dicklippe die realistischen Alternativen auf. „Ich tippe mal auf Hatti.“
„Nicht schlecht! Allerdings sind die syrischen Fürsten und Könige mit Hatti verbündet. Ebenso Mitanni. Amurru und die Städte Kanaans sind dagegen mit uns verbündet. Wobei wir auch gegen kanaanitische Rebellen aus den Bergen ziehen könnten.“
„Wir werden es schon bald mitkriegen, wenn feindliche Äxte auf uns eindreschen.“ Während Sichelnarbe nur benommen seinen Kopf drehte und hustete, warf Hakko einen misstrauischen Blick zu Obae hinüber. „Du siehst ja noch recht kräftig aus! Dir scheint das alles hier nichts auszumachen.“
Obae grinste. „Ich fühle mich auch bestens.“
„Was hast du vorher gemacht, Hellhaut?“
„Nichts.“
„Wie nichts?“
„Einfach nichts halt! Frag nicht so blöd, Dicklippe! Mach dir lieber Sorgen um Sichelnarbe!“
Doch Hakko ließ nicht locker. „Bestimmt bist du ein Dieb. Oder ein Mörder. Vielleicht sogar ein Hurentreiber. Dazu würde deine raue Gossenstimme passen.“
Darauf antwortete Obae nichts mehr. Ellan, der alles nur so halb mitbekam, war froh, dass das Gequatsche der beiden endlich aufhörte, denn sein Kopf dröhnte. Sein Mund war trocken und er hatte einen fauligen Geschmack auf der Zunge. Er brauchte Wasser, denn er schwitzte mehr als die anderen, daher schluckte er den zähen Hustenschleim herunter, was ihn fast zum Würgen brachte.
Einige hundert Schritte vor Scharuhen kamen die Naruna zum Stehen. Es war dort verdächtig still. Keine Menschen waren zu sehen. Keine Kinder hörte man dort spielen. Nicht einmal ein Hund bellte. Es war einfach zu ruhig. Nur eine leichte Brise säuselte von den Gemäuern her. „Das sind keine Backöfen, die qualmen! Nein, das sind die Häuser!“, schrie Hakko auf.
Die vier Kompanieführer versammelten sich um General Keeba, der nervös auf seinem Pferd gestikulierte. Nach einer Weile ritt Riskat heran und schrie aus voller Kehle zu seiner Kompanie, zu der auch Ellan und seine Freunde gehörten.
„Achtung! In Reihenformation aufstellen! Sofort! du auch, Sichelnarbe!“
Jeder Offizier brachte seine Kompanie in Gefechtsformation. In Fünferreihen und die vorderste Linie mit ausgerichteten Speeren und Schilden.
Kele zog Ellan's Chepesch aus dem Gürtel „Nimm es und tu wenigsten so als ob!“
Hakko und Obae ließen Ellan los. Er taumelte, konnte sich aber dennoch auf den Beinen halten. Halb benommen nahm er seine graue Waffe. Sie wog schwer in seiner Hand und dennoch stemmte er sie mit letzter Kraft in die Höhe. „Gnade nur den Eseln“, schrie er, was sich jedoch mehr wie ein schräges Krächzen anhörte. Die Männer an vorderster Front erwiderten „den Rest für die Geier“ und marschierten mit gezückten Speeren voran. Die anderen vier Reihen von Riskat's Kompanie folgten ihnen. Sie kamen Scharuhen immer näher und das Ausmaß der Zerstörung wurde immer deutlicher. Feinde konnte sie nicht sehen. Vermutlich hatten sie sich gut in den qualmenden Häuserruinen versteckt.
Der Rauch wehte zu ihnen herüber, der in Ellan's Augen biss. Mühsam schleppte er sich nach vorne. Erschöpft ließ er sein Sichelschwert herunterhängen. Der Husten wurde immer heftiger. In seinem Kopf fühlte er den Pulsschlag schmerzen. Dann verlor er das Gleichgewicht und ihm wurde wieder schwarz vor Augen. Er taumelte, verfing sich in einem Dornengestrüpp und stürzte zu Boden.
Als Ellan allmählich erwachte, war es bereits stockdunkel. Er lag in mehrere Decken eingehüllt gekrümmt am Feuer und hatte Schüttelfrost. Der Kopf tat ihm immer noch weh und vor seinen Augen schwankten die Flammen. Das Letzte, an das er sich erinnerte, war das qualmende Scharuhen. Nun brannten Dutzende Feuer um ihn herum und ihr Lager mit den Zelten war inmitten der Festungsruine aufgebaut. Auf den intakten Mauern und Türmen wachten Naruna.
Dicht bei ihm hockten Kele, Hakko, Obae und ein paar andere. Sie kauten auf knochentrockenem Brot und stark gesalzenem Dörrfleisch herum. Meistens von alten Streitwagenpferden. Gelegentlich gab es auch das Fleisch eines verendeten Flusspferdes oder eines Pavians.
Hakko schlug sich schon wieder aufs Knie, den Bauch und auf die Stirn. Ellan's wusste, in der Kindheit hatte er viel durchmachen müssen. Doch wer von den Naruna hatte das nicht. Deshalb hatten viele mehr oder weniger einen Schaden. Plötzlich schlug er sich nicht mehr und lächelte entspannt.
„Sichelnarbe ist wach! Wie geht’s?“
„Geht so“, grummelte Ellan schläfrig.
„Willst du was essen?“ Kele hielt ihm ein unappetitliches Fleischstückchen vor die Nase, das wahrscheinlich genauso schmeckte, wie es roch.
Ellan winkte ab. „Iss es selbst!“ Wie schon in den vergangenen Tagen bekam er kaum etwas hinunter. „Was ist passiert?“
„Nicht besonders viel, was überrascht. Du bist beim Ansturm auf Scharuhen zusammengebrochen und Kele hat dich aus dem Gebüsch gezogen. Einige Schrammen hast du von den Dornen abgekriegt“, antwortete Hakko gelassen.
Ellan besah sich die Arme und schlug die Decken beiseite. Auf den Beinen waren ebenfalls blutverkrustete Wunden.
„Du warst weggetreten und nicht wach zu bekommen. Dann haben wir dich hier hergebracht. Er blieb dann die ganze Zeit bei dir“, antwortete Hakko, während Kele sich abmühte, den Knorpel vom Fleisch zu trennen.
„Und der Stützpunkt hier? Wo sind die Bewohner?“
Hakko zuckte mit den Schultern. „Als wir das Dorf erreichten, trafen wir auf keinerlei Widerstand. Alle sind tot!“
„Nicht alle“, widersprach Obae. „Die Leichen der Frauen und Kinder fanden wir nicht. Wahrscheinlich haben die Kanaaniterrebellen sie an die Beduinen weiter im Osten gegen Waffen getauscht. Dort gilt man nur als richtiger Mann, wenn er mindestens vier Ehefrauen hat. Und bevor die sich gegenseitig erschlagen, um an die vier Frauen zu kommen, kaufen sie lieber welche. Und die Kinder als Sklaven dazu. So haben sie außerdem die Frauen besser unter Kontrolle.“
Endlich hatte Kele das Fleisch vom Knorpel befreit und kaute darauf herum. Zufriedenheit sah jedoch anders aus.
„Werden die Kanaaniter verfolgt?“, wollte Ellan wissen.
Hakko schüttelte den Kopf. „Nein! Es heißt, das sei nicht unsere Aufgabe. Also sitzen wir hier und morgen geht es weiter.“
Eine Weile sagte keiner mehr etwas. Ellan wurde schließlich wieder müde. Das bisschen Schlaf hatte gut getan, dennoch war es nicht genug. Die Beule im Nacken drückte und schmerzte und er hatte nicht mehr viel zu verlieren. Im Feuer entdeckte er ein Messer. Grimmig blickte er zu seinen Freunden, die ihn anstarrten, als würden sie auf etwas warten. Ellan wusste ganz genau, worauf. „Macht schon!“, befahl er ihnen schmallippig und drehte sich auf den Bauch.
Sofort stürmten sie zu Ellan hinüber. Hakko und drei weitere Naruna hielten seine Arme und Beine auf den Boden gepresst. Obae steckte ihm einen Ledergürtel in den Mund und hielt seinen Kopf fest. Sand drang in Ellan's Mund und knirschte zwischen den Zähnen.
„Haltet ihn gut fest! Er darf sich nicht bewegen. Ich möchte nicht, dass Kele's Messer sich in seinem Schädel verirrt,“ rief Hakko besorgt.
Kele nahm den glühenden Bronzedolch vom Feuer und hockte sich zu Ellan.
Hakko sah den Mann von den Götterquellen beunruhigt an. „Dein Auge trieft. Kannst du überhaupt noch etwas sehen?“
„Genug! Aber du kannst es ja auch genauso gut machen.“ Kele hielt ihm mürrisch die Klinge hin, die nicht mehr glühte, aber dennoch sehr heiß war.
„Ich vertraue dir! Du wirst es schon gut machen“, beschwichtigte Hakko ihn. „Warum hast du es heiß gemacht?“
„Mein Vater sagte immer, Feuer reinigt Geist und Körper. Schaden kann es nicht und zumindest ist die Wunde dann geschlossen.“ Kele führte das Messer vorsichtig an die Beule und stach sie auf. Es qualmte und Ellan biss auf den Gürtel. Eine rotgelbe Flüssigkeit trat aus der kleinen Schnittwunde. Kele zögerte.
„Was ist los?“, fragte Obae gereizt.
„Ich weiß nicht. Das sieht seltsam aus.“
„Mach schon!“, rief Hakko. „Bevor er es sich wieder anders überlegt.“
Kele schnitt die Wunde weiter auf. Hakko und die anderen hatten Mühe, Sichelnarbe ruhig auf dem Boden zu halten. Noch mehr Bluteiter quoll hervor.
„Jetzt habe ich einen wahren Namen für dich. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. Schmalzauge! Was hältst du davon?“, freute sich Hakko.
„Einen passenderen Moment hättest du wohl nicht finden können“, stieß Obae gereizt aus.
„Meinetwegen.“ Kele war voll auf seine Arbeit konzentriert und drückte das Messer tiefer in die Wunde. Ellan brüllte vor Schmerz und biss zornig auf den Lederriemen. Die Schnauze hatte er gestrichen voll und das nicht nur vom Sand. Er versuchte sich zu befreien, doch das war genauso unmöglich wie für ein Krötenweibchen, welches ein Männchen loswerden wollte. Wieder hielt Kele inne.
„Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte Obae genervt.
Kele blickte ernst. „Ich weiß jetzt, was er hat.“
„Was?“, fragte Hakko. „Sprich, Schmalzauge!“
Jedoch antwortete der Mann von den Götterquellen nicht. Er zog mit Daumen und Zeigefinger die Wundränder auseinander und stach tiefer hinein. Ellan tobte vor Schmerz und Wut. Sie hielten ihn mit aller Kraft auf den Boden gedrückt.
Schmalzauge hebelte das Tier aus der Wunde. Ein schwarzes Geschöpf mit sechs Beinen und so groß wie ein Daumen krabbelte über Ellan's Rücken. Hakko und die anderen starrten entsetzt darauf. „Was ist das da auf dem Kopf?“
„Das?“ Kele zeigte mit der Messerspitze auf ein längliches Ding mit Widerhaken daran. „Das ist ein Bohrhorn. Damit gräbt sich der Fleischkäfer unter die Haut. Willst du ihn mal sehen, Sichelnarbe?“
Ellan fluchte und das war ganz klar als ein Nein zu verstehen. Kele fegte das Insekt von Ellan's Rücken und zerquetschte es mit dem Messer im Sand.
„Sehr schön! Dann sind wir jetzt fertig.“ Hakko wollte gerade aufstehen, als ihn Kele kräftig an der Schulter zurückhielt.
„Nein, nicht ganz! Erst müssen wir noch die Eier herausholen und danach die Wunde ausbrennen.“
„An dir ist ein echter Medikus verloren gegangen“, grinste Obae dreckig.
„Ob man jemandem mit dem Messer tötet oder operiert, ist eigentlich immer dasselbe. Es kommt nur darauf an, wie tief man eindringt“, erwiderte Kele knochentrocken.
„Bringt das endlich zu Ende!“, nörgelte Ellan mit dem Ledergürtel im Mund. Er spürte jetzt, wie sich das Messer tiefer in seinen Nacken versenkte. Dann verlor er die Besinnung.
Er öffnete die Augen und er fühlte sich mit einem Mal so leicht. Er sah sich seine Hände an. Seine Arme. Sauber und keine Wunden. Selbst die Schwielen waren wie weggeblasen. Dann strich er sich über die Wange. Glatt und weich. Keine Bartstoppeln und die Narbe fand er dort nicht mehr. Dann fasste er sich hastig an den Nacken und seufzte vor Erleichterung. Keine Beule und kein Untier mehr dort drin. Einige Erinnerungen aus dem Traum tanzten vor seinen Augen. Quälender Marsch, unerträgliche Hitze, Schweiß, Blut, eine graue Klinge. Ein Mann mit dicken Lippen, ein pechschwarzer Zwerg und ein Merkwürdiger mit heller Haut. Hakko, Kele und Obae. Es war ein Traum. Das stand nun einmal fest und die Erinnerungen daran verblassten, wie es bei Träumen so üblich war.
Unter ihm war es schön weich. Das kannte er, denn schließlich lag er auf seinem Bett. Er blickte hoch. Von der Decke hingen bunte Papyrusdrachen an kleinen Fäden, die sich um sich selbst drehten. Sein Vater hatte für ihn die Drachen gebastelt und er hatte sie anschließend bemalt und aufgehängt. Blaue, rote, gelbe und grüne Feuer spuckende Fabelwesen. In der Ecke auf einem kleinen Tisch entdeckte er Holzkrieger. Ägypter und Hethiter. Mit Speeren, Keulen und Äxten in den Händen. Auf einem Streitwagen stand der Pharao, der grimmig mit dem Bogen zielte. Die Krieger hatte er vor kurzem zu seinem elften Namenstag bekommen.
Langsam raffte er sich hoch und stand auf. Er spürte, wie kraftlos seine Beine waren. Gerade noch konnte er sich am Holztisch festhalten. Alle Krieger fielen um. Nur der Streitwagen mit dem Pharao blieb stehen. Das machte nichts. Er war froh, wieder zuhause zu sein. Bei seinen Eltern und seiner Schwester und nicht bei den … Er konnte sich nicht mehr an die Namen erinnern und auch nicht mehr an ihr Aussehen. Er atmete tief durch. Auf dem Stuhl lagen Schurz und Leinenhemd. Schnell zog er sich die Sachen über und hangelte sich an der Wand zum Fenster lang.
Die Sonne stand hoch. Es musste bereits mittags sein. Zu lange hatte er geschlafen. Auf dem Feld vor dem Haus sah er einen Mann mit Strohhut. Mit der Sichel erntete er Büschel Getreide und legte sie auf eine Schubkarre. „Vater! Hallo.“
Sein Vater winkte Ellan zu.
„Vater, ich komme dir gleich helfen. Entschuldige, dass ich so lange geschlafen habe.“
„Nein, nein!“, lächelte sein Vater. „Du musst dich noch ein wenig ausruhen! Du warst sehr lange krank. Geh zu deiner Mutter in die Küche und iss erst einmal was! Und danach kannst du mit Nifrifri spielen!“
Ellan blieb noch eine Weile am Fenster stehen und beobachtete seinen Vater, wie er sich auf dem Feld zwischen den Bewässerungskanälen abplagte. Er war nicht mehr der Jüngste und die Zeichen der Zeit nagten in seinem Gesicht. Während die Getreidefelder der anderen Bauern ringsherum bereits abgeerntet waren, war sein Vater beim Ernten stets der Letzte. Bald musste umgegraben und die neue Saat auf die Felder ausgebracht werden. Die verschlammten Wassergräben mussten ebenfalls ausgebessert werden, denn die jährliche Nilschwemme stand bevor und man brauchte freie Kanäle.
Die einstöckigen Häuser seines Heimatortes waren weitläufig verstreut und aus Ziegeln gebaut, die aus dem Schlamm des Flusses geformt und in der Hitze getrocknet wurden. In einiger Entfernung entdeckte er Bauern, die gelbe Melonen in Säcken schleppten. Dattelpalmen und Granatapfelbäume spendeten überall Schatten. Zwei Stege führten in den Nil. Mehrere Barken hielten auf sie zu. Wahrscheinlich um das Getreide für den Pharao abzuholen.
Ellan entschloss sich, zu seiner Mutter zu gehen. Er verließ das Zimmer und schlenderte die Treppe herunter. Vorsichtig nahm er Stufe um Stufe, da er sich noch nicht stark genug fühlte, die Treppe wie gewohnt in großen Sprüngen zu bewältigen. Er strich mit den Fingern an der Wand entlang. Weißer Kalk blieb haften, der einen starken Kontrast zu seiner Hautfarbe abgab.
„Ellan, wie schön, dir geht es wieder besser“, rief eine Stimme, als er in der Küche stand. Freudestrahlend rannte seine Mutter auf ihn zu und drückte ihn fest an sich.
Er bekam fast keine Luft mehr. „Mutter, du zerquetscht mich!“ Er schob sie sanft zurück. Er liebte ihre Herzlichkeit und wie sie sich um ihn und Nifrifri kümmerte. Im Gegensatz zu fast allen Müttern in ihrem Alter war sie schlank und sie band ihre schwarzen Haare immer zum Zopf hoch. Sie hatte helle Haut, nicht so wie sein Vater, der ja schließlich aus dieser Gegend kam.
„Aber ich bin so froh, dich wieder auf den Beinen zu sehen. Über drei Wochen warst du nicht ansprechbar. Du hast gefiebert und hast ständig von Soldaten gesprochen. Ich wollte deine Soldaten schon im Backofen verbrennen. Doch Vater hielt mich davon ab.“
„Das darfst du nicht!“, stemmte Ellan entrüstet die Hände in seine Taille. „Sie sind ein Geschenk von Vater. Und ich werde sie an meinen Sohn weiter verschenken!“