Roger Schawinski

Die Schawinski-Methode

Erfolgsrezepte eines Pioniers

NZZ Libro

Inhalt

Einleitung

180 Grad

Breaking the rules

1 Prozent

Haltung

Unternehmer

Ich mache es aus Liebe

Fehler und Fallen

Persönlichkeiten

Talkshows

Leuenberger, Leuthard und Sommaruga

Alter weisser Mann

Durchatmen

Loslassen

Das Wichtigste zum Schluss

Anhang

Der Autor

Einleitung

In letzter Zeit frage ich mich oft: Wie war das alles möglich? Wie ist es zu fassen, dass der von mir konzipierte Kassensturz seit 46 Jahren das erfolgreichste TV-Magazin des Landes ist? Weshalb war es mir gelungen, mit Radio 24 nicht nur das erste private Radio der Schweiz, sondern mit Telezüri auch das erste private Fernsehen des Landes zu gründen, zu leiten und dann im für mich richtigen Zeitpunkt zu verkaufen? Wie schaffte ich es, bei Sat.1 – als erster Schweizer – Chef eines grossen deutschen Privatsenders zu werden und diesen in zuvor nie erreichte Höhen zu führen? Und wie kamen die vielen unvergesslichen Begegnungen während den unzähligen Interviews im Radio und im Fernsehen zustande? All dies sind Dinge, die mir manchmal wie Ereignisse aus einem früheren Leben erscheinen.

Da ich weder aus einem begüterten Elternhaus komme noch aussergewöhnliche Talente oder eine extrem hohe Intelligenz vorweisen kann, muss es andere Gründe geben, dass ich früher als andere erkannt habe, wo sich interessante neue Nischen auftun würden, wenn man sich ihnen mit einem gebührenden Vorgehen und der notwendigen Ernsthaftigkeit annähert. Wie gelang es mir also, so oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?

Es war meine Frau Gabriella, die mich aufforderte, dieses Buch zu schreiben. Kurz vor dem 70. Geburtstag hatte ich in meiner Autobiografie Wer bin ich? mein Leben beschrieben. Nun, fünf Jahre später, präsentiere ich meine Methoden, meine Prinzipien und meine Vorgehensweisen. Dabei gehe ich nicht nur auf meine beruflichen Aktivitäten ein, sondern beleuchte auch meine Entwicklung als Mensch, der sich heute einem weiteren Daseinsabschnitt nähert.

Beim Schreiben dieses Buches habe ich erstmals versucht, die gemachten Erfahrungen in systematischer Weise zu beleuchten, um auf diese Weise zu gültigen Schlussfolgerungen zu kommen. Dies kann ich jedoch nur tun, indem ich ebenfalls auf die Fallstricke hinweise, die überall lauern. Es sind nicht nur die Erfolge – vielmehr sind es gerade die Fehler und Fehleinschätzungen, aus denen man wichtige Schlüsse ziehen kann. Viele Stellen dieses Buches beziehen sich auf Ereignisse, die ich bereits in früheren Büchern, vor allem in meiner Autobiografie, beschrieben habe, wobei ich sie hier in einen neuen Zusammenhang stelle, um sie erstmals in exemplarischer Weise darzustellen.

Ich bin nun in einem Alter angelangt, in dem ich in offener und ehrlicher Weise Erkenntnisse und Erfahrungen an jüngere Menschen weitergeben möchte. Dieses Buch ist ein Versuch, sich diesem Ziel anzunähern.

Roger Schawinski

Zürich, Februar 2020

180 Grad

Meine wohl erfolgreichste Methode besteht darin, in eine Richtung zu schauen, in die kein anderer blickt. Indem ich mich um meine eigene Achse drehe, verschaffe ich mir eine andere Perspektive, als sie all jene haben, die bloss versuchen, den nächsten grossen Trend zu erspüren, um auf dieser Welle mitzureiten. Wird man mit einem solchen Ansatz doch bestenfalls zum Mitläufer und nicht zum Pionier, dem sich neue Türen öffnen.

Es war mir nicht von Anfang an bewusst, dass ich jeweils dieses Vorgehen gewählt hatte. Meist handelte ich instinktiv. Und oft war ich verblüfft ob des Gelingens eines riskanten Projekts. Erst in der Rückschau erkannte ich das Prinzip des Perspektivenwechsels in aller Deutlichkeit. Erst bei der Analyse meiner Aktivitäten begriff ich also, weshalb gewisse Ideen funktioniert haben – und andere nicht. Vor allem dort, wo ich meine Grundsätze leichtfertig oder gar mutwillig über Bord geworfen hatte, endeten Projekte im Misserfolg. Ich möchte dies anhand von konkreten Beispielen erklären.

Noch während meines Studiums an der HSG in St. Gallen durfte ich 1969 im Schweizer Fernsehen beim kurz zuvor gegründeten Politmagazin Rundschau das Handwerk des TV-Reporters erlernen. Bereits nach einer extrem kurzen Einführung produzierte ich Reportagen über Wirtschaftsfragen, und dies von der Themenwahl über die Recherchen, die Dreharbeiten, den Text und den Schnitt bis hin zur Vertonung. Als 24-Jähriger und Jüngster einer dreiköpfigen Wirtschaftsredaktion konnte ich so erste praktische Erfahrungen sammeln. Es war ein Job, den ich mit all seinen Facetten aufs Innigste liebte.

Eines Tages verkündete der Chef der Abteilung Information, dass die Fernsehdirektion ein Wirtschaftsmagazin plane. Deshalb beauftrage er den Chef der Wirtschaftsredaktion, ein entsprechendes Konzept auszuarbeiten. Der aber winkte sofort ab, weil der Sendetermin auf den wenig prestigereichen Vorabend gelegt worden war. Dies entspreche in keiner Weise seinen Vorstellungen, erklärte er, denn er wolle weiterhin Nationalbankpräsidenten und Bundesräte ins Studio laden, um mit ihnen auf höchstem Niveau über komplexe Wirtschaftsthemen zu diskutieren. Auch mein etwas älterer und erfahrenerer Kollege Otto C. Honegger verweigerte sich. Lieber reise er an die entferntesten und exotischsten Orte der Welt, um dort Unterwasser- und Fallschirmreportagen zu produzieren, verkündete er, was er in den folgenden Jahrzehnten denn auch mit grossem Erfolg tat. Damit war das Projekt eigentlich gestorben.

Doch mir liess die Angelegenheit keine Ruhe. Der vorgesehene Sendeplatz war für ein Magazin zum Thema Wirtschaft tatsächlich wenig geeignet, stellte ich fest. Ich musste also einen neuen, ganz anderen Ansatz finden, der die aktuelle Lebenssituation der Zuschauerinnen und Zuschauer am Feierabend berücksichtigen würde. Plötzlich hatte ich eine Idee: Ich würde nicht, wie im Fernsehen damals üblich, von oben – also aus einer makroökonomischen Sicht – berichten, sondern die Optik umdrehen. Bei mir würden die Konsumentinnen und Konsumenten, deren Bedürfnisse und deren Probleme im Zentrum stehen. Ich würde mich anwaltschaftlich auf ihre Seite – auf diejenige der Schwachen – schlagen, um ihr eklatantes Informationsdefizit gegenüber den professionell auftretenden Produzenten auszugleichen. Ich würde Missstände aufdecken, Betrüger denunzieren, Produktetests präsentieren und knallharte Interviews mit überführten Tricksern führen – alles Dinge, die im damaligen Schweizer Fernsehen für völlig undenkbar galten. Wörtlich schrieb ich in meinem Konzept, dass die Sendung «eine breite Öffentlichkeit durch den Dschungel der modernen Marktwirtschaft» führen solle und diese auf «seltsame Gewächse und Schlingpflanzen» aufmerksam machen müsse. Da ich mich schon seit Längerem intensiv mit Konsumentenanliegen und dabei vor allem mit dem Gedankengut des amerikanischen Vorkämpfers Ralph Nader befasst hatte, entsprach dies zudem in idealer Weise meinen eigenen Interessen.

Weil ich als Einziger ein brauchbares Konzept eingereicht hatte, wurde es zu meiner Verblüffung von der Fernsehdirektion umgehend akzeptiert. In der Folge liess man mir erstmals einen festen Anstellungsvertrag zukommen, in dem festgehalten war, dass ich soeben zum Leiter einer fünfköpfigen Redaktion ernannt worden sei. Ich hatte also eine Chance genutzt, die ich eigentlich gar nicht hätte bekommen dürfen.

Als die Vorbereitungsarbeiten anliefen, stellte ich fest, dass wir keinen Moderator hatten. Da hausintern niemand zur Verfügung stand, entschied ich eigenhändig, dass ich die Sendungen gleich selbst präsentieren würde – obwohl ich keinerlei Anleitungen für diese Tätigkeit erhalten hatte. So war das damals. Im ganzen Betrieb war niemand vorhanden, der die Kandidatinnen und Kandidaten durch Castings und Assessments jagte, wie es heute üblich ist. Das Fernsehen war ein junges Medium mit vielen jungen Menschen, die alle ihren Job erlernten, während sie ihn ausführten.

Die ersten Probeaufnahmen, die noch heute durchs Netz geistern, zeigen einen verängstigten, unsicheren jungen Mann, der sich weitgehend talentfrei durch seinen Text quält. Aber bald hatte ich mir eine gewisse Routine angeeignet, sodass sich das damals noch wenig verwöhnte Publikum nicht mit mir abplagen musste. Und Shitstorms gab es glücklicherweise noch keine.

So entstand der Kassensturz. Bereits ein Jahr nach Sendestart wurde die Sendung wegen eines überwältigenden Zuschauererfolgs mit phänomenalen Marktanteilen von bis zu 70 Prozent in den Hauptabend gehoben, wo sie bis heute geblieben ist. Obwohl sich die gesamte Medienwelt seither vielfach gewandelt hat, ist mein ursprüngliches Konzept, das ich auf wenigen Seiten in meine ältliche Schreibmaschine getippt hatte, beinahe unverändert geblieben. Sogar die Themen sind dieselben, ebenso die Aufmachung der Sendung – von der Ansprache bis hin zu den Moderationen und den Interviews.

Offenbar hatte ich mit meinem Blick in eine andere Richtung alles richtig gemacht. Ich hatte ein Thema gefunden, das wohl in der Luft lag, das aber – abgesehen von Konsumentenverbänden mit ihren damals drögen Postillen – von niemandem aufgegriffen wurde. Mit einem lockeren Stil, verblüffenden Bildelementen, technischen Spielereien vor dem Bluescreen und ungewöhnlichen, kecken Interviews wurden von uns auch aus Unterhaltungsshows entlehnte Elemente eingeführt, die bei Informationssendungen absolut verpönt waren. Dies trug uns die harsche Kritik unserer politisch klar links ausgerichteten Kollegen unter Anführung des späteren Fernsehdirektors Peter Schellenberg ein, die wegen unseres gewaltigen Publikumserfolgs immer schriller wurde. Und dass uns mehrere Firmen wegen unserer knallharten Berichterstattung einklagten – um dann jeweils vor Gericht den Kürzeren zu ziehen, unterstrich unser Image als furchtlose Kämpfer für die Gerechtigkeit im täglichen Konsumdschungel.

Im Nachhinein war es für viele meiner Kritiker klar, dass ich bloss als Erster einen Trend erkannt hatte, der sich zu bilden begann. Aber niemand schien sich zu fragen, weshalb ein junger, völlig unerfahrener TV-Journalist diese Entwicklung nicht nur richtig erspürt hatte, sondern bei der Umsetzung offenbar sehr vieles richtig gemacht hatte, um diesen aussergewöhnlichen, jahrzehntelangen Erfolg zu ermöglichen.

Auch dank den Erfahrungen, die ich während eines Studienjahrs in den USA gemacht hatte – was damals im Gegensatz zu heute völlig unüblich war –, hatte ich mir einen klaren Vorteil verschafft. Für mich war die Welt grösser und vielfältiger als für all jene, die in den späten 1960er-Jahren das damalige Wunderland Amerika nicht hautnah erlebt hatten. Ich erkannte deshalb Möglichkeiten und Entwicklungen, die für andere nicht wahrnehmbar waren. Ich stellte auch andere Fragen – etwa die nach dem Warum und dem Warum-Nicht – und gelangte auf diese Weise zu überraschenden Antworten. Und so hatte ich mein Erfolgskonzept gefunden, das ich in späteren Jahren wiederholt anwenden sollte.

Im Frühling 1979 stiess ich im Tages-Anzeiger auf eine kurze Meldung. Dort erfuhr ich auf wenigen Zeilen, dass in Italien vor Kurzem das Radio- und Fernsehgesetz ausser Kraft gesetzt worden war. Dieser gesetzlose Zustand führte dazu, dass innerhalb von nur wenigen Monaten Hunderte von privaten TV-Stationen und Tausende von Radiostationen aus dem Boden geschossen waren, die die gesamte italienische Medienlandschaft im Nu umgepflügt hatten.

Diese knappe Information war somit für sehr viele Menschen zugänglich. Doch ich sah etwas, was andere Zeitungsleserinnen und -leser nicht sahen. Für mich war sie eine Offenbarung. Ich erkannte auf Anhieb die Möglichkeit, einen privaten Radiosender zu gründen.

Jahre zuvor hatte ich mit Begeisterung die Tätigkeit der in der Nordsee schippernden Piratenstationen verfolgt, die mit topaktueller Musik und lockeren Moderationen die verkrusteten Monopole der staatlichen Sender in Grossbritannien und in den Niederlanden aufgebrochen hatten. Dies waren meine Vorbilder, die ich nachzuahmen versuchte. Und nun sah ich zum ersten Mal eine echte Chance, es ihnen gleich zu tun.

Radio galt in den späten 1970er-Jahren als altertümliches Medium, das im Vergleich zum aufstrebenden Fernsehen immer mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit und Bedeutung verlor. In der Schweiz spulte der Landessender Beromünster sein ewig gleiches, völlig veraltetes Programm ab. Vor allem junge Leute mussten deshalb auf ausländische Sender wie Europe 1, Radio Luxemburg oder SWF 3 ausweichen. Einige von ihnen pröbelten mit selbst gebauten Piratensendern, die allerdings von PTT-Technikern mit ihren Peilwagen jeweils innerhalb weniger Tage aufgespürt und konfisziert wurden.

Hingegen kümmerte sich keiner der mit grossen finanziellen Möglichkeiten ausgestatteten Verleger um die Entwicklung der elektronischen Medien, die in den folgenden Jahren die Medienlandschaft verändern würden. Stattdessen konzentrierten sie sich allein auf ihre ständig wachsenden Inserateplantagen, die ihnen mühelos unglaublich viele Millionen in die Kassen spülten.

Es bedurfte also keiner besonderen Fähigkeiten, diese einmalige Chance zu erkennen. Die Ausgangslage war für jedermann ersichtlich. Man brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen. Und das tat ich. Innerhalb weniger Minuten entdeckte ich auf einer simplen Landkarte den Pizzo Groppera, einen Fast-Dreitausender direkt hinter dem Splügenpass. Es war der einzige Berg in Reichweite der Schweizer Grenze, zu dessen Gipfel eine Schwebebahn führte, was auf eine ausgebaute technische Infrastruktur hinwies.

Bereits am nächsten Tag setzte ich mich in mein Auto und machte mich auf den Weg nach Madesimo, wo sich gemäss Landkarte die Talstation befand. Dort erkundigte ich mich nach dem Besitzer der Anlage. Sein Name, so erfuhr ich, war Paride Cariboni, der im Hauptberuf ein grosser Bauunternehmer mit mehreren Fabriken im Veltlin sei. Sofort bemühte ich mich um einen Termin, und tatsächlich traf ich ihn kurz darauf in seiner Fabrik in Colico beim Comersee, wo ich ihm mein Anliegen vortrug. Und nur wenige Tage später – ich war beim hastig beschafften Langenscheidt-Italienischbuch gerade bei Lektion 13 angelangt – schlossen wir einen ersten Vorvertrag.

In der Folge erstellte Caribonis hervorragendes, extrem motiviertes Team innerhalb von nur drei Monaten nicht nur die riesige Antenne aus 30 Tonnen verzinktem Stahl auf der Spitze des gewaltigen Berges, sondern ebenfalls eine Kaverne für den damals stärksten UKW-Sender der Welt. Dieser musste aus Texas importiert werden, war er doch der Einzige, der die Kapazität aufbrächte, das Radiosignal über unglaublich weite 120 Kilometer und über zwei bedrohlich hohe Bergketten nach Zürich zu bringen. Alle technischen Fachleute winkten ab, als sie von meinem Plan hörten. Dies würde niemals funktionieren, erklärten sie unisono. Nur mein Cheftechniker James Matter – halb Genie, halb Wahnsinniger – wagte sich todesmutig an diese Aufgabe. Und irgendwie klappte es. Einige wenige Prozent unserer gewaltigen Sendeleistung zerschellten nicht an den beiden Bergketten, sondern kamen in der Region Zürich an – und damit war Radio 24 Ende November 1979 auf Sendung und wurde von Beginn weg zu einem Sensationserfolg.

Als die grossen Verleger erkannten, was sich da vor ihren Augen abspielte, eilten sie aufgeschreckt nach Bern. Dort drohten sie dem Bundesrat, dass sie planten, ebenfalls solche Sender zu lancieren, wenn man mich nicht sofort stoppen würde. Für mich war klar, dass dies nicht mehr als eine leere Drohung war, denn ich hatte mir den einzigen Berg vertraglich gesichert, der sich für ein solches Vorhaben technisch eignete. Aber der Bundesrat kannte diese Fakten nicht, weshalb er meinen Sender mit panischen Interventionen bei den italienischen Postbehörden dreimal schliessen liess, bevor er schliesslich kapitulierte und vier Jahre später einigen Privatradios Sendekonzessionen ausstellte. Auch Radio 24 wurde berücksichtigt, allerdings mit der Auflage, den Sender auf dem Pizzo Groppera einen Monat zuvor abzuschalten.

Die lange Leidensgeschichte zementierte den Mythos des «Piratensenders», wie mein Radio in der Presse oft genannt wurde. Eine Folge davon war, dass Radio 24 in den folgenden Jahrzehnten der meistgehörte und kommerziell erfolgreichste private Sender des Landes wurde. Hätte ich meinen Blick nicht dorthin gewandt, wo niemand hinschaute, wäre die Entwicklung der Schweizer Medien wohl anders verlaufen.

1984 begann mit dem Sendestart der Privatsender RTL und Sat.1 ein neues Zeitalter im deutschen Medienmarkt. In der Schweiz hingegen blieb alles ruhig, weil die SRG als einzige TV-Anstalt weiterhin Fernsehwerbung schalten durfte. Erst 1992 wurde diese Regelung bei einer Gesetzesrevision gelockert, was einige kleine private Veranstalter ermutigte, sich vorsichtig auf dieses Terrain zu begeben. Die grossen Verleger hatten hingegen andere Visionen. Natürlich wollten sie nicht nochmals, wie sie es beim Radio erlebt hatten, eine wichtige Entwicklung verpassen. Und sie ahnten, dass diese beim kommerziell gewichtigeren Medium Fernsehen viel einschneidender und bedeutender werden könnte als es der Beginn des Privatradios darstellte. Deshalb beauftragten sie ihre Entwicklungsabteilungen, in aufwendigen Studien festzustellen, unter welchen Bedingungen ein privates nationales Fernsehen lanciert werden könnte.

Doch die angelieferten Resultate waren ernüchternd. Die Kosten für den gesamten Sendebetrieb wurden von den Experten auf rund 100 Millionen Franken im Jahr errechnet. Dies aber war ein Betrag, den man mit Werbung nicht einmal annähernd einspielen würde, hielten sie fest. Das Fazit war deshalb klar: Der Schweizer Markt sei zu klein für kommerzielles Fernsehen. Und damit war das Thema vom Tisch.

Nicht für mich. Fernsehen war für mich ein Medium, das mich seit meiner Zeit bei der Rundschau und vor allem beim Kassensturz nie mehr losgelassen hatte. Es schien die logische Fortsetzung meiner bisherigen Aktivitäten zu sein. «Gibt es dafür eine echte Chance?», fragte ich mich lange Zeit. «Verhalten wir uns alle wie Affen im Zoo, die sich allesamt aufgeregt ans Gitter klammern, um sich eine Erdnuss von den amüsierten Besuchern zu schnappen, während auf der Rückseite des Geheges eine Tür offen steht, durch die man seelenruhig in die Freiheit spazieren könnte?»

Eines Morgens hatte ich die Eingebung: Vielleicht war der Schweizer Markt tatsächlich zu klein für ein kommerzielles, journalistisch ausgerichtetes Fernsehen. Aber Zürich war gross genug! Ich hatte mich gemäss meinem Grundprinzip um 180 Grad gedreht und erkannte etwas, das alle anderen nicht sahen. Während ein Schweizer Sender gegen die grosse Konkurrenz aus der Schweiz und aus Deutschland antreten müsste und wegen der im Vergleich zu diesen Stationen viel tieferen Produktionskosten kaum Chancen auf einen Markterfolg haben würde, hätte ein Sender für Zürich keine direkte Konkurrenz. Keine! Dank einer viel tieferen Kostenbasis würde ich ein exklusives regionales TV-Programm anliefern und so in kurzer Zeit den Break-even erreichen, da war ich mir sicher.

Wie aber sollte ich vorgehen? Musste ich zuerst durch Marktforschung abklären, ob überhaupt ein Bedürfnis für ein solches Fernsehangebot bestehen würde? Wie aber sollte ich Leute über etwas befragen, das sie nicht kannten und bisher auch nicht vermissten? Also verzichtete ich auf eine solche Studie.

Auch der Blick nach Deutschland lieferte wenige Aufschlüsse. Dort gab es zwar bereits einige regionale Sender, die es grossspurig mit Vollprogrammen versuchten, mit denen sie jedoch wegen ihrer beschränkten Mittel keine Chance gegen die viel besser ausgestattete Konkurrenz hatten und deshalb riesige Defizite schrieben. Diesen Fehler durfte ich auf keinen Fall wiederholen. Mein Sender musste mit einem völlig anderen Konzept antreten.

Und so entstand das Paternostersystem von Telezüri mit einem einstündigen, selbst produzierten, tagesaktuellen Programm, das den ganzen Abend über wiederholt wurde. In einer Zeit ohne Internet, in der es noch keine zeitlich ungebundene Nutzung von Sendungen gab, war dieses allein aus der Beschränkung der finanziellen Mittel geborene Konzept eine echte Novität, die auf Anhieb einschlug. Nun hatten unsere Zuschauerinnen und Zuschauer die Wahl, wann sie unser Programm sehen wollten. Wenn es um 20.15 Uhr nicht passte, weil auf einem der grossen Sender gerade ein toller Film oder eine attraktive Show lief, konnten sie die aktuellen regionalen Informationen vorher oder später beziehen.

Natürlich höhnten die SRG-Granden über diesen ersten einheimischen Konkurrenten, der es auf diese Weise versuchte, um dann nicht viel später ihren Wiederholungskanal SF Info zu gründen. Sie mokierten sich auch über den erstmaligen Einsatz von Videojournalistinnen und -journalisten. Dies sind multifunktional eingesetzte Mitarbeitende, die alle Funktionen der damals üblichen Drei-Personen-Teams übernahmen, die aus einem Journalisten, einem Kameramann und einer Tonmeisterin bestanden. Erst Jahre später übernahm man auch bei der SRG dieses Konzept für aktuelle Einsätze und selbst für Dokumentarfilme.

Unser Programmkonzept war extrem einfach. In der ersten halben Stunde produzierten wir eine aktuelle Newssendung mit Schwergewicht auf lokale und regionale Inhalte, um uns so von der nationalen und internationalen Konkurrenz abzuheben. Und da kaum Geld für die zweite halbe Stunde übrig blieb, entschied ich mich für das Kostengünstigste aller Programme: für eine Talkshow, die ich Talktäglich nannte.

«Aber nach drei Monaten hast du doch alle spannenden Leute in deinem Studio gehabt», hielt man mir entgegen.

«Dann machen wir eben diese drei Monate und schauen dann weiter», war meine Antwort.

Inzwischen gibt es Talktäglich seit über 25 Jahren. Alle regionalen Sender, die in der Folge entstanden, übernahmen mein Sendekonzept und halten daran bis auf den heutigen Tag fest.

Es war also wiederum mein Blick in eine völlig andere Richtung, der Telezüri erst ermöglichte und dann zum Erfolg führte. Auch diesmal musste ich mich von den branchenüblichen Fixierungen lösen, einen anderen Ansatz und eine Nische finden, in der das aufwendige, technisch komplizierte Fernsehen eine wirtschaftliche Basis erhalten konnte.

Jahre später stand ich als frischgebackener Geschäftsführer von Sat.1 vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe.

Im deutschen Fernsehmarkt ist der Sonntagabend der wichtigste von allen. Dort finden sich die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer, und deshalb ist hier das meiste Geld zu verdienen. Doch Sat.1 landete mit seinem Programm immer abgeschlagen weit hinter den anderen grossen Sendern.

Die Ausgangssituation war tatsächlich hoffnungslos, wie ich in einer ersten Analyse feststellen konnte. Bei der ARD lief sonntags um 20.15 Uhr der Tatort – eine sichere Bank. Das ZDF sendete seine geballte Rosamunde-Pilcher-Herzschmerzsülze, mit der man ebenfalls tolle Marktanteile holte. RTL und ProSieben traten mit Blockbusterfilmen in den Ring und reüssierten damit. Für unseren Sender blieben demnach nur noch Krümel übrig.

Was sollte ich also tun? Weil in unserer Fernsehgruppe ProSieben immer die attraktiven Filme zugeteilt erhielt und Sat.1 jeweils leer ausging, versuchte man es mit Unterhaltungsshows, die aber selbst die bescheidenen Erwartungen nicht erfüllten. Mit einem Wort: Wir hatten keine Chance gegen die übermächtige Konkurrenz.

In meiner zunehmenden Verzweiflung versuchte ich den Blick in eine ganz andere Richtung zu wenden: Wie wäre es, wenn wir jeweils zwei einstündige Serien hintereinander programmieren würden? Das war etwas, was noch niemand am Sonntag versucht hatte. Wir hatten einige der damals stark nachgefragten amerikanischen Serien in unserem Programmstock. Diese programmierten wir wie alle anderen Stationen an den Wochentagen. Zudem hatte ich kurz zuvor bei den May Screenings in Los Angeles, wo die Hollywood-Studios jeweils ihre aktuellen Produktionen zeigen, eine neue Serie entdeckt, die ich für sehr vielversprechend hielt und die ich mir geangelt hatte.

Ich präsentierte die Idee meinen wichtigsten Mitarbeitenden und einigen erfahrenen Produzenten, mit denen wir zusammenarbeiteten. Alle winkten kategorisch ab. Der Sonntag sei für eine Serienprogrammierung völlig ungeeignet, dies wisse doch jedermann, beschied man mir. Das Publikum habe an diesem Abend ganz andere, nämlich höhere Erwartungen, wurde ich als Newcomer zusätzlich belehrt. Gegen die übermächtige Konkurrenz mit ihren attraktivsten Angeboten würde man mit landläufigen Serien völlig untergehen. Es wurden sogar Wetten abgeschlossen, dass ich damit glorios auf die Nase fliegen würde. Ich ahnte deshalb, dass ein Totalflop für mich ein vorzeitiges Ende in Berlin bedeuten könnte, so wie es zahlreiche meiner Vorgänger bei krassen Fehlentscheidungen erlebt hatten.

Doch ich liess mich nicht abhalten und lancierte den neuen Sat.1-Krimi-Sonntag mit den Serien Navy CIS und Criminal Minds im Doppelpack. Zur Verblüffung der gesamten Branche schlug diese Programmierung vom ersten Sendetag an ein. Sat.1 war erstmals am wichtigsten Abend der Woche zu einem echten Player geworden, der mit den anderen Grossen mithalten konnte.

Diese ungewöhnliche Programmierung funktionierte während Jahren in hervorragender Weise und wurde noch weit nach meinem Abgang weitergezogen. Wir hatten also keine echte Chance gehabt, aber mit einem Blick in eine völlig neue Richtung, einer gehörigen Portion Mut, etwas Chuzpe und viel Glück war unser Sender am Sonntag in die erste Liga aufgestiegen. Und meine Lieblingsmethode mit den 180 Grad hatte einmal mehr aufs Beste funktioniert.

Breaking the rules

Es gibt mehr als einen Ansatz, um erfolgreich zu werden. Entweder tut man alles, um möglichst früh Teil des Establishments zu werden, damit man sich auf diese bewährte Weise bis an die Spitze der Pyramide vorarbeiten kann. Dazu verschafft man sich möglichst viele Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten, die einem die Tür in die entscheidenden Kreise der Gesellschaft öffnen. Man versucht, Organisationen beizutreten, in denen sich die Mitglieder der Elite zusammengeschlossen haben. Dies können Zünfte, Serviceklubs oder politische Parteien sein – sie allesamt sind Teil der gesellschaftlichen Machtstruktur. Auch prestigereiche kulturelle oder wissenschaftliche Institutionen eignen sich für diese Strategie, da man dort ebenfalls auf Personen stösst, die einem beim eigenen Vorankommen behilflich sein können. So werden gezielt Loyalitäten geschaffen, die man zu eigenen Zwecken nutzen kann, weil ein potentes und vielfältiges Netzwerk die Grundlage für den Erfolg in unserer Gesellschaft ist.

Oder man versucht es – was viel risikoreicher ist – als Aussenseiter. Dazu gehört eine besondere Portion Mut, viel Selbstvertrauen, einiges an Durchhaltevermögen sowie eine Prise Kreativität – und eine ganz grosse Scheibe Glück. Ausserdem braucht es oft ganz spezifische Umstände, dass sich daraus Erfolge ergeben.

Das Leben als Aussenseiter bietet einerseits einige Vorteile. Man ist frei. Man muss keine Loyalitäten beachten und kann zu jedem Zeitpunkt Entscheidungen fällen, die man ohne Rücksicht auf Dritte umsetzt. Andererseits bestehen gewichtige Nachteile. Man steht allein im Gegenwind, wenn man Hilfe braucht. Dann ist meist niemand da, der einem aus der Patsche hilft, weil man nicht auf die Unterstützung eines Netzwerks zählen darf. Dies habe ich mehrmals erlebt. Trotzdem habe ich nie bedauert, dass ich mich auf diesen Weg begeben habe.

Eine Theorie definiert drei verschiedene Positionen in jeder Gesellschaft: Zum einen gibt es Menschen, die die Regeln bestimmen (making the rules). Sie sind die Inhaber der Macht, die alle wichtigen Hebel in der Hand halten. Sie definieren die Vorgehensweisen und ändern diese nach ihrem Gutdünken. Zum anderen gibt es die Grosszahl von Menschen, die diese Regeln übernehmen müssen, die ihnen vorgegeben werden (taking the rules). Die dritte Gruppe bricht diese Regeln, weil sie sich davon Vorteile für ihre eigenen Tätigkeiten erhofft (breaking the rules).

Jeder Pionier ist ein Rulebreaker, weil er bestehende Regeln brechen muss, um seine Ziele zu erreichen. Nur wenn er sich von herrschenden Denkmustern und Machtstrukturen löst, gelangt er zu neuen Erkenntnissen. Dies schafft er nicht ohne eine rebellische Ader, dank der er sich in neue gedankliche Gefilde vorwagen kann.

Ich selbst sah mich lange nicht als Rebell. Politisch stand ich selbst im aufgeheizten 1968er-Klima nicht aufseiten der demonstrierenden Studentinnen und Studenten. Die Lektüre der Bücher von Arthur Koestler über die Moskauer Schauprozesse in den späten 1930er-Jahren hatte mich gegen alle kommunistischen Visionen immun gemacht. Und das Studium an der Hochschule St. Gallen bereitete mich allein auf eine Laufbahn in einem bedeutenden wirtschaftlichen Unternehmen vor, etwas, das ich im Gegensatz zu den meisten meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen nie anstrebte. Als ich dann sehr früh als freier Mitarbeiter zum Schweizer Fernsehen kam, stellte ich mir eine Laufbahn als TV-Journalist in diesem halbstaatlichen Betrieb vor. Bei meiner anschliessenden Tätigkeit als Chefredaktor der Tat ging ich vollständig in der Arbeit des Zeitungsmachers auf. Während all dieser Jahre dachte ich keine Sekunde daran, ein eigenes Medienunternehmen zu gründen. Solche Perspektiven lagen weit ausserhalb meiner Vorstellungskraft. Und sie waren auch nicht Teil eines Zeitgeists, in dem das Wort Start-up noch nicht geboren war.

Doch dann erlebte ich zwei Dinge gleichzeitig. Nach meinem Rausschmiss bei der Tat und der Rückkehr aus der Karibik, wo ich mit meiner Freundin ein halbes Jahr verbracht hatte, bot mir niemand einen Job an. Zu meiner Überraschung passte ich als sehr junger Ex-Chefredaktor offenbar nirgends in eine der bestehenden Strukturen. Jemanden mit meiner Reputation als Wirbelwind wollte man nicht in seiner Redaktion haben, weil der wohl umgehend am Chefsessel herumbosseln würde. Dies war das eine. Und dann stiess ich auf einen klitzekleinen Artikel über die chaotische Mediensituation in Italien.

Als ich Radio 24 lancierte, sah ich mich zwar überraschend als Unternehmer, jedoch nicht als Rebell. Ich hatte eine attraktive Nische im Mediensystem entdeckt – mehr nicht. Meine rechtlichen Abklärungen hatten ergeben, dass ich eine echte Lücke in der Rechtsordnung gefunden hatte, die es mir erlauben würde, aus Italien in die medial erstarrte Schweiz hineinzusenden. Erst die heftige Gegenwehr des Establishments, das sich mit allen verfügbaren Mitteln für die Erhaltung des SRG-Monopols einsetzte und meinen Sender unter allen Umständen weghaben wollte, rückte mich in diese Rolle. Allein der von Bern angezettelte Kampf gegen unseren Sender und die dadurch ausgelöste Massenbewegung machten aus mir einen öffentlichen Helden, der sich einem übermächtigen System mutig entgegenstellte. Dies war nie mein Ziel gewesen. Ich hatte lediglich einen privaten Sender mit toller Musik und witzigen, spannenden journalistischen Inhalten machen wollen. Als ich begriff, dass etwas viel Grösseres, Bedeutenderes entstanden war, musste ich klären, ob ich mich mit diesem Gang der Ereignisse versöhnen würde.