ISBN: 978-3-96861-111-2
1. Auflage 2020
© Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing, www.aquamarin-verlag.de
Originaltitel: Invisible Helpers
Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Edith Zorn
Umschlaggestaltung: Annette Wagner
Umschlaggestaltung unter Verwendung von
„Earth with Rising Sun“ illustration background
© PaulPaladin / www.Fotolia.com
Eines der schönsten Merkmale der Theosophie besteht darin, dass sie den Menschen in rationaler Form die nützlichen und hilfreichen Aspekte der Religionen, denen sie entwachsen sind, zurückgibt. Viele, die den Kokon blinden Glaubens durchbrochen und sich auf den Schwingen der Vernunft und der Intuition zu dem freien, edlen Mentalleben höherer Ebenen aufgeschwungen haben, fühlen, dass im Laufe dieses wunderbaren Werdeganges etwas verlorenging. Indem sie den Glauben ihrer Kindheit aufgaben, ist viel von der Schönheit und Poesie ihres Lebens weggefallen.
Ließ sie ihre Lebensweise in der Vergangenheit in den positiven Einflussbereich der Theosophie gelangen, werden sie rasch entdecken, dass nichts verlorenging und sie überaus viel gewonnen haben. Die Freude, Schönheit und Poesie übersteigt alle ihre Erwartungen. Es handelt sich nicht um einen angenehmen Traum, aus dem sie das kalte Licht gesunden Menschenverstandes irgendwann wachrüttelt, sondern um Naturwahrheiten, die den Untersuchungen standhalten und die sich heller, umfassender und vollkommener zeigen, je eingehender man sie versteht.
Ein auffallendes Beispiel für die nutzbringende Tätigkeit der Theosophie ist die Art und Weise, in der sie die unsichtbare Gesellschaft (die, ehe uns die Woge des Materialismus verschlang, als Quelle lebendigen Beistands betrachtet wurde) der modernen Welt wiedergeschenkt hat. Sie zeigt, dass es sich bei dem zauberhaften Volksgut über Elfen, Zwerge, Gnome und die Geister der Luft, des Wassers und des Waldes, der Berge und Minen nicht um bedeutungslosen Aberglauben handelt, sondern dass dieser auf wissenschaftlichen Fakten beruht. Die fundamentale Frage: „Wenn der Mensch stirbt, wird er erneut leben?“ beantwortet sie gleichermaßen eindeutig und wissenschaftlich. Ihre Lehren über die Natur und die Lebensbedingungen nach dem Tod werfen eine Lichtflut auf einen Großteil dessen, was, zumindest in der westlichen Welt, einst undurchdringliches Dunkel verhüllte.
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass die Theosophie, im Gegensatz zu der üblichen Religion mit ihrer Lehre über die Unsterblichkeit der Seele und einem Leben nach dem Tod, eine völlig unterschiedliche Ansicht vertritt. Sie gründet diese erhabenen Wahrheiten nicht bloß auf die Autorität irgendwelcher heiliger Schriften aus ferner Vergangenheit. Wenn sie über diese Themen spricht, befasst sie sich nicht mit frommen Ansichten oder metaphysischen Spekulationen, sondern soliden, definitiven Fakten, die ebenso real und greifbar sind wie die Luft, die wir atmen, oder die Häuser, in denen wir wohnen. Es sind Fakten, die viele von uns tagtäglich erleben, Fakten, mit denen sich viele unserer Studenten fortwährend beschäftigen.
Von den zahlreichen Vorstellungen, die uns die Theosophie erneut nahegebracht hat, sticht das hilfreiche Wirken der Natur hervor. Seit Urzeiten hat man überall auf der Welt daran geglaubt. Außerhalb der engstirnigen Domäne des Protestantismus –, der bei dem Versuch, die natürliche und einzig wahre Vorstellung von vermittelnden Kräften abzuschaffen, die Welt seiner Anhänger inhaltslos machte und verdunkelte und alles auf zwei Faktoren reduzierte, auf Mensch und Gottheit, und somit den Gottesbegriff unsagbar degradierte und den Menschen hilflos ließ –, herrscht dieser universelle Glaube selbst in der heutigen Zeit.
Eine kurze Betrachtung des gängigen Schicksalsgedankens, die Vorstellung vom Eingreifen einer launenhaften Zentralmacht des Universums, mit dem Ergebnis seiner eigenen Beschlüsse, wirft den Aspekt der Voreingenommenheit und den unweigerlich damit einhergehenden Übeln auf. Die theosophische Lehre, dass einem Menschen nur dann Hilfe zuteil werden kann, wenn seine vergangenen Taten diesen Beistand verdient haben und sie ihm von jenen gewährt wird, die seiner eigenen Ebene vergleichsweise nahe stehen, erhebt sich über diesen schwerwiegenden Einwand. Hinzu kommt, dass sie uns die ältere und weitaus höhere Vorstellung von einer ununterbrochenen Linie lebendiger Wesen wieder vor Augen führt, die vom Logos bis hinab zum Staub unserer Füße reicht.
Die Existenz der unsichtbaren Helfer hat im Osten stets Anerkennung gefunden, obgleich die ihnen zugeordneten Namen und Merkmale in den einzelnen Ländern variieren. In Europa berichten die Sagen des antiken Griechenlands von dem unablässigen Eingreifen der Götter in die Angelegenheiten der Menschen, und die römische Legende erzählt, dass Castor und Pollux die Legionen der jungen Republik im Kampf am See Regillus führten. Dieser Gedanke der klassischen Antike fand seine würdigen Nachfolger in den mittelalterlichen Legenden über Heilige, die in kritischen Momenten erschienen und den Krieg zugunsten der Christen wendeten, oder von Schutzengeln, die bisweilen einschritten, um fromme Reisende vor Unglück zu bewahren.
Selbst in diesem skeptischen Zeitalter, trotz unserer dogmatischen Wissenschaft und der tödlichen Dumpfheit unseres Protestantismus, wird jeder, der sich die Mühe macht, näher hinzuschauen, Zeichen von Intervention finden, die sich aus rein rationalen Überlegungen nicht erklären lassen. Zum besseren Verständnis möchte ich einige Beispiele anführen, von denen ein oder zwei auf meinen eigenen Beobachtungen basieren.
Bei den noch nicht lange zurückliegenden Beispielen fällt auf, dass es sich fast immer um Ereignisse handelt, in denen Kinder gerettet oder beschützt wurden.
Ein interessanter Fall, der sich vor einigen Jahren in London abspielte, stand in Zusammenhang mit der Rettung eines Kindes, als in einer Straße ein Feuer ausbrach und zwei Häuser völlig zerstörte. Ehe es entdeckt wurde, hatten die Flammen sie bereits so stark ergriffen, dass die Feuerwehrleute nicht mehr in der Lage waren, sie zu retten. Es gelang ihnen jedoch, alle Bewohner herauszuholen, mit Ausnahme einer alten Frau, die im Rauch erstickte, bevor man zu ihr gelangte, und einem fünfjährigen Kind, das man in der Aufregung völlig vergessen hatte.
Die Mutter des Kindes war wohl eine Freundin oder Verwandte der Hausbesitzerin, in deren Obhut sie das kleine Wesen für die Nacht gegeben hatte, weil sie geschäftlich verreisen musste. Erst als alle gerettet waren und die Flammen das Haus umzüngelten, erinnerte sich die Hausbesitzerin mit jähem Entsetzen an ihren Schutzbefohlenen. Trotz der Aussichtslosigkeit, die Dachstube, in der man das Kind zu Bett gebracht hatte, zu erreichen, beschloss ein tapferer Feuerwehrmann, einen verzweifelten Vorstoß zu wagen. Nachdem man ihm genau beschrieben hatte, wo die Kammer lag, stürzte er sich in die Flammen und den Rauch.
Er fand das Kind und brachte es vollkommen unbeschadet zurück. Seinen Kameraden hatte er eine ungewöhnliche Geschichte zu berichten. Als er das Zimmer erreichte, stand es in Flammen. Der größte Teil des Fußbodens war bereits zusammengebrochen. Das Feuer hatte den Raum zum Fenster hin in einer solch unnatürlichen, unerklärlichen und von ihm noch niemals zuvor gesehenen Weise durchzogen, dass die Ecke, in der das Kind lag, völlig unberührt geblieben war, obwohl die Balken, die den restlichen Fußboden hielten, auf dem das Kinderbett stand, zum Teil verkohlt waren. Das Kind fürchtete sich natürlich entsetzlich. Der Feuerwehrmann betonte wiederholt, eine Gestalt, die einem Engel glich, gesehen zu haben, als er unter großer Gefahr auf das Kind zuging. Dieses Etwas „von herrlichem Weiß und Silber beugte sich über das Bettchen und glättete die Bettdecke“. Seiner Aussage nach konnte es sich um keinen Irrtum handeln, da die Gestalt für einige Augenblicke in gleißendem Licht sichtbar wurde und erst verschwand, als er sie fast erreicht hatte.
Ein weiterer seltsamer Aspekt dieser Geschichte ist die Tatsache, dass die abwesende Mutter des Kindes in jener Nacht keinen Schlaf finden konnte und von dem starken Gefühl gequält wurde, dass etwas nicht stimmte. Schließlich erhob sie sich und betete inständig um seinen Schutz. Die Intervention war so offensichtlich, dass ein Christ darin wohl die Antwort auf das Gebet sieht. Ein Theosoph würde es wissenschaftlicher ausdrücken und erklären, dass die starke Liebe der Mutter eine Kraft bewirkte, die sich ein unsichtbarer Helfer zunutze machen konnte, um ihr Kind vor dem schrecklichen Tod zu bewahren.
Ein bemerkenswerter Fall, bei dem Kinder in ungewöhnlicher Weise beschützt wurden, ereignete sich einige Jahre zuvor am Ufer der Themse. Diesmal war die Gefahrenquelle nicht das Feuer, sondern das Wasser. Ein Kindermädchen ging mit seinen drei Schutzbefohlenen auf einem Treidelpfad spazieren. Um eine Ecke biegend, stießen sie auf ein Pferd, das einen Frachtkahn zog. In dem Durcheinander gerieten zwei der Kinder auf die verkehrte Seite des Weges und fielen ins Wasser.
Als der Bootsführer, der den Vorfall beobachtet hatte, hervorsprang, um die Kinder zu retten, sah er sie „in höchst ungewöhnlicher Weise“ hoch oben auf dem Wasser in Richtung Ufer gleiten. Dies war alles, was er und das Kindermädchen beobachteten. Die Kinder hingegen erklärten, „eine wunderschöne, strahlend weiße Person“ habe sie hochgehalten und zum Ufer geführt. Die Tochter des Kahnführers bestätigte ihre Aussage. Aufgeschreckt durch die Schreie des Kindermädchens, war sie aus der Kabine an Deck gelaufen und hatte, wie sie beteuerte, eine liebliche Dame im Wasser gesehen, die die beiden Kinder ans Ufer zog.
Ohne nähere Einzelheiten zu kennen, lässt es sich nicht mit Gewissheit sagen, aus welcher Klasse von Helfern dieser „Engel“ stammte. Wahrscheinlich handelte es sich um einen entwickelten Menschen, der in seinem Astralkörper wirkte, wie wir später sehen werden, wenn wir uns mit diesem Thema sozusagen von der anderen Seite aus befassen werden, aus der Sichtweise der Helfenden, weniger aus der Sicht jener, denen geholfen wird.
Der Geistliche Dr. John Mason Neale berichtet von einem Fall, der sich eindeutiger bestimmen lässt. Ein unlängst verwitweter Vater hielt sich mit seinen Kindern zu Besuch im Landhaus eines Freundes auf. Im unteren Teil dieses weitläufigen alten Gebäudes gab es lange dunkle Gänge, in denen die Kinder begeistert spielten. Doch bald kamen sie mit ernster Miene nach oben. Zwei von ihnen erzählten, dass sie ihrer Mutter begegnet waren, als sie einen der Gänge entlangliefen. Sie hatte sie aufgefordert, augenblicklich umzukehren. Dann war sie verschwunden. Nachforschungen ergaben, dass die Kinder in einen tiefen, nicht abgedeckten Brunnenschacht gestürzt wären, hätten sie ihren Weg nur um wenige Schritte fortgesetzt. Die Erscheinung der Mutter hatte sie vor dem wohl sicheren Tode bewahrt.
Es besteht kein Zweifel, dass die Mutter auf der Astralebene liebevoll über ihre Kinder wachte. Ihr inniger Wunsch, sie auf die unmittelbare Gefahr aufmerksam zu machen, verlieh ihr die Kraft, sich für die Kinder vorübergehend sichtund hörbar zu machen oder zumindest ihren Geist dahingehend zu beeinflussen, dass sie annahmen, sie zu hören und zu sehen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass es sich um einen anderen Helfer handelte, der die vertraute Gestalt der Mutter annahm, um die Kinder zu warnen. Andererseits lässt sich dieses Eingreifen wohl am ehesten der stets wachsamen Mutterliebe zuschreiben, die den Tod überdauert.
Diese Mutterliebe, eines der heiligsten und selbstlosesten Gefühle, bleibt auch auf den höheren Ebenen bestehen. Die Mutter, die auf den unteren Astralebenen weilt und somit weiterhin mit der Erde in Berührung steht, behält ihr Interesse und ihre Sorge für die Kinder bei, solange sie diese sieht. Selbst nach ihrem Eintritt in die himmlische Welt stehen die Kleinen im Vordergrund ihrer Gedanken. Die Liebe, mit denen sie ihr Bild von ihnen überschüttet, bewirkt eine gewaltige Flut spiritueller Kraft, die sich über ihre Nachkommen ergießt, die weiterhin in der niederen Welt kämpfen, und umgibt sie mit lebendigen, wohltätigen Energiezentren, die durchaus als wahrhafte Schutzengel beschrieben werden können.
Vor nicht allzu langer Zeit ging die kleine Tochter eines unserer englischen Bischöfe mit ihrer Mutter in der Stadt spazieren, in der sie wohnten. Das Kind überquerte achtlos die Straße und wurde von den Pferden einer Kutsche umgerannt, die in rascher Fahrt um die Ecke bog. Als die Mutter ihr Kind zu Füßen der Pferde liegen sah, rannte sie hinzu und erwartete, es schwer verletzt vorzufinden. Fröhlich stand es auf und meinte: „Oh, Mama, mir fehlt nichts, denn etwas Weißes hat die Pferde davon abgehalten, auf mich zu treten, und mir gesagt, ich solle mich nicht fürchten.“
In einem anderen Fall überrascht die Länge der Zeit, mit der sich die zur Hilfe kommende Kraft auf physischer Ebene manifestierte. Bei den bisher genannten Ereignissen dauerte die Intervention nur wenige Augenblicke, wohingegen das in diesem Fall erscheinende Phänomen länger als eine halbe Stunde zu währen schien.
Abgesehen von zweien ihrer Kinder, waren die gesamte Bauersfamilie und ihre Helfer mit der Ernte beschäftigt. Die beiden Kleinen wanderten in den Wald und verloren bald ihren Weg, da sie sich allzu weit von ihrem Elternhaus entfernt hatten. Als man von der Arbeit zurückkehrte, entdeckten die Eltern, dass die Kinder nicht zu Hause waren. Da die Nachbarn nichts über ihren Verbleib wussten, schickte der Vater Diener und Arbeiter in alle Richtungen, um nach ihnen zu suchen. Ihre Bemühungen blieben erfolglos und ihre Rufe unbeantwortet. Als sie sich bedrückt im Hof wieder einfanden, bemerkten sie in der Ferne ein seltsames Licht, das sich langsam über die Felder auf die Straße zubewegte. Ihrer Beschreibung nach handelte es sich dabei um eine recht große, golden schimmernde Kugel, die sich von gewöhnlichem Lampenlicht stark unterschied. Als sie sich näherte, sahen sie darin die beiden Kinder auf sie zukommen. Der Vater und einige seiner Arbeiter liefen ihnen entgegen. Erst als sie nach den Kindern greifen wollten, verschwand das Licht, und alles war dunkel.
Die Kinder berichteten, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit eine Weile rufend im Wald umhergeirrt waren und sich schließlich unter einen Baum zum Schlafen niedergelegt hatten. Eine wunderschöne Dame mit einer Lampe hatte sie geweckt, bei der Hand genommen und nach Hause geführt. Auf ihre Fragen habe sie nur gelächelt, aber kein Wort gesprochen. An dieser seltsamen Geschichte hielten sie fest. Nichts konnte ihren Glauben an das Gesehene erschüttern. Obgleich alle Anwesenden das Licht sahen, das die Bäume und Sträucher wie ein gewöhnliches Licht erhellte, wurde die Dame nur den Kindern sichtbar.