Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
ISBN 978-3-492-96946-8
Februar 2016
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015
Dieses Werk wurde vermittelt durch Aenne Glienke | Agentur für Autoren und Verlage, www.AenneGlienkeAgentur.de
Redaktion: Ulrike Gallwitz, Freiburg
Karte: cartomedia, Karlsruhe
Coverkonzeption: Büro Hamburg
Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de
Covermotiv: Machu Picchu, die verlorene Stadt der Inka (age fotostock/Look-foto)
Litho: Lorenz & Zeller, Inning a. A.
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Peru wählt einen aus, bevor man dort gewesen ist. Heimlich und leise nistet sich die Idee einer Reise nach Peru im Kopf ein, schlummert dort und erwacht wie eine dieser amerikanischen Zikaden, die 17 Jahre als Larve im Boden leben, sich dann verpuppen und plötzlich als singendes Insekt an die Oberfläche krabbeln. Bei mir hat die Verwandlung vom Traum zur Wirklichkeit zwischen 17 und 27 Jahren gedauert, doch als die Zeit reif war, habe ich innerhalb von vier Wochen meine Sachen gepackt und bin nach Peru gefahren.
Natürlich kann ein Land nicht wählen, wer kommt. Das wäre gerade im Fall von Peru auch eine merkwürdige Sache – denn sicher hat das Land Francisco Pizarro und die Konquistadoren nicht gebeten, mal vorbeizuschauen und das Land zu plündern. Aber Peru hat Charisma, ein Attribut, das wir normalerweise mit menschlichen Charakteren und nicht mit Ländern verbinden. Doch vermutlich ist es genau das: Peru hat Charakter. Und dem erliegen fast alle, die jemals nach Peru gereist sind und dort gelebt haben. Die Leidenschaft der Fremden für Peru hat die peruanische Tourismusagentur aufgegriffen und hat einen Videoclip gedreht, der diese einzigartige Verbundenheit mit dem Land erstaunlich gut auf den Punkt bringt. In dem Video, das auf YouTube zu sehen ist, bekommt ein erfolgreicher Businessmann im Jahr 2032 ein Päckchen mit einem USB-Stick, das er 20 Jahre zuvor aus Peru an sich selbst geschickt hat. Zeitlich wäre so etwas in Peru sogar denkbar, nicht weil die Post zwei Jahrzehnte für die Zustellung braucht, sondern weil die Zeit in Peru zirkulär und nicht geradlinig verläuft. Alles gelangt in Peru wieder an seinen Ausgangspunkt zurück, jeder Faden kann wieder aufgenommen, immer kann dem Leben im Kreislauf der Zeit eine Wendung gegeben werden. Jedenfalls ist auf dem USB-Stick ein Video, das der Geschäftsmann damals von all seinen Erlebnissen im Amazonasgebiet und in den Dörfern der Anden gedreht hat und das mit dem Satz endet: »Was immer du brauchst, ist heute schon in Peru.«
Das ist Kitsch, und Peru bedeutet natürlich viel mehr, als in einen Marketingspruch passt. Aber der Werbespot greift das Gefühl von unzähligen Peru-Reisenden auf. Peru vermittelt das Gefühl von unendlicher Freiheit und Anarchie, von einer Herzlichkeit inmitten des Chaos, von Zeitlosigkeit während einer Reise durch jahrhundertealte Kulturen. Peru zeigt uns das Mögliche im unendlich Fremden. Wir erfahren die Wildnis inmitten der ältesten Zivilisation Südamerikas, staunen über die Weite der ewigen Anden und verneigen uns in Ehrfurcht vor der Fülle des Lebens im Amazonas. Peru gewährt uns einen Blick in die Zivilisationsgeschichte der Menschheit von den Jägern und Sammlern im Amazonaswald und den Lamahaltern und Ackerbauern der Anden zum computerisierten Menschen der Moderne in Lima. Im Zeitraffer betrachten wir in Peru die Menschheitsgeschichte der vergangenen 12 000 Jahre, wir erleben auf engstem Raum, was in dieser Zeitspanne in Europa, auf einem ganzen Kontinent, vor sich gegangen ist. Nun ja, Peru ist eben auch riesig, viermal so groß wie Deutschland, hat aber gerade mal rund 30 Millionen Einwohner. Ein Drittel der Peruaner lebt in Lima, ein weiteres Drittel entlang der Küste und in Arequipa. In riesigen Gebieten leben also sehr wenige Menschen, weshalb das Land diesen wilden, unentdeckten Eindruck vermittelt.
Die Gesellschaft ist jung, die Menschen wollen was aus sich machen und sich entwickeln. Sie haben einen großen Hunger auf Moderne und einen Nachholbedarf an all den Errungenschaften, die in Europa oder den USA zum Alltag gehören. Die Menschen wollen raus aus der Armut, die noch immer viele Peruaner am Weiterkommen hindert. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als arm, hat also nicht ausreichend Kleidung und Nahrung, hat kaum einen Zugang zu Bildung und keine ausreichende Möglichkeit, an dem Wirtschaftsboom teilzuhaben, den Peru seit 2001 erlebt. In manchen Gegenden sind mehr als die Hälfte der Kinder unterernährt, und rund elf Prozent der Peruaner hungern. Sie leben von nicht einmal einem Dollar am Tag. Dabei sind die Peruaner geschäftig und umtriebig, sie warten nicht darauf, dass ihnen jemand etwas schenkt. Sie verkaufen die unmöglichsten Dinge an den merkwürdigsten Stellen, bieten rot-gelb gestreifte Götterspeise aus Plastikbechern auf der Straße an, aus Draht gebogene Ohrringe im Stadtbus, Brötchen an der Straßenkreuzung, im Dutzend billiger. Peruaner betteln nicht, außer den ganz Alten, die sich nicht mehr selbst versorgen können und von ihrem Gehöft in die Städte des Hochlands kommen und dort von den Almosen leben.
Dennoch ist Peru ein unglaublich reiches Land, mit riesigen Gold- und Kupferschätzen, enormen Erdgasvorkommen und einer blühenden Agrarwirtschaft mit drei Ernten im Jahr. »Das reichste arme Land Südamerikas« nennen die Peruaner ihr Land und sind oft zerknirscht, ja beschämt, dass sie es nicht besser hinbekommen, den Reichtum auf mehr Menschen zu verteilen und das Geld für bessere Schulen, Gesundheitsversorgung, Straßen, Stromleitungen, Wasserversorgung, Internetverbindungen – kurzum für den Anschluss des Landes an das 21. Jahrhundert zu nutzen. Peru ist ein Land im Aufbruch, was unglaubliche Kräfte freisetzt und dem Land durchschnittliche Wachstumsraten von acht Prozent in den vergangenen Jahren bescherte. Aber typisch für Peru ist eben auch, dass niemand einen Plan hat, wohin der Aufbruch das Land führen soll. Jeder und jede macht das, was er oder sie für richtig hält. Die Politiker aller Parteien bereichern sich während ihrer Amtszeit, was jeder Peruaner weiß und deswegen auch kein Vertrauen in die Regierungen hat. Die Menschen erwarten nichts vom Staat, sie helfen sich selbst, so wie sie das seit jeher gemacht haben. Peru ist deswegen auch ein schwieriges Land, mit unregierbaren Regionen und anarchischen Zuständen, die wie ein nicht aufgearbeiteter Rest der Kolonialgeschichte wirken. Das Land ist noch dabei, sich zu finden, und es scheint, als würde diese große Kulturnation merkwürdig geschichtslos vor sich hin wursteln.
Peru ist das Land der vielen Realitäten. Und dabei ist es magisch, denn in diesem großen Chaos verschmelzen die Kulturen und Zeiten zu einer rational nicht erklärbaren Wirklichkeit. Magischer Realismus heißt diese Melange aus Traum und Wirklichkeit in der Literatur Südamerikas. Die großen Schriftsteller des Kontinents wie Alejo Carpentier, José Lezama Lima, Gabriel García Márquez und natürlich der Peruaner Mario Vargas Llosa haben den magischen Realismus geprägt und unser Bild von Südamerika beeinflusst. Sie haben das Leben in ihren Ländern so beschrieben, wie sie es erlebt haben. Doch selbstverständlich sind diese Zeiten vorbei. Peru ist nicht mehr das diktatorisch regierte Land, über das Zavala und Ambrosio sich im »Gespräch in der ›Kathedrale‹«, dem grandiosen Roman von Mario Vargas Llosa, unterhalten. Dörfer wie Macondo aus der Phantasie des Kolumbianers Márquez haben heute einen Internetanschluss. Auch Schamanen telefonieren mit dem Smartphone, Indígena-Frauen posten auf Facebook, vor den Holzhütten im Amazonas stehen die Geländewagen der Goldsucher und Kokainboten. Der magische Realismus wurde mit der Technisierung jedoch nicht entzaubert, sondern genau diese Vermischung belebt die surreal erscheinende Wirklichkeit des peruanischen Alltags. Die jungen peruanischen Schriftsteller wie Daniel Alarcón und Diego Trelles Paz sehen das anders und wollen mit dem magischen Realismus ihrer Vorgänger und Vorbilder nichts mehr zu tun haben. Das ist verständlich, denn sie möchten mit ihren Geschichten nach eigenen Kriterien beurteilt werden und nicht im Schatten von Vargas Llosa und García Márquez verschwinden.
Doch Magie hin, Phantasie her – in Machu Picchu leben keine Lamas und Alpakas. Natürlich stehen sie heutzutage mit bunten Wollfäden in den Ohrhaaren vor dem Eingang nach Machu Picchu, doch das machen sie nur, um den Touristen zu gefallen. Im Nebelwald rund um die Tempelstadt ist es ihnen viel zu warm, außerdem wächst ihre Lieblingsspeise, das Ichu-Gras, nicht dort, sondern erst in ihrem natürlichen Habitat, der Puna, ab 4000 Meter Höhe. Aber was soll’s, auch Lamas und Alpakas müssen in Peru ihren Lebensunterhalt verdienen, und sie bringen Geld ein, wenn die Touristen sie fotografieren – und da solche Geschäftstüchtigkeit so typisch für Peru ist, erzählt das Titelfoto eine wahre Geschichte.
Die vielen Realitäten in Peru ermöglichen jedem Reisenden, seine eigenen Erfahrungen in diesem großen Land zu machen, zu staunen und sich begeistern zu lassen. »Macht Fotos, Fotos sind wichtig«, sagt Epifanio, mit dem ich in den Bergen der Cordillera Blanca gewandert bin. »Wenn ihr wieder zu Hause seid, schaut ihr die Fotos an und durchlebt noch einmal, was ihr gemacht habt.« Vielleicht haben die Berge Epifanio diese Einsicht vermittelt, denn er hat die Anden noch nie verlassen. Aber er hat recht. Und dann, wenn alle Fotos zum x-ten Mal angeschaut worden sind und man wieder daran erinnert wurde, dass sich Peru längst für einen entschieden hat, ist es an der Zeit, aufzubrechen.
»Warum sind Sie nach Peru gekommen?«, fragen mich öfter Peruaner und sind wirklich an einer Antwort interessiert. Sie können sich nicht vorstellen, warum ich so viel Geld ausgebe, um von Europa nach Peru zu fliegen, wo doch alle Peruaner mit einem Hauch von Aufstiegswillen alles dafür geben würden, nach Europa zu kommen. Sie gucken dann nachdenklich, fast skeptisch, wenn ich sage, dass Peru ein einzigartiges Land mit einer faszinierenden Natur, überragenden Kultur und liebenswerten Menschen ist. So haben sie ihr Land, geschweige denn ihre Mitbürger noch nicht betrachtet. Selbstverständlich sehe ich Peru auch nicht so holzschnittartig, aber ich finde Peru wirklich sagenhaft spannend. Die Peruaner hingegen sind sich nicht einmal dessen bewusst, dass Peru der Welt mehr gegeben hat als manch anderes Land in Südamerika, mit dem die Peruaner sich voller Selbstzweifel immer wieder vergleichen. Aber was wäre die Welt ohne Kartoffeln? Wie wäre die Industrialisierung Europas ohne die Baumwolle aus dem Norden Perus verlaufen? Was würden die Italiener ohne Tomaten kochen? Kartoffeln, Erdbeeren, Tomaten, Kakao und jede Menge anderer Früchte und Gemüse, aber auch Naturfasern wie Baumwolle kommen ursprünglich aus Peru und sind in gewisser Weise kleine Dinge, haben jedoch das Weltgeschehen auf eine subtile und zurückhaltende Art beeinflusst.
Lange Zeit bevor die Spanier das Land für sich und ihre Zwecke entdeckten, haben die Menschen aus der Region des heutigen Peru bereits mit den Früchten ihrer Ackerbaukunst in Süd- und Mittelamerika gehandelt. Vor 7600 Jahren haben sie Erdnüsse aus Wildpflanzen kultiviert, mindestens 1600 Jahre zuvor hatten sie bereits eine Kürbisart gezüchtet, aus deren Kernen die Leute vermutlich schon Öl gewonnen haben. Wenn die Archäologen richtig liegen, bedeutet das, dass die Menschen im Norden Perus schon vor 9200 Jahren Äcker bestellt haben und sesshaft waren. Zu einer Zeit also, als unsere Vorfahren in Europa noch durch die Gegend zogen, Kräuter und Beeren sammelten und von der Jagd lebten.
Zum ganz großen Erbe der andinen Kultur gehören die Kartoffeln. Sie sind ein Geschenk des Landes an die Welt, denn kaum jemand möchte ohne Pommes frites, Kartoffelchips, Bratkartoffeln, Tortilla oder Kartoffelpüree leben. Kartoffeln haben Seeleute vor Skorbut bewahrt und viele Menschen in Preußen vor dem Hungertod gerettet. Nach der großen Kartoffelfäule Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa haben die fehlenden Kartoffeln Hungersnöte ausgelöst und die Weltgeschichte beeinflusst. In deutschen Landen haben sie zu Hungeraufständen geführt, die als Vorläufer der Märzrevolution von 1848 gelten. Irland ist zur Zeit der großen Fäulnis so abhängig von der Kartoffel als Grundnahrungsmittel, dass mindestens eine Million Iren verhungern und zwei Millionen Iren nach Amerika auswandern, um dem drohenden Hungertod zu entgehen.
In Peru wachsen mindestens 4000 verschiedene Sorten Kartoffeln. Seit 7000 Jahren ziehen die Bauern in den Anden aus den wild wachsenden Kartoffelpflanzen an den kalten Hängen der Kordilleren die Kulturkartoffeln. Je nach Lichtverhältnissen, Regenmenge, Ost-West-Ausrichtung der Felder haben sie aus den wilden Kartoffeln die Sorte gekreuzt, die für ihre chacra, ihr Landstück, am besten geeignet ist und auf ihrem Land am besten gedeiht. Ein Bauer aus der Nähe von Ayacucho hat mir erzählt, dass er dann und wann in die Berge gehe und nach neuen Wildkartoffeln suche, wenn die Pflanzen seiner chacra einen schlappen Eindruck machten. Hat er eine passende Pflanze gefunden, buddelt er sie aus, nimmt ein paar der kleinen wilden Knollen, gräbt den anderen Teil der Pflanze wieder ein, bedankt sich und lässt ein paar Coca-Blätter als Geschenk für Pachamama, die Mutter Erde, dort. Die gefundenen Knollen zieht er zu Pflanzen und kreuzt sie in seine Kartoffeln, um sie widerstandsfähiger oder ertragreicher zu machen. Die indigenen Hochlandbauern wissen alles über Kartoffeln. Ihre Kenntnisse gehören ganz sicher zum Weltkulturerbe der Menschheit, auch wenn das offiziell noch nicht anerkannt ist. Das Kartoffelwissen ist nur einer von vielen Wissensschätzen der indigenen Peruaner, das sie mit unbeweglicher Miene für sich behalten und leise murmelnd an die nächste Generation ihrer Familie weitergeben.
Auf den Märkten von Ayacucho, Cajamarca, Cusco und der anderen Städte in den Anden türmen sich Dutzende Sorten verschiedener Kartoffeln. Die gelben Kartoffeln kommen mir aus Europa bekannt vor. Aber daneben gibt es die langen mit Riffeln, die aussehen wie gliedrige Finger. Die lilafarbenen und die schwarzen, gemusterte, schwarze mit gelbem Sternenzickzack im Inneren, riesige rote Kartoffeln und kastaniengroße braune. Und dann liegen da die weißen Knöllchen, die aussehen wie mehlige Kieselsteine und das Geheimnis des Überlebens in den Anden sind. Denn neben der Kartoffelzucht beherrschen die andinen Bauern auch die Kunst, Kartoffeln zu trocknen und so auf ewige Zeiten haltbar zu machen. Genau genommen sind die Kartoffeln sogar gefriergetrocknet, denn die Knollen werden nach der Ernte eingegraben oder in einen der eiskalten Flüsse gelegt. Im Winter frieren Boden und Flüsse, und die Kartoffeln verlieren ihre gesamte Flüssigkeit. Übrig bleibt allein die Stärke, weshalb die Knollen dann so pulvrig weiß wie Steinchen aus Maizena aussehen. »Sie müssen sie in warmem Wasser einweichen«, erklärt mir ein Händler im Mercado San Pedro, dem Zentralmarkt von Cusco. »Über Nacht. Und dann kochen, für Eintöpfe.«
Peru hat die Welt bereichert, und die Peruaner könnten stolz sein auf ihr reiches Land, doch sie besitzen keinen glühenden Nationalstolz, der sie befeuert. Die Idee der Nation ist ihnen fremd. Peruaner sind daher auch nicht nationalistisch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wenngleich sie an den Fiestas Patrias, dem Nationalfeiertag, rot-weiße Stoffschleifen auf Staffeleien aufstellen und auch am Jackenrevers Flagge zeigen. Doch trotz rot-weißer Beflaggung fehlt dem peruanischen Vaterlandsschmuck die ideologische Schärfe, was das Miteinander in dem Vielvölkerstaat Peru vereinfacht. Das heißt nicht, dass es nicht auch Peruaner gibt, die rassistisch sind oder die je nach Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit voller Meinungen und Urteile sind über Schwarze, Weiße, Indigene, Chinesen, amerikanische und europäische Gringos. Sie beurteilen die jeweils anderen, schotten sich in dem noch existierenden Kastensystem ab, das die Spanier vor ein paar Hundert Jahren eingeführt haben.
Die Peruaner wachsen nur unmerklich über die ethnischen Grenzen und die sozialen Gräben zu einer Nation zusammen. Der Staat ist den Peruanern daher auch fremd, was die Sache wieder schwierig macht, denn weil die meisten Peruaner mit der peruanischen Variante der staatlichen Ordnung nichts anfangen können, identifizieren sie sich auch nicht mit dem Staat. Mal davon abgesehen, dass der Staat in weiten Teilen des Landes gar nicht präsent ist. Dabei bemühen, ja beschwören Redner zu allen möglichen Anlässen nuestro Perú, unser Peru. Der Universitätsdekan eröffnet mit Tremolo in der Stimme das Musikfestival in »unserem Peru«, der Bürgermeister legt den Grundstein für ein Mädcheninternat im Namen von nuestro Perú, und Staatspräsident weitet die Gasförderung im Amazonas aus, damit nuestro Perú vorankommt. Wann immer ein Offizieller etwas öffentlich unternimmt und darüber redet, geschieht das, um nuestro Perú besser, moderner, stärker, stolzer zu machen. Als wenn das Possessivpronomen die fehlende Identifizierung mit Staat und Nation ausgleichen könnte.
Am mangelnden Nationalgefühl ändert auch der Nationalfeiertag nichts, der an die Unabhängigkeitserklärung des Landes von Spanien am 28. Juli 1821 erinnert. Der argentinische Offizier José de San Martín hatte damals auf dem Hauptplatz von Lima erklärt, dass Peru nun ohne Spanien auskomme. Um die Idee durchzusetzen, hatte er sich bei der Gelegenheit zum »Beschützer der Unabhängigkeit von Peru« ernannt. Unter Freiheit und Unabhängigkeit verstand San Martín allerdings etwas anderes als sehr viele Indígena im Hochland damals und auch heute. Die Ureinwohner hatten sich in den Jahrhunderten davor mehrfach gegen die spanischen Besatzer aufgelehnt und versucht, sie aus ihrem Reich des Tahuantinsuyu, dem Imperium der Inka, zu vertreiben. Die meisten Rebellen gegen die Spanier sind vergessen, doch ein Name löst noch heute bei vielen Indígena ein bewunderndes Kopfnicken aus: Túpac Amaru II., Nachfahre des letzten sapa inca, des Inka-Herrschers Túpac Amaru I. Einige indigene Peruaner warten auf die Rückkehr, ja Wiedergeburt des Inka und knüpfen weiterhin Hoffnungen an die historische Person.
Der erste Túpac Amaru war 1572 vom spanischen Vizekönig Toledo hingerichtet worden, der damit die Herrschaft der Inka endgültig beenden wollte. 1741 wird dann in einem Weiler in der Nähe von Cusco José Gabriel Condorcanqui geboren, der sich später Túpac Amaru II. nennt. Condorcanqui geht auf eine gute Schule in Cusco, die die Spanier für die Kinder des Inka-Adels eingerichtet haben. Denn um das Riesenreich überhaupt einigermaßen im Griff zu haben, sind die Spanier auf die gesellschaftlichen Strukturen der Inka angewiesen und übernehmen sie. Sie brauchen die inkaische Oberschicht, um zu regieren. Sie bilden daher die Kinder aus, was vor allem bedeutet, dass stramme Katholiken aus ihnen werden sollen. In Cusco lernt der junge Condorcanqui lesen und schreiben und liest offensichtlich alles, was ihm in die Finger kommt, und nicht nur die Bibel.
Besonders beeindrucken ihn die Schriften des Inca Garcilaso de la Vega, der 1539 als Sohn einer Inka-Prinzessin und eines Spaniers in Cusco geboren wurde. Inca Garcilaso hatte sich rechtzeitig vor dem Verschwinden des Reichs der Inka alle Geschichten erzählen lassen und hatte sie später in den »Comentarios Reales«, den »Königlichen Kommentaren«, aufgeschrieben. Er gilt damit als erster Schriftsteller Perus. Vor Ankunft der Spanier kannten die Menschen in Südamerika keine Schrift, um langwierige Geschichten und Zusammenhänge festzuhalten. Sie erzählten sich, was passiert war, und behielten die Mythen im Gedächtnis. Zum Rechnen verwendeten die Menschen in den Anden einen Apparat, der an den orientalischen Abakus erinnert und je nach Region yupana oder yupaq auf Quechua heißt. Auf diesem Holzbrett mit Zähllöchern konnten die Menschen im Inka-Reich bis in die Zehntausender zählen, die Summen bezüglich der Aussaat, Ernte und Vorratshaltung haben sie dann in ihrer Knotenschrift der Quipus, einem komplizierten System aus farbigen Schnüren, festgehalten.
Die Aufzeichnungen von Inca Garcilaso de la Vega inspirieren den späteren Túpac Amaru II. schließlich zum Widerstand gegen die Spanier. Als Erwachsener erklärt er sich nach Jahren der Scharmützel zum Inka seiner Heimatgemeinde in der Region Cusco. Die Spanier und ihre Verbündeten unter den Indígena nehmen diesen Angriff auf ihre Macht nicht hin, setzen Túpac Amaru gefangen und wollen ihn zur Abschreckung auf dem Hauptplatz von Cusco vierteilen lassen. »Wie aus Eisen« scheint Túpac Amaru, schreiben alte Chroniken, jedenfalls reißt sein Körper nicht in Fetzen. Also wird er enthauptet, und seine Körperteile werden an verschiedenen Orten rings um Cusco vergraben, ein Teil wird verbrannt. Die Angst der Spanier und ihrer Verbündeten vor dem Unruhegeist Túpac Amarus ist so groß, dass sie sein Geburtshaus niederbrennen, seine Ländereien mit Salz bestreuen und damit unfruchtbar machen, seine gesamte Familie bis in entfernte Glieder töten. Kein Tropfen Inka-Blut sollte je wieder durch einen Körper fließen, kein Geist von der Größe der Indígena erfahren. Die »Comentarios Reales« von Inca Garcilaso kommen deshalb jahrhundertelang auf den Index. Die Menschen dürfen sich nicht mehr auf Quechua unterhalten oder die traditionelle Kleidung tragen.
Mit dem Schrei nach Unabhängigkeit und Freiheit eines Túpac Amaru hat der Argentinier San Martín nichts gemein. Er hat das Vizekönigreich Peru nicht von der spanischen Krone befreit, um den Indígena ihr Land zurückzugeben. San Martín wollte lediglich die Nordgrenze Argentiniens und Chiles sichern, die er und seine Gesinnungsgenossen kurz zuvor von der spanischen Oberhoheit befreit hatten. Die Monarchie als Staatsform fand San Martín ebenfalls in Ordnung, er war also von einer demokratischen Unabhängigkeitsbewegung wie in den USA vollkommen unbeeindruckt. Kaum hatte er Lima eingenommen, schickte er Gesandte nach Europa, die in England Geld leihen und in geheimer Mission einen jungen und möglichst katholischen Aristokraten suchen sollten, der Peru als neues Königreich in Amerika regieren könnte. Daraus wurde nichts. Nur das Geld in England haben die Gesandten bekommen und damit den Grundstein einer ewig währenden finanziellen Abhängigkeit Perus von englischen und anderen ausländischen Investoren gelegt.
Das Problem mit dem Nationalgefühl geht also bei der Gründung des neuen, angeblich unabhängigen Peru schon los. Story und Botschaft stimmen nicht überein – Peru fehlt der Gründungsmythos, die große Idee für eine Nation, die alle eint. Es fehlt die Unabhängigkeitserklärung, die den Geist des Widerstands und die Sehnsucht nach Freiheit in die Silberminen von Cerro de Pasco und auf die Zuckerrohrplantagen von Trujillo trägt. Es fehlt die Verfassung, die allen Menschen in Peru dieselben Rechte zugesteht und anerkennt, dass die absolute Mehrheit der Peruaner Indígena sind – Indios, Eingeborene, Nachfahren der großen altamerikanischen Kulturen, die die Wiege der Menschheit in Südamerika sind. Nur jeder achte Peruaner hat zur Zeit der Unabhängigkeit Anfang des 19. Jahrhunderts europäische Wurzeln – das sind rund 178 000 von 1,52 Millionen Menschen. Schon in den Kämpfen für ihre Unabhängigkeit haben die Kreolen Simón Bolívar und Antonio José de Sucre, die 1824 endgültig die Loslösung Perus vom spanischen Königshaus erwirken, sowie die weißen Peruaner rund um San Martín vergessen, dass sie gar keine gemeinsame Geschichte haben, die sie als Peruaner verbindet. Bevor der spanische Konquistador Francisco Pizarro und seine Soldaten das Land 1532 überfielen, lebten die Menschen unterschiedlicher indigener Kulturen in dem Vielvölkerstaat der Inka-Herrscher. Sie hatten sich gerade damit arrangiert, Teil des Inka-Imperiums zwischen dem heutigen Quito und dem Süden Chiles zu sein – wenn sie dafür überhaupt ein Bewusstsein hatten, was aus heutiger Sicht niemand sagen kann. Die Indígena waren bei der Unabhängigkeit Perus also bestimmt keine Peruaner. Die weißen criollos, die Nachfahren der spanischen Einwanderer, und die Mestizen haben sich vielleicht als Peruaner gefühlt, konnten aber auch auf keinen Mythos der Nation zurückgreifen, denn natürlich hatten sie nicht ihr Land, ihre Nation aus den Fängen eines europäischen Despoten befreit, nachdem sie es 300 Jahre regiert hatten. Peru war also keine Rückeroberung, sondern eine Neugründung.
Am fehlenden Nationalbewusstsein der Peruaner im 21. Jahrhundert ändern auch die Aufmärsche von Schülern und Soldaten nichts, die in allen Städten des Landes rund um den 28. Juli stattfinden. Ich habe eine ganze Zeit lang gebraucht, um zu begreifen, was die Kinder da mehrmals in der Woche auf dem Schulhof üben. Sie marschieren in Reihen, folgen ihrem Lehrer in Viererkette über den Hof, bis zwei Kolonnen nach links abbiegen, zwei nach rechts, in einem Bogen um den Platz marschieren und dann im Gleichschritt wieder zusammenkommen. In der Grundschule tapern die Kinder noch recht ungelenk über die staubigen Plätze, in den weiterführenden Schulen können die Jugendlichen dann schon ordentlich die Knie in die Höhe ziehen, die Ellenbogen hüfthoch halten und bei jedem Schritt mit den Armen von hinten nach vorn Schwung holen.
Zu den Dingen, die Peru eint, gehört jedoch, dass die Peruaner sich auf den Weg machen, die vier freien Tage rund um den 28. Juli irgendwo auswärts zu verbringen. So beginnt vor dem 28. Juli eine der größten Reisewellen des Jahres. Die einen besuchen die Schwester in Leymebamba, die anderen fahren endlich mal nach Cusco, die nächsten reisen zum Stierkampf nach Celendín, zum Viehmarkt nach San Marcos, zum Katharinenkloster nach Arequipa, zum romantischen Tropen-Stelldichein nach Tarapoto oder in die Baños del Inca von Cajamarca, um dort im Pool zu liegen. Da ein Drittel der Peruaner in Lima lebt, sind Busse, Flugzeuge und der einzige Zug von Lima aus an den Ecktagen des Vier-Tage-Nationalfestes ausgebucht. Aber auch die Busse und Colectivos, die Minibusse, zwischen den Provinzstädten und den Dörfern sind rappelvoll. Einzige Chance: direkt am 28. Juli zu reisen, denn dann sind alle schon dort, wo sie hinwollten. Bis zum nächsten Tag, dann setzt die Rückreise ein. Der Nationalfeiertag trägt also immerhin dazu bei, dass die Peruaner ihr Land kennenlernen. Wenn sie es schon nicht besonders schätzen, wie sie mir immer wieder in allen Teilen des Landes versichern.
Dabei bereichert das Land die Welt, und die Welt bereicherte sich an Peru, seit Francisco Pizarro die goldenen Wandverkleidungen aus dem Sonnentempel von Cusco einschmelzen und nach Spanien bringen ließ. Damals hat das Gold das spanische Königshaus und die katholische Kirche reicher gemacht, die Welt hatte davon also genau genommen gar nichts. Zu den Schätzen Perus für alle gehört ganz sicher das Popcorn. Vor ein paar Tausend Jahren war der Mais aus Zentralmexiko über die Anden nach Peru gekommen, wo die findigen Ackerbauern das Korn kultivierten und gleich mehrere Sorten züchteten, die auch Grundstoff der Nationalgetränke chicha und chicha morada sind. Von der Kultur der Inka weiß man, dass die Menschen schon damals auf heißen Steinen am Feuer Popcorn hergestellt und es den Toten mit ins Grab gegeben haben. Peruaner lieben Popcorn, und es gibt Händlerinnen im südlichen Hochland rund um Cusco und Puno, die zwölf, 15, ja 20 verschiedene Sorten Popcorn aus mannshohen Säcken verkaufen. Manche Popcornsorten sehen aus wie Weinbergschnecken, andere wie Rigatoninudeln, rote Schleifen oder walnussgroße Schaumkugeln, doch ist mir das ganz normale und noch lauwarme Popcorn am liebsten, das die Frauen und Männer am Straßenrand verkaufen.
Am späten Nachmittag kommen in den Städten der Anden die Popcornverkäufer mit den Beuteln für einen Sol aus den Häusern, hocken auf Plätzen und am Straßenrand und warten auf Käufer. Sie rufen: »Canchitas, canchitas«, so wie die Frau im Arkadengang der Calle Mantas an der Plaza de Armas von Cusco, die die Menschenschlange vor dem Konzertsaal der Universität San Antonio Abad abschreitet. Mit lang gezogener Stimme und Betonung auf dem »i« geht sie unter den Arkaden hin und her und wedelt mit einem länglichen Plastikbeutel voll Popcorn in der Luft. An ihrem Arm hängt ein Korb, auf der einen Seite hat sie die Beutel mit salzigem Popcorn geschichtet, auf der anderen Seite jene mit süßem und in der Mitte ein paar Dutzend Beutel mit rot gefärbtem. »Canchitas, canchitas«, ruft sie, als sie nun im Konzertsaal den Mittelgang entlangschreitet. Sie hatte vor der Tür die Gelegenheit gewittert und ist der Menschenmenge in den Saal gefolgt. Die Beutel gehen gut weg, denn das Konzert fängt auch dann nicht an, als der Saal schon voll ist und es laut Uhrzeit auf dem Plakat eigentlich losgehen sollte. Als es dann zur hora peruana mit einer knappen Stunde Verspätung beginnt, setzt sich die Popcornverkäuferin auf den Absatz am hinteren Gang und lauscht der Musik.
Die Universität San Antonio Abad hat zur Abschlussveranstaltung eines internationalen Charango-Festivals eingeladen. Der Eintritt war umsonst, insofern hätte die canchitas-Verkäuferin auch auf einem der cremefarbenen Klappsitze Platz nehmen können. Charangos stammen auch aus Peru und sind die kleinen Gitarren mit fünf Doppelsaiten, auf denen Straßenmusikanten in ganz Südamerika und in den Fußgängerzonen Europas ihr Geld verdienen. Charangos dürfen nicht mit den Ukulelen aus Hawaii verwechselt werden, die Marilyn Monroe als Sugar in »Manche mögen’s heiß« gespielt hat oder auf der die amerikanische Singer- Songwriterin Julia Nunes sich auf YouTube begleitet. Der Klang von Charangos ist so andin wie die melancholische Melodie von »El cóndor pasa«, und beides erzählt von der Unterdrückung der Indígena in früheren Jahrhunderten. Mit el cóndor in dem Panflöten-Chartbreaker ist übrigens Túpac Amaru II. gemeint, der in den Mythen der Anden und der indigenen Kosmologie nach seiner Zerstückelung als Kondor wiederauferstanden ist.
Die andinen Bewohner Perus hatten durch die Spanier die Gitarre kennengelernt, durften sie jedoch nicht spielen. Die Gitarre war das Instrument der Herrscher, der Weißen, für Minnegesang und die Weisen des kastilischen Hofes. Musik hatte jedoch schon immer eine große Bedeutung in den Anden, und die Menschen hatten vor Ankunft der Spanier Flöten, Trommeln, Rasseln und Blashörner erfunden, um damit zu musizieren und zur Musik zu tanzen. Sie bauten also eine kleine Gitarre, um darauf ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Ob sie von Anfang an den Körper eines Gürteltieres als Klangraum für den Charango nutzten, ist nicht bekannt. Heutzutage ist das verboten, denn Gürteltiere sind fast ausgestorben und stehen unter Schutz. »Der Klang des Charangos öffnet das Herz«, sagt Felípe Naranjo, der aus Bogotá zu dem Festival nach Cusco gekommen ist. Er wie auch die anderen Charango-Spieler und -Spielerinnen aus den südamerikanischen Staaten auf dem Festival del Charango sind professionelle Musiker. Sie kommen aus Ecuador, Argentinien, Bolivien, Kolumbien und natürlich aus Peru und somit aus all den Staaten entlang der Andenkette, in denen Indígena leben. Felípe Naranjo komponiert seine eigenen Stücke, die so klingen wie das Instrument, von dem er sagt: »Der Charango ist ein nachdenkliches und ein melancholisches Instrument.«
Zu den tollen Sachen aus Peru gehört auch der Cajón, noch ein Musikinstrument. Der Cajón ist eine etwa kniehohe Holzkiste mit einem Klangloch, die den spanischen Flamenco revolutioniert und den modernen Jazz in aller Welt verändert hat. Die afrikanischen Sklaven in Peru haben den Cajón erfunden, denn sie durften keine Trommeln besitzen oder spielen. Die katholische Kirche hatte das Verbot im Vizekönigreich Peru im 17. Jahrhundert durchgesetzt, da Trommeln den katholischen Machthabern als heidnisch galten. In den Holzkisten zum Transport aller möglichen Sachen fanden die afrikanischen Sklaven auf den Haciendas einen Ersatz für die Trommeln. Über die Jahrhunderte perfektionierten sie den Bau und die Spielweise derart, dass der Cajón schon im 19. Jahrhundert ein eigenständiges Musikinstrument war, das die Afroperuaner auch dann noch spielten, als sie frei waren und das Trommelverbot aufgehoben worden war. 1977 lernte dann der spanische Flamenco-Gitarrist Paco de Lucía den Cajón auf einer Tournee in Peru kennen und brachte das Instrument mit nach Spanien. Da der Klang »zwischen Handflächen und Absatz« liegt, also zwischen den klassischen Percussion-Instrumenten des Flamenco, bauten die spanischen Flamenco-Musiker den Cajón sofort ein, und mittlerweile scheint er so andalusisch zu sein wie der cante jondo, der tiefinnere Gesang des Flamenco. Doch der Cajón ist das Erbe der Afroperuaner, und dank des afroperuanischen Musikers Rafael Santa Cruz weiß das heutzutage auch fast jeder in Peru. Er wird als Botschafter des Cajóns in Peru verehrt, hat er doch die Geschichte des Instrumentes ausgegraben, eine Musikschule des Cajóns gegründet und mit den namhaftesten Musikern des Landes gespielt. Als Rafael Santa Cruz am 4. August 2014 plötzlich im Alter von 53 Jahren an einem Herzinfarkt stirbt, versammeln sich noch am Morgen Hunderte seiner Schüler in Lima und spielen zu seinem Andenken auf dem Cajón.