Alice hinter
den Spiegeln
Aus dem Englischen von
Jan Strümpel
Vollständige Ausgabe mit sämtlichen
Illustrationen von John Tenniel
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Titel der englischen Originalausgabe: Through the Looking-Glass and What Alice found there (London: Macmillan 1871). Die Übertragung von Jan Strümpel folgt der Ausgabe Alice’s Adventures in Wonderland and Through the Looking-Glass in der Reihe »Oxford World’s Classics«, Oxford 2009. Die Illustrationen von John Tenniel wurden ebenfalls dieser Ausgabe entnommen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
© 2012 Anaconda Verlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
ISBN 978-3-7306-9026-0
V002
www.anacondaverlag.de
Weißer Bauer (Alice) zieht und gewinnt in elf Zügen.
1. Alice begegnet schwarzer Königin Schwarze Königin De2–h5
2. Alice Bd2–d4 durchs dritte Feld (mit der Eisenbahn) ins vierte (Tweedledum und Tweedledee) Weiße Königin Dc1–c4 (dem Schal nach)
3. Alice begegnet weißer Königin (mit Schal) Weiße Königin Dc4–c5 (verwandelt sich in Schaf)
4. Alice Bd4–d5 (Laden, Fluss, Laden) Weiße Königin Dc5–f8 (hinterlässt Ei im Regal)
5. Alice Bd5–d6 (Humpty Dumpty) Weiße Königin Df8–c8 (flieht vor schwarzem Ritter)
6. Alice Bd6–d7 (Wald) Schwarzer Ritter Sg8–e7 (Schach)
7. Weißer Ritter Sf5 × e7 schlägt schwarzen Ritter Weißer Ritter Se7–f5
8. Alice Bd7–d8D (Krönung) Schwarze Königin Dh5–e8 (Prüfung)
9. Alice wird Königin Königinnen halten Hof
10. Alice hält Hof (Fest) Weiße Königin Dc8–e6 (Suppe)
11. Alice Dd8 × e8 schlägt schwarze Königin und gewinnt
Du Kind mit deiner Stirn so klar
Und dem verträumten Blick!
Ein halbes Leben trennt uns ja,
Verflossene Zeit kehrt nicht zurück.
Nimm an gleichwohl mit Sympathie
Dies mein Geschenk voll Fantasie!
Lang sah ich nicht dein Mienenspiel,
Hört’ nicht dein Silberlachen.
Du, Mädchen, wirst dir nicht mehr viel,
Fürcht’ ich, aus mir noch machen –
Doch freu dich an der Melodie,
Die zieht durch meine Fantasie!
Ein Märchen aus vergangner Zeit
Als Sommersonnen schienen –
Ein schlichter Klang war stets bereit
Dem Rudertakt zu dienen.
Sein Echo bleibt allzeit gewiss,
Sagt auch manch neidisch Jahr: »Vergiss.«
Komm, lausche nun, denn allzu bald
Zwingt ein Befehl – bewahre –
Zu unerbetenem Aufenthalt
Die Jungfrau auf die Bahre!
Wir sind nur ältere Kinder, du,
Voll Bangnis vor der ewigen Ruh.
Da draußen ist der Schnee, der Frost,
Des Sturmwinds scharfe Schneide.
Drin glost das Feuer auf dem Rost
Dem Kind zu Schutz und Freude.
Dies magisch Wort dich halten mag:
Hab keine Angst vorm letzten Schlag!
Und sollte eines Seufzers Schatten
Sich sacht auf die Geschichte legen,
Sie ein »ach Sommer!« dir gestatten,
»Vergangen, doch voll Segen« –
So lass dir davon trüben nie
Den Spaß an meiner Fantasie!
INHALT
1. Das Haus hinter dem Spiegel
2. Der Garten der sprechenden Blumen
3. Spiegel-Insekten
4. Tweedledum und Tweedledee
5. Wolle und Wasser
6. Humpty Dumpty
7. Der Löwe und das Einhorn
8. »Meine eigene Erfindung«
9. Königin Alice
10. Geschüttelt
11. Wachgerüttelt
12. Wer hat’s geträumt?
ERSTES KAPITEL
Das Haus hinter dem Spiegel
So viel war klar, das weiße Kätzchen hatte nichts mit der Sache zu tun – Schuld hatte ganz allein das schwarze Kätzchen. Schließlich bekam das weiße Kätzchen schon seit einer Viertelstunde von der alten Katze das Gesicht gewaschen (und ließ es tapfer über sich ergehen); also, es konnte bei dem ganzen Unfug einfach keine Rolle gespielt haben.
Dinah wusch die Gesichter ihrer Kinder nach folgender Prozedur: Zunächst drückte sie sie ihr Opfer mit einer Pfote am Ohr zu Boden, dann rieb sie ihm mit der anderen Pfote über das ganze Gesicht, aber in die falsche Richtung, nämlich beginnend mit der Nase. Und wie ich schon sagte, war sie gerade ganz mit dem weißen Kätzchen beschäftigt, das ruhig dalag und zu schnurren versuchte – ihm war sicherlich bewusst, dass ihm hier etwas Gutes geschah.
Das schwarze Kätzchen war schon im Laufe des Nachmittags dran gewesen, und während Alice, in eine Ecke des großen Sessels gekuschelt, halb im Selbstgespräch und halb eingenickt war, hatte es einen Kampf mit dem Wollknäuel ausgefochten, das Alice einigermaßen aufgerollt hatte, und dabei war es hin und her gerollt und am Ende wieder ganz aufgelöst; da lag es nun über den Teppich vorm Kamin verteilt, filzig und voller Knoten, und mittendrin jagte das Kätzchen seinem eigenen Schwanz hinterher.
»Ach du schlimmes kleines Ding«, rief Alice, griff sich dabei das Kätzchen und gab ihm ein Küsschen, zum Zeichen, dass es ihren Zorn erregt hatte. »Dinah hätte dir bessere Manieren beibringen sollen, aber wirklich, Dinah, das ist dir doch klar?«, sagte sie mit vorwurfsvollem Blick auf die alte Katze, so zornig es ihr gelingen mochte – dann kroch sie zurück in den Sessel, nahm das Kätzchen mit und begann das Knäuel wieder aufzurollen. Sehr zügig kam sie allerdings nicht voran, denn sie redete die ganze Zeit dabei, mal zum Kätzchen, mal zu sich selbst. Kitty saß derweil scheu auf ihren Knien, tat, als interessierten sie die Fortschritte beim Aufrollen, hob gelegentlich die Pfote und berührte das Knäuel sanft – ich würde ja so gern mithelfen, sollte das heißen.
»Weißt du, was morgen ist, Kitty?«, sagte Alice. »Du wüsstest es, wenn du mit mir am Fenster gestanden hättest – aber du konntest ja nicht, weil Dinah dich geputzt hat. Ich habe den Jungs zugeschaut, wie sie Holz für das Freudenfeuer brachten – und dafür braucht man jede Menge Holz, Kitty! Aber dann wurde es so kalt und begann auch noch zu schneien, da sind sie gegangen. Macht nichts, Kitty, morgen gehen wir hin und schauen uns das Feuer an.« Jetzt wickelte sie den Wollfaden zwei, drei Mal um den Hals des Kätzchens und betrachtete die Sache, dabei kam es zu einem Gerangel, das Knäuel fiel auf den Boden und rollte sich Stück für Stück wieder auf.
»Weißt du, Kitty, ich war so sauer«, sagte Alice, kaum dass sie es sich wieder bequem gemacht hatten, »als ich sehen musste, was für dummes Zeug du angestellt hast. Ich stand kurz davor, das Fenster aufzumachen und dich in den Schnee zu setzen! Und das wäre dir recht geschehen, du süßer kleiner Schlingel. Was bringst du zu deiner Verteidigung vor? Nein, nicht ins Wort fallen!«, fuhr sie mit erhobenem Finger fort. »Ich liste alle deine Verbrechen auf. Erstens: Du hast zwei Mal gemaunzt, während dir Dinah vorhin das Gesicht gewaschen hat. Leugnen zwecklos, Kitty, ich hab’s selbst gehört! Was sagst du?« (Dabei hält sie sich das Kätzchen ans Ohr.) »Du hast ihre Pfote ins Auge gekriegt? Selbst schuld, warum hattest du die Augen denn auch auf? Wenn du sie fest geschlossen hättest, wäre das nicht passiert. Schluss mit weiteren Erklärungen, hör mir zu! Zweitens: Du hast Flöckchen am Schwanz weggezogen, als ich ihr ein Schälchen Milch hingestellt habe. Ach, du hattest selber Durst? Und sie war wohl nicht durstig, was? Und drittens: Du hast das Knäuel komplett durcheinandergebracht, als ich nicht hingeschaut habe!
Das sind drei Verbrechen, Kitty, und noch für keines bist du bestraft worden. Die Strafen hebe ich mir alle für übernächsten Mittwoch auf, dass du’s nur weißt – aber alle meine Strafen sind wahrscheinlich auch nur aufgeschoben«, fuhr sie fort, mehr an sich als an das Kätzchen gerichtet. »Und dann am Ende des Jahres, o je, werde ich wahrscheinlich ins Gefängnis gesteckt. Oder, warte, wenn ich für jedes Vergehen zur Strafe ohne Abendessen ins Bett geschickt werde, dann würde ich, wenn es soweit ist, fünfzig Mal hintereinander nichts zu essen kriegen! Na ja, so schlimm ist das auch nicht. Nichts zu bekommen ist immer noch besser, als alle Mahlzeiten auf einmal essen zu müssen!
Hörst du den Schnee an der Fensterscheibe, Kitty? Das klingt so schön und sanft! Als würde draußen einer die ganze Scheibe abküssen. Ich frage mich, ob der Schnee die Bäume und Wiesen liebhat, weil er sie so sanft küsst. Und dann packt er sie kuschlig ein in eine weiße Decke, weißt du, und vielleicht sagt er: ›Schlaft, liebe Freunde, bis der Sommer kommt.‹ Und wenn sie im Sommer wieder aufwachen, Kitty, dann ziehen sie sich alle ganz grün an und machen ein Tänzchen, wenn der Wind weht – oh, wie schön ist das!«, rief Alice und ließ das Knäuel fallen, um in die Hände zu klatschen. »Wenn das bloß alles so wäre! Jedenfalls finde ich, dass die Bäume müde aussehen, wenn im Herbst die Blätter braun werden.
Kannst du eigentlich Schach spielen, Kitty? Du brauchst gar nicht so zu lächeln, ich frage ernsthaft. Weil, als wir vorhin spielten, hast du geschaut, als würdest du alles verstehen. Und als ich ›Schach‹ sagte, hast du geschnurrt. Das war eine nette Partie, Kitty, und wenn dieser blöde Ritter meinen Figuren nicht in die Quere gekommen wäre, hätte ich sie gewonnen. Komm, Kitty, tun wir mal so« – das war Alices Lieblingsspruch, »tun wir mal so«, mit dem sie unentwegt ihre Sätze garnierte. Erst gestern hatte sie eine längere Auseinandersetzung mit ihrer Schwester, nur weil Alice gesagt hatte: »Tun wir mal so, als wären wir Könige und Königinnen«, woraufhin ihre Schwester, die es gerne immer sehr genau nahm, geantwortet hatte, das könnten sie gar nicht, sie seien ja nur zu zweit. Und Alice hatte gekontert: »Na gut, dann bist du eben nur eins davon und ich der ganze Rest.« Und einmal hatte sie ihr altes Kindermädchen mächtig erschreckt, als sie ihm ins Ohr schrie: »Tante, tun wir mal so, als wärst du ein Knochen und ich eine hungrige Hyäne.«
Aber wir schweifen ab von dem, was Alice zu ihrem Kätzchen sagte: »Kitty, tun wir mal so, als wärst du die schwarze Königin! Weißt du, wenn du aufrecht sitzt und deine Arme verschränkst, siehst du der schwarzen Königin unheimlich ähnlich, finde ich. Sei lieb und probier’s mal!« Alice nahm die schwarze Königin vom Brett und stellte sie vor Kitty hin, als Vorbild zum Nachahmen. So richtig klappte das jedoch nicht, vor allem, befand Alice, weil das Kätzchen seine Arme einfach nicht richtig verschränken wollte. Zur Strafe hielt sie es vor den Spiegel, es sollte selbst sehen, wie mürrisch es war – »und wenn sich das nicht sofort ändert«, sagte sie noch, »stecke ich dich in das Haus hinter dem Spiegel. Wie würde dir das schmecken?
Wenn du nur mal richtig zuhörst und nicht selbst so viel redest, Kitty, erzähle ich dir, was ich über das Haus hinter dem Spiegel weiß. Als erstes ist da das Zimmer, das du im Spiegel sehen kannst – es ist genau wie unser Wohnzimmer, nur dass alles andersrum ist. Wenn ich auf den Stuhl steige, kann ich alles darin sehen, bis auf das Stück hinter dem Kamin. Ach, gerade das möchte ich aber unbedingt mal sehen! Ich wüsste so gern, ob die dort im Winter Feuer machen – nie weiß man das, außer wenn unser Feuer qualmt, dann qualmt es in diesem Zimmer auch. Aber das könnte auch nur vorgetäuscht sein, damit es so aussieht, als hätten sie ein Feuer. Und ihre Bücher sind eigentlich so wie unsere, nur dass die Wörter verkehrt herum laufen. Ich weiß das, denn ich habe einmal eins unserer Bücher vor den Spiegel gehalten, und da haben sie drüben auch eins hochgehalten.
Wie fändest du es, in dem Haus hinter dem Spiegel zu wohnen, Kitty? Ob du da wohl Milch bekämst? Vielleicht kann man Spiegelmilch gar nicht gut trinken. Aber jetzt, Kitty, betreten wir den Flur. Du siehst ein ganz klein wenig vom Flur im Haus hinter dem Spiegel, wenn du die Tür zu unserem Wohnzimmer weit aufmachst. Soweit es zu erkennen ist, sieht er unserem Flur sehr ähnlich, aber dahinter könnte natürlich alles ganz anders sein. Ach, Kitty, wie schön wäre es, wenn wir mal in das Haus hinter dem Spiegel könnten! Ich wette, da gibt es anz herrliche Dinge zu sehen! Tun wir mal so, als käme man dort irgendwie hinein, Kitty. Tun wir mal so, als wäre das Glas weich wie Seide und wir könnten hindurchgehen. Sieh mal, er wird jetzt zu einer Art Nebel, da könnte man ganz einfach durchgehen« – und schon war sie auf dem Kaminsims, ohne recht zu wissen, wie ihr geschah. Und der Spiegel begann sich tatsächlich in einen silbrigen Nebel aufzulösen.
Unversehens war Alice durch den Spiegel hindurch und munter in das Zimmer dahinter gesprungen. Zuallererst sah sie nach, ob ein Feuer im Kamin brannte, und war erfreut, dass es tatsächlich ein ganz richtiges gab, das ebenso hell loderte wie das hinter ihr. »Hier habe ich es also genauso warm wie in dem alten Zimmer«, dachte Alice, »sogar noch wärmer, weil hier niemand ist, der mich von dem Feuer wegscheucht. Das wird lustig, wenn die mich durch den Spiegel hier drin sehen und nicht zu mir können!«
Dann schaute sie sich um und bemerkte, dass alles, was man vom alten Zimmer aus sehen konnte, normal und uninteressant war, dass sich aber alles andere denkbar davon unterschied. Zum Beispiel wirkten die Bilder an der Wand neben dem Kamin lebendig, und die Uhr auf dem Kaminsims (die ja durch den Spiegel nur von hinten zu sehen war) hatte das Gesicht eines kleinen alten Mannes und grinste sie an.
»Hier ist aber nicht so gut aufgeräumt wie drüben«, dachte Alice, als sie einige Schachfiguren inmitten der Kaminasche entdeckte. Doch schon rief sie »oh« vor Überraschung und ging in die Hocke, um sie näher zu betrachten: Die Schachfiguren liefen herum, immer zwei beisammen!
»Da sind der schwarze König und die schwarze Königin«, sagte Alice (ganz leise, aus Angst, sie zu erschrecken). »Und dort sitzen der weiße König und die weiße Königin auf der Schaufelkante, hier gehen zwei Türme Arm in Arm – ich glaube ja nicht, dass sie mich hören können«, fuhr sie fort und streckte ihren Kopf weiter vor, »und ich bin mir fast sicher, dass sie mich auch nicht sehen. Ich komme mir irgendwie unsichtbar vor …«
Da begann auf dem Tisch hinter Alice etwas zu quieken, sie wendete ihren Kopf noch gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie einer der weißen Bauern umkippte und zu strampeln begann. Neugierig wartete sie ab, was als nächstes geschehen würde.
»Das ist ja mein Kind!«, schrie die weiße Königin und streifte im Laufen den König derart, dass sie ihn brutal in die Asche stieß. »Mein allerliebstes Lily-Kind, mein hochwohlgeborener Schatz!«, dabei kletterte sie emsig am Kamingitter hoch.
»Hochwohlgeborener Quatsch!«, sagte der König und rieb seine Nase, die er sich beim Sturz gestoßen hatte. Er war über und über mit Asche bedeckt und daher zurecht leicht verärgert über die Königin.
Besorgt schaute Alice, wo sie helfen konnte, und da die arme kleine Lily sich fast die Seele aus dem Leib schrie, griff sie rasch nach der Königin und stellte sie neben ihre lärmende Tochter auf den Tisch.
Die Königin japste nach Luft und setzte sich: Die rasende Fahrt durch die Lüfte hatte ihr beinahe den Atem geraubt, und da sie sonst nichts anderes konnte, hielt sie ein paar Minuten lang ihre kleine Lily still in den Armen. Kaum war sie halbwegs wieder bei Atem, rief sie zum weißen König, der eingeschnappt in der Asche saß: »Pass auf den Vulkan auf!«
»Was denn für ein Vulkan?«, sagte der König mit besorgtem Blick Richtung Feuer, wo er wohl am ehesten einen erwartete.
»Der – mich – hochgeschleudert – hat«, schnaufte die Königin, noch immer etwas kurzatmig. »Komm jetzt rauf, aber auf dem üblichen Weg, lass dich bloß nicht hochschleudern!«
Alice schaute dem weißen König dabei zu, wie er sich langsam Stück für Stück hochkämpfte, bis sie schließlich sagte: »So dauert das Stunden, bis Sie angekommen sind. Ich helfe Ihnen, einverstanden?« Doch der König ignorierte die Frage, er konnte sie offenkundig nicht hören und sehen.
Also nahm Alice ihn sanft in die Hand und hob ihn an, weit langsamer als zuvor die Königin, damit er nicht außer Atem käme. Bevor sie ihn jedoch auf den Tisch stellte, wollte sie ihn etwas abstauben, weil er so mit Asche bedeckt war.
Hinterher sagte sie, niemals zuvor habe sie ein Gesicht gesehen wie das, das der König machte, als er von unsichtbarer Hand in die Höhe gehoben und abgestaubt wurde. Er war viel zu überrascht, um zu schreien, doch seine Augen und sein Mund wurden größer und größer und runder und runder, bis sich Alice vor Lachen derart schüttelte, dass sie ihn fast zu Boden fallen ließ.
»Nun machen Sie doch nicht so ein Gesicht, mein Lieber!«, rief sie, denn sie hatte vergessen, dass er sie nicht hören konnte. »Ihretwegen muss ich so lachen, dass Sie mir beinahe aus der Hand fallen! Und sperren Sie Ihren Mund nicht so weit auf, sonst fliegt dort die ganze Asche rein – so, jetzt sind Sie einigermaßen sauber«, sagte sie, strich ihm noch einmal übers Haar und stellte ihn neben die Königin auf den Tisch.