© Dritte Ausgabe 2019 by Horst Hanisch, Bonn
© Zweite Ausgabe 2015 by Horst Hanisch, Bonn
© Erste Ausgabe 2013 by Horst Hanisch, Bonn
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Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird auf das geschlechtsneutrale Differenzieren, zum Beispiel Mitarbeiter/Mitarbeiterin weitestgehend verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter.
Idee und Entwurf: Horst Hanisch, Bonn
Lektorat: Alfred Hanisch, Bonn; Annelie Möskes, Bornheim (ab 2. Auflage)
Buchsatz: Guido Lokietek, Aachen; Horst Hanisch, Bonn
Umschlag: Christian Spatz, engine-productions, Köln; Horst Hanisch, Bonn
Fotos: Wenn nicht anders angegeben sowie Zeichnungen: Horst Hanisch, Bonn
Herstellung und Verlag: BOD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7481-4406-9
Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen.
Sokrates, gr. Philosoph
(449 - 399 v. Chr.)
… dann kann er was erzählen.
Wir setzen uns in einen modernen Jet, lehnen uns entspannt zurück und nach einigen Stunden steigen wir auf einem anderen Kontinent aus und mit uns unsere Verhaltensmuster. Diese sind aber in anderen Kulturen oft deutlich anders. Leider bedenkt das nicht jeder Tourist oder Geschäftsmensch. Es wird gegen bestimmte Regeln und Umgangsformen verstoßen, ohne dass es dem Betreffenden bewusst wird.
Manchmal fällt dem Touristen auf, dass sich der Einheimische abwendet. Der Geschäftsreisende ist möglicherweise noch ärger betroffen, weil ein erhofftes Geschäft nicht zustande kommt. Ärgerlich. Und das müsste nicht sein.
Wenn Fremde zu uns in unsere Kultur kommen, erwarten wir, dass sie unsere Sitten und Bräuche akzeptieren, dass sie sich unserem Werteempfinden entsprechend verhalten. Oft erwarten wir von Fremden, dass sie sich unauffällig, möglichst konform, in die hiesigen Regeln integrieren.
Verhalten wir uns entsprechend im Ausland?
Nur ein, zwei Generationen zurück, kamen Deutsche deutlich seltener mit Menschen anderer Kulturen zusammen. Anfang der 60er Jahre wurden die ersten Reisen in den Süden gewagt, oft mit kleinem PKW über die Alpen nach Italien. In den 70ern hatten Schüler die Möglichkeit, an einem Schüler-Austausch mit Franzosen oder Briten teilzunehmen.
Und wie sieht es heute aus? Fragen Sie einen jungen Menschen, hören Sie unter Umständen, dass er ein Auslandsschuljahr in den USA verbrachte, ein anderer ein freiwilliges halbes Jahr in Neuseeland oder in Taiwan.
Ausländische Touristen verschaffen dem Kölner Dom die höchste Sehenswürdigkeitsrate in Deutschland. Die Loreley und das dortige Rheintal zählen bei Asiaten zu den meist fotografierten Natursehenswürdigkeiten. Geschäftsleute aus aller Welt tummeln sich in den großen und mittelgroßen Städten.
Mag früher manch einer gedacht haben „Was interessiert mich die Esskultur der Süd-Amerikaner?“, mag es heute schon ganz anders aussehen, weil beruflich oder auch privat mit Menschen aller möglichen Länder Umgang gepflegt wird. Der interkulturelle Austausch ist schon lange nicht mehr aufzuhalten.
Spätestens seit Mitte der 80er Jahre der Begriff Globalisierung in aller Munde ist, ist klar, dass sich Deutschland, kulturell betrachtet, nicht isolieren kann. Hierdurch kommt auch der Bedarf nach interkulturellen Verhaltensmustern ins Spiel. Soziale Kompetenz wird erwartet. So wird in diesem Buch auf Kulturmodelle eingegangen; Gedanken zur interkulturellen Kompetenz erläutert.
Die Medien tun ihr Bestes, um uns über die Ereignisse weltweit zu informieren. Seien diese politischer Art, wie zu Beginn des Jahres 2011 in einigen arabischen Ländern Nordafrikas, Katastrophen mit globalen Folgen, wie das schwere Erdbeben, gefolgt vom Tsunami und anschließenden Kernschmelzproblemen in japanischen Kernkraftwerken im selben Jahr, bis hin zu königlichen Hochzeiten, wie zum Beispiel die prunkvoll inszenierte Trauung des britischen Prinzen William mit Kate Middleton Ende April 2011.
Oder den als historisches Zusammentreffen bezeichneten Austausch zwischen dem aktuellen Papst Franziskus und dem emeritierten Papst Benedikt XVI. am 23.03.2013 im italienischen Castel Gandolfo.
In Folge der beschriebenen Entwicklung werden wir mit Verhaltensmustern konfrontiert, die uns bisher kein Kopfzerbrechen bereiteten. So lässt sich feststellen, dass es verschiedene Distanzzonen gibt, wenn sich zwei Gesprächspartner gegenüberstehen. Der bei uns übliche Abstand wird in vielen asiatischen Ländern als zu nahe, in einigen südamerikanischen Ländern hingegen, als viel zu distanziert empfunden.
Im ersten Fall mag sich das Gegenüber bedrängt fühlen und wird versuchen, die Distanz zu vergrößern. Im zweiten Fall wundert sich das Gegenüber über die scheinbar abwehrende Distanz und versucht, diese durch räumliches Annähern auszugleichen. Auf uns hingegen wirkt das manchmal als allzu aufdringlich.
Jemandem die Hand zur Begrüßung reichen, erscheint uns selbstverständlich, wohingegen in anderen Kulturen auf den Händedruck verzichtet wird. Nach wie vor wird die Rolle der Frau und des Mannes nicht überall gleichwertig gesehen, was besonders bei geschäftlichen Beziehungen zu Herausforderungen für beide Seiten führen kann.
Im vorliegenden Buch lassen wir in allen Überlegungen die politischen Gegebenheiten möglichst außen vor. Wir konzentrieren uns auf das, was ein Land zu bieten hat, die Landschaft, die kulinarische Vielfalt, besonders aber das Verhalten der Menschen.
Im Folgenden wird auf viele für uns fremde Verhaltensweisen hingewiesen. Auch das banal klingende Thema, wie „Wie viel Trinkgeld wird wann und wo gegeben – bzw. wird überhaupt Trinkgeld gegeben?“, kann von Land zu Land eine andere Herausforderung darstellen.
Sollten Sie in Süd-Korea eingeladen sein, betreten Sie die Wohnung ohne Straßenschuhe. Und wenn Sie den Toiletten-Raum aufsuchen, werden Sie feststellen, dass es hierfür extra bereitgestellte Hausschuhe gibt.
Dass in Indien die Farbe der Trauer Weiß ist, mag bekannt sein. Welche Farbe wählen Sie für die Verpackung, wenn Sie Ihrem chinesischen Nachbarn ein Geschenk überreichen? Dem Russen nichts mit scharfer Klinge, wie Schere oder Messer schenken, damit die Freundschaft nicht zerschnitten wird.
Und sollten Sie zu einer fremdländischen Hochzeit eingeladen werden, treffen Sie hier manchmal auf lustige Rituale.
Bringen Sie sich selbst oder ihr Gegenüber nicht in eine unangenehme Situation. Lernen Sie einige Regeln, um Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen.
In diesem Buch wird auf selbst erlebte Erfahrungen und Beobachtungen eingegangen. Das eine oder andere Erlebnis sowie einige Erfahrungsberichte sollen die kulturelle Vielfalt deutlich machen.
Weiter habe ich mich mit unzähligen Menschen vieler Nationen ausgetauscht, Dos und Don’ts von Botschaften erfragt. Beruflich bedingte Zusammenarbeit mit der einen oder anderen Botschaft konnte viele Erkenntnisse untermauern. Ich hatte die Chance, mich auf Seminaren und Vorlesungen zum Thema „Interkulturelle Kompetenz“ mit Teilnehmern und Studierenden fremder Kulturen über deren Besonderheiten austauschen zu können.
Schließlich ermöglichten mir viele berufliche wie auch private Reisen weitere Einblicke in die unglaubliche Schattierung unserer Welt.
Liebe Leserin, lieber Leser, achten Sie darauf, dass Sie ‚Ihr Gesicht wahren’ und Ihr Gesprächspartner im In- wie im Ausland sein ‚Gesicht nicht verliert’: weder auf gesellschaftlichen Veranstaltungen, bei Privatreisen, geschäftlichen Terminen, Auslands-Semestern, Studien- und Forschungsreisen und beim zufälligen Zusammentreffen mit Menschen anderer Kulturen in Ihrem Stadtviertel.
Den Leserinnen und Lesern dieses Buches wünsche ich weiterhin viel Spaß beim Ergänzen und Auffrischen ihres Wissens.
Horst Hanisch
Herkunft bedeutet nicht Kompetenz
Roland Jahn (*1953), Leiter der Stasiunterlagenbehörde
Das Wachstum der Kultur beruht auf einem Weitergeben der Arbeit von einem Volk an ein anderes, auf einer Verpflanzung von einem
Boden auf den anderen. Der geschichtliche Wert eines Volkes liegt daher zu einem großen Teile in dem, was es anderen zu geben im
Stande ist.
Friedrich Ratzel, dt. Geograf
(1844 - 1904)
Wenn im vorliegenden Buch von Interkultureller Kompetenz gesprochen wird, sollten die Begriffe Kultur und interkulturell erst einmal näher betrachtet werden. Wo treffen wir auf Begriffe, die das Wort Kultur beinhalten? Zum Beispiel:
Aber auch Kultur-Schaffende und Kultur-Pflanzen, Kultur-Kampf, Kultur-Erbe, Kulturattaché und anderes mehr sind Begrifft, die uns im täglichen Sprachgebrauch begegnen.
Das Wort ‚interkulturell‘ findet sich erstmals 2004 im Rechtschreibduden. Demnach bedeutet ‚interkulturell‘: „die Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen betreffend; verschiedene Kulturen umfassend, verbindend.“ Das Gegenwort zu interkulturell lautet monokulturell. Und dem einen oder anderen sollte der Begriff multikulturell schon zu Ohren gekommen sein.
Nun müssen erst wieder einmal die alten Lateiner herhalten, denn der Begriff Kultur lässt sich von ‚cultura‘ ableiten. Damit waren Bereiche wie Landbau, Pflege, aber auch Verehrung gemeint.
In Zimbardos Standardwerk Psychologie 1992 ist zu lesen: „Alle Kulturen stellen bestimmte Normen auf, die zu befolgen sind. Jede Kultur verfügt über allgemeine Glaubenssysteme über Kräfte, die
Nachdem nun ein paar Gedanken zum Wort Kultur ausgetauscht wurden, wird im nächsten Schritt versucht, eine gewisse Ordnung im hierarchischen Sinne zu kreieren. Der US-Psychologe Edgar H. Schein (*1928) machte sich Gedanken darüber. Die Ebenen der Kultur bauen sich für den Fremden sozusagen von oben nach unten auf, da er zuerst mit Kulturen anderer Nationalitäten zusammentreffen wird, bevor er sich mit dort ansässigen einzelnen Gruppen auseinandersetzen kann.
Lassen Sie uns die einzelnen Ebenen betrachten.
Übergeordnet lässt sich eine internationale Kultur sehen, zum Beispiel die Europäische Kultur, die Afrikanische Kultur und so weiter. Bereits hier werden die Zuordnungen manchmal anspruchsvoll. Die Türkei, als Beispiel, liegt mit ca. drei Prozent auf dem europäischen Kontinent und mit dem größten Teil auf dem asiatischen. Wozu gehört nun die Türkei? Betrachten wir den afrikanischen Kontinent, so gehören Namibia und Libyen zu demselben Kontinent. Gibt es weitere Gemeinsamkeiten?
Nicht umsonst haben sich schon früh einige arabische Länder (vom afrikanischen und vom asiatischen Kontinent) zur Arabischen Liga zusammengeschlossen. Käme es zu einem der von Science Fiction Autoren gefürchteten Angriffen von Außerirdischen, würden sich wohl alle Länder der Erde als eine Einheit gegen die Aggressoren sehen. Diesen Gedanken der Einheit – nicht nur dem Angriff der Außerirdischen gegenüber – versuchen die Vereinten Nationen darzustellen. Die Bedürfnisse der Internationalen Kulturen sollen berücksichtigt und in gewissem Sinne in konformes Verhalten gebracht werden.
Eine Etage tiefer befinden wir uns auf der Ebene der Nationalen Kultur. Hier geht es um die kulturellen Belange, die ein Land alleine betrifft. Bekannterweise ist aber auch hier nicht immer Einigkeit zu sehen. Zum Beispiel in Belgien, in Kanada, in den ehemaligen jugoslawischen Ländern, wie auch in der Abspaltung zu einer neuen Nation (Südsudan, getrennt vom Sudan am 9. Juli 2011). Dieses Bild soll die Stufen Internationaler Kultur und Nationalen Kultur darstellen.
So sehen wir zum Beispiel die IT-Branche mit ihren Verhaltensmustern. Oder die Chemiebranche, die Bankenbranche und so weiter.
Jede Branche hat ihre Eigenarten und ihre Stereotypen. Ernährt sich ein IT-ler anders als ein Banker? Interessanterweise könnte die IT-Branche auch Nationen übergreifend eine gleiche Branchen-Kultur widerspiegeln.
Innerhalb einer Branche sehen wir verschiedene Unternehmen, die ihrerseits wieder typische Muster zeigen. So arbeitet BMW anders als VW. VW anders als Mercedes. Jeder hat seine eigene Unternehmensphilosophie und Unternehmensstrategie. Die Abgrenzung untereinander muss zwangsläufig geschehen, um Profil zu zeigen und um Wettbewerbsvorteile darzustellen.
Und schließlich sind wir bei der kleinsten Einheit angelangt: der Gruppen-Kultur. So wird im Vertrieb anders gearbeitet als im Marketing oder im Einkauf. Das Zugehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe ist jedenfalls stärker als mit anderen Gruppen. Wer in einer Gruppe gut aufgehoben sein will, tut gut daran, die Rituale dieser Gruppe zu kennen.
Jetzt von unten (Gruppen-Kultur) nach oben (Internationale Kultur) lässt sich erkennen, dass sich der Einzelne nicht endlos frei bewegen kann, wie er anzunehmen vermag. Durch das große, soziale Gefüge, in dem er lebt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als ein gewisses konformes Verhalten zu zeigen.
Gruppenkonformes Verhalten, unternehmenskonformes Verhalten, nationenkonformes Verhalten und so weiter. Unterwirft der Einzelne sich nicht diesem konformen Verhalten, riskiert er den Ausschluss aus der jeweiligen Kultur.
Er würde zum Außenseiter, zum Rebell und, um es extrem auszudrücken, gegebenenfalls zum Terrorist.
Glücklicherweise will die Mehrheit der Menschen diesen Prozess vermeiden.
Hier passt der Begriff Habitualisierung, stehend für Gewohnheitsbildung. Starke Auswirkungen der sozialen Gewohnheiten in einem sozialen Gefüge sind mit diesem Begriff gemeint.
Sowohl die geschriebenen als auch die ungeschriebenen Regeln müssen befolgt werden. Letztere sind für Neulinge in der Gruppe baldmöglichst zu erlernen, damit sie nicht aus der Gruppe ausgeschlossen werden.
19. Mai 2013, Berlin steht Kopf! Unzählige, verkleidete, gut gelaunte Mitwirkende in diversen Gruppen aus allen denkbaren Kulturen dieser Welt ziehen bejubelt durch die Straßen Berlins. Was ist geschehen?
Seit 1996 führt der Karneval der Kulturen, c/o Werkstatt der Kulturen, diese Aktion durch. In Berlin sollen etwa 860.000 Menschen mit Migrationshintergrund leben. Der Karneval der Kulturen steht ganz klar für Akzeptanz, Respekt und Toleranz in der Gesellschaft.
Damit können sich Menschen ganz verschiedener Kulturen in einer lockeren Art präsentieren. Durch die teilnehmenden Gruppen, so die Angaben des Ausrichters, ist die Aktion „aufgrund der Anzahl der beteiligten Nationalitäten und des breiten kulturellen Spektrums seiner Akteure weltweit einzigartig“.
Eine bunte Art, Kulturen darzustellen und einen kleinen Einblick zu geben und zu erhalten.
Geert Hofstede (Gerard Hendrik Hofstede, niederl. Kulturwissenschaftler, *1928) hat in seinem so genannten Zwiebeldiagramm die Manifestation in einer Kultur dargestellt.
Das Modell einer Zwiebel erscheint sehr passend, da ein Fremder erst die äußerste Schicht wahrnimmt, diese durchdringen muss, um in die nächste zu kommen, bis er schließlich ganz innen ankommt.
Im Inneren dieser Zwiebel stehen die Werte und Normen einer Kultur. Als Norm gilt das, was ‚normal‘ ist. Und das, was normal ist, wird von der Mehrheit der Gesellschaft so festgelegt. Alles, was der Norm nicht entspricht, ist demnach als a-normal zu betrachten. Jemand, der sich anormal verhält, riskiert zum Außenseiter zu werden; ja gegebenenfalls sogar aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden.
Da der Mensch als soziales Wesen sein eigenes Interesse daran hat, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, wird er sich mehr oder weniger normal verhalten. Er entspricht somit den Erwartungshaltungen seines sozialen Umfeldes.
Von Geburt an werden dem Kleinkind und Kind diese Normen beigebracht. Nach Hofstedes Meinung, sind diese Normen etwa im Alter von zehn Jahren unbewusst verinnerlicht.
Als Werte wird das angesehen, was mit Gegensätzen eingegrenzt und gleichzeitig voneinander abgegrenzt werden kann.
Und so weiter.
Werte und Normen wandeln sich unter Umständen über Jahre hinweg. Mehr oder weniger weiß aber jeder aus seiner Kultur, was in dieser Kultur als Wert und Norm anzusehen sind, auch wenn es schwierig sein kann, dies in Worte zu fassen.
So gehört es in unserer Kultur zum Beispiel zur Norm, seinem Vorgesetzten ein größeres Büro zuzugestehen als dessen Mitarbeitern.
Als Wert gilt zum Beispiel, Müll in den Mülleimer zu geben und dort idealerweise getrennt zu entsorgen (gelbe, blaue, grüne Tonne usw.). Die Werte und die Normen einer fremden Kultur zu erkennen, ist außerordentlich schwierig, da sie in der Regel nicht schriftlich fixiert sind. Wer sich in die Vielfalt der Werte und Normen einer anderen Kultur versucht hineinzudenken, sie zu verstehen oder gar zu leben, nähert sich dem Gedanken, interkulturelle Kompetenz zu besitzen.
Nur zur Erinnerung: jede Kultur hat ihre eigenen Werte und Normen. Manche können den unseren entsprechen; die meisten eröffnen sich allerdings erst dann, wenn wir die Chance haben, in einem anderen Land zu leben oder mit einem Menschen einer anderen Kultur zusammenzuleben.
Und noch ein Hinweis: In ein und demselben Land kann es je nach Region verschiedene Werte und Normen geben.
Die anderen drei Schichten werden als Praktiken bezeichnet. Und zwar deshalb, weil die Inhalte jener drei Schichten für einen Fremden oft direkt zu sehen sind. Obwohl sichtbar, heißt es nicht zwangsläufig, dass sie für den Ausländer deutbar oder analysierbar sind. Die kulturelle Bedeutung der Praktiken kann von Kultur zu Kultur verschieden sein.
Betrachten wir hier die äußere Schicht der Zwiebel, also die, die als erste sichtbar ist. Diese Schicht nennt Hofstede Symbole. Klassischerweise gehört die Staatsflagge zu den Symbolen. Je nach nationalem Stolz ist für die eine Kultur das Hissen der Flagge wichtiger als für eine andere Kultur. In jedem Fall steht sie aber für eine bestimmte Kultur, hier für ein Land der Erde.
Auch berühmte Baudenkmäler können zu den Symbolen zählen. Der Eiffelturm in Paris, der Tower in London, die Jesus-Statue in Rio de Janeiro und viele andere mehr.
Die meisten Bewohner eines Landes sind stolz auf ihre Symbole. Eine bestimmte Haartracht, wie die Rastalocken auf Jamaika, bestimmte Uniformen oder typische Landestracht, aber auch bestimmte Gesten oder Gesichtszüge.
Ist die erste Schicht der Zwiebel gepellt, kommen wir zum Bereich der Helden. Hier finden sich lebende oder verstorbene Persönlichkeiten, Kino-Helden oder Figuren aus Cartoons.
Rin Tin Tin und Struppi aus Belgien, Batman aus den USA, die britische Queen, der Franzose Napoleon, Ghandi aus Indien. Hin und wieder fällt hier auch der Begriff des Nationalhelden. Wer mit ausländischen Geschäftspartnern zu tun hat, sollte den einen oder anderen ‚Helden‘ zuordnen können.
Und schon sind wir in der dritten Schicht, der Schicht der Rituale. Wie begrüßen sich zwei Menschen? Mit Handschlag, mit Verbeugung? Wer schenkt wem das Getränk ein beim Geschäftsessen? Wer prostet wem und wann zu?
Beim Praktizieren der Rituale wird die eigene soziale Bindung gestärkt. Es ist wichtig, diese Rituale zu kennen und zu leben. So steigt der eigene Marktwert innerhalb einer Gesellschaftsform in die gewünschte Höhe beziehungsweise in das erhoffte Ansehen.
Weiter hinten in diesem Buch beschriebene Rituale sind ausgesprochen wichtig, um nicht nur den beruflichen Erfolg zu gewährleisten. Wir sind hier allerdings bereits in der dritten Schicht der Zwiebel vorgedrungen. Somit lässt sich leicht vorstellen, welches Einfühlungsvermögen nötig ist, um hier erfolgreich zu werden.
Die Rituale zu kennen ist eins. Sie zu verstehen und zu praktizieren, ist deutlich etwas anderes. Nicht umsonst wird von interkultureller Kompetenz gesprochen.
Vor einem Geschäftstreffen und/oder einem Aufenthalt im Ausland nehmen Sie sich die Zeit, um in das beschriebene Zwiebelmodell gedanklich einzutauchen. Je sensibler Sie vorbereitet sind, desto leichter, angenehmer (und erfolgreicher) kann Ihr Zusammensein ausfallen.
Ist Ihnen Ähnliches schon einmal passiert? Angekommen! Das Flugzeug nähert sich dem Ankunft-Terminal. Ihr Herz klopft. Sie sind freudig erregt, nach überschaubarer Zeit gleich fremdes Land zu betreten. Was wird wohl auf Sie zukommen? Sie empfinden eine gewisse Euphorie.
Sie betreten erstmals ein fremdes Land, verlassen das Flughafengebäude und werden schlagartig von fremdartigen Eindrücken, ja, regelrecht erschlagen. Andere Temperaturen, Geräusche, Gerüche. Der Lärmpegel wird unter Umständen durch laute Huperei bestimmt. Liegengelassener Müll, fehlende Bordsteine, deutliche Risse in Hausfassaden und so weiter hinterlassen ein mulmiges Gefühl.
Mit Befremden registrieren Sie die andersartigen Gegebenheiten. Sie fühlen sich tatsächlich als Fremder, fremd, entfremdet.
Im Hotel angekommen müssen Sie feststellen, dass das reservierte Zimmer nicht zur Verfügung steht. Das verantwortliche Personal hingegen scheint weniger beunruhigt und scheint auch Ihre Aufregung nicht nachvollziehen zu können. Ihr Herz schlägt schneller. Sie werden aggressiver im Ton und beharren auf Ihrer vertraglichen Zusicherung. Wenn Sie nicht aufpassen, eskaliert die Situation.
Vielleicht schaffen Sie es, Ihre innere Erregung zu zügeln. Am besten erst einmal die Ist-Situation so zu akzeptieren, wie sie ist. Die Schuldfrage lässt sich im Augenblick nicht klären. Handelt es sich möglicherweise nur um ein Missverständnis?
Suchen Sie mit Ihrem Gegenüber eine Lösung. Verständigen Sie sich, kommunizieren Sie miteinander. Rückblickend werden Sie feststellen, dass alles gar nicht so schlimm war wie ursprünglich angenommen.
Der US-amerikanischer Anthropologe Kalvero Oberg (1901 – 1973) spricht hier (1960) von einem so genannten Kulturschock. Er hält folgende fünf Phasen fest:
Diese fünf Phasen können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Sie lassen sich ganz gut auch auf Verhandlungssituationen mit Menschen anderer Kulturen übertragen.
Der Deutsche freut sich auf einen möglichen Geschäftsabschluss. Er wundert sich dann aber, dass sein Gesprächspartner nicht zum Punkt kommt.
Termine werden verschoben, der Ton wird aggressiver. Er erkennt, dass aufgrund der Mentalität anders vorgegangen wird.
Und schließlich fängt er an, die Vorgehensweise des anderen zu verstehen. Er lernt, sich in die Gedankenwelt beziehungsweise Verhandlungswelt des anderen hineinzuversetzen und erreicht schließlich das angestrebte Ziel.
Übertragen wir die oben abgebildete U-Form auf den Verlauf eines Gesprächs, zeigt sich, dass nach dem Tiefpunkt in der dritten Phase die Stimmung und der Gesprächsverlauf wieder nach oben zeigen.
Dauert eine Gesprächssituation länger an, kann die emotionale Stimmung in einer negativen oder (idealerweise) in einer positiven Kurve weiterlaufen.
Beharrt der deutsche Gesprächspartner auf seinem vermeintlichen Recht, wird die Situation in der Richtung eskalieren, dass das Geschäft platzt.
Oft wird dann als Erklärung angeführt, dass der Fremde unkorrekt vorgegangen sei, dass er unzuverlässig sei, dass er Absprachen nicht eingehalten hätte und so weiter. Die aufgeführten Gründe dienen zur eigenen Beruhigung und vor allem dazu, beim Vorgesetzten und bei den Kollegen das eigene Gesicht wahren zu können.
In den so genannten Kulturdimensionen nach Geert Hofstede untersuchte er fünf Faktoren, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft greifbar machen. Diese fünf Faktoren sind:
Der Individualismus beschreibt den Schutz und die Rechte des Einzelnen, eben des Individuums. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung sind ausschlaggebend. Im Kollektivismus unterwirft sich der Einzelne der Allgemeinheit. Das Wir-Gefühl steht im Vordergrund. Die Bedürfnisse des Einzelnen werden in den Hintergrund gedrängt.
Im Gegensatz zum Aufwachsen in der früher üblichen Großfamilie, lebt der individualistisch Orientierte als Single oder in einer Partnerschaft oder in einer Kleinfamilie. Er kümmert sich mehr um sich als um seine Eltern und seine Großeltern. Die Kinder verlassen relativ früh das Elternhaus. Er hat seine eigenen Ziele, die er verfolgt. Das bedeutet, dass Sachlichkeit und Fachlichkeit wichtiger sind als der Aufbau von Beziehungen zum sozialen Umfeld. So ist denn eine harmonische, zwischenmenschliche Beziehung weniger wichtig als ein möglich stringentes Vorgehen.
Im Arbeitsverhältnis ist – extrem ausgedrückt – das fachliche Wissen wichtiger als das harmonische Miteinander im Team.
Ist die Macht in einer Kultur relativ gleich verteilt, wird hier von einer geringen Machtdistanz gesprochen. Anders sieht es aus, wenn es ganz deutlich ausgeprägte Machtunterschiede gibt. In diesem Fall wird von hoher Machtdistanz gesprochen.
Liegt eine hohe Machtdistanz vor, lässt sich das bereits im Elternhaus erkennen. Kinder haben nämlich genau das zu machen, was die Eltern von ihnen erwarten. Das zeigt sich dann in der Schule und an der Universität ebenso. Die Lehrer und Professoren entscheiden, was als richtig gilt. Die Schüler beziehungsweise Studenten haben genau das anzunehmen und zu lernen. Damit scheint es auch kein Wunder zu sein, dass Hierarchien stark ausgeprägt sind. Mitarbeiter sind Mit–Arbeiter und nicht etwa Mit–Arbeiter, wie bei geringer Machtdistanz zu beobachten ist.
Die ausgeprägte Hierarchie erwartet und erlaubt demnach eine deutlich soziale Unausgewogenheit. Die Schere zwischen Arm und Reich ist sichtbar geöffnet. Statussymbole sind klar erkennbar. Sie werden geachtet.
Wer unsichere Situationen vermeiden will, wird viele Regeln aufstellen. Hier liegt dann eine hohe Unsicherheitsvermeidung vor. Kulturen, die flexibler miteinander umgehen, Neues leichter akzeptieren können, brauchen nicht für alles eine Regel. Hier ist die Unsicherheitsvermeidung eher gering ausgeprägt.
Hohe Unsicherheitsvermeidung bedeutet, möglichst wenige Risiken einzugehen. Sicherheit ist wichtig. Das zeigt sich im Abschluss langfristiger Versicherungen für die Zukunft und das Alter.
Deshalb ist die Ausbildung wichtig, um eine relative Sicherheit zu empfinden und einen krisenfesten Job zu ergattern. Alles Unübliche, alles Andere oder Andersartige wird demnach als mögliche Bedrohung gesehen und deshalb gemieden oder sogar deutlich abgelehnt.
So ergibt sich nicht nur durch die Arbeit ein relativ hoher Stress–Level mit den bekannten Auswirkungen auf die Gesundheit.
Maskuline Werte in dieser Gegenüberstellung sind eine deutliche Konkurrenzbereitschaft wie auch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Von Feminismus wird eher dann gesprochen, wenn Kooperation und Bescheidenheit vorrangig gelebt wird.
Obwohl es die beiden Begriffe nahe zu legen scheinen, ist eine eins zu eins Übertragung auf Frau beziehungsweise auf Mann deutlich irreführend. Allerdings sind im Falle der Maskulinität die Geschlechterrollen stark, deutlich und klar voneinander abgegrenzt.
Wichtig ist materieller Erfolg, also möglichst ein hohes Einkommen beziehungsweise einen hohen Gewinn zu erzielen. Weiter, höher, schneller, egal ob die Zwischenmenschlichkeit darunter leidet oder ob die Umwelt durch dieses Verhaltensmuster beschädigt wird. Das wirtschaftliche Wachstum ist wichtiger als die Nistplätze aussterbender Vögel oder die Wanderwege der Kröten.
Wer beruflich erfolgreich ist, genießt Ansehen mit der damit verbundenen Macht.
Dieser fünfte Faktor wurde erst später von Hofstede diesem Modell zugeordnet. Er sieht eine hohe Langzeitorientierung, wenn Planungen und Beharrlichkeit erkennbar sind. Eine geringe Langzeitorientierung liegt dann vor, wenn die Flexibilität sichtbarer wird und damit auch Entscheidungen Einzelner deutlicher und schneller zum Tragen kommen. Die Vergangenheit ist wichtig und Geschehnisse rücken deutlich in die Gegenwart. Was früher richtig war, ist es heute immer noch und kann auch für die Zukunft nicht schaden. Daraus entsteht eine gewisse Inflexibilität im Denken und im Handeln. Traditionen werden hochgehalten und gepflegt.
Das, was heute entschieden wird, stellt die Weichen für die Zukunft. Somit ergibt sich eine stabile Struktur für die Zusammenarbeit, das soziale Netz wird gestärkt und unter Umständen über Generationen hinweg gefestigt.
Auf Deutschland bezogen (allerdings aus den Jahren 1977/1980) ergibt sich laut Hofstede ungefähr folgende Darstellung:
Zum Vergleich hierzu Brasilien (links), Japan (Mitte) und die USA (rechts).
Aus diesem Modell lässt sich wunderbar ablesen, wie verschieden Menschen in einer Kultur miteinander auskommen. Wenn Menschen dieser Kulturen dann miteinander zu tun haben, nehmen sie erst einmal die eigenen bekannten Verhaltensmuster mit. Daraus können dann Unstimmigkeiten entstehen.
Was nutzt nun all dieses theoretische Wissen? Sobald Sie die Ausprägungen der fünf Dimensionen analog des Modells einschätzen können, können Sie diese auf die Menschen anderer Kulturen übertragen. Sodann vergleichen Sie die fremden Ausprägungen mit Ihren eigenen Dimension-Ausprägungen. Dort, wo eine ziemliche Deckungsgleichheit erkennbar ist, gibt es keinen Handlungsbedarf. Und zwar deswegen, weil Ihr Gegenüber ähnlich handelt und empfindet wie Sie selbst. Interessant – und gleichzeitig kritisch – wird es allerdings bei den Dimensionen, die verschieden ausgeprägt sind oder vielleicht sogar deutlich als gegensätzlich zu bezeichnen sind. Hier gibt es einen Handlungsbedarf, sollten Sie – was hier unterstellt wird – am Erfolg der Zusammenarbeit oder des Zusammentreffens interessiert sein. Sie können erkennen, dass Ihr Gegenüber im Austausch oder in Verhandlungen anders vorgeht, beziehungsweise anders vorgehen muss. Setzen Sie sich das Ziel, Ihr Gegenüber zu verstehen und seine Verhaltensmuster zu akzeptieren. Je besser Sie sich verstehen können, desto weniger Konflikte werden entstehen, desto erfolgreicher wird Ihr Zusammentreffen sein. Viele Umgangsformen in anderen Kulturen lassen sich nach beschriebenem Modell erklären und besser verstehen.
In den Diskussionen um den durch den Co-Piloten einer deutschen Fluggesellschaft verursachten Flugzeugabsturz in den Alpen, findet sich im Spiegel 15-2015 ein Artikel zum Thema CRM = Crew Ressource Management.
Er beschreibt die konzentrierte Teamarbeit im Cockpit. Ziel des CRM ist das Erreichen einer positiven Arbeitsatmosphäre, da dadurch das Unfallrisiko vermindert werde.
So wird allerdings auch beschrieben, dass in vielen asiatischen Ländern das CRM gescheitert ist.
Der Co-Pilot tauge oft ‚als Kofferträger, als Faktotum ohne eigene Meinung, ohne Haltung.‘
Offensichtlich sind die interkulturellen Unterschiede so stark ausgeprägt und verwurzelt, dass ein gegenseitiges Verständnis und Handeln nicht einfach eins zu eins übertragbar sind. Ein Grund mehr, sich genau zu informieren, wenn eine Team- oder Zusammenarbeit mit Menschen anderer Kulturen ansteht.
Alexander Thomas (dt. Psychologe *1939) meint, dass unter Kulturstandard ein kulturell angemessenes Verhalten zu verstehen ist. Die Kulturstandards
Der deutsche Psychologe Bernd Krewer (*1956) sieht Kulturstandards als Orientierungssysteme. Er versteht darunter alle Arten des Wahrnehmens und in Folge die des bewussten Denkens, anschließend des Bewertens und schließlich des Handelns. So könnte diese Folge dargestellt werden:
Die subjektive Wahrnehmung erfolgt über die fünf Sinne (sehen, hören, riechen, schmecken, tasten).
Die subjektive Wahrnehmung wandert ins Gehirn und wird dort mit bereits Gespeichertem aus Erfahrungen und aus Wissen verglichen. Die subjektive Wahrnehmung wandelt sich zur subjektiven Wahrheit. Erfahrungen oder gelernte Werte, Normen, Standards usw. werden zugrunde gelegt.
Die daraus resultierenden Ergebnisse der subjektiven Wahrheit werden als richtig oder falsch bewertet. Aufgrund dieser Bewertung kann der Mensch nun aktiv werden. Je nach Kultur wird die Bewertung verschieden erfolgen, da verschiedene Verhaltensmuster beziehungsweise Vorschriften gegeben sind.
Der Mensch handelt. Auch ein Nicht-Handeln entspricht der oben getroffenen Bewertung – eben nicht aktiv zu werden. So kann es sein, dass in der einen Kultur ein Handeln erfolgt, in der anderen keine Aktion zu erkennen ist.
Da in verschiedenen Kulturen die Verarbeitung der Kultur-Standards unterschiedlich verläuft, kommt es zu unterschiedlichem Verhalten bzw. Handeln. Da eigenes Handeln als richtig angesehen wird (sonst wäre die Handlung in der erfolgten Weise nicht umgesetzt worden), wird anderes Handeln folgerichtig als ‚falsch‘ bezeichnet. Es kommt zu Missverständnissen beziehungsweise zu Konfrontationen oder gar bösartigen Konflikten.
Wo Kultur wegbricht, wird Platz frei für Gewalt.
August Everding, dt. Regisseur
(1928 - 1999)
Bald werden wir von den Modellen zur Kultur auf die menschliche Kompetenz zu sprechen kommen. Aber zuerst: Wie schafft es der Einzelne, innerhalb eines Kulturbereiches erfolgreich zu leben?
Es lassen sich drei Aspekte des Zusammenlebens, ja vielleicht sogar des Überlebens beschreiben.
Durch die Geburt fällt der Mensch in ‚seine‘ soziale Kultur. Mit dem Heranwachsen zeigt sich schnell, wie der Einzelne in seinem sozialen Umfeld klar kommt. Zuerst die Eltern, dann die Geschwister, schließlich Freunde, die Arbeitskollegen usw.
Wie sichert er das Zusammenleben mit anderen in einer Gesellschaft? Er erreicht das, indem er die Werte und die Normen der Gesellschaft kennt. Er weiß, was erlaubt und was verboten ist.
Der Einzelne findet in seiner sozialen Struktur seine Rolle. Zum Beispiel die Rolle des Sohnes, die Rolle des Bruders, die Rolle des Mitschülers, die Rolle des Klassensprechers, die Rolle des Kollegen usw.
Das Individuum muss die Hierarchien im privaten und geschäftlichen Umfeld erkennen und akzeptieren. Wer hat welche Entscheidungsmacht?
Es wird hier von Sozialisation gesprochen. Sozialisation ist ein Prozess, der ein Leben lang anhält. Es zählen Werte, Maßstäbe, Fähigkeiten, Motive, Beobachtungen usw.
Ab einem gewissen Alter muss der Einzelne sehen, wie er sich sein Leben in der sozialen Gesellschaft ‚leisten‘ kann.
Hier erfolgt die Überlegung, wie das materielle Überleben in der Gesellschaft gewährleistet wird.
In dem einen Land findet sich eine große Arbeitslosigkeit, in einem anderen leben extrem Reiche gleich neben einem Slum.
Die Regeln kennen und die Regeln akzeptieren, sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Im Bereich der geistigen Kultur muss erkannt werden, weshalb es bestimmte Vorschriften, Regeln und Gesetze gibt. Gerichte werden geachtet. Es wird Akzeptanz und Identifikation entwickelt.
Wenn nun alle drei Aspekte des Zusammenlebens optimal kombiniert sind, ist das tatsächliche Zusammenleben in einer Kultur möglich.
In der chronologischen Abfolge sieht das so aus:
Überraschenderweise findet sich eine verblüffende Übereinstimmung in der Darstellung der menschlichen Kompetenzen.
Die Soziale Kompetenz stellt die Fähigkeit dar, mit anderen zusammen gemeinsame Ziele zu definieren und zu erreichen. Zur Sozialen Kompetenz zählen:
Der Duden ‚Die Psychologie‘ schreibt schon 1981 zum Begriff der Sozialen Kompetenz: „Begriff für die Verfügbarkeit und die angemessene Anwendung von motorischen, geistigen und emotionalen Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Einstellungen usw., um sich erfolgreich mit bestimmten, wichtigen Lebenssituationen auseinandersetzen zu können.“ Und weiter: „Eine Person, die über Soziale Kompetenz verfügt, ist psychisch und sozial gesund.“
Die Fachliche Kompetenz stellt das erworbene Fachwissen dar. Zur Fachlichen Kompetenz zählen:
Die Technische Kompetenz stellt die Fähigkeit dar, Wissen mit eingesetzten Techniken umzusetzen. Zur Technischen Kompetenz zählen:
Erst das Zusammenspiel aller drei Kompetenzen ergibt die menschliche Kompetenz. Diese ermöglicht die interkulturelle Kompetenz.
In Folge werden wir deshalb von interkultureller Kompetenz sprechen.
„Soziale Fertigkeiten sind Reaktionen, die es einer Person ermöglichen, sich bei einer Interaktion erfolgreich zu verhalten.“ (Quelle: Hersen & Bellack, 1976)
Hierbei wird zuerst eine Handlung betrachtet. Was soll ich umsetzen?
Danach folgt die Überlegung, welches Ziel, welche Konsequenz die Handlung erzeugen wird. Weshalb tue ich das; was geschieht dann?
Nun wird die Art und Weise des Vorgehens beleuchtet? Wie erreiche ich das Ziel?
Und schließlich wird ein Zeitrahmen festgelegt. Wie lange benötige ich, um die vorgesehene Handlung umzusetzen?
Durch das eigene Bewusstwerden der oben aufgeführten Schritte, kann ein Mensch sein eigenes Verhalten reflektieren. Es wird hier von Selbstreflexion gesprochen.
Bernd Krewer betrachtet das Verhalten zweier Personen zueinander. Er sieht Kulturstandards als Mittel der Selbst- und Fremdreflexion. Eine Person wird hier als ‚ich‘ (gemeint ist die betrachtende Person) gesehen, die andere als ‚du‘, also als das Gegenüber, hier der Fremde.
Beide stehen sich – bildhaft gesprochen – gegenüber.
In der folgenden Darstellung lehnen wir uns an Krewers Gedanken.
Der Überlegene stülpt seine Kultur dem anderen über. Er drückt seine eigenen Erfahrungen und Vorgehensweisen dem Fremden auf. Der andere hat sich sozusagen so zu verhalten, wie das der Eroberer als richtig empfindet. Das, was der Fremde mitbringt, wird vereinnahmt, aber nicht ins eigene Verhalten integriert.
Der Unterlegene lässt sich die Kultur eines anderen überstülpen. Das, was der Fremde bringt, wird übernommen; das Eigene geht unter.
Der Außenseiter will vom Fremden, von der Andersartigkeit, überhaupt nichts wissen. Er will nicht über den Tellerrand schauen und kapselt sich ab.
Der Gewinner tauscht sich mit dem Fremden aus. Er sucht die Gemeinsamkeiten, die der andere mitbringt.
Der Profiteur entwickelt mit dem Fremden weiterführende Ideen. Hier wird es interessant für die Zusammenarbeit. Denn beide profitieren voneinander. Sie finden sozusagen eine gemeinsame Schnittmenge und damit Übereinstimmungen.
Der optimale Fall ist beim Profiteur zu sehen. Die eigenen Stärken sowie die Stärken des anderen werden zusammengeführt, um Neues zu entwickeln. Eine ganz tolle Win-Win-Situation. Beide gewinnen deutlich und stark durch den Austausch.
Auch in diesem Modell ist ganz klar zu erkennen, dass beide gewinnen können, durch den Austausch, durch die Akzeptanz und durch die Suche (und das Finden) neuer Optionen. Beide können sich weiterentwickeln. Und zwar viel weiter, als sie vorher angenommen hätten, weil sie die Möglichkeiten als solche gar nicht erahnten.
Hier soll versucht werden, eine Definition zum Begriff Interkulturelle Kompetenz zu finden. Aufgrund der vorangegangenen Ausführungen sollte Ihnen bereits mehr oder weniger klar sein, was Interkulturelle Kompetenz ist. Die Bertelsmann Stiftung geht soweit, in einem Thesenpapier 2006 (auf Basis der Interkulturelle-Kompetenz-Modelle von Dr. Darla K. Deardorff) folgenden Satz einleitend zu schreiben: „Um die Potenziale der Globalisierung gestalten und Konflikte eindämmen zu können, sind Europa und die Weltgesellschaft darauf angewiesen, dass interkulturelle Verständigung niemals abreißt, kulturelle Identitäten geachtet, sowie kulturelle Unterschiede überbrückt werden.“
Dem lässt sich gut zustimmen. In diesem Thesenpapier ist folgende Definition zu lesen: „Interkulturelle Kompetenz beschreibt die Kompetenz, auf Grundlage bestimmter Haltungen und Einstellungen, sowie besonderer Handlungs- und Reflexionsfähigkeiten in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu interagieren.“
Wikipedia meint: „Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, mit Individuen und Gruppen anderer Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren, im engeren Sinne die Fähigkeit zum beidseitig zufriedenstellenden Umgang mit Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung.“IIKD, das Institut für Interkulturelle Kompetenz & Didaktik gibt auf seiner Website (Mai 2013) als Definition an: „Die Fähigkeit, effektiv mit Menschen, die über andere kulturelle Hintergründe verfügen, umzugehen und zusammenzuarbeiten, wobei die Effektivität auf beiden Seiten als solche empfunden werden sollte, wird mit interkultureller Kompetenz beschrieben.“ Und bei der IHK, Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein, lässt sich zum selben Zeitpunkt auf der Website lesen: „Interkulturelle Kompetenz ist das über rein geographische und sprachliche Kenntnisse hinausgehende Wissen über die Verhaltens- und Kommunikationsmuster fremder Kulturen, sowie die Fähigkeit, sich auf diese und deren Besonderheiten einzustellen.“ Und schließlich nehmen wir als Quelle Wida-Wiki (Juli 2015), die sich auf Geert Hofstede bezieht: „Interkulturelle Kompetenz steht für die Fähigkeit, angemessen und erfolgreich mit Menschen anderer Kulturen kommunizieren und mit den Unterschieden zwischen der eigenen und der fremden Kultur umgehen zu können. Sie beschreibt in diesem Rahmen drei Komponenten, die sich wiederum in Unterkategorien einsortieren lassen,