Impressum

© 2020 Rita Lell

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

Bild Seite →: Magdalena Lell

Seite → und Titel: Rita Lell

Fotos: Rita Lell

Layout: Rita Lell

Lektorat:Agnes Hierl Anna Lena Schnaudt

ISBN: 978-3-7526-7771-3

Bild aus der Gläsernen Scheune, Rauhbühl, Viechtach

Kapitel

Mühlhiasl, Magdalena Lell

Heile Welt

Eine wilde Szene spielt sich ab in der ansonsten ruhigen Straße. Sie trägt sogar den Namen Weg, Minoritenweg und liegt im Herzen einer alten Stadt.

Das schmale Haus ist heruntergekommen und scheint unbewohnt zu sein. Es besitzt ein Schaufenster an der Straßenseite, vor dem sich ein Grüppchen junger Leute unterhält. Vermutlich Raucher, die ihrer Sucht frönen und die Nachtluft genießen. Es ist ohnehin unwesentlich kälter vor dem Haus, als in dem Haus, denn dort gibt es keine Heizung. Dieser Umstand scheint nicht zu stören, man trägt ganzjährig gestrickte Mützen und lässt einfach den Mantel an, wo es keine Heizung gibt.

Lebensqualität erkennen sie im Einfachsten, Unkomplizierten mit grenzenloser Kreativität.

Wer einen Blick durch das Schaufenster ergattert, entdeckt die kleine Bühne, auf der eine vier Mann Band musiziert. Im Raum drängen sich junge Menschen dicht an dicht, sind entspannt und glücklich, sie hören den Musikern zu. Ihre Kinder spielen vor der Bühne miteinander und tanzen. Die Fürsorge der Eltern zeigt sich durch Kopfhörer, die den Kindern als Lärmschutz über die Mützen gesetzt werden.

Auch wenn das Haus klein und marode ist, es gewährt eine Auszeit, einen Lichtblick in die Realität der Dinge. Eine Konzentration auf das Wesentliche, Begegnungen, Unvoreingenommenheit, Lebensfreude. Die Befreiung vom Ballast der Konsumgesellschaft scheint kurzzeitig zu gelingen und ist Balsam für die Seele.

Für Maximiliane Wunder erscheint es zumindest so, als wäre hier eine Heile-Welt-Übung am Laufen. Für die doch wesentlich jüngeren Leute vor und im Haus ist es Normalität.

Es ist eine intellektuelle Szene mit aktueller Realitätsbewältigung. Viele sind aus „gutem Haus“, es fehlt ihnen an nichts, doch sie wünschen sich weniger, stehen zusammen mit einem Getränk in der Hand in einer improvisierten Umgebung, die vollkommen genügt.

Man fährt Rad und trägt gebrauchte Kleidung, sie leben eine Art Befreiung, keinem Konsumzwang zu unterliegen.

Sie erscheinen in Scharen, es gibt kein Problem mit der Parkplatzsuche. Sie erobern sich ihre Stadt zurück, ganz unkompliziert, einfach nur mit Konsumverzicht.

Das Tolle ist, das gelingt wirklich!

Das kleine Haus wartet auf seine Renovierung und darf zwischengenutzt werden. Die Heizung wird einfach stillgelegt, der Stromverbrauch auf wenige Glühbirnen reduziert. Es fehlt an Nichts, ein Umstand, der offensichtlich beruhigend und befreiend wirkt.

Maximiliane ist über ihre Kinder in der Szene bekannt, sie findet einen Weg durch die Zuschauer, jeder macht bereitwillig Platz. Wer sie kennt grüßt mit einem „Hi Maxi“ und hebt kurz die Hand.

Sie ist Maxi, die Rechtsanwältin und, wie jeder hier, ein Teil der Gemeinschaft und gern gesehen.

Sie erobert sich ein freies Fleckchen an der Bühne, neben den tanzenden Kindern und begutachtet die Musiker. Es sind Freunde ihrer Kinder, sie will die Truppe engagieren und sich ein Bild von dem Sound machen, den sie produzieren.

Die Mitzuhörer bemerken, sie hat nichts zu trinken und weisen ihr den Weg zu den Getränken.

„Diese Türe hinaus, links den Gang entlang, ganz vorne rechts stehen die Kisten mit Wasser, Bier und Limo!“

Maximiliane nutzt die Gelegenheit, das Haus zu besichtigen, ein Erlebnis der anderen Art, aber durchaus interessant. Es gibt mehrere Räume, mit Sofas bestückt und mit buntem Licht gemütlich gemacht. Sperrmüll, geschickt umgenutzt, erfüllt auch hier völlig ausreichend seinen Zweck. Ganz hinten findet Maxi auch die Getränkekisten. Sie sucht sich ein Wasser mit Kohlensäure aus, ein Zettel verweist auf den Preis, ohne Alkohol ein Euro, mit Alkohol zwei Euro.

Eine simple Schüssel steht für die Bezahlung und Wechselmöglichkeit bereit.

Ein alter Mann, der hier Zuflucht gefunden hat und auch dazugehört, öffnet ihr die Flasche mit seinem Feuerzeug. Es ist für alles gesorgt, sie nimmt wieder ihren Platz vor der Bühne ein. Draußen breitet sich schon das Corona Virus aus. Man wähnt sich sicher, wäscht sich laufend die Hände und achtet darauf, nicht angehustet zu werden.

Eigentlich ist es noch weit weg, in China und soll sich schon in Deutschland gezeigt haben.

Vom Mühlhiasl haben sie hier noch nichts gehört. Keiner glaubt an Prophezeiungen.

Auch zu Lebzeiten des Mühlhiasl glaubte ihm niemand, darum beendete er jede Vorhersehung mit den Worten:

„Kein Mensch will`s glauben.“

Er hat nichts aufgeschrieben, doch die Überlieferungen sind erhalten geblieben. Wer sich damit befasst, dem läuft ein Schauder über den Rücken.

„Wenn der Wald so licht wird wie des Bettelmanns Rock.“

„Wenn man Sommer und Winter nicht mehr unterscheiden kann.“

„Wenn einerlei Geld aufkommt.“

„Wenn d‘ Leut in der Luft fliegen können, wenn die meisten Leut mit zweiradeligen Karren fahren - dann steht`s nimmer lang an.“

„Wenn man Mandl und Weibl nimmer auseinanderkennt“

„Wenn sich die Bauernleut gewanden wie die Städtischen, und die Städtischen wie die Narren.“

„Dann kommt das große Bänkeabräumen.“

Maxi ist selbständige Anwältin und mit einem Kollegen in einer Praxis-Sozietät tätig. Sie findet es angenehm, sich austauschen zu können und praktisch, sich das Personal zu teilen.

Mühle in Apoig (Hunderdorf)

Die Vorteile wären soweit nachvollziehbar, doch real erscheint manches in anderem Licht.

Sie ist die Kreative und plant ein Event in den Kanzleiräumen. Einmal im Jahr gibt es einen gesellschaftlichen Höhepunkt, eine Einladung mit Mandanten und Freunden. Die Kontakte müssen gepflegt und die Werbetrommel gerührt werden.

Diesmal soll es eine Ausstellung von Werken einer befreundeten Künstlerin sein, kombiniert mit einer kurzen Lesung einer Autorin, untermalt von den Klängen der Band, die Maxi im alternativen Haus begutachtet hat.

Das Catering käme vom bewährten Betrieb, der Besitzer ist ebenfalls ein Mandant.

Alles gut, passend arrangiert und perfekt geplant, bis das Corona Virus hereinplatzt. Schnell zeichnet sich ab, der Termin muss verschoben werden. Die Frage ist nur, wohin?

Die Kanzlei ist in einem mächtigen Gebäude, die Räume sind großzügig geschnitten, die Decken und Fenster höher als in modernen Wohnungen.

Wer aus dem breiten hölzernen Treppenhaus die Kanzlei betritt, steht in der großzügigen Diele, von der aus geht es in die Kaffeküche, ins Sekretariat und in die Gruppenbesprechungsräume. Ein breiter Flur führt weiter zu den Räumen der Anwälte, die für Eventbesucher tabu sind.

Durch die hohen Fenster fällt der Blick in einen Park. Die riesengroßen Bäume beruhigen in jeder Jahreszeit die Gemüter. Gerne hält man inne, um diese Wohltat zu genießen.

Der große Besprechungsraum ist nicht zufällig an der Parkseite eingerichtet. Eine lange Front mit vier hohen Fenstern saugt den Blick in die Kronen der Riesenbäume, die ganz umsonst die Seele streicheln. Anwälte und Mandanten werden jedes Mal belohnt, wenn sie diesen Raum betreten. Immerhin ein positiver Einstieg in sehr ernste Gespräche.

Alles in der Kanzlei ist bewusst gestaltet und ausgewählt. Maxi hat diese Gabe des Arrangierens, sie setzt sie gerne und kostenlos ein. Sie hat viele kreative Seiten, die von ihrem Geschäftspartner durchaus geschätzt werden.

Man ergänzt sich so gut wie möglich, auch wenn es zu unüberwindbaren Verwerfungen führt.

Maximiliane agiert in ihren anwaltlichen Aktivitäten auch nach dem Prinzip der Perfektion, die allerdings darin beruht, jeden Fall zur größtmöglichen Zufriedenheit der Beteiligten zu lösen. Das bedeutet perfekt im Sinne des Mandanten und heißt auch nicht selten, keine Klage zu erheben, brauchbare Vergleiche zu schließen, oder für den Klienten, persönliche Nachteile zu akzeptieren.

Das heißt aber auch, auf mögliche Honorare zu verzichten.

Für Maxi eine Selbstverständlichkeit, ja sogar der unverzichtbare Schlüssel für Zufriedenheit und Wohlbefinden. Sie verdient genug und kann sich leisten, ihren Stil im Umgang mit den Klienten fair zu gestalten.

Der Blick in die Baumkronen bestätigt ihr täglich, dass sie es richtig macht. Ihre Devise lautet, leben und leben lassen! Ihr Kanzlei-Partner erntet allerdings mehr Honorare unter dem Strich, was zu Spannungen führt.

Die Vereinbarung, Einnahmen und Ausgaben zu teilen, ist die Wurzel des Übels. Ihre Zusammenarbeit bringt allerdings Vorteile, die schwer wiegen. Die Klientenfreundlichkeit von Maxi ist eine gute Referenz, die viele neue Kunden bringt. Während der bedingungslose Kampfwille ihres Kollegen für Aufsehen in der Öffentlichkeit sorgt. Durchsetzungswille und Kundenfreundlichkeit sind eine gute Mischung. Die Kanzlei steht in der öffentlichen Wahrnehmung gut da.

Eine Tatsache, die Maxis Partner immer wieder nachsichtig und gnädig stimmt, ihr aber des öfteren ein Dorn im Auge ist.

Es mangelt ihr nicht an Selbstbewusstsein, die Abhängigkeit von seiner Gnade stört Maxi mehr und mehr.

Ihr Partner, Rüdiger Heerfurth, ist ein exzellenter Anwalt. Ein Einser-Absolvent des Staatsexamens, in jeder Hinsicht ein Gewinner, aber leider auch extrem geldgierig. Zu seiner Erfolgsstrategie gehört auch das Erzielen von Spitzenumsätzen. Jede Klage bringt Honorar, ob gewonnen oder verloren.

Es ist übrigens ganz einfach, man gebe sich vor dem Mandanten kompetent und durchsetzungsstark. Man zeigt für ihn vollstes Verständnis und gibt ihm das Gefühl, Recht zu haben und ihm dabei behilflich zu sein, Recht zu bekommen. Schon wird eine Klage gestrickt und eingereicht.

Verspricht ein Fall, öffentlichkeitsrelevant zu sein, wird er besonders sorgfältig aufgeblasen.

Wie durch Zauberei entsteht über die Presse die Erkenntnis: „Schon wieder die Kanzlei Heerfurth/Wunder, die Erfolgskanzlei, sie werden gewinnen.“

Natürlich besitzt Rüdiger einen untrüglichen Sensor für Fälle, die leicht gewonnen werden können. So positioniert er sich in der Öffentlichkeit immer erfolgreich.

Sagt ihm sein Gespür, die Sache ist weniger rühmlich, hält er den Fall eher klein, kassiert aber genauso das Honorar.

Dieser Erfolgstripp des Rüdiger Heerfurth gehört zu seinem Kampf in der ersten Reihe. Ein Spiel von Advokaten, das nicht von allen beherrscht wird. Allerdings auch nicht von allen gespielt werden will.

Maximiliane hat sich auf die zunächst vielversprechende Partnerschaft eingelassen. Sie bereut es nicht wirklich, hat jedoch oft ein ungutes Gefühl. Es ist nicht alles stimmig in ihrem Berufsleben.

Das Kanzleifest käme genau richtig, um die Atmosphäre zu entspannen. Namhafte Kollegen aus der Szene kommen gerne, man zeigt sich, wenn man dazugehört und nicht zuletzt lernt man auch geldige Mandanten kennen. Ein Umstand, der von Rüdiger kritisch betrachtet wird, könnten doch Mandanten abgeworben werden. Doch er fügt sich bereitwillig, stärkt es doch sein Ansehen als wichtige Persönlichkeit.

Die Partnerschaft mit Rüdiger ist für Maxi eine Gratwanderung, die sie immer mehr in Frage stellt.

Darüber muss sie nicht entscheiden, sie lässt es laufen, so lange es für sie stimmig ist, eine Veränderung wäre allerdings denkbar. Rüdiger macht sich in dieser Hinsicht keine Gedanken. Jeder ist mit seinen Mandanten beschäftigt und froh, den Rücken frei zu haben.

Doch die heraufziehende Corona-Krise stoppt die gesellschaftlichen Aktivitäten komplett. Mit Mandanten trifft man sich zunächst noch in der Kanzlei, wenn auch ohne Handschlag und mit Sicherheitsabstand. Tag für Tag verschärft sich die Situation, man wird vorsichtiger, die Hilfesuchenden möchten nicht mehr persönlich vorstellig werden.

Ohne PC wäre man auf den Briefverkehr zurückgeworfen, aber auch mit Videokonferenzen, Email-Kontakt und Telefonaten verändert sich die Lage drastisch. Die Gerichte reduzieren ihre Verhandlungstermine, oder streichen unwichtige Streitsachen, um sie auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Der persönliche Kontakt der Kanzleimitarbeiter wird auf das Nötigste reduziert. Die Angestellten gehen in Teilzeit, man richtet es sich so ein, dass immer nur eine Mitarbeiterin für Büroaufgaben in den Räumen anwesend ist.

Rüdiger wäre nicht Rüdiger, hätte er nicht eine Idee, die sich anbahnende Pandemie zu seinem Vorteil zu nutzen. Er ist stolzer Besitzer eines Zweitwohnsitzes auf Barbados. Für ein ganzes Anwesen am Strand hat es nicht gereicht, aber ein Appartement in einer noblen Wohnanlage ist sein Eigen. Dank guter Kontakte und der Ortszugehörigkeit auf Barbados, gelingt es ihm, einen der letzten Flüge zu ergattern. Seine Familie wird einige Tage später nachkommen. Mit seiner Frau und den drei Kindern wird er die Krisenzeit nun elegant in der Karibik aussitzen. Ein cleverer Schachzug, denkt Rüdiger zumindest, die Lage würde sich in einigen Tagen entspannen.

Ohne Vorplanung geht so eine Auszeit natürlich nicht für einen Erfolgsanwalt. Rüdiger Heerfurth hatte zunächst nur einen zweiwöchigen Osterurlaub auf Barbados geplant.

Einige Termine konnte er auf Maxi abwälzen, oder einfach verschieben, schon öffnete sich ein Zeitfenster für eine dritte Woche.

Er schickt eine Sprachnachricht vom Strand aus:

„Bin dann mal weg! Man gebe mir Bescheid, wenn alles wieder normal läuft!“

Ein Foto mit Jetboot hängt er an.

„Wer sollte da jetzt neidisch werden?“, denkt sich Maxi und genießt die Ruhe in der Kanzlei. Nur eine Schreibkraft ist halbtags anwesend, um das verbliebene Geschäft am Laufen zu halten.

Die Corona-Krise rückt immer näher. Restaurants und Geschäfte müssen schließen. Das öffentliche Leben soll so weit wie möglich heruntergefahren werden.

Obwohl sich Maxi die Gedanken an das Kanzleifest längst abgeschminkt hat, sollen nun alle Treffen mit Freunden ausfallen. Das hat schon eine andere Qualität, man muss erfinderisch werden. Digitale Medien überbrücken den ersten Schock, man bleibt per Whats-App in Kontakt.

Minütlich treffen Ratschläge, Witze, Videos zur Lage und Fake News ein. Maxi hat einen Hupton gewählt, der anzeigt, wenn eine Whats-App-Nachricht eintrifft. Sie lässt es hupen. Gelegentlich sichtet sie die Nachrichten, die Situation stimmt sanftmütig. Sie entwickelt Verständnis für die verunsicherten Freunde, die alles weiterleiten, was sie bekommen können.

Unter den digitalen Freundschaften macht sich Unruhe breit. Man sucht die Gemeinschaft.

Maxi reiht sich ein in den Post-Reigen, sie leitet interessante Nachrichten auch weiter. Die Situation hat sich verändert, eine neue Zeit scheint angebrochen.

Sie arbeitet an kniffeligen Fällen, eine Sorgerechtsklage und einen Scheidungsfall. Beides braucht Zeit und Umsicht, die Situation ist günstig, Maxi sieht hier einen Vorteil für ihre Arbeit. An die finanziellen Folgen denkt sie vorerst nicht.

Doch die Gerichte am Ort stellen ihre Arbeit total ein, der Schleier des Stillstands legt sich über alles zwischenmenschliche Leben, lediglich die Whats-App-Hupe ist eifrig am Werkeln.

Die Menschen sind verunsichert. Die Nachrichten überschlagen sich stündlich. Es werden die Zahlen von Infizierten, ja sogar der Toten gemeldet. Diese Krankheit überzieht den ganzen Planeten. Maximiliane erkennt, daß sie eine globale Katastrophe erlebt. Sie muss sich mit dieser Tatsache arrangieren. Das Heil erkennt sie in der Selbstisolation, was ihr als Anwältin ganz gut gelingt. Sie ist digital perfekt vernetzt, macht sich alleine in der Kanzlei an die Arbeit und beginnt mit Telefonaten.

Die Mandantin mit dem Sorgerechtsproblem sieht die Dinge nun ganz anders, sie bekommt Angst vor der Zukunft und möchte die Klage gerne aufschieben.

Nichts ist mehr wie früher, das Virus zwingt zum Innehalten und Nachdenken.

Flexibel, wie sie ist, stellt Maxi die Anrufe in ihre Wohnung durch. Die Anwesenheit in den Kanzleiräumen ist nicht notwendig. Sie verabschiedet sich von den Parkbäumen, die sich für den Frühlingsaustrieb vorbereiten und ihre Knospen anschwellen lassen. Eigentlich ein beruhigend zuversichtliches Bild, denkt Maxi und schließt die Räume ab. Den Angestellten hat sie frei gegeben.

Es gilt, sich Gedanken über Vorräte und Einkäufe zu machen, um die nächsten Tage, ja vielleicht Wochen wenig unterwegs zu sein. Sie ist daheim in einem gemütlichen Häuschen mit eingewachsenem Naturgarten. Von ihrem Schreibtisch aus sieht sie ins Grüne, sie macht die Türen zum Garten auf und hört die Vögel singen, viel klarer als sonst. Die Nebengeräusche sind verstummt, die Zufahrtsstraße ist menschen- und autoleer. Der Himmel ist blauer, die Kondensstreifen fehlen, die Luft scheint sauberer. Maxi spürt ein Glücksgefühl in sich aufsteigen und überlegt, wie sie es in Einklang bringen kann mit der Ernsthaftigkeit der Situation.

Sie fährt ihren PC hoch und gibt - Corona auf Barbados - in die Suchmaschine ein. Es interessiert sie doch, wie vorteilhaft Rüdigers Flucht wirklich ist.

Die Auskunft ist spärlich, sie erfährt von Ausgangsbeschränkungen und 310 gemeldeten Infizierten. Es könnte somit sein, dass Strandtage für ihren Kanzleipartner gestrichen sind. Er lässt ohnehin nichts mehr hören. Das sollte nicht ihre Sorge sein.

Viele Mandanten haben einen Beratungsbedarf, in Bezug auf Überbrückungsgelder, die sie vom Staat beantragen können. Maxi erarbeitet ein Rundmail mit den häufigsten Informationen und hilft, wo sie nur kann.

Die Corona-Krise entwickelt sich zu einer Katastrophe. Sie muss den Lauf der Dinge abwarten, ihre eigenen Anträge auf Kurzarbeitergeld für ihre Angestellten einreichen und zuhause bleiben.

Ihre treue Zugehfrau bleibt auch lieber daheim, Maxi macht sich an die Hausarbeit. Längst notwendige Stöberarbeiten bieten sich an. Sie lässt sich gerne ablenken und schmökert in Büchern, die sie beim Abstauben wiederentdeckt. So verfliegen die Stunden, sie ist recht zufrieden mit der veränderten Zeiteinteilung. Zunächst jedenfalls, über die wirtschaftlichen Folgen macht sie sich immer noch keine Sorgen, obwohl ihr bewusst ist, was da auf sie zukommt. Aber vielleicht wird es noch viel schlimmer!

Sie kann gar nichts dagegen tun und kommt über die Schublade mit den Fotoalben, welche sie seit vielen Jahren nicht mehr in der Hand hatte. Das Wetter ist traumhaft schön, die Terrasse lädt zum Genießen ein. Maxi macht sich einen Kaffee und vertieft sich in die Bilder aus ihrer Kindheit.

Alte Mühle Hunderdorf, Heimat des Mülhlhiasl

Im Wald daheim