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Originalausgabe

4. Auflage 2021

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

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80799 München

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Fax: 089 652096


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Redaktion: Dr. Ulrich Korn

Umschlaggestaltung: Karina Braun

Umschlagabbildung: Imago Images

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern


ISBN Print 978-3-7423-1377-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1072-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1073-3


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Inhalt

Stimmen zum Autor

Vorwort: Bayern-Reporter aus Leidenschaft

Prolog: Wiedersehen mit Schweinsteiger


1 Der »Chefchen-Skandal«

2 Aufwärmen

3 Scampi-Affäre und Wutanfälle von Uli Hoeneß

4 Rummenigges Rat: »Seien Sie härter!«

5 Generation Lahmsteiger legt los

6 Weißbier-Waldi und Rotweinwette mit Hoeneß

7 Sepp Maiers Kameratrick, Schweinsteiger büxt aus

8 Verfolgungsjagd mit José Mourinho

9 »Hallo, ich bin Lukas Podolski«

10 Wettskandal: Bruch mit Schweinsteiger

11 Ballack gegen Klinsmann

12 Meine Rolle beim teuersten Ligatransfer

13 Exklusiv dank Luca Toni und Franck Ribéry

14 Quellenschutz und EM-Klauseln

15 Vertragsenthüllungen vor »Football Leaks«

16 Scharfe Zeiten mit Louis van Gaal, tierische mit Jogi Löw

17 Auf ein paar Whisky-Cola im Ghana-Quartier

18 Es müllert wieder bei Bayern

19 Der Schweinsteiger-Zoff, den ich nicht schrieb

20 Maulwurfsjagd bei der EM

21 Triple-Versöhnung mit Heynckes, Zoff mit Robben »Aleinikow«

22 Traumfußball und Missverständnisse unter Guardiola

23 Eine filmreife WM (und meine Nebenrolle darin durch Poldis Poolwurf)

24 Nachspielzeit


Epilog: Bastian, der Kollege

Dank: You’ll never walk alone

Stimmen zum Autor

»Seit meinem ersten Profitraining begleitete Christian Falk meine Karriere als Journalist. Und ja, wir waren öfter unterschiedlicher Meinung. Aber das gehört auch mal zur bayerischen Streitkultur.«

– Bastian Schweinsteiger

»Christian Falk ist ein Vollblutreporter, ich schätze seine Professionalität und seine Liebe zum Fußball.«

– Philipp Lahm

»Falki und ich hatten immer einen guten und professionellen Austausch. Wir kennen uns seit über 16 Jahren, da kommt es natürlich mal vor, dass es unterschiedliche Meinungen über die Berichterstattung gibt. Das gehört zum Geschäft. So wie auch der ein oder andere Spaß wie mein Poolwurf mit ihm mal drin sein muss.«

– Lukas Podolski

»Christian ist mir aus meiner Zeit als Bayern-Trainer in bester Erinnerung. Ich lernte ihn als wissbegierigen jungen Reporter kennen und schätzen, weil er mein Vertrauen nie für eine Schlagzeile missbraucht hat und er sehr anspruchsvolle und fundierte Fragen stellte. Wir hatten einen ehrlichen Umgang zusammen entwickelt!«

– Ottmar Hitzfeld

»Christian ist ein symphatischer Typ, wir hatten vom ersten Tag an einen super Umgang und Kontakt miteinander. Er war jederzeit erreichbar, wenn ich etwas gebraucht habe. Es war eine gute Zeit mit ihm in München. Und vor allem: Er war nie sauer, wenn ich ihn mal mit einem Scherz reingelegt habe – auch das ist eine wichtige Qualität.«

– Franck Ribéry

»Kennengelernt habe ich Christian erst nach meiner aktiven Laufbahn, als wir praktisch Kollegen waren. Wie einst mit Andi Brehme auf dem Platz habe ich mich mit ihm auf journalistischem Terrain von Anfang an blind verstanden. Ob als mein Ghostwriter bei meinen Kolumnen oder Statements – er bringt meine Meinung auf den Punkt, sodass ich mich darin wiederfinde.«

– Lothar Matthäus

»Beziehungen zwischen Trainern und Journalisten sind schon vom Grundsatz her schwierig, erst recht als Bayern-Trainer. Mit Christian Falk gab es keine Phase, in der er mir Grund gab, nicht mehr mit ihm zu reden. Das heißt dann bei mir schon einiges.«

– Felix Magath

»Verschwiegenheit und Vertrauen prägt unsere Beziehung seit über einem Jahrzehnt. Außerdem hat Christian ›Falcao‹ einen wunderbaren Musikgeschmack!

Er weiß, dass für mich am Ende der beruflichen Nahrungskette nichtrecherchierende Onlineredakteure stehen, zu jenen gehört er NICHT.

Gut, vom Fußball könnte er mehr Ahnung haben … (war ein Witz!). Mein Rat an ihn: Bleib so, wie ich bin, und wenn ich er wäre, wäre ich doch lieber ich.«

– Mehmet Scholl

Vorwort: Bayern-Reporter aus Leidenschaft

Ich bin Journalist. Ich bin Fußballreporter. Ich bin, was den FC Bayern betrifft: ein Insider. Mein Handy ist ein ganz besonderes Bundesligatelefonbuch: Spieler, Trainer, Klubchefs, Berater – jede Nummer der Fußballwelt, die für mich wichtig ist, steht da drin. Ich bin Sportreporter und Boulevardjournalist aus Leidenschaft. Für unsere Geschichten gehen wir so nah wie möglich ran an die Protagonisten, gern bis an die Grenzen. Aber unter uns: Was soll bitte schön daran falsch sein, solange sie nicht überschritten werden? Für mich beginnen an diesem Punkt sogar erst die wirklich guten Storys!

Seit rund 20 Jahren schreibe ich über den FC Bayern und die Nationalmannschaft. Dabei versuche ich den Fußballern möglichst nahezukommen. Ich weiß, wie es ist, von Uli Hoeneß angebrüllt zu werden. Ich kenne das klebrige Gefühl, wenn ein Bayernstar dir eine Weißbierdusche verpasst. Oder mir Franck Ribéry vom Dach einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet. Ich habe mit Jogi Löw Espresso getrunken, mit Felix Magath Tee und mit Louis van Gaal Rotwein. Ich habe an der Playstation gegen Bastian Schweinsteiger in »Fifa« verloren, beim Schafkopfen gegen Thomas Müller gewonnen. Und ich habe gelernt, dass ich chancenlos bin, wenn mich ein durchtrainierter Profi wie Lukas Podolski in den Pool werfen will (und es auch tat). Der Anspruch eines Insiders endet nicht damit, lediglich – am besten exklusiv – mit den Stars zu reden. Noch lieber wollen wir ihre Geheimnisse enthüllen, die sie von sich aus nicht freiwillig erzählen.

Mein Einstieg in den Sportjournalismus fiel mit den Ausläufern des deutschen Rumpelfußballs um die Jahrtausendwende zusammen. Die zukünftige goldene Generation um Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger machte sich gerade bereit, eine neue Ära einzuleiten. Es ist die Generation »Lahmsteiger«, von der der FC Bayern profitieren wird. Wie auch ich. Beide Bayern-Spieler lerne ich kennen, bevor sie ihren ersten Profivertrag unterschreiben. Ich darf den Aufstieg ihrer Generation von Anfang an begleiten. Bei all ihren Meisterschaften und Pokalsiegen bis hin zum Champions-League-Triumph 2013 und dem Weltmeistertitel 2014 war ich hautnah dabei.

Ein Spieler-Reporter-Verhältnis ist vielschichtig und wie jede andere Beziehung auch alles andere als einfach. Es ist ein Drahtseilakt. Du darfst trotz der erwünschten Nähe nie die journalistische Distanz verlieren.

Es gibt dabei zwei Königsdisziplinen im Sportjournalismus. Über allem stehen die Breaking News. Das Ziel ist, die Exklusivnachricht zu vermelden, bevor es Klub oder Spieler verkünden können oder wollen. Im Zeitalter des Internets ist allerdings selbst die allerbeste Nachricht schnell versendet und so oft kopiert, dass bald schon niemand mehr genau weiß, wo sie eigentlich herkam. Umso mehr liebe ich die zweite Form der exklusiven Berichterstattung: den Blick durchs Schlüsselloch.

Unter den Kickern gilt das ungeschriebene Gesetz: Was in der Kabine geschieht, ist heilig. Die Geschichten, die hinter dieser Tür passieren, sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Genau da setzt die Arbeit eines Boulevardreporters an, sie sorgt für Spannungen und auch mal für Ärger zwischen Reporter und Profi. Ich will den Leserinnen und Lesern dieses Buchs einen Einblick durchs Schlüsselloch in die Fußballerwelt geben, die für Journalisten wie Fans verschlossen bleiben soll.

Nicht umsonst heißt es in den Liedzeilen der Klubhymne Stern des Südens des FC Bayern: »Wo wird klar schon angegriffen, wo wird täglich spioniert? Wo ist Presse, wo ist Rummel, wo wird immer diskutiert?« Das Spionieren gehört genauso zu meinem Geschäft wie die taktische Analyse. Ich habe Verträge veröffentlicht, bevor das durch Football-Leaks nahezu gesellschaftsfähig wurde. Ich habe Transfers enthüllt, die eigentlich noch geheim bleiben sollten. Den spannendsten Einblick liefern für mich dennoch die Enthüllungen der Kabinengeheimnisse. Hier zeigt sich der Fußball, wie er ist. Zwischen Bundesliga und Kreisklasse gibt es in diesem abgeschlossenen Raum keinen Unterschied. Wenn die Tür der Umkleide zufällt, die Spieler sich ohne Kameras und Mikrofone unbeobachtet wähnen, sind alle Fußballer gleich. Warum wir Reporter dennoch etwas erfahren? Das ist wiederum unser Geheimnis. Erstmals möchte ich einen Schlüssellocheinblick in das Leben eines Boulevardsportreporters geben.

Prolog: Wiedersehen mit Schweinsteiger

Mai 2019: Das DFB-Pokalfinale verfolge ich im Live-Ticker auf meinem Handy, obwohl das in der Warteschlange der Passkontrolle strengstens untersagt ist. Eigentlich sollte ich jetzt im Berliner Olympiastadion bei der Partie des FC Bayern gegen RB Leipzig sitzen. Statt über mein insgesamt 14. Endspiel in Berlin zu berichten, bin ich am Morgen von Tegel über Frankfurt nach Chicago geflogen. Nach einem neunstündigen Langstreckenflug und einer Stunde in der Warteschlange blicke ich am O’Hare International Airport in das finstere Gesicht eines weiblichen Officers. Ich bin übermüdet und angespannt. Der APC-Automat hat meine Einreisekarte zuvor mit einem großen X durchgestrichen. Eine kurze Google-Recherche klärte mich beim Anstehen über dessen Bedeutung mit dem beunruhigenden Hinweis auf: »Irgendetwas stimmt nicht.« Der Officer bei der Kontrolle fragt nun: »Wie lange bleiben Sie?« Als ich antworte, dass ich am Montag, also bereits zwei Tage später, wieder nach Deutschland abzureisen gedenke, hebt sie skeptisch die Augenbraue. »Was machen Sie in den USA?« Jetzt wird’s knifflig. Ich kenne dieses Prozedere schon aus anderen Ländern. Sage ich nun, dass ich Reporter und für ein Interview eingeflogen bin, fällt das unter Geschäftsreise. Bei Journalisten kann das schnell zu zusätzlichen Kontrollen und noch mehr Fragen führen. Ich entscheide mich daher dafür, Tourist zu sein, und antworte: »Ich besuche einen alten Freund.« Ganz ohne Zögern kommt mir das nicht über die Lippen, denn die Beschreibung ist doch ein wenig übertrieben. Der Officer bemerkt das, hakt nach: »Woher kennen Sie Ihren Freund?« Trotz meiner Anspannung muss ich jetzt lächeln, denn die Antwort könnte nicht richtiger sein: »Vom Fußball.« Mein selbstsicherer Gesichtsausdruck scheint die Dame zu überzeugen. Ich male mir ihre Gedanken aus: Wer wegen eines alten Freundes einer Randsportart (aus ihrer Sicht) wie »Soccer« für zwei Tage aus Deutschland in die USA reist, kann nur harmlos sein. Selbst wenn ich ihr den Namen meines alten Bekannten hätte nennen müssen, wäre ihr daran sicher nichts Außergewöhnliches aufgefallen. In Deutschland mag unser Weltmeister berühmt sein, in den USA sagt der Name Bastian Schweinsteiger den wenigsten etwas.

Über acht Jahre nach der Chefchen-Affäre habe ich wieder meinen ersten Termin mit Schweinsteiger.

Ich bin zugegebenerweise ein wenig nervös. Mit Bastian selbst hatte ich bisher noch keinen Kontakt; den Termin hat sein Management organisiert. Unsere gemeinsame Vorgeschichte ist natürlich auch seinen Beratern kein Geheimnis. Die Zusage von Bastian ist bestätigt worden. Ich hatte seinen Wink beim Abschiedsspiel als Friedenszweig also richtig interpretiert. Dass es nun wirklich zu diesem Interview kommt, kann ich immer noch nicht so richtig fassen. Ich habe einen ganzen Katalog mit Fragen für ihn in meinem Handgepäck, dennoch beschäftigen mich gerade andere: Wie wird unsere erste Begegnung sein? Reserviert, skeptisch oder vielleicht sogar herzlich? Siezt Basti mich wie bei unserem letzten Telefonat vor sieben Jahren, oder sind wir wieder per Du, wie bei seiner Pressekonferenz zuletzt in München? Auf die Antworten muss ich mich noch einen Tag gedulden. Aufgrund meiner sich verzögernden Einreise werde ich es nicht mehr zum Anpfiff des Spiels Chicago Fire gegen New York City schaffen, bei dem Bastian gleich auf dem Rasen stehen wird. Für meinen Besuch ist das nicht weiter wichtig. Das Interview wird erst am nächsten Tag stattfinden, das Ergebnis der Partie keine Rolle spielen. Dennoch hätte ich Schweinsteiger schon heute gerne in Aktion gesehen. So bleibt mir aber Zeit für einen Location-Check.

Den Hancock Tower finde ich als Wahrzeichen Chicagos als Ort unseres Treffens passend. Für das Interview habe ich eine Reservierung im »Signature Room«, einem hochpreisigen Restaurant im 95. Stock. Das Fotoshooting plane ich im »Observation Deck«, das sich ein Stockwerk darunter befindet und von dem aus man einen 360-Grad-Blick auf die Skyline von Chicago hat; eine bessere Aussicht gibt es nicht. Vor Ort stelle ich jedoch fest, dass dies eine schlechte Wahl ist. Obwohl nur eine Etage voneinander getrennt, haben beide Locations verschiedene Eingänge im Erdgeschoss. Jeweils 1000 Fuß rauf und runter ist selbst per Lift nicht nur nervig, sondern kostet wertvolle Zeit. Zudem sind im »Signature Room« keine professionellen Fotos erlaubt, während wir unser Gespräch führen, und beim »Observation Deck« müssten wir trotz Expresspass anstehen. Es ergibt einfach keinen Sinn, ich storniere den Tisch. Jetzt heißt es, schnell eine Alternative finden. Innerhalb der nächsten zwei Stunden fahre ich die meistempfohlenen Rooftop-Bars Chicagos ab, bis ich drei in der engeren Auswahl habe. Der Trump Tower böte für die Fotos mit seinem Terrassenrestaurant im 16. Stock die vielfältigste Kulisse, auch ein Stück des Michigansees sieht man von dort aus. Ein Treffen in diesem Tower könnte aber als politisches Statement gedeutet werden, was weder Basti noch mir wirklich recht sein kann. Das »Cindy’s« liegt zwar nur auf Etage 13 im historischen »Chicago Athletic Association Hotel«, bietet aber den Ausblick auf den Millennium Park sowie auf die breite Bucht des Lake Michigan. Ich entscheide mich jedoch für das »Virgin Hotel«. Dessen »Cerise«-Rooftop-Bar befindet sich im 26. Stock und ist sehr cool; die historischen wie modernen Skyscraper drum herum wirken von dort aus zum Greifen nah. Während auf dem Dach ein DJ für die richtige Stimmung beim Shooting sorgt, sollten Basti und ich im Hotelrestaurant »Commons Club« über der Lobby die nötige Ruhe für unser Interview haben.

Eine Stunde vor dem Termin bin ich am nächsten Tag im »Virgin Hotel«, checke als Erstes noch mal die Plätze für das Fotoshooting und das Interview. Dann heißt es: Warten auf Basti. Mike, mein Fotograf, den wir in den USA gebucht haben, ist bereits da. »Schweinsteiger ist Deutscher, er wird also pünktlich sein«, versichere ich dem amerikanischen Kollegen und untertreibe dabei noch. Wir sind gerade im Gespräch, als sich die Drehtür fünf Minuten vor 18 Uhr in Bewegung setzt. Ich erkenne bereits Bastis inzwischen graue Haare. Wenige Sekunden später stehen wir uns gegenüber. Kein Zögern, kein Abtasten, Schweinsteiger reicht mir sofort die Hand, begrüßt mich wie einen alten Vertrauten: »Danke, dass du extra den Flug hierher in Kauf genommen hast. Ist ja nicht gerade um die Ecke.« Ich erwidere: »Danke, dass du mich hier empfängst.«

Wir steigen in den Fahrstuhl zum 26. Stock. Als die Tür aufgeht, dröhnen uns lautstark die Beats entgegen. Offenbar ist inzwischen Party angesagt. Basti lacht: »Das ist ja wie im Eiskeller!« Dass er unsere ehemalige Disco aus gemeinsamen alten Chiemgauer Zeiten erwähnt, in der wir zusammen schon seinen Geburtstag gefeiert haben, ist für mich das endgültige Signal: Der einstige Ärger zwischen uns ist abgehakt. Hatte ich Schweinsteiger bei der Einreise noch mit etwas schlechtem Gewissen als alten Freund angegeben, fühlt es sich inzwischen tatsächlich ein wenig danach an. Dann setzen wir uns fürs Interview an den Tisch. Mein erster Eindruck: Es ist wie Plaudern unter langjährigen Weggefährten. Und das sind wir ja eigentlich auch.

Wir sprechen über das aktuelle Hochwasser am Chiemsee, über das Schweinsteiger in Chicago auffallend gut informiert ist. Er hat sein Elektroboot noch dort, wie sich herausstellt. Auch über unsere Kinder tauschen wir Erfahrungen als Jungväter aus und wie es für uns beide war, auf dem Land aufzuwachsen. Ich erzähle ihm, dass mein Sohn neulich bei Bastis Heimat-Klub, dem FV Oberaudorf, gespielt hat und ich dort erstmals zu Gast war. Wir lachen darüber, wie kitschig die Kulisse für Touristen wirken muss, mit dem Fußballfeld direkt vor den Bergen und der Bimmelbahn, die daran vorbeifährt. »Das ist die Strecke nach Kiefersfelden«, klärt mich Basti über die Bayerische Oberlandbahn auf. Dann beschreibt er mir, da ich den Ort ja nun kenne, wo genau er zu kicken begonnen hat. Eine halbe Stunde ist bereits vorbei, bis wir merken, dass wir langsam mit dem eigentlichen Interview beginnen sollten. Schließlich war inklusive Fotoshooting nur eine Stunde ausgemacht. Ich merke, dass auch Basti Spaß an unserem Wiedersehen gefunden hat. Nur einmal greift er zum Handy. »Musst du zu Hause deine Verspätung erklären?«, frage ich ihn. Basti meint, keine Sorge, er habe Zeit. Seine Frau Ana sei gerade in Europa; er verlängere mit dem Smartphone nur gerade sein Parkticket.

Der Abend vergeht wie ein Kurzstreckenflug. Meine Aufzeichnungs-App zeigt mir an, dass wir für das Interview selbst noch mal 1,34 Stunden zusammensaßen. Ich bestelle die Rechnung. Basti hatte zwei Cranberry-Schorlen, ich zwei Bier, weshalb ich in den Rest Room muss, bevor die Kellnerin mit meinem Kreditkartenbeleg zurückkommt. »Unterschreib gerne du«, rufe ich Basti noch zu. Auf der Toilette wird mir klar, dass ich nicht nur die Zeit vergessen habe, sondern auch ein mir persönlich wichtiges Anliegen.

Zurück am Platz, greife ich nach dem Umschlag, den ich anfangs unter den Tisch gelegt hatte. »Basti, ich habe noch etwas mitgebracht, da ich mir nicht sicher bin, ob du das damals gelesen hast«, eröffne ich ihm. Es ist ein Ausdruck auf einer DIN-A4-Seite. Den Kommentar darauf hatte ich vor fünf Jahren veröffentlicht, genauer gesagt, am 16. Juli 2014 auf Seite 44 in Sport Bild, und zwar anlässlich des WM-Siegs der deutschen Nationalmannschaft mit Schweinsteiger in Rio. Bastis Blick fällt als Erstes die Überschrift auf: »Sorry für das Chefchen«. Er schmunzelt, wirft mir dabei einen bedeutsamen Blick zu: »Nein, den Artikel kenne ich nicht«, lässt er mich wissen, wirkt dabei etwas nachdenklich. Danach beginnt er Zeile für Zeile bedächtig zu lesen. Er murmelt dazu immer wieder ein paar Worte des Inhalts, ich höre »Chiemgau« und »Finale dahoam« heraus. Bei den letzten Zeilen hält er kurz inne. Sie lauteten: »Nun hält Schweinsteiger auch noch den WM-Pokal in den Händen. Sorry, Bastian, ich entschuldige mich. Du gehst als Chef in die DFB-Geschichte ein.« Kurz denke ich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen sein könnte, das alte Thema noch einmal aufzuwärmen. Da blickt Basti aber auch schon auf, streckt mir über den Tisch seine Hand entgegen und sagt mit breitem Lächeln nur ein Wort: »Angenommen.«

 1  Der »Chefchen-Skandal«

Januar 2011: Trainer Louis van Gaal hat seinen einstigen Aggressiv-Leader und Landsmann Mark van Bommel nach der Winterpause zum Teufel gejagt, der in diesem Fall der AC Mailand ist. Philipp Lahm übernimmt die Kapitänsbinde des Holländers, zum Stellvertreter benennt van Gaal Schweinsteiger; eine Entscheidung, die für mich zu diesem Zeitpunkt ein wenig überraschend kommt. In seiner direkten Art hatte mir van Gaal zuvor ganz offen gesagt, dass er Schweinsteiger innerhalb der Mannschaft als introvertiert erlebe. Der Spieler sei viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, komme erst kurz vor dem Mannschaftstreffpunkt und sei nach dem Training schnell wieder raus aus der Kabine. Trotzdem nahm er Schweinsteiger in die Pflicht. Auch wiederum ganz typisch van Gaal. Den Schnitt in der Teamhierarchie spiegelt auch die sportlich unzufriedene Situation im Klub wider. Im Vorjahr gewann der FC Bayern noch das Double, erreichte zudem das Champions-League-Finale in Madrid. Nun läuft es in der Meisterschaft nicht. Der Titelverteidiger schied im März im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Schalke aus, kurz darauf stürzt der Klub in der Liga auf Platz vier ab, was die für den FC Bayern finanziell so wichtige Teilnahme an der Champions League gefährdet. Van Gaal erreicht seine Mannschaft nicht mehr, und seine neuen Kapitäne bekommen sie ebenfalls nicht so schnell in den Griff. Lahm bringt Lahm-typisch zumindest auf dem Rasen wie immer solide seine Leistung, ohne große Formschwankungen. Anders als Schweinsteiger.

Bastian wirkt ein wenig überfordert in der neuen Rolle, will zu viel. Viel mehr als Lahm ist er als zentraler Mittelfeldspieler, zu dem ihn van Gaal geformt hat, für die Struktur und das Tempo des Bayern-Spiels verantwortlich. Er ist der Ballverteiler, das Herz der Mannschaft. Doch dieses Herz schlägt aktuell nicht im Takt. Dabei fehlt es ihm nicht an Einsatz, ganz im Gegenteil: Statt dem Bayern-Spiel eine Linie zu verpassen, reibt sich Schweinsteiger in Zweikämpfen auf. Öffentlich stärkt van Gaal seinen neuen Mittelfeldchef, nachdem er den alten weggeschickt hatte: »Natürlich hatte Mark Einfluss. Aber Bastian Schweinsteiger hat mehr Einfluss auf dem Platz als Mark.«

Ich rufe kurz entschlossen Mark van Bommel, Bastis vorherigen Mittelfeldpartner, in Mailand an. Nach wenigen Klingeltönen nimmt Mark auch schon ab. »Hey, Falcao, wie geht’s?«, begrüßt er mich. Ich komme gleich zur Sache, erkläre ihm die aktuelle Situation in München, die er selbst noch gut genug kennt. Sein Abschied liegt ja nur ein paar Monate zurück. Ich frage ihn, wie er sich die Leistungsschwankungen seines einstigen Kompagnons Schweinsteiger auf der Doppel-Sechs erkläre. Der aktuelle holländische Vizeweltmeister teilt meinen Eindruck, den ich in den vergangenen Spielen bekommen habe: Ohne den erfahrenen Partner an seiner Seite kämpft Schweinsteiger mit seiner neuen Führungsrolle im Mittelfeld. Der Oberbayer war erst im Vorjahr dank van Gaal von der linken Außenbahn ins Zentrum beordert worden. Das Bayern-Spiel vor der Abwehr aufzubauen und plötzlich ohne den erfahrenen Strategen van Bommel zu ordnen überforderte ihn noch. Nach dem Telefonat mit Mark und dem Vorgespräch mit van Gaal setze ich mich an meinen Computer und tippe als Erstes die Überschrift: »Chefchen Schweini«. Harte Worte, deren Wirkung ich in diesem Moment selbst noch nicht absehe.

Der Artikel schreibt sich praktisch von selbst, gerät mir für die Verhältnisse unseres Magazins sehr lang; zu lang nach dem Geschmack der Chefredaktion. Dort teilt man mein hartes sportliches Urteil über Schweinsteiger, doch die drei nötigen Seiten dafür will man mir im Heft nicht freiräumen. So wandert das Stück in den von Redakteuren gefürchteten Stehsatz, was normalerweise heißt, es erscheint nicht in der aktuellen Ausgabe – und wohl auch in keiner späteren. Mit dem Gefühl, für den Papierkorb geschrieben zu haben, gehe ich in meinen lange zuvor beantragten Kurzurlaub. Wenige Tage darauf trifft der FC Bayern eine Entscheidung, die meinen Chefchen-Artikel wieder ins Hauptsystem befördern sollte – und mich zurück aus den Ferien. Nach einem enttäuschenden 1:1 in Nürnberg entlässt der Vorstand am 10. April 2011 Trainer van Gaal.

Früh am Morgen habe ich dementsprechend einige verpasste Anrufe auf dem Handy. Eine Nummer fällt mir sofort ins Auge: die Redaktion der Sport1-Sendung Doppelpass. Normalerweise werden die Gäste für die Sonntagsrunde schon Anfang der Woche angefragt. Eine Trainerentlassung des FC Bayern ändert in einem deutschen Fußball-Talk jedoch alles. Der Sender will mich unbedingt als Bayern-Experten am TV-Stammtisch haben, mein guter Kontakt zu van Gaal ist bekannt. Meine Frau Kerstin ist wenig begeistert, dass unser erster freier Sonntag seit Monaten wieder mal umgeschmissen werden soll, denn: Mein Sohn feiert seinen vierten Geburtstag; seinen ersten habe ich bereits wegen des UEFA-Cup-Viertelfinals 2008 in Getafe, einem Fußballklub wie auch Vorort von Madrid, verpasst. Ich bin überzeugt: Sportreporter sind erst gute Väter, wenn ihre Kinder alt genug sind, um sich für Fußball zu begeistern, und sie ins Stadion mitkommen dürfen (zumindest in meinem Fall). Doch Kerstin kennt mich gut genug, um zu wissen: Wenn sie mich die zwei Stunden entbehrt, bin ich dafür den Rest des Tages im Kopf bei der Sache. Sie stimmt meinem TV-Auftritt zu, immerhin gibt es dafür ein Honorar von 300 Euro, und ich bin rechtzeitig zu Kaffee und Kuchen am Nachmittag zurück. Für ihr Verständnis wird ihr Sport1 später noch Blumen schicken.

Ich bin spät dran für die Sendung, doch die Fahrt zum Flughafen zählt zu meinen Stammstrecken. Ich komme daher pünktlich in die Maske, anders als der hausinterne Experte. »Wo bleibt denn Udo?«, fragt Jörg Wontorra zum wiederholten Male, inzwischen ist der Moderator sichtlich nervös. Die Senderleitung blickt ratlos. Der Flieger mit Doppelpass-Urgestein Udo Lattek aus Köln war längst gelandet, doch von Lattek keine Spur. »Er hat sein Handy aus«, antwortet ein Sport1-Mitarbeiter, als die Tür aufgeht. Lattek spaziert herein, als wäre er gerade mal für fünf Minuten eine rauchen gewesen. »Udo, wir brauchen schnell deine These für den Sendungsauftakt«, stürzt ihm Wontorra mit Moderationskarte und Stift entgegen. »Was sagst du zur Entlassung von van Gaal?« Lattek blickt Wontorra fragend an und erwidert trocken: »Bayern hat van Gaal entlassen?« Seine Überraschung vor der Sendung ändert nichts daran, dass Lattek wenige Minuten später den TV-Zuschauern die Gründe für van Gaals Rauswurf ausgiebig und detailliert erklärt, inklusive Pointen, mit denen er gehörig Publikumslacher einsackt. Ich lausche beeindruckt in die Runde und denke mir: Kategorie Topprofi. Mit diesem Auftritt sicherte sich Udo Lattek endgültig meinen Respekt.

Die Sendung geht aufgrund der aktuellen Ereignisse beim FC Bayern – es wird auch live von der Säbener Straße zugeschaltet – in die Verlängerung. Beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen der Studiogäste zu Klaviermusik im Hotelrestaurant »Charles Lindbergh« – damals noch »Kempinski Airport« – lasse ich mein Handy ausgeschaltet, das während der Übertragung abgestellt sein musste. Ich habe eigentlich frei. Bei der Ausfahrt aus der Tiefgarage schalte ich das Telefon aber doch mal ein. Sobald ich Netz habe, brummt es auch schon mit all den angesammelten SMS-Nachrichten. Kurz darauf klingelt es. Am Apparat ist mein Kollege Raimund: »Die Chefredaktion will aufgrund der Entlassung nun deinen Chefchen-Artikel drucken.« Eine Information, die mich ein wenig stutzig werden lässt. Für diese Nachricht hätte mich Raimund nicht extra anrufen müssen. Der Haken sollte nicht lange auf sich warten lassen. »Sie wollen möglichst viele kleine Geschichten zu den entscheidenden Personen rund um die Van-Gaal-Entlassung«, leitet Raimund den unerfreulichen Grund seines Anrufs ein. »Sie bitten, deine Geschichte daher auf 30 Zeilen zu kürzen.« Hatte ich da gerade richtig gehört? 30 Zeilen? Das Original hatte immerhin gute 160 Zeilen. Autoren sind immer schwierig, wenn es darum geht, ihre Artikel zu schrumpfen. Aber von 160 auf 30? Das tut einem Schreiberherz weh. Den Artikel hatten meine Chefs sicher nicht mehr komplett im Kopf, aber die Überschrift hatte sie offenbar gepackt: »Chefchen Schweini« – knackiger konnte ein angeblicher Mitschuldiger des Van-Gaal-Versagens nicht gebrandmarkt werden. »Entweder wir drucken das Ding ganz oder gar nicht«, raunze ich in die Freisprechanlage, was mir gleich darauf schon wieder ein bisschen leidtut. Schließlich kann Raimund ja nichts dafür, und gegenüber meinem Chefredakteur Matthias Brügelmann hätte ich es bestimmt nicht so hart formuliert. Etwas versöhnlicher schlage ich vor, die Chefredaktion solle sich doch bitte die Geschichte noch einmal in voller Länge durchlesen. Matthias Brügelmann tat es – und druckte daraufhin die komplette Story. Dafür, dass er meinem Text noch mal eine Chance gegeben hatte, war ich ihm dankbar. Ich ahnte ja noch nicht, welche Folgen damit auf mich zukommen würden. So erschien am Mittwoch darauf »Chefchen Schweini – Neuer Vertrag, altes Problem: Er taucht zu oft ab«. Danach passierte erst einmal: gar nichts.

Nach dieser Generalabrechnung war mir klar: Bei Schweinsteigers nächster Pressekonferenz (PK) musste ich anwesend sein. Verstecken gilt nicht! Immer offenes Visier! Ich nehme mir jedoch vor, keine Frage zu stellen, um Bastian nicht unnötig zu provozieren. Der Artikel war an sich schon Provokation genug. Als die Anmeldung für die Journalistenrunde mit Schweinsteiger kommt, sage ich per Fax sofort zu. Es gibt nur ein Problem: Ein vorab vereinbarter Brunch mit Oliver Kahn steht für den Vormittag in meinem Terminkalender. Theoretisch bleiben mir dafür zwar fast zwei Stunden Zeit bis zum Beginn der Schweinsteiger-PK. Doch ich weiß auch: Oliver Kahn kann sich schon mal verspäten.

Oliver und ich sind verabredet in der »Bar Italia«, einem bei vielen Bayern-Profis beliebten italienischen Restaurant, da es auf ihrer Heimroute vom Trainingsgelände nach Grünwald liegt. Vor allem die FCB-Südamerikaner trifft man hier regelmäßig an – aber auch Oliver Kahn, der in Fußnähe wohnt. Pünktlich sitze ich vor meinem Espresso. Kahn ist noch nicht da. Nach einer halben Anstandsstunde schreibe ich ihm die erste SMS. Keine Reaktion. Langsam werde ich unruhig, schließlich will ich mich Schweinsteiger stellen. Ich gebe Oliver noch mal zehn Minuten. Danach rufe ich ihn an, erst auf seinem Mobiltelefon, dann übers Festnetz. »Kahn«, meldet sich Olli mit seinem typisch lang gezogenen »a«. Er habe gerade an etwas geschrieben und darüber die Zeit vergessen, entschuldigt er sich. Wieso ich nicht früher angerufen hätte, fragt er. Er lacht dazu, weil er genau weiß, dass ich mich nicht getraut habe. Er versichert, dass er gleich runterkomme.

Kahn ist nicht nur ein toller Erzähler, sondern bringt seine Geschichten stets auf den Punkt. Er kann Sätze druckreif formulieren, was das Abtippen seiner Interviews enorm erleichtert. Wir essen Risotto und philosophieren über Fußball und Tiger Woods, den er verehrt und der gerade auf dem Bildschirm über uns golft. Jetzt bin ich es, der die Zeit aus den Augen verliert. Als ich die Rechnung bestelle, wird mir klar: Die Pressekonferenz kann ich vergessen. Ich ärgere mich ein wenig, da ich nun doch als Drückeberger vor Schweinsteiger dastehe. Auf der Fahrt in die Innenstadt rufe ich einen Kollegen einer Münchner Tageszeitung an, um wenigstens zu erfahren, was ich verpasst habe. Zu meiner Überraschung erfahre ich: Schweinsteigers PK fand gar nicht statt. Der Profi hatte sie kurzfristig abgesagt. Aufgrund einer leichten Verletzung war er direkt nach dem Training zur ärztlichen Untersuchung und anschließenden Behandlung in die Stadtpraxis von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt gefahren. Es sollte offenbar so sein, dass ich bei der ersten Schweinsteiger-PK nach dem Chefchen-Artikel vor Ort zu sein hatte. So kam es dann auch Ende April.

Mein Vorsatz stand: anwesend sein, aber keine provokante Frage stellen. Den Chefchen-Artikel drucke ich vorsorglich aus und stecke ihn in die Sakkotasche. Der Titel der Geschichte mag hart gewesen sein, doch der Inhalt der Story ist aus meiner Sicht völlig korrekt und zudem an keiner Stelle beleidigend. Falls die Geschichte jedoch wider Erwarten zu Diskussionen führen sollte, will ich vorbereitet sein. 

Der FC Bayern hatte ein paar Jahre zuvor eine Politik der White House Press eingeführt. Auf Vorschlag des Pressesprechers Markus Hörwick wurden nach Vorbild des Weißen Hauses in Washington nur noch ausgewählte Medien an die Säbener Straße zu PK-Runden eingeladen. Während früher jeder Journalist mit einem Presseausweis ins sogenannte Presse-Stüberl marschieren konnte, schuf der Klub durch die Reduzierung der Journalisten eine neue PK-Kultur. Statt wie zuvor in einem kleinen, überfüllten Raum mit TV-Kameras, Radioreportern und schreibender Zunft fragten die Kollegen nun getrennt voneinander. Radio und TV bekamen die Spieler weiterhin auf einem Podium mit Werbehintergrund präsentiert. Die Printjournalisten durften ihre Fragen an die Spieler ab sofort an einem runden Tisch auf Augenhöhe stellen, was beim Nachhaken mitunter zu interessanten Diskussionen führte. Diese neue Regelung erklärt, warum es von diesem denkwürdigen Schweinsteiger-Auftritt – anders als beispielsweise von Giovanni Trapattonis legendärer Pressekonferenz (»Flasche leer!«) – keine TV-Bilder, sondern lediglich Tonbandaufnahmen gibt. 

Etwas angespannter als sonst nehme ich am ovalen PK-Tisch Platz. Basti ist nicht mal durch die Tür, als er mich erblickt. Erst stockt er, dann betritt er doch den Presseraum. Sein Zeigefinger zeigt unmissverständlich in meine Richtung. »Erstens: Ich bin kein Chefchen«, legt er direkt zu einem Wutauftritt los, wie es ihn an der Säbener Straße lange nicht mehr gegeben hat. Schweinsteiger weiter: »Zweitens: Ich bin lange genug dabei, und jeder hört auf das, was ich sage in der Kabine. Es wird ganz anders dargestellt, als es ist, verstehst du?« Ich verstand: Meine Kritik hatte ihn offenbar bis ins Mark getroffen. Die Krise befeuerte die ohnehin bereits tobende Führungsspieler­diskussion. Teamkollege Arjen Robben hatte zuvor öffentlich wie ich das Fehlen von Leadern angeprangert, nachdem sein Kumpel Mark van Bommel vom Trainer demontiert worden war. Nur sitzt jetzt nicht Robben am Tisch, sondern ich. Es gelingt mir, ruhig zu bleiben. Sagen muss ich ohnehin nicht viel, denn Schweinsteiger ist jetzt in Fahrt.

»Dann frag doch mal in der Kabine rum! Man muss nicht nach außen den großen Macker spielen. Das muss man nicht«, brüllt er mich an. »Ihr wisst doch gar nicht die Aufgaben von mir! Das wisst ihr doch gar nicht. Wenn ich zum Beispiel den Vidal ausschalten soll.« Erneut schnellt sein Zeigefinger nach vorn, natürlich auf mich. »Hast du den Vidal irgendwo gesehen?« Ich musste ihm in diesem Punkt recht geben. Den Leverkusener schaltete er tatsächlich zuletzt beim 5:1 aus. Dass Schweinsteiger aber beim darauffolgenden Spiel (einem glücklichen 1:1 gegen Frankfurt) aufgrund einer mäßigen Leistung bei Rückstand ausgewechselt worden war und zuvor mit Sebastian Rode sein direkter Gegenspieler im Mittelfeld die Führung für die Eintracht erzielt hatte, erwähne ich jetzt besser nicht. Schlechter Zeitpunkt. Stattdessen nicke ich deeskalierend. »Na also!«, freut sich Schweinsteiger über seinen gefühlten Punktsieg. Ich nutze die Pause, um das Wort zu ergreifen. Ob es ihm nicht ein wenig zu denken gebe, dass ich mit meiner Kritik nicht allein sei. Das stachelt Basti in seiner Schimpftirade nun wieder an. Genau das hatte ich eigentlich ja vermeiden wollen. Die meisten Kritiken seien »... ein Scheiß! Komplett erlogen, kompletter Scheiß!«, schimpft Schweinsteiger. Vor einem halben Jahr habe ihn der Kicker noch zum »Mann des Jahres« gekürt, und nun solle er nicht mehr Fußball spielen können? »Meinst du, es liegt nur an mir, dass wir um Platz drei kämpfen?« Wer nicht erkenne, wie gut er spiele, habe keine Ahnung. Ich offenbar ganz vorneweg. »Wenn du genau hinsiehst, weißt du, wo das Problem ist. Aber das weißt du ja gar nicht! Das siehst du ja nicht! Weil du ja gar keine Ahnung von Fußball hast!« Ihn so in Rage zu sehen hatte ich nicht erwartet. Ruhig schiebe ich hinterher, er solle es mir dann doch bitte erklären. »Du siehst doch, dass wir nicht kompakt sind! Dass wir auseinander sind! Dass nicht alle Spieler zurückarbeiten!« Ich registriere aus den Augenwinkeln, dass die Kollegen fleißig mitschreiben. Ich wage es nicht, vor Schweinsteigers Augen jetzt den Kuli in die Hand zu nehmen. Muss ich auch nicht, mein Tonband auf dem Tisch läuft längst. Nicht nur für Boulevardreporter ist diese Pressekonferenz ein Fest, alle erfreuen sich sichtlich an der unverhofften Darbietung. Mit Ausnahme des Pressesprechers, der fassungslos neben dem tobenden Profi steht.

Schweinsteiger denkt im Traum nicht daran, sich zu setzen. Nun frage ich wohl doch ein wenig provokant, warum er denn denke, dass die Kritik so oft ihn treffe. Das solle nun ich ihm erklären, fordert Schweinsteiger, der nun den Spieß umdrehen will. Ich entgegne ihm, bei der Ursache sei es manchmal wie mit dem Huhn und dem Ei. Die Redewendung, die ihm offenbar nicht geläufig ist, bringt Basti nun endgültig aus der Fassung. Mit weit aufgerissenen Augen schaut er mich verständnislos an. »Okay. Ich erkläre es dir …«, rutscht mir heraus. Ich sehe zwar meinen Fehler gleich ein, aber da ist es natürlich schon zu spät. Belehrungen waren nun das Allerletzte, was Basti in dem Moment hören wollte. Jetzt wurde es persönlich: »Normalerweise, wenn die Leute nicht wären, wenn wir unter vier Augen wären, würde ich dir nicht zuhören. Dann würde es anders ausschauen. Das schwöre ich dir!« Klingt nach Drohung, ist wohl auch eine. Unnötig hinzuzufügen, dass die ganze Situation unmöglich und die Pressekonferenz längst im Eimer ist. Wir geben uns noch ein paar Worte, dann beendet Schweinsteiger das Schauspiel: »Ich habe keine Lust mehr. Von so einem Pisser lass ich mich nicht zutexten.« Das Letzte, was meine Kollegen und ich hören, bevor er die Tür hinter sich zuknallt, ist »Arschloch«. Eindeutig an meine Adresse. Auftritt beendet. Der Star war erst mal weg. Wir saßen da.

Die Bild-Zeitung stoppte die Wutrede mit: 11 Minuten und 56 Sekunden hatte Schweinsteigers Anschiss mir gegenüber vor versammelter Mannschaft gedauert. Die Kollegen am Tisch starren mich an, einige grinsen. Und nun? Der Pressesprecher bittet alle, noch einen Moment zu bleiben, und verschwindet. Tatsächlich schafft er es irgendwie, Schweinsteiger an den Tisch zurückzubekommen. Beide sind beim ungeplanten Teil zwei der Pressekonferenz sichtlich bemüht, dass die unschönen Szenen in den morgigen Zeitungen nun von ein paar Sportthemen ersetzt würden. Es werden tatsächlich noch ein paar Fragen zum Spiel gestellt, immerhin sollte Bayern zwei Tage später gegen Schalke kicken. Ich stelle (nicht zuletzt auf Bitten des geplagten Pressesprechers) keine Frage mehr. Und während ich noch mit einem Ohr der nun eher bemühten Pressekonferenz lausche, habe ich Zeit, um irgendwie zu verarbeiten, was da gerade passiert war.

Bastian kannte ich schon, bevor er seinen ersten Einsatz als Profi absolvierte. Anfangs gingen wir zusammen zum Italiener, ich führte mit einem Kollegen sein erstes offizielles Interview. Später tranken wir im Fan-Treff an der Säbener Straße regelmäßig Kaffee. Er lud mich für seine erste Homestory zu sich nach Hause ein; auf dem Höhepunkt unseres Vertrauensverhältnisses war ich Gast auf seiner Geburtstagsparty. Und ja, natürlich erzählte er mir ab und zu, was bei Bayern los war. Aber immer nur das, was ihn betraf. Nie verriet er irgendwelche Kabinengeheimnisse oder stellte einen seiner Trainer bloß. So merkwürdig das aus dem Munde eines Boulevardreporters klingen mag: Ich war froh darüber, denn so kam ich gar nicht in den Zwiespalt, sein Vertrauen für meine Arbeit auszunutzen. Anfangs profitierte er vielleicht mehr von mir als ich von ihm: Je mehr ich über das neue Talent, an dem sich bald ganz Fußballdeutschland erfreuen sollte, berichtete, desto größere Aufmerksamkeit bekam Basti. Als er endgültig den Durchbruch geschafft hatte, kehrte sich dieses Verhältnis um. Nun war ich es, der sich dankbar schätzen konnte, dass er mir für Interviews dank unseres guten Verhältnisses oft den Vorzug gab statt anderen Zeitungen. Heikel wurde es höchstens dann, wenn es um die Spielernoten ging. Es konnte passieren, dass Papa Fred Schweinsteiger in der Redaktion anrief, um sich über eine aus seiner Sicht zu schlechte Bewertung seines Sohns zu echauffieren. Basti selbst erwähnte so etwas nie, er ging dann höchstens mal ein paar Tage nicht ans Telefon.

Ein Boulevardreporter für Fußball muss eine Beziehung zu den Spielern aufbauen, die so tief geht, dass sie dir vertrauen, dir ihre Geheimnisse erzählen, du durch ihre Augen in die Kabine schauen kannst. Diese Nähe kann verschwörerisch werden. Fühlst du dich als ihr Kumpel, bist du schon den entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Es wird früher oder später immer der Punkt kommen, an dem du dich entscheiden musst: Mache ich eine Geschichte, die meinem Informanten nicht gefällt? Die ihm vielleicht sogar schadet? Die aber dennoch richtig ist und auf jeden Fall ins Blatt muss? Die zentrale Frage an sich selbst schwingt immer mit: Bin ich noch ein objektiver Journalist? Ich habe mir oft diese Frage gestellt. Nicht nur weil es richtig ist, sondern auch weil ich wohl ein Sturkopf bin, habe ich mich umso entschiedener für meinen, für den schmerzhaften Weg entschieden. Den richtigen. Nicht weil ich den Spielern nichts schenken wollte. Sondern vielmehr mir selbst.

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich am Tisch der Chefchen-Pressekonferenz sitze. Hier lag der Grund, warum Bastian und ich uns jetzt in dieser Situation gegenüberfanden. Er war enttäuscht von mir, und das vermutlich schon seit längerer Zeit. Ich fragte mich: Hatte ich es mit dem schmerzhaften Weg übertrieben? Auf Schweinsteigers Kosten? War ich mit ihm vielleicht sogar besonders kritisch gewesen, weil wir uns zuvor so nahegestanden hatten? Oder was noch schlimmer wäre: Habe ich mich von meiner Enttäuschung treiben lassen, dass er seine Tür nach meinen auch kritischen Berichten – nach zuvor vielen positiven – für mich verschlossen hatte? Ich muss mir eingestehen: Die Wahrheit liegt wohl wie immer in der Mitte.

Klar ist nur: Ein Fußballprofi wie Bastian versteht das nicht immer. Er muss sich diese Fragen auch nicht stellen. Er ist der Sportler, der seine Entscheidungen nicht wie der Journalist auf dem Papier, sondern auf dem Rasen treffen muss. Seine Loyalität ist klar definiert: Sein Team trägt die dieselben Farben wie er, alle anderen sind Gegner. Wer auch abseits des Rasens in seiner Mannschaft spielen will, ist entweder stets auf seiner Seite oder gegen ihn. Diese Definition schließt mich aus seinem Team aus. Oder um im Fußballbild zu bleiben: An einem bestimmten Punkt habe ich mich selbst ausgewechselt.

Nach der PK gehe ich direkt in den ersten Stock des Trainingszentrums, in dem sich die Pressestelle des FC Bayern befindet. »Für mich ist das Thema erledigt«, eröffne ich dem Pressechef geradeheraus. Mein Friedensangebot an Schweinsteiger und den Klub lautet: »Wer austeilt, und das habe ich sicherlich mit meinem Artikel getan, der muss auch einstecken können.« Ich füge sicherheitshalber noch an, dass ich keine Entschuldigung erwarte, auch nicht darüber berichten wolle. Was aber die Kollegen aus dem Auftritt machen würden, dafür könne ich keine Verantwortung übernehmen, füge ich an. Markus Hörwick freut sich über meinen Schritt. Er beschwichtigt. Für eine Berichterstattung gebe es aus seiner Sicht nun auch keinen Anlass mehr, Bastian habe sich doch wieder beruhigt und an den Tisch gesetzt. »Alles wieder in Ordnung also«, sagt er mir. Ich bin mir da nicht so sicher. Am Ende kann es mir auch egal sein. Ich verabschiede mich nun wirklich. Mein Magazin erscheint erst in fünf Tagen.

Die Reaktion der Kollegen lässt nicht lange auf sich warten: in Form von Schlagzeilen. BildAbendzeitungtzKicker

Danach folgt ein Statement des Vorstandschefs Karl-Heinz Rummenigge, der es als »unerhört« und »Frechheit« befindet, Schweinsteiger als »Chefchen« zu bezeichnen. Ich muss schmunzeln. Meine Wortschöpfung schaffte es sogar in die Presseerklärung. Die Entrüstung darüber kommt dagegen nach meinem Geschmack ein wenig zu spät. Immerhin lag die Veröffentlichung meines Artikels zu diesem Zeitpunkt bereits 26 Tage zurück. Die Diskussion befeuerte der Klub mit seiner Erklärung erst richtig und zementierte mit der Mitteilung öffentlich die Bezeichnung »Chefchen«. Die Wortschöpfung inspirierte nicht nur die Zeilenmacher, sondern auch Karikaturisten und Comedians der Republik. Besonders lustig fand ich die Idee des Magazins 11 Freunde, »Chefchen«-Tassen zu verkaufen. Tatsächlich hatte ich mich bereits zuvor beim Deutschen Patentamt, das zufälligerweise um die Ecke meines Büros liegt, erkundigt, ob ich mir den Begriff »Chefchen« als Marke schützen lassen könne, das Vorhaben aber dann doch wieder verworfen. Karl-Heinz Rummenigge, der durchaus Sinn für Humor hat, schien der Name ebenfalls zu gefallen. Kurz darauf lobte er Schweinsteiger im TV nach einem gelungenen Auftritt gar als »Super-Chefchen«.

Mir war durchaus bewusst, dass die durch Bastis Wutauftritt auf mich gelenkte Aufmerksamkeit meine Arbeit beim FC Bayern nicht leichter machen würde. Ich blieb bei meinem Vorsatz, zu der Angelegenheit weiter zu schweigen. Als aber sogar die Bunte anrief, ob ich mich nicht äußern und ein Foto von mir schicken wolle, ging mir der Trubel zu weit. Anfragen wie diese kamen viele. Es war schwer, meinen Kollegen zu erklären, dass ausgerechnet ich als Journalist keinen Kommentar abgeben wollte. Ich hatte dem FC Bayern jedoch versprochen, nicht nachzutreten. Die Bunte besorgte sich unterdessen anderweitig ein Foto von mir. So landete ich in der Ausgabe, die über die Hochzeit von Prinz William und seiner Kate berichtete. »Böses Foul – mit Worten«, lautete die Überschrift. Verwarnt wurde damit Schweinsteiger, nicht ich. Die Bunte zeigte ein Foto von Schweinsteiger, seiner Freundin Sarah Brandner (warum auch immer) und dazu eingeblockt: meinen Kopf. Bei dieser Optik hatte wohl nicht nur ich die Zeile im Kopf: »Die Schöne, der Fußballer und das Biest.« Die Autoren klangen mir allerdings im Text wohlgesinnt. Sie hatten sogar einen prominenten Fürsprecher zitiert, der mir in meiner sportlichen Einschätzung recht gab. Da es sich um keinen Geringeren als Günter Netzer, eines meiner großen Idole, handelte, bedeutete mir das sehr viel. Er riet Schweinsteiger, sich lieber an seiner eigenen Leistung zu orientieren, und fügte an, dass diese »keineswegs berauschend in dieser Saison« sei. Diese Worte taten doppelt gut, zumal ich wusste: Netzer ist als Ratgeber eine Instanz für die Bayern-Bosse Rummenigge und Hoeneß.

August 2016: Ich sitze mit einem San Miguel auf der Terrasse einer Finca auf Mallorca. Im Fernsehen läuft gerade das emotionale DFB-Abschiedsspiel von Bastian Schweinsteiger in Gladbach (2:0 über Finnland). »Mittwoch kein Schweini-Abschied? Dein Liebling ;-)«, simst mir Lukas Podolski. Wie immer ist er bestens informiert und weiß, dass ich nicht im Stadion vor Ort bin.

Poldi kennt so gut wie kaum ein anderer meine vielschichtige Beziehung zu Schweinsteiger wie auch unser belastetes Verhältnis. Daher ist es wirklich erstaunlich, dass Lukas in all den Jahren nie zwischen unsere Fronten geriet. Poldi ist eben Poldi. Statt sich auf eine Seite zu schlagen, amüsierte er sich lieber über den Dauerzoff zweier langjähriger Weggefährten: dem Weltstar und dem Boulevardreporter. Mein iPhone auf dem Terrassentisch brummt erneut. Diesmal ist es eine WhatsApp-Nachricht meines Münchner Kollegen Tobi, der den Schweinsteiger-Abschied im ZDF zu Hause vor dem Fernseher verfolgt. Er schreibt mir die Worte, mit denen Kommentator Oliver Schmidt den Kapitän bei seiner Auswechslung in der 68. Minute nach 121 Länderspielen in sein DFB-Karriereende entlässt: »Vom Chefchen zum Chef.« Ich nippe noch mal an meinem kalten Bier. Auch wenn ich ein klein wenig ein schlechtes Gewissen habe: Irgendwie fühlt es sich gut an, dass meine Wortschöpfung Schweinsteiger bis zum bejubelten Finale seiner DFB-Laufbahn begleitet hat.

Die Auseinandersetzungen zwischen Schweinsteiger und mir lieferten mir ein paar gute Geschichten, am turbulenten Ende sogar bundesweite Schlagzeilen für die ganze Branche. Dass ich Schweinsteiger das Etikett »Chefchen« verpasst hatte, führte sicherlich zum Tiefpunkt unserer Beziehung. Hermann Gerland, sein einstiger Jugendtrainer und späterer Co-Trainer beim FC Bayern, beschrieb mir Schweinsteiger vor seinem Sprung vom Amateur zum Profi einst so: »Der Schweini ist ein Superjunge. Aber dem gehört ab und zu schon mal in den Arsch getreten, damit er ordentlich Gas gibt.« Nach der Gerland-Theorie hätte ich Schweinsteigers Karriere sogar ein bisschen gefördert.