Papa, einige Zeit ist es her, als ich dich zuletzt sehen, fühlen und einfach genießen durfte. Mir ist bewusst, dass ich seither meist nur dann meine Hände faltete, den Kopf senkte und zu dir sprach, wenn ich Rat suchte, wenn ich Unterstützung brauchte oder ich dich einfach nur um Mut und Stärke bat. Und gar zu selten dankte ich dir abseits der Prüfungen, die mein Leben mir stellte. Wir alle – deine Kinder, und deine dich tief liebende und dir nach zwanzig Jahren stets treue Frau, die wir alle deinen wundervollen Namen tragen –, wir alle finden immer noch im Gedanken an dich und an ein mögliches Wiedersehen Halt und Hoffnung.
Ich möchte, dass du weißt: Es sind die guten Erinnerungen an dich, die bleiben, wenn ich zurückblicke. Erinnerungen an Momente wie der, als du neben mir vor dem Spiegel standest, wir beide Rasierschaum im Gesicht hatten, du mir einen Einwegrasierer mit Plastikschutz gabst und wir uns beide vor dem Spiegel rasierten. Ich war fünf und ich konnte nicht ahnen, dass mir nicht mehr viel Zeit mit dir bleiben würde. Oder der Moment als du am Steuer saßest, ich nebenan auf dem Schoß deiner Frau, die du so sehr liebtest, und du mir auf einer rar befahrenen Strecke gezeigt hast, wie du für wenige Sekunden freihändig Autofahren konntest und dabei sagtest: „Schau mal, das Auto weiß ganz von selbst, wo es hin will.“ In jenem Moment hast du gelacht und gestrahlt. Es ist kaum zu fassen, welche Liebe du uns allein in einem solchen Moment geben konntest.
Ich glaube nicht, dass ich mir vorstellen kann, wie unglaublich schmerzhaft es für dich gewesen sein muss, deine Kinder letztendlich so selten sehen zu dürfen. Und dennoch hast du uns allen so viel Liebe mitgegeben, die aus uns allen etwas Wunderbares gedeihen lassen konnte. Deine Entscheidung, nie mehr zurückzukehren, veränderte unser Leben. Deine Entscheidung zwang uns vorerst auf die Knie – doch wir alle standen auf und folgten dem Ruf der Vergebung.
Ich möchte, dass du weißt, dass genau die Täler, durch die wir gehen mussten, es waren, die uns formten und stärkten. Die Täler der Trauer, der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit, die uns den Weg zu Glück und Ruhe bahnten. Denn nun verstehe ich, dass jedes noch so tragische Schicksal irgendwo eine Perle des Positiven birgt. Selbst wenn die Perle vielleicht nicht unmittelbar zu funkeln scheint, sondern vielmehr erst durch eine Botschaft zu erkennen ist – eine Botschaft, wie dieses Buch sie sein kann; eine Botschaft, die durch bloß ein Wort oder einen Gedanken im Leben eines anderen Menschen etwas Positives entstehen lassen kann. Denn du bist der Grund, weshalb ich Menschen mit meinen Worten helfen darf. Weil auch du der Grund dafür bist, dass ich eine Leidenschaft für die Welt der Gedanken entwickeln konnte. Schon sehr früh hast du mir gezeigt, wie sehr ein einziger Gedanke das Leben einer gesamten Familie verändern kann. Und so bist du auch der Grund, weshalb ich meine Erkenntnisse und Worte in Büchern verewige und damit Halt und Hoffnung spenden darf. Hättest du nicht getan, was du getan hast, so gäbe es diese Worte hier nicht. Hättest du nicht getan, was du getan hast, so würde ich wohl nicht derart vielen Menschen helfen können – weil mein gesamter Werdegang wohl ganz anders verlaufen wäre.
Ich weiß, dass Energie nicht verloren gehen kann und du demnach irgendwo in Form von Energie existieren musst. Nicht zuletzt auch in Form der Worte, die ich hier schreibe. Ich trage tief in mir den Wunsch, dass dich meine Worte erreichen können, und ich möchte mir diesen Wunsch gerne erfüllen, indem ich meine Worte mit möglichst viel Energie verbreite, in der Hoffnung, dass sie dich erreichen können. Und wenn sie dich erreichen, so möchte ich dir im Namen all deiner dich liebenden Kinder sagen – wir alle vermissen dich. Wir vermissen dich sehr. Wir alle lieben dich. Wir alle haben dir vergeben. Wir alle wissen, dass deine Entscheidung ein Antrag der bedingungslosen Liebe war. Danke für diese tiefe Vaterliebe und für die Liebe zwischen dir und deiner wunderschönen Frau, aus der wir, deine Kinder, entstehen durften. Wir kommen durch die Liebe und wir gehen durch die Liebe. Und ich verstehe, dass du all dies nur getan hast, weil du uns so sehr geliebt hast.
Dein dich immer liebender und dankbarer Sohn,
Gabriel
An dieser Stelle möchte ich dir, meiner Leserin und meinem Leser, herzlichst für dein Vertrauen in meine Worte und meine Perspektiven danken. Ich weiß es sehr zu schätzen, wenn ich Menschen, sei es im Rahmen meiner persönlichen Sitzungen und Veranstaltungen, oder auch im Rahmen meiner Bücher und CDs, zu neuen Perspektiven und zu mehr Gelassenheit verhelfen darf. Es ist die Erwartung, die ich in mich setze, all jenen Menschen, die in meinen Worten eine Antwort finden wollen, genau diese Antwort bieten zu können. Und solltest du während des Lesens dieser Zeilen ein Gefühl der Wärme, ein Gefühl des Verstandenwerdens, ein Gefühl der Freiheit und Gelassenheit verspüren, so ist genau die Energie, die ich in dieses Buch gesteckt habe, bei dir angekommen.
Es ist mein Ziel, aufzeigen zu können, dass wir Menschen – als sogenannte Vernunftwesen – einen Segen, jedoch zugleich einen Nachteil mit uns tragen. So leitet sich auch der Begriff Homo sapiens aus den lateinischen Worten homo „Mensch“ und sapiens „vernunftbegabt“ ab. Die Vernunft ermöglich es uns Menschen, rationale, komplexe Schlüsse zu ziehen; Gegebenheiten zu analysieren; übergreifend in neuen Perspektiven zu denken und Zusammenhänge zu erkennen. Wir beherrschen die artikulierte Sprache, können uns neue Sprachen aneignen und weisen ein reflektiertes wie auch die Möglichkeit zu einem rein fiktiven Denken auf. Mit unserer Vernunft schaffen wir neue Realitäten. Wir glauben, die Vernunft allein zeichne uns Menschen aus und hebe uns vom Tierreich ab. Jedoch weiß die Wissenschaft, dass auch Tiere über bemerkenswerte Fähigkeiten und auch über eine bemerkenswerte Vernunft verfügen. So erwiesen beispielsweise Experimente mit Hunden, dass diese Hunderte von Worten zuordnen können und auch lernfähig sind hinsichtlich der Aneignung neuer Worte. Zudem beobachtet die Menschheit vermehrt, dass Tiere eine äußerst hohe Sensitivität aufweisen – so spüren Tiere sich anbahnende Naturkatastrophen, noch bevor von Menschen geschaffene Messgeräte diese eruieren können. Die Tiere verfügen folglich genauso über eine Vernunft, nur scheinen Menschen naturwissenschaftlich analytischer und reflektierender zu funktionieren – insbesondere aber zeichnet sich unsere Vernunft dadurch aus, dass wir Menschen nicht nur über ein intuitives Wissen verfügen, sondern dieses auch zu erklären versuchen.
Diese vermeintliche Vernunft bietet den Menschen scheinbar die Möglichkeit, sämtlichen Bedürfnissen nachgehen zu können. Es scheint beinahe so, als gäbe es für die meisten Fragen in unserer menschlichen Realität auch entsprechende Antworten. Umso schneller verlieren wir jedoch oft den Bezug zu uns selbst – den Bezug zu unserer Menschlichkeit. Wir verdrängen Ängste, ertränken sie in Süchten oder schlucken gar magische, rezeptpflichtige Pillen, die uns die Sorgen nehmen sollen, die uns den Verstand zu rauben scheinen.
Doch würden wir mal in uns hineinblicken und erkennen, dass all die Sorgen und all die unangenehmen Gefühle, die in uns sitzen, einen Ursprung in negativen Erfahrungswerten finden, und würde es uns gelingen, diese Erfahrungen, die Gefühle und die Gedanken neu zu bewerten, so stünde unserer Gelassenheit nichts im Wege. Wir alle schaffen unsere Welt nach unseren Gedanken – ebenso unsere Sorgen.
Wir alle haben die Aufgabe zu erkennen, dass ein Leben ohne Sorgen, ein Leben ohne negative Gedanken und negative Gefühle eine Utopie darstellt. Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten von heute an für den Rest unseres Lebens ausschließlich glücklich sein, wenn wir nur jeweils das Richtige tun würden. Wir bauen uns selbst einen enormen Druck mit dem Gedanken auf, dass wir zu jedem Zeitpunkt immer das Richtige tun müssen, um glücklich und erfüllt zu sein. Zudem bin ich der Meinung, dass es das „Richtige“, wie wir dies verstehen, so nicht gibt. Auch dies ist eine Illusion. Richtigkeit ist etwas, was uns in der Schule eingebläut wird. Für jede mathematische Rechnung gibt es dort eine einzige Lösung. Und wenn diese nicht stimmt, so ist vielleicht irgendwo im Lösungsweg ein Fehler. Dies ist jedoch in keiner Weise kompatibel mit unserem Leben. In unserem Leben gibt es keine mathematischen Lösungswege. Es gibt keine Folgefehler. Es gibt nicht nur eine korrekte Lösung. Jede Lösung, jeder Lösungsweg, ja selbst jeder Fehler hat seine positiven Seiten. Sprechen wir jedoch von Fehlern im Verhalten, die sehr schädliche Folgen haben, so verstehe ich, dass diese Art Fehler nicht einfach schönzureden sind. Insbesondere dann, wenn daraus extrem negative Konsequenzen entstehen. In solchen Fällen ist eine tief geistige, meist gar spirituelle Auseinandersetzung mit den Energien gefordert, die im Zusammenhang mit den Geschehnissen aufkommen. Ich spreche aus eigener Erfahrung: In eigenen Schicksalsschlägen waren im Moment des Geschehens einfach keine Richtigkeit zu finden. Und dennoch galt es, das Geschehene zu akzeptieren.
Wir sollten uns aneignen, in der Akzeptanz negativer Gedanken und Gefühle im Leben eine innere Ruhe zu finden. In der Akzeptanz der Polarität und im Verständnis, dass es ganz normal ist, dass jede und jeder von uns auch negative Gedanken und Gefühle in sich trägt. Die einen häufiger, die anderen etwas seltener. Die einen intensiver, die anderen etwas gemäßigter. Und wer es versteht, das Grundgesetz der Polarität so anzuwenden, dass in allen Gegebenheiten die Perle des Positiven gefunden werden kann, der wird in sich eine Ruhe und ein Gefühl der Freiheit finden können.
Wir alle sind der Beweis für die Existenz der Polarität. Denn wir alle sind der Beweis für die Existenz von etwas äußerst Positivem: Liebe. Wir alle sind aus ihr heraus entstanden – durch die innige Verbundenheit und Hingabe zweier Menschen. Wir sind der Nachweis dafür, dass es überall – unabhängig wo – stets zwei sich bedingende Gegensätze geben muss, damit einer der beiden Begriffe überhaupt existieren kann. Denn damit wir überhaupt entstehen konnten, bedurfte es einer männlichen wie aber auch einer weiblichen Fruchtbarkeit. Wir alle sind ein Produkt der Polarität.
Nichts in unserem Universum kann ohne Gegensatz existenziell sein. Wie könnte ein Berg entstehen, wenn es keine Täler geben dürfte. Wie könnte es den Tag geben, wenn es keine Nacht gäbe. Wie könnte es Frieden geben, wenn es keine Auseinandersetzungen auf unserer Welt gäbe. Die Kirche schuf Himmel und Hölle. Es gibt das Göttliche ebenso wie das teuflische. Physiker entdeckten, dass es nicht nur Materie gibt, sondern auch Antimaterie. Auch jedes einzelne Atom existiert nur dank dem Gesetze der Polarität. Jedes Atom besteht aus positiv geladenen Teilchen – Protonen – sowie aus negativ geladenen Teilchen, den Elektronen. Doch es gibt auch neutrale Teilchen – die Neutronen. Auch dies ist ein existenzieller Zustand, den es zu akzeptieren gilt: die Neutralität. Eine Art Ruhe, eine Art Enthaltsamkeit, die belebt werden darf.
Doch wie würde sich ein Leben anfühlen, dem man negative wie positive Momente entziehen würde – das eben „neutral“ wäre? Für mich ist dies ein ähnlich beängstigender Gedanke wie jener der physischen Unsterblichkeit. Wie könnte das Leben existieren, gäbe es keinen Tod? Und dennoch sehnen sich die Menschen nach der physischen Unsterblichkeit – dem physisch unendlichen Leben, im Glauben, es würde sich toll anfühlen.
Es ist ganz normal, dass sich der Mensch nach dem ausschließlich Positiven sehnt – letztendlich ist dies auch die Energie, die uns antreibt.
Doch wir alle müssen lernen, eines zu verstehen: Würde man irgendwo die Polarität zerstören oder verhindern – würde man bei zwei sich bedingenden Gegensätzen einen der beiden verschwinden lassen –, so würde dies unserem Glück im Wege stehen. Auch ich wünsche mir, es wäre möglich auf unserem Planeten nur das Positive und Schöne erleben zu dürfen.
Es gilt die Polarität zu akzeptieren. Sie ist das Normalste auf der Welt – und sogar darüber hinaus, denn selbst Götter sind polar. So gibt es den römischen Gott des Krieges – Mars – ebenso wie die römische Göttin des Friedens – Pax. In der griechischen Mythologie verkörpern die Gottheiten Ares und Eirene diesen Gegensatz. Folglich wäre gemäß Mythologie die Polarität selbst dann existenziell, wären wir göttlich. Geschweige denn, wenn wir uns als Menschen bekennen und akzeptieren wollen. Und ist es uns möglich, die Stärke von uns Menschen einzusetzen – die Vernunft –, um vor diesem Hintergrund unseren Gedanken neue Perspektiven zu ermöglichen, so finden wir auch den Weg in die Gelassenheit.
Der Titel dieses Buches ist folglich ein Appell an uns Menschen, genau diese Ressource zu verwenden, um zu erkennen, dass wir uns das Leben oft selbst schwerer machen als es wäre – aufgrund der bloßen Tatsache, dass wir es hervorragend verstehen, unsere eigene Realität nach unseren Gedanken zu basteln.
Doch gelingt es uns, uns einfach gehen zu lassen und unser Unterbewusstsein mittels Einsatz unserer Vernunft zu beruhigen – negative Gefühle und negative Gedanken zu besänftigen –, so werden wir genau diesen Weg in die Gelassenheit finden können.
Sich geschehen zu lassen, heißt nicht, nichts zu tun. Sich geschehen zu lassen, heißt nicht, seine Fehler wegzudenken oder nicht aus Fehlern zu lernen. Sich geschehen zu lassen, bedeutet auch nicht, alle Verantwortung an eine höhere Gewalt, das Schicksal oder einen Lebensplan abzugeben. Nein. Es bedeutet, die notwendige Einsicht zu erlangen, um Gelassenheit zu schaffen – für sich und sein Umfeld. Aus Fehlern lernen zu dürfen. Verantwortung für sich und sein Umfeld zu übernehmen und das zu tun, was sich gut anfühlt, für sich und die Menschen, die einem lieb sind.
Sich geschehen zu lassen, bedeutet auch, anzunehmen, was es zu akzeptieren gilt, weil es nicht mehr zu ändern ist. Und darin mithilfe einer neuen Denkweise eine Gelassenheit und eine innere Ruhe finden zu können. Denn nach dem Grundgesetz der Polarität gibt es immer irgendwo eine beruhigende, positivere Perspektive, die es uns ermöglicht, uns mit Einsicht geschehen zu lassen. Zu dieser Einsicht und Denkweise möchte ich dir gerne verhelfen. Ich möchte Impulse geben, die dir dabei helfen, dein Leben und dein Dasein in allen Facetten anzunehmen und mit Gelassenheit geschehen zu lassen.
Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zeit.
Lass dich einfach geschehen … du hast es verdient.
Bevor ich dich in das Reich meiner Erkenntnisse mitnehme, möchte ich mich dir gerne vorstellen, damit du ein noch besseres Verständnis dafür erlangen kannst, weshalb ich schreibe, was ich schreibe. Mein Name ist Gabriel Palacios. Ich bin ein Mensch. Das heißt, ich musste das meiste von dem, was ich heute tue, lernen. Außer atmen und schlafen – dies wurde mir einfach so in die Wiege gelegt. Ich musste jedoch lernen, zu essen, zu gehen, nicht mehr in die Windeln zu machen, mich auszudrücken, mir Manieren anzueignen und noch vieles mehr. Seit ich auf diesem Planeten bin, lerne ich – und erkenne darin eine Faszination, die mich kaum mehr aufhalten kann. Ich schätze unsere Möglichkeit sehr, bis zu unserem letzten Atemzug lernen zu dürfen.
Einer meiner frühesten Lernprozesse fand statt, noch bevor ich über all dies reflektieren konnte. Es war der Lernprozess des Vertrauens. Ich kam als siebtes Kind meiner Mutter Beatrix Palacios und als viertes Kind meines Vaters Antonio Palacios am 28.11.1989 per Kaiserschnitt zur Welt. Ich wurde, nachdem die mehrfach um meinen Hals gewickelte Nabelschnur gelöst worden war, wohl liebevoll aus dem Bauch meiner Mutter herausgehoben. Aus der Geborgenheit und der Verbundenheit zu meiner Mutter musste ich mich unwillkürlich in die Hände der Ärzte geben – und wurde hierbei, wie Milliarden anderer Menschen zum ersten Mal mit der Verbundenheit zu anderen Menschen konfrontiert. Etwas Wundervolles. Denn wenn wir Menschen lernen, dann voneinander – und das selten ohne soziale Interaktionen.
Kurz darauf lernte ich, dass man mir hilft, auch wenn ich dies damals wohl noch nicht in dieser Weise verstehen konnte. Ich hatte beidseitige Hüftdysplasie. Man installierte an beiden meiner Oberschenkel Schienen, welche dafür sorgen sollten, dass meine Hüftgelenke eingerenkt blieben.
Da ich zudem während meinen ersten Lebensmonate merkwürdige Atemaussetzer hatte und jeweils im Anschluss nicht mehr eigenständig zu atmen begann, musste ich über Monate hinweg ständig kontrolliert werden. Meine Mutter hatte unheimliche Energien mobilisiert, um sich gegen den Willen sämtlicher Ärzte durchzusetzen und mich nach Hause mitnehmen zu können. Sie musste einen entsprechenden medizinischen Atemüberwachungsapparat für zu Hause organisieren und kommunizierte dafür sogar mit Übersee. Bis dahin war sie jeden Tag bei mir im Spital. Sie ging abends so spät, wie sie nur durfte, und kam morgens so früh, wie erlaubt war.
Als ich dann letztendlich zu Hause war, mussten meine Geschwister die entsprechenden Rehabilitationsmaßnahmen lernen, für den Fall, dass ich nicht mehr atmen würde. Dazu hingen an sämtlichen Türen bei uns zu Hause Blätter mit Instruktionen, sodass im Notfall die entsprechenden Schritte sofort einsehbar gewesen wären.
Bis zu meinem siebten Lebensjahr hatte ich zudem eigenartige Affektanfälle, für welche die Ärzte jedoch damals keine greifbaren, vergleichbaren Erfahrungswerte hatten. Ein Gedanke konnte genügen, um einen solchen Anfall auszulösen. Ich atmete jeweils nicht mehr und wurde für mehrere Minuten bewusstlos, bis der Krampf sich jeweils löste und ich nach und nach wieder zurückkam ins Hier und Jetzt. Die Ärzte kannten ähnliche Fälle, jedoch genügten sogar Daten ähnlicher Fälle aus Übersee nicht, um mögliche Vergleiche anzustellen, da die Anfälle, die mich heimsuchten, in einer drastisch hohen Anzahl kommen konnten. So war es durchaus möglich, dass ich über zwanzigmal täglich ohnmächtig wurde. Diese Anfälle waren für meine Eltern, wie meine Mutter mir später sagte, „ein Sterben und wiedergeboren werden“. Es muss für sie als Eltern unerträglich gewesen sein, mitansehen zu müssen, wie ihr Kind nicht mehr atmet, sondern nur noch leblos da liegt. Doch sie hatten dies anzunehmen und zu akzeptieren – ebenso wie den Gedanken, dass ich vielleicht irgendwann nicht mehr zurückkommen würde.
Meine Erinnerungen an das, was ich während der Anfälle sehen konnte, sind eigenartigerweise immer noch präsent. Ich kann sie abrufen. Ich erinnere mich daran, dass während der Bewusstlosigkeit immer wieder Ähnliches für mich erkennbar war. Beinahe wie ein Traum, der immer wieder auftaucht. Nur war das, was ich während meiner Bewusstlosigkeit jeweils sehen konnte, sehr intensiv. Es war sehr genau. Beinahe so, als wäre ich dort gewesen. Ich sah immer wieder eine ausgetrocknete Wiese und ein Gelände – etwas, das einem hölzernen Zaun ähnelte. Und ich erkannte, dass ich eine Aufgabe hatte. Ich fühlte, dass ich diese Aufgabe zu erfüllen hatte – konnte aber nie sagen, worin genau meine Aufgabe bestand.
Besonders spannend finde ich, dass ich meine heutige Aufgabe darin finde, Menschen, die im Leben nicht von selbst dorthin kommen, wo sie hin möchten, den Weg fernab des Bewusstseins zu weisen. Mit meiner Arbeit als Hypnosetherapeut lehre ich die Menschen, wie sie das Bewusstsein für einen kurzen Moment zur Seite schieben können, und einmal nur dem Unterbewusstsein folgen können. Und heute weiß ich auch, dass die Bilder und Eindrücke, die ich während der Ohnmachtsanfälle hatte, unterbewusster Natur waren.
Viele Menschen, die diese Anfälle von außen mitansehen mussten, wollten den Rettungsdienst rufen. Oftmals brach sogar eine Art Hysterie bei jenen aus, die einen solchen Anfall mitbekommen hatten.
Meine älteren Geschwister hatten sich deshalb schon ein paar standardisierte Sätze zurechtgelegt, die sie sagen konnten, damit die Leute keinen Rettungswagen riefen.
Die Ärzte wie auch das psychologische Fachpersonal waren sich einig: Ich würde aufgrund des ständigen Sauerstoffmangels während meiner Ohnmachtsanfälle mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche, hirnorganische Schäden davontragen. Meine Familie wurde auf das Schlimmste vorbereitet.
Als ich dann mit nicht mal drei Jahren zu einem psychologischen Test gebeten wurde, zeigte mir die Psychologin eine Zeichnung, auf der ein Auto ohne Räder zu sehen war. Dabei hielt sie einen Schreibblock und einen Stift in ihren Händen, um sich entsprechende Notizen zu machen. Sie fragte mich – und daran habe ich tatsächlich noch eine bruchstückhafte Erinnerung – was auf diesem Bild fehle. So griff ich ganz frech nach ihrem Stift, riss ihn ihr aus der Hand und zeichnete zwei Kreise unter die Karosserie des Wagens. Da eine solche motorische Leistung noch gar nicht meinem Entwicklungsstadium hätte entsprechen sollen, meinte die Psychologin abschließend, es erwecke beinahe den Eindruck, als hätte ich mit jedem Anfall umso mehr Hirnzellen dazugewonnen.
Und auch in den folgenden Jahren musste ich, da die Anfälle immer noch nicht abnahmen, zahlreiche neurologische Tests über mich ergehen lassen. So kann ich selbst heute noch Einstichstellen von Nadeln erkennen, die in mein Fleisch gebohrt wurden, um aus medizinischer Sicht eine Erkenntnis zu gewinnen. Doch es wurde nie etwas Verwertbares gefunden. So wurde ich von den Ärzten schließlich selbst vor ihren Studenten als unerklärbarer Fall abgebucht, was ich auch verstehe. Ich schätze es sehr, dass man mir damals helfen wollte. Letztendlich war dies die Zielsetzung. Leider nur war ich eben durch all die Tests Suggestionen ausgesetzt, die mich wissen ließen, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei. Sehr lange noch gab ich mir diese Suggestionen dann auch selbst. Ich gab mir selbst den Glauben, mit mir sei etwas nicht normal.
Ich hatte das Glück, in einer von viel Liebe getragenen Familie aufwachsen zu dürfen. So ist mir heute gewiss, dass mich meine Eltern und meine Geschwister rückblickend mit einer optimalen Mischung aus Zuwendung und Anreiz zur Autonomie beschenkt haben. Denn zu viel Besorgnis hätte wohl mein subjektives Gefühl, dass ich nicht normal sei, verstärkt. Ebenso hätte zu wenig Zuwendung wohl dazu geführt, dass ich mich zu wenig verbunden gefühlt hätte. Ich jedoch fühlte mich umsorgt, geborgen und zugleich frei. Man gab mir den Glauben an mich. Man gab mir das Vertrauen in mich. Und diese unbeschreibliche Liebe meiner Eltern und Geschwister ließ mich wachsen. Sie sorgte dafür, dass ich eigenständig sehr viele autogene Kräfte aktivierte und den Ehrgeiz gewann, gegen diese unkontrollierbaren Anfälle anzukämpfen und ihnen zu beweisen, dass nicht sie mich kontrollierten, sondern vielmehr ich die Kontrolle über sie haben konnte.
Bei meiner heutigen Arbeit ist die schon so früh in meiner Kindheit gemachte Erkenntnis immer noch von größter Bedeutung. Denn heute kann ich meine Klienten mit einem maximalen Maß an Empathie lehren, wie sie ihrer Sucht, ihrer Angst oder ihrer Blockade eigenständig entgegenwirken und diese kontrollieren können.
Dieser starke Drang zur Autonomie bewirkte, dass ich alles, was ich bei meinen älteren Geschwistern sah, auch schon können wollte. Ich wollte gehen können, als ich das noch gar nicht hätte können sollen. Ich wollte kochen können, als dies noch niemand von mir forderte. Ich habe bereits in der Grundschule meine Kleider selber gewaschen und getrocknet. Und ich konnte bereits vor der Einschulung schreiben. Da ich die Lehrer nicht überfordern wollte, traf ich mit meiner Mutter die Abmachung, dass ich mir nicht anmerken ließ, dass ich bereits lesen und schreiben konnte, als ich in die erste Schulklasse kam. Doch allmählich bemerkte meine damalige Lehrerin, dass etwas eigenartig war an meiner Art zu lesen und zu schreiben. So kam sie mir letztendlich auf die Schliche, dass ich ständig nur vortäuschte, ich könnte nicht gut lesen. In Wahrheit kannte ich bereits alle Buchstaben und konnte auch alles lesen, da ich schon vor der Einschulung, wie meine älteren Geschwister, hatte lesen können wollen.
So war ich schon als Kind so eingestellt, dass ich andere Menschen nicht unnötig belasten und ihre Pläne nicht auf den Kopf stellen wollte. Und so wollte ich auch meiner damaligen Lehrerin das Gefühl geben, sie habe all ihren Schülern Lesen und Schreiben beigebracht.
Ich werde auch im Weiteren immer wieder meine eigenen Erfahrungen mit den Erkenntnissen verknüpfen, die ich mit dir teilen möchte. Ich will so verdeutlichen, wie ich zu meinen Erkenntnissen kam. Denn ich finde, dass das, was das Leben schreibt, das, was wir selbst erfahren, in keinem Schulbuch dieser Welt stehen kann.
Und vielleicht findest du in manchen meiner Erzählungen ja etwas, das eine Ähnlichkeit zu deinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen aufweist. Und wenn du dadurch ebenfalls Erkenntnisse erlangen kannst, die auch dir und deinem Entwicklungsprozess dienen können, so habe ich mein Ziel erreicht – im Willen, dass du dein Ziel erreichst.
Zudem befindet sich auf der beiliegenden Audio-CD ein Verfahren, von mir eingelesen, mit Hilfe dessen ich dich zusätzlich dabei unterstützen möchte, die Gelassenheit erfahren zu dürfen, die du dir wünschst. Es würde mich sehr freuen, wenn ich dir durch meine möglichst nahe Präsenz zu der gedanklichen Freiheit verhelfen kann, die jede und jeder verdient hat. Denn was gibt es Schöneres, als durch die Verbundenheit auf unserem Planeten, durch all die Liebe, Fürsorge und Warmherzigkeit Gutes für einander zu tun. Und ein Gefühl zu erlangen, ein Gefühl, sich einfach geschehen lassen zu dürfen und bedingungslos aufgefangen zu werden.
Wir sind Zeugen des Wunders der Natur und alle ein Teil der Natur zugleich. Wir Menschen funktionieren allesamt wie eine eigene, sich selbst versorgende und harmoniebedürftige Mutter Natur. So reinigt sich mitunter unser Körper ebenso von selbst, wie dies unsere Natur tut. Unser Körper regeneriert sich von selbst und entwickelt mit der Zeit eine ganz eigene, auf jede Situation adaptierte Intelligenz; wie dies auch die Natur tut.
So gibt uns unser Körper – als Teil unserer körperlichen Intelligenz – mitunter Zeichen, die uns wissen lassen, dass sich ein verheerender Sturm anbahnen könnte. Vorwarnungen, wie wir sie auch in der Natur antreffen. Und gar oft zeigt sich eine solche Sturmwarnung bei uns Menschen in Form von affektiven Erscheinungen: ein Gefühl der Schwere, der Leere oder des Drucks im Bauchbereich oder möglicherweise auch im Brust- oder Halsbereich. Ein psychosomatisches Erscheinungsbild. Das heißt, ein körperliches Alarmsignal, das von unserer Psyche ausgesendet wird und uns die Sicherheit bieten soll, die jede Alarmanlage auf dieser Welt bieten will: Die Möglichkeit, sich zu schützen.
Wie in der Natur beispielsweise Vögel einen Sturm ankündigen, so warnt uns unser Unterbewusstsein – als Teil der Natur – vor potenziellen Gefahren. Es warnt uns mittels unangenehmer Gefühle. Wird die Gefahr gesichtet und ein entsprechendes Gefühl von unserem Warnsystem ausgesendet, so verbarrikadieren wir uns in unseren Kellern und schützen uns vor dem Hurrikan, der sich auf uns zubewegt. Wir warten in unseren Kellern ab, bis die Luft rein ist, und warten doch lieber etwas länger als eigentlich notwendig, um ganz sicher zu gehen, dass der Hurrikan bereits über uns weggezogen ist.
Wenn wir dann jedoch den Keller verlassen, die Tür öffnen und von der Helligkeit der Sonne geblendet werden und feststellen müssen, dass eine blühende, unversehrte Natur vor uns liegt und weit und breit keine Verwüstung eines Sturmes zu sehen ist, so erfüllt uns ein Gefühl der Erleichterung. Zugleich jedoch auch ein Gefühl der Frustration, dass wir uns vom Warnsystem derart täuschen ließen und den falschen Alarm nicht frühzeitig erkannt haben.
Viele unserer negativen Gedanken und negativen Gefühle entsprechen lediglich Illusionen. Es sind Fehlalarme unseres Unterbewusstseins. Für diese Täuschungen gibt es jedoch auch Gründe: Erfahrungen. Jeder Mensch sammelt im Laufe seines Lebens Erfahrungen. Erfahrungen, die sich gut anfühlen, wie aber auch Erfahrungen, die sich schlecht anfühlen. Diese Erfahrungen werden gerne auch als sogenannte Ressourcen bezeichnet. So gibt es positive Ressourcen ebenso wie negativ behaftete Ressourcen. Erfahrungen, mit denen man eher negative Gedanken und Gefühle in Verbindung bringt.
Natürlich gibt es auch die Annahme, dass gewisse Ressourcen genetisch seit Abertausenden von Jahren überliefert wurden. Wie beispielsweise die Grundangst, aus sozialen Gruppierungen ausgeschlossen zu werden. Oder die Angst, sich vor einer Ansammlung von Menschen eine Blöße zu geben. Die Angst, verlassen zu werden, sowie die Angst, alleine zu sein. Auch diese Ängste dienten den Menschen früher einmal zum Schutz. Denn vor anderen Menschen Schwäche zu zeigen, aus sozialen Gruppierungen ausgeschlossen zu werden, verlassen zu werden und alleine sein zu müssen, stellte zu früheren Zeiten ein Todesurteil dar.