Feridun

Zaimoglu

Der Mietmaler

Eine Liebesgeschichte

Mit 18 Bildern

gemalt von Feridun Zaimoglu

LangenMüller

www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2013 LangenMüller in der

F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Schutzumschlag: Wolfgang Heinzel

Umschlagbild: Feridun Zaimoglu

ISBN 978-3-7844-8155-5

Ich war ihre Verdammnis. Sie verdarb, weil ich malte. Ich war eine vergraute Seele, ein mit Blut erkauftes Glück. Sie schimpfte, sie sagte: Hältst du mich für ein schoßnasses Mädchen? … Was antworten? Ich blieb still. Wir saßen im Bahnhofseingang, sie schimpfte und rieb am Wundschorf an der Ferse. Von hinten schlich sich ein Aufsichtsbeamter heran. Treppensitzen laut Hausordnung verboten. Ich stand sofort auf, streckte die Hand ihr entgegen – Schlag auf die Finger.

Sie umstimmen – unmöglich. Es war leichter, Erbsen durch einen brennenden Reifen zu schnippen.

Sie nannte mich: einen Zersetzer, ein tintenverspritzendes Tier. Sie verdammte meine Verstohlenheit.

Sie behämte mich, weil ich mir das Gesicht nass schwitzte. Der Beamte schlug mich dem Gesindel zu; er blieb in meiner Nähe: Liebe verglommen, ein Kerl wird von einer Frau angeschrien, der Kerl könnte Ärger machen. Die Henkel der Stofftasche schnitten mir in die Schulter, ich erlitt es. Sie preschte voran, ihr Schatten schnitt meinen Ausfallschritt. Ich war ein Hund, der ihr folgte. Kein Charakter, keine Ehre, nur Hunger nach Futter. Ihr dick geflochtenes Haar am Rücken fest im Blick. Sie drehte sich im Gehen um, sagte: Du rührst mich nicht an, nie wieder! …

Sie sprach fluchbeladene Wörter. Hör nicht hin, dachte ich, später wird es ihr nicht leidtun, später wird sie es vergessen. Die Stofftasche fiel mir vor die Füße, ich bückte mich, ihre Faust streifte mein Ohr. Der Beamte wollte intervenieren, trat die Tasche zur Seite, fragte: Belästigt der Mann Sie? … Sein Kollege streifte sich enge schwarze Handschuhe über. Die Männer wollten mich festsetzen, ich beteuerte: Nur eine Krise, nur ein Streit, Sonja tobt, aber es geht bald vorbei, Sonjas Herz ist nicht gebrochen, und ich tue ihr bestimmt nicht weh … Ich klang verdächtig nach einem Sonntagsirren.

Wir verhandelten, ich zupfte verlegen am Saum der dünnen Jacke. Sie stellten zehn Fragen, ich gab zehn Antworten. Sonja verschwand.

Der Weg zu ihr nach Haus führte mich durch die Straße der aufgegebenen Geschäfte. Bruchstücke der Bordsteinkante auf Höhe eines Wettbüros, kleine Steinbrocken, über den Gehweg verteilter Müll.

Die einstigen Inhaber waren bekehrt: Arbeit im Armenviertel lohnte selten. Auf den Balkonen saßen Frauen mit frisch gecremten glänzenden Gesichtern. Sie schauten herunter. Sie strichen die Augenbrauen glatt. Sie rochen an ihren Fingerspitzen.

Ihre Söhne hingen der harten Schule an: Keine Ablenkung zulässig; ruhen, bis man schimmelte, durften andere; für jede Ausrede verlor man einen gesunden Zahn. Verehrung machte ihre Mütter glücklich. Eine Frau sang ein Lied, verstummte mittendrin, lehnte sich weit aus dem Fenster.

Ihr Mann war an einem unbeschrankten Bahnübergang ums Leben gekommean. Am Steuer saß seine junge Schwägerin. Das Auto wurde vom Zug gerammt und mitgeschleift. Die Gerüchte machten die Frau faltig. Sie kaufte dünn geschnittenes Brot, jede Scheibe genau sieben Millimeter dick. Jetzt sagte sie: Für acht Scheiben vom Hausbrot habe ich ein Euro vierzehn bezahlt … Wir unterhielten uns, sie sah mir meinen Kummer an. Ich zog weiter, ich wollte schnappen nach fliegenden Schnipseln, die der Wind verwehte.

Ihre Wohnungstür war angelehnt, im Flur brannte Licht, meine Tasche hatte sie neben dem Garderobenständer abgelegt. Sie saß am Arbeitstisch:

Sonja vom fahlen Licht des Geräts beschienen.

Im Hinterhof zerbiss der Kater des Hausmeisters einen Reviereindringling. Kampflaute eines Tiers.

Sie schwieg. Hässliche Minute der Zermalmung. Kein Wort des Zweifels, für sie waren Abschiedsworte nicht erwägenswert. Ich flehte zu Gott, bat um einen Glücksgriff, es geschah nicht. Nachfassen unmöglich. Befrieden unmöglich. Stille nach dem Feuerwerk.

Ich sagte: Wollen wir uns nicht vertragen? … Keine Ehre, kein Charakter, nur Hunger. Kleiner Hund schnappte nach seinem Stummelschwänzchen.

Ich legte den Zweitschlüsselring auf den Tisch.

Der Tag ging langsam in den Abend über. Jeder Schatten ein Schmierfleck. Sie verspannte – besah ich sie wie ein Schaustück? Würde ich dies eingefrorene Bild aufs Papier bannen? Nichts von mir nimmst du mit, sagte sie leise. Heraus aus diesem Raum. Ihren Schal am Garderobenhaken steckte ich ein, sie sollte ihn vermissen. Losgehen.

Im Park, am Teichufer, Reifenspuren im Schlick.

Ein Kind plärrte, es hatte sich in die Hosen gemacht. Eine Südländerin wechselte ihm vor aller Augen die Windeln. Ihr Mann sprang aus dem Busch, als wollte er einen Abartigen abwehren. Ich streckte ihm die Hände hin: Stiftschwiele am Mittelfinger, Graphitstaub unter den Nägeln. Er wedelte mich fort. An der Bushaltestelle vor meiner Haustür stand eine junge müde Putzfrau – ihr würde ich gefallen wollen. Den Fahrplan kannte ich auswendig, knapp zehn Minuten hatte sie zu warten. Ich stürmte die Treppen hoch zum dritten Stock, schloss auf, ließ die Tasche sofort fallen, griff zum Skizzenblock, setzte mich ans Fenster, setzte die weiche Mine oben leicht rechts auf. Im Anfang des Porträts: der Scheitel. Nicht zittern. Mit der anderen Hand Papier glatt streichen. Dort unten Frau, von oben beschaut, hellblondes Haar, Frau trug Arbeitskittel, das Oberleder ihrer Schuhe mit dünner Sohle zum Schlammbeige verblichen.

Der Bus hielt mit einem Ruck, sie stieg hinten ein. Am linken Ohr ertaubt, als Halbertaubte wollte sie aber nicht gelten. Die Dame auf dem Nachbarsitz tippte sie an, sie wandte sich ihr zu, neigte den Kopf. Jetzt verstand sie, dankte ihr, strich sich Spinnweben aus dem Haar. Sie dachte: Ich werde mich heute Abend schön machen, ich werde ausgehen, ich werde nur zwei Gläser Wein trinken, ich werde auf die Toilette gehen, mich im Spiegel betrachten und mich über meine Stirn ohne Falten und Furchen freuen. Sechs Haltestellen später stieg sie aus. Fünf Minuten später strich sie sich im Badezimmer ihrer Parterrewohnung Feuchtigkeitssalbe über Stirn, Kinn und Wangen. Sie dachte: Wie nennt man eine Maus, die ihr Nest im Ohr einer Katze baut – kühn oder dumm? Mut der Männer – eine Abscheulichkeit. Trotzdem. Sie war in guter Stimmung, sie wollte im Ohr eines Mannes Zweiglein ablegen. Rock und Bluse in gedämpften Farben, Schuhe ohne Absatz, keine Lockmittel. Sie aß im Stehen an der Balkontür. Keine Schminke. Keine Herzensbindung im Sinn.

Sie schlüpfte in den Sommermantel mit der aufgerauten Knopfleiste, verließ das Haus, streifte durch Gassen, stolperte kein einziges Mal. Ein ihr entgegenkommender Mann gurrte sie an, sie lächelte nicht. Vorbei an Bürgerhäusern, vorbei an kleinen wilden Gärten. Die aus anderen Vierteln der Stadt Zugezogenen waren schlichte und stumpfe Menschen. Sie dachte: Buschland der Männer mit Geld; erstickt nicht am Bissen, der leicht in der Kehle stecken bleibt.

Das Lokal am Ende der Straße gehörte einem Mechaniker, den sie hatte abweisen müssen. Er sah sie eintreten, nickte, wies mit dem Kinn zum freien Katzentisch am Fassadenfenster. Sie legte den Mantel über die Rückenlehne des Stuhls – eine vorbeugende Maßnahme: Sie würde gezwungen sein, gerade zu sitzen. Er fragte sie nach ihrer Tagesform, blieb diskret. Ein trotz der kleinen Übel unverdrossener Mann. Drei Kinder von zwei Frauen, Kleinkrieg mit den Frauen, die ihn straften, weil er sich intensiver Verhältnisse entzogen hatte. Er sagte: Schmerzen deine Füße … Ja … Empfehle Fußbad … Jeden Abend vor dem Schlafengehen … Gut so … Er verschwand in der Küche, der Kellner brachte ihr ein volles Glas kaltes Zitronenwasser, wünschte guten Trunk. Das klingt seltsam, dachte sie, ein Mittzwanziger sollte derart altmodische Worte nicht in den Mund nehmen. Sie schaute hinunter und bemerkte die Risse im Schuhleder. Eine Frau betrat das Lokal. Kurz berockt, hoch gehackt. Trug Schwarz. Messingknöpfe am Jackett. Schön im Licht und im Schatten. Der Wirt zuckte bei ihrem Anblick zusammen – nein, falsch: Er starrte sie an, bis sie sich abwandte. Sie kam an ihren Tisch und sagte: Die Gesellschaft einer Unbekannten ist für Sie sicher eine Belastung. Darf ich mich hinzusetzen? Die besten Tische sind reserviert oder besetzt … Sie nahm Platz, stellte sich vor: Agnes. Mona.

Die Frauen schwiegen wie müde Krieger in der Gefechtspause. Sie bestellten Getränke, sie zupften am Stoff der Bluse, des Rocks, des Jäckchens. Agnes roch nach Hyazinth. Der Wirt sprach mit dem Kellner, instruierte ihn, brachte seinen Stuhl mit, setzte sich hin und wartete. Also, sagte Agnes, ich habe mir die Backenzähne ziehen lassen. Du weißt, ich hatte es schon damals geplant. Jetzt habe ich ein schmales Gesicht mit Hohlwangen bekommen … Er wollte ihr ein Kompliment machen und versagte. Lag es am Kneipenlärm? Störte ihn die fremde Frau, die Augenzeugin? Mona aber gab ihren Platz nicht auf. Sie wollte auch nicht aus purer Höflichkeit auf die Toilette gehen. Dort hätte sie sich nur in der Kabine eingeschlossen und ihre Fingernägel angestarrt, versunken und verdrossen. Er sagte: Wir hatten eine Abmachung. Ich verkehre nicht mit deinen Freunden, ich meide dein Viertel. Ich komme dir nicht in die Quere. Weshalb tauchst du in meinem Laden auf? … Genug Zeit verstrichen, sagte Agnes, wie ich sehe, hast du Erfolg … Und er lächelte sie an – es war eine Entartung seines Gesichts. Er erinnerte sich an ihren Abschiedsbrief, er zitierte: Du bist ein Schwein, das Totenfinger benagt. Dein Arsch ist zu klein. Mehr hab ich nicht zu sagen. Blöder Kerl … Vier kurze Sätze, sehr einprägsam, unvergessliche Verse, Hass und Wut, Treffer, hatte gesessen, das müsste er zugeben. Das Lob freute sie. Ein Blick zu Mona: eine gleichgültige Frau. Agnes versprach ihr, bald zum Ende zu kommen, sie wollte nur noch eine Sache mit ihrem gewesenen Freund klären. Ja, sagte sie …

Ich legte Stift und Blätter beiseite, ich fing schon an, leere Flächen vollzuzeichnen. Zwei Porträts, zwei ausgestellte Gesichter, den Betrachter anschauende Frauen. Wesenskräftigung. Albernes Wort, das mir einfiel. Helmut, das Jüngelchen, hatte es gesagt, vor langer Zeit. Im Jahr, da er ausbrach, weil alles, fast alles, wider Erwarten schieflief. Er erwog kurz den Übertritt. Neue Kleider, neuer Glaube, neue Stadt. Mein bester Freund Helmut, sein Lieblingssatz: Da oben im Himmel gibt’s kein Krankenhaus … Schluss damit. Die Gespenster meiner schlechten Tage waren verscheucht, es gab keinen Grund, sie zu rufen. Ich strich Schmalz aufs Brot, aß zwei Scheiben, rührte die dritte Scheibe auf dem Teller nicht an. Buntstifte ordnen, der nächste Malrausch würde kommen. Meine letzten Arbeiten bereiteten mir Verdruss. Öl auf Leinwand, Acryl auf Hartfaserplatte, wilde Dinger, Früchtekörbe, Landschaften, Passanten mit oder ohne Hund an der Leine, öde Dinger. Erloschen die Glut. Malerisch, keine Malerei. Ich sah und hielt alles fest. Was ein Fehler. Ein Apparat konnte das besser. Das Bild auf der Staffelei im größten Zimmer: eins achtzig mal zwo vierzig, Leinwand. Was sah ich, was hatte ich gemalt? Kniff und Kunststück, Spinnerkunst. Cremigkeit. Männer, der Erde entwachsen, sich krümmende Gestalten, Tummelplatz. Ich spuckte das Bild an, der Speichel verlief als lotgerades Rinnsal zur unteren Kante. Zum Heimwerker war ich verkommen, ich sollte Kreide kaufen, ich sollte mein Glück als Pflastermaler versuchen. Eine Stunde war ich damit beschäftigt zu putzen, zu spülen, zu waschen, Bettwäsche zu wechseln. Zwischen den Arbeitsgängen legte ich Fünfminutenpausen ein. Pause von der ordentlichen Arbeit. Meine Bilder an den Wänden grämten mich, also hängte ich sie ab. Ich war schlau geworden wie ein Hund, der sich am heißen Fleisch nicht die Schnauze verbrennen mag. Zum dutzendsten Mal dachte ich: Sie wird nicht anrufen. Saison der kalten Herzen, es kümmerte keinen, es würde auch mich bald nicht kümmern. Raus, unbedingt ins Freie. Prächtige Passanten, Schadstoffe in den Lungen, Stadtluft, Stirn, Schädel und schlaffe Haut, und der Leib nur ein Organbehälter, Tauben umflatterten sie und mich, Stadtpest.