ANTONIO PIGAFETTA
MIT MAGELLAN UM DIE ERDE
VORWORT DES HERAUSGEBERS
Der Weg nach Sanlúcar
»Wahrlich, die achtzehn nach Spanien zurückgekehrten Seeleute wären ewigen Ruhmes würdiger als die Argonauten, und ihr Schiff, die ›Victoria‹, verdiente es eher als die Argo, unter die Sterne versetzt zu werden.«
MAXIMILIANUS TRANSILVANUS AN
DEN ERZBISCHOF VON SALZBURG
I
Alle haben sie den Weg nach Calicut gesucht. Calicut, das bedeutet: Pfeffer, Zimt, Zucker, Muskatnuss, Safran, Porzellan, Seide, Parfüm, vielleicht sogar Gold. Alle haben den Weg gesucht und keiner hat ihn gefunden. Nicht auf dem Ostweg, nicht auf dem Westweg. Diogo Cão ist nur bis zum 11. Grad südlicher Breite vorgedrungen, Bartolomëu Diaz hat wohl das »Cabo tormentoso«, das Kap der Stürme, umschifft, aber dann hat er umkehren müssen. So ist das Kap ein Kap der guten Hoffnung geblieben.
Auch Cristóbal Colón hat den Weg zu den Gewürzländern nicht gefunden. Bis jetzt nicht. Aber er könnte ihn finden. Spanien könnte Portugal zuvorkommen und die Reichtümer des Morgenlandes an sich reißen. Das darf nicht sein.
So verlässt am 8. Juli 1497 ein wohlausgerüstetes Geschwader unter der Führung Vasco da Gamas Lissabon, um dieser Furcht, die König Manuel nicht schlafen lässt, ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. In Melinda hört Vasco da Gama den Namen wieder: Calicut! Calicut, die Stadt an der Malabarküste! Und er hört nicht nur den Namen, der so wohltönend in den Ohren klingt. Er hört mehr: Die Schätze, die Calicut bergen soll, hat nicht einmal Manuels maßlose Gier erträumt. Calicut – es übertrifft sogar jenes Cathai, von dem Marco Polo, der Phantast aus Venedig, gefaselt hatte. Calicut – das ist die Erfüllung aller Wünsche. Calicut – das bedeutet Reichtum, bedeutet Macht. Calicut – das ist das irdische Paradies. Und der Sultan von Melinda – auch das hört Vasco da Gama – weiß den Weg nach Calicut.
Versprechungen helfen nichts. Geschenke helfen nichts. Drohungen helfen. Dem Sultan wird ein Lotse abgepresst.
Die Schiffe stechen wieder in See. Eine Fahrt ohne Abenteuer beginnt. Zwischen Melinda und Calicut liegt nur das Meer. Tage, Wochen, Monate – immer das Meer. Nächte und Tage – immer und überall die Wasserwüste, nie Land. Angst wechselt mit Erwartung ab, der Funke der Meuterei beginnt zu glimmen und erlischt wieder. Vasco da Gama denkt nicht an Rückkehr. Für ihn gibt es nur zwei Ziele: Das eine heißt Calicut, das andere ist der Tod.
Am 19. Mai 1498 ertönt der ersehnte Ruf: Land! Alle stürzen an Deck. In weiter Ferne wachsen Berge aus dem glitzernden Wasser; davor dehnt sich ein flacher brauner Streifen. Calicut? »Malabar«, murmelt der Lotse und versteht nicht, weshalb die Portugiesen in die Knie sinken und die Hände falten.
Und am 20. Mai 1498 hält die Weltgeschichte den Atem an: Vasco da Gama hat, begünstigt vom Südwestmonsun, den Indischen Ozean durchsegelt und vor Calicut Anker geworfen. Der Seeweg nach Indien – der Ostweg – ist gefunden, genau zehn Tage bevor Cristóbal Colón seine dritte Fahrt antreten wird.
Calicut, damals größter Hafen Asiens, übertrifft noch die hoch gespannten Erwartungen der Portugiesen. Wie eine reife, saftstrotzende Frucht liegt die Stadt vor ihnen – zum Greifen nahe. Aber sie können nicht nach ihr greifen, denn auch die mohammedanischen Kaufleute wissen den Wert dieser Frucht zu schätzen. Auch sie verfügen über Schiffe, Krieger und Waffen. Schon am 29. August muss Vasco da Gama, selbst nur knapp dem Tode entkommen, die Heimreise antreten, die eine Flucht ist.
Früchte sind dazu da, um gepflückt zu werden. Die Welt ist groß und dazu da, von Spanien und Portugal entdeckt und erobert zu werden. Vor allem von Portugal. Am 9. März 1500 sticht unter der Führung Pedro Álvares Cabrals abermals eine portugiesische Flotte in See. Die dreizehn Schiffe haben 1250 Mann, 14 Kanonen und Geschenke für den Sultan an Bord – das Zuckerbrot und die Peitsche. Das eine oder das andere, notfalls auch beides zusammen, wird genügen, um König Manuels Wunsch harte Tatsache werden zu lassen. Das heißt: Calicut und das angrenzende Land zu einer portugiesischen Kolonie zu machen.
Diesmal macht es dem Südwestmonsun keinen Spaß, sich in den Dienst der portugiesischen Krone zu stellen. Die Schiffe werden an die Küste eines Landes verschlagen, das Cabral für eine Insel hält und am 3. Mai im Namen des Königs von Portugal in Besitz nimmt. Er nennt das Land, das erst viel später Brasilia heißen wird, Isla de la Vera Cruz.
Die Fahrt ins Ungewisse geht weiter, und am 13. Dezember erreichen die Portugiesen schließlich doch Calicut. Wohl ist die Peitsche unversehrt, aber die Männer, die sie schwingen sollen, sind müde, krank und von Sehnsucht nach der Heimat ausgehöhlt. Das Zuckerbrot scheint jedoch zu genügen. Der Sultan erlaubt, nachdem er die reichen Geschenke in Empfang genommen hat, die Gründung von Niederlassungen in Calicut, Cananor und Cochin. Kaum haben aber die Portugiesen die Heimfahrt angetreten – fünfzig Mann sind zurückgeblieben –, erweist es sich, dass der Sultan das Zuckerbrot schon zu lange verdaut hat, um sich noch daran zu erinnern. Die Niederlassungen werden zerstört, die Besatzung wird erschlagen oder zu Tode gemartert.
Einen dritten Versuch wagt João da Nova. Er nimmt erst gar keine Geschenke mit. Gleich einem Heuschreckenschwarm fällt er mit seinen Soldaten in Calicut ein und hat kostbare Beute im Bauch seiner Schiffe verladen, noch ehe sich der Feind von dieser furchtbaren Überraschung erholt und zu einem Gegenangriff gesammelt hat. 1000 Zentner Pfeffer, 500 Zentner Zimt und 50 Zentner Ingwer haben die jubelnden Portugiesen geraubt. 1550 Zentner kostbare Ware! João da Nova rechnet den Wert seiner Beute aus und schwelgt in Zahlen, die er bisher nur vom Hörensagen gekannt hat. Marco Polo hatte mit solchen Zahlen um sich geworfen. Die Rechnung da Novas ist aber zu früh aufgestellt: Die Mohammedaner holen zum Gegenschlag aus. Zwar hat der Portugiese vorgesorgt – die Mündungen der vierzehn Kanonen sind auf Calicut gerichtet –, aber er weiß nicht, dass der Feind zurückfeuern kann. Nach einer knappen Stunde Kampf fliehen die Portugiesen auf ihre Schiffe, von denen eines schon lichterloh brennt. Die Bewohner Calicuts haben es nicht nur gelernt, die von Cabral zurückgelassenen Geschütze zu bedienen, sie haben auch Kugeln gegossen, bessere Kugeln, als die Portugiesen sie besitzen. Fünfzig Zentner Ingwer sinken auf den Grund des Meeres, 46 Tote bleiben auf dem Gestade vor der Stadt zurück.
Nun erkennt man in Lissabon, dass Krieg geführt werden muss, will man die Frucht Indien ernten. Vasco da Gama – jetzt Don Vasco da Gama – erhält den Befehl, Indien zu erobern. Er vernichtet die feindliche Flotte, er zerstört Calicut, er errichtet eine Festung. Aber das Spiel wiederholt sich. Die Bewohner der Küste haben nicht vergessen, neue Kugeln zu gießen. Kaum ist die portugiesische Flotte außer Sichtweite, greifen sie von neuem an. Nach drei Wochen ist die Besatzung – diesmal ist sie 500 Mann stark – aufgerieben.
Neue Expeditionen werden ausgerüstet – unter Francisco d’Albuquerque, unter Afonso d’Albuquerque, unter António de Saldanha –, aber auch sie können den Widerstand des Feindes nicht brechen. So bleibt König Manuel nichts anderes übrig, als »seinen besten Mann« nach Indien zu schicken. Nicht länger sollen Pfeffer, Zimt und Ingwer immer mehr Blut und nichts als Blut kosten. Zweiundzwanzig Schiffe werden Francisco d’Almeida zur Verfügung gestellt, in vielen Kämpfen erprobte Soldaten begleiten ihn. Unter ihnen befindet sich einer, der seinen Entschluss, Indien zu seiner neuen Heimat zu machen, gründlich beweist: Er schenkt sein ganzes bewegliches Vermögen seiner Schwester Teresita und sein Landgut dem Kloster San Salvador in Sabrosa.
Der Mann, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat, heißt Fernão de Magalhães. Er ahnt zu dieser Zeit noch nicht, dass er die zwölf Messen, welche die Brüder von San Salvador von nun an alljährlich für ihn lesen, bitter nötig haben wird.
II
Francisco d’Almeida ist mit den Vollmachten eines Vizekönigs ausgestattet. Er soll nicht nur dafür sorgen, dass Calicut – das hat der König offen ausgesprochen – endlich eine portugiesische Stadt wird, sondern auch Ormuz im Persischen Golf, Aden, Malakka und die Gewürzinseln besetzen, damit die Handelsvorherrschaft der Araber endlich gebrochen werde. Auf den unsichtbaren Straßen des Indischen Ozeans sollen in Zukunft nur noch portugiesische Schiffe fahren, das Kap der Guten Hoffnung soll endlich ein Kap der Erfüllung werden, denn mit Hoffnungen lässt sich die Staatskasse nicht füllen. Mit Hoffnungen wird man auch den gefährlichsten Feind nicht aus dem Felde schlagen können: Kastilien, das sich immer mehr ausbreitet und seine habgierigen Finger schon nach China ausstreckt.
D’Almeida kennt keine Skrupel und hat mit seinem Vorgehen zunächst Erfolg. Er erreicht, stets günstigen Wind in den Segeln, Mosambik, erobert, ohne einen einzigen Mann zu verlieren, Quiloa, vertreibt den Scheich, setzt an seine Stelle ein ihm genehmes und höriges Oberhaupt, lässt eine Besatzung von zweihundert Mann und drei Kanonen zurück und fährt nach Mombasa weiter. Hier zeigt man ihm die Zähne. Drei Tage dauert der erbitterte Kampf, drei Tage lang beweisen die Eingeborenen, dass ihr Hass größer ist als ihre Angst vor dem Tode. Aber am 15. August wird die Stadt dann doch von den Portugiesen erstürmt, geplündert und niedergebrannt. D’Almeida hat elf Tote und siebzig Verwundete zu beklagen und nur einen Wunsch: dass ihm der Ruf seiner unbeugsamen Grausamkeit nach Indien vorauseilt. Deshalb lässt er keine Gefangenen machen.
Auch an der Malabarküste sorgt d’Almeida dafür, dass man bald nur noch von dem »Teufel d’Almeida« spricht. Jedes Handelsschiff, das den Weg der Portugiesen kreuzt, wird versenkt. Onor wird niedergebrannt. In Cananor werden vierzig Bewohner zu rasch errichteten Galgen gezerrt, nur weil sie ein Pferd gestohlen haben. In Cochin wird abermals ein Schattenregent eingesetzt und eine Steinburg errichtet. Dass alle Edelsteine den Portugiesen abzuliefern sind, wird öffentlich verkündet. Den Inhalt der Gewürzlager holen sich die Portugiesen selbst. Ein Schiff nach dem anderen kehrt voll beladen in die Heimat zurück.
Der Hass wächst und wird riesengroß. Eine Gesandtschaft der Araber reist nach Rom und führt Klage wegen der Gräueltaten der Portugiesen. Alexander VI. hat keine Zeit für sie, obwohl er die Portugiesen nicht liebt. Seine Mätressen nehmen ihn zu sehr in Anspruch. Ein Anschlag auf d’Almeida misslingt und ein Versuch der maurischen Flotte, die Portugiesen während der Nacht zu überrumpeln, scheitert durch Verrat. Vor Cananor kommt es zu einer Seeschlacht, die – das glauben beide Teile – über die Zukunft Indiens entscheiden wird.
84 Schiffen und 125 Prauen der Mauren stehen elf portugiesische Schiffe gegenüber, die Lourenço d’Almeida, der Sohn des Vizekönigs, befehligt. Gekämpft wird zwei Tage und zwei Nächte lang, nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Zähnen, Nägeln und Fäusten. Das Meer färbt sich rot, auf den Planken der Schiffe waten die Kämpfenden durch Ströme von Blut. Als Lourenço d’Almeida verwundet wird und eine der portugiesischen Karavellen lichterloh zu brennen beginnt, scheint die Schlacht zu Gunsten der Mauren entschieden zu sein. Denn auch Nuno Vaz Pereira, der rasch an die Stelle des Befehlshabers getreten ist, wird ein Opfer der krummen Säbel des Feindes.
Nur weil die Portugiesen wissen, welches Schicksal sie in der Gefangenschaft erwartet, kämpfen sie weiter, auf den Schiffen, im Wasser und auf dem Lande. Denn dorthin hat sich ein Teil der Mannschaft der brennenden Karavelle retten können. Und vom Lande her kommt die große, die entscheidende Wendung. Ein Mann, der unverwundbar zu sein scheint, hat sich dort an die Spitze gestellt. Seine Verwegenheit, seine Tollkühnheit ist wie ein Zaubertrank, der Verwundeten neue Kraft gibt, Verzweifelte neue Hoffnung schöpfen lässt. Drei Stunden nachdem der einfache, bisher unbekannte Soldat Fernão de Magalhães seinen Namen zum ersten Mal in das Buch der Weltgeschichte geschrieben hat, ist die Schlacht von Cananor entschieden. Damit scheint auch das Schicksal Indiens besiegelt zu sein.
Es erweist sich aber bald, dass der Kampf erst begonnen hat. Die Schiffe der Araber finden andere, den Portugiesen unbekannte Wege zu den Gewürzhäfen und die mohammedanischen Kaufleute, kühle Rechner, erwägen nicht einmal, Indien wegen einer einzigen verlorenen Schlacht aufzugeben und abzuschreiben. Dieses Untier Portugal, rechnen sie sich aus, ist zwar nicht zu erlegen, aber es kann auch nicht überall zugleich sein. Zerstückelt man seine Kraft, wird man es selbst zerstückeln können. Vor allem dann, wenn sein Bauch voll mit Gewürzen und Edelsteinen ist.
So lässt man auf der einen Seite den Portugiesen freie Bahn und sorgt auf der anderen dafür, dass der verhasste Eindringling nicht zur Ruhe kommt: In Collam werden die zurückgebliebenen sechzehn Portugiesen ermordet, in Quiloa stirbt der von d’Almeida eingesetzte Sultan an einer Vergiftung. In Mosambik brennt das von den Portugiesen erbaute Hospital ab und auf der Insel Anchediva geht die Kirche in Flammen auf. Einmal dahin, einmal dorthin – und die Entfernungen sind groß. D’Almeida erkennt rasch, welche Gefahr ihm droht. Er fordert in Lissabon Verstärkung an und erhält sie sofort. Afonso d’Albuquerque bringt neue Schiffe, neue Soldaten, neuen Schrecken. Er erobert Muskat, Sohor und Kuriat und erstürmt die von 30 000 Mann verteidigte Festung Ormuz, die als uneinnehmbar gegolten hatte. Auch er macht keine Gefangenen.
Die mohammedanischen Kaufleute geben Indien deshalb aber immer noch nicht auf. Ist die eine Rechnung nicht aufgegangen, wird eine andere aufgehen. Ägypten muss helfen. Der Sultan von Calicut reist heimlich zu dem Kalifen und bringt von dort die erbetene Hilfe mit: die ganze ägyptische Flotte, die Emir Hoseyn, unbesiegbarer Held vieler Seegefechte, befehligt. Am 22. Januar 1508 kommt es zu der zweiten Schlacht vor Cananor. Magalhães nimmt an ihr nicht teil – er befindet sich in Mosambik –, und Francisco d’Almeida ist nach Cochin gefahren, um einem Edelsteinlager nachzuspüren, das sich im Inneren des Landes befinden soll.
Diese Schlacht dauert nicht lange. Hoseyn beweist erneut, dass man ihn nicht ohne Grund den »Unbesiegbaren« nennt. Die portugiesische Flotte wird trotz tapferer Gegenwehr vernichtet, Lourenço d’Almeida fällt. Nur drei Schiffen gelingt es, nach Cochin zu entkommen, wo es sich inzwischen erwiesen hat, dass das Edelsteinlager eine Falle war, in die der Vizekönig, ganz nach Wunsch seiner Feinde, gegangen ist.
Zunächst sinnen die Portugiesen nicht auf Rache. Zunächst beschäftigen sie sich damit, einander die Schuld an dieser Niederlage zuzuschieben. Afonso d’Albuquerque beschuldigt Francisco d’Almeida der Unfähigkeit und fordert ihn auf, sein Amt niederzulegen. Francisco d’Almeida zeiht Afonso d’Albuquerque der Unbotmäßigkeit und droht ihm, er werde ihn in Ketten legen lassen. Zwei portugiesische Heere stehen einander gegenüber, und nur einigen wenigen Besonnenen ist es zu verdanken, dass es nicht zu einem Kampf kommt.
Hier d’Almeida – da d’Albuquerque! Misstrauisch belauern die beiden Befehlshaber einander, keiner kann einen Schritt tun, ohne dass der andere davon weiß. Francisco d’Almeida verschiebt den gegen Goa geplanten Feldzug, nur weil er es nicht wagt, Cochin den Rücken zu kehren. Afonso d’Albuquerque sieht einstweilen von der Eroberung Dabuls ab, nur weil es ihm zu gefährlich erscheint, sich aus Cochin zu entfernen. Kleine Plänkeleien sind an der Tagesordnung und die Niederlage vor Cananor gerät allmählich in Vergessenheit. Die ägyptische Flotte ist allerdings nicht heimgekehrt, sondern hat sich mit der Flotte des Sultans von Diu vereinigt. Aber in Cochin kümmert das niemand. Mit einem Angriff der Ägypter wird nicht gerechnet.
Magalhães ist krank, als er den Boden Indiens wieder betritt. Ein heimtückisches Fieber schüttelt ihn. Für wen soll er sich entscheiden? D’Almeida hat er Treue geschworen, d’Albuquerque wird – das ahnt er dunkel – eines Tages alle Macht an sich reißen. Er wird sich für keinen der beiden entscheiden. Indien darf nicht verloren gehen, weil zwei ein Land beherrschen wollen, das sie noch gar nicht besitzen …
Ludovico di Bartema darf, wie kaum jemand, von sich sagen, ein weit gereister Mann zu sein: Er kennt Ägypten, Persien und Syrien, hat fast alle Häfen Vorderindiens gesehen, hat den Sunda-Archipel durchstreift und viele Jahre auf den Gewürzinseln gelebt. Ihn bewegt Magalhães, einen Vermittlungsversuch zu unternehmen.
Wochen und Monate vergehen. Bartema kann zwar keine Einigung herbeiführen, aber es gelingt ihm schließlich, die beiden Todfeinde wenigstens Schritt für Schritt zu der Erkenntnis zu führen, dass alles verloren ist, wenn die von Tag zu Tag stärker werdende ägyptische Flotte nicht bald vernichtet wird. Ein Angriff wird beschlossen und seltsamerweise kommt es wegen des Oberbefehls zu keinem Streit. Afonso d’Albuquerque erklärt sich sofort bereit, sich d’Almeida unterzuordnen.
Am 2. Februar 1509 trifft die portugiesische Flotte vor Diu ein und greift sofort an. Ein kurzer Kampf bringt keine Entscheidung, da sich Hoseyn in den inneren Hafen zurückzieht. Die Nacht vergeht und der Morgen zeigt, weshalb sich d’Albuquerque so rasch bereit gefunden hat auf den Oberbefehl zu verzichten. Er hat sich, die Dunkelheit nützend, unbemerkt mit allen seinen Schiffen davongemacht.
Wütend eröffnet d’Almeida dennoch den Angriff. Er begreift, wie die Rechnung seines Feindes aussieht: Die Ägypter sollen vernichtet werden und d’Almeida soll in diesem Kampf fallen oder zumindest so geschwächt werden, dass er außerstande sein wird, den Angriff seines nächsten Gegners abzuwehren. Zwei Fliegen mit einem Schlag! Aber diesen Gefallen wird er Afonso d’Albuquerque nicht erweisen. Er wird siegen, weil er siegen muss.
Und d’Almeida erringt den Sieg. Wieder ist es Fernão de Magalhães, der die Entscheidung herbeiführt, indem er an der Spitze einer kleinen, aber tollkühnen Schar das Flaggschiff des Feindes erklettert und den überraschten Hoseyn gefangen nimmt. Ohne ihren sieggewohnten Führer sind die Ägypter bald nur noch eine um Gnade flehende Herde, die sich widerstandslos abschlachten lässt.
Gnade? Der Vizekönig denkt an seinen toten Sohn und gewährt keine Gnade. Alle, die auf der Seite des Feindes gekämpft haben – Araber, Inder, Mauren, Neger –, werden erbarmungslos niedergemetzelt. Diesmal färbt sich das Meer vor Diu blutig rot, über fünftausend Leichen werden ihm übergeben. Melek Eias, der Sultan von Diu, wird dem Henker überantwortet, der ägyptische Feldherr wandert in die Gefangenschaft. Vielleicht wird man ihn, denkt d’Almeida, später als Geisel gut gebrauchen können.
Der eine Sieg hat einen zweiten Sieg im Gefolge. Als d’Almeida in Cochin einzieht, läuft der Großteil der Soldaten d’Albuquerques zu ihm über. D’Albuquerque wird, während er noch überlegt, wie er sich verhalten soll, gefangen genommen und in einen Kerker geworfen. Hoseyn wird ihm als Gesellschafter beigegeben.
Das heldenhafte Verhalten von Fernão de Magalhães soll belohnt werden. D’Almeida bietet ihm die Statthalterschaft Cochins an und zu seiner Überraschung lehnt der »Held von Diu« – diesen Namen haben die Soldaten rasch zur Hand gehabt – beinahe schroff ab. Magalhães hat andere Pläne und diese Pläne gleichen einer Saat, die ein anderer, ein Unbekannter, dem Acker anvertraut hat. Er weiß selbst noch nicht, welche Früchte sie tragen wird.
Im April 1509 werfen im Hafen von Cochin vier portugiesische Schiffe Anker, deren Kapitän, Diogo Lopes de Sequeira, in Lissabon den Befehl erhalten hat, Malakka zu erforschen und zu erobern. Francisco d’Almeida stellt ihm ein fünftes Schiff und sechzig Mann zur Verfügung, darunter drei Freiwillige. Der eine ist Ludovico di Bartema, den die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne schon wieder nicht schlafen lässt, der zweite Francisco Serrão, der nichts mehr hasst als festen Boden unter den Füßen, der dritte heißt Fernão de Magalhães. Ihm ist seine Umgebung plötzlich zu eng geworden. Er will die Welt sehen, kennen lernen, erobern und daran wieder ist Ludovico di Bartema schuld, der es meisterhaft versteht, das große Abenteuer, das Welt heißt, in leuchtenden Farben zu schildern.
Im August sticht die kleine Flotte in See. Ceylon bleibt zurück und dann ziehen die Schiffe auf ein unbekanntes Meer hinaus. Tage, Wochen vergehen, bis endlich Land in Sicht kommt. Es ist eine Insel, die mehr Pfeffer liefern könnte als ganz Indien, ein riesiges, von hohen Vulkanen, Sümpfen und undurchdringlichen Wäldern bedecktes Eiland, auf dem Affen, Elefanten, Tiger, Bären und dunkelhäutige Menschen leben, die ihre Heimat einmal Pedir und dann wieder Sumatera nennen. Es wäre eine lohnenswerte Aufgabe, diese Insel zu erforschen, aber dazu bleibt keine Zeit. Wieder vertrauen sich die Schiffe einem unbekannten Ozean an.
Stürme wechseln mit Windstillen ab, die tagelang die Schiffe festhalten. Auf eine spiegelglatte See, die wie geschliffenes Glas funkelt, folgen Tage, an welchen die Wellen die Höhe von Kirchtürmen erreichen. Nur die Hitze bleibt der portugiesischen Armada treu. Sie dörrt die Kehlen aus, bringt Fieber und verwandelt Menschen in leicht reizbare Bestien, die ihre Angst unter der allzu dick aufgetragenen Maske eines lärmenden Mutes verbergen. Sequeira kennt das alles, er fährt nicht zum ersten Mal unter dieser erbarmungslosen Sonne. Auch di Bartemas Gleichmut ist nicht zu erschüttern. Nur Magalhães wundert sich beinahe darüber, dass das große Abenteuer »Welt« bisweilen kaum erträglich ist.
Gerade noch zur rechten Zeit – es gibt keinen Tropfen Trinkwasser mehr an Bord – kommt ein Hafen in Sicht, der mit Fahrzeugen aller Art so voll gestopft ist, dass die fünf Schiffe der Portugiesen kaum Platz finden. Auch das Land scheint zu klein für all die Menschen zu sein, die hier durcheinander wimmeln: Araber, Javaner, Chinesen, Perser, Birmanen, Bengalen. Alle Hautfarben sind hier vertreten, unzählige Sprachen und – die im Hafen ankernden Schiffe bergen alle Kostbarkeiten der Welt.
Diese sind jedoch für Sequeira unerreichbar, das erkennt er sofort. Eine so volkreiche Stadt angreifen? Den Versuch unternehmen, Malakka zu erobern? Dazu bedürfte es eines Heeres, das stärker ist als alle, die Portugal je nach Indien entsandt hat. Selbst auf der Hut vor einem Überfall sein, ein wenig Handel treiben, auskundschaften, wie die Stadt befestigt ist und wer sie verteidigt, das ist alles, was dreihundert Mann hier unternehmen können, wollen sie lebend in die Heimat zurückkehren.
Zum ersten Mal treten die Portugiesen mit den Söhnen des Reiches der Mitte in Handelsbeziehungen. Obwohl ein unüberbrückbares Hindernis zwischen ihnen liegt, die Sprache, verstehen die beiden Gruppen einander gut. Höflichkeitsbesuche auf dem Lande, Höflichkeitsbesuche auf den Schiffen, Glasperlen und Waffen werden gegen Pfeffer und Porzellan eingetauscht, Pläne für die Zukunft werden gesponnen. Mitten hinein in diese rasch geschlossene Freundschaft – es ist eine Freundschaft – platzt die Nachricht, die ein chinesischer Kaufmann überbringt: Die Malaien planen einen Überfall. Denn selbst bis hierher ist den Portugiesen die Kunde vorausgeeilt, dass sie Sendboten eines Teufels sind, der plündert, raubt, mordet und brandschatzt.
Diogo Lopes de Sequeira gibt sofort den Befehl zur Rückkehr auf die Schiffe. Aber es ist schon zu spät. Hunderte von kleinen wendigen Booten haben die portugiesische Flotte eingekreist, tausend Krieger aller Hautfarben greifen an. Mit Mühe gelingt es den Portugiesen, die offene See zu erreichen. Sie verlieren zwei Schiffe, elf Mann werden getötet, vierzig gefangen genommen. Magalhães, der wieder seine Tollkühnheit beweist, wird verwundet.
Abermals eine Fahrt durch eine Hölle von Stürmen, Windstillen, Durst und Fieberqualen. Als Sequeira schließlich im Januar 1510 in Cochin an Land geht, hört er, dass mehr verloren gegangen ist als zwei Schiffe und einundfünfzig Mann. Das Vizekönigreich Indien besteht nicht mehr.
III
Im Oktober 1509 ist d’Almeida, einem Befehl des Königs gehorchend, nach Portugal zurückgekehrt. Afonso d’Albuquerque, mit dem Titel eines Generalkapitäns ausgezeichnet, ist an seine Stelle getreten. Am 2. Januar 1510 haben die Inder – allen ist entgangen, dass sie ein riesiges Landheer aufgestellt haben – überraschend angegriffen und in einer drei Tage währenden Schlacht einen überwältigenden Sieg davongetragen. Der Emir Hoseyn ist entkommen. D’Albuquerque ist schwer verwundet. Das portugiesische Expeditionsheer ist in Cochin und Cananor – diese beiden Städte konnten gehalten werden – zusammengedrängt worden und die Inder rüsten zu einem neuen Angriff. Das sind die Nachrichten, die Sequeira und seine Mannschaft bei der Rückkehr in die neue Heimat Indien erwarten.
Magalhães erkennt als Einziger, dass es nicht möglich sein wird, Cochin und Cananor zu halten. Es gibt nur einen Weg, den völligen Untergang zu vermeiden: Indien zunächst den Rücken zu kehren. Er setzt seinen Willen durch und die portugiesische Flotte sticht wieder in See. Aber unterwegs erwacht d’Albuquerque aus seinen Fieberträumen. Er beginnt zu toben, als er hört, welchen Kurs die Flotte nimmt und befiehlt Magalhães zu sich. Es kommt zu einer hitzigen Auseinandersetzung. Magalhães beschuldigt d’Albuquerque, sinnlos Blut vergossen zu haben und weiter sinnlos Blut vergießen zu wollen. D’Albuquerque wirft Magalhães vor, er habe sich Rechte angemaßt, die ihm nicht zustünden. Ludovico di Bartema, der hinzutritt, versucht zu vermitteln. Seine Mühe ist umsonst. Der Kurs der Flotte wird geändert.
Ein Streit, nichts weiter. Aber ein Streit, der viele Folgen haben und all jenen, welche die Geschichte dieser Zeit schreiben werden, die Frage in den Mund legen wird, welchen Lauf die Weltgeschichte genommen hätte, wäre es nicht zu diesem Streit gekommen. Einstweilen hat dieser Streit noch keine Folgen. Die Flotte nimmt Kurs auf Goa. Goa zu erobern ist d’Albuquerques Plan. Er will seinem Gegner d’Almeida nicht den Triumph gönnen, dass er, d’Albuquerque, mit leeren Händen nach Portugal zurückkehrt. Der frisch gebackene Generalkapitän hat Angst, seinen Titel zu verlieren, wenn er nicht irgendeinen Erfolg für sich verbuchen kann. Er braucht Goa als Ersatz für das verlorengegangene Indien.
Goa wird im Sturm genommen, aber nicht lange darf sich d’Albuquerque seines Triumphes erfreuen. Ein riesiges Entsatzheer der Inder kreist die Stadt ein und droht, den Portugiesen den Rückzug zu ihrer Flotte abzuschneiden. Abermals bleibt als einziger Weg eine rasche Flucht. Sie wird mit vielen Opfern erkauft. Ein Schiff geht verloren, dreißig Mann geraten in Gefangenschaft. Erneut rät Magalhães zur Rückkehr in die Heimat.
Wieder lehnt d’Albuquerque eine Rückkehr nach Portugal schroff ab. Er kehrt nach Cochin zurück und findet dort elf Schiffe vor, die Diogo de Vascogoncellos und Gonçalo de Sequeira aus Portugal nach Indien geführt haben. Diese willkommene Verstärkung bestärkt d’Albuquerque in seiner Absicht nur noch mehr. Er beruft einen Kriegsrat aller Kapitäne ein und alle außer Magalhães treten dafür ein, Goa erneut zu berennen. Goa muss Portugal gehören, denn wer Goa besitzt, beherrscht die Straßen nach Ormuz und Aden, ja das ganze westliche Meer. Magalhães’ Einwand, dass selbst ein Sieg die Rückkehr nach Lissabon unmöglich machen werde, da der für die Heimfahrt notwendige Monsun verpasst würde, wird von d’Albuquerque mit den Worten abgetan: »Auch nach der Unterwerfung Goas werde ich nicht zurückkehren, vorher muss Indien erobert werden.«
Am 24. November 1510 treten 1600 Portugiesen erneut zum Angriff gegen Goa an. Schon einen Tag später fällt die Zitadelle und wieder einen Tag später die Stadt. Alle Einwohner, auch Frauen und Kinder, werden niedergemacht. Das indische Entsatzheer, das rasch herangerückt ist, wird vernichtend geschlagen. Die Unterwerfung Goas hat zur Folge, was d’Albuquerque selbst in seinen kühnsten Träumen nicht erhofft hat: Ganz Indien ergibt sich. Das Untier Portugal kann nicht erlegt werden. Zerstört man ein Schiff, kommen drei andere aus der unbekannten Ferne. Erschlägt man einen Portugiesen, treten fünf andere an seine Stelle. Es ist besser, wenn man sich mit diesem Untier verträgt.
Der Sultan von Diu will plötzlich in Frieden und Freundschaft mit Portugal leben und stimmt dem Bau einer Festung zu. Der Sultan von Calicut schickt eine Gesandtschaft mit kostbaren Geschenken zu d’Albuquerque. Der Beherrscher Bisnagas kennt keinen anderen Wunsch, als mit Portugal in Handelsbeziehungen zu treten. Auch die Herrscher des Binnenlandes lassen d’Albuquerque wissen, dass sie nie daran gedacht haben, ihn und seine Gefährten als Feinde anzusehen. Geschenke über Geschenke treffen in Goa ein.
D’Albuquerque gibt sich damit nicht zufrieden. Er denkt an die Stadt, von der ihm Sequeira erzählt hat. Dass die arabischen Handelsschiffe, Vorderindien vermeidend, den Weg ins Rote Meer nehmen, weiß er längst. Also muss er den größten Gewürzmarkt Hinterindiens selbst in die Hand bekommen. Wer Malakka besitzt, beherrscht den Gewürzhandel der Welt, und Portugal wird Malakka besitzen. Durch ihn, durch Afonso d’Albuquerque, den ein Magalhães daran hindern wollte, den Weg zu beschreiten, der zu Ruhm, Geld, Macht und Ehre führt.
Am 1. Juli 1511 ankert die portugiesische Flotte im Hafen von Malakka. Durch Kundschafter erfährt d’Albuquerque, dass dem Sultan achttausend Geschütze, dreißigtausend Krieger und vierzig Kriegselefanten zur Verfügung stehen.
Das ist eine gewaltige Streitmacht, aber sie ist nicht gewaltig genug, den an sofortige Unterwerfung gewöhnten Eroberer Goas abzuschrecken. Zuerst fordert d’Albuquerque die Herausgabe der Gefangenen. Als sie abgelehnt wird, lässt er den Hafen und die am Strand liegenden Häuser in Brand schießen. Nun gibt Mahmud, der Sultan, die Gefangenen heraus. Doch damit ist d’Albuquerque jetzt nicht mehr zufrieden. Er, der bisher überhaupt noch keinen Schaden erlitten hat, verlangt Schadensersatz und setzt die Forderung so hoch an, dass sie selbst das reiche Malakka nicht erfüllen kann.
Auch Mahmud hat von dem Fall Goas gehört. Er hat Angst vor den Portugiesen und liebt außerdem den Frieden. Verhandlungen werden geführt, Botschaften werden gewechselt. Es wird gefeilscht, gedroht, beteuert und geprahlt. Am Morgen des 25. Juli werden die Verhandlungen abgebrochen, und schon eine Stunde später eröffnet d’Albuquerque den Angriff auf die Stadt.
Die Truppen werden in zwei Hälften geteilt. Die eine führt João de Lima, die andere der Generalkapitän selbst. De Lima geht in der Nähe des Sultanspalastes an Land, d’Albuquerque bei der einzigen Brücke, welche die Malaienstadt mit der Chinesenstadt verbindet. Es ist sein Plan, zunächst diese Brücke zu erobern und sich dann mit de Lima zu vereinigen. Dass er in diesem Fall die Chinesen im Rücken haben wird, beunruhigt ihn wenig. Denn er glaubt nicht recht, dass ihn die Söhne des Himmels bekämpfen werden. Sie sind Kaufleute und keine Krieger.
Diese Rechnung geht nur zum Teil, zu einem sehr kleinen Teil auf. Zwar greifen die Chinesen nicht in den Kampf ein, aber es gelingt d’Albuquerque auch nicht, die Brücke zu erobern. Die Malaien überschütten seine Truppen mit einem Hagel vergifteter Pfeile, Kriegselefanten trampeln jeden nieder, der ihnen nahe kommt, und im Nahkampf sind die Portugiesen ihrem Feind unterlegen: Sie wissen keinen Rat gegen eine ihnen unbekannte Waffe, einen Dolch mit einer schlangenförmigen Klinge, der ihnen die Eingeweide aus dem Leibe reißt. João de Lima ergeht es wie d’Albuquerque. Auch er ist außerstande, das ihm gesteckte Ziel – die Erstürmung des Sultanspalastes und damit die Gefangennahme des Sultans – zu erreichen.
Am Abend sind die Portugiesen wieder auf ihren Schiffen. Sie sind niedergeschlagen, mit Wunden bedeckt, haben kaum noch Hoffnung auf einen Sieg. Untätig müssen sie zusehen, wie der Feind allerorts in der Stadt Verschanzungen aufwirft, Kanonen in Stellung bringt, Minen und Fußangeln auslegt. Der Generalkapitän spricht jedem Einzelnen Mut zu, aber er liest von den Gesichtern der Soldaten nur zu deutlich ab, dass ein Scheitern des zweiten Angriffs zugleich das Ende dieses Feldzugs bedeuten wird.
Am 10. August wird schon in den frühen Morgenstunden um die Brücke gekämpft. Die Erbitterung ist so groß, dass einer, der zusähe, glauben könnte, hier kämpften nicht Menschen, sondern wilde Tiere gegeneinander. Hin und her wogt der Kampf, die Portugiesen erobern die Brücke, müssen sie wieder aufgeben, klettern über Leichenbarrikaden, viele von ihnen werden das Opfer der furchtbaren Waffe, die Kris heißt. Als die Sonne im Zenit steht, ist noch immer keine Entscheidung gefallen.
Der »Held von Diu« bringt sie. Er kämpft plötzlich allein, nur mit einer Lanze, und er kämpft nicht gegen Menschen, sondern gegen Elefanten. Mit kurzen Stichen verwundet er sie, treibt sie zur Raserei und jagt sie gegen die Malaien. Die braune Mauer beginnt zu wanken, zerbröckelt, zerbricht. Auf der Brücke flattert die Fahne Portugals. Der Generalkapitän reicht Fernão de Magalhães die Hand. Er spricht ein paar anerkennende Worte. Aber er hasst Magalhães in diesem Augenblick mehr denn je.
Wenige Stunden später ist auch der Sultanspalast gefallen. Nur noch einige wenige Trupps der Malaien leisten Widerstand. Ströme von Blut fließen durch die Straßen zum Meer hinunter. Die Portugiesen plündern Haus um Haus. Männer und Kinder werden erschlagen, Frauen dürfen leben. Sie müssen den Soldaten an Ort und Stelle zu Willen sein. Magalhães schaudert, als er das sieht. Die Saat des Hasses, die hier gesät wird, muss irgendwann einmal aufgehen, denkt er, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zehn Jahren, vielleicht in hundert Jahren, aber sicher irgendwann einmal. In Lissabon sprach man davon, das Christentum übers Meer zu tragen. Ist dies das Christentum?
Afonso d’Albuquerque wird nicht von solchen Skrupeln geplagt. Er macht Pläne und bringt sie zu Papier: Duarte Fernandes wird nach Siam segeln, Ruy da Cunha nach Pegu. Und nach China? Wer wird die Fahrt nach China unternehmen? Das wird er selbst tun, nachdem er sein nächstes Ziel erreicht hat. Er sieht dieses Ziel schon vor sich, zum Greifen nahe: Die Eroberung der Molukken wird den Ring schließen. Calicut – Goa – Malakka – die Molukken: Ist dieses nächste Ziel erreicht, wird Portugal der mächtigste Staat der Erde sein und Afonso d’Albuquerque der mächtigste Mann in diesem mächtigen Staat.
Im Dezember 1511 ist es so weit. António d’Abreu, Francisco Serrão und Simão Afonso Bisigudo werden mit drei Schiffen und hundert Mann die Fahrt zu den Molukken unternehmen. Fernão de Magalhães meldet sich freiwillig, denn auch er ist schon längst den Lockungen der unbekannten, leuchtenden Ferne erlegen.
»Ihr wollt nach Amboina, Magalhães?«, fragt d’Albuquerque.
»Ja«, sagt Magalhães heiser.
»Ihr wolltet doch immer in die Heimat zurückkehren.«
»Das will ich nicht mehr.«
»Ihr werdet aber zurückkehren«, sagt d’Albuquerque.
Das ist das ganze Gespräch. Magalhães weiß, dass die Brücke in Malakka längst vergessen ist. Der Generalkapitän kennt keinen Dank, er kennt nur Hass. Auch Magalhães beginnt d’Albuquerque zu hassen. Bald wird er dieses Gefühl auf ganz Portugal ausdehnen.
IV
Obwohl er ein Ehrengehalt erhält, weiß Magalhães, dass ihm eine Rückkehr nach Indien verwehrt ist. Afonso d’Albuquerque hat gründlich für verschlossene Türen gesorgt. Eine Zeit lang beschäftigt er sich mit Nautik, Kosmografie, dem Zeichnen von Landkarten und dem Studium all jener Bücher, in denen das lockende Abenteuer Welt beschrieben wird. Bald wird er jedoch dieser Tätigkeit müde. Als er erfährt, dass König Manuel ein Heer zur Unterwerfung der Mauren Nordafrikas aufstellen lässt, meldet er sich bei Dom Jayme, dem Herzog von Bragança, und wird in Gnaden aufgenommen.
Nordafrika bringt Magalhães gleich zweimal Unglück. Bei einem Gefecht bekommt er einen Lanzenstich in die Kniekehle, der den Nerv durchtrennt. Diese Verwundung wird ihm bis an sein Lebensende zu schaffen machen. Nicht weniger setzt ihm eine Beschuldigung zu: Man wirft ihm vor, Kriegsbeute heimlich an die Beduinen verkauft und den Erlös für sich behalten zu haben. Dieser Vorwurf empört Magalhães derart, dass er ohne Erlaubnis das Heer verlässt und nach Lissabon zurückkehrt. Das ist abermals ein Vergehen und man stellt den »Helden von Diu« vor ein Gericht. Wohl erfolgt ein Freispruch, doch man lässt durchblicken, dass man von einer Verurteilung nur wegen der Verdienste abgesehen hat, die der Angeklagte für sich geltend machen kann. So erhält Magalhães’ Hass neue Nahrung. Außerdem wird ihm klar, dass ihm nach Indien nun auch Afrika verschlossen ist.
Studierstube eines Kosmografen im 16. Jahrhundert.
Wieder beschäftigt er sich eine Zeit lang mit Schifffahrtskunde, Längenberechnungen, dem Studium der Geografie und der Mathematik und abermals kann ihm diese Beschäftigung bald keine Befriedigung mehr geben. Er versucht, eine Audienz beim König zu erlangen und wird abgewiesen. Als er verbittert nach Hause kommt, überreicht ihm der Astronom Ruy Faleiro, mit dem er das dürftige Quartier teilt, einen soeben eingetroffenen Brief. Dieser Brief erreicht Magalhães gerade in dem Augenblick, da sein Hass gegen alles, was Portugal heißt, seinen Höhepunkt erreicht hat.
Den Brief hat Francisco Serrão geschrieben. Serrão hat die Molukken erreicht und schildert diese Inselgruppe in den leuchtendsten Farben. Ein Paradies, ein Dorado, in dem jeder sein Glück machen kann, eine neue Welt, die größer und reicher ist als die von Vasco da Gama entdeckte. Magalhães kann das nicht ertragen. Er ist sechsunddreißig Jahre alt und soll zur Tatenlosigkeit verurteilt sein? Er soll zeitlebens hinter Männern zurückstehen, die weit weniger Fähigkeiten besitzen als er? Er soll seine Pläne nicht verwirklichen dürfen? Sein Tatendurst soll sinnlos versiegen wie eine Quelle im Sand? Weshalb? Nur weil der König von Portugal Afonso d’Albuquerque wie eine Gottheit anbetet?
Diese Inselgruppe der Molukken … liegt sie überhaupt in dem Gebiet, das der Papst, als er die Welt teilte, Portugal zugesprochen hat? Liegt sie nicht auf spanischem Gebiet? Und könnte man sie nicht auf dem Westweg, um Südamerika herum, erreichen? Ruy Faleiro, der Astronom, der sich zurückgesetzt fühlt, weil ihm niemand glauben will, dass er eine brauchbare mathematische Formel zur Bestimmung der geografischen Längengrade gefunden hat, teilt diese Meinung und spricht offen aus, was Magalhães denkt: Portugal hat Spanien die Molukken gestohlen, denn sie liegen jenseits der Linie, die Alexander VI. im Jahre 1494 in seiner Bulle festgelegt hat. Sie müssen dort liegen, wenn man Francisco Serrão Glauben schenken darf: Zehn Monate war die Flotte unterwegs, bevor sie die größte Insel, Ternate, erreichte!
Magalhães beginnt mit diesem Gedanken zu spielen und merkt nicht, dass der Gedanke bald mit ihm spielt. Hat nicht auch Cristóbal Colón Portugal den Rücken kehren müssen, weil man in Portugal fähiger Männer nicht bedarf? Hat Spanien Colón etwa abgewiesen? Dieser Gedanke lässt Magalhães nicht mehr los. Zunächst beantragt er jedoch eine Erhöhung seiner Ehrenpension, die aber erneut abgelehnt wird. Da schaltet sich das Schicksal ein: Im königlichen Palast trifft Magalhães mit dem Antwerpener Schiffsreeder Cristobal de Haro zusammen.
Cristobal de Haro hat von Lissabon aus Schiffe nach Brasilien und Indien geschickt. Er allein hat die Kosten für diese Expedition getragen und als Dank dafür hat ihm d’Albuquerque drei Schiffe versenkt. Schadensersatz? König Manuel denkt nicht daran, de Haro auch nur einen einzigen Teston zu bezahlen. Was d’Albuquerque tut, ist richtig, und wenn d’Albuquerque die Schiffe in Grund gebohrt hat, so hat er das mit Recht getan.