Krausser, Helmut Glutnester

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Du hast Zeit,

du hast Licht.

 

Die Ewigkeit

hast du nicht.

 

Fang einfach an.

Anfanghund

 

Freundin sagt: Mach mehr Hund.

Mach ein Gedicht mit Hund.

Mach Gedichte mit Hunden, denn:

Die Leute hassen Gedichte, doch sie

lieben Hunde, das hebt sich auf,

prompt spielst du nie mehr auswärts.

 

Nach einem Hund kannst du

praktisch alles behaupten. Und füg

am Ende einen Hund hinzu, dann

gehst du auf Nummer Sicher und

machst die Menschen glücklich.

 

Endehund.

Mohnrot, rapsgelb, himmelblau.

Wochen voller Mücken und Fische.

 

Rot das Fischblut, die Kirschen, dein

Nacken und der Abendhorizont.

 

Gelb der Eidotter, die Butter,

der Amselschnabel, die Hälfte der Wespen.

 

Blau dein Kleid, das Meer, der

Himmel und die Kornblumen.

 

Drei Farben. Rot, Gelb, Blau. Wie von

Macke gemalt. So war das.

Vor etwa 6.000 Jahren

tauchte ich auf, ein dünner

Typ auf dem Marktplatz.

Was ist das für einer, fragten

sich die Leute, der quatscht

die ganze Zeit, aber gut,

hören wir mal, was er sagt.

So begann ich Geschichten

zu erzählen, selbsterfundene und

von Vorgängern geklaute, brachte

die Leute zum Lachen und

Weinen und bat am Ende um

ein wenig zu essen. Meist

kam ich damit so einigermaßen

durch, ohne allzuviel

arbeiten zu müssen.

 

Mir gegenüber sitzt eine

junge Literatin, sie sagt,

sie schreibe für sich selbst,

also ohne billige Affekte

und Gekünsteltes.

Nicht für ein Publikum.

Spannungslinien finde sie

ermüdend, Pointen gar gräßlich,

lineare Geschichten seien höchstens

Kindern angemessen. Sie

lebt von Preisen und

Stipendien und lacht über

mich Knecht, der ich jeden Tag schufte,

der ich mich unter ständigen

Einfallszwang stelle, um meinen

Gönnern zu Dienst zu sein.

 

Und ich dachte zurück, wie das

war, vor 6.000 Jahren, ich hielt

mich damals für frech, ja beinahe

dreist.

Glutnester suchen,

draußen in der Nacht,

mit der bloßen nackten

Hand aufnehmen, zum

Mund hinaufheben,

Luft reinpusten,

bis sie heller leuchten, bis

ich Feuer fange, brenne,

wieder Fackel bin und

zündeln kann.

Leben ist ja nur

ein Palindrom

für seltsames Wandern,

 

wie kaum etwas

kein Anagramm ist

für gar nichts.

 

Was ich damit sagen will,

ist viel, doch weniger

wär auch nicht mehr.

 

Solange die Sonne,

die große Glucke,

die Ur-Uhr da oben,

 

den Ozean wärmt,

ist Zeit und das

Mögliche auch.

Glückliche Künstler

 

Kurz vor Weihnachten sitzen im Ristorante

glückliche Künstler,

alle haben von ihren Auftraggebern

Geld bekommen,

jeder möchte

die Rechnung übernehmen,

der Kellner bringt

Pizza.

Eben sah ich bei Terra X

ein wundervolles Bild

aus der Serengeti:

Um den Kadaver eines

toten Elefanten scharten sich

friedfertig die sonst so

verfeindeten Löwen, Hyänen und Geier.

Die Löwen ließen den Aas-Spezialisten

den Vortritt, weil sie bessere

Werkzeuge haben, die Haut des

Elefanten zu durchtrennen.

Fleisch wird genug für

alle da sein.

So ist das Paradies.

Es braucht nur einen

toten Elefanten dafür.

Mir fällt partout auf Heim kein

so zwingend geiler Reim ein,

geschweige denn auf Heimat.

Viel lieber würd ich wer sein,

der auf sich selbst nen Reim hat.

 

Bin grade ohne Ort und Wort,

ein Halbfinalakkord,

nicht aufgelöst und kaum