Dirk Husemann

Arminius – Der gemästete Mythos

Campus Verlag
Frankfurt/New York

Über das Buch

Ob Jeanne d’Arc oder Wilhelm Tell – die Rezeptionsgeschichte kennt unzählige historische Persönlichkeiten, die im Nachhinein zu Nationalhelden stilisiert und politisch instrumentalisiert wurden. Auch der Cherusker-Fürst Arminius, Bezwinger des Varus in der legendären Schlacht im Teutoburger Wald, erfuhr dieses Schicksal. Ulrich von Hutten machte ihn zum heldenhaften Hermann, bei Kleist führte Arminius die Deutschen gegen Napoleon. Doch was ist dran am Mythos um den »liberator Germaniae«?

Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop

Über den Autor

Dirk Husemann

Dirk Husemann, geboren 1965, ist Archäologe und Historiker. Seit vielen Jahren ist er als freier Autor und Journalist, unter anderem für Spektrum der Wissenschaft, GEO und Spiegel Online, tätig. Bei Campus erschienen bislang von ihm »Die Neandertaler« (2005), »Spiele, Siege und Skandale« (2007) und »Der Sturz des Römischen Adlers« (2008). Dirk Husemann lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort des Geschehens in Ostbevern bei Münster.

Inhalt

»Die deutsche Nationalität, die siegte in diesem Drecke«

Lohenstein und Klopstock – Pathos in den Lesestuben

Kleist – die Sprachgewalt der rohen Horde

Grabbe und Heine – von der Legende zum Wintermärchen

Hermannsdenkmal – ein Germane wird Goliath

Ateliers voller Einfaltspinsel

Arminius im Ausland

Kulturmotor Mythos

Campus Kaleidoskop

Impressum

»Die deutsche Nationalität, die siegte in diesem Drecke«

Heine, Klopstock, Kleist – Arminius’ Heldentat inspirierte besonders zur Zeit des Kampfes gegen Napoleon und im Vormärz deutsche Geistesgrößen. Noch heute hält Arminius für Unterhaltungsromane im Stil des Herrn der Ringe her.

Die Pioniertat floss aus der Feder eines dichtenden Ritters. Ulrich von Hutten lebte, kämpfte und schrieb zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Er wetterte gegen die Kirche und war begeisterter Lutheraner, er war Krieger für den Kaiser und Verfechter des Humanismus. Die katholische Kirche hasste ihn. Ein Vertreter des römischen Papstes schrieb 1521 über Ulrich von Hutten: »Dieser Hutten ist nur eine wenig vermögende Bestie, die höheren geistlichen Würdenträgern Deutschlands zittern vor der Satire dieses Starrkopfs, indessen ein Haufen verschuldeter Edelleute ihn vergöttert. In verschwörerischem Mutwillen gebärdet sich dieser ruchlose Schurke, dieser elende Bösewicht und Mörder, dieser lasterhafte Lump und arme Schlucker als Staatsverbesserer.« Tatsächlich verfasste Hutten seine Polemiken mit dem Fehdehandschuh, für seine feinsinnigen Verse aber legte er die Eisenfaust beiseite.

Ulrich von Hutten erweckte Arminius zum Leben. Die Zeit war reif. 1455 war die Germania des Tacitus wiederentdeckt worden, 1470 kam die römische Kriegsgeschichte des Florus heraus, 1505 tauchten die Annalen des Tacitus auf, 1520 feierten die Zeilen des Velleius Paterculus Neuauflage. Die Germanen waren überall. Nur in der Erinnerung und Überlieferung Mitteleuropas hatten sie bloß in Zerrbildern überlebt. Ein Unding der Geschichte: Die Franzosen verehrten Jeanne d’Arc, die Schweizer Wilhelm Tell, die Böhmen hatten Johannes Hus und den heiligen Wenzel. In den deutschen Fürstentümern aber waren Heldenfiguren selten und wenn überhaupt vorhanden, dann nur als Reflexe mittelalterlicher Herrscher wie Karl dem Großen oder Friedrich Barbarossa. Ein Nationalheld vom Schlage eines Vercingetorix aber ließ auf sich warten.

Ulrich von Hutten stopfte diese Lücke mit Arminius. Oft begab sich Hutten auf Kriegszug und Bildungsreise durch Europa, der Weg führte ihn 1515 nach Italien. Hier lernte er Tacitus ebenso kennen wie die Italiener. So sehr Hutten von dem antiken Meister begeistert war, so sehr verachtete er die Italiener der Gegenwart. Aus beidem schöpfte der Schriftsteller Kraft für seine politischen Texte. Hutten wollte den Nachkommen Roms zeigen, dass auch die Germanen einen Helden aufzuweisen hatten. Arminius kam ihm da gerade recht.

In seinem ersten Arminiustext zieht Hutten mit dem Cherusker gegen den Papst. Die Klagschrift genannte Schmähung richtet der Dichterritter an Friedrich den Weisen, um den Kurfürsten zum Kampf gegen Rom zu bewegen. Die darin enthaltenen Zeilen sind die literarische Wiedergeburt des Arminius:

»In solicher Rechnung gib ich euch die Westpholen auch zu und die man vorzeiten Cheruscos und Caucos hat genennt. Dieselbigen haben sich überaus redlich und ehrlich beweisen in dem römischen Krieg, den etwan der Kaiser Octavianus mit unsern Vorfahren geführt. Von ihnen ist auch herkommen der allerunüberwindlichst und starkmütigst Held Arminius (welchem Gezeugnus unverglichlicher Tugend und Ehren sein eigene Feind geben), der nit allein sein Ort, Gebiet und Vaterland, sonder die gantzen teutschen Nation von den Händen der Römer uff die Zeit, so sie am allermächtigsten und in der Blüt ihrer Herrschung waren, erlöset und wieder in Freiheit gesetzt, den Römern großen und unverglichlichen Schaden zugefügt, sie zuletzt gestrencklich verjagt und ausgetrieben.« Die flammenden Worte fruchteten zwar nicht bei Friedrich dem Weisen, aber beim Autor selbst. Ulrich von Hutten hatte an seinem eigenen Stoff Feuer gefangen.

Der große Wurf gelingt Hutten später. In Arminius bringt er die deutsche Frage vor das Gericht der Götter. Nicht, dass Ulrich von Hutten die Szene aus dem Nichts geschöpft hätte. Er bediente sich bei Lukian, den er ebenso wie Tacitus und die Italiener in Italien entdeckte. Während der Arminius aus den Texten des Tacitus entstieg, steuerte Lukian Szene und Form bei. Bei dem römischen Dichter streiten Alexander der Große, Scipio