Das mehrfach verfilmte Buch »gehört zu den besten Prosabüchern, die in der DDR geschrieben wurden« (FAZ). Es erzählt die Geschichte aus einem Ghetto während des Krieges. Es ist nicht eine Geschichte vom Widerstand, sondern von einem Heldentum ganz anderer Art; eine melancholisch-heitere, leise, eine kunstvoll komponierte Geschichte ist es, die ohne Phantasie und Menschlichkeit nicht denkbar wäre und deren Held Jakob ein »Lügner aus Barmherzigkeit« ist.

Jurek Becker wurde für dieses außerordentliche Buch einer »optimistischen Tragödie« mit dem Heinrich-Mann-Preis und dem Schweizer Charles-Veillon-Preis ausgezeichnet. 1974 erhielt er den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, 1986 den Adolf-Grimme-Preis in Gold für die Drehbücher zur Fernsehserie Liebling Kreuzberg.

Jurek Becker, 1937 in Lodz geboren, wuchs im dortigen Ghetto auf und war mit seinen Eltern in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. Er starb 1997. Als suhrkamp taschenbücher liegen vor: Irreführung der Behörden (st 271), Der Boxer (st 2954), Schlaflose Tage (st 626), Nach der ersten Zukunft (st 941), Aller Welt Freund (st 1151), Bronsteins Kinder (st 1517), Amanda herzlos (st 2295) und der Materialband Jurek Becker (st 2116). 2004 erschien Ihr Unvergleichlichen. Briefe, ausgewählt von Christine Becker und Joanna Obruśnik.

Jurek Becker

Jakob der Lügner

Roman

Suhrkamp

Umschlagfoto: Isolde Ohlbaum

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013

© 1969 Aufbau-Verlag Berlin und Weimar

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil desWerkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73140-6

www.suhrkamp.de

Ich höre schon alle sagen, ein Baum, was ist das schon, ein Stamm, Blätter, Wurzeln, Käferchen in der Rinde und eine manierlich ausgebildete Krone, wenn’s hochkommt, na und? Ich höre sie sagen, hast du nichts Besseres, woran du denken kannst, damit sich deine Blicke verklären wie die einer hungrigen Ziege, der man ein schönes fettes Grasbüschel zeigt? Oder meinst du vielleicht einen besonderen Baum, einen ganz bestimmten, der, was weiß ich, womöglich einer Schlacht seinen Namen gegeben hat, etwa der Schlacht an der Zirbelkiefer, meinst du so einen? Oder ist an ihm jemand Besonderer aufgehängt worden? Alles falsch, nicht mal aufgehängt? Na gut, es ist zwar ziemlich geistlos, aber wenn es dir solchen Spaß macht, spielen wir dieses alberne Spiel noch ein bißchen weiter, ganz wie du willst. Meinst du am Ende das leise Geräusch, das die Leute Rauschen nennen, wenn der Wind deinen Baum gefunden hat, wenn er sozusagen vom Blatt spielt? Oder die Anzahl an Nutzmetern Holz, die in so einem Stamm steckt? Oder du meinst den berühmten Schatten, den er wirft? Denn sobald von Schatten die Rede ist, denkt jeder seltsamerweise an Bäume, obgleich Häuser oder Hochöfen weit größere Schatten abgeben. Meinst du den Schatten?

Alles falsch, sage ich dann, ihr könnt aufhören zu raten, ihr kommt doch nicht darauf. Ich meine nichts davon, wenn auch der Heizwert nicht zu verachten ist, ich meine ganz einfach einen Baum. Ich habe dafür meine Gründe. Erstens haben Bäume in meinem Leben eine gewisse Rolle gespielt, die möglicherweise von mir überbewertet wird, doch ich empfinde es so. Mit neun Jahren bin ich von einem Baum gefallen, einem Apfelbaum übrigens, und habe mir die linke Hand gebrochen. Alles ist einigermaßen wieder verheilt, doch gibt es ein paar diffizile Bewegungen, die ich seitdem mit den Fingern meiner linken Hand nicht mehr ausführen kann. Ich erwähne das deshalb, weil es als beschlossene Sache gegolten hat, daß ich einmal Geiger werden sollte, aber das ist an und für sich ganz unwichtig. Meine Mutter wollte es zuerst, dann wollte es mein Vater auch, und zum Schluß haben wir es alle drei so gewollt. Also kein Geiger. Ein paar Jahre später, ich war wohl schon siebzehn, habe ich das erstemal in meinem Leben mit einem Mädchen gelegen, unter einem Baum. Diesmal war es eine Buche, gut fünfzehn Meter hoch, das Mädchen hat Esther geheißen, oder nein, Moira, glaube ich, jedenfalls war es eine Buche, und ein Wildschwein hat uns gestört. Kann sein, daß es auch mehrere waren, wir haben keine Zeit gehabt, uns umzudrehen. Und wieder ein paar Jahre später ist meine Frau Chana unter einem Baum erschossen worden. Ich kann nicht sagen, was es diesmal für einer war, ich bin nicht dabeigewesen, man hat es mir nur erzählt, und ich habe vergessen, nach dem Baum zu fragen.

Und jetzt der zweite Grund, warum sich meine Augen verklären, wenn ich an diesen Baum denke, wahrscheinlich oder ganz sicher sogar der wichtigere von beiden. In diesem Ghetto sind Bäume nämlich verboten (Verordnung Nr. 31: »Es ist strengstens untersagt, auf dem Territorium des Gettos Zier- und Nutzpflanzen jedweder Art zu halten. Das gleiche gilt für Bäume. Sollten beim Einrichten des Gettos irgendwelche wildwachsenden Pflanzen übersehen worden sein, so sind diese schnellstens zu beseitigen. Zuwiderhandlungen werden …«).

Hardtloff hat sich das ausgedacht, warum weiß der Teufel, vielleicht wegen der Vögel. Dabei sind tausend andere Sachen auch verboten, Ringe und sonstige Wertgegenstände, Tiere zu halten, nach acht auf der Straße sein, es hätte keinen Sinn, alles aufzählen zu wollen. Ich stelle mir vor, was mit einem geschieht, der einen Ring am Finger hat und mit einem Hund nach acht auf der Straße angetroffen wird. Aber nein, das stelle ich mir gar nicht vor, ich denke überhaupt nicht an Ringe und Hunde und an die Uhrzeit. Ich denke nur an diesen Baum, und meine Augen verklären sich. Für alles habe ich Verständnis, ich meine, theoretisch kann ich es begreifen, ihr seid Juden, ihr seid weniger als ein Dreck, was braucht ihr Ringe, und wozu müßt ihr euch nach acht auf der Straße rumtreiben? Wir haben das und das mit euch vor und wollen es so und so machen. Dafür habe ich Verständnis. Ich weine darüber, ich würde sie alle umbringen, wenn ich es könnte, ich würde Hardtloff den Hals umdrehen mit meiner linken Hand, deren Finger keine diffizilen Bewegungen mehr ausführen können, doch es geht in meinen Kopf. Aber warum verbieten sie uns die Bäume?

Ich habe schon tausendmal versucht, diese verfluchte Geschichte loszuwerden, immer vergebens. Entweder es waren nicht die richtigen Leute, denen ich sie erzählen wollte, oder ich habe irgendwelche Fehler gemacht. Ich habe vieles durcheinandergebracht, ich habe Namen verwechselt, oder es waren, wie gesagt, nicht die richtigen Leute. Jedesmal, wenn ich ein paar Schnäpse getrunken habe, ist sie da, ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich darf nicht soviel trinken, jedesmal denke ich, es werden schon die richtigen Leute sein, und ich denke, ich habe alles sehr schön beieinander, es kann mir beim Erzählen nichts mehr passieren.

Dabei erinnert Jakob, wenn man ihn sieht, in keiner Weise an einen Baum. Es gibt doch solche Männer, von denen man sagt, ein Kerl wie ein Baum, groß, stark, ein bißchen gewaltig, solche, bei denen man sich jeden Tag für ein paar Minuten anlehnen möchte. Jakob ist viel kleiner, er geht dem Kerl wie ein Baum höchstens bis zur Schulter. Er hat Angst wie wir alle, er unterscheidet sich eigentlich durch nichts von Kirschbaum oder von Frankfurter oder von mir oder von Kowalski. Das einzige, was ihn von uns allen unterscheidet, ist, daß ohne ihn diese gottverdammte Geschichte nicht hätte passieren können. Aber sogar da kann man geteilter Meinung sein.

Es ist also Abend. Fragt nicht nach der genauen Uhrzeit, die wissen nur die Deutschen, wir haben keine Uhren. Es ist vor einer guten Weile dunkel geworden, in ein paar Fenstern brennt Licht, das muß genügen. Jakob beeilt sich, er hat nicht mehr viel Zeit, es ist schon vor einer sehr guten Weile dunkel geworden. Und auf einmal hat er überhaupt keine Zeit mehr, nicht eine halbe Sekunde, denn es wird hell um ihn. Das geschieht mitten auf dem Damm der Kurländischen, dicht an der Ghettobegrenzung, wo früher die Damenschneider ihr Zentrum hatten. Da steht der Posten, fünf Meter über Jakob, auf einem Holzturm hinter dem Draht, der quer über den Damm gezogen ist. Er sagt zuerst nichts, er hält Jakob nur mit dem Scheinwerfer fest, mitten auf dem Damm, und wartet. Links an der Ecke ist der ehemalige Laden von Mariutan, einem zugewanderten Rumänen, der inzwischen wieder nach Rumänien zurück mußte, um die Interessen seines Landes an der Front wahrzunehmen. Und rechts ist das ehemalige Geschäft von Tintenfaß, einem einheimischen Juden, der inzwischen in Brooklyn, New York, steckt und weiter Eins-a-Damenkleider näht. Und dazwischen, auf Kopfsteinpflaster und allein mit seiner Angst steht Jakob Heym, eigentlich schon zu alt für solche Nervenproben, reißt seine Mütze vom Kopf, kann nichts in dem Licht erkennen, er weiß nur, irgendwo in dieser Helligkeit sind zwei Soldatenaugen, die ihn gefunden haben. Jakob geht die naheliegendsten Verfehlungen durch und ist sich keiner bewußt. Die Kennkarte hat er bei sich, auf der Arbeit hat er nicht gefehlt, der Stern auf der Brust sitzt genau am vorgeschriebenen Ort, er sieht noch einmal hin, und den auf dem Rücken hat er vor zwei Tagen erst festgenäht. Wenn der Mann nicht gleich schießt, kann ihm Jakob alle Fragen zur Zufriedenheit beantworten, er soll doch nur fragen.

»Irre ich mich, oder ist es verboten, nach acht auf der Straße zu sein?« sagt der Soldat endlich. Einer von der gemütlichen Sorte, die Stimme klingt nicht einmal böse, eher milde, man hätte Lust, ein wenig zu plaudern, der Humor soll nicht zu kurz kommen.

»Es ist verboten«, sagt Jakob.

»Und wie spät ist es jetzt?«

»Ich weiß nicht.«

»Das solltest du aber wissen«, sagt der Soldat.

Jakob könnte jetzt sagen »das ist wahr«, oder er könnte fragen »woher«, oder er könnte fragen »wie spät ist es denn?« Oder er könnte schweigen und warten, und das tut er, das scheint ihm am zweckmäßigsten.

»Weißt du wenigstens, was das für ein Haus da drüben ist?« fragt der Soldat, nachdem er wohl festgestellt hat, daß sein Partner nicht der rechte Mann ist, um ein Gespräch in Schwung zu halten. Jakob weiß es. Er hat nicht gesehen, wohin der Soldat mit dem Kopf gewiesen hat oder mit dem Finger gezeigt, er sieht nur den grellen Scheinwerfer, hinter ihm stehen viele Häuser, aber beim augenblicklichen Stand der Dinge kommt nur eins in Frage.

»Das Revier«, sagt Jakob.

»Da gehst du jetzt rein. Du meldest dich beim Wachhabenden, sagst ihm, daß du nach acht auf der Straße gewesen bist, und bittest um eine gerechte Bestrafung.«

Das Revier. Jakob weiß nicht sehr viel über dieses Haus, er weiß, daß dort irgendeine deutsche Verwaltung sitzt, so erzählt man sich jedenfalls. Was dort verwaltet wird, darüber ist nichts bekannt. Er weiß, daß dort früher das Finanzamt war, er weiß, daß es zwei Ausgänge gibt, einen nach vorne und einen aus dem Ghetto hinaus. Und vor allem weiß er, daß die Aussichten, als Jude lebend aus diesem Haus herauszukommen, sehr gering sind. Bis heute kennt man keinen solchen Fall.

»Ist was?« fragt der Soldat.

»Nein.«

Jakob dreht sich um und geht. Der Scheinwerfer begleitet ihn, macht ihn auf die Unebenheiten im Pflaster aufmerksam, läßt seinen Schatten immer länger werden, läßt den Schatten die schwere Eisentür mit dem runden Guckfensterchen erreichen und an ihr wachsen, wenn Jakob noch viele Schritte zu gehen hat.

»Und worum bittest du?« fragt der Soldat.

Jakob bleibt stehen, dreht sich geduldig um und antwortet: »Um eine gerechte Bestrafung.«

Er schreit nicht, nur unbeherrschte oder respektlose Menschen schreien, er sagt es aber auch nicht zu leise, damit ihn der Mann in dem Licht deutlich über die Entfernung hin verstehen kann, er gibt sich die Mühe, genau den richtigen Ton zu treffen. Man muß merken, daß er weiß, worum er bitten soll, man muß ihn nur fragen.

Jakob öffnet die Tür, schließt sie schnell wieder zwischen sich und dem Scheinwerfer und sieht auf den langen leeren Gang. Er war schon oft hier, früher hat gleich links neben der Tür ein kleiner Tisch gestanden, dahinter hat ein kleiner Beamter gesessen, seit Jakob sich erinnern kann, immer Herr Kominek, und hat alle eintretenden Besucher gefragt: »Womit können wir dienen?« – »Ich möchte meine Steuern für das Halbjahr bezahlen, Herr Kominek«, hat Jakob gesagt. Aber Kominek hat so getan, als ob er Jakob noch nie gesehen hätte, obwohl er von Oktober bis Ende April fast jede Woche in Jakobs Diele gewesen ist und dort Kartoffelpuffer gegessen hat. »Berufssparte?« hat Kominek gefragt. »Kleine Gewerbetreibende«, hat Jakob gesagt. Den Ärger hat er sich nicht anmerken lassen, nicht den geringsten, Kominek hat jedesmal mindestens vier Puffer geschafft, und manchmal hat er noch seine Frau mitgebracht. »Name?« hat Kominek dann gefragt. »Heym, Jakob Heym.« – »Buchstabe F bis K Zimmer sechzehn.« Aber wenn Kominek zu ihm in die Diele gekommen ist, dann hat er nicht etwa Puffer bestellt, sondern er hat gesagt: »Wie immer.« Denn er war Stammgast.

An der Stelle, wo früher der Tisch gestanden hat, ist jetzt kein Tisch mehr, aber dort, wo seine Beine waren, sieht man immer noch die vier Abdrücke im Fußboden. Der Stuhl dagegen hat keine Spuren hinterlassen, wahrscheinlich weil er nicht so beharrlich auf ein und demselben Fleck gestanden hat wie der Tisch. Jakob lehnt sich gegen die Tür und ruht ein wenig aus, die letzten Minuten waren nicht leicht, aber was spielt das noch für eine Rolle. Der Geruch in diesem Haus ist anders geworden, irgendwie besser. Der Gestank von Salmiak, der früher auf dem Gang gelegen hat, ist verschwunden, dafür riecht es auf unerklärliche Weise ziviler. Ein wenig Leder ist in der Luft, Frauenschweiß, Kaffee und ein Hauch von Parfum. Ganz hinten auf dem Gang wird eine Tür geöffnet, eine Frau in grünem Kleid kommt heraus, geht ein paar Schritte, sie hat hübsche gerade Beine, sie geht in ein anderes Zimmer, zwei Türen stehen offen, man hört sie lachen, sie kommt wieder aus dem Zimmer, geht zurück, die Türen sind wieder zu, der Gang ist wieder leer. Jakob lehnt immer noch an der Eisentür. Er hat Lust hinauszugehen, vielleicht wartet der Scheinwerfer nicht mehr auf ihn, vielleicht hat er sich etwas Neues gesucht, vielleicht wartet er aber immer noch, es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß er nicht mehr wartet, die letzte Frage des Soldaten hat so endgültig geklungen.

Jakob geht in den Flur. Auf den Zimmertüren steht nicht geschrieben, wer dahinter sitzt, nur Zahlen. Womöglich hat der Wachhabende das Zimmer, in dem früher der Amtsvorsteher gesessen hat, aber das ist nicht sicher, und es empfiehlt sich nicht, an die falsche Tür zu klopfen. Was willst du, eine Auskunft? Habt ihr das gehört, er will eine Auskunft! Wir haben das und das mit ihm vor, und da kommt er hier einfach rein und will eine Auskunft!

Hinter der Fünfzehn, einst Kleine Gewerbetreibende, Buchstabe A bis E, hört Jakob Geräusche. Er legt sein Ohr an die Tür, versucht zu horchen, kann nichts verstehen, nur einzelne Worte, die keinen Sinn ergeben, aber auch wenn das Holz dünner wäre, hätte er nicht viel davon, denn kaum ein Mensch redet einen anderen mit »Herr Wachhabender« an. Plötzlich geht die Tür auf, ausgerechnet die Fünfzehn, zum Glück gehen die Türen hier nach außen auf, so daß der Mensch, der herauskommt, Jakob nicht sieht, weil er von der Tür verdeckt wird. Zum Glück auch läßt der Mensch die Tür offen, er wird gleich zurückkommen, wenn man glaubt, daß man unter sich ist, läßt man die Türen offen, und Jakob hat seine Deckung. Drinnen spielt ein Radio, es knackt etwas, sicher einer von ihren Volksempfängern, aber keine Musik. Jakob hat, seit er in diesem Ghetto ist, keine Musik mehr gehört, wir alle nicht, nur wenn jemand gesungen hat. Ein Sprecher erzählt unwichtige Dinge aus einem Hauptquartier, irgend jemand ist nach seinem Tode zum Oberstleutnant befördert worden, dann kommt etwas über die gesicherte Versorgung der Bevölkerung, und dann erreicht den Sprecher soeben diese Nachricht: »In einer erbitterten Abwehrschlacht gelang es unseren heldenhaft kämpfenden Truppen, den bolschewistischen Angriff zwanzig Kilometer vor Bezanika zum Stehen zu bringen. Im Verlaufe der Kampfhandlungen, die von unserer Seite …« Dann ist der Mensch wieder in seinem Zimmer, schließt die Tür, und das Holz ist zu dick. Jakob steht still, er hat viel gehört, Bezanika ist nicht sehr weit, kein Katzensprung, nein, aber nicht so unendlich weit. Er ist noch nie dort gewesen, hat gerade so etwas von Bezanika gehört, es ist eine ganz kleine Stadt, wenn man mit der Bahn über Mieloworno fährt, in Richtung Südosten, über die Kreisstadt Pry, wo sein Großvater mütterlicherseits eine Apotheke geführt hat, dort umsteigt in Richtung Kostawka, dann muß man irgendwann nach Bezanika kommen. Es sind vielleicht gute vierhundert Kilometer, vielleicht sogar fünfhundert, hoffentlich nicht mehr, und da sind sie jetzt. Ein Toter hat eine gute Nachricht gehört und freut sich, er würde sich gerne länger freuen, aber die Lage, der Wachhabende wartet auf ihn, und Jakob muß weiter. Der nächste Schritt ist der schwerste, Jakob versucht ihn, doch vergeblich. Sein Ärmel sitzt fest im Türspalt, der Mensch, der in das Zimmer zurückgekommen ist, hat ihn gefesselt, ohne die geringste böse Absicht, er hat einfach die Tür hinter sich geschlossen, und Jakob war gefangen. Er zieht vorsichtig, die Tür ist gut gearbeitet, sie paßt genau, keine überflüssigen Fugen, da könnte kein Blatt Papier durchrutschen. Jakob würde gerne das Stück Ärmel abschneiden, sein Messer liegt zu Hause, mit den Zähnen, von denen die Hälfte fehlt, hat es keinen Sinn. Er kommt auf den Gedanken, die Jacke auszuziehen, einfach ausziehen und eingeklemmt lassen, wozu braucht er jetzt noch eine Jacke. Er hat schon einen Ärmel abgestreift, da fällt ihm ein, daß er die Jacke doch noch braucht. Nicht für den kommenden Winter, wenn man hier ist, schreckt die nächste Kälte nicht, die Jacke wird für den Wachhabenden benötigt, falls er noch gefunden wird, für den Wachhabenden, der sicher den Anblick eines Juden ohne Jacke ertragen kann, Jakobs Hemd ist sauber und kaum geflickt, aber schwerlich den Anblick eines Juden ohne Stern auf Brust und Rücken (Verordnung Nr. 1). Im letzten Sommer waren die Sterne auf dem Hemd, man kann die Nadelstiche noch sehen, jetzt aber nicht mehr, jetzt sind sie auf der Jacke. Und er zieht sie wieder an, bleibt bei seinen Sternen, zerrt fester, gewinnt einige Millimeter, aber nicht genug. Die Lage ist, wie man so sagt, verzweifelt, er zieht mit aller Kraft, etwas reißt ein, das macht Geräusche, und die Tür geht auf. Jakob fällt auf den Gang, über ihm steht ein Mann, in Zivil und sehr verwundert, dann lacht er und wird wieder ernst. Was Jakob hier zu suchen hat. Jakob steht auf und wählt seine Worte sehr genau. Er ist nicht etwa nach acht auf der Straße gewesen, nein, der Posten, der ihn angehalten hat, hätte gesagt, es sei schon acht, und er soll sich hier beim Herrn Wachhabenden melden.

»Und da horchst du hier?«

»Ich habe nicht gehorcht. Ich war noch nie hier und habe nicht gewußt, in welches Zimmer. Deswegen wollte ich gerade hier klopfen.«

Der Mann fragt nicht weiter, er deutet mit dem Kopf tiefer in den Gang hinein. Jakob geht vor ihm her, bis der Mann »hier« sagt, es ist nicht das Zimmer des Amtsvorstehers. Jakob sieht den Mann an, dann klopft er. Der Mann geht wieder weg, aber von drinnen antwortet niemand.

»Geh rein«, sagt der Mann und verschwindet in seiner Tür, als Jakob die Klinke heruntergedrückt hat.

Jakob im Zimmer des Wachhabenden, er bleibt an der Tür stehen, die Mütze hat er, seit er in den Scheinwerfer geraten ist, noch nicht wieder auf dem Kopf gehabt. Der Wachhabende ist ein recht junger Mann, höchstens dreißig. Er hat dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, das sich leicht wellt. Sein Dienstgrad ist nicht zu erkennen, er ist im Hemd, seine Jacke hängt so an einem Wandhaken, daß man die Schulterstücke nicht sehen kann. Über der Jacke hängt das Lederkoppel mit dem Revolver. Das ist irgendwie unlogisch, eigentlich müßte es unter der Jacke hängen, man macht wohl zuerst das Koppel ab und zieht dann die Jacke aus, aber es hängt darüber. Der Wachhabende liegt auf einem schwarzen Ledersofa und schläft. Jakob glaubt, daß er fest schläft, Jakob hat schon viele Leute schlafen hören, er hat ein Ohr dafür. Er schnarcht nicht, doch er atmet tief und gleichmäßig, Jakob muß sich auf irgendeine Weise bemerkbar machen. Gewöhnlich räuspert man sich, aber das geht nicht, das tut man, wenn man zu guten Bekannten kommt. Das heißt, wenn man zu einem ganz guten Bekannten kommt, da räuspert man sich auch nicht, da sagt man »wach auf, Salomon, ich bin da«, oder man tippt ihm einfach auf die Schulter. Aber Räuspern geht trotzdem nicht, es liegt ungefähr auf halbem Wege zwischen hier und Salomon. Jakob will gegen die Tür klopfen, läßt die Hand sinken, er sieht, daß auf dem Schreibtisch eine Uhr steht, mit dem Rücken zu ihm. Er muß wissen, wie spät es ist, es gibt nichts, was er jetzt so dringend wissen muß. Die Uhr zeigt sechs Minuten nach halb acht, Jakob geht leise wieder zu der Tür zurück. Sie haben sich einen Spaß mit dir gemacht, oder nicht sie, der eine bloß, hinter dem Scheinwerfer, der hat sich einen Spaß mit dir gemacht, und du fällst darauf rein.

Jakob hat noch vierundzwanzig Minuten Zeit, wenn man anständig ist, sogar vierundzwanzig Minuten plus die Zeit, die ihn der Aufenthalt hier schon kostet. Er klopft immer noch nicht, er erkennt das schwarze Ledersofa, auf dem der Wachhabende liegt. Er selbst hat darauf schon gesessen, es hat Rettig gehört, dem Makler Rettig, einem der reichsten Männer der Stadt. Jakob hat sich im Herbst Fünfunddreißig Geld bei ihm geborgt, zu zwanzig Prozent Zinsen, als der ganze Sommer so kühl war, daß man kaum Eis verkaufen konnte. Die Einkünfte waren klein wie noch nie, nicht mal sein berühmtes Himbeereis ist gegangen, Jakob mußte schon im August mit den Puffern anfangen, hatte aber so früh noch kein Geld für die Kartoffeln beisammen und mußte borgen. Und auf dem Sofa hat er im Februar Sechsunddreißig gesessen, als er Rettig das Geld zurückgebracht hat. Es hat bei ihm im Vorzimmer gestanden, Jakob hat eine Stunde darauf gesessen und auf Rettig gewartet. Er hat sich noch über die Verschwendung gewundert, aus dem Leder hätte man bequem zwei Mäntel oder drei Jacken machen können, und dann im Vorzimmer. Der Wachhabende dreht sich auf die Seite, seufzt, schmatzt ein paarmal, aus seiner Hosentasche rutscht ein Feuerzeug und fällt auf die Erde. Jakob muß ihn jetzt unbedingt wecken, es wäre nicht gut, wenn er aufwacht, ohne daß Jakob ihn weckt. Er klopft von innen gegen die Tür, der Wachhabende sagt »ja?«, bewegt sich, schläft weiter. Jakob klopft noch einmal, kann man denn so fest schlafen, er klopft stark, der Wachhabende sitzt, bevor er richtig aufgewacht ist, reibt sich die Augen und fragt: »Wie spät ist es denn?«

»Es ist einige Minuten nach halb acht«, sagt Jakob.

Der Wachhabende ist fertig mit dem Augenreiben, sieht jetzt Jakob, reibt sich noch einmal die Augen, weiß nicht, ob er böse sein soll oder lachen, das hat es überhaupt noch nicht gegeben, das glaubt einem ja kein Mensch. Er steht auf, nimmt das Koppel vom Haken, die Jacke, zieht sie an, bindet das Koppel um. Er setzt sich hinter den Schreibtisch, lehnt sich zurück, streckt beide Arme weit von sich.

»Was verschafft mir die Ehre?«

Jakob will etwas antworten, er kann nicht, der Mund ist so trocken, so sieht also der Wachhabende aus.

»Nur keine falsche Scham«, sagt der Wachhabende, »immer raus mit der Sprache. Wo brennt’s denn?«

Im Mund sammelt sich ein wenig Spucke, das ist ja ein freundlicher Mensch, vielleicht ist er neu hier, vielleicht kennt er gar nicht den schlechten Ruf des Hauses. Jakob kommt für einen Augenblick in den Sinn, daß er sich möglicherweise in der Entfernung verschätzt hat, womöglich ist Bezanika gar nicht so weit, am Ende keine dreihundert Kilometer, sondern noch ein hübsches Stück weniger, der Mann vor ihm hat vielleicht Angst, der kluge Mann baut vor, für alles muß es eine natürliche Erklärung geben. Aber dann fällt ihm ein, daß die Meldung den Sprecher soeben erst erreicht hat, der Wachhabende hat geschlafen, er kann sie noch nicht gehört haben. Andererseits mag es ganz nützlich sein, daß er sie nicht gehört hat, in der Nachricht war davon die Rede, daß die Russen aufgehalten worden sind, es ist ja gelungen, den Vormarsch zu stoppen, da ist euch was gelungen, vielleicht denkt er, daß sie immer noch näher kommen. Jakob rechnet zu lange, der Wachhabende wird ungeduldig, das ist nicht klug, auf seiner Stirn bilden sich Falten.

»Redest du nicht mit Deutschen?«

Selbstverständlich redet Jakob mit Deutschen, wie wird er nicht mit Deutschen reden, dieser Eindruck soll um Himmels willen nicht aufkommen, wir sind doch alle vernünftige Menschen, da kann man doch miteinander reden.

»Der Herr Posten auf dem Turm in der Kurländischen hat gesagt, ich soll mich bei Ihnen melden. Er hat gesagt, daß ich nach acht auf der Straße gewesen bin.«

Der Wachhabende sieht auf die Uhr, die vor ihm auf dem Tisch steht, er schiebt den Ärmel zurück und sieht auch auf seine Armbanduhr.

»Und sonst hat er nichts gesagt?«

»Er hat noch gesagt, ich soll um eine gerechte Bestrafung bitten.«

Die Antwort kann nicht schaden, denkt Jakob, sie klingt gehorsam, hinreißend ehrlich, jemand, der in seiner Offenheit so weit geht, könnte Anspruch auf gerechte Behandlung haben, vor allem wenn das Vergehen, dessen man ihn beschuldigt, gar nicht begangen worden ist, jede Uhr kann das bezeugen.

»Wie heißt du?«

»Heym, Jakob Heym.«

Der Wachhabende nimmt Papier und Bleistift, schreibt etwas auf, nicht nur den Namen, er schreibt mehr, er sieht wieder auf die Uhr, es wird immer später, schreibt weiter, fast eine halbe Seite, dann legt er das Papier weg. Er öffnet ein Kästchen, nimmt eine Zigarette heraus und sucht in seiner Hosentasche. Jakob geht zu dem schwarzen Ledersofa, beugt sich, hebt das Feuerzeug von der Erde, legt es auf den Tisch vor den Wachhabenden.

»Danke.«

Jakob stellt sich wieder vor die Tür, er hat gesehen, daß die Uhr auf dem Tisch schon bei drei Viertel acht vorbei ist, bei dieser Gelegenheit. Der Wachhabende zündet die Zigarette an, raucht einen Zug, seine Finger spielen mit dem Feuerzeug, er macht es ein paarmal an und läßt es wieder zuschnappen, die Flamme ist schon ganz klein.

»Wohnst du weit von hier?« fragt er.

»Keine zehn Minuten.«

»Geh nach Hause.«

Soll man das glauben? Zu wie vielen hat er das schon gesagt, und sie sind nicht hier herausgekommen? Was wird er mit seinem Revolver machen, wenn Jakob sich umdreht? Was ist draußen auf dem Korridor? Wie wird sich der Posten verhalten, wenn er sieht, daß Jakob seiner gerechten Bestrafung entgangen ist? Warum soll Jakob Heym, ausgerechnet dieser kleine, unwichtige, zitternde Jakob Heym mit den Tränen in den Augen der erste Jude sein, der erzählen kann, wie es im Revier aussieht? Es sind, wie man sagt, sechs neue Schöpfungstage nötig, das Durcheinander ist noch größer geworden, als es damals schon war.

»Na los, hau schon ab«, sagt der Wachhabende.

Der Korridor ist wieder leer, man kann sich fast schon darauf verlassen, rechne man ihn zu den kleineren Gefahrenquellen. Aber dann die Tür nach draußen. Hat sie eigentlich Geräusche gemacht vorhin beim Öffnen, ist sie lautlos aufgegangen, oder hat sie gequietscht oder geknarrt oder geschleift? Geh und achte auf alles, gar nicht möglich, wenn man wenigstens vorher wüßte, daß es später von einiger Bedeutung sein wird. Aber was heißt Bedeutung, nüchtern gedacht, ist es vollkommen unwichtig, ob sie sich lautlos bewegen läßt oder nicht. Quietscht sie nicht, wird sie geöffnet, und quietscht sie, soll Jakob dann vielleicht hierbleiben, zehn Minuten vor acht?

Die Klinke wird behutsam heruntergedrückt. Schade, daß es für behutsam kein anderes Wort gibt, höchstens sehr behutsam oder unendlich behutsam, alles genausoweit entfernt vom Gemeinten. Man kann vielleicht sagen, öffne die Tür leise, wenn er dich hört, könnte es das Leben kosten, das plötzlich sinnvoll gewordene. So öffnet er. Und dann steht Jakob draußen, wie kalt es auf einmal ist, der weite Platz liegt vor dir, eine Lust, ihn zu betreten. Dem Scheinwerfer ist das Warten zu lang geworden, er vergnügt sich irgendwo, steht still, ruht sich am Ende aus für neue Abenteuer. Immer schön dicht an der Wand bleiben, Jakob, so ist es gut, wenn du an der Hausecke angelangt bist, dann die Zähne zusammen und die zwanzig Meter quer über den Platz. Wenn er dann etwas merkt, dann muß er erst schwenken und suchen, aber dann ist schon die Ecke da, lumpige zwanzig Meter.

Es sind ziemlich genau zwanzig Meter, ich habe die Strecke nachgemessen, genau neunzehn Meter und siebenundsechzig Zentimeter. Ich bin dort gewesen, das Haus steht noch, vollkommen unbeschädigt, nur den Postenturm gibt es nicht mehr. Aber ich habe mir exakt die Stelle zeigen lassen, mitten auf dem Damm der Kurländischen, dann bin ich den Weg abgeschritten, ich habe einen Meter gut im Gefühl. Doch es war mir nicht genau genug, ich habe mir ein Bandmaß gekauft, dann bin ich wieder hingegangen und habe nachgemessen. Die Kinder haben zugesehen und mich für einen wichtigen Mann gehalten, und die Leute haben verwundert geschaut und mich für einen Verrückten gehalten. Sogar ein Polizist ist erschienen, hat mich nach meinem Ausweis gefragt und was ich hier zu messen hätte, jedenfalls sind es genau neunzehn Meter und siebenundsechzig Zentimeter, das steht fest.

Das Haus ist zu Ende, Jakob setzt zum Sprung an, wenige Minuten vor acht sind nahezu zwanzig Meter zu gewinnen, die Sache ist so gut wie sicher, und doch. Eine Maus müßte man sein? Eine Maus ist so unscheinbar, klein und leise? Und du? Laut Verordnung bist du eine Laus, eine Wanze, wir alle sind Wanzen, durch eine Laune unseres Schöpfers lächerlich groß ausgefallene Wanzen, und wann hat sich je eine Wanze gewünscht, mit einer Maus zu tauschen. Jakob entscheidet sich, nicht zu rennen, er schleicht lieber, man hat die Geräusche so besser im Griff. Wenn Bewegung in den Scheinwerfer kommt, kann man immer noch beschleunigen. Auf halbem Wege hört er die Stimme des Postens, keine Angst, nicht an ihn gerichtet, der Posten sagt »jawohl!« Dann sagt er noch einmal »jawohl« und noch einmal, die einzige Erklärung ist, daß er telefoniert. Vielleicht hat ihn ein anderer Posten angerufen, der sich auch langweilt. Aber zu dem sagt er nicht andauernd »jawohl«, das ist ausgeschlossen. Also der Anführer der Postensteher, der irgendwelche Anweisungen gibt? Eigentlich ganz unwichtig, aber nehmen wir den günstigsten Fall, der Wachhabende ist an der Leitung. Was fällt Ihnen ein, sind Sie verrückt geworden, armen unschuldigen Juden einen solchen Schreck einzujagen! (»Jawohl«) Haben Sie denn nicht gesehen, daß der Mann ganz verstört war, seine Beine haben vor Angst gezittert! Daß mir das nicht noch mal passiert, verstanden? (»Jawohl«) Beim vierten Jawohl ist die Ecke da, soll er weiterreden, bis er schwarz wird, dann ist Jakob, keine zehn Minuten, zu Hause.

Jakob teilt sich das Zimmer mit Josef Piwowa und Nathan Rosenblatt. Sie haben sich hier erst kennengelernt, in diesem Zimmer, keiner kann keinen besonders gut leiden, die Enge und der Hunger machen Unfrieden, doch um der Gerechtigkeit willen muß man sagen, daß schon die erste Begrüßung sehr förmlich gewesen ist.

Rosenblatt ist ein gutes Jahr vor Jakobs glücklicher Heimkehr gestorben, er hat eine Katze aufgefressen, die unvorsichtig genug war, die Warntafeln am Draht zu mißachten, und eines Tages lag sie verhungert auf dem Hof. Rosenblatt hat sie als erster gefunden, wie gesagt aufgefressen, und daran ist er gestorben. Piwowa ist erst seit drei Monaten tot. Sein Dahinscheiden ist von gewissen mysteriösen Umständen begleitet gewesen, feststeht nur, daß er von einem Aufseher in der Schuhfabrik, in der er gearbeitet hat, erschossen worden ist. Er ist frech geworden, er hat Worte gesagt, die man sogar in normalen Zeiten einem Aufseher besser verschweigt, und folgerichtig hat ihn der Mann in seinem Zorn erschossen. Die eine Theorie baut darauf, daß Piwowa sein Temperament nicht zu zügeln wußte, er war schon immer unbeherrscht, und so mußte es einmal enden. Die anderen dagegen behaupten, mit Temperament und Emotionen wäre hier nichts geklärt, sie sagen, es handelte sich um einen ganz gewöhnlichen, wenn auch sehr geschickt in die Wege geleiteten Selbstmord. So oder so, Piwowa ist seit drei Monaten tot und Rosenblatt seit einem guten Jahr, sein Bett ist letzten Winter durch den Schornstein gegangen, Piwowas Bett wartet noch Scheit für Scheit in Jakobs Keller auf kommende kalte Zeiten. Neuer Nachschub an Zimmergenossen ist bisher nicht gekommen, die Vorräte sind aufgebraucht, verflucht oder gesegnet seien alle Katzen und Aufseher, jedenfalls mochten sie sich nicht. Rosenblatt schweigt wenigstens, wenn er zu Hause ist, er sitzt mit geschlossenen Augen auf dem Bett und betet, er geht als letzter schlafen und steht als erster auf, weil seine Debatten mit Gott jede Menge Zeit verschlingen. Diese Gewohnheit hat er sogar nach seinem Tod nicht aufgegeben, doch er schweigt wenigstens, sitzt und schweigt mit geschlossenen Augen und riskiert höchstens mal einen Blick.

Piwowa ist streitsüchtig. Er ist als letzter einquartiert worden und tut so, als wäre er der erste hier gewesen. Richtet alles neu ein, muß mit den Füßen zum Fenster liegen, man muß vor ihm die Brotration verstecken. Sagen wir es ruhig, Piwowa hat vorher im Wald gearbeitet, als Wilddieb. Schon sein Vater war ein Wilddieb, er selbst war ein noch besserer, Kinder hat er keine.

Also, Jakob kommt nach Hause. Der Tag war aufreibend, viel erlebt, durchgemacht, ausgestanden, gezittert, gehört. Freut euch, Brüder, werdet verrückt vor Freude, die Russen sind zwanzig Kilometer vor Bezanika, wenn euch das was sagt! Mach die Augen auf, Nathan Rosenblatt, hör auf zu streiten, Piwowa, die Russen sind unterwegs, begreift ihr nicht, zwanzig Kilometer vor Bezanika! Doch Rosenblatt betet weiter, Piwowa liegt weiter mit den Füßen zum Fenster, mögen sie liegen und streiten und beten und tot sein, Jakob ist zu Hause, und die Russen sollen sich beeilen.

Wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen.

Wir wollen ein bißchen schwätzen, wie es sich für eine ordentliche Geschichte gehört, laßt mir die kleine Freude, ohne ein Schwätzchen ist alles so elend traurig. Ein paar Worte nur über fragwürdige Erinnerungen, ein paar Worte über das flinke Leben, wir wollen einen schnellen Kuchen backen mit bescheidenen Zutaten, nur ein Stückchen davon essen und den Teller wieder zur Seite schieben, bevor uns der Appetit auf anderes genommen ist.

Ich lebe, das ist ganz unzweifelhaft. Ich lebe, und kein Mensch kann mich zwingen, zu trinken und mich an Bäume zu erinnern und an Jakob und an alles, was damit zu tun hat. Im Gegenteil, man bietet mir schon etwas, ich soll mir ein paar schöne Tage machen, gelebt wird nur einmal, mein Lieber. Wo ich hinsehe Abwechslung, neue heitere Sorgen mit ein wenig Unglück dazwischen, Frauen, das ist noch nicht vorbei, aufgeforstete Wälder, gepflegte Gräber, die zu jedem Anlaß solche Mengen an frischen Blumen bekommen, daß es fast schon nach Verschwendung aussieht. Ich will nicht unbescheiden sein. Piwowa, den ich niemals gesehen habe, war unbescheiden, man mußte vor ihm den Wildbestand und die Brotration verstecken, aber ich bin nicht Piwowa.

Chana, meine streitsüchtige Frau, hat einmal zu mir gesagt: »Du irrst dich«, so hat fast jeder Satz an mich angefangen, »ein Mensch ist dann bescheiden, wenn er zufrieden ist mit dem, worauf er ein Recht hat. Nicht mit weniger.«

So gesehen, muß ich sehr zufrieden sein, manchmal fühle ich mich sogar beschenkt, die Leute sind freundlich, zuvorkommend, geben sich alle Mühe, geduldig auszusehen, ich kann mich nicht beklagen.

Manchmal sage ich, das war die ganze Geschichte, ich danke dir, daß du zugehört hast, du brauchst mir nichts zu beweisen.

»Will ich auch gar nicht. Aber du mußt wissen, daß ich neunundzwanzig …«

»Du brauchst mir überhaupt nichts zu beweisen!« sage ich noch einmal.

»Ja doch. Aber als der Krieg zu Ende war, war ich gerade erst …«

»Leck mich am Arsch«, sage ich, stehe auf und gehe. Nach fünf Schritten werde ich wütend über mich selber, weil ich so grob geworden bin, so unnötig ausfallend, und er hat sich nichts dabei gedacht. Aber ich drehe mich nicht um und gehe weiter. Ich bezahle beim Kellner meine Rechnung, im Hinausgehen sehe ich über die Schulter zurück zum Tisch und sehe, daß er verständnislos dasitzt, was ist in mich gefahren, und ich schließe die Tür hinter mir und will es ihm nicht erklären.

Oder ich liege mit Elvira im Bett. Damit das geklärt ist, ich bin sechsundvierzig, einundzwanzig geboren. Ich liege mit Elvira im Bett, wir sind in einer Fabrik beschäftigt, sie hat die weißeste Haut, die ich je gesehen habe. Ich glaube, wir werden einmal heiraten. Wir atmen noch schwer, wir haben noch nie darüber gesprochen, da fragt sie mich plötzlich: »Sag mal, stimmt es eigentlich, daß du …«

Weiß der Teufel, wer es ihr erzählt hat, ich höre das Mitleid in ihrer Stimme und werde verrückt. Ich gehe ins Bad, setze mich in die Wanne und fange an zu singen, damit ich nicht etwas tue, wovon ich genau weiß, daß es mir nach fünf Schritten leid tut. Als ich nach einer halben Stunde wiederkomme, fragt sie mich verwundert, was ich denn auf einmal hätte, und ich sage »nichts« und gebe ihr einen Kuß und mache das Licht aus und versuche einzuschlafen.

Die ganze Stadt liegt im Grünen, die Umgebung ist einzigartig, die Parks sind gepflegt, jeder Baum lädt mich ein zu Erinnerungen, und ich mache ausgiebig Gebrauch davon. Aber wenn er mir in die Augen sieht, der Baum, um nachzuschauen, ob sie sich verklären, dann muß ich ihn enttäuschen, denn er ist es nicht.

Jakob sagt es Mischa.

Er ist nicht mit der Absicht auf den Güterbahnhof gekommen, es irgend jemand zu erzählen, ebensowenig hat er sich vorgenommen, es keinem zu erzählen, er ist ohne Absichten auf den Bahnhof gekommen. Er wußte, daß es schwer sein würde, die Nachricht für sich zu behalten, kaum zu machen, immerhin handelt es sich um das Beste vom Besten, gute Nachrichten sind dazu da, weitergegeben zu werden. Andererseits weiß man, wie das ist, der Informant wird für alle Folgen verantwortlich gemacht, die Mitteilung wird mit der Zeit zu einem Versprechen, du kannst nichts dagegen tun. Am entgegengesetzten Ende der Stadt wird es heißen, die ersten Russen seien schon gesichtet worden, drei junge und einer, der wie ein Tatare ausgesehen hat, die alten Weiber werden darauf schwören und die besorgten Väter. Man wird sagen, man weiß es von dem, und der weiß es von dem, und irgendeiner in der Reihe weiß, daß es von Jakob kommt. Von Jakob Heym? Man wird Erkundigungen über ihn einholen, man muß alles ganz akkurat nachprüfen, was mit dieser wichtigsten aller Fragen in Zusammenhang steht, ein ehrbarer zuverlässiger Mensch, macht einen soliden Eindruck, früher soll er hier irgendwo eine bescheidene Restauration besessen haben. Es sieht aus, als dürfte man sich freuen.

Dann werden Tage vergehen, wenn Gott es für nötig hält Wochen, dreihundert Kilometer oder fünfhundert sind ein weites Stück Land, und die Blicke, die Jakob begegnen, werden nicht mehr so freundlich sein, nicht mehr so. Auf der anderen Straßenseite wird getuschelt werden, die alten Weiber werden sich versündigen und ihm Schlechtes wünschen, das Eis, das er verkauft hat, wird allmählich schon immer das schlechteste in der ganzen Stadt gewesen sein, sogar sein berühmtes Himbeereis, und seine Kartoffelpuffer noch nie ganz koscher, das kann ihm passieren.

Jakob schleppt mit Mischa Kisten zu einem Waggon.

Oder nehmen wir eine andere Möglichkeit. Heym will gehört haben, daß die Russen auf dem Vormarsch sind, schon vierhundert Kilometer vor der Stadt. Wo will er das denn gehört haben? Das ist es ja eben, auf dem Revier. Auf dem Revier?! Ein entsetzter Blick kann folgen, ein langsames Kopfnicken kann antworten, ein Nicken, das den Verdacht bestätigt. Das hätte man ihm nicht zugetraut, gerade Heym nicht, niemals, aber so kann man sich in einem Menschen täuschen. Und das Ghetto kann um einen vermeintlichen Spitzel reicher sein.

Jedenfalls ist Jakob ohne feste Absichten auf den Bahnhof gekommen. Schön wäre, wenn sie es schon ohne ihn wüßten, wenn sie ihn mit der Neuigkeit empfangen hätten, das wäre das beste. Er hätte sich mit ihnen gefreut, er hätte nicht verraten, daß es drei Leute gibt, die schon unterrichtet sind, Rosenblatt, er und Piwowa, er hätte den Mund gehalten, sich mit ihnen gefreut und höchstens nach Stunden gefragt, von wem die Nachricht denn stammt. Aber gleich als Jakob auf das Gelände gekommen ist, hat er gesehen, daß sie es noch nicht wissen, schon auf ihren Rücken hat er es gesehen. Der Glücksfall ist nicht eingetreten, man konnte auch nicht mit ihm rechnen, zwei Glücksfälle in so kurzer Zeit erlebt höchstens Rockefeller am Sonntag.

Sie tragen Kisten zu einem Waggon. Jakob ist beim Tragen kein sonderlich begehrter Kompagnon, niemand reißt sich um ihn, beim Pufferbacken wachsen die Riesen nur mühsam, und die Kisten sind schwer. Der Bahnhof ist voll von solchen Leuten, um die sich keiner reißt, die Riesen muß man mit der Lupe suchen. Um die Riesen reißt man sich, aber die lassen nicht um sich handeln, die tragen lieber zusammen. Kommt mir nicht und redet von Kameradschaft und ähnlichem Zeug, wer so redet, versteht nichts von hier, aber auch gar nichts. Ich selbst gehöre nicht zu den Riesen, ich habe sie verwünscht und gehaßt wie die Pest, wenn ich mit einem Burschen wie mir schleppen mußte. Aber wenn ich einer von ihnen gewesen wäre, hätte ich es genauso gemacht, ganz genauso und nicht anders.

Jakob und Mischa tragen eine Kiste zum Waggon.

Mischa ist ein langer Junge von fünfundzwanzig, mit hellblauen Augen, was bei uns eine große Seltenheit ist. Er hat einmal bei Hakoah geboxt, drei Kämpfe bloß, von denen er zwei verloren hat, und einmal ist der Gegner wegen Tiefschlag disqualifiziert worden. Er war Mittelgewichtler, das heißt, eigentlich war er schon mehr im Halbschwergewicht, doch sein Trainer hat ihm geraten, die paar Pfund herunterzutrainieren, weil die Konkurrenz im Halbschwergewicht zu groß war. Mischa hat den Rat befolgt, aber es hat nicht viel geholfen, auch im Mittelgewicht ist er nicht groß herausgekommen, wie seine drei Kämpfe beweisen. Er hat schon mit dem Gedanken gespielt, sich ein Schwergewicht anzufressen, vielleicht wäre es dort besser gegangen. In der Gegend von hundertsiebzig Pfund ist ihm das Ghetto dazwischengekommen, und seitdem geht es mit seinem Gewicht langsam abwärts. Trotzdem ist er noch einigermaßen bei Kräften, er hätte eigentlich einen besseren Partner als Jakob verdient. Viele sind der Ansicht, daß ihn seine Gutmütigkeit noch einmal den Kopf kosten wird, aber keiner sagt es ihm, vielleicht kommt er selbst einmal in den Genuß.

»Glotz nicht in der Gegend rum und achte auf den Weg. Wir werden beide noch fallen«, sagt Jakob. Er ist wütend, weil die Kiste so schwer ist, trotz Mischa, und vor allem ärgert er sich, seit er weiß, daß Mischa der erste sein wird, dem er es erzählt, er weiß nur noch nicht, mit welchen Worten er anfangen soll.

Sie stellen die Kiste auf dem Waggonrand ab, Mischa ist wirklich nicht bei der Sache, sie gehen zurück zum Stapel, um eine neue zu holen. Jakob versucht, Mischas Blick zu folgen, Mischa macht ihn verrückt mit seinem Wegsehen, der Bahnhof sieht aus wie immer.

»Der Wagen da«, sagt Mischa.

»Welcher Wagen?«

»Auf dem vorletzten Gleis. Der ohne Dach.« Mischa flüstert, obwohl der nächste Posten mindestens zwanzig Meter entfernt steht und nicht einmal zu ihnen sieht.

»Und?« fragt Jakob.

»In dem Wagen sind Kartoffeln.«

Jakob meckert die ganze nächste Kiste über, dann sind eben Kartoffeln drin, was ist daran schon Besonderes, Kartoffeln sind erst dann interessant, wenn man sie hat, wenn man sie kochen oder roh essen oder Puffer aus ihnen machen kann, aber nicht, wenn sie in irgendeinem Waggon liegen, auf einem Bahnhof wie diesem, Kartoffeln in dem Waggon dort sind die langweiligste Sache von der Welt. Und wenn dort eingelegte Heringe wären oder gebratene Gänse oder Millionen Töpfe voll Tscholent, Jakob redet und redet, Mischa soll auf andere Gedanken kommen und in Gespräche verwickelt werden.

Bloß er hört nicht hin, die Posten müssen bald abgelöst werden, sie machen immer eine kleine Zeremonie daraus, mit Strammstehen und Meldung und Gewehr über die Schulter, und das ist der einzige Moment, in dem man es versuchen könnte. Die Einwände Jakobs sind nicht ernst zu nehmen, natürlich ist es ein Risiko, schön, sogar ein großes Risiko, und was weiter? Kein Mensch hat behauptet, daß die Kartoffeln schon so gut wie gegessen sind, jede Chance ist ein Risiko, muß man das einem Geschäftsmann erklären, wenn kein Risiko dabei wäre, dann wäre das auch keine Chance. Dann wäre das eine sichere Sache, sichere Sachen sind selten im Leben, Risiko und Aussicht auf Erfolg sind die zwei Seiten einer Medaille.

Jakob weiß, daß nicht mehr viel Zeit bleibt, der Junge ist in einem Zustand, in dem man nicht normal mit ihm reden kann. Und dann sieht er die Ablösung in einer Kolonne anmarschieren, und jetzt muß er es ihm sagen.

»Weißt du, wo Bezanika liegt?«

»Gleich«, sagt Mischa aufgeregt.

»Ob du weißt, wo Bezanika liegt?«

»Nein«, sagt Mischa, und seine Augen begleiten die Kolonne auf ihren letzten Metern.

»Bezanika ist ungefähr vierhundert Kilometer von uns …«

»Aha.«

»Die Russen sind zwanzig Kilometer vor Bezanika!«

Mischa gelingt es für einen Augenblick, seine Blicke von den marschierenden Soldaten frei zu machen, seine seltenen Augen lächeln Jakob an, im Grunde ist das ja sehr nett von Heym, und er sagt: »Das ist nett von dir, Jakob.«

Jakob trifft fast der Schlag. Da überwindet man sich, mißachtet alle Regeln der Vorsicht und alle Vorbehalte, die ja nicht aus der Luft gegriffen sind, da macht man einen blauäugigen jungen Idioten zum Auserwählten, und was tut die Rotznase? Sie glaubt einem nicht. Und du kannst nicht einfach weggehen, du kannst ihn nicht stehenlassen in seiner Blödheit, ihm sagen, daß ihn der Teufel holen soll, und einfach weggehen. Du mußt bei ihm bleiben, deine Wut für eine spätere Gelegenheit aufheben, nicht einmal die Gelegenheit kannst du dir ausmalen. Du mußt um seinen guten Willen betteln, als ob dein eigenes Leben davon abhinge, du mußt deine Glaubwürdigkeit nachweisen, obwohl du das gar nicht nötig hättest, nur er hat es nötig. Und alles das mußt du furchtbar schnell tun, noch ehe sie voreinander stehen, sich die Gewehre auf die Schultern knallen und sich mitteilen, daß es keine besonderen Vorkommnisse gegeben hat.

»Freust du dich nicht?« fragt Jakob.

Mischa lächelt ihn freundlich an, »schon gut«, sagt er mit einer Stimme, die ein wenig traurig klingt, der man aber auch eine gewisse Anerkennung für Jakobs reizende Mühe anhören soll. Und dann hat er wieder Wichtigeres zu beobachten. Die Kolonne kommt näher, an dem kleinen Steinhaus, in dem die Eisenbahner und die Posten ihren Aufenthaltsraum haben, sind sie schon vorbei.

Mischa zittert vor Aufregung, und Jakob versucht, seine Worte schneller laufen zu lassen, als es die Soldaten können. Er erzählt seine Geschichte in einer Kurzfassung, warum hat er nicht eher damit angefangen, er erzählt von dem Mann mit dem Scheinwerfer, von dem Korridor in dem Revier, von der Tür, die nach außen aufgegangen ist und ihn versteckt hat. Die Nachricht, die aus dem Zimmer drang, wortwörtlich die Formulierung, die er sich in der Nacht tausendmal wiederholt hat, nichts hinzugefügt und nichts verschwiegen. Die kurze Gefangenschaft im Türspalt läßt er weg, nur das Wesentliche, auch nichts von dem Mann, der ihn zum Wachhabenden gebracht hat, ein Statist in der Geschichte, nur vom Wachhabenden selbst, der ein Mensch gewesen sein muß und darum ein schwaches Glied in der ansonsten logischen Beweiskette. Er hat auf die Uhr gesehen wie ein Mensch, und dann hat er zu Jakob gesagt, er soll nach Hause gehen, wie ein Mensch.