ÜBER DAS BUCH

Amsterdam, 1636. Pieter, der neue Lehrling von Rembrandt van Rijn, ist ein Sonderling. Vor allem seine Begeisterung für höhere Mathematik weckt Befremden. Seine Begabung kann er indessen unverhofft anwenden, als auf einmal die Preise für Tulpenzwiebeln in schwindelnde Höhen steigen und Pieter gewisse Gesetzmäßigkeiten erkennt. Doch dann werden mehrere Tulpenhändler tot aufgefunden, und Pieters Meister gerät selbst in den Sog dieser rätselhaften Mordserie. Denn alle Opfer wurden von Rembrandt porträtiert ...

ÜBER DIE AUTORIN

EVA VÖLLER hat sich schon als Kind gern Geschichten ausgedacht. Trotzdem verdiente sie zunächst als Richterin und Rechtsanwältin ihre Brötchen, bevor sie die Juristerei endgültig an den Nagel hängte. »Vom Bücherschreiben kriegt man einfach bessere Laune als von Rechtsstreitigkeiten. Und man kann jedes Mal selbst bestimmen, wie es am Ende ausgeht.« Die Autorin lebt mit ihren Kindern am Rande der Rhön in Hessen.

EVA VÖLLER

TULPENGOLD

Historischer Roman

 

Alles ist nicht Gold, was gleißt,

wie man oft Euch unterweist.

Manchen in Gefahr es reißt,

was mein äuß’rer Schein verheißt.

(William Shakespeare, »Der Kaufmann von Venedig«)

 

Für Henri

»Diesem Mann kann niemand mehr helfen«, sagte der Medicus. Er richtete sich auf und wischte sich die Hände an seinem schwarzen Umhang ab.

Ein Raunen erhob sich unter den Zuschauern, die sich am Fundort der Leiche versammelt hatten – einem Fischmarkt im Zentrum von Amsterdam.

»War der Fisch an seinem Tod schuld, Doktor Bartelmies?«, fragte der Polizeihauptmann, der neben ihm stand. »Ist er vielleicht an einem Bissen erstickt?«

»Dazu bedürfte es näherer Untersuchung, auch wenn es nicht ausgeschlossen ist«, erklärte Doktor Bartelmies. »Bis jetzt steht nur eines fest, und das ist der Exitus.«

»Ich höre wohl nicht richtig!«, rief einer der Umstehenden, seinem Geruch nach ein hart arbeitender Fischhändler. Seine Stimme klang aufgebracht. »Was soll dieses Gerede bedeuten?«

»Exitus«, sagte ein Jüngling hinter ihm. »Ausgang. Im medizinischen Sinne auch Tod. Maskulinum. U-Deklination. Exitus, exitūs, exituī …«

Der Fischhändler drehte sich wütend um. »Willst du ein paar Backpfeifen?«

»Nein«, sagte der Jüngling.

»Dann halt gefälligst den Mund, sonst fängst du dir eine.«

»Nicht doch, Mijnheer«, sagte der ältere Mann neben dem Jungen freundlich, aber bestimmt. »Er meint es nicht böse.«

Der Fischhändler wandte sich ab und betrachtete den Toten vor seinem Stand. Normalerweise hätte man kein Aufheben um einen solchen Fall gemacht, schließlich starben jeden Tag Leute. Allerdings konnte er sich an keinen Fall erinnern, bei dem jemand mitten auf dem Fischmarkt einfach tot umgefallen war. Bedeutsam war dabei wohl auch, dass es sich bei dem Dahingeschiedenen nicht um einen armen Schlucker handelte – für so einen hätte man gewiss nicht eigens den Polizeihauptmann und den Medicus hergeholt –, sondern um jemanden von Rang und Namen. Das sah man schon an der Kleidung. Der Tote trug einen Umhang aus schwerem, wertvollem Tuch und teure Lederstiefel. Und an seinem Gürtel hing eine dicke Börse, auf die sich viele begehrliche Blicke richteten, einschließlich die des Fischhändlers. Er fragte sich, bei wem das gute Stück – oder zumindest ein Teil des Inhalts – wohl landen würde. Beim Medicus, der bereits angedeutet hatte, dass zur Ermittlung der Todesursache noch eine Leichenschau nötig sei, oder beim Polizeihauptmann, der den Abtransport des Toten organisieren würde? Oder womöglich bei allen beiden, weil sie meinten, es sich für ihre Mühen verdient zu haben, und eine gerechte Aufteilung als sinnvoll erachteten?

Der Fischhändler sann darüber nach, dass wenigstens ein Teil des Geldes mit Fug und Recht ihm selbst zugestanden hätte, schließlich hatte er den Schaden davon, dass dieser feine Herr direkt vor seinem Stand zusammengebrochen war, ein Stück Räuchermakrele in dem weit aufgesperrten Mund. Wer von den Leuten ringsum nicht gerade auf die fette Geldbörse starrte, grauste sich nun gewiss vor dem Fisch, obwohl es an diesem nicht das Geringste auszusetzen gab. Das Ende vom Lied würde sein, dass er die gesamte Ware wieder mit nach Hause nehmen musste, weil niemand ihm mehr etwas abkaufte. Zum Glück war es recht kühl, der Fisch würde sich schon noch eine Weile halten, doch das war auch der einzige Trost.

Der Fischhändler hätte seinen Groll gern an jemandem ausgelassen, beispielsweise an diesem vorlauten Burschen, der sich über ihn lustig gemacht hatte, indem er mit seinen Lateinkenntnissen prahlte. Ein paar tüchtige Ohrfeigen hätten diesem Maulhelden nicht geschadet. Allerdings war er trotz seiner Jugend von drahtiger Gestalt, womöglich würde er zurückschlagen.

Aufschreie der Umstehenden ließen ihn zusammenzucken. Der Polizeihauptmann hatte den Toten vom Rücken auf die Seite gedreht (wollte er etwa jetzt schon die Börse verschwinden lassen?) und dadurch unabsichtlich dafür gesorgt, dass dem Mann der Fischbissen aus dem Mund rutschte, gefolgt von weißlichem Erbrochenen.

»Damit hat sich eine genauere Untersuchung wohl erübrigt«, sagte der Medicus. Er beugte sich nochmals über den Toten und betrachtete eingehend den offen stehenden Mund, indem er mithilfe eines Stöckchens die Lippen von den Zähnen zurückschob. »Dieser Mann wurde zweifellos Opfer einer Vergiftung.«

*

Der daraufhin einsetzende Aufruhr war beträchtlich. Der Fischhändler stimmte ein empörtes Geschrei an, als der Polizeihauptmann ihn von zwei Bütteln ergreifen und fortschleppen ließ. Den Einwand von Doktor Bartelmies, dass es keineswegs zwingend am Fisch gelegen haben müsse, hörte kaum noch jemand. Der eine oder andere aus der Menge versuchte inmitten der Unruhe auf beiläufige Weise, sich dem Toten (oder besser: dessen Börse) zu nähern, doch der Polizeihauptmann hatte ein scharfes Auge auf den Leichnam und verscheuchte mit gut gezielten Knüppelschlägen jeden, der sich auf Armlänge herantraute.

»Komm, Pieter«, sagte Joost Heertgens zu seinem Patensohn. »Wir müssen weiter.«

»Ich würde gern wissen, woran der Medicus sah, dass der Mann an Gift starb.«

»Das hat er gewiss aufgrund seiner Studien erkannt. Doctores wie dieser sind genau wie dein Vater gelehrte Männer, die an berühmten Universitäten studiert haben.«

»Ich würde gern wissen, woran er es sah.«

»Er sah es gewiss an dem, was der Tote ausgespien hat. Oder genauer: was ihm aus dem Mund fiel«, verbesserte Joost Heertgens sich. »Wahrscheinlich war der Fisch schlecht. Verdorbener Fisch ist giftig, das weiß jeder. Daran ist schon so manch einer gestorben.«

Nur widerwillig ließ sich der Junge vom Schauplatz des Geschehens fortziehen. »Der Medicus sagte aber, es müsse nicht am Fisch gelegen haben.«

»Der Mann ist tot, gleichviel aus welchen Gründen. Möge er in Frieden ruhen.«

»Ich würde gern wissen, woran er starb.«

»Du willst vieles wissen, doch nicht alles trägt zu deiner Bildung bei«, versetzte Joost, dem es immer schwerer fiel, Geduld zu bewahren. »Schließlich willst du ja kein Medicus werden, sondern Maler.« Erneut korrigierte Joost sich. »Dein Vater wollte es, und es obliegt mir als deinem Vormund, seinen letzten Willen zu vollziehen.« Danach verstummte er und gab sich sorgenvollen Gedanken hin. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sein Vetter nicht so früh das Zeitliche segnen müssen, zumal Maarten sich bester Gesundheit erfreut hatte und noch viele Jahre selbst für seinen Sohn hätte sorgen können. In den letzten Jahren hatte Joost ihn zwar nicht häufig gesehen, aber an ihrer freundschaftlichen Verbundenheit hatte das nichts geändert. Maartens Tod hatte Joost zutiefst getroffen und ein bedrückendes Gefühl eigener Vergänglichkeit in ihm geweckt.

Als Pate von Maartens einzigem Sohn nahm Joost seine Aufgabe ernst, und auch wenn er die damit verbundenen Beschwernisse und Umstände manchmal verfluchte, würde er getreulich alle nur erdenklichen Widrigkeiten auf sich nehmen, um Maartens letzten Willen zu erfüllen und Pieter bei dem gewünschten Lehrmeister unterzubringen.

Bis jetzt entwickelte sich alles hoffnungsvoll. Die im Vorfeld geführte Korrespondenz war aussichtsreich verlaufen. Im Falle etwaiger verbleibender Unklarheiten hatte Joost Heertgens eine Menge schlagkräftiger Argumente zur Verfügung. Routinemäßig tastete er nach der schweren Geldkatze unter seinem Wams. Pieters neuer Lehrherr würde keinen Grund zur Klage haben. Gleichwohl konnte ein Mindestmaß sinnvoller Instruktion nicht schaden.

»Hör mir zu, Pieter«, sagte Joost. »Wenn wir gleich im Haus des Malers ankommen, darfst du dort nur reden, wenn dir jemand eine Frage stellt.«

»Ich weiß. Das sagtest du bereits auf der Fahrt hierher.«

Joost erlaubte sich ein frustriertes Seufzen. »Ich vergesse ständig, dass du ein ungewöhnliches Gedächtnis hast und dir alles merkst. Aber manchmal … Nun, wie soll ich sagen … manchmal begreifst du nicht alles richtig. So wie vorhin bei dem Fischhändler. Deine Erklärung zum Begriff Exitus war sicher nicht das, was er hören wollte.«

»Er hat danach gefragt.« Es klang nicht aufsässig, sondern wie eine sachliche Feststellung, als sei es Joost selbst, der die Dinge verdrehte und nicht einsehen wollte, wie es sich in Wahrheit verhielt.

Joost gab es fürs Erste auf. Es war ein mühseliges Unterfangen, Pieter zurechtzuweisen. Blieb nur zu hoffen, dass er sich als Malerlehrling fügsamer verhielt. Und falls sich doch alles schwieriger anließ als erwartet – der Inhalt der Geldkatze würde es im Zweifel schon richten.

Sie spazierten an einer Gracht vorbei, die von vornehmen Häusern gesäumt war. Weit konnte es nicht mehr sein, ihr Ziel musste sich ganz in der Nähe befinden, zumindest hatten sie bereits das richtige Viertel erreicht. Joost war schon unzählige Male in Amsterdam gewesen, auch wenn er die letzten Jahre lieber in der beschaulichen Abgeschiedenheit seines ländlich gelegenen Anwesens verbracht hatte. Früher hatte er den Trubel und das bunte, abwechslungsreiche Leben in der Stadt als unterhaltsame Abwechslung geschätzt, doch die Jahre hatten in ihm das Bedürfnis nach Ruhe und Zurückgezogenheit verstärkt. Öfter als einmal im Quartal kam er nicht mehr nach Amsterdam, und selbst das war ihm manchmal noch zu viel. Sobald er den Jungen ordentlich untergebracht und damit Maartens letzten Wunsch erfüllt hatte, würde er sich wieder in die Idylle seines Heimatdorfs zurückziehen und all die Bücher lesen, die sich noch dort stapelten – etliche davon aus Maartens Nachlass. Eigentlich gehörten sie Pieter, da der Junge Maartens einziger Erbe war, doch er wollte sie nicht, da er sie allesamt bereits gelesen hatte.

Joost wandte sich an eine junge Frau, unter deren Aufsicht zwei Knechte Fässer zu einer Schenke rollten.

»Mevrouw, könnt Ihr mir sagen, wo ich die Nieuwe Doelenstraat finde? Sie müsste ganz in der Nähe sein.«

Die Frau lächelte, und für einen Moment kam es Joost Heertgens so vor, als sei die Sonne aufgegangen. Er wünschte sich selten, wieder jung zu sein. Dies war einer jener raren Momente.

»Gleich um die Ecke, und schon seid Ihr da.«

»Habt Dank, Mevrouw.«

Anschließend war das Haus von Rembrandt van Rijn schnell gefunden. Ein Schild an der Backsteinfassade, beschriftet mit dem Namen des Meisters, wies es als Kunsthandlung und Maler-Atelier aus.

Joost streckte die Hand nach dem Türklopfer aus, ließ sie dann aber wieder sinken und zog den Jungen zu sich heran. »Lass dich einmal ansehen, Pieter.« Er rückte ihm die Kappe zurecht, strich ein paar herausgeschlüpfte Locken glatt und zupfte s olange an dem wollenen Umhang herum, bis er in ordentlichen Falten herabfiel. »So, jetzt bist du präsentabel. Hm, du bist tatsächlich ein ansehnlicher Kerl, wenn man sich die Pickel und die Bartfusseln einmal wegdenkt. Du siehst deiner hübschen Mutter wirklich sehr ähnlich, Gott hab sie selig.«

Pieter ließ seine Bemühungen mit stoischer Miene über sich ergehen, aber Joost merkte, dass dem Jungen die Berührungen nicht sonderlich angenehm waren. Er klopfte Pieter ein wenig unbeholfen auf die Schulter und trat einen Schritt zurück. »Du wirst bald anfangen müssen, dir den Bart zu schaben. Oder hatte ich dir auch das bereits gesagt?«

»Nein.«

»Nun, dann weißt du es jetzt.«

»Bin ich nun ein Mann?«

»Wieso fragst du mich das?«

»Weil Vater einmal sagte, sobald ich ein Mann wäre, solle ich mir den Bart schaben.«

Diesmal kam Joosts Seufzer von Herzen. »Das kommt schon noch. Zuallererst bist du ab heute der Lehrling eines sehr berühmten Kunstmalers. Sofern sich alles so fügt, wie dein Vater es sich wünschte«, setzte er hinzu. Mit einem weiteren Seufzer betätigte er den Türklopfer.

Nach einer Weile wurde ihnen von einer Magd mittleren Alters geöffnet. Joost begrüßte sie freundlich und stellte sich vor.

»Mein Name ist Joost Heertgens, und das ist mein Mündel Pieter, der in diesem Hause Lehrling werden soll. Wir sind für heute angekündigt.«

Die Magd nickte nur mit verdrießlicher Miene und ließ sie vor der Tür stehen, während sie im hinteren Teil des Hauses verschwand, wo sie leise mit jemandem sprach. Kurz darauf erschien eine jüngere Frau mit einem hübschen, lebhaften Gesicht. Über ihrem Kleid trug sie einen volantbesetzten Hausmantel. Im Gegensatz zu der griesgrämigen Magd begrüßte sie die Besucher mit einem Lächeln.

»Mein Mann ist leider gerade außer Haus, aber er kommt in Kürze zurück. Ihr könnt gern solange mit mir in der Stube warten.«

Dankbar ließ Joost sich auf einem gepolsterten Stuhl vor dem Kamin nieder. Pieter musste mit einem Schemel in der Ecke vorliebnehmen, aber daran würde er sich gewöhnen müssen. Als Lehrjunge konnte er keinen Luxus erwarten.

Das Kaminfeuer verbreitete behagliche Wärme, und Joost streckte erleichtert die Beine von sich. Die letzten Wochen hatten ihn angestrengt. Er hatte zuerst von Zeeland nach Leiden reisen müssen, um Maartens Nachlass aufzulösen und den Jungen abzuholen, und dann von dort aus nach Amsterdam, und das alles innerhalb kurzer Zeit. Er spürte das nahende Alter. Umso wichtiger war es, gleich heute für klare Verhältnisse zu sorgen und den Jungen fest unterzubringen.

Die junge Hausfrau klingelte nach der Magd und befahl ihr, dem Besuch Wein zu servieren. Auch dafür war Joost dankbar, obwohl der Wein stark verdünnt und sauer war. Für richtig wichtige Gäste – also solche, die bereit waren, mehrere Hundert Gulden für ein Gemälde auszugeben – hätte sie vermutlich den besten Wein hervorholen lassen. Doch das störte Joost nicht. Er war nicht zum Trinken hier, sondern in Geschäften.

Die Gattin des Malers hatte es sich in einem Lehnstuhl bequem gemacht und beugte sich über eine Stickarbeit. Ab und zu blickte sie auf und stellte eine Frage, und Joost beeilte sich, sie schnellstmöglich zu beantworten, ehe Pieter es tun konnte.

»Ihr kommt aus Leiden, wie ich hörte?«

»Mein Mündel Pieter kommt von dort. Ich selbst lebe in Zeeland. Drei- bis viermal im Jahr komme ich nach Amsterdam, der Geschäfte wegen. Ich unterhalte hier ein Kontor, doch den täglichen Handel hat mein Verwalter unter sich. Ich schaue nur gelegentlich nach dem Rechten und kümmere mich um größere Aufträge.«

»Womit handelt Ihr, Mijnheer?«

»Mit vielem, aber hauptsächlich mit Effekten.« Als er den verständnislosen Blick der jungen Frau bemerkte, fügte er erklärend hinzu: »Dabei geht es um Anteile an Handelsgütern, meist Schiffsladungen. Genau genommen kaufe und verkaufe ich Waren, die mit den großen Frachtern nach Holland kommen.«

»Oh, Ihr seid ein Händler der Ostindien-Kompanie?« Das Interesse der jungen Frau an Joost stieg merklich. »Das hatte mein Mann gar nicht erwähnt. Er sprach nur davon, dass Ihr ihn um eine Ausbildung für Euren Patensohn ersucht habt.« Sie warf einen Blick auf den Jungen. »Du bist Pieter, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Pieter.

»In den Briefen stand, dass du bald achtzehn wirst. Die meisten Schüler meines Mannes sind zu Beginn ihrer Lehrzeit viel jünger.«

»Pieter war noch auf der Lateinschule«, warf Joost Heertgens ein.

»Ich weiß, davon habt Ihr meinem Mann geschrieben. Geht man dort nicht meist mit vierzehn oder fünfzehn ab?«

»Pieter hat ein bisschen länger gebraucht. Aber jetzt ist er bereit für den Ernst des Lebens.«

»Du willst also das Malerhandwerk erlernen, Pieter?«

»Ich weiß es nicht.«

Joost unterdrückte ein Stöhnen. »Natürlich will er es. Genauer: Es war der dringende Wunsch seines Vaters, der das ungeheure Talent seines Sohnes früh erkannt hat und unbedingt wollte, dass es bestmöglich gefördert werde. Pieter, zeig der Dame deine Skizzen.«

Die Gattin des Malers hob abwehrend die Hand. »Das ist Sache meines Mannes. Der versteht mehr davon.«

Beim Fortgang des Gesprächs stellte sich jedoch rasch heraus, dass sie von einer bestimmten anderen Sache mindestens genauso viel verstand wie ihr Mann.

»Wie ich hörte, hattet Ihr im Zuge der Korrespondenz mit meinem Mann bereits eine Einigung über das Lehrgeld für Euer Mündel erzielt.«

Joost nickte. »Hundert Gulden jährlich, bei freier Kost und Logis.«

»Eigentlich bieten wir unseren Lehrlingen keine Unterbringung an. Bis zu unserem Einzug hier wurden sie sogar in einer Werkstatt außerhalb des Hauses unterrichtet. Sie wohnen alle bei ihren Familien. Hat mein Mann Euch das nicht mitgeteilt?«

Joost ging davon aus, dass sie sehr genau wusste, was ihr Gatte ihm alles mitgeteilt hatte.

»Doch«, sagte er. »Meister Rembrandt schrieb mir davon, worauf ich zurückschrieb, dass man über ein angemessenes zusätzliches Kostgeld gewiss eine Einigung erzielen könne. Damit war Euer Gatte einverstanden. Das ist der letzte Stand der Dinge.«

Sie beugte sich vor. »Was wäre denn Eure Vorstellung von einem angemessenen zusätzlichen Kostgeld?«

»Achtzig Gulden per anno.«

»Hundertzwanzig«, gab sie ohne mit der Wimper zu zucken zurück.

Sie schien selbst zu bemerken, wie überzogen diese Forderung war, denn sie beeilte sich, eine Begründung zu erfinden. »Der Junge sieht aus wie ein starker Esser. Er ist groß und kräftig für seine siebzehn Jahre. Zudem muss man noch die Unterbringung berechnen – er bekäme ja auch ein Bett zum Schlafen gestellt.«

Joost tat so, als würde es ihn große Überwindung kosten, sich geschlagen zu geben. »Nun gut. Der letzte Wille meines Vetters bedeutet mir alles, und meine Verpflichtung als Vormund des armen Jungen ist mir heilig, auch wenn ich dafür Opfer bringen muss.« Als ein mit allen Wassern gewaschener Händler verstand er sich darauf, jenen Ton von Entsagung in seine Stimme zu legen, der keinen Zweifel daran ließ, wie bitter dieses Nachgeben für ihn war. Die Frau des Malers mochte geschäftstüchtig sein, aber sie war zu jung, um seine Durchtriebenheit zu durchschauen. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Es soll dem Jungen an nichts fehlen. Er darf sich immer satt essen und bekommt zu den Sonntagsmahlzeiten eine ordentliche Portion gutes Fleisch. Und er muss keine Hilfsdienste im Haushalt verrichten, das könnt Ihr in den Kontrakt schreiben. Eine eigene Kammer können wir ihm jedoch nicht bieten, er muss auf dem Dachboden nächtigen, wo auch ein Geselle meines Gatten schläft.« Hastig setzte sie hinzu: »Der einzige, der bei uns untergebracht ist. Laurens ist ein Verwandter meines Mannes, deshalb die Ausnahme.«

»Gewiss, Mevrouw.« Joost verzog keine Miene. »Damit Ihr meinen guten Willen erkennt, würde ich das Lehrgeld mitsamt dem Kostgeld gern gleich für drei Jahre im Voraus bezahlen.«

In ihren Augen stand ein erwartungsvolles Funkeln. »Ihr habt all dieses Geld bereits dabei?«

»Ich schätze klare Verhältnisse und sorge gern vor.« Mit treuherzigem Augenaufschlag legte er die Geldkatze auf das Tischchen, das zwischen seinem Stuhl und dem der Hausherrin stand. »Darin befinden sich ungefähr tausend Gulden. Warum nehmt Ihr Euch nicht einfach das Geld für drei Jahre heraus? Damit erspart Ihr einem alten Mann mit schlechten Augen die Mühe des Zählens.«

Ihre Miene zeigte genau, was sie dachte. Hätte sie weiter feilschen sollen? Wenn er tausend Gulden auf den Tisch legte, wäre vielleicht viel mehr für sie drin gewesen!

Freundlich bemerkte er: »Ich habe deshalb so viel Geld dabei, weil ich noch Schiffspapiere erwerben wollte. Diesen Kauf kann ich aber ohne Weiteres auf eine spätere Zeit verschieben, denn mein Patenkind ist mir wichtiger.«

Die Lüge kam ihm glatt über die Lippen, und die junge Frau glaubte sie nur zu gern. Zögernd griff sie nach dem schweren Lederbeutel, und das sachte Klimpern vieler Goldstücke erfüllte die Stube. Mit diesem Klang war die Sache besiegelt. Joost spürte die Macht des Augenblicks ebenso wie die Gattin des Malers, über die er im Vorfeld der Geschäftsanbahnung genauso gründlich Erkundigungen eingeholt hatte wie über ihren Mann. Bis vor Kurzem hatten die jungen Eheleute noch bei dem reichen Kunsthändler Hendrick van Uylenburgh gewohnt, einem älteren Vetter von Saskia. Für die Ausübung des Malerhandwerks und die Ausbildung seiner Lehrlinge hatte Rembrandt anfangs einen Speicher angemietet, doch inzwischen benutzte er dafür das obere Geschoss des neuen Hauses – das sparte Geld. Seit dem Umzug in die Nieuwe Doelenstraat rann Saskias Erbe den beiden allerdings zuweilen schneller durch die Finger, als Rembrandt malen konnte. Das Haus war nur gemietet, aber es war absehbar, dass das Ehepaar sich bald nach einem eigenen Domizil umtun würde, denn sie wollten höher hinaus. Rembrandt war ehrgeizig und nicht frei von Geltungsdrang. Dank seines Talents konnte er über seine Auftragslage nicht klagen, doch er neigte dazu, über seine Verhältnisse zu leben. Nicht auf die Art, die manche Männer seines Alters arm machte – er vergeudete sein Geld weder für Huren noch beim Glücksspiel –, doch kostspielig war sein Steckenpferd allemal. Er war ein begeisterter Sammler von Kunst und wertvollen Raritäten.

Unauffällig ließ Joost seinen Blick über die Einrichtung der Stube schweifen, während die Dame des Hauses mit konzentrierter Miene Gulden abzählte. Durch die Bleiglasfenster fiel ausreichend Tageslicht in den Raum. Auf einem Wandbord war feines Porzellan neben Silbergeschirr und gläsernen Trinkpokalen aufgereiht. Mehrere Gemälde des Meisters zierten die Wände, darunter ein Bildnis, auf dem die Gattin des Malers als Blumengöttin dargestellt war. Eine Wand wurde von einem breiten Pfostenbett eingenommen – die Schlafstätte der Eheleute und zugleich zur Schau gestelltes Statussymbol, ebenso wie der mit Schnitzereien verzierte Prunkschrank für die feine Wäsche. In der Mitte des Raums prangte ein kunstvoll gedrechselter Tisch, umgeben von einem halben Dutzend hochlehniger Stühle. Hier würde Pieter allerdings nicht seine Mahlzeiten einnehmen, sondern zusammen mit dem Gesinde in der Küche, wie es sich für einen Lehrjungen geziemte. Joost warf einen kurzen Blick auf den Jungen, der unruhig auf seinem Schemel hin und her rutschte.

Nur noch ein paar Minuten, beschwor Joost ihn mit flehendem Blick. Doch Pieter schien gegenüber seinen stummen Bitten taub zu sein.

»Ich will etwas fragen«, sagte er.

Saskia blickte irritiert von den Münzen auf. »Jetzt habe ich mich verzählt.«

»Fangt von vorn an und bildet Stapel zu je zehn Gulden«, riet Joost ihr.

Sie runzelte die Stirn, tat jedoch wie geheißen.

Joost versuchte, Pieter zu ignorieren, aber der ließ sich nicht beirren.

»Ich will eine Frage stellen.«

»Natürlich«, meinte Joost. »Oh, warte.« Er zog seine Tasche mit der Pfeife und dem Tabak hervor und warf sie zu Pieter hinüber, der sie behände auffing. »Stopf mir doch zuerst einmal ordentlich meine Pfeife. Ich habe dir ja gezeigt, wie man es macht.«

Mit kaum verhohlener Ungeduld kam Pieter dem Ansinnen nach. Anschließend ließ Joost sich von ihm mit einem Holzspan, den der Junge im Kamin ansteckte, Feuer geben, doch er hatte kaum den Pfeifentabak richtig zum Glühen gebracht, als Pieter auch schon mit seiner Frage herausplatzte.

»Kann ich auf den Lokus?«

*

Saskia klingelte nach der Magd, die Pieter den Weg zum Abtritt zeigen sollte. Diesmal erschien nicht die schlecht gelaunte Person, die ihnen die Tür geöffnet und den dünnen Wein gebracht hatte, sondern ein junges Mädchen von höchstens achtzehn Jahren, reizvoll anzuschauen mit ihrem lieblichen Gesicht und den deutlichen Rundungen unter der Schürze. Pieter schluckte sichtlich bei ihrem Anblick, und seine Augen wurden groß. Auf dem Weg zur Tür stolperte er, weil er auf das Hinterteil des Mädchens geblickt hatte statt auf seine Füße.

Der Junge ist wirklich bald ein Mann, dachte Joost mit einem Hauch von Wehmut. Er erinnerte sich noch sehr gut an die Zeit, als er selbst in Pieters Alter gewesen war. Mit siebzehn waren alle Jünglinge hilflose Opfer ihrer aufkeimenden Triebe, dem war auch durch Beten und Fasten nicht beizukommen.

Saskia war mit dem Zählen des Geldes fertig. »Ich habe sechshundertsechzig Gulden entnommen. Möchtet Ihr noch einmal selbst nachzählen, Mijnheer?«

Er hatte aus den Augenwinkeln sehr genau Anzahl und Höhe der von ihr gebildeten und zur Seite geschobenen Stapel im Blick gehabt. Doch das brauchte sie ja nicht zu wissen.

»Nicht doch, Mevrouw. Ich vertraue Euch und Eurem Wort, denn nie traf ich eine ehrbarere und im Geschäftsleben versiertere Dame als Euch!« Mit einem zuvorkommenden Lächeln schob er die übrigen Münzen zurück in den Lederbeutel und nahm ihn wieder an sich.

Saskia errötete vor Stolz und Freude, denn mit seiner Schmeichelei hatte er anscheinend einen Nerv getroffen. Sie verstaute die abgezweigte Summe sorgfältig in einem Rosenholzkästchen.

»Von Eurem ansprechenden Äußeren will ich besser gar nicht erst reden«, setzte Joost noch eins drauf. »Denn schließlich seid Ihr eine verheiratete Frau. Aber lasst mich Euch zumindest sagen, dass Ihr den Augen eines alten Mannes einen Anblick bietet, der das Herz erwärmt!« Bei diesen Worten zog er den Kontrakt aus seiner Tasche und breitete ihn auf dem Tischchen aus. »Hier ist der Lehrvertrag. Inhaltlich entspricht er den allgemein anerkannten Regularien der Malergilde. Fehlen nur noch unsere Zusatzvereinbarungen.«

Saskia holte Feder und Tinte, damit Joost den Vertrag um die besprochenen Punkte ergänzen konnte.

Nun bedurfte es nur noch der Unterschrift des Meisters, um den Handel perfekt zu machen. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass der Hausherr just in diesem Moment nach Hause kam, womit dem Abschluss nichts mehr im Wege stand.

Mit Wärme in der Stimme stellte Saskia ihrem Gatten den Besucher vor und erwähnte anschließend nicht nur die großzügige Regelung, die sie über das Kostgeld getroffen hatten, sondern hob auch hervor, wie zurückhaltend und wohlerzogen der neue Lehrling doch sei. In dem Punkt würde Pieter sie zweifellos bald eines Besseren belehren, aber nun steckte das Geld bereits in ihrem Kästchen.

Saskia reichte ihrem Gemahl die Tintenfeder, damit er den Lehrvertrag unterzeichnen konnte. Rembrandt tat es mit energischem Federstrich, ohne mehr als einen flüchtigen Blick darauf zu werfen, während Joost die verbleibende Zeit bis zu Pieters Rückkehr nutzte, um dem Maler Honig um den Bart zu schmieren. Das Gute daran war – er musste dabei nicht einmal übertreiben.

»Ihr ahnt nicht, was meinem verstorbenen Vetter dieser Tag bedeutet hätte! Er hielt Euch für den größten lebenden Maler unserer Zeit, und ich kann Euch versichern, dass er ein hochgebildeter und überaus kunstbeflissener Mann war. In seiner Jugend war er in Italien und schwärmte mir von den Gemälden und anderen Kunstwerken vor, die er dort betrachtet hatte. Große Namen von Malern und Bildhauern, die Euch sicher nicht fremd sind – Leonardo da Vinci, Michelangelo, Tizian, Caravaggio, Bellini, Giorgione …« Joost ließ seinen Blick in die Ferne schweifen, als könne er sämtliche Kunstwerke vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen sehen. »Euer Name fiel mit jenen Legenden in einem Atemzug. Es war sein größter Wunsch, Pieter zu Euch in die Lehre zu geben. Mit diesem Wunsch auf den Lippen tat er seinen letzten Atemzug, nachdem er mir alles Geld anvertraut hatte, das er sich eigens dafür vom Munde abgespart hatte.«

Letzteres war schamlos übertrieben, aber im Kern traf es Maartens letzten Willen, und der allein zählte schließlich. Und es erfüllte seinen Zweck, denn Rembrandt war Komplimenten dieser Art gegenüber keineswegs immun. Sein Gesicht erstrahlte vor Freude, und er warf sich ein wenig in die Brust, als wäre es durchaus folgerichtig, ihn in eine Reihe mit jenen Ruhmesgrößen zu stellen, die Joost ihm gerade aufgezählt hatte.

Tatsächlich hatte Maarten große Stücke auf Rembrandt van Rijns Kunst gehalten. Obwohl er den Maler nie persönlich getroffen hatte, war er von dessen Bildern, die er bei einem Besuch der Uylenburgh’schen Galerie einmal hatte besichtigen können, zutiefst beeindruckt gewesen. Die Entscheidung, Pieter den Beruf des Kunstmalers erlernen zu lassen, hatte er schon vorher getroffen, aber von diesem Moment an hatte für ihn außer Frage gestanden, dass Pieters Lehrherr niemand anderer sein dürfe als Rembrandt Harmenszoon van Rijn. Bedauerlicherweise war er gestorben, bevor er alles Nötige veranlassen konnte, doch diese Aufgabe hatte Joost ihm ja nun abgenommen. Und zwar auf ganz hervorragende Weise, wie er nicht ohne Selbstzufriedenheit konstatierte. Maarten würde im Himmel seine helle Freude daran haben.

Als Pieter vom Abtritt zurückkam, war bereits alles geregelt, sodass es auch schon ans Abschiednehmen gehen konnte. Draußen vor der Tür nahm Joost den Jungen noch einmal beiseite. »Deinen Reisesack lasse ich dir gleich herbringen.« Dann erteilte er Pieter mit leiser Stimme letzte Instruktionen. »Es gibt einige goldene Verhaltensregeln, die du unbedingt verinnerlichen und anwenden musst. Erstens: Sprich nur, wenn du gefragt wirst, und antworte nur mit Ja oder Nein. Ist dies nicht möglich, beschränke deine Antworten auf höchstens zehn Worte. Zweitens: Stell keine Fragen. Zum Abtritt darfst du übrigens ungefragt gehen«, flocht Joost vorsorglich ein. »Drittens: Gib keine Widerworte, und gehorche den dir erteilten Anweisungen.«

Es blieb noch Zeit für die Aufzählung einiger untergeordneter Bestimmungen, etwa, kein Geld für Weiber zu verschleudern, nicht zu fluchen und nicht zu raufen und in geschlossenen Räumen nicht auf den Boden zu spucken, doch diesen Punkten maß Joost im Grunde keine besondere Bedeutung bei, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit Pieter. Was solche Belange betraf, würde er sich bestimmt nicht unliebsam hervortun.

»Ach, das Wichtigste hätte ich beinahe vergessen«, sagte Joost zum Schluss. »Ab und zu wirst du etwas Geld brauchen, um dir irgendwelche Kleinigkeiten zu kaufen. Aus diesem Grund …« Er unterbrach sich und betrachtete seinen Patensohn, der von einem Fuß auf den anderen trat und kaum an sich halten konnte. »Was ist los mit dir, Junge?«

»Darf ich dich etwas fragen, Onkel Joost? Auch wenn es gegen die goldene Verhaltensregel Nummer zwei verstößt?«

Joost seufzte. »Stell die Frage.«

»Welche Kleinigkeiten soll ich mir kaufen?«

»Du sollst dir nichts kaufen. Ich erwähnte es nur für den Fall, dass du etwas benötigst.«

»Was denn?«

»Nun … beispielsweise ein neues Hemd oder sonstige Kleidung. Oder ein Rasiermesser, wenn du anfängst, dir den Bart zu schaben. Oder hast du schon eines?«

»Nein.«

»Na siehst du.«

»Wann soll ich mir das Rasiermesser kaufen?«

»Das kannst du selbst entscheiden.« Joost runzelte die Stirn, denn er hatte den untrüglichen Eindruck, dass er im Begriff war, etwas Wichtiges zu vergessen. Zu seiner Erleichterung fiel es ihm sofort wieder ein. »Was das Geld angeht – du kannst dir welches holen. Ich habe dir ja heute nach unserer Ankunft mein Kontor gezeigt. Dorthin kannst du gehen und dir von Mijnheer Mostaerd geben lassen, was immer du brauchst.« Er hatte seinen Verwalter instruiert, den Jungen großzügig zu alimentieren, denn Pieter sollte keinesfalls während seiner Lehrjahre darben müssen.

In einer für ihn selbst unerwarteten Aufwallung von Zuneigung tätschelte er dem Jungen die Wange und unterdrückte dabei den Anflug eines schlechten Gewissens, weil er seinen Patensohn hier ablieferte wie eine Ladung unbestellter Ware, die man nicht schnell genug loswerden konnte.

»Ich werde bald nach dir sehen, Pieter. Spätestens zu Weihnachten komme ich vorbei und überzeuge mich davon, dass du es gut getroffen hast mit deiner Lehrstelle.« Damit wandte er sich entschlossen zum Gehen. Bis Weihnachten waren es noch fast drei Monate. Wenn er hätte wetten müssen, ob der Junge es bis dahin schaffte, sich die Lehrstelle zu erhalten, hätte Joost keine nennenswerte Summe darauf setzen mögen. Andererseits – sechshundertsechzig Gulden waren ein schönes Stück Geld, auch für einen gut bezahlten Maler. Das galt vor allem, wenn es erst einmal ausgegeben war.

Auf dem Weg zu seinem Kontor gab Joost sich der stillen Hoffnung hin, dass Meister Rembrandt das Lehrgeld schnellstmöglich für verlockende Sammlungsstücke verprasste. Ob man da vielleicht ein wenig nachhelfen konnte?

*