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Schriftenreihe Textil - Kultur - Mode

herausgegeben von Waltraud Rusch

Roswitha Zwerger: Stroh – ein seltener Werkstoff der Alltagskultur

Band 1

Fachverband ... textil..e.V. Wissenschaft - Forschung - Bildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Roswitha Zwerger

Layout und Herstellung: Nebel Medienproduktion, Muggensturm

Bild Umschlag: „Knabe mit Getreidebündel“, Julien Dupré, 1880, © Museum der Brotkultur, Ulm

Umschlaggestaltung: Jürgen Nebel, Waltraud Rusch

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783743131262

Inhaltsverzeichnis

Zur Entwicklung der Strohverarbeitung

Schnitterin mit Strohhut als Sonnenschutz. Manessische Liederhandschrift, um 1340

Mit ‚Stroh‘ im engeren Sinne sind die trockenen und Frucht entfernten Halme und Blätter von Kulturpflanzen wie Getreide, Öl- und Faserpflanzen sowie Hülsenfrüchten gemeint. Im weiteren Sinne zählen dazu auch alle trockenen Stiele, Stängel und Blätter von Wildpflanzen wie Binse (scirpus lacustris), Espartogras (Stipa tenacissima), Sauergras (carex brizoides) und andere Wildgräser.

Terrakottafigur mit Tholia, Tanagra, 4.Jh. v.Chr., Staatliche Antikensammlung, München, Foto: R.Z.

Zu den ältesten Originalfundstücken der Strohflechtkunst gehören kleine, beutelförmige Körbchen in Zwirnbindung sowie geflochtene Sandalen in Spiralwulsttechnik aus spanischem Espartogras.

Gefunden wurden sie 1857 in der südspanischen Höhle von Murciélagos in der Provinz Granada, wo sich das organische Material unter den subtropischen Klimaverhältnissen ca. 5000 Jahre lang erhalten konnte. Es sind dies Zeugnisse einer hoch entwickelten Handwerkskunst prähistorischer Korbflechter.

Aus der Antike belegen zahlreiche Bild- und Textquellen den intensiven Handel mit Espartogras und Binsen aus Spanien und Nordafrika sowie deren vielseitiger Verwendung für diverse Behälter, Filter- und Presssiebe für die Honig-, Öl-, Most- und Weingewinnung, für Bienenstöcke, Fischreusen und in der Seilerei.

Stroh zur Eisgewinnung verwendeten die alten Römer bereits in ihren unterirdischen Kühlkellern. Der aus den Bergen herbei geschaffte Schnee wurde zur Isolierung mit Stroh abgedeckt und verdichtete sich beim Zusammensacken zu Eis.

Als geflochtenen Sonnenhut trug der Mann in der Antike den breitkrempigen ‚Petasos‘ und die Frau die scheibenförmige ‚Tholia‘, wie man sie von den Terrakottafigürchen aus Tanagra kennt.

Mit Stroh und Gräsern geflochten wurde weltweit in nahezu allen Kulturen. Bei der Kleidung waren es neben den Kopfbedeckungen gegen Witterungseinflüsse, Grasmäntel als Regenschutz, wie sie von den Hirtenbuben noch bis im 20.Jh. getragen wurden sowie Graspolsterung in der ledernen Fußbekleidung gegen Kälte und Nässe, wie man sie bei „Ötzi“ fand.

Steirischer Hirtenbub in einem Grasmantel. Photographie. Österreich, um 1930, Künstler: Anonym © IMAG-NO/brandstätter images GmbH, Wien

Ein bedeutender neolithischer Grabungsfund gelang 2003 im oberbayerischen Pestenacker bei Landsberg. Der äußerst dekorative „Spitzhut“ erwies sich als fertigungstechnisch sehr anspruchsvoll, war in Zwirnbindung und mehreren Flechtschichten gearbeitet und dadurch sogar wasserdicht. Vergleichbare Darstellungen finden sich auf prähistorischen Felszeichnungen, deren Alter auf 5500 Jahre geschätzt wird.

Bei der Gestaltung von Schmuck und Behältern aus Stroh haben es Asiaten, Afrikaner und Indianer zu bewundernswerten Höchstleistungen bezüglich Feinheit sowie Muster- und Formgestaltung gebracht. Bereits in vorspanischer Zeit waren indianische Flechtarbeiten in der Region des Pátzcuaro-Sees bedeutende Handelsware. Die heutigen Figurengeflechte aus Weizenstroh und Binsen sind besonders bei Touristen beliebt.

„Spitzhut“ von Pestenacker, © Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Zeichnung: Antja Bartel

Indianische Flechtfigur aus Weizenstroh, Mexiko, Foto: R.Z

Flechtfigur aus Binsen, Mexiko, Foto: R.Z.

Strohdach, Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof, Gutach 2014, Foto:R.Z..

Beim vorgeschichtlichen Hausbau in ‚Stampfbauweise‘ wurden die Wände aus einer Lehm-Stroh-Mischung, verstärkt mit Kalk und Sand aufgebaut oder man verwendete Stroh als Beimischung und Füllmaterial in den mit Lehm verputzten Geflechtwänden. Stroh- und Grasdächer boten neben der ansprechenden Optik eine hervorragende Wärmeisolierung, erstaunlichen Lärmschutz und haben sich in einigen Gegenden bis heute erhalten. Bekannt sind die strohgedeckten Walmdächer im Schwarzwald sowie die reetgedeckten Häuser in Norddeutschland.

Zur Minimierung der Brandgefahr ist man inzwischen auf Hohlpfannenziegel umgestiegen, unter denen man imprägnierte „Strohdocken“ befestigt, die das Eindringen von Flugschnee und Schlagregen verhindern sollen.

Mit dem Bau ganzer Häuser aus Strohballen hat man seit ca. 100 Jahren Erfahrung. Weltweit sollen es inzwischen ca. 20 000 sein, die auf einem soliden Fundament gebaut und zum Schutz vor Feuchtigkeit mit Lehm verputzt sich als sehr haltbar und baubiologisch gesund erweisen und ein angenehmes Raumklima schaffen.

Neben den vielen praktischen Verwendungsmöglichkeiten spielte der Symbolgehalt von Getreidestroh in zahlreichen Erntebräuchen sowie im Totenkult vieler Völker eine Rolle und zur Sicherung der Ernährung mengte man in ‚mageren‘ Zeiten Kornspelz zur Streckung unter den Brotteig.

Strohflechten – ein Stück Industriegeschichte in Europa

„Knabe mit Getreidebündel“, Julien Dupré, 1880, © Museum der Brotkultur, Ulm

Strohschuhe, Schwarzwaldmuseum Triberg, Foto: R.Z.

Überschuhe für den Stallgebrauch, Ungarn, Foto: R.Z.

Bei der Herstellung einfacher Flechtobjekte für den Hausgebrauch bedurfte es keiner besonderen Materialqualität. Strohschuhe, Körbe und Sonnenhüte für die Feld- und Gartenarbeit wurden von der ländlichen Bevölkerung aus Ernteresten geflochten.

Die Palette der Strohschuhe reicht vom feinen, gefütterten Frauen- und Kinderpantöffelchen über den groben Stallüberschuh bis hin zum gewaltigen Strohstiefel des Türmers. Ein besonderes Exemplar hat sich im Dienstschrank des Münchner Turmbeobachters Hans Kramer (1922-1990) erhalten.

In seiner Dienstkleidung aus Schaffellmantel und Strohstiefeln war er Zeuge der 73 alliierten Bombenangriffe auf München und meldete per Kurbeltelefon Bombeneinschläge und Brände an die Luftschutzleitung.

Strohstiefel des Turmbeobachters, Stadtmuseum München 2015, Foto: R.Z

Strohhaube, vor 1596, indisch (?),© Kunsthistorisches Museum, Wien, Sammlungen Schloss Ambras

Strohhaube, Detail, © Kunsthistorisches Museum, Wien, Sammlungen Schloss Ambras

Im16.Jh. pflegte man in den Badestuben und Schwitzbädern der gehobenen Gesellschaft randlose Badehüte aus Strohgeflecht zu tragen, um den Kopf vor der Hitze zu schützen. In Wien wird das Original von Philippine Welser (1527-1580), der nicht standesgemäßen Ehefrau von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol (1529-1596) aufbewahrt.

Badhut der Philippine Welser, 2.Hälfte 16.Jh., © Kunsthistorisches Museum, Wien

Der kostbare ‚Badhut‘ ist aus Strohhalmen, Seide sowie Gold- und Silberfäden gefertigt und auf der Oberseite mit Gewürznelken bestückt, deren Knospen man durch Perlen ersetzt hatte. Nelken und Perlen galten zu dieser Zeit als Medizinalien, wodurch die schützende Wirkung des Hutes eine Bestätigung erfuhr.

„Das Frauenbad“, Albrecht Dürer (1496), © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein Bremen, Kupferstichkabinett, Foto: Karen Blindow

Auf Schloss Ambras bei Innsbruck, dem Wohnsitz der Philippine Welser, fand man neben dem Badhut noch eine Strohhaube, die in den Inventarien als „ain ganz stroene nachthauben“ dokumentiert ist. Die Textur dieser ungewöhnlich feinen, geschmeidigen und netzartigen Haube beruht auf der besonderen Herstellungsweise. Kleine, rechteckige Strohplättchen mit eingeschlagenen Ecken wurden mit Bindfäden nach einem ausgeklügelten System aufgefädelt und bewirkten so deren Flexibilität.

Das höchst illustre und amüsante Badevergnügen der frühen Neuzeit inspirierte viele Künstler zu bildhaften Darstellungen. So schuf Albrecht Dürer 1496 eine Federzeichnung „Das Frauenbad“.

Gauffrier- und Stanzgeräte, Strohmuseum im Park, Wohlen, Foto: R.Z.

Strohbleichen in Villmergen, um 1905, Strohmuseum im Park, Wohlen, Foto: Felix Wey, Baden

„Röhrlihut“ - Fertigung, Strohmuseum im Park, Wohlen, Foto: R.Z.