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Inhaltlich unveränderter Nachdruck der Ausgabe aus 2006

© 2017 Peter Mersch

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7431-2388-5

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung
  2. Familienformen
  3. Wissensgesellschaft
  4. Kosten/Nutzen von Kindern
  5. Kindererziehung
  6. Bevölkerungspolitik
  7. Familienmanager-Konzept
  8. Schlussbemerkung
  9. Anhang
  10. Literatur

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ganzes Haus

Abbildung 2: Ernährermodell – Mann arbeitet, Frau und Kinder bleiben zu Hause

Abbildung 3: Moderne Kernfamilie – Eltern gehen arbeiten, die Kinder in die KITA

Abbildung 4: Zwei Familien-Atome verbinden sich zu einer Patchwork-Famile

Abbildung 5: Hurry Sickness der modernen Frau

Abbildung 6: Geringe Steuereinnahmen bei hoher Fertilität

Abbildung 7: Hohe Steuereinnahmen bei geringer Fertilität

Abbildung 8: Ziel-Fertilitätsraten bei unterschiedlichen Jahrgangsstärken

Abbildung 9: Geburten bei Fertilitätsrate 1,4

Abbildung 10: Familienmanager-Fertilitätsraten und Jahrgangsstärken

Abbildung 11: Ehegattensplitting

Abbildung 12: Familiensplitting bei einer Familie mit 2 Kindern

Abbildung 13: Familienrealsplitting bei einer Familie mit 2 Kindern

Abbildung 14: Düsseldorfer Tabelle

Abbildung 15: Schrumpfende Bevölkerungspyramiden

Danksagung

Mein Dank gilt Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann für die kritische Durchsicht des Manuskripts und zahlreiche wertvolle Anregungen. Auch sind auf ihn manche Verbesserungen zurückzuführen.

Mein besonderer Dank gilt Lenore Steller, die den Text grundlegend lektorierte und wesentlich zur Fertigstellung des vorliegenden Buches beigetragen hat.

Peter Mersch

Vorwort

Noch zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts basierte die gesellschaftliche Reproduktion in hochentwickelten Staaten im Wesentlichen auf einer klaren Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: der männliche Teil der Bevölkerung ging einer Erwerbsarbeit nach und der weibliche Teil kümmerte sich um den Nachwuchs. Auch wenn es keinen unmittelbaren gesellschaftlichen Zwang zum Kinderbekommen gab, so bestand dieser doch implizit in der den Frauen praktisch vorgegebenen Mutterrolle.

All dies hat sich geändert. Nun steht auch den Frauen eine Vielzahl an alternativen Lebensmodellen zur Verfügung, wobei die Mutterrolle nurmehr eines unter anderen ist. Und diese Rolle ist in der Regel mit Nachteilen wie langjähriger persönlicher Festlegung, höheren Kosten, geringeren Einnahmen, schlechterer Altersversorgung und viel Arbeit und Verantwortung verbunden.

Die Freiwilligkeit beider Geschlechter gegenüber der Nachwuchsarbeit hat praktisch zu deren Erliegen geführt: Moderne Wissensgesellschaften sind geprägt von einer Armut an und unter Kindern, beschönigend auch demographischer Wandel genannt.

In der öffentlichen Auseinandersetzung darüber beherrschen Themen wie die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Familie als Arbeitgeber oder die stärkere Beteiligung der Männer an der Familienarbeit die Diskussion.

Die Idee dabei: Mütter und Väter sollten sich nicht wie bisher auf jeweils eine Rolle beschränken, sondern sowohl einer Erwerbsarbeit nachgehen als auch Familienarbeit leisten. Einen Teil der Arbeit könnten sie dabei eventuell als Arbeitgeber an weniger qualifizierte Dritte auslagern1 2.

Weil dieses Modell in der Regel speziell bei den Frauen zu einer unzumutbaren Doppelbelastung führte, war ein Schuldiger schnell gefunden: Die Männer würden sich bislang nicht ausreichend an der Haus- und Familienarbeit beteiligen.

Leider wurde hierdurch die Aufmerksamkeit von einem ernsten sozialen Konflikt abgelenkt, der nicht innerhalb der Familien zwischen Frauen und Männern oder etwa zwischen Armen und Reichen, sondern zwischen Kinderlosen und Familien, oder anders ausgedrückt, zwischen der heutigen und der nächsten Generation besteht.

Kinderlose erwarten indirekt, dass andere für sie Kinder aufziehen. Für diese Haltung gibt es aber Entsprechungen mit vorhandenen gesetzlichen Regelungen. So wird ein Erwerbstätiger, der ein uneheliches Kind zeugt, mit dem Aufziehen des Kindes jedoch nichts zu tun haben will, zu jahrzehntelanger Unterhaltszahlung verpflichtet.

Verschiedene Autoren haben deshalb längst gefordert, Kinderlose höher zu besteuern3 4. Und in der Tat scheint dies eine Grundvoraussetzung für die Überwindung der demographischen Krise zu sein.

Im vorliegenden Buch wird gezeigt, dass das demographische Problem lösbar ist, und zwar mit den Mitteln unseres Systems. Grundlage dafür ist ein Familienmanager-Konzept, welches zum ersten Mal in meinem Buch Land ohne Kinder5 vorgestellt wurde und nun weiter präzisiert wird.

Dabei werden auch einige günstige daraus ableitbare Seiteneffekte diskutiert, wie:

Die vorgeschlagenen Maßnahmen mögen auf den ersten Blick befremdlich wirken. Allerdings ist das demographische Problem für unsere Gesellschaft viel zu gravierend, als dass kosmetische Korrekturen, die in der Regel seit mehr als 30 Jahren diskutiert werden und für eine volle Umsetzung weitere 30 Jahre benötigen würden, nun noch helfen könnten. Und unsere Gesellschaft hat auch in anderen und zum Teil ethisch noch prekäreren Fällen – etwa wenn es um „Leben nehmen“ und nicht um „Leben geben“ geht – stets ganz ähnlich reagiert und damit den Individualisierungsprozess weiter vorangetrieben.

So dürfte es auch diesmal wieder sein: Entweder die Individualisierung schreitet fort und schließt nun die Frauen und die ihnen angestammte Mutterrolle mit ein, mit der wahrscheinlichen Konsequenz einer verstärkten Professionalisierung von Familienarbeit, oder sie stößt nun an ihre Grenzen und bedarf des Einhalts oder gar der Korrektur6, damit die Gesellschaft als Ganzes noch weiter funktionieren kann.

Ein großer Teil des Buches analysiert populäre und zum Teil auch neue bevölkerungspolitische Maßnahmen bezüglich ihres Potenzials zur Lösung des demographischen Problems moderner Gesellschaften. Dabei werden sie mit ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, zum Beispiel der Entwicklung der Familienformen, den Anforderungen von Wissensgesellschaften, den Ansprüchen an eine frühkindliche Erziehung oder Aspekten der Nachhaltigkeit, der Generationengerechtigkeit und zukünftiger Bevölkerungsentwicklungen konfrontiert.

Naturgemäß wiederholt sich dabei manches Argument. Dies ist aber durchaus beabsichtigt, denn Ziel war es, die einzelnen Themenkomplexe möglichst zusammenhängend zu diskutieren, um auf diese Weise die Erfordernis eines Umdenkens bei der zukünftigen Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion deutlich zu machen.

Dass man an einem solchen Umdenken nicht vorbeikommen wird, zeigt mittlerweile auch die öffentliche Debatte zum Thema, die zunehmend ungeduldiger wird und das Fehlen sinnvoller Lösungsansätze und Handlungsalternativen beklagt. So schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 29.06.2006 anlässlich der Vorstellung der Studie „Kinderwünsche in Deutschland“ der Robert-Bosch-Stiftung7:

Gut geforscht! Aber können wir nun, da dies alles noch einmal gesagt und gedruckt ist, zu den übrigen Kantschen Elementarfragen übergehen? Etwa: Was dürfen wir hoffen? Was sollen wir tun? (…) Oder treffen wir uns in drei Wochen im „Hilton“ wieder, für die nächste Studie, die nächste Tabelle, die nächste Runde um den heißen Brei?

„Was tun?“ fragt auch Ulrich Beck8, nun aber bezogen auf die Stellung Deutschlands in einer globalisierten Welt, und gibt auch gleich eine Antwort9:

Im Zeitalter der Globalisierung und der Vervollkommnung der Unsicherheit sind die wichtigsten Ressourcen eines Landes die Fähigkeit und die Bereitschaft seiner Bürger, komplexe Zukunftsaufgaben zu lösen, und nicht seine Ausstattung mit Technik und Kapital, denn diese sind längst hochmobil.

Und weiter10:

Auf diese Vervollkommnung der Unsicherheit gibt es bislang nur drei Antworten: Bildung, Bildung, Bildung!

Und schließlich11:

Bildung ist das höchste Gut, Bildung ist teuer, in Bildung muss investiert werden sowohl von den Einzelnen als auch von Staat und Wirtschaft.

Zwischen Nationalstaaten und Unternehmen entwickelt sich im Rahmen der Globalisierung eine Lieferanten-Kunden-Beziehung, bei der die Kompetenzen der Bürger die wichtigsten vermarktbaren ‚staatlichen Produkte’ sind. Ist die Qualität der Produkte generell niedrig, wird sich das Land eher als Niedriglohnland positionieren müssen. Sinkt die Qualität der Produkte bei weiterhin hohem Lohnniveau, werden viele Arbeitsplätze in andere Länder abwandern und zahlreiche noch qualifizierte Bürger dazu.

High-Tech-Unternehmen, die es gewohnt sind, auf Märkten mit anderen Unternehmen um Kunden zu konkurrieren, wissen in der Regel, was zu tun ist: Sie müssen in die aktuellen und zukünftigen Produkte investieren, das heißt in Forschung und Entwicklung, oder abstrakter ausgedrückt: in ihre Produkt-Reproduktion. Tun sie dies nicht, laufen sie Gefahr, den technologischen Anschluss und damit Kunden an andere Anbieter zu verlieren.

Genau dies gilt aber auch für die entwickelten Nationalstaaten, auch für sie avanciert im Rahmen der Globalisierung und auf dem Weg hin zu Wissensgesellschaften die Reproduktion des Humanvermögens zum eigentlichen Kerngeschäft. Gesellschaftliche Reproduktion ist aber mehr als nur Bildung, sie beginnt bereits im Mutterleib, setzt sich mit der kindlichen Erziehung fort, umfasst alle weiteren Bildungsmaßnahmen und selbst Aspekte eines gesundheitsbewussten Lebensstils gehören dazu. Dabei sind alle frühkindlichen Maßnahmen von besonderer Bedeutung, denn was da bereits versäumt wurde, kann zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch nachgeholt werden.

Die Antwort des vorliegenden Buches auf die Frage „Was sollen wir tun?“ lautet deshalb: Der Staat muss die gesellschaftliche Reproduktion aufwerten. Dies gilt insbesondere für die kindliche Erziehung, die heute stattdessen immer stärker in Sozialhilfeumgebungen oder wenig entwickelte Länder abgedrängt wird.

Frankfurt, im September 2006

Peter Mersch


1 Steingart, Gabor: Deutschland – Abstieg eines Superstars, 2. Auflage, 2005, Seite 279 f.

2 Robert Bosch Stiftung: Unternehmen Familie, 2006

3 Bolz, Norbert: Die Helden der Familie, 2006, Seite 71

4 Longman, Phillip: The Empty Cradle – How Falling Birthrates Threaten World Prosperity (and what to to about it), 2004, Seite 173 ff.

5 Mersch, Peter: Land ohne Kinder – Wege aus der demographischen Krise, 2006

6 Miegel, Meinhard und Wahl, Stefanie: Das Ende des Individualismus – Die Kultur des Westens zerstört sich selbst, 3. Auflage, 2005

7 FAZ.NET: Kinderwünsche, http://www.faz.net/s/Rub5A6DAB001EA2420BAC082C25414D2760/Doc~E12BB1928E43F437D95A112F10E4B3B8D~ATpl~Ecommon~Scontent.html

8 Beck, Ulrich: Was zur Wahl steht, 2. Auflage, 2005, Seite 67 ff.

9 ebenda, Seite 100

10 ebenda, Seite 98

11 ebenda, Seite 103

1 Einführung

Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft

Die fortgeschrittenen Industrienationen befinden sich auf dem Weg hin zu Wissensgesellschaften12: Nicht mehr die Ressourcen Arbeit, Kapital und Rohstoffe spielen die entscheidende Rolle, sondern die geistigen Fähigkeiten und das theoretische Wissen ihrer Menschen.

Gleichzeitig entwickeln diese Staaten ein demographisches Problem: Die Lebenserwartung steigt, während die Fertilitätsrate sinkt, und dies alles umso mehr, je höher das Bildungsniveau, der Lebensstandard und der Grad der Geschlechtergleichberechtigung sind13.

Je erfolgreicher die Wirtschaft und je gebildeter die Frauen, desto unfruchtbarer ist die Nation. Frauen verdienen mehr und gebären weniger.

Dieser Trend lässt sich sogar innerhalb der Grenzen eines Staates beobachten: Manche Länder haben nur deshalb noch halbwegs bestandserhaltende Geburtenraten, weil sie über starke Anteile sozial schwacher und gering ausgebildeter Bevölkerungsschichten14 oder ethnische Minderheiten mit höheren Fertilitätsraten15 verfügen.

Die meisten Autoren – insbesondere Demographen und Ökonomen – betrachten die Entwicklung mit Sorge16 17 18. Es gibt aber auch andere Stimmen, die in der Bevölkerungsschrumpfung und dem Geburtenrückgang etwas Positives sehen. Immerhin werden ja viele Menschen auf diese Weise von zeitaufwändigen Erziehungsaufgaben befreit und können sich ganz der produktiven Arbeit oder anderen gesellschaftlichen Aufgaben widmen19 20 21. Auch wird reklamiert, dass in einer schrumpfenden Gesellschaft die Natur wieder vermehrt zu ihrem Recht käme22. Ebenso wird gefragt, ob für das Glück der Deutschen eine Zahl von 80 Millionen Einwohnern unerlässlich sei, und ob nicht gar die Schrumpfung der weißen Bevölkerung, die mehr als drei Viertel der Ressourcen des Planeten verbraucht, für die Erde eher ein Segen als ein Unglück sei23. Manche Autoren sehen dagegen überhaupt kein Problem24 25 26 oder auch nur einen interessengeleiteten Verteilungskampf innerhalb der aktuellen Generation27, während wiederum andere Autoren auf die besondere Gefahr eines fortgesetzten und massiven Bevölkerungsrückgangs hinweisen, weil dabei wachsende Umstrukturierungs- und Anpassungserfordernisse mit sinkenden Anpassungskapazitäten zusammentreffen28.

Die Ambivalenz im Umgang mit dem Thema findet ihren Ausdruck im Begriff „demographischer Wandel“.

Die erste demographische Frage (Quantität)

Allerdings ist nicht die zentrale Frage, ob ein zeitweiliges Schrumpfen nun gut oder schlecht ist, sondern wie der Schrumpfungsprozess letztendlich zum Stillstand gebracht werden kann. Und dafür gibt es für Wissensgesellschaften zurzeit kein Konzept. Die erste entscheidende Frage (Quantitäts-Frage) lautet also:

Die Situation ist vergleichbar mit einem Fluss, der aus einem immer weiter abschmelzenden Gletscher gespeist wird. Je kleiner der Gletscher wird, desto weniger Schmelzwasser wird er erzeugen. Wenn der Gletscher ganz abgeschmolzen ist, wird der Fluss endgültig zum Versiegen kommen. Zurzeit gibt es kein Konzept wie das verhindert werden kann, oder anders ausgedrückt, wie es erreicht werden kann, dass der Gletscher jährlich um genau die Eismenge wieder zunimmt, die er auf der anderen Seite an Schmelzwasser verliert.

Dass die Frage nach der Bestandserhaltung wesentlich ist (jedenfalls auf lange Sicht), wird wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen. Zurzeit entwickeln sich die Bevölkerungszahlen von Gesellschaften völlig ungeplant und zwar als Ergebnis des Reproduktionsverhaltens ihrer Individuen. In der Folge wachsen Gesellschaften älteren Typs und schrumpfen solche neueren Typs. Doch wie hält man eine Gesellschaft im demographischen Gleichgewicht?29

Die zweite demographische Frage (Qualität)

Aber es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Die verschiedenen Länder der Erde betreiben nicht nur untereinander Handel, sondern stehen auch in Konkurrenz zueinander. Wird in einem Land Erdöl (das heißt Energie) gefunden, kann dies – wie die arabischen Länder zeigen – zu einem ungeheuren Reichtum seiner Bevölkerung führen.

Deutschland – und dies gilt in ähnlicher Weise für alle Staaten der Europäischen Union – besitzt hingegen keine nennenswerten Rohstoffe. Stattdessen können die folgenden Qualitäten hervorgehoben werden:

wobei die beiden letzten Punkte meist Hand in Hand gehen. Würde auf Dauer die deutsche Bevölkerung schrumpfen, sich nicht mehr erneuern und auch in der Qualifikation und Motivation nachlassen, dann würde dies gleichfalls mittelfristig zu nachhaltigen Qualitätseinbußen bei der Infrastruktur (Straßen, Brücken, Telekommunikation, Energie, Bildungseinrichtungen usw.) führen.

Entscheidend sind aber letztendlich die Fähigkeiten der Bevölkerung. Wie die Folgen des 2. Weltkriegs gezeigt haben, kann sich ein Land mit gut ausgebildeter und motivierter Bevölkerung auch dann wieder relativ schnell erholen, wenn seine Infrastruktur weitestgehend zerstört ist.

Fachleute sind sich darin einig, dass die wichtigsten zukünftigen Ressourcen für Unternehmen und Gesellschaften Wissen und kognitive Fähigkeiten sind. Diese Entwicklung entspricht in auffälliger Weise der biologischen Evolution, in deren Rahmen sich letztendlich ein Lebewesen (der Mensch) durchgesetzt hat, welches anderen Spezies vor allem in seinen geistigen Fähigkeiten überlegen war.

Die unmittelbare Konsequenz daraus ist: Der wissende Mensch mit seinen geistigen Kompetenzen rückt zunehmend ins Zentrum des wirtschaftlichen Geschehens.

Zur Quantifizierung der Wissensressourcen wurden in den Wirtschaftswissenschaften die Begriffe Humankapital und Humanvermögen eingeführt.

Diese scheinbare Ökonomisierung des Menschlichen hat zu der Befürchtung eines sich verstärkenden Primats der Ökonomie geführt, unter dem alles unterbleibt, was sich erst nach langer Zeit oder gar nicht rechnet32, zum Beispiel Investitionen in Kinder.

Allerdings hätte eine solche Vorgehensweise mit wirklicher Ökonomie nicht viel zu tun. Ein neues Medikament hat in der Pharmaindustrie heute üblicherweise eine Entwicklungszeit von 12 bis 15 Jahren. In zahlreichen anderen Branchen sieht es ganz ähnlich aus. Rechnet man die Grundlagenforschung dazu, dann führen neue Erkenntnisse manchmal erst in 25 Jahren zu neuen Produkten, wobei die Produkteinführung nicht selten nochmals mehrere Jahre andauern kann. Erst dann können endlich Gewinne eingefahren werden. Und kommt es im Rahmen von Produktzulassungsprozessen zu Problemen, dann muss gegebenenfalls eine neue Produktlinie, deren Entwicklung 20 Jahre vorher hoffnungsfroh begonnen wurde, am Ende sogar vollständig eingestellt werden.

Ökonomisch denkenden und rechnenden Unternehmen ist es also geläufig, zum Teil erhebliche Summen in Forschung und Entwicklung – das heißt in die unternehmerische Reproduktion – zu stecken, die sich – wenn überhaupt – vielleicht in 25 Jahren auszahlen werden. Trotzdem gehen sie diesen Weg, weil sie andernfalls in 25 Jahren nicht mehr konkurrenzfähig sein würden.

Unzureichende gesellschaftliche Investitionen in den eigenen Nachwuchs sind deshalb keine Folge des Primats der Ökonomie, sondern von fehlendem langfristigem ökonomischem Denken. Sie sind nicht das Werk von Ökonomen, sondern von Bürokraten.

Während führende Konzerne ihre besten Köpfe in die Forschung und Entwicklung stecken, überlässt man in unserem Staat die Entwicklung des wichtigsten „Produktes“ – des Menschen – zunehmend Schichten mit geringer Bildung und niedrigem Einkommen. Während in Unternehmen zum Teil erhebliche Summen in die Erneuerung fließen, hat man in unserem Staat offenkundig gemäß demographischökonomischem Paradoxon33 die Auffassung, dass nur unter ärmlichsten Bedingungen, wie sie zum Beispiel in der Dritten Welt oder vor Ort bei Sozialhilfeempfängern vorzufinden sind, eine ausreichende Zahl an Kindern in die Welt gesetzt werden können. Besonders motivierte und kompetente Menschen – Deutschlands Dichter und Denker – werden dagegen in erster Linie in der Erwerbsarbeit, das heißt in der Produktion, benötigt.

Dies hat langfristig eine substanzielle Minderung des Humanvermögens und damit der Konkurrenzfähigkeit und Attraktivität Deutschlands zur Folge.

Vielen Fachleuten ist das längst bewusst, weshalb sie die Anstrengungen in die Ausbildung der Bevölkerung verstärken möchten34:

Wenn hauptsächlich die Schwachen Kinder bekommen, dann müssen wir eben aus diesen Kindern Atomphysiker machen, Gerichtspräsidenten, Abgeordnete, verantwortungsvolle Bürger.

Dies wird nicht gelingen. Denn einerseits ist Intelligenz zu einem erheblichen Anteil erblich35 36, andererseits wird sie sehr stark durch die frühkindliche Erziehung und Bindung geprägt37. Solche Wahrheiten auszusprechen gilt in unserer Gesellschaft aber gemeinhin als politisch unkorrekt.

Auch viele Kinder aus Familien mit ausreichendem Einkommen erhalten heute nicht die Erziehung und Zuwendung, die sie benötigen. Neben frühkindlichen chronischen Erkrankungen und Übergewicht breiten sich immer mehr Konzentrationsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten unter Kindern aus38. Wenn beide Elternteile arbeiten gehen, gewinnt die Hausarbeit in der knapperen Freizeit an Bedeutung und die Erziehungsarbeit wird weiter zurückgestellt.

In modernen hochentwickelten Gesellschaften lassen sich neben dem quantitativen Rückgang (Schrumpfen) folglich auch qualitative Nachwuchsmängel beobachten, die selbst durch enorme Investitionen in schulische oder andere Bildungseinrichtungen – die aber zurzeit ebenfalls unterbleiben39 – zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr behoben werden können. Dies ist besonders fatal, da ja Wissen und kognitive Fähigkeiten in solchen Gesellschaften die wichtigsten Ressourcen sind. Die zweite entscheidende Frage (Qualitäts-Frage) lautet deshalb:

Bisherige demographische Strategien

Um die Auswirkungen der demographischen Entwicklung zu mildern, werden in der öffentlichen Diskussion in erster Linie die folgenden Maßnahmen empfohlen:

Die beiden ersten Maßnahmen bezeichnet Norbert Bolz richtigerweise als Placebos45, zumal sie beide zu Lasten der Qualität gehen und damit zu einer Minderung des Humanvermögens führen. So werden wir zwar älter, dabei aber nicht notwendigerweise gesünder46:

Die Hochbetagten des heute so genannten vierten Lebensalters bescheren uns einen enormen Anstieg der Alzheimer-Demenz und erschrecken durch einen dramatischen Schwund an Selbständigkeit und Gesellschaftsfähigkeit. Der Glanz der jungen Alten strahlt auf die alten Alten also gerade nicht ab. Längeres Leben als solches führt noch zu keiner Verzauberung des Alters. Und so müssen wir damit rechnen, dass immer mehr Hochbetagte nicht in Würde sterben.

Auch ist der Anteil der erwerbstätigen Über-50-Jährigen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken47.

Die Qualifikation der nach Deutschland Zugewanderten liegt im Durchschnitt deutlich unter der der einheimischen Bevölkerung48. Dieser Trend dürfte sich in Zukunft eher noch verstärken, da alle hochentwickelten Staaten gleichfalls unter Nachwuchssorgen leiden. Die Industrie sucht vor allem nach gut ausgebildeten Fachkräften mit guten sprachlichen Kenntnissen, die unter Zuwanderern seltener zu finden sind.

Folglich ist die Arbeitslosenquote unter den Zuwanderern deutlich höher als in der einheimischen Bevölkerung49.

Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zum Familienlastenausgleich versuchen primär die Opportunitätskosten für Kinder zu senken50:

Je höher das in einem Land mit einem bestimmten Lebenslauf durch Erwerbsarbeit erzielbare Pro-Kopf-Einkommen ist, desto teurer sind Kinder auf der Messlatte des erzielbaren Einkommens, wenn eine Frau wegen eines ungenügenden aushäusigen Betreuungsangebots für Kinder gezwungen ist, sich entweder für Kinder oder für Erwerbsarbeit zu entscheiden.

Empfohlen wird in erster Linie, einen Abbau der lebenslangen Kinderlosigkeit zu erreichen51:

Das Problem besteht darin, dass die Entscheidung für die familiale Lebensform immer seltener getroffen wird, so dass der Anteil der zeitlebens Kinderlosen bei der deutschen Bevölkerung immer noch von Jahrgang zu Jahrgang zunimmt. Es ist nicht auszuschließen, dass die lebenslange Kinderlosigkeit auf ein Niveau von rund 40 Prozent an einem Jahrgang ansteigt. Wollte man dann eine bestandserhaltende Geburtenrate von rund zwei Kindern pro Frau erreichen, müssten die übrigen 60 Prozent der Frauen des Jahrgangs pro Frau 3,5 Kinder zur Welt bringen. Selbst in den Entwicklungsländern betrug die Kinderzahl pro Frau im Zeitraum 1995-2000 nur noch 3,1. So gesehen ist es ein außerordentlich ehrgeiziges, wenn auch erstrebenswertes Ziel, zu einer bestandserhaltenden Geburtenrate von zwei Kindern pro Frau zurückzukehren. Um das Ziel zu erreichen, müsste sich die Familienpolitik vor allem auf einen Abbau der lebenslangen Kinderlosigkeit konzentrieren, denn bei der Gruppe der Frauen mit Kindern hat die Kinderzahl pro Frau schon das ideale Niveau von zwei.

Dies ist sicherlich eine treffliche Problemanalyse, allerdings sind die daraus gezogenen Konsequenzen alles andere als überzeugend. Die Single-Kultur hat sich längst etabliert und es dürfte auch in Zukunft nur mit sehr großen Anstrengungen möglich sein, gewollt Kinderlose oder beruflich sehr eingespannte Menschen zum Aufziehen eigener Kinder zu bewegen52 53 54 55. Und der Demograph Herwig Birg liefert selbst die besten Argumente dafür, warum der von ihm empfohlene Fokus auf die Kinderlosen nur die zweitbeste Strategie sein kann56:

So ist zum Beispiel beim Frauenjahrgang 1955 für die Teilgruppe der Frauen mit drei Kindern die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines vierten Kindes ab dem Alter 32 höher als die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines ersten Kindes bei den noch kinderlosen Frauen dieses Jahrgangs und Alters, und sie ist auch höher als die Wahrscheinlichkeit für die Geburt eines zweiten Kindes bei den Frauen dieses Jahrgangs und Alters, die ein Kind hatten bzw. eines dritten Kindes bei Frauen mit zwei Kindern. Dieser empirische Befund ist aufgrund der biographischen Fertilitätstheorie zu erwarten. Denn die Theorie besagt, dass die mit einem weiteren Kind aus dem biographischen Universum ausgeschiedenen Lebenslaufoptionen (= biographische Opportunitätskosten) mit jedem zusätzlichen Kind abnehmen.

Mit anderen Worten: Es ist viel leichter (und folglich auch kostengünstiger), eine Familie mit Kindern zu einem weiteren Kind zu bewegen, als Kinderlose zu einem ersten Kind. Und mit jedem weiteren Kind sinken die biographischen und natürlich auch die Gesamt-Opportunitätskosten weiter ab und machen eine Entscheidung für ein weiteres Kind leichter und wahrscheinlicher.

Die folgerichtige Konsequenz aus der Birgschen biographischen Fertilitätstheorie kann deshalb nur die gezielte Förderung von Großfamilien sein. Stattdessen konzentriert sich die öffentliche Diskussion unter dem Motto „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ in erster Linie auf die Interessen von berufstätigen Kinderlosen und versucht verzweifelt, aus diesen Eltern zu machen, woran sie aber häufig gar nicht interessiert sind.

Noch klarer wird das Bild, wenn Kinder nicht nur von der Kosten-, sondern auch von der Nutzenseite her betrachtet werden. Bezogen auf den Nachwuchs können drei Nutzenarten unterschieden werden57:

Unter Konsumnutzen wird in erster Linie die Erfüllung emotional-expressiver Elternschaftsmotive verstanden: Man hat etwas zu Liebhaben und lebt mit seinen Kindern in der Zukunft fort. Es ist häufig der einzige direkte Nutzen, den Kinder in unserer Gesellschaft für ihre Eltern noch haben und der gegen die erheblichen Kosten von Kindern aufgerechnet werden kann.

Allerdings haben Kinder diesbezüglich starke Konkurrenten. Und wenn ihre Kosten als zu gravierend und sie selbst als zu einschränkend eingeschätzt werden, dann wird sich manches Paar oder auch manche Einzelperson stattdessen lieber mit einem Hund oder einer Katze begnügen wollen.

Direkte Einkommens- und Sicherheitsnutzen von Kindern bestehen in unserer Gesellschaft in aller Regel nur noch für diejenigen, die wenig zu verlieren haben und zum Beispiel arbeitslos sind oder von der Sozialhilfe leben müssen. In diesem Fall nähern sich die Opportunitätskosten für weitere Kinder der Marke Null, während jedes zusätzliche Kind die Einnahmen (Kindergeld, sonstige Ansprüche) und die soziale Sicherheit erhöht. Und genau diese Tatsache trägt entscheidend dazu bei, dass Familien mit niedriger Bildung mehr Kinder in die Welt setzen als solche mit hoher Bildung.

Ich bin davon überzeugt, dass eine Entscheidung für oder gegen Kinder nicht nur – wie es in der Literatur meist üblich ist – von der Kostenseite her betrachtet werden sollte, sondern auch vom Nutzen. Erst wenn man die Nutzenseite in die Überlegungen mit einschließt, wird man in der Lage sein, erfolgreiche Konzepte zur Erzielung bestandserhaltender Fertilitätsraten in Wissensgesellschaften zu entwickeln. Auch das demographisch-ökonomische Paradoxon wird sich viel zwangloser über die Betrachtung der Nutzen-als rein über die Kostenseite erklären lassen.

Die Familienmanager-Alternative

Im vorliegenden Buch wird ein Ansatz aufgegriffen und weiterentwickelt, der zum ersten Mal in meinem Buch Land ohne Kinder vorgestellt wurde58. Dieses Modell, im Folgenden „Familienmanager-Konzept“ genannt59, das im Wesentlichen darin besteht, eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Professionalisierung der Familienarbeit zu erreichen, ist in der Lage, auf die beiden zentralen demographischen Fragen (Quantitäts- und Qualitäts-Frage) eine zufriedenstellende Antwort zu liefern.

Basis der Vorgehensweise ist dabei die folgende Maxime60:

In Deutschland ist es Ihre Aufgabe, als Paar zwei Kinder aufzuziehen, als Einzelperson ein Kind. Damit leisten Sie Ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion. Sie müssen das aber nicht selbst tun, sondern Sie können die Aufgabe zum Teil oder in Gänze anderen Fachleuten überlassen. Dafür müssen Sie dann aber regelmäßig einen bestimmten Betrag abführen, damit diese das auch in der entsprechenden Qualität für Sie machen können.

In kurzen Worten zusammengefasst, funktioniert das Familienmanager-Konzept wie folgt:

Allein diese Regelung würde bereits zu mehr Gerechtigkeit zwischen Kinderlosen und Eltern mit Kindern führen, weil sie deutlich macht, dass das Aufziehen eines Kindes pro Person eine gesellschaftlich gewünschte Handlung ist und nicht etwas, was – wie beim „Zahlvater“ – durch finanzielle Bestrafung möglichst verhindert werden sollte.

Der Leistungsbetrag wird pro Kind über einen längeren Zeitraum (zum Beispiel 20 Jahre) gezahlt. Danach besitzt die Familienmanagerin eine Übernahmegarantie in andere Berufe, zum Beispiel im öffentlichen Dienst oder bei kooperierenden Unternehmen, die damit werben dürfen. Alternativ kann sich eine Familienmanagerin entscheiden, adoptierte Kinder großzuziehen, dafür würde erneut der Leistungsbetrag ausgeschüttet. Die Adoptionsregelungen würden für diesen Beruf stark vereinfacht. Hierdurch würde – internationale Vereinbarungen vorausgesetzt – gleichzeitig ein wesentlich sozialverträglicherer Weg beschritten, „Zuwanderer“ ins Land zu holen. Die adoptierten Waisenkinder würden von Anfang an in den Genuss einer europäisch-geprägten wertgebenden Erziehung kommen und sie wären von Anbeginn an Deutsche. Spätere Integrationsprobleme könnten hierdurch vermieden werden.

Das Familienmanager-Konzept bietet zahlreiche unmittelbare Vorteile, von denen hier nur einige aufgeführt werden sollen:

Nicht die Reichen, sondern die Kinderlosen müssen stärker besteuert werden. Es ist ein fataler Webfehler unseres sozialen Systems, dass Kinderlose die gleichen Versorgungsansprüche erwerben wie Eltern, obwohl sie nichts zur Erziehung der zukünftigen Beitragszahler beitragen.

Man sollte Kinderlose nicht stigmatisieren, sondern besteuern.

Und wie stets bei wohlfahrtsstaatlichen Leistungen muss man damit rechnen, dass der Versuch, den Opfern zu helfen, das Verhalten reproduziert, das solche Opfer produziert.

Damit kann deutlich gemacht werden, dass die entwickelten Staaten im Gegensatz zu den armen Ländern nicht zu reich und gesättigt für eigene Erziehungsleistungen sind, sondern dass sie ihren Anteil an der Nachwuchsarbeit leisten wollen.

Eine vernachlässigte Hauptaufgabe des Staates

Weder Deutschland noch die deutsche Wirtschaft sind per se kinderfeindlich. Das eigentliche Problem scheint eher die Unsicherheit darüber zu sein, was Deutschland im Rahmen der Globalisierung eigentlich ist70.

Abstrakt könnte man ein Land mit einem Forstbetrieb vergleichen, der etwa Obstbäume anpflanzt. Diverse lokale, aber auch global operierende Lebensmittelkonzerne haben temporäre Rechte daran erworben, die Früchte von ausgewählten Bäumen exklusiv ernten zu können. Einige Unternehmen sind vorwiegend an Äpfeln interessiert, andere an unterschiedlichen Früchten, zum Teil auch an speziellen Sorten, die nur von ganz wenigen Forstbetrieben in ausreichender Menge angeboten werden.

Im übertragenen Sinne: Die Forstbetriebe sind die Gesellschaften (die Staaten), die Bäume die Menschen, die Früchte deren Kompetenzen und die Lebensmittelkonzerne die Unternehmen. Die Lebensmittelkonzerne (Unternehmen) entwickeln sich folglich zu den Kunden der Forstbetriebe (Staaten), bzw. die Forstbetriebe (Staaten) umgekehrt zu deren Lieferanten.

Das eigentliche Geschäft wird mit dem Verkauf von Obstsäften gemacht. Dies ist aber das Geschäft der Lebensmittelkonzerne (Unternehmen), welche es sich letztendlich aussuchen können, wo auf der Welt sie ihre Früchte einkaufen. Wenn ein Forstbetrieb (Staat) sehr ertragreiche und leicht zugängliche Bäume mit besonders wohlschmeckenden und saftigen Sorten zu akzeptablen Konditionen und unter leistungsfähigen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen anbietet, dann wird sein Angebot möglicherweise viele Interessenten finden. Die Aufgabe des Forstbetriebes (des Staates) wäre es also, stets eine ausreichende Menge an möglichst ertragreichen Bäumen bereitzustellen (siehe dazu auch die Ausführungen in den Abschnitten Nachhaltigkeit auf Seite → und Kindererziehung auf Seite →) und dafür zu sorgen, dass deren Früchte unter fairen Marktbedingungen erworben und möglichst leicht geerntet werden können (zum Beispiel durch Infrastrukturentwicklungen). Es ist nicht seine Aufgabe, in den Markt oder das Geschäft der Lebensmittelkonzerne (Unternehmen) direkt hineinzuregieren.

Der Fokus der Lebensmittelkonzerne (Unternehmen) liegt folglich auf der Produktion, der des Forstbetriebes (Staat) auf der Reproduktion.

Da aber der Forstbetrieb letztendlich auch nur an den Früchten Geld verdient, könnte er auf die Idee kommen, die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit zu reduzieren, den Ertrag pro Baum zu steigern und die Investitionen in neue Pflanzen zu vernachlässigen. Eine Zeit lang wird das noch gut gehen und die Einnahmen sogar steigern, da gleichzeitig weniger Geld für die Aufforstung ausgegeben werden muss. Aber irgendwann werden die vorhandenen Bäume immer älter und ertragsärmer, so dass sie für die Lebensmittelkonzerne uninteressanter werden. Die global operierenden Lebensmittelkonzerne werden sich bald nach anderen Forstbetrieben umschauen. Verzweifelt wird der Forstbetrieb versuchen, den Verkauf und damit die Konjunktur wieder anzukurbeln und den Ertrag pro Baum zu steigern71, nicht erkennend, dass die Probleme längst wesentlich aus der nicht ausreichenden Nachhaltigkeit der eigenen Geschäftstätigkeit her resultieren.

Wie das Forstbetriebsbeispiel deutlich macht, haben wir es hier mit einem scheinbaren Konflikt zwischen Produktion und Reproduktion zu tun. Norbert Bolz erläutert dies wie folgt72:

Die Faustregel lautet: je produktiver, desto weniger reproduktiv. Das gilt natürlich nicht nur individuell, sondern gesellschaftsweit. Industriegesellschaften sind sehr produktiv, aber nur schwach reproduktiv. So erleben wir im Westen seit Jahrzehnten eine reproduktive Depression. Und der Grund dafür ist denkbar einfach: Produktion ist profitabel, Reproduktion ist kostspielig. Die Welt der Reproduktion hat es mit Menschen und Verpflichtungen zu tun; die Welt der Produktion hat es mit Dingen und Dienstleistungen zu tun.

In Wirklichkeit bestehen hier lediglich unterschiedliche Ebenen der Betrachtung: Während die Lebensmittelkonzerne (Unternehmen) Obstsäfte produzieren, produziert der Forstbetrieb (Staat) Bäume und Früchte. Mit anderen Worten: Was auf den ersten Blick wie eine zeitaufwändige und ertragslose Reproduktion aussieht, ist für den Forstbetrieb die eigentliche Produktion, sein Kerngeschäft. Die gesellschaftliche Reproduktion kann deshalb auch als Produktion von Nachwuchs umgedeutet werden.

Oder noch allgemeiner ausgedrückt: Eine zentrale Aufgabe eines Staates ist die Reproduktion des Humanvermögens, das heißt, den Nachwuchs oder die Rekrutierungspotenziale für die verschiedenen Gesellschaftsbereiche auf Basis einer langfristigen Planung bezüglich dem zukünftigen Bedarf an Menschen und deren Qualifikationen sicherzustellen73.

Dies hört sich vielleicht auf den ersten Blick ökonomisch kalt und menschenverachtend an74. Tatsächlich wäre aber eine solche Haltung humaner als die jetzige Vorgehensweise, die die zukünftige Generation vernachlässigt und aus Kindern zunehmend Sozialfälle macht.

Die wichtigsten Produkte des Unternehmens „Deutschland“ sind der „Deutsche“ und die deutsche Kultur. Damit sollen ganz explizit nicht Menschen einer bestimmten genetischen Ausstattung oder gar Hautfarbe verstanden werden, sondern weiche Faktoren wie Bildung, Nachdenklichkeit, Kompetenz, Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit, Ordnungsliebe, Motivation, freiheitlich-demokratische Gesinnung u.v.a.m.

„Made in Germany“ war jahrzehntelang ein Synonym für Qualität. Damit war in erster Linie Kompetenz gemeint: „Die haben noch einmal etwas länger nachgedacht und genauer hingeschaut als andere, bevor sie ein Produkt auf den Markt gebracht und ausgeliefert haben. So etwas kann man fast unbesehen kaufen.

Die Bedeutung der Reproduktion in Wissensgesellschaften

In der Industriegesellschaft war die Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kindern der Ort der Reproduktion. Dabei herrschte eine klare Aufgabenteilung vor: Die Männer erbrachten die produktiven Aufgaben, während sich die Frauen mehr oder weniger ausschließlich der Reproduktion widmeten. Diese Aufgabenteilung funktionierte durch die funktionale Gleichwertigkeit beider Bereiche hervorragend. Und sie ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass auf die Reproduktion ein immerwährender Verlass sein würde, oder mit den Worten von Konrad Adenauer: „Kinder kriegen die Leute immer!“.

Durch die fast ausschließliche Beschränkung der weiblichen Bevölkerung auf die reproduktiven Tätigkeiten wurde gleichzeitig erreicht, dass auch in den gebildeten Schichten eine ausreichende Zahl an Kindern in die Welt gesetzt wurde.

Allerdings hatte die Aufteilung einen gravierenden Nachteil: Sie legte die Frauen auf eine Rolle75 fest und schloss sie gleichzeitig von eigenen Verdienstmöglichkeiten aus. Die Frau blieb ökonomisch abhängig vom Mann. Die klassische Rollenaufteilung mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Hüterin des Hauses konnte deshalb nur im Patriarchat reibungslos funktionieren.

In Wissensgesellschaften bilden sich nun zwei gegenläufige Trends heraus:

Jede Emanzipation hat bekanntlich ihren Preis. Der Preis für die Emanzipation der Frauen zahlen die Kinder. Deshalb werden diese zum zentralen Thema der staatlichen Sorge.

Hinzu kommt ein quantitatives Problem, welches zwangsläufig zu einer verstärkten Spezialisierung in Bezug auf die reproduktiven Tätigkeiten führen wird78:

Man darf sich nichts vormachen: Kinder zu bekommen wird in Deutschland unweigerlich zu einem Akt von Spezialisierung in der Gesellschaft. „Um die ‚Produktion’ von Kindern sicherzustellen“, so Franz-Xaver Kaufmann, „muss ein schrumpfender Anteil Frauen immer mehr und mehr Geburten bewerkstelligen.“ Diese Perspektive mag für manchen Heutigen übertrieben wirken, angesichts der Tatsache, dass es in jeder neuen Generation immer weniger Mädchen und von denen immer weniger Mütter gibt, kann man damit rechnen, dass schon die Mädchen des Geburtsjahrgangs 2000 die Triftigkeit dieser These erleben werden.

Aus den zum Teil gegenläufigen Trends

ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit zur zunehmenden Professionalisierung der gesellschaftlichen Reproduktion, und zwar ganz explizit bezüglich der Erziehung eigener Kinder, denn nur dann werden über den zusätzlichen Nutzen ausreichende Anreize für weitere Kinder gesetzt, und nur dann dürfte die Motivation hoch genug sein, den Kindern eine optimale Erziehung zukommen zu lassen. Ein Tagesmutterkonzept dagegen ist unter den heutigen Bedingungen dafür nicht ausreichend. Das gleiche gilt für Alternativen wie Ganztagskrippen und -kindergärten.