Frances Hodgson Burnett

Der kleine Lord

Aus dem Englischen von
Marion Balkenhol

INHALT

1Eine große Überraschung

2Cedrics Freunde

3Abschied von der Heimat

4In England

5Im Schloss

6Der Earl und sein Enkel

7In der Kirche

8Reiten lernen

9Die Hütten der Armen

10Der Earl in Sorge

11Sorge in Amerika

12Die Rivalen

13Dick eilt zu Hilfe

14Die Enthüllung

15Der achte Geburtstag

1

EINE GROSSE ÜBERRASCHUNG

Cedric selbst wusste überhaupt nichts davon. Ihm gegenüber war es nie erwähnt worden. Er wusste, dass sein Papa Engländer gewesen war, weil seine Mama es ihm gesagt hatte. Aber sein Papa war gestorben, als Cedric noch ein kleiner Junge war. Daher wusste er nicht mehr viel von ihm, nur dass er groß war, blaue Augen und einen langen Schnurrbart hatte, und dass es wunderbar war, auf seinen Schultern durch das Zimmer getragen zu werden. Nach dem Tod seines Vaters hatte Cedric festgestellt, dass es besser war, mit seiner Mama nicht über ihn zu sprechen. Als sein Vater krank war, hatte man Cedric fortgebracht, und als er zurückkam, war alles vorbei. Seine Mutter, die auch sehr krank gewesen war, konnte gerade eben wieder auf ihrem Stuhl am Fenster sitzen. Sie war blass und dünn, und alle Grübchen waren aus ihrem hübschen Gesicht verschwunden, ihre Augen sahen groß und traurig aus, und sie war in Schwarz gekleidet.

»Liebste«, sagte Cedric (sein Papa hatte sie immer so genannt, also hatte der Kleine es übernommen), »Liebste, geht es meinem Papa besser?«

Er spürte, wie ihre Arme zitterten, wandte seinen Lockenkopf zu ihr um und schaute ihr ins Gesicht. Was er dort erblickte, brachte ihn fast zum Weinen.

»Liebste«, fragte er, »geht es ihm gut?«

Dann gab ihm sein liebendes kleines Herz plötzlich ein, er solle doch beide Arme um ihren Hals schlingen und sie immer und immer wieder küssen, und seine Wange an ihre drücken. Daraufhin legte sie ihr Gesicht an seine Schulter, weinte bitterlich und hielt ihn so fest, als könnte sie ihn nie wieder loslassen.

»Ja, es geht ihm gut«, schluchzte sie. »Es geht ihm recht gut, aber wir – wir haben jetzt nur noch uns beide. Niemanden sonst.«

So klein er auch war, begriff er doch, dass sein großer, stattlicher junger Papa nie wiederkommen würde, dass er tot war, wie er es auch von anderen Menschen schon gehört hatte, wenngleich er nicht genau begriff, was das für ein seltsames Ding war, das so viel Traurigkeit mit sich brachte. Weil seine Mama immer weinte, wenn er von seinem Papa sprach, beschloss er bei sich, es sei besser, nicht so oft mit ihr über ihn zu reden, und er merkte auch, dass es besser war, sie nicht still dasitzen und reglos und stumm ins Feuer oder aus dem Fenster starren zu lassen. Er und seine Mama kannten nicht viele Leute, und man hätte ihr Leben für einsam halten können, obwohl Cedric erst erfuhr, dass es einsam war, als er älter wurde und man ihm sagte, warum niemand sie besuchen kam. Seine Mama war eine Waise und ganz allein auf der Welt, als sein Papa sie heiratete. Sie war sehr hübsch und hatte als Gesellschafterin bei einer reichen alten Dame gelebt, die nicht nett zu ihr war, und eines Tages sah Captain Cedric Errol, als er zu Besuch war, sie mit Tränen an ihren Wimpern die Treppe hinauf laufen, und sie erschien ihm so lieblich, unschuldig und bekümmert, dass er sie nicht mehr aus dem Sinn bekam. Nachdem viele eigenartige Dinge geschehen waren, hatten sie sich kennengelernt und waren einander von Herzen zugetan. Sie wurden Mann und Frau, obwohl ihre Heirat von manchen missbilligt wurde. Am zornigsten jedoch war der Vater des Captains, der in England lebte und ein sehr reicher und bedeutender alter Adliger war, ein böses Gemüt hatte und Amerika und die Amerikaner zutiefst verabscheute. Er hatte zwei Söhne, die älter waren als Captain Cedric, und von Gesetzes wegen erbte der Älteste dieser Söhne den Titel und den Grundbesitz der Familie, der sehr groß und prächtig war, und wenn der älteste Sohn starb, würde der nächste erben. Obgleich er also einer so feinen Familie angehörte, bestand nur eine geringe Chance, dass Captain Cedric selbst zu Reichtum kommen würde.

Aber es begab sich, dass Mutter Natur den jüngsten Sohn mit Gaben beschenkt hatte, die sie seinen älteren Brüdern versagt hatte. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, eine schöne, kräftige, anmutige Gestalt, ein strahlendes Lächeln und eine weiche, fröhliche Stimme. Er war tapfer und großzügig, hatte das gütigste Herz auf der ganzen Welt und besaß, wie es schien, eine Anziehungskraft, der alle Menschen erlagen. Bei seinen älteren Brüdern war das nicht der Fall, keiner von beiden war ansehnlich, noch waren sie sehr freundlich oder klug. Als sie in Eton zur Schule gingen, waren sie nicht beliebt, im College machten sie sich nichts aus dem Studium, verschwendeten Zeit und Geld gleichermaßen und hatten nur wenige echte Freunde. Der alte Earl, ihr Vater, erfuhr beständig Enttäuschungen und Demütigungen durch sie, sein Erbe machte dem edlen Namen der Familie keine Ehre, und aus ihm würde nichts als ein selbstsüchtiger, verschwenderischer, unbedeutender Mann werden, der keine mannhaften oder noblen Eigenschaften besaß. Wie bitter, dachte der alte Earl, dass ausgerechnet der Drittgeborene, der nur über ein sehr geringes Vermögen verfügen würde, alle Tugenden besitzen sollte, Ausstrahlung, Kraft und Schönheit. Zuweilen hasste er den stattlichen jungen Mann fast, weil er all das Gute hatte, das mit dem Adelstitel und dem prächtigen Grundbesitz einherging, doch in den Tiefen seines stolzen, sturen alten Herzens kam er nicht umhin, sehr viel für seinen Jüngsten übrig zu haben. In einem Anfall von schlechter Laune schickte er ihn auf Reisen nach Amerika, denn er wollte ihn eine Weile aus den Augen haben, um nicht zornig zu werden, wenn er ihn stets mit seinen Brüdern verglich, die zu der Zeit über alle Stränge schlugen und ihm große Sorge bereiteten.

Doch nach ungefähr sechs Monaten fühlte er sich einsam und sehnte sich insgeheim nach seinem Sohn. Also forderte er ihn schließlich auf, heimzukehren. Der Brief kreuzte sich mit einem, den Captain Cedric gerade seinem Vater geschrieben hatte, um ihm seine Liebe zu einer hübschen jungen Amerikanerin mitzuteilen, die zu heiraten er beabsichtige. Als der Earl diesen Brief erhielt, packte ihn blanke Wut. So sehr er auch zu Wutausbrüchen neigte, noch nie im Leben hatte er seinem Zorn derart Ausdruck verliehen wie nach dem Brief seines Jüngsten. Sein Kammerdiener, der sich gerade im Zimmer aufhielt, glaubte schon, seine Lordschaft würde einen Schlaganfall erleiden, so sehr wütete er. Eine Stunde lang tobte er wie ein Tiger, dann setzte er sich hin und schrieb seinem Sohn. Er untersagte ihm, jemals wieder in die Nähe seiner Heimat zu kommen, oder auch nur seinem Vater oder seinen Brüdern zu schreiben. Er solle leben, wie es ihm gefalle, und sterben, wo er wolle, er sei für immer aus seiner Familie verbannt und brauche nie wieder Hilfe von seinem Vater erwarten, so lange er lebe.

Der Captain war sehr traurig, als er den Brief las, denn er mochte England sehr, besonders die schöne Gegend, in der er zur Welt gekommen war. Sogar seinen übellaunigen Vater hatte er gemocht und dessen Enttäuschungen nachempfinden können, aber er wusste, dass er in Zukunft kein Entgegenkommen von ihm erwarten konnte. Zuerst war er unsicher, was er machen sollte, da er nicht zur Arbeit erzogen worden war und keinerlei Erfahrung in geschäftlichen Dingen hatte, aber er war mutig und wild entschlossen. Also quittierte er seinen Dienst in der englischen Armee, fand nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle in New York und heiratete. Der Unterschied zu seinem früheren Leben in England war sehr groß, aber er war jung und glücklich und hoffte, in Zukunft mit harter Arbeit Großes zu erreichen. Er hatte ein kleines Haus in einer ruhigen Straße, und sein kleiner Sohn wurde dort geboren. Alles war auf schlichte Weise so fröhlich und heiter, dass es ihm niemals leid tat, die hübsche Gesellschafterin der reichen alten Dame geheiratet zu haben, einfach weil sie so liebreizend war, weil er sie liebte und sie seine Liebe erwiderte. Sie war in der Tat sehr reizvoll, und der kleine Junge glich seiner Mutter und seinem Vater. Obwohl er in einem so ruhigen und bescheidenen kleinen Haus zur Welt gekommen war, hatte es wohl nie ein glücklicheres Kind gegeben. Zum einen war er stets gesund und bereitete daher niemandem Sorge, dann hatte er ein ruhiges Gemüt und war so bezaubernd, dass er allen eine Freude war, und drittens war er bildhübsch anzusehen. Er war kein kahlköpfiges Baby, sondern trat mit einem Schopf aus weichem, feinem, goldblonden Haar ins Leben, das sich an den Enden kräuselte und zu Locken wurde, als er sechs Monate alt war. Er hatte große braune Augen, lange Wimpern und ein süßes kleines Gesicht, einen starken Rücken und stämmige Beinchen, auf denen er mit neun Monaten bereits laufen konnte. Für ein kleines Kind benahm er sich so gut, dass es eine Freude war, ihn kennenzulernen. Er betrachtete offenbar jeden als seinen Freund, und wenn ihn jemand auf der Straße in seinem Kinderwagen ansprach, schenkte er dem Fremden einen goldigen, ernsten Blick aus seinen braunen Augen, lächelte ihn dann offen und freundlich an, was zur Folge hatte, dass es niemanden in der Nachbarschaft gab – auch der Gemischtwarenhändler an der Ecke nicht, der als missmutigster Mensch unter den Lebenden galt –, der sich nicht freute, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Von Monat zu Monat wurde er hübscher und interessanter.

Als er alt genug war, um mit seiner Kinderfrau auszugehen, einen kleinen Wagen hinter sich herziehend, mit einem kurzen weißen Schottenrock und einem großen weißen Hut auf dem lockigen blonden Haar, sah er so gut, kräftig und rosig aus, dass er alle Blicke auf sich zog. Dann kam seine Kinderfrau immer nach Hause und erzählte seiner Mama Geschichten von Damen, die ihre Kutschen hatten anhalten lassen, um ihn anzusehen und mit ihm zu sprechen, und wie zufrieden sie waren, wenn er sich mit ihnen auf seine fröhliche Art und Weise unterhielt, als wären sie alte Bekannte. Diese muntere, furchtlose, drollige Art, sich mit Menschen anzufreunden, war das Reizvolle an ihm. Er war sehr vertrauensselig, hatte ein aufgeschlossenes kleines Herz für jeden und wollte einfach nur, dass sich alle so wohl fühlten wie er. Sehr rasch erschlossen sich ihm die Gefühle der Menschen in seiner Umgebung. Das hatte sich vielleicht auch mit der Zeit entwickelt, weil er so viel mit seinem Vater und seiner Mutter zusammen war, die stets liebevoll, fürsorglich, zärtlich und kultiviert waren. Zu Hause hatte er nie ein unfreundliches oder unhöfliches Wort gehört. Immer war er geliebt und liebkost und zartfühlend behandelt worden, weshalb seine kindliche Seele voller Freundlichkeit, Unschuld und Warmherzigkeit war. Seine Mama war nur mit hübschen Kosenamen angeredet worden, die er auch selbst benutzte, wenn er mit ihr sprach. Er hatte immer gesehen, dass sein Papa auf sie aufpasste und gut für sie sorgte, weshalb auch er lernte, Sorge für sie zu tragen.

Als er schließlich erfuhr, dass sein Papa nie mehr zurückkommen würde, und sah, wie traurig seine Mama darüber war, entwickelte er in seinem freundlichen kleinen Herzen die Vorstellung, dass er alles ihm Mögliche tun musste, um sie glücklich zu machen. So klein er auch war, kam ihm doch dieser Gedanke jedes Mal, wenn er auf ihren Schoß kletterte und ihr einen Kuss gab, seinen Lockenkopf an ihren Hals lehnte, wenn er ihr sein Spielzeug und seine Bilderbücher brachte, um sie ihr zu zeigen, und wenn er sich still an ihre Seite schmiegte, da sie sich gern auf das Sofa legte. Er war noch nicht alt genug, um sich etwas anderes auszudenken, er machte einfach, was er konnte, und war ihr damit ein größerer Trost, als er sich vorzustellen vermochte.

»O Mary«, hörte er sie einmal zu ihrer alten Dienstmagd sagen, »ich bin mir sicher, er versucht, mir auf seine unschuldige Weise zu helfen – ich weiß es. Er schaut mich mitunter mit einem liebevollen, verwunderten Blick an, als empfände er Mitleid für mich, und dann kommt er und streichelt mich oder zeigt mir etwas. Er ist so ein kleiner Mann, ich glaube wirklich, er weiß es.«

Als er älter wurde, hatte er viele kleine Marotten, die andere Menschen amüsierten und interessierten. Er war seiner Mutter so ein guter Gefährte, dass sie kaum einen anderen brauchte. Sie pflegten miteinander spazieren zu gehen, zu reden und zu spielen. Schon im frühen Kindesalter lernte er lesen, und danach legte er sich abends immer auf den Läufer vor dem Kamin und las laut vor – mal Geschichten, mal dicke Bücher, wie sie ältere Menschen zur Hand nehmen, manchmal sogar die Zeitung. Dann vernahm Mary in der Küche oft, wie Mrs. Errol entzückt über die wunderlichen Dinge lachte, die er von sich gab.

»Un es is wirklich so«, sagte Mary zum Gemischtwarenhändler, »du musst einfach über den komischen Kerl lachen – so altmodisch wie der sich immer ausdrücken tut! Kommt der doch an dem Abend, wo der neue Präsident ernannt worden is, zu mir in die Küche un baut sich vor dem Ofen auf, sieht aus wie’n Bild, wie er da seine Händchen in die Taschen steckt, un sein unschuldiges Gesichtchen is so ernst wie das von ’nem Richter. Sagt der doch glatt zu mir: ›Mary‹, sagt der, ›mich interessiert die Wahl sehr‹, sagt der. ›Ich bin Publikaner, und die Liebste auch. Bist du Publikaner, Mary?‹ ›Leider nich‹, sag ich zu ihm, ›bin durch und durch Demokrat!‹ Und da tut der mich mit nem Blick ankucken, der einem ans Herz geht, und sagt: ›Mary‹, sagt der, ›das Land wird in den Ruin treiben.‹ Un danach lässt der doch keinen Tag aus, wo er nich auf mich einschwätzen tut, ins andere Lager zu wechseln.«

Mary war ihm sehr zugetan, und sie war auch sehr stolz auf ihn. Sie war seit seiner Geburt bei seiner Mutter, und nach dem Tod seines Vaters war sie Köchin und Hausmagd und Kinderfrau und alles andere gewesen. Sie war stolz auf seinen geschmeidigen, kräftigen kleinen Körper und seine guten Manieren, besonders auf die hellen Locken, die ihm in die Stirn und über die Schultern fielen. Bereitwillig arbeitete sie früh und spät, um seiner Mama zu helfen, seine kleinen Anzüge zu nähen und in Ordnung zu halten.

»Is er nich ’ristokratisch?«, pflegte sie zu fragen. »Tät mich doch sehr wundern, wenn’s auf der Fifth Avenue auch nur ein Kind gäb, was so aussieht wie er und so hübsch läuft. Un alle, Mann, Frau oder Kind, tun hinter ihm herkucken in seinem schwarzen Samtanzug aus meiner Herrin ihrem alten Kleid, wie er das Köpfchen zurückwirft un seine Locken dann fliegen und glänzen tun. Sieht aus wie ein kleiner Lord, der.«

Cedric wusste nicht, dass er wie ein kleiner Lord aussah, er wusste gar nicht, was ein Lord war. Sein bester Freund war der Gemischtwarenhändler an der Ecke – der mürrische Mann, der ihm gegenüber nie mürrisch war. Er hieß Mr. Hobbs, und Cedric bewunderte und achtete ihn sehr. Er hielt ihn für einen reichen, mächtigen Mann, hatte er doch so viele Sachen in seinem Laden – Pflaumen und Feigen und Orangen und Biskuits. Außerdem besaß er Pferd und Wagen. Cedric mochte den Milchmann und den Bäcker und die Apfelfrau, aber Mr. Hobbs mochte er am liebsten und war mit ihm so vertraut, dass er jeden Tag zu ihm ging, sich oft lange zu ihm setzte und über das Tagesgeschehen sprach. Es war recht erstaunlich, worüber sie sprechen konnten – den 4. Juli zum Beispiel. Als sie dieses Thema anschnitten, fanden sie kaum ein Ende. Mr. Hobbs hatte eine sehr schlechte Meinung über »die Briten«, und er erzählte die ganze Geschichte des Unabhängigkeitskrieges, gab Beispiele über die Schändlichkeit des Feindes und die Tapferkeit der aufständischen Helden zum Besten, und er wiederholte sogar des Langen und Breiten Teile aus der Unabhängigkeitserklärung. Cedric war so aufgeregt, dass seine Augen leuchteten, seine Wangen rot anliefen und seine Locken vollkommen zerzaust waren. Er konnte es kaum erwarten, zu Abend zu essen, sobald er wieder zu Hause war, um seiner Mutter alles wiederzugeben, was er gehört hatte. Vielleicht hatte Mr. Hobbs in ihm das Interesse für Politik geweckt. Mr. Hobbs las gern Zeitungen, daher erfuhr Cedric viel darüber, was in Washington vor sich ging, und Mr. Hobbs pflegte ihn auf dem Laufenden zu halten, ob der Präsident seinen Pflichten nachkam oder nicht. Und als einmal eine Wahl stattfand, war er ganz begeistert, und wahrscheinlich wäre das Land untergegangen, hätte es Mr. Hobbs und Cedric nicht gegeben. Mr. Hobbs nahm ihn mit zu einem großen Fackelzug, und viele Fackelträger erinnerten sich danach an einen stämmigen Mann, der neben einem Laternenpfahl stand und auf seinen Schultern einen hübschen kleinen, jubelnden Burschen trug, der seine Mütze schwenkte.

Kurz nach dieser Wahl, als Cedric zwischen sieben und acht war, geschah das Merkwürdige, das sein Leben auf wundervolle Weise veränderte. Seltsam war auch, dass er an dem Tag, an dem es passierte, mit Mr. Hobbs über England und die Königin gesprochen hatte, und Mr. Hobbs schwerwiegende Dinge über die Aristokratie geäußert hatte, vor allem hatte er sich über Earls und Lords entrüstet. An dem Morgen war es heiß gewesen, und nachdem er mit ein paar Freunden Soldat gespielt hatte, war Cedric in den Laden gegangen, um sich auszuruhen, und hatte Mr. Hobbs sehr wütend über einem Artikel in der Illustrated London News angetroffen, der ein Foto von einer höfischen Zeremonie enthielt.

»Ah«, sagte er, »so machen die es also heute, aber eines Tages wird es ihnen schon leid tun, wenn alle, die sie mit Füßen getreten haben, sich erheben und sie zum Teufel jagen – Earls und Lords und das ganze Pack! Das wird kommen, und die sollen sich nur vorsehen!«

Cedric hatte sich wie üblich auf den hohen Hocker gesetzt, den Hut in den Nacken geschoben und die Hände in die Hosentaschen gesteckt, während er Mr. Hobbs’ Worten lauschte.

»Haben Sie viele Lords gekannt, Mr. Hobbs?«, erkundigte sich Cedric. »Oder Earls?«

»Nein«, antwortete Mr. Hobbs empört. »Eher nicht. Ich würde gern einen von denen hier drinnen in die Finger bekommen, mehr nicht! Ich werde keine räuberischen Tyrannen auf meinen Biskuitkästen herumsitzen lassen!«

Er war so stolz auf seine aufrechte Haltung, dass er sich siegesgewiss umschaute und sich die Stirn abwischte.

»Vielleicht wären sie keine Earls, wenn sie es besser wüssten«, bemerkte Cedric, der leises Mitleid für ihre unglückliche Lage empfand.

»Was du nicht sagst!«, rief Mr. Hobbs aus. »Die kosten das doch so richtig aus! Das liegt denen im Blut. Ein schlimmer Haufen ist das.«

Sie waren ganz in ihre Unterhaltung vertieft, als Mary kam. Cedric dachte, sie wolle vielleicht Zucker einkaufen, aber dem war nicht so. Sie war sehr blass, als wäre sie aufgeregt.

»Komm mit nach Hause, Ceddie«, sagte sie, »die Mama schickt mich.«

Cedric glitt von seinem Hocker. »Soll ich mit ihr ausgehen, Mary?«, fragte er. »Auf Wiedersehen, Mr. Hobbs, bis bald.«

Mary starrte ihn entgeistert an, was ihn überraschte, und er fragte sich, warum sie immer wieder den Kopf schüttelte. »Was ist los, Mary? Liegt es am warmen Wetter?«

»Nein«, erwiderte Mary, »aber bei uns, da tut sich was Seltsames.«

»Hat die Liebste Kopfschmerzen von der Sonne?«, erkundigte er sich besorgt.

Doch das war es nicht. Als er nach Hause kam, stand ein Wagen vor der Tür, und in der Stube sprach jemand mit seiner Mama. Mary führte ihn eilig nach oben, zog ihm seinen besten Sommeranzug aus cremefarbenem Flanell an mit der roten Schärpe um die Taille und bürstete seine Locken.

»Lord, man glaubt es kaum«, sagte sie. »Der Adel un die piekfeinen Leut. Die soll doch alle der Teufel holen. Lords, ich glaub es nich – schlimmer geht’s nich!«

Das war wirklich sehr verwirrend, aber er war davon überzeugt, dass seine Mama ihm schon erzählen würde, was die ganze Aufregung sollte, daher ließ er Mary klagen, ohne Fragen zu stellen. Als er angezogen war, lief er hinunter und ging in die Stube. Ein großer, dürrer alter Herr mit scharfkantigem Gesicht saß in einem Lehnstuhl. Cedrics Mutter stand mit bleicher Miene daneben, und er entdeckte Tränen in ihren Augen.

»Oh, Ceddie!«, rief sie, eilte auf ihren kleinen Jungen zu, umarmte ihn stürmisch und gab ihm etwas verängstigt und besorgt einen Kuss. »Oh, Ceddie, mein Schatz!«

Der große alte Herr erhob sich und schaute Cedric durchdringend an. Er rieb sich dabei mit einer knochigen Hand über das Kinn. Das, was er da sah, schien ihm ganz und gar nicht zu missfallen.

»Das«, sagte er schließlich bedächtig, »ist also der kleine Lord Fauntleroy.«

2

CEDRICS FREUNDE

In der darauffolgenden Woche gab es wohl keinen Jungen, der sich mehr wunderte als Cedric, so eigenartig und unwirklich war sie. Zunächst einmal war die Geschichte, die seine Mama ihm erzählte, höchst eigenartig, und er musste sie sich zwei oder drei Mal anhören, bevor er sie begriff. Er konnte sich nicht vorstellen, was Mr. Hobbs davon halten würde. Es fing schon damit an, dass es um Earls ging, denn sein Großvater, den er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, war ein Earl, und sein ältester Onkel wäre zu gegebener Zeit auch Earl geworden, wenn er nicht bei einem Sturz vom Pferd ums Leben gekommen wäre. Nach seinem Tod wäre sein anderer Onkel Earl geworden, wenn er nicht in Rom plötzlich an Fieber gestorben wäre. Danach wäre sein Vater, wenn er noch am Leben gewesen wäre, Earl geworden, aber da sie alle gestorben waren und nur Cedric noch übrig war, hatte es den Anschein, als sollte er nach dem Tod seines Großvaters Earl werden – vorerst war er Lord Fauntleroy.

Er wurde ganz bleich, als er es erfuhr.

»Oh, Liebste«, sagte er, »ich sollte lieber kein Earl sein. Die anderen Jungen sind alle keine Earls. Kann ich nicht keiner sein?«

Aber es war wohl unumgänglich. Als sie an dem Abend zusammen am offenen Fenster saßen und auf die hässliche Straße hinaus schauten, sprach er eingehend mit seiner Mutter darüber. Cedric saß auf seiner Fußbank, umfasste ein Knie, wie er es sich angewöhnt hatte, und sein verwirrtes kleines Gesicht war ganz rot vom angestrengten Nachdenken. Sein Großvater hatte nach ihm gesandt, damit er nach England kam, und seine Mama war der Meinung, er müsse hinfahren.

»Ich weiß, dein Papa hätte es gern gewollt, Ceddie«, sagte sie und schaute mit traurigem Blick aus dem Fenster. »Er hat seine Heimat sehr geliebt, und es gibt vieles, woran zu denken ist, was ein kleiner Junge nicht so ganz versteht. Ich wäre eine selbstsüchtige Mutter, wenn ich dich nicht hinschicken würde. Wenn du einmal groß bist, wirst du den Grund verstehen.«

Ceddie schüttelte betrübt den Kopf. »Es tut mir so leid, Mr. Hobbs zu verlassen«, sagte er. »Ich fürchte, er wird mich vermissen, und er wird mir fehlen, so wie die anderen alle.«

Als Mr. Havisham – der Familienanwalt des Earl of Dorincourt, der den Auftrag hatte, Lord Fauntleroy nach England zu holen – am nächsten Tag kam, wurde Cedric vieles gewahr. Aber irgendwie tröstete es ihn nicht zu hören, dass er als Erwachsener ein sehr reicher Mann mit Schlössern hier und Schlössern da sein werde, mit ausgedehnten Parkanlagen, tiefen Bergwerken, großen Ländereien und vielen Pächtern. Er machte sich Sorgen um seinen Freund, Mr. Hobbs, den er nach dem Frühstück schweren Herzens in seinem Laden aufsuchte.

Mr. Hobbs las gerade die Morgenzeitung, und Cedric näherte sich ihm mit gravitätischem Ernst. Er hatte das Gefühl, es müsse ein schwerer Schock für Mr. Hobbs sein, wenn er erfuhr, was sich zugetragen hatte, und auf seinem Weg zum Laden hatte er sich überlegt, wie er ihm das alles am besten beibringen sollte.

»Hallo!«, sagte Mr. Hobbs. »Morgen!«

»Guten Morgen«, erwiderte Cedric.

Er kletterte nicht wie sonst auf den Hocker, sondern setzte sich auf einen Biskuitkasten, umfasste sein Knie und war derart schweigsam, dass Mr. Hobbs schließlich fragend über seine Zeitung hinweg schaute.

»Hallo!«, wiederholte er.

Cedric nahm all seinen Mut zusammen.

»Mr. Hobbs«, sagte er, »wissen Sie noch, worüber wir gestern Morgen gesprochen haben?«

»Nun«, erwiderte Mr. Hobbs, »wenn ich mich recht erinnere, war es England.«

»Ja«, sagte Cedric, »aber gerade als Mary mich holen kam, wissen Sie noch?«

Mr. Hobbs kratzte sich am Hinterkopf.

»Wir haben Königin Victoria und die Aristokratie erwähnt.«

»Ja«, sagte Cedric eher zaudernd, »und – und Earls, erinnern Sie sich?«

»Jetzt, wo du es sagst, ja, und dabei sind sie nicht gerade gut weggekommen.«

Cedric wurde rot bis unter seine Stirnlocken. So verlegen war er im Leben noch nie gewesen. Er hatte Angst, dass es auch für Mr. Hobbs ein wenig peinlich werden könnte.

»Sie haben gesagt«, fuhr er fort, »dass Sie die niemals auf Ihren Biskuitkästen sitzen lassen würden.«

»In der Tat!«, erwiderte Mr. Hobbs mit Nachdruck. »Und das habe ich auch so gemeint. Soll es nur mal einer versuchen – der wird schon sehen, was er davon hat!«

»Mr. Hobbs«, sagte Cedric, »gerade sitzt einer auf diesem Kasten!«

Mr. Hobbs sprang förmlich von seinem Stuhl.

»Was?«, rief er.

»Ja«, verkündete Cedric mit gebührender Bescheidenheit, »ich bin einer – oder werde einer sein. Ich will Ihnen da nichts vormachen.«

Mr. Hobbs war aufgeregt. Er stand ruckartig auf und schaute auf das Thermometer.

»Die Hitze ist dir zu Kopf gestiegen!«, rief er, drehte sich um und betrachtete das Gesicht des Jungen. »Es ist wirklich heiß heute! Wie geht es dir? Tut dir was weh? Seit wann fühlst du dich so?«

Er legte seine große Hand auf den Kopf des kleinen Jungen. Das war äußerst peinlich.

»Danke«, sagte Ceddie, »mir geht es gut. Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung. Tut mir leid, wenn ich es sagen muss, Mr. Hobbs, aber es ist wahr. Deshalb hat Mary mich nach Hause geholt. Mr. Havisham hat mit meiner Mama gesprochen, und der ist ein Anwalt.«

Mr. Hobbs sank auf seinen Stuhl und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

»Einer von uns beiden hat einen Sonnenstich!«, rief er.

»Nein«, entgegnete Cedric, »gewiss nicht. Wir müssen das Beste daraus machen, Mr. Hobbs. Mr. Havisham ist eigens aus England gekommen, um es uns zu sagen. Mein Großvater hat ihn geschickt.«

Mr. Hobbs starrte bestürzt in das unschuldige, ernste kleine Gesicht des Jungen.

»Wer ist dein Großvater?«, fragte er.

Cedric steckte eine Hand in die Tasche und zog vorsichtig ein Stück Papier hervor, auf dem etwas in seiner eigenen krakeligen Handschrift stand.

»Ich konnte es mir nicht so gut merken, deshalb habe ich es hier aufgeschrieben«, sagte er und las dann langsam vor, »John Arthur Molyneux Errol, Earl of Dorincourt. So heißt er, und er wohnt in einem Schloss – in zwei oder drei Schlössern, glaube ich. Und mein Papa, der gestorben ist, war sein jüngster Sohn. Ich wäre weder ein Lord noch ein Earl, wenn mein Papa nicht gestorben wäre, und mein Papa wäre kein Earl gewesen, wenn seine beiden Brüder noch lebten. Aber alle sind tot, und nur ich bin noch da – der einzige Junge –, und deshalb muss ich einer sein, und mein Großvater hat nach mir geschickt, dass ich nach England komme.«

Mr. Hobbs wurde es offenbar immer heißer. Er wischte seine Stirn und seine Glatze ab und atmete schwer. Allmählich dämmerte ihm, dass etwas sehr Bemerkenswertes passiert war, aber als er den kleinen Jungen auf dem Biskuitkasten sitzen sah mit seinen unschuldigen, ängstlichen Kinderaugen, der sich ganz und gar nicht verändert hatte, sondern noch immer so war wie am Tag zuvor, nur ein hübscher, fröhlicher, tapferer kleiner Kerl in einem schwarzen Tuchanzug mit rotem Halstuch, brachte ihn diese Adelsgeschichte nur in Verwirrung, zumal Cedric sie so naiv und offen von sich gab, ohne sich der Ungeheuerlichkeit bewusst zu sein.

»W … wie war jetzt noch dein Name?«, wollte Mr. Hobbs wissen.

»Cedric Errol, Lord Fauntleroy«, antwortete Cedric. »So hat Mr. Havisham mich genannt. Als ich ins Zimmer kam, hat er gesagt ›Das ist also der kleine Lord Fauntleroy!‹«

»Da soll mich doch der Teufel holen«, sagte Mr. Hobbs.

Diesen Stoßseufzer verwendete er immer, wenn er sehr erstaunt oder aufgeregt war und ihm nichts anderes mehr einfiel.

Cedric hielt den Ausruf für richtig und angemessen. Er achtete und mochte Mr. Hobbs so sehr, dass er all seine Bemerkungen bewunderte und guthieß. Er hatte noch nicht so viel von gesellschaftlichen Konventionen mitbekommen, um zu erkennen, dass Mr. Hobbs ihnen manchmal nicht ganz entsprach. Er wusste natürlich, dass er anders war als seine Mama, aber seine Mama war immerhin eine Dame, und er hatte die Vorstellung, dass Damen immer anders als Herren waren.

Er schaute Mr. Hobbs wehmütig an.

»England ist weit weg, nicht wahr?«, fragte er.

»Es ist auf der anderen Seite des Atlantiks«, antwortete Mr. Hobbs.

»Das ist das Schlimmste daran«, sagte Cedric. »Vielleicht sehe ich Sie lange nicht mehr. Daran mag ich gar nicht denken, Mr. Hobbs.«

»Auch die besten Freunde müssen einmal scheiden«, sagte Mr. Hobbs.

»Aber wir waren viele Jahre lang Freunde, nicht wahr?«

»Seitdem du auf der Welt bist«, antwortete Mr. Hobbs. »Du warst ungefähr sechs Wochen alt, als du zum ersten Mal mit nach draußen genommen wurdest.«

»Ach«, seufzte Cedric, »damals hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal ein Earl werden soll!«

»Und du meinst, da führt auch kein Weg dran vorbei?«, fragte Mr. Hobbs.

»Ich fürchte, nein. Meine Mama sagt, mein Papa würde es sich wünschen. Aber wenn ich schon ein Earl sein muss, dann kann ich eins tun: ich kann versuchen, ein guter zu sein. Ich werde kein Tyrann. Und sollte es je wieder einen Krieg mit Amerika geben, werde ich versuchen, ihn zu beenden.«

Seine ernste Unterhaltung mit Mr. Hobbs dauerte lange. Sobald er den ersten Schock überwunden hatte, war Mr. Hobbs nicht ganz so verbittert, wie man hätte erwarten können, sondern war bemüht, sich mit der Situation abzufinden, und stellte viele Fragen. Da Cedric nur ein paar beantworten konnte, suchte er selbst nach Antworten. Und als er sich auf das Thema Earls, Lords und hochherrschaftliche Anwesen eingeschossen hatte, erklärte er sich vieles auf eine Weise, die Mr. Havisham wahrscheinlich in Erstaunen versetzt hätte, wenn sie ihm zu Ohren gekommen wäre.

Allerdings gab es vieles, worüber Mr. Havisham sich wundern musste. Er hatte sein ganzes Leben in England verbracht und Amerikaner mit ihren Sitten und Gebräuchen waren ihm fremd. Von Berufs wegen war er mit der Familie des Earl of Dorincourt seit nahezu vierzig Jahren verbunden, und er wusste alles über ihre riesigen Ländereien, ihren Reichtum und ihre Bedeutung, und rein geschäftsmäßig empfand er ein gewisses Interesse an diesem kleinen Jungen, der Herr und Gebieter von ihnen allen werden sollte – der zukünftige Earl of Dorincourt. Er hatte die Enttäuschung des alten Earls über seine älteren Söhne miterlebt, seinen Zorn über Captain Cedrics Heirat in Amerika, und er wusste, dass er die freundliche kleine Witwe noch immer verabscheute und nur in verbitterten, grausamen Worten über sie sprach. Hartnäckig vertrat er die Ansicht, sie sei nur eine vulgäre Amerikanerin, die seinen Sohn in diese Ehe gelockt habe, weil sie wusste, dass er der Sohn eines Earls war. Für den alten Anwalt hatte das durchaus im Bereich des Möglichen gelegen. Er hatte in seinem Leben sehr viele selbstsüchtige, auf ihren Vorteil bedachte Menschen gesehen, und er hielt nicht viel von Amerikanern. Als man ihn in die schäbige Straße gefahren hatte und sein Wagen vor dem billigen kleinen Haus stehenblieb, war er wirklich schockiert gewesen. Wie abscheulich, dass der zukünftige Besitzer von Dorincourt Castle und Wyndham Towers und Chorlworth, von all der anderen Pracht und Herrlichkeit, in einem unbedeutenden Haus in einer Straße mit einer Art Kolonialwarenladen an der Ecke geboren und aufgewachsen sein sollte. Er fragte sich, was für ein Kind es wohl sein mochte, und wie die Mutter war. Vor einer Begegnung mit den beiden graute ihm förmlich. Er war gewissermaßen stolz auf die Adelsfamilie, deren rechtliche Angelegenheiten er so lange schon vertrat, und es hätte ihn sehr geärgert, wenn er sich verpflichtet gesehen hätte, eine Frau zu vertreten, die in seinen Augen eine vulgäre, geldgierige Person war und keine Achtung vor dem Land ihres Gatten und dem ehrwürdigen Familiennamen hatte. Der Name war sehr alt und ehrwürdig, und Mr. Havisham selbst hatte großen Respekt davor, obwohl er doch nur ein kühler, nüchterner alter Anwalt war.

Als Mary ihn in die kleine Stube führte, schaute er sich kritisch um. Sie war bescheiden eingerichtet, machte aber einen wohnlichen Eindruck. Keine billigen, geschmacklosen Nippsachen standen herum, keine kitschigen Bilder hingen an den Wänden, und der spärliche Wandschmuck zeugte von gutem Geschmack. Viele hübsche Sachen, die womöglich eine Frau angefertigt hatte, waren über den Raum verteilt.