Daß die Ružena Sedlak, allbekannt im weitesten Umkreis unter dem Namen »Der Totenkopf«, daß dieses häßliche Gebilde mit einem Kinde niedergekommen sei, diese erst unglaubliche, unglaubwürdige Nachricht erweckte im Herbst des Jahres 1899 ausgiebigste Heiterkeit in der kleinen südböhmischen Stadt Dobitzan. Oft schon hatte ihre erschreckende, ja geradezu verstörende Häßlichkeit Anlaß zu mehr mitleidiger als boshafter Heiterkeit gegeben, aber dies hätte selbst der verwegenste Spaßmacher nicht zu erwarten gewagt, daß ein so schundriger und schmieriger Topf noch einmal seinen Deckel finden würde. Nun aber war dieses unappetitliche Wunder bezeugt durch einen Jägerburschen, der den schreienden Säugling im abgelegenen Forst, wo die Sedlak hauste, an ihrer Brust behaglich hatte schmatzen sehen, und hastig trugen die Mägde zugleich mit ihren Eimern diese bunte Neuigkeit in alle Kaufläden, Krämereien, Wirtsstuben und Wohnungen von Dobitzan. Den ganzen grauen Oktoberabend lang wurde von nichts anderem gesprochen als von diesem unerwarteten Sprößling und seinem mutmaßlichen Vater. Am Stammtisch stießen sich die biedern Trinker hämisch in die Seite, einer verdächtigte den andern prustend dieser unappetitlichen Urheberschaft, und der medizinisch geeichte Apotheker schilderte die vermutliche Liebesszene in so realistischen Farben, daß noch einige Schnäpse zur Erholung verbraucht werden mußten. Zum erstenmal seit acht- undzwanzig Jahren hatte dieses unselige Geschöpf seinen Mitbürgern einen knastrigen und ausgiebigen Spaß bereitet.
Den ersten Spaß freilich, einen unaustilgbar grausamen, hatte sich mit diesem armen Mißgebilde lange vordem die Natur selbst erlaubt, indem sie ihr, der unehelichen Tochter eines syphilitischen Brauknechtes, schon im Mutterleib die Nase eindrückte, und der Spottname, der grauenhaft ihr anhaftende, kam gleichzeitig mit ihr selber zur Welt. Denn kaum sie das neugeborene Kind betrachtete, schlug die Hebamme, die in vierzig Jahren reichlich viel Häßliches und Sonderbares gesehen, hastig das Kreuz und schrie unbeherrscht auf: »Ein Totenkopf!« Denn dort wo sonst in einem Menschengesicht klar und rein, um die Augen zu schützen und die Lippen zu schatten, der Nasenbogen sich hebt, Licht und Schatten im Antlitz bewegt verteilend, da gähnte bei diesem Kind ein leeres niedriges Nichts: nur zwei Atemlöcher, schwarz wie Schußwunden, standen gräßlich leer innerhalb der rosigen Fleischfläche und zwanghaft erinnerte dieser (nicht lang erträgliche) Anblick an einen Totenschädel, wo zwischen der beinernen Stirn und den weißen Zähnen gleichfalls ein solches Nichts liegt, eine solche schauerliche, verstörende Leere. Dann als die Hebamme, vom ersten Schreck sich erfangend, den Säugling weiter untersuchte, fand sie ihn wohlgestaltet, gut geformt und gesund. Nichts fehlte diesem unseligen Balg, um andern Kleinkindern gleich zu sein, als ein Zoll Knochen und Knorpel, als ein Fingerbreit Fleisch. Aber die Natur hat uns derart an Ebenmäßigkeit in ihren Gesetzen gewöhnt, daß die geringste Abweichung an ihrer erprobten Harmonie uns anwidert und erschreckt, daß – unlösbares Unrecht – jeder Irrtum des Bildners in uns Erbitterung gegen das mißlungene Gebilde erregt. Denn verhängnisvoller Weise wenden wir diesen Abscheu statt dem lässigen Zeichner dem unschuldig Gezeichneten entgegen: zu seiner eigenen Qual muß jeder Verstümmelte und Ungeformte noch das schlecht verhaltene Unbehagen des Wohlgeformten teuflisch erleiden. So wird ein schiefes Auge, eine verschobene Lippe, ein zerspaltener Mund aus einem einmaligen Irrtum der Natur zur fortwachsenden Qual eines Menschen, zu der unausrottbaren Not einer Seele – zu einer diabolischen Not, daß es um ihretwillen schon schwerfällt an Sinn und Gerechtigkeit innerhab unseres kreisenden Sternes, namens Erde, zu glauben.