In förmlichem Ton formulierte Siegfried Unseld den Eingangssatz seines ersten Briefs an den nicht einmal 23jährigen Peter Handke: »ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.« Mit der Zusage einer Publikation des Debütromans Die Hornissen setzt 1965 eine Korrespondenz ein, die nach über 600 Schreiben mit einem handschriftlichen Brief des Autors endet. Unter dem 18. April 2002 heißt es: »Lieber Siegfried, Du bist der Verleger, und also bist Du es, dem ich das beiliegende Stück ›Untertagblues‹, entstanden zwischen Dezember und jetzt, schicke. Ich wünsche Dir ein gutes Lesen.«

Über einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren besprachen Peter Handke und Siegfried Unseld das ihnen Wichtigste schriftlich: die Literatur, die Bücher, unterrichtete der Autor den Verleger von seinen Vorhaben, hielt Unseld schriftlich seine Eindrücke über die neuen Manuskripte fest, diskutierten beide Erscheinungstermin und Ausstattung von Büchern, Publikationsstrategien und Kritikerrezensionen. So entfaltet sich die innere Biographie des Autors Peter Handke und des Verlegers Siegfried Unseld. 

Am Leitfaden der intensiv-emphatischen Arbeit für und mit Literatur eröffnet dieser Briefwechsel weitreichende Einsichten in die Bedingungen des Schreibens und der Verbreitung von Büchern, macht das unbedingte Streben dieses Autors nach poetischer Wahrheit und entsprechenden neuen Ausdrucksformen deutlich. Konflikte sind dabei unausweichlich – ebenso unausweichlich ist es, daß sie beigelegt werden, denn für Peter Handke wie für Siegfried Unseld gilt: Allein die Literatur schafft Möglichkeiten eines freien Lebens, in dem Phasen des Glücks vorherrschen können.

 

Peter Handke, geboren 1942 in Griffen, Österreich, lebt heute bei Paris. 1966 erschien sein erster Roman, Die Hornissen. Sein erzählendes, dramatisches, lyrisches und essayistisches Werk erscheint im Suhrkamp Verlag und umfaßt mehr als 70 Einzelbände.

 

Siegfried Unseld, geboren 1924 in Ulm, leitete von 1959 bis zu seinem Tod im Oktober 2002 den Suhrkamp Verlag. Er wurde mit der Ehrendoktorwürde zahlreicher Universitäten ausgezeichnet. Mit dem Verhältnis zwischen Autor und Verleger beschäftigte er sich auch in theoretisch-historischer Perspektive in seinem Buch Goethe und seine Verleger.

 

Raimund Fellinger arbeitet als Lektor im Suhrkamp und Insel Verlag.

 

Katharina Pektor ist Mitarbeiterin im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Projekt: Forschungsplattform Peter Handke.

 

 

Peter Handke

Siegfried Unseld

Der Briefwechsel

Herausgegeben
von Raimund Fellinger
und Katharina Pektor

Suhrkamp Verlag

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch

Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn

Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner

Umschlagfoto: Ruth Walz

 

eISBN 978-3-518-79800-3

www.suhrkamp.de

Inhalt

Die Briefe 7

 

Anhang 727

 Nachwort, von drei Verfassern 729

 Bildnachweis 746

 Quellen und Literatur 747

 Werkverzeichnis 757

 Personenregister 766

Die Briefe

 

91965

[1; Anschrift: Griffen1]

Frankfurt am Main2

10. August 1965

Sehr geehrter Herr Handke,

ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.3 Ich glaube, daß sich Ihre Arbeit neben denen von Peter Weiss und Ror Wolf gut ausnehmen und die Perspektiven dieser Autoren weiterführen wird.

Nun scheint mir freilich ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich zu sein. In Ihrem Manuskript befinden sich manche Austriazismen und auch einige umständliche Formulierungen, an denen doch noch gefeilt werden sollte. Es wäre das beste, könnte dies in einem Gespräch geschehen. Führt Sie Ihr Weg ohnehin einmal nach Frankfurt?

Wenn wir im Laufe der Monate September oder Oktober eine Verständigung darüber herbeiführen könnten, so würden wir das Buch noch in der ersten Hälfte 1966 herausgeben.

Ich freue mich sehr, daß ich Ihnen dies mitteilen kann. Ich sehe Ihr Manuskript gerne bei uns als Buch.

Mit freundlichen Grüßen

[Siegfried Unseld]

1

Altenmarkt 6, A-9112 Griffen, Kärnten, ist die Adresse des ersten Briefs von S. U. an P. H. P. H. studierte 1965 im vierten Jahr Rechtswissenschaften an der Universität Graz und bewohnte wäh10rend dieser Zeit (den Brief erhält er in den Sommerferien) ein Untermietzimmer in Graz-Waltendorf, Rosenhang 6.

2

Die Adresse des Suhrkamp Verlags lautete zwischen dem 1. April 1963 und dem 1. Januar 1969: Grüneburgweg 69, 6 [60323] Frankfurt am Main, Ende 1968 übersiedelte der Verlag in die Lindenstraße 29-35, 6 [60325] Frankfurt am Main.

3

Die Hornissen sind die erste Buchpublikation von P. H. Vermittelt durch seinen Freund Alfred Kolleritsch ließ er das Manuskript im Frühjahr 1965 Elisabeth Borchers zukommen, die als Lektorin im Luchterhand Verlag (sie wird später seine Lektorin bei Suhrkamp) arbeitete; sie lehnte eine Veröffentlichung ab. Gleichzeitig sandte der Grazer Hispanist und Übersetzer Anton Maria Rothbauer das Typoskript an Walter Boehlich im Suhrkamp Verlag. Dieser schrieb am 2. Juni 1965 nach Graz: »Sehr geehrter Herr Handke, ich weiß nicht, ob Herr Rothbauer Ihnen schon ein wenig mit dem Zaunpfahl gewinkt hat, und deswegen beeile ich mich, Ihnen zu sagen, daß Ihr Manuskript unser Interesse in einem Grad erregt hat, der uns veranlassen wird, uns ausführlicher mit Ihnen zu unterhalten. Nur bitten wir Sie um einen geringen Aufschub, da wir erst unsere Vertreterbesprechung hinter uns bringen möchten und müssen.« P. H. antwortete am 14. Juli 1965 aus Griffen: »Sehr geehrter Herr Boehlich, den ›Wink mit dem Zaunpfahl‹ habe ich zur Kenntnis genommen. Nun ist es aber möglich, daß ein weiterer Wink in Graz mich nicht erreichen wird, weil ich für längere Zeit nicht dort sein werde. Deshalb schreibe ich jetzt: Sollte es notwendig sein, mir etwas mitzuteilen, so teilen Sie mir es bitte über die im Briefkopf angegebene Adresse mit; die Mitteilung wird mir von hier, da ich zur Erledigung einer Arbeit ins Ausland verreise, nachgeschickt werden, so daß ich mich danach werde richten können.« Boehlich hatte das Manuskript seinem Kollegen Chris Bezzel weitergereicht. Der hatte in einem (undatierten) Lektoratsgutachten die Publikation empfohlen: »peter handke erzählt genau, konkret wie homer ist die art der beschreibung. konkret ist ebenso das beschribene, die geschichte von drei brüdern, von denen einer (der erzähler) erblindet, ein zweiter ertrinkt, der dritte vermißt wird. konkret ist der schauplatz: eine dörfliche welt in einer abgelegenen gegend. die einzelnen kurzen stücke, aus denen der roman zusammengesetzt ist, sind ›einfache‹ szenen, nahaufnahmen, oft parodistische grundrisse des alltäglichen lebens, so anschau11lich gegeben, daß die dichte der dinge sprachliche gestalt annimmt. dieser dichte der dinge steht nun aber eine offenheit des geschehens gegenüber, so daß alles in die schwebe kommt. die grundperspektive des buches bedingt dies: ebenen, zeiten, personen und handlungsstränge verschränken sich fast völlig, jede figur, jedes ereignis wird relativiert, die ichform des erzählens wechselt mit ›du‹ und ›er‹, wodurch der autor nicht mehr weiß als der leser und beide auf vermutungen angewiesen sind. die metaphern erweisen sich als zeichen für vieles, möglichkeit und wirklichkeit sind im gleichgewicht. das antike motiv des blinden, der zum ›seher‹ wird, findet durch handke eine neue gestaltung: ein blinder setzt sich durch erinnernde und tastende vorstellung die welt, die er verloren hat, wieder zusammen, er versucht, sich ein ›bild‹ zu machen. und nur ›dadurch, daß er sich etwas ausdenkt, vermag er sich zu behaupten.‹ DIE HORNISSEN sind scheinbar zeitlos, wir lesen nichts von tod und zerstörung. aber gerade durch das fast völlige aussparen des krieges wird – im motiv der insekten – ein schweigen realisiert, das dem bewußtsein als übermächtige bedrohung erscheint, für die wörter wie ›bomber‹ und ›krieg‹ nur metaphern sind. was von nicht wenigen autoren der moderne angestrebt wurde und wird: die völlig offene fabel, bei der nichts sich verfestigt, aber auch nichts sich verflüchtigt, die den leser nicht abzieht von seiner eigenen existenz, sondern ihm zum modell wird für mögliches leben – in diesem werk ist es auf bezwingende art gelungen. peter handke setzt mit seinem ersten roman DIE HORNISSEN die epische linie eines peter weiss und eines ror wolf (›Fortsetzung des Berichts‹) [Peter Weiss, Der Schatten des Körpers des Kutschers, erschien 1960, Ror Wolf, Fortsetzung des Berichts, 1964 im Hauptprogramm des Suhrkamp Verlags.] legitim und vielversprechend fort.« Laut Bezzel handelt es sich um den »entwurf zu meinem gutachten, das aber kaum länger war«. Das Manuskript wurde angenommen »aufgrund meines gutachtens (und ohne ein gespräch mit unseld darüber)« (Bezzel, Brief vom 24. Juni 2012 an Wolfgang Kaußen). Als der Brief von S. U. vom 10. August 1965 in Griffen ankam, war P. H. mit seiner Freundin und späteren Ehefrau, der Schauspielerin Libgart Schwarz, in Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Die Nachricht von der Annahme übermittelte ihm seine Mutter (siehe Adolf Haslinger, Peter Handke, S. 104).

12[2]

[Graz]

25. August 19651

Sehr geehrter Herr Doktor,

Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut. Zu dem Gespräch über die Einzelheiten bin ich gern bereit, zumal mir in der Zwischenzeit selber einige kleine Stellen verdächtig erschienen sind. Ich möchte zu diesem Zweck am 13. oder 14. September nach Frankfurt kommen. (Im Oktober werde ich einer Prüfung wegen weniger »Zeit haben«.) Bitte, lassen Sie mich wissen, ob der genannte Termin Ihnen recht ist.2

Die Ehre für mein Manuskript, die ihm geschieht, indem es in Ihrem Verlag erscheint, freut mich so, daß das Ereignis mir noch jetzt nicht ganz geheuer ist.

Mit herzlichen Grüßen

Peter Handke

1

Der Brief trägt den handschriftlichen Vermerk von S. U.: »C. Bezzel bitte benachrichtigen. U«.

2

Am Tag der Niederschrift der Antwort begann P. H., die Reise zu organisieren. Er bat Emil Breisach, den damaligen Präsidenten des Forums Stadtpark, in einem Brief um einen Fahrtkostenzuschuß von 700,– Schilling, den dieser am nächsten Tag bewilligt, mit der Auflage, das Geld zurückzuzahlen, falls der Verlag die Reisekosten übernähme (siehe Peter Handke – Alfred Kolleritsch, Schönheit ist die erste Bürgerpflicht, S. 5f.). P. H. schrieb am 27. August 1965 aus Griffen eine Postkarte an Libgart Schwarz, die ihn auf der Reise nach Frankfurt begleitete: »S. g. Fräulein Libgart Schwarz. Libgart! Das Manuskript wird im Suhrkamp Verlag erscheinen, wahrscheinlich im Frühjahr. Ich sollte nur zur Ausmerzung einiger Austriazismen und umständl. Wendungen im September zu einem ›Gespräch‹ nach Frankfurt. Vielleicht kannst Du mitfahren. […] Jetzt kann mir wenig mehr passieren. D. P.« (ÖLA SPH/LW/Korrespondenz Schwarz, Libgart)

13[3; Anschrift: Graz]

Frankfurt am Main

13. September 1965

Lieber Herr Handke,

auch im nachhinein bin ich sehr froh über unser Gespräch. Nach Ihrem Manuskript freute es mich besonders, Sie nun auch persönlich kennenzulernen. Ich bin überzeugt, daß Sie mit diesem Manuskript am Anfang einer achtbaren Laufbahn stehen, und ich hoffe, daß wir in einer langen, guten und produktiven Verbindung bleiben.1

Ich bestätige nochmals, daß wir Ihren Roman »Die Hornissen« im Frühjahr des nächsten Jahres herausbringen werden. Sie wollten Herrn Dr. Bezzel noch einige Korrekturen zuschicken. Es wäre mir angenehm, wenn dies noch in diesem Monat oder jedenfalls in der ersten Oktoberhälfte geschehen könnte. Wir wollen dann das Manuskript in Satz geben, um in Ruhe die Herstellung betreiben zu können.2

Ich wiederhole hier noch einmal die vereinbarten Bedingungen. Sie erhalten für dieses Manuskript à conto der Honorare einen Betrag von DM 3.600,–; davon sind DM 1.200,– bei Abschluß des Vertrages, weitere DM 1.200,– am 31. 12. und die dritten DM 1.200,– bei Erscheinen des Buches fällig. Die Honorare werden vom Broschurpreis des Buches errechnet, der ungefähr bei DM 12,– liegen wird (Ladenpreis ungefähr DM 16,–). Sie erhalten vom 1. bis 3. Tausend 10 % vom Broschurpreis, vom 4. bis 10. Tausend 12 % und vom 11. Tausend an 15 %. Das sind die Bedingungen, die wir bei ersten Büchern haben, sie wurden auch bei Paul Nizon3 und Ror Wolf eingeräumt. In den nächsten Tagen erreicht Sie ein ausführlicher Vertrag. Erschrecken Sie nicht über den Umfang des Vertrages, aber es hat sich in der Erfahrung doch bewährt, daß von Anfang an alle Rechtsbeziehungen klargelegt werden.

Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen für Sie

[Siegfried Unseld]

 

14P. S.: Wir erwarten dann auch von Ihnen noch die erbetene Vita und bitte möglichst auch ein oder zwei Fotos.

1

Das Gespräch fand am 9. September 1965 im Verlag statt. P. H. datierte es im Rückblick auf den August 1965 und notierte: »Nach der Annahme der Hornissen Fahrt zum Verlag. Vorstellung beim Verleger, in seinem Büro im Grüneburgweg in Frankfurt. Ich übernächtig, an keiner der Autobahnraststätten zwischen München und F. ein Zimmer frei. ›Verleger‹? Unwissenheit des Zweiundzwanzigjährigen. Siegfried Unseld nicht nur im Dastehen im Raum gar übermächtig. (Übernächtig/übermächtig.) Riesengesicht. Und was für dunkle Augen – ich für deren Schönheit erst mit den Jahrzehnten offen. Und was für ein riesiger blauer Pickel auf der Riesenwange: bei meiner Erwähnung dessen fast vier Jahrzehnte später ein entschiedenes Kopfschütteln. Er seinerzeit: »Sie, Schriftsteller? Keine Chance, höchstens mit Theaterstücken.« (P. H., Zeit mit Siegfried Unseld (ohne Zeitwörter), in: P. H., Meine Ortstafeln, Meine Zeittafeln, S. 422)

2

Chris Bezzel lektorierte Die Hornissen mit dem Autor brieflich und telefonisch: Es ging dabei vor allem um die Austriazismen, die Kapitelüberschriften in der Marginalspalte oder die Erstveröffentlichung einzelner Kapitel. Weder das ursprüngliche Typoskript noch spätere Arbeitsstufen noch die Druckfahnen haben sich erhalten.

3

Paul Nizon, Canto, der Debutroman des Autors, erschien 1963 im Hauptprogramm des Suhrkamp Verlags.

[4; Anschrift: [Graz]]

Frankfurt am Main

23. September 1965

Lieber Herr Handke,

ich schicke Ihnen anliegend den angekündigten Vertrag zu. Bitte erschrecken Sie nicht über den Umfang des Vertrages, aber es scheint mir doch besser, präzise alle Rechtsbeziehungen zwischen uns zu regulieren. In zukünftigen Fällen 15können wir dann jeweils auf diesen Vertrag aufbauen. Ich schicke Ihnen zwei Ausfertigungen zu und bitte Sie, mir eine mit Ihrer Unterschrift versehen wieder zurückzuschicken.

Es mag sein, daß der Suhrkamp Verlag Anfang November in Wien eine Buchpremiere für Tumlers neues Buch veranstaltet. Ich werde Ihnen noch Bescheid geben, es wäre schön, wenn wir uns dann wieder träfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

[Siegfried Unseld]

[5]

Graz

30. September 1965

Sehr geehrter Doktor Unseld,

vielen Dank für Ihren Brief. Ich hoffe auch, daß ich vielleicht im November mit Ihnen zusammentreffen könnte. Beiliegend schicke ich Ihnen den unterschriebenen Vertrag; ich danke Ihnen nochmals. Wegen verschiedener Kleinigkeiten werde ich noch mit Dr. Bezzel in Verbindung treten. Die Vita und das Foto kann ich Ihnen erst in den nächsten Tagen schicken.1

Sehr herzliche Grüße

Peter Handke

1

Am 22. Oktober 1965 erinnerte Chris Bezzel P. H. brieflich erneut an Foto und Vita, woraufhin dieser ihm am 26. Oktober 1965 seine »Lebensdaten« schickte, die bis auf kleine Änderungen für den Buchumschlag der Erstausgabe von Die Hornissen übernommen wurden: »geboren am 6. Dezember 1942 in Griffen, Kärnten. 1944-48 in Berlin. Volksschule in Griffen. 1954-59 humanistisches Gymnasium in einem Internat für Priesterzöglinge. Die letzten 16zwei Jahre der Gymnasialstudien in Klagenfurt. 1961 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Graz. Erste Veröffentlichungen in der Zeitschrift ›manuskripte‹ des forum stadtpark Graz. Außer dem Roman: Kürzere Prosa, ein Stück: ›Publikumsbeschimpfung‹.« Das Forum Stadtpark, Graz, wurde 1959 gegründet; siehe Brief 10, Anm. 2. 
Dagegen benötigte P. H. einige Zeit, um zu publizierbaren Fotos zu gelangen. Jene Aufnahmen, die sein erstes öffentliches Erscheinungsbild prägten – also in Zeitungsrezensionen der Hornissen oder anläßlich der Veröffentlichung des Romankapitels Das Kartenspiel in Dichten und Trachten (Heft 27, 1966, S. 32-37) gedruckten –, entstammten einer Fotoserie von Otto Breicha. Darauf ist P. H. mit noch relativ kurzen Haaren, dicker schwarzer Brille und einer Winterjacke mit Fell zu sehen. P. H. schickte sie am 8. Februar 1966 an den Verlag.

[6; Anschrift: <Graz>]

Frankfurt am Main

8. Oktober 1965

Lieber Herr Handke,

wäre es Ihnen möglich, am 3. November nach Wien zu kommen? Um 11 Uhr vormittags wird in der Gesellschaft für Literatur von Tumler eine Lesung und ein Gespräch mit mir sein. Am Abend möchte ich Sortimenter zu einem Abendessen einladen. Ich wäre sehr froh, wenn Sie dabei sein könnten.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

[Siegfried Unseld]

17[7]

Graz

21. Oktober 1965

Lieber Dr. Unseld,

vielen Dank für Ihre Einladung. Ich werde gern am 3. November nach Wien kommen und freue mich, Sie sprechen zu können.

Ich habe gerade mit Ach und Krach ein Stück geschrieben. Es heißt »Publikumsbeschimpfung« und ist mein erstes und mein letztes. Ich möchte es nun hier in Graz zur Erprobung im Forum Stadtpark aufführen lassen und auch sonst dazu sehen, daß ich es vielleicht anbringe. Wahrscheinlich muß ich mich dazu an Sie wenden. Ich frage Sie deshalb um Rat, was zu tun ist oder ob überhaupt etwas zu tun ist.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Peter Handke

[8; Anschrift: <Graz>]

Frankfurt am Main

25. Oktober 1965

Lieber Herr Handke,

schönsten Dank für Ihren Brief vom 21. Oktober. Ich freue mich sehr, daß wir uns in Wien sehen und sprechen können. Ich werde am Dienstagnachmittag nach Wien kommen. Vielleicht können wir uns gleich am Abend um 19 Uhr treffen, auch damit wir uns über Ihr Stückproblem unterhalten können; ich wohne im Royal.1 Wenn nicht, erwarte ich Sie dann spätestens bei der Veranstaltung der Literarischen Gesellschaft am 3. November um 11 Uhr.2

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

[Siegfried Unseld]

1

18Das Hotel Royal befindet sich in der Singerstraße 3, im 1. Bezirk in Wien.

2

Am 3. November 1965 referierte S. U. in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur im Palais Wilczek über die Programmatik der Verlage Suhrkamp und Insel, danach las Franz Tumler aus Aufschreibung aus Trient. Roman, der gerade im Suhrkamp Verlag erschienen war. Am Abendessen mit den Inhabern der österreichischen Auslieferung von Suhrkamp und Insel sowie Wiener Buchhändlern nahmen teil: Thomas Bernhard, Peter Handke, Zbigniew Herbert, Franz Tumler und Wolfgang Kraus. Im Reisebericht Wien 2. bis 4. November 1965 hielt S. U. fest: »Peter Handke. Mit ihm traf ich zweimal zusammen. Der Eindruck blieb gleich oder verstärkte sich. Ich glaube, wir haben da einen hochinteressanten Autor gewonnen. Ich habe ihm angekündigt, daß bis Ende November die Fahnen-Sendungen [von Die Hornissen] beginnen. Wir wollen von dem Buch Leseexemplare etwa in einer Anzahl von 250 herstellen, die dann mit besonderer Berücksichtigung der Wiener und Grazer Sortimenter verschickt werden sollen. Erscheinungstermin des Buches nicht später als 20. März. Peter Handke gab mir dann sein Sprechstück ›Publikumsbeschimpfung‹, das ist eine sehr originelle Sache, die sehr reizvoll ist. Die Aufführungschancen sind schwer zu beurteilen, doch sollte man es natürlich versuchen. Das Stück liegt jetzt beim Forum Theater in Graz, das es vielleicht im Frühjahr aufführen will; ebenfalls ist die Zeitschrift ›manuskripte‹ an einer Veröffentlichung des Stückes interessiert. Ich möchte Herrn Braun bitten, das Stück sogleich zu lesen und mit mir dann das weitere zu besprechen.«

[9]

Graz

5. November 65

Lieber Dr. Unseld,

eine Bitte, die ich leider nicht mehr aufschieben kann: Könnten Sie Ihre Honorarabteilung anweisen, mir zumindest mitzuteilen, was mit meiner seit über 1 1/2 Monaten fälligen Honorarrate geschehen ist? Ich habe am 5. 11. bei der Abtei19lung angefragt, aber man hat mir bis jetzt nicht einmal geantwortet. Ich brauche Ihnen keine Genrebilder von meiner Lage zu geben. Es ist einfach unangenehm, von einem Tag zum andern von geliehenem Geld zu leben. Hätte ich diese lange Verzögerung im vorhinein gewußt, hätte ich mich wenigstens um eine Arbeit umsehen können. So warte ich täglich auf eine Erklärung von seiten Ihrer Abteilung.

Ich hoffe, Sie sind nicht ungehalten, daß ich mich, nachdem ich mich anscheinend erfolglos an Ihre Honorarabteilung gewendet habe, nun an Sie wende.

Vielen Dank im voraus (für Ihre Erklärung) und im nachhinein (für Ihre liebe Einladung nach Wien)

Ihr

Peter Handke

[10; Anschrift: <Graz>]

Frankfurt am Main

18. November 1965

Lieber Herr Handke,

jetzt bin ich wirklich einmal im eigenen Hause auf die Schliche des Verlagsbürokratismus gekommen. Unsere Honorarbuchhaltung hat Ihnen am 5. Oktober wegen der Steuerbefreiung geschrieben, Sie haben darauf auch brav geantwortet. Ihre Unterlagen wurden dem hiesigen Finanzamt eingereicht, das wegen der vorweihnachtlichen Steuertätigkeit überlastet ist und den Antrag noch nicht bearbeitet hat, und da in der Buchhaltung ein Schematismus besteht, Zahlungen nur dann ohne Steuerabzug zu leisten, wenn diese Bescheinigung vorliegt, ist die Zahlung bisher unterblieben. Das tut mir sehr leid, ich entschuldige mich dafür.

Ich habe folgendes veranlaßt: heute ist Ihnen die erste Rate 20telegraphisch zugegangen, die zweite Rate, die am 31. Dezember fällig gewesen wäre, schicken wir ebenfalls jetzt schon ab, freilich auf normalem Wege; ich nehme aber an, sie wird Sie innerhalb von acht Tagen erreichen. Im übrigen wäre es gut, Sie hätten ein Konto, damit wir zukünftig Überweisungen leichter tätigen können. Bitte entschuldigen Sie nochmals das Versehen, es wird nicht wieder vorkommen. Ich habe meiner Buchhaltung auch entsprechende Anweisung gegeben, daß sich der Fall auch nicht bei anderen Autoren wiederholt.

Ich habe »Publikumsbeschimpfung« jetzt gelesen und den Text auch meinen Mitarbeitern im Theaterverlag gegeben. Wir stimmen überein, es ist Ihnen da ein wirklich schönes Stück gelungen, das auch Aufführungschancen hat. Ich möchte für den Verlag und Theaterverlag Suhrkamp Publikations- und Aufführungsrechte für das Stück erwerben.1 Wir könnten als Vorauszahlung auf die anfallenden Honorare einen Betrag von DM 1.200,– vereinbaren. Sind Sie damit einverstanden, wenn ich Ihnen einen solchen Vertrag zuleite? Sind Ihre Absprachen mit dem Forum Theater definitiv? Wir möchten von uns aus die Theater sehr bald auf dieses Stück aufmerksam machen. Dabei spielt es natürlich eine Rolle, ob wir die Uraufführung oder eine deutsche Erstaufführung vergeben können. Wenn Sie schon definitive Abmachungen haben, so wollen wir dann in unserem Vertrag diese Aufführung ausklammern. Ich überlege mir noch eine Form, wie man das Stück publizieren könnte. Sie deuteten an, daß die Zeitschrift »manuskripte« es bringen möchte. Das kann man machen, und doch hat es eigentlich wenig Wirkung, die Zeitschrift kommt ja doch so etwas außerhalb der Öffentlichkeit heraus. Andererseits werden andere Zeitschriften kaum etwas abdrucken, was in den »manuskripten« stand.2 Für eine separate Veröffentlichung, etwa innerhalb der »edition suhrkamp«, ist der 21Text freilich, selbst bei großzügigem Druck, zu schmal. Aber wer weiß, ob Sie vielleicht doch noch etwas in der Schublade haben oder im Kopf, so daß wir zu einem späteren Zeitpunkt einen Band machen könnten.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr(e) Conradi / Unseld

in Abwesenheit von Dr. Unseld

1

Am 8. Dezember 1965 schrieb Karlheinz Braun an P. H.: »Sehr geehrter Herr Handke, es wird Zeit, daß ich Ihnen schreibe und mich Ihnen vorstelle als denjenigen, der sich bei Suhrkamp mit dem beschäftigt, was mit dem Theater zu tun hat, also auch mit der ›Publikumsbeschimpfung‹. Herr Dr. Unseld gab mir Ihr Sprechstück, ich hatte es gleich gelesen, mit einiger Begeisterung, muß ich sagen. Das hat Witz und Tiefe, beschäftigt sich mit dem, mit dem sich alle dramatischen Autoren beschäftigen müßten – aber Sie machen es auf eine derart direkte Weise, daß einem – und hoffentlich auch denen, auf die es gemünzt ist – die Spucke wegbleibt. Das sollten wir unbedingt machen, ich glaube, Herr Dr. Unseld hat es Ihnen auch schon geschrieben, und ich habe Ihren Antwortbrief gelesen [siehe Brief 11], in dem Sie von weiteren Stücken schreiben, von einem ersten (Weissagen) und einem geplanten (mir hochinteressanten), der Beichte. Der richtige Start auf dem Theater scheint mir die ›Publikumsbeschimpfung‹ zu sein. (Welcher Dramatiker hätte wohl schon damit angefangen?) Da das Grazer Projekt sich wohl inzwischen zerschlagen hat (was sicherlich ganz gut ist), sollten wir uns überlegen, was wir tun können.
1. Zuerst müssen wir die Textbücher herstellen. Dazu brauche ich den ›endgültigen‹ Text. Ich kann mir vorstellen, daß der Text, den Sie uns schickten, der endgültige Text ist. Jedenfalls wüßte ich Ihnen keine Änderungsvorschläge (theoretisch) zu machen. Was eventuell noch zu ändern wäre, das müßte sich aus den Proben ergeben. Das Ganze scheint mir eine Sache des Rhythmus zu sein, der Ökonomie, der Form. Das alles ist aber letzten Endes nur bei der praktischen Arbeit endgültig zu klären (wenn man kein Beckett ist). Bitte schreiben Sie mir, ob dies der endgültige Text ist, bzw. schicken Sie noch die eventuellen Änderungen und die An22merkungen, die Sie in Ihrem Brief an Fräulein Conradi erwähnen. Wir werden dann sofort die Textbücher herstellen. 
2. Sie sollen dann auch den entsprechenden Bühnenvertrag erhalten. 
3. Wie wäre es mit einer Uraufführung in Ulm. Die Ulmer sind einiges gewöhnt und Ulrich Brecht, der Intendant, verläßt mit dem Ende dieser Spielzeit Ulm, um als Intendant nach Kassel zu gehen. Er könnte sich mit der ›Publikumsbeschimpfung‹ in Ulm verabschieden und mit demselben Stück in Kassel anfangen. Was meinen Sie zu diesem Plan? Ich fände das einen guten Anfang. 
Bitte schreiben Sie, ich warte derweil noch mit allem ab; ich möchte nichts tun, was Ihnen nachher nicht gefällt.« P. H. antwortete am 12. Dezember 1965: »Ich freue mich sehr, daß Ihnen mein Stück gefällt. Ihr Brief hat mir auch einen gewissen Ansporn für das geplante Stück gegeben. Mit Ihren Vorschlägen bezüglich der Aufführung (Sie schreiben von Ulm und Kassel) bin ich sehr einverstanden. Ich habe für das Stück ganz wenige Änderungen vorzuschlagen, und die möchte ich gleich hier anführen. [Es folgt eine Liste mit vier Korrekturen zur Publikumsbeschimpfung, die sich mit Seitenangaben auf ein Typoskript beziehen.] […] Ich schicke Ihnen auch die zum Stück gehörigen Regeln für die Schauspieler, die ich gern im Textbuch drin hätte.« Die »Regeln für die Schauspieler« unterscheiden sich vom einzeilig getippten Typoskript des Stücks durch eine großzügigere Gestaltung. Sie wurden von P. H. mit »11. 12. 65« datiert (siehe DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Handke, Peter). Dem Brief liegt außerdem eine Typoskriptseite mit einem neuen Schluß, einer modifizierten »Beschimpfung«, bei.

2

Das erste Heft der österreichischen Literatur- und anfangs auch Kunstzeitschrift manuskripte, von Alfred Kolleritsch und Günter Waldorf gegründet und herausgegeben, erschien 1960. P. H. veröffentlichte darin ab 1964 – unter anderem im Heft 12 von 1964, S. 20-23, Aus dem Roman Die Hornissen: Die Liturgie.

23[11]

Graz

23. November 19651

Liebe Frau Conradi,

vielen Dank für Ihren ganz unbürokratischen Brief. Ich danke Ihnen auch für die Mühe, die Sie sich wegen meines Honorars gemacht haben.

Ich habe ein Konto (ein recht formelles freilich): 31028 Steiermärkische Sparkasse, Graz, Eisernes Tor.

Ich bin sehr froh, daß Sie das Stück nehmen wollen. Es ist eigentlich mein erster derartiger Versuch, ich habe sonst immer nur Prosa geschrieben. Nur vor einem Jahr, zu einer Zeit, da ich (wie auch heute) von der Beatmusik begeistert war, habe ich ein kurzes, etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten langes Sprechstück geschrieben, mit Namen »Weissagung«, das von drei oder vier Sprechern gesprochen wird und nach den Klangelementen der Beatmusik, vor allem der »Rolling Stones« | (= eine Beatgruppe) | (nicht lachen) gemacht ist. Inhaltlich (oder sprachlich) besteht es aus rhythmisch aneinandergereihten Tautologien, die völlig unlogisch aufeinander folgen und nur ein Klangbild ergeben, durch Überschneidung, gemeinsames Sprechen, Sprechen im Kanon, Litaneien etc. (»Die Fliegen werden sterben wie die Fliegen. Die Hyänen werden heulen wie die Hyänen. Der Verrückte wird rennen wie ein Verrückter …«: so ähnlich fängt es, glaube ich, an.) Ich schreibe das deshalb, weil Sie sagen, die »Publikumsbeschimpfung« sei für die »Edition Suhrkamp« zu kurz. Vielleicht könnte man die »Weissagung« dazutun. Außerdem habe ich noch einen Stückplan »im Kopf«: zu diesem aber ist mir der Knopf noch nicht ganz aufgegangen.

Ich bin überzeugt, daß die »Publikumsbeschimpfung« aufführbar ist. Darum ist sie auch geschrieben. Ich möchte 24noch eine Anleitung schreiben, wie ungefähr man es machen sollte. Es gibt nur eine Schwierigkeit: Sprecher dafür zu finden. Wie Sie wissen, hatte ich die Absicht, das Stück zur Erprobung hier in Graz im Forum bringen zu lassen. (Das ist übrigens kein richtiges Theater, das wäre eine Übertreibung, aber es hat eine Abteilung, die für das Theater zuständig ist.) Es ist nun unmöglich, es hier zu bringen, weil ich fast niemanden wüßte, der es machen könnte. Also habe ich diese Absicht nicht mehr. Vielleicht gibt es in Deutschland andere junge Schauspieler. Das Forum hat zudem keinen großen Theaterraum, und der gehört halt dazu. Für intime Experimentierbühnen ist das Stück ungeeignet, für einen Keller ganz und gar. Es gehört in ein normales großes Haus, in das die bekannten Theaterbesucher gehen. Vielleicht müßte zu seiner Aufführung ein eigenes Ensemble gegründet werden, das von einem Theater zum andern fährt. (Eine Illusion)

Sollte die »Publikumsbeschimpfung« (mit den zwei anderen Stücken) in der »ES« erscheinen können, so wäre das der Idealfall in meinen Augen. Man hätte die Gewähr, daß es unter die Leute kommt. Es kann ja auch gelesen werden, wozu es in einer Zeitschrift weniger Chancen hat. Ich jedenfalls lese Stücke, die in Zeitschriften stehen (wie im »Theater heute«), recht ungern, während ich Stücke, die in der »Edition Suhrkamp« stehen, wenn nicht schon gern lese, so doch mindestens gern zu lesen anfange. Das Stück in eine Anthologie von Theaterstücken zu bringen, ist ein Unding. Außerdem wäre es in der »Edition Suhrkamp« ein Buch, und so könnte ich das Stück trotzdem mit Ihrer ausdrücklichen Genehmigung in der Zeitschrift »manuskripte« drucken lassen, die zwar wahrscheinlich wirklich außerhalb der von den Konsumenten gebildeten Öffentlichkeit erscheint, aber sicher auch ihre Funktion hat, wie man so sagt, und zwar als die einzige diskutable Literaturzeitschrift hier in Österreich.

25Entschuldigen Sie, daß der Brief so lang geworden ist.

Sie schreiben, ob ich einverstanden sei, daß Sie mir den Vertrag zuleiten. Und ob ich das bin.2

Herzliche Grüße

Ihr

Peter Handke

 

| N. S. Inzwischen ist mir auch das 3. Stück klar geworden. Es soll »Beichte« heißen und dauert ca. 30 Minuten. Es sprechen ein junger Mann und eine ebensolche Frau. Die Thematik ist ähnlich sprachintern wie bei den zwei ersten. Aufgebaut ist es aus Redensarten, die die Beichtenden in der Kirche gebrauchen (»Ich habe den Namen Gottes totgeschwiegen, ich habe sündige Gedanken gehabt etc.«), die Welt wird in Beichtformeln gefaßt. Ich möchte diese unlogisch reihen und untersetzen mit nichtssagenden Aussagen als Kontrast: (»Ich bin über Straßen gegangen«) sowie mit juristischen Formeln (»Ich habe mir fremdes Gut angeeignet«). Gebeichtet wird ans Publikum. Es ist ein ähnliches Beatband-Stück wie die zwei ersten.

Dazu habe ich eine kleine Abhandlung über die Beatles geschrieben, die man dem allen voranstellen könnte. Bitte, schreiben Sie, ob Sie damit einverstanden wären. Und Entschuldigung noch einmal.

Ihr P. H. |

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Der Brief trägt den handschriftlichen Vermerk von S. U.: »Dr. Braun, Ritzerfeld z. K.«.

2

Helene Ritzerfeld sandte am 13. Dezember 1965 P. H. den Publikations- und Aufführungsvertrag für die »Publikumsbeschimpfung« nach Graz mit der Bitte, »den Vertrag auch Ihrerseits zu prüfen«. Am 5. Januar 1966 retournierte sie P. H. den von S. U. gegengezeichneten Vertrag.

26[12; Anschrift: ›Graz‹]

Frankfurt am Main

30. November 1965

Lieber Herr Handke,

der letzte Brief, den Sie vom Verlag erhalten haben, war von meiner Sekretärin, Fräulein Conradi unterschrieben. Doch ich habe ihn ihr selbst diktiert, und es lag mir daran, mich für das Vorausgegangene zu entschuldigen.

Ich hoffe, Sie haben nicht nur die fällige Rate, sondern auch die anderen zwei Raten, die für Ende Dezember vorgesehen waren, erhalten. In Zukunft werden wir alle Beträge auf Ihr Konto bei der Steiermärkischen Sparkasse überweisen.

Könnten Sie mir die »Weissagung« zugehen lassen? Wie ich Ihnen ja schon sagte, gefällt mir »Publikumsbeschimpfung« sehr. Ich werde Ihnen einen Aufführungsvertrag, der auch Publikationsrechte enthält, zuleiten. Nach der Lektüre der »Weissagung« können wir dann immer noch die Frage besprechen, wie wir die Sachen veröffentlichen wollen. Auch die »Beichte« klingt sehr verlockend. Sie finden mich immer zur Lektüre bereit.

Wir haben jetzt auch die ersten zwanzig Fahnen des Satzes der »Hornissen« zurückerhalten. Ich bin einigermaßen entsetzt über Ihre Korrekturen, die teilweise Neusatz und damit sehr hohe Kosten verursachen. Ich wäre Ihnen doch dankbar, wenn Sie Änderungen und Korrekturen auf das Unumgängliche reduzierten. Im allgemeinen ist es ja so, daß Autoren, wenn sie mehr als 10 % der Satzkosten verursachen, für diese Kosten aufkommen müssen (die jetzigen Kosten belaufen sich auf 45 %). Das soll, wie gesagt, nicht heißen, daß Fehler nicht korrigiert und wichtige Verbesserungen nicht vorgenommen werden sollen, aber es hat wenig Sinn, den Text in den Fahnen gewissermaßen neu zu schreiben.1

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

[Siegfried Unseld]

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27P. H. hatte die Fahnenkorrekturen direkt an die Herstellungsabteilung geschickt. Die Korrekturarbeiten dauerten bis Ende Dezember.