cover image

Niccolò Machiavelli

Der Fürst

Vom Erringen und Erhalten der Macht

Niccolò Machiavelli

Der Fürst

Vom Erringen und Erhalten der Macht

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: A. W. Rehberg, J. Schulze
Vorwort: Dr. Max Oberbreyer
1. Auflage, ISBN 978-3-954185-52-8

null-papier.de/99

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Buch und Au­tor

Ein­lei­tung

Wid­mung

1. Ver­schie­de­ne Ar­ten der Herr­schaft, und Wege, zu ihr zu ge­lan­gen

2. Von den erb­li­chen Fürs­ten­tü­mern

3. Von ver­misch­ten Herr­schaf­ten

4. Wa­rum das Reich des Da­ri­us nach Alex­an­ders Tode ge­gen sei­ne Nach­fol­ger nicht auf­stand?

5. Wie Städ­te oder Fürs­ten­tü­mer zu be­han­deln sind, die vor der Erobe­rung ihre ei­ge­ne Ver­fas­sung hat­ten

6. Von neu­en Herr­schaf­ten, die durch ei­ge­ne Waf­fen und Tap­fer­keit er­run­gen wer­den

7. Von neu­en Fürs­ten­tü­mern, die durch frem­de Un­ter­stüt­zung und durch Glücks­fäl­le er­wor­ben wer­den

8. Von Den­je­ni­gen, wel­che durch Ver­bre­chen zur Herr­schaft ge­lan­gen

9. Vom Vol­ke über­tra­ge­ne Herr­schaft

10. Wie die Kräf­te der Fürs­ten­tü­mer zu schät­zen sind

11. Von geist­li­chen Fürs­ten­tü­mern

12. Von den ver­schie­de­nen Ar­ten der Trup­pen

13. Von Hilf­s­trup­pen

14. Was der Fürst im Kriegs­we­sen zu be­ob­ach­ten hat

15. Wo­durch die Fürs­ten Lob und Ta­del er­wer­ben

16. Von der Frei­ge­big­keit und dem Gei­ze

17. Von der Grau­sam­keit und Mil­de

18. In­wie­fern ein Fürst sein Wort hal­ten muss

19. Ver­ach­tung und Hass sind zu ver­mei­den

20. Ob Fes­tun­gen und an­de­re Si­cher­heits­an­stal­ten den Fürs­ten nütz­lich oder schäd­lich sind?

21. Wie ein Fürst sich zu be­tra­gen hat, um großen Ruhm zu er­wer­ben

22. Von den Mi­nis­tern

23. Schmeich­ler sind zu flie­hen

24. Wie die Fürs­ten Ita­li­ens ihre Herr­schaf­ten ver­lo­ren ha­ben

25. Wel­chen Ein­fluss das Glück auf die An­ge­le­gen­hei­ten der Men­schen hat

26. Auf­ruf, Ita­li­en von der Fremd­herr­schaft zu be­frei­en

Er­läu­te­run­gen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

10.

11.

12.

15.

16.

17.

18.

19.

22.

23.

25.

26.

Ab­schluss

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Buch und Autor

»Ich muss lei­der zu­ge­ben, dass Ma­chia­vel­li recht hat.« [Fried­rich II.]

✳✳✳

Der Fürst (ita­lie­nisch »Il Prin­ci­pe«) wur­de um 1513 von Nic­colò Ma­chia­vel­li ver­fasst. Es gilt als sein Haupt­werk.

Es geht in die­sem po­li­ti­schen Werk Ma­chia­vel­lis um die Grund­fra­ge: Wie kann man (d.i. der Herr­scher, vul­go »Der Fürst«) in ei­ner feind­li­chen po­li­ti­schen Um­welt er­folg­reich sein, also Macht er­wer­ben, sie er­hal­ten und ver­grö­ßern?

»Der Fürst« gilt als das ers­te Werk der mo­der­nen po­li­ti­schen Phi­lo­so­phie.

Ma­chia­vel­li woll­te sich mit die­ser Schrift, die er auch Lo­ren­zo de’ Me­di­ci wid­me­te, bei den Me­di­ci, den Herr­schen­den, ein­schmei­cheln, die ihn zu­vor ein­ge­ker­kert, ge­fol­tert und ins Exil ge­schickt hat­ten.

Gleich­zei­tig sah er Ita­li­en in Not; auf­ge­rie­ben in Klein­staa­te­rei und um­ge­ben von Fein­den: Spa­ni­en, Frank­reich und Deutsch­land, such­te er in die­sem Werk eine An­lei­tung zur Be­wäl­ti­gung von po­li­ti­schen Kri­sen zu ver­fas­sen.

✳✳✳

»Wer glaubt, Ma­chia­vel­li sage, Po­li­tik kön­ne man nur mit Gift und Dolch, Lüge und Ver­bre­chen ma­chen, hat ihn gründ­lich miss­ver­stan­den.« [Car­lo Schmidt]

Einleitung

Nie­mals hat eine po­li­ti­sche Schrift so ge­wal­ti­ges Auf­se­hen er­regt, und so viel ge­wirkt, als Mac­chia­vel­lis hoch­be­rühm­tes Buch vom Fürs­ten. Der Name des Ver­fas­sers ist durch die so­gar in Staats­schrif­ten als Kunst­aus­druck üb­li­che Be­nen­nung des Mac­chia­vel­lis­mus auch der großen Men­ge be­kannt ge­wor­den, die das Buch selbst nicht ge­le­sen hat. Aber un­ter den Gro­ßen und ih­ren Mi­nis­tern ha­ben sich vie­le da­nach ge­bil­det. Hier glaub­ten sie das, was sie in ein­zel­nen schlim­men Au­gen­bli­cken ge­tan, oder noch zu tun Lust hat­ten, durch zu­sam­men­hän­gen­de Grund­sät­ze ge­recht­fer­tigt zu fin­den. Die es so be­nutz­ten, mö­gen oft un­ge­hal­ten dar­über ge­wor­den sein, dass al­les, was sie sich, aber auch nur sich selbst, und als Aus­nah­me von der Re­gel er­lau­ben woll­ten, in all­ge­mei­nen Ma­xi­men öf­fent­lich auf­ge­stellt, und da­durch Ver­dacht ge­gen ihre Ab­sich­ten er­regt ward. Da­her ist es am lau­tes­ten von de­nen an­ge­klagt, die am meis­ten dar­aus ge­lernt hat­ten. An­de­re Le­ser sind durch den Wi­der­spruch, in wel­chem die­ser In­be­griff fürst­li­cher Weis­heit mit der ge­wöhn­li­chen Moral steht, zu dem Zwei­fel ver­an­lasst wor­den, ob das Buch wol im Erns­te ge­schrie­ben sei? Da sie die Be­wun­de­rung, wel­che der durch­drin­gen­de Beo­b­ach­tungs­geist und das tref­fen­de Ur­teil des Ver­fas­sers je­dem ab­nö­tigt, der po­li­ti­sche Ver­hält­nis­se zu be­ur­tei­len ver­mag, mit ih­rem Wi­der­wil­len ge­gen die fre­che Im­mo­ra­li­tät, zu wel­cher sei­ne Grund­sät­ze füh­ren, nicht zu ver­ei­ni­gen wuss­ten, so ha­ben sie ge­glaubt, Mac­chia­vel­li möge wol das voll­stän­di­ge Ge­mäl­de der Ty­ran­nei und der Mit­tel zu ihr zu ge­lan­gen, in der Ab­sicht ent­wor­fen ha­ben, um den Ty­ran­nen in der ver­ab­scheu­ungs­wür­digs­ten Ge­stalt dar­zu­stel­len.

Meh­re­re ita­lie­ni­sche Schrift­stel­ler ha­ben die­se Aus­le­gung sehr früh ge­macht, um dem Ge­schrei zu be­geg­nen, das sich bald nach der öf­fent­li­chen Be­kannt­ma­chung des Wer­kes er­hob. Die Ver­mu­tung er­hält ei­ni­gen An­schein durch den Wi­der­spruch, in wel­chem die Ge­sin­nun­gen, wel­che in die­sem Bu­che herr­schen, mit an­de­ren Schrif­ten des Ver­fas­sers zu ste­hen schei­nen, und der umso auf­fal­len­der ist, da das Buch vom Fürs­ten und die Be­trach­tun­gen über den Li­vi­us of­fen­bar nicht in ganz ver­schie­de­nen Pe­ri­oden sei­nes Le­bens ge­schrie­ben sind. Er be­zieht sich in je­der der­sel­ben auf die an­de­re, und hat sie also, we­nigs­tens spä­ter­hin, zu­gleich wie­der über­ar­bei­tet. Aber man kann die­ser Er­klä­rung durch­aus kei­nen Bei­fall ge­ben, so­bald man das Buch selbst un­be­fan­gen liest. Es ist mit sol­chem Erns­te ge­schrie­ben, mit sol­chem Nach­druck, und was noch mehr ist, es ent­hält auf je­der Sei­te so viel Wahr­heit, dass man das Gan­ze un­mög­lich für Iro­nie hal­ten kann. So tref­fen­de Leh­ren kön­nen nicht aus re­pu­bli­ka­ni­schem Has­se ge­gen die Ty­ran­nei ge­ge­ben sein, da­mit der Ty­rann ins Ver­ber­ben ren­ne: die­sen Zweck hät­ten sie si­cher­lich ver­fehlt! Wer den Ver­fas­ser aus der Ge­schich­te ken­nen ge­lernt hat, wird auch nicht durch die Er­klä­rung be­frie­digt, dass er hier die Na­tur­ge­schich­te der Ty­ran­nei ge­zeich­net habe, so wie er die Theo­rie der Re­pu­blik in den Dis­kur­sen über den Li­vi­us ab­han­delt. Mac­chia­vel­li war kein gleich­gül­ti­ger Zuschau­er und blo­ßer Beo­b­ach­ter der po­li­ti­schen Welt. In al­len sei­nen Schrif­ten herrscht ein prak­ti­scher Geist. Sei­ne Dis­kur­se be­wei­sen das leb­haf­tes­te In­ter­es­se an der Er­hal­tung und der Grö­ße ei­ner Re­pu­blik. Sie sind ganz im Tone ei­nes Man­nes ge­schrie­ben, der selbst dazu mit­wir­ken möch­te, sie zu er­rich­ten oder zu be­fes­ti­gen. Eben so kräf­ti­ge Ratschlä­ge für den, der sich auf der er­run­ge­nen Stel­le ei­nes Re­gen­ten er­hal­ten will, eben so nach­drück­li­che Emp­feh­lun­gen der wirk­sams­ten Mit­tel, eben so leb­haf­te Ver­ach­tung des Zweck­wid­ri­gen, fin­det man in dem Bu­che vom Fürs­ten.

Die Auf­lö­sung die­ses rät­sel­haf­ten Wi­der­spruchs ist in dem Zu­stan­de Ita­li­ens und in der Le­bens­ge­schich­te des Ver­fas­sers zu su­chen.1 Man ver­steht ja über­haupt kei­nen aus­ge­zeich­ne­ten Schrift­stel­ler voll­kom­men, wenn man nicht eine le­ben­di­ge Kennt­nis von sei­ner Na­ti­on und sei­nem Zeit­al­ter, und ein fei­ne­res Ge­fühl für ihre Art zu emp­fin­den, aus den ein­hei­mi­schen Ge­schicht­schrei­bern er­langt hat, wel­che selbst die Ge­sin­nun­gen ih­rer Na­ti­on tei­len, und nicht bloß die Hand­lun­gen der Men­schen, son­dern ihre Quel­le, die ei­gen­tüm­li­che Ge­müts­art, dar­stel­len. Aus sol­chen er­hält man eine ganz an­de­re Ein­sicht in den Zu­sam­men­hang der Be­ge­ben­hei­ten, als aus der ge­naues­ten und sorg­fäl­tigs­ten Er­zäh­lung ei­nes Frem­den.

Die ita­lie­ni­sche Na­ti­on zeich­net sich durch eine un­ge­mei­ne Leb­haf­tig­keit al­ler Emp­fin­dun­gen und Lei­den­schaf­ten aus, die ih­ren Ge­gen­stand mit dem Feu­er un­aus­lösch­li­cher Be­gier­de er­greift, und nie ab­lässt. So wie man von den Fran­zo­sen nicht ohne Grund sagt, dass sie aus al­lem Erns­te Scherz ma­chen, und da­durch so oft selbst ein Spiel ih­rer ei­ge­nen wit­zi­gen Lau­ne wer­den, so ma­chen die Ita­lie­ner aus al­lem Scher­ze Ernst. In al­len Hand­lun­gen der Fran­zo­sen er­scheint ein fei­nes und un­auf­hör­lich re­ges Ehr­ge­fühl als die herr­schen­de Trieb­fe­der. Die­ses zeigt sich in den schlech­tes­ten, wie in den vor­züg­lichs­ten In­di­vi­du­en der Na­ti­on, auf ver­schie­de­ne Art, aber im­mer gleich stark. Alle fran­zö­si­schen Rai­son­ne­ments über sitt­li­che Ge­gen­stän­de er­hal­ten da­durch eine ganz ei­ge­ne Far­be, und in der Ge­schich­te des Volks spielt es die Haup­trol­le. Aus der Ver­bin­dung die­ses äu­ßerst reiz­ba­ren Ehr­ge­fühls, und der sei­nen Beo­b­ach­tung al­ler Kon­ve­ni­en­zen des Au­gen­blicks, worin die Fran­zo­sen al­len an­de­ren so sehr über­le­gen sind, mit ih­rer lau­ni­gen Ge­müts­s­tim­mung, ent­springt eine Ver­sa­ti­li­tät, von der man in der Ge­schich­te der Ita­lie­ner kei­ne Spur fin­det. Die­sen kommt es im­mer auf die Sa­che an, die sie wol­len. Die bür­ger­li­chen Un­ru­hen, die ganz Ita­li­en so vie­le Jahr­hun­der­te lang zer­ris­sen ha­ben, wä­ren durch blo­ße Be­ge­ben­hei­ten und Zu­fäl­le nicht so lan­ge un­ter­hal­ten. Ihr Cha­rak­ter ist we­sent­lich ver­schie­den von dem Fak­ti­ons­geis­te 2 in der fran­zö­si­schen Ge­schich­te. Mit der Te­na­zi­tät3 der Ita­lie­ner ist eine tie­fe Ver­schmitzt­heit nahe ver­wandt, die mit der Falsch­heit ei­nes ver­sa­ti­len Men­schen, der sein Ver­gnü­gen dar­an fin­det, mit an­de­ren zu spie­len, und schon da­durch be­frie­digt wird, wenn er sie äfft, durch­aus kei­ne Ähn­lich­keit hat. Es ist be­kannt, dass nichts in der Welt mit der Po­li­tik des rö­mi­schen Ho­fes ver­gli­chen wer­den kann, und dass die geist­li­che Int­rigue, als ein zu­sam­men­hän­gen­des Sys­tem die Zwe­cke der Herrsch­sucht zu er­rei­chen, für das voll­kom­mens­te Er­zeug­nis des mensch­li­chen Geis­tes in sei­ner Art an­ge­se­hen wer­den muss. Dies Meis­ter­stück ei­nes fei­nen und dau­er­haf­ten Ge­we­bes konn­te nur in Ita­li­en zu Stan­de ge­bracht wer­den, und hat wie­der einen großen Ein­fluss auf die Den­kungs­art der ita­lie­ni­schen Staats­män­ner ge­habt, die ihre Auf­merk­sam­keit un­auf­hör­lich auf den päpst­li­chen Stuhl rich­ten muss­ten, wel­cher durch sei­ne Be­mü­hun­gen, die christ­li­che Kir­che zu be­herr­schen, zu­gleich mit in alle welt­li­chen Hän­del von Ita­li­en ver­wi­ckelt ward.

In die­sem gan­zen Lan­de ist von Al­ters her ein re­pu­bli­ka­ni­scher Geist ver­brei­tet ge­we­sen, und hat vie­le Jahr­hun­der­te lang einen un­auf­hör­li­chen Kampf mit der Herrsch­sucht ein­zel­ner Häup­ter ge­führt, die in den in­ne­ren Be­we­gun­gen übel ge­ord­ne­ter Ge­mein­den die Mit­tel fan­den, sich zu er­he­ben.

Un­ter der großen Zahl ita­lie­ni­scher Re­pu­bli­ken war al­lein Ve­ne­dig schon früh zu ei­ner fes­ten Ver­fas­sung und in­ne­ren Ruhe ge­langt. In al­len üb­ri­gen ver­folg­ten und ver­trie­ben ein­an­der Par­tei­en: eben so wie vor­mals in den grie­chi­schen Frei­staa­ten ein­zel­ne Ge­schlech­ter mit ih­rem An­hange, und Fak­tio­nen, von Op­ti­ma­ten, von Bür­gern, und von klei­nem Vol­ke, al­les un­ter ein­an­der kämpf­te, und sich wech­sels­wei­se aus­trieb. Sol­chem in­ne­ren Zwis­te war ganz vor­züg­lich das Va­ter­land des Mac­chia­vel­li un­ter­wor­fen; eine der stür­mischs­ten Re­pu­bli­ken, die je­mals exis­tiert ha­ben.

Die Ge­schich­te der letz­ten hun­dert Jah­re, wo Flo­renz als Frei­staat be­stand, von 1432 an, da Cos­mus der Gro­ße von Me­di­ci zu­rück­be­ru­fen ward und die Lei­tung al­ler öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten er­griff, bis zu der end­li­chen Er­nen­nung ei­nes sei­ner Sei­ten­ver­wand­ten, Cos­mus des Ers­ten, zum Her­zog, im Jah­re 1536, ge­hört zu den in­ter­essan­tes­ten Par­ti­en der gan­zen Welt­ge­schich­te. Vor­züg­lich ist die letz­te Hälf­te die­ses Zeit­raums äu­ßerst lehr­reich, we­gen der man­nich­fal­ti­gen Ab­wech­se­lun­gen der Ver­fas­sung, die bei­na­he zu al­len Lehr­sät­zen der Po­li­tik Bei­spie­le wirk­li­cher Er­fah­rung bie­ten.4

Flo­renz war wäh­rend des fünf­zehn­ten Jahr­hun­derts durch das über­wie­gen­de An­se­hen zwei­er Män­ner aus dem Hau­se Me­di­ci be­ru­higt, und in die Zei­ten des letz­te­ren von ih­nen fiel Mac­chia­vel­lis Ju­gend. Cos­mus der Gro­ße und Lo­ren­zo, sein Groß­sohn, hat­ten als ein­fa­che Bür­ger die An­ge­le­gen­hei­ten ih­res Va­ter­lan­des ge­lei­tet, und großen Ein­fluss auf das Schick­sal von ganz Ita­li­en ge­habt. Mac­chia­vel­li kann­te den gan­zen Um­fang ih­rer Ta­len­te und Ver­diens­te: er re­det von ih­nen mit Wär­me und mit dem Wohl­ge­fal­len, wel­ches nie­mand, un­ge­ach­tet al­ler Ver­schie­den­heit der Grund­sät­ze und Ge­sin­nun­gen, Demje­ni­gen ver­sa­gen kann, durch wel­chen das Va­ter­land zu Ehre, Macht und Reich­tum ge­langt ist. Die Grö­ße des letz­ten von je­nen bei­den aus­ge­zeich­ne­ten Män­nern hat­te Mac­chia­vel­li selbst noch ge­se­hen. Er war et­was über zwan­zig Jah­re alt, als Lo­ren­zo von Me­di­ci starb, des­sen Tod all­ge­mein als die Epo­che an­ge­ge­ben wird, mit wel­cher die Zeit des Ge­nus­ses und des Ruhms auf­hör­te, und eine end­lo­se Rei­he von Un­glück und Elend be­gann, das der Ehr­geiz frem­der Mon­ar­chen, die un­ver­stän­di­ge und lei­den­schaft­li­che Herrsch­sucht ein­hei­mi­scher Gro­ßen, der un­bän­di­ge Geist küh­ner Aben­teu­rer und scham­lo­ser Em­por­kömm­lin­ge über Ita­li­en ge­bracht hat­ten, »Mit dem Tode Lo­ren­zos von Me­di­ci fing der Same des Übels an auf­zu­ge­hen, wo­durch, da nie­mand mehr leb­te, der ihn aus­zu­rot­ten ver­stand, Ita­li­en zu Grun­de ge­rich­tet ist, und noch im­mer­fort zu Grun­de ge­rich­tet wird.« Mit die­sen Wor­ten schließt Mac­chia­vel­li sei­ne flo­ren­ti­ni­sche Ge­schich­te. Guic­ciar­di­ni be­ginnt sei­ne Ge­schich­te von Ita­li­en mit der­sel­ben Be­mer­kung. Die Schrift­stel­ler al­ler Par­tei­en stim­men dar­in über­ein.

Nach des großen Man­nes Tode ward sein un­fä­hi­ger Sohn Pie­ro mit sei­nen vor­nehms­ten An­hän­gern ver­trie­ben. Acht­zehn Jah­re lang war Flo­renz ein Spiel re­pu­bli­ka­ni­scher Un­ru­hen. Die Re­pu­blik, die un­ter der Lei­tung des Lo­ren­zo auf die Ver­hält­nis­se der großen Mäch­te von Eu­ro­pa so großen, oft ent­schei­den­den Ein­fluss ge­habt hat­te, ward mit al­len üb­ri­gen ita­lie­ni­schen Staa­ten in den all­ge­mei­nen Stru­del hin­ein­ge­zo­gen, den der Ehr­geiz der fran­zö­si­schen Kö­ni­ge er­reg­te. Von den Hee­res­zü­gen Karl des Ach­ten und Lud­wig des Zwölf­ten ward ganz Ita­li­en wie von Mee­res­wel­len ver­schlun­gen. Wäh­rend die­ser Pe­ri­ode war Mac­chia­vel­li Staats­se­kre­tär der flo­ren­ti­ni­schen Re­pu­blik, und mehr als zwan­zig Mal Ge­sand­ter an großen und klei­nen Hö­fen, in den wich­tigs­ten An­ge­le­gen­hei­ten. Die­se Auf­trä­ge führ­ten ihn zu in­ti­men Ver­hält­nis­sen mit den mäch­tigs­ten Män­nern der Zeit: un­ter an­de­ren mit dem Pan­dol­fo Pe­truc­ci, der sich in Sie­na vom Füh­rer ei­ner Par­tei bis zum Ober­haup­te des Staats em­por­ge­schwun­gen hat­te, und den­sel­ben von 1487 bis an sei­nen Tod, 1512, un­ge­fähr durch Küns­te, wie sie Mac­chia­vel­li lehrt, fast un­um­schränkt be­herrsch­te. Die­ser Pe­truc­ci hat­te den An­fang sei­ner Grö­ße da­mit ge­macht, zwei der wich­tigs­ten Per­so­nen der Ge­gen­par­tei aus dem Wege zu räu­men, und ließ dar­auf sei­nen ei­ge­nen Schwie­ger­va­ter, den Gio­van­ni Bor­ghe­se, einen sehr an­ge­se­he­nen und we­gen sei­ner Ge­lehr­sam­keit be­rühm­ten Mann, des­sen Ein­fluss er fürch­te­te, eben­falls er­mor­den. Er hielt es sei­nem In­ter­es­se an­ge­mes­sen, sich mit den Flo­ren­ti­nern zu ver­bin­den, und über­ließ ih­nen Mon­te Pul­cia­no, über des­sen Be­sitz sie mit den Sie­ne­sern in einen al­ten Streit ver­wi­ckelt wa­ren. Bei der po­li­ti­schen Freund­schaft zwi­schen dem Pan­dol­fo und dem da­ma­li­gen Gon­fa­lo­nie­re Pie­ro So­der­ini, war Mac­chia­vel­li nicht al­lein der Mit­tels­mann, son­dern er un­ter­hielt auch selbst eine ge­naue Ver­bin­dung und freund­li­chen Brief­wech­sel mit dem Ty­ran­nen von Sie­na, wie der Ge­schicht­schrei­ber des­sel­ben5 aus­drück­lich be­merkt. Die Me­di­ci wur­den 1512 in Flo­renz wie­der ein­ge­führt. Gleich im ers­ten Jah­re ent­spann sich eine Ver­schwö­rung ge­gen sie, de­ren Häup­ter Ni­co­lo Va­lo­ri und Gio­van­ni Fol­chi, mit dem Le­ben büß­ten. Mac­chia­vel­li ge­riet als Teil­neh­mer in Un­ter­su­chung, ward ge­fol­tert und ver­bannt, bald dar­auf aber von der Fa­mi­lie, wel­che die Ober­hand be­hal­ten hat­te, we­gen sei­ner großen Ta­len­te ge­sucht. Nicht vol­le zwei Jah­re dar­auf zog ihn Papst Leo X. durch sei­nen Freund, den ge­mein­schaft­li­chen Lands­mann und flo­ren­ti­ni­schen Ge­sand­ten zu Rom, Vet­to­ri, über die ver­wi­ckel­ten An­ge­le­gen­hei­ten Ita­li­ens, und über die Ver­hält­nis­se zu den frem­den Mäch­ten, wel­che er als Staats­se­kre­tär der Re­pu­blik und als Ge­sand­ter so ge­nau ken­nen ge­lernt hat­te, zu Rate, wie aus den Brie­fen des Vet­to­ri er­hellt. Aber noch nä­her als al­les die­ses lag dem Mac­chia­vel­li die Fra­ge, wie die Me­di­ci das wie­der er­lang­te Über­ge­wicht in ih­rem Va­ter­lan­de be­nut­zen wür­den?

Die Ahn­herrn ih­res Ge­schlechts hat­ten, wie ge­sagt, als ein­fa­che Bür­ger die öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten des­sel­ben aus ih­rem Ka­bi­net ge­lei­tet, ohne die äu­ße­re De­ko­ra­ti­on ei­ner hö­he­ren Wür­de zu ver­lan­gen. Aber die Zei­ten hat­ten sich ge­än­dert. In Frank­reich, in Spa­ni­en, in Deutsch­land hat­ten sich seit Kur­zem kräf­ti­ge Mon­ar­chi­en er­ho­ben. Ita­li­en hin­ge­gen ward von in­ne­ren Zwis­tig­kei­ten zer­ris­sen. Ins­be­son­de­re war Mit­te­li­ta­li­en voll klei­ner Her­ren, die sich al­les er­laub­ten, um zu der höchs­ten Ge­walt in ih­rer Va­ter­stadt, und zu der Herr­schaft über klei­ne Distrik­te um­her, zu ge­lan­gen. Meh­re­re Päps­te hat­ten mit ei­ni­gem Er­fol­ge ge­sucht, in ih­ren Fa­mi­li­en Herr­schaf­ten zu grün­den, die da­hin füh­ren konn­ten, die ita­lie­ni­schen Frei­staa­ten und Fürs­ten zu ei­nem Bun­de un­ter Lei­tung ei­nes an­ge­se­he­nen Ober­haup­tes zu ver­ei­ni­gen. So hat­te sich das Haus del­la Ro­ve­re durch zwei Päps­te, Six­tus den Vier­ten und Ju­li­us den Zwei­ten, aus dem Stau­be zu der her­zog­li­chen Wür­de von Ur­bi­no em­por­ge­schwun­gen. Mit grö­ße­rem Nach­dru­cke hat­te Alex­an­der der Sechs­te sei­nen Sohn Cäsar Bor­gia zu ei­nem ge­fürch­te­ten Herrn in Ro­ma­gna ge­macht. Leo der Zehn­te konn­te sei­nen Ver­wand­ten noch mit ganz an­de­rer Kraft un­ter­stüt­zen, als Alex­an­der den sei­ni­gen. Denn was der Spa­nier Bor­gia bloß durch sein päpst­li­ches An­se­hen zu Stan­de brin­gen muss­te, das un­ter­nahm Leo mit dem gan­zen Ge­wich­te des Hau­ses Me­di­ci, wel­ches im mäch­ti­gen und rei­chen Flo­renz so tie­fe Wur­zeln ge­schla­gen hat­te. Ein Kind sei­ner Zeit war er nicht da­mit zu­frie­den, sei­nem Ge­schlech­te die Lage im Va­ter­lan­de zu si­chern, in der sich sei­ne Vor­fah­ren be­fun­den hat­ten. Der große Lo­ren­zo war schon von der Le­bens­art der­sel­ben et­was ab­ge­wi­chen: er hat­te sich mit ei­ner Prin­zes­sin Or­si­ni ver­mählt, und sei­nen Reich­tum an­ge­wandt, Land­gü­ter zu kau­fen, die mehr der Grund­la­ge ei­nes Fürs­ten­tums, als Pri­vat­be­sit­zun­gen ei­nes Bür­gers gli­chen. Leo X. mach­te sei­nen Nef­fen Lo­ren­zo zum Her­zo­ge von Ur­bi­no, und leg­te es dar­auf an, die­sem und nach ihm im­mer dem Haup­te der Fa­mi­lie einen An­teil an der Re­gie­rung von Flo­renz zu­zu­wen­den, der in sei­nem Um­fan­ge und in der Art der Aus­übung ei­ni­ge Ähn­lich­keit mit der Herr­schaft hat­te, die Au­gus­tus in Rom nach der Auf­lö­sung der Tri­um­vi­ra­te führ­te.

Lo­ren­zo ward Ober­haupt der Kriegs­macht, und führ­te den Ti­tel: Il Ma­g­ni­fi­co (der Präch­ti­ge). In den öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten durf­te nichts ohne sei­ne Ge­neh­mi­gung ge­sche­hen. Den­noch be­stan­den alle re­pu­bli­ka­ni­schen For­men, und er über­ließ die ge­sam­ten Stel­len in der Ver­wal­tung Bür­gern, die je­doch nur un­ter sei­nem Ein­flus­se ge­wählt wur­den. Im We­sent­li­chen war es eben so schon da­mals zu­ge­gan­gen, als sei­ne großen Vor­fah­ren re­gier­ten. Seit un­denk­li­chen Zei­ten war aus re­pu­bli­ka­ni­scher Ei­fer­sucht die ob­rig­keit­li­che Ge­walt nur auf we­ni­ge Mo­na­te ver­lie­hen. Jahr­hun­der­te lang bil­de­ten bald acht, bald zehn, bald zwölf Per­so­nen, un­ter dem Ti­tel: »Prio­ri dell’ ar­ti«, »Prio­ri del­la Li­ber­tà«, »Ot­to del­la pra­ti­ca«, oder an­de­ren Na­men, den obers­ten Rat der Re­pu­blik, der un­ter dem Vor­sitz des Gon­fa­lo­nie­re meist alle zwei Mo­na­te wech­sel­te. Die Per­so­nen, wel­che be­stimmt wa­ren, nach und nach ein­zu­tre­ten, wur­den von ei­nem Aus­schus­se von Bür­gern auf eine Rei­he von Jah­ren im Voraus ge­wählt. Die­sen Aus­schuss aber setz­te die mäch­tigs­te Par­tei des Au­gen­blicks, die sich un­ter dem Na­men »ba­lia« eine au­ßer­or­dent­li­che Ge­walt an­maß­te, will­kür­lich zu­sam­men. Bei die­sem be­stän­di­gen Wech­sel der Staats­be­am­ten ward eine ge­hei­me Di­rek­ti­on der öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten not­wen­dig. Die­se ging lan­ge von dem Ka­bi­net­te der Me­di­ci aus, und eben in je­nen un­auf­hör­li­chen äu­ßern Ver­än­de­run­gen, wo­durch die Ver­fas­sung den An­schein ei­ner De­mo­kra­tie er­hielt, lag ein Mit­tel, das An­se­hen der Fa­mi­lie zu be­fes­ti­gen, wel­che sich durch ih­ren Reich­tum, ihre Ver­wandt­schaf­ten, den Ver­stand und die Re­gie­rungs­weis­heit ei­ni­ger aus­ge­zeich­ne­ten Häup­ter, einen so großen An­hang ge­macht hat­te. So oft die Me­di­ci nach ei­nem kur­z­en Exil in ihr Va­ter­land zu­rück­ge­kehrt wa­ren, hat­ten sie die re­pu­bli­ka­ni­schen For­men, die sie für sich selbst so vor­teil­haft fan­den, be­schützt. Es scheint, Leo X. woll­te un­ge­fähr auf glei­che Art sein Va­ter­land be­herr­schen. Aber der ehr­gei­zi­ge eit­le Nef­fe, der mehr auf sei­nen Va­ter, den Pie­ro, der we­gen sei­nes un­ver­stän­di­gen Leicht­sinns ver­trie­ben war, als auf sei­nen wei­sen Groß­va­ter Lo­ren­zo ar­te­te, ver­lang­te mehr. Mac­chia­vel­li, der ihn dar­an nicht hin­dern konn­te, der we­der in Flo­renz eine Par­tei hat­te, die mäch­tig ge­nug ge­we­sen wäre, die Re­pu­blik her­zu­stel­len, noch Ein­fluss ge­nug auf den Papst, um die An­ge­le­gen­hei­ten sei­nes Va­ter­lan­des auf die­sem Wege zu lei­ten, wand­te sich an den neu­en Her­zog von Ur­bi­no und gab ihm in dem Bu­che, wel­ches er aus­drück­lich für die­sen Zweck schrieb, Ratschlä­ge, wie er sich zum Herrn ma­chen und wie er die Herr­schaft be­haup­ten kön­ne. Von sei­ner per­sön­li­chen Ver­bin­dung mit die­sem Fürs­ten ist üb­ri­gens nichts Nä­he­res be­kannt. Sein gan­zes Le­ben in die­ser Zeit ist bei­na­he noch völ­lig im Dun­keln.

Der frü­he Tod des Her­zogs von Ur­bi­no un­ter­brach 1519 die Plä­ne, die Mac­chia­vel­li auf den un­ter­neh­men­den Geist des­sel­ben ge­baut ha­ben moch­te; nun be­nutz­te er sei­ne Ver­bin­dung mit dem Papst Leo, die­sem einen Ent­wurf vor­zu­le­gen, wie Flo­renz durch eine neue Ver­fas­sung be­ru­higt wer­den kön­ne, in­dem die Lie­be der Ein­woh­ner zur Re­pu­blik be­frie­digt, und zu­gleich dem Papst Leo ein dau­ern­der Ein­fluss auf die­sel­be für die Zeit sei­nes Le­bens ge­si­chert wür­de. Die­sen Ent­wurf wird je­der, der die Ge­schich­te von Flo­renz seit dem Tode des großen Lo­ren­zo, die Par­tei­en, die das Ge­mein­we­sen zer­ris­sen, ihre Wün­sche und die Be­dürf­nis­se des Staats aus den Quel­len ken­nen ge­lernt hat, für ein Meis­ter­stück er­ken­nen. Der Ver­fas­ser des­sel­ben hat­te nicht die Be­frie­di­gung, sei­ne Ide­en aus­ge­führt zu se­hen, die ver­mut­lich dem Ehr­gei­ze der Me­di­ci noch nicht ge­nug ein­räum­ten.

Lo­ren­zo war so jung ge­stor­ben! Papst Leo folg­te ihm bald dar­auf in sei­nen bes­ten Jah­ren. Den­noch ent­stand kei­ne Ver­än­de­rung in der Lage des flo­ren­ti­ni­schen Staa­tes. Das Schick­sal rief vie­le Ge­ne­ra­tio­nen hin­durch die ein­zel­nen Häup­ter der Me­di­ci früh­zei­tig ab: der Fa­mi­lie hat­te es die Herr­schaft von Flo­renz be­stimmt. Seit dem großen Cos­mus war kein be­deu­ten­der Me­di­ci fünf­zig Jah­re alt ge­wor­den; aber so oft ei­ner aus die­sem Hau­se den Schau­platz ver­ließ, trat al­le­mal ein an­de­rer wie­der auf, frei­lich mit sehr ver­schie­de­nem Maße von Ta­len­ten aus­ge­rüs­tet, und mit ab­wech­seln­dem Glücke. Jetzt traf die Rei­he den Ju­li­us, der zu­erst als Kar­di­nal und bald dar­auf als Papst Cle­mens der Sie­ben­te Haupt der Fa­mi­lie ward. Von ihm hing nun­mehr das Schick­sal der Re­pu­blik ab. Eine Par­tei, die aus den vor­züg­lichs­ten jun­gen Män­nern von Flo­renz be­stand, mit de­nen Mac­chia­vel­li in der in­tims­ten Ver­bin­dung leb­te, und zu de­ren Be­leh­rung er sei­ne Be­trach­tun­gen über den Li­vi­us ge­schrie­ben, die zwei­en der­sel­ben, dem Za­no­bi Buon­del­mon­ti und Co­si­mo Ruc­cel­lai, zu­ge­eig­net sind, – die­ser Club, der von den Gär­ten Ruc­cel­lai, wo er sich ver­sam­mel­te, be­nannt ward, mach­te Plä­ne zu ei­ner Her­stel­lung der Re­pu­blik, die dem Kar­di­na­le Gi­u­lio vor­ge­legt wur­den. Die Hoff­nung, die man auf sei­ne an­schei­nen­de Mä­ßi­gung ge­baut hat­te, ward ver­ei­telt. Er be­wies auch hier die furcht­sa­me ver­schlos­se­ne Falsch­heit, die sein gan­zes Le­ben cha­rak­te­ri­siert. Er hat­te nie die Ab­sicht ge­hegt, zu will­fah­ren, oder er än­der­te sei­ne Ent­schlie­ßung, als er sah, wo­hin die Plä­ne, die man ihm an­gab, füh­ren wür­den. Aber der Pa­trio­tis­mus je­ner Freun­de der Frei­heit war ernst­lich ge­meint. Sie mach­ten (1523) An­stalt, ih­ren Ent­wurf mit Ge­walt aus­zu­füh­ren, und den Kar­di­nal, der im Wege stand, weg­zuräu­men. Die Ver­schwö­rung ward ent­deckt. Lu­i­gi Ala­man­ni und Ja­co­po da Dia­ce­to ver­lo­ren das Le­ben auf dem Blut­ge­rüs­te. Za­no­bi Buon­del­mon­ti, ein an­de­rer Lu­do­vi­co Ala­man­ni, (dem Mac­chia­vel­li sein Le­ben des Ca­struc­cio Ca­stra­ca­ni zu­ge­eig­net hat), Ba­tis­ta del­la Pal­la, An­ton Bruc­cio­li und ei­ni­ge ih­rer An­hän­ger ge­rin­ge­ren Stan­des wur­den ver­bannt. Mac­chia­vel­li war eben­falls in die­se Un­ter­neh­mung ver­wi­ckelt: er ent­floh.6 Die Me­di­ci fühl­ten sich noch nicht stark ge­nug, den re­pu­bli­ka­ni­schen Geist der Flo­ren­ti­ner zu un­ter­drücken: sie ver­such­ten es, ihn ein­zu­schlä­fern, in­dem sie die letz­ten Vor­fäl­le mög­lichst ge­schwind ver­ges­sen lie­ßen. Der Kar­di­nal fürch­te­te Er­bit­te­rung zu er­re­gen, die sei­nen Ab­sich­ten auf den päpst­li­chen Stuhl hin­der­lich ge­we­sen wäre. Als er die­sen ein Jahr dar­auf wirk­lich be­stieg, such­te Mac­chia­vel­li sich wie­der an ihn an­zu­schlie­ßen, und er­hielt Auf­trä­ge von Wich­tig­keit, von ihm und von der flo­ren­ti­ni­schen Re­gie­rung. We­ni­ge Jah­re dar­auf er­laub­ten die Um­stän­de noch einen Ver­such zur Wie­der­her­stel­lung der Re­pu­blik zu ma­chen. 1527 wur­den die Me­di­ci aufs Neue ver­trie­ben und die Frei­heit pro­kla­miert. Mac­chia­vel­li er­schi­en so­gleich in sei­ner Va­ter­stadt. Al­lein die Be­mü­hun­gen sei­ner Freun­de Za­no­bi Buon­del­mon­ti und Lu­i­gi Ala­man­ni, ihn in den Rat von zehn Män­nern wäh­len zu las­sen, dem die Lei­tung der öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten über­ge­ben wer­den soll­te, wur­den durch die all­ge­mei­ne Ab­nei­gung ver­ei­telt, die das Volk ge­gen den Rat­ge­ber der Me­di­ci und den Ver­fas­ser des Buchs vom Fürs­ten ge­fasst hat­te. Ver­geb­lich such­te er die Schrift zu un­ter­drücken, wel­che sei­ne Ge­sin­nun­gen so ver­däch­tig mach­te.7 Der Ver­druss über die fehl­ge­schla­ge­nen Ver­su­che, sich wie­der zu he­ben, hat­te ver­mut­lich An­teil an sei­nem Tode, der bald dar­auf er­folg­te.

Die Re­pu­blik, die der En­thu­si­as­mus des Volks un­ter güns­ti­gen Um­stän­den er­rich­tet hat­te, un­ter­lag nach zwei Jah­ren der ver­ein­ten Macht des Paps­tes und des Kai­sers. Nach­dem Cle­mens der Sie­ben­te sie durch Un­ter­stüt­zung Karl des Fünf­ten be­zwun­gen hat­te und mit ihr nach Ge­fal­len wal­ten konn­te, er­neu­er­ten die Freun­de des Mac­chia­vel­li zum letz­ten Male ihre Be­mü­hun­gen. Sie ba­ten den Papst, ne­ben der ers­ten Stel­le in der Re­pu­blik, die er sei­nem an­geb­li­chen Nef­fen Ales­san­dro zu­wen­den woll­te, die Haupt­zü­ge ei­ner re­pu­bli­ka­ni­schen Ver­fas­sung be­ste­hen zu las­sen, wel­che schon Mac­chia­vel­li dem Paps­te Leo X. emp­foh­len hat­te. Das We­sent­li­che die­ses Ent­wurfs, wo­durch die Bür­ger einen wirk­li­chen An­teil an der Ver­wal­tung des Staats er­hal­ten hät­ten, ver­warf Cle­mens: den An­schein be­hielt er an­fangs bei, nahm bald aber auch die­ses Schat­ten­bild ei­nes Ge­mein­we­sens weg. Ales­san­dro ward 1531 un­um­schränk­ter Herr, und ge­noss sei­ne Grö­ße als ein ech­tes Kind des Glücks, das we­der durch Ta­len­te, noch durch ei­ge­ne, sei­en es rühm­li­che, sei­en es ruch­lo­se Un­ter­neh­mun­gen, son­dern bloß durch die Macht ei­nes an­de­ren er­ho­ben war. Mit Dir­nen und Buhl­kna­ben, wie Ta­ci­tus vom Do­mi­ti­an sagt, spiel­te er den Fürs­ten, zog Schmau­se­rei­en und Mas­ken­bäl­le fürst­li­chen Be­schäf­ti­gun­gen vor, zu de­nen es ihm mehr an Lust als an Ge­schick­lich­keit fehl­te, und er­hielt nach fünf Jah­ren von ei­nem Vet­ter Lo­ren­zi­no von Me­di­ci den Lohn sei­ner Nichts­wür­dig­keit, ohne dass die­ser Mord den flo­ren­ti­ni­schen Re­pu­bli­ka­nern zu Gute ge­kom­men wäre. Ein an­de­rer Me­di­ci, Cos­mus, ward 1536 zum Her­zo­ge aus­ge­ru­fen, und nach ei­nem Sie­ge über die re­pu­bli­ka­ni­sche Par­tei, die sich zum letz­ten Male un­ter An­füh­rung des Fil­ip­po Stroz­zi er­hob, wirk­li­cher Be­herr­scher von Flo­renz. Die­ser be­ru­hig­te end­lich das Volk: er be­zähm­te die Wi­der­spens­ti­gen, be­sänf­tig­te die Ge­mü­ter, lähm­te jede ge­fähr­li­che Kraft, schmei­chel­te dem Ta­len­te, be­schenk­te, ver­sorg­te, ehr­te alle, die be­rech­tig­te oder un­be­rech­tig­te An­sprü­che mach­ten;8 und er­stick­te da­mit das gan­ze Ge­schlecht vor­züg­li­cher Män­ner al­ler Art, wo­durch Flo­renz bis auf sei­ne Zei­ten als der hells­te Stern in der neue­ren Ge­schich­te der Kul­tur des mensch­li­chen Geis­tes ge­glänzt hat­te.

In die Mit­te die­ser Pe­ri­ode fällt das Le­ben des Mac­chia­vel­li (von 1469 bis 1527). In der an Ta­len­ten, Küns­ten und Wis­sen­schaf­ten al­ler Alt rei­chen Stadt, in ei­nem Vol­ke, das sich durch den leb­haf­tes­ten Ver­stand und die hef­tigs­ten Lei­den­schaf­ten aus­zeich­ne­te, un­ter den Stür­men ei­ner un­si­che­ren Ver­fas­sung und den häu­fi­gen Ka­ta­stro­phen der­sel­ben war er selbst un­auf­hör­lich tä­tig. Die Ge­schäfts­welt hat­te ihn ge­bil­det. Der ei­ge­nen Er­fah­rung ver­dank­te er es, dass er aus den großen Schrift­stel­lern des Al­ter­tums mehr lern­te, als an­de­re dar­in fin­den. Sie gab sei­nem Ur­tei­le über die frü­he­re Ge­schich­te und über die Er­eig­nis­se sei­ner Zeit die tref­fen­de Schär­fe, die man im­mer mehr be­wun­dert, je mehr man sei­ne Be­mer­kun­gen mit dem ver­gleicht, was sei­nem Va­ter­lan­de nach sei­nem Tode wi­der­fuhr. Die Ver­hält­nis­se, in die er ver­wi­ckelt war, hat­ten ihm das In­ne­re der Re­pu­bli­ken und die Ge­heim­nis­se der Fürs­ten auf­ge­deckt. Er ver­stand sich auf die Po­li­tik je­der Par­tei. Man fin­det ihn aber auch in den ent­ge­gen­ge­setz­tes­ten Fak­tio­nen.

Er lieb­te die Ver­fas­sung, in der er ge­bo­ren und so lan­ge Zeit auf die glän­zends­te Art tä­tig ge­we­sen war. Aber er moch­te wol in ge­wis­sen Au­gen­bli­cken dar­an ver­zwei­feln, eine dau­ern­de Re­pu­blik in Flo­renz her­ge­stellt zu se­hen. Er zeigt selbst im sieb­zehn­ten Ka­pi­tel des drit­ten Buchs sei­ner »Dis­cor­si«, dass ein ver­dor­be­nes Volk sich schwer­lich bei der Frei­heit er­hal­ten kön­ne; und im fol­gen­den Ka­pi­tel, dass es eben so schwer sei, die ver­lor­ne Frei­heit wie­der her­zu­stel­len. Er sagt es ge­ra­de her­aus, ei­nem sol­chen Vol­ke sei es bes­ser, dass sich sei­ne Staats­ver­fas­sung der Al­lein­herr­schaft ei­nes Ein­zi­gen nä­he­re: und die An­wen­dung auf sein Va­ter­land liegt nahe ge­nug!

Im An­fan­ge des sie­ben­ten Buchs sei­ner Ge­schich­te be­merkt er, dass die in­ne­ren Un­ei­nig­kei­ten das Le­ben der Re­pu­bli­ken aus­ma­chen, und ihre Stär­ke ver­meh­ren, so lan­ge sie nicht in An­hang ein­zel­ner Häup­ter oder Fa­mi­li­en aus­ar­ten; so­bald aber die­ses ein­tritt, den Staat schwä­chen und das We­sen der Re­pu­blik ver­nich­ten. In Flo­renz, sagt er selbst, wa­ren alle in­ne­ren Zwis­tig­kei­ten von die­ser ver­derb­li­chen Art. »Da­her wis­sen die Flo­ren­ti­ner die Frei­heit nicht zu be­haup­ten, und kön­nen die Knecht­schaft nicht er­tra­gen.«

In der Tat, wenn man die in­ne­re Ge­schich­te von Flo­renz über­denkt, de­ren letz­te Ka­ta­stro­phen oben an­ge­ge­ben sind, so fin­det man, dass die Re­pu­blik in den schlech­ten Zei­ten nur elen­de An­ar­chie, in den bes­se­ren mas­kier­te Mon­ar­chie ge­we­sen war.

Von der frü­he­ren Zeit sagt Mac­chia­vel­li im An­fan­ge des drit­ten Buchs sei­ner Ge­schich­te: »Die in­ne­ren Un­ei­nig­kei­ten, wel­che in Rom Wett­ei­fer und Streit er­reg­ten, sind in Flo­renz sehr frü­he in Fak­tio­nen und in­ne­ren Krieg aus­ge­ar­tet. In Rom ver­an­lass­ten sie neue Ge­set­ze, um ab­zu­hel­fen: in Flo­renz en­dig­ten sie stets mit Mord und Ver­ban­nung an­ge­se­he­ner Bür­ger. In Rom dienten sie dazu, dass ein­zel­ne große Häup­ter sich er­ho­ben. In Flo­renz ha­ben sie al­les gleich ge­macht. In Rom woll­te das Volk der größ­ten Ehren gleich dem Adel teil­haft wer­den. In Flo­renz woll­te es aus­schließ­lich herr­schen. Die neu­en er­zwun­ge­nen Ge­set­ze wa­ren da­her un­ge­recht ge­gen den Adel. In Rom wur­den die Nied­rig­ge­bor­nen im­mer ed­ler und fä­hi­ger, die Stel­len zu be­klei­den, nach de­nen sie streb­ten. Durch ihre zu­neh­men­de Kraft und Ta­len­te ward der Staat groß. In Flo­renz wur­den die Ed­len aus den öf­fent­li­chen Äm­tern ver­trie­ben, und muss­ten dem nied­ri­gen Vol­ke gleich wer­den, um zu je­nen zu ge­lan­gen. Die ed­len Ei­gen­schaf­ten, wo­durch die Män­ner aus dem Vol­ke in Rom den Edel­ge­bor­nen gleich zu wer­den trach­te­ten, wur­den in Flo­renz auch im Adel aus­ge­löscht. So ward der Staat im­mer nied­ri­ger und ver­ächt­li­cher. So wie Rom durch den Über­mut der Bür­ger da­hin ge­riet, dass es nicht mehr ohne einen Herrn be­ste­hen konn­te, so kam es mit Flo­renz da­hin, dass jede Ver­fas­sung durch eine ge­schick­te Hand auf­ge­drun­gen wer­den konn­te.«

Die al­ten Zwis­tig­kei­ten des Adels mit dem Vol­ke, von de­nen Mac­chia­vel­li hier re­det, en­dig­ten um die Mit­te des vier­zehn­ten Jahr­hun­derts mit der Ty­ran­nei des Her­zogs von Athen,9 der den Flo­ren­ti­nern durch nea­po­li­ta­ni­sche Waf­fen auf­ge­drun­gen ward. Aber nach der Ver­trei­bung des­sel­ben teil­te sich das Volk aufs Neue in Fak­tio­nen der Bür­ger und des ge­mei­nen Pö­bels, wel­che aber­mals den Staat zer­ris­sen, bis die Fa­mi­lie Me­di­ci im fünf­zehn­ten Jahr­hun­der­te mäch­tig ge­nug ward, ihm Fes­tig­keit und in­ne­re Ruhe zu ge­ben, die je­doch von Zeit zu Zeit durch ge­walt­sa­me Ka­ta­stro­phen un­ter­bro­chen ward. Als die­ser Zu­stand 1492 mit dem Tode des Lo­ren­zo von Me­di­ci en­dig­te, und das gan­ze Ge­schlecht des­sel­ben ver­trie­ben ward, leb­te der de­mo­kra­ti­sche Geist wie­der auf. Aber in ei­nem Staa­te, in dem man so we­nig Bür­ger­geist, da­für de­sto mehr Partei­wut kann­te, war es nicht mög­lich, einen dau­er­haf­ten Zu­stand zu be­grün­den. Die Fa­mi­lie der Me­di­ci, wel­che sech­zig Jah­re lang (von 1432 bis 1492) mit so großem ei­ge­nen Ruh­me ihr Va­ter­land zu Grö­ße, Ehre und Ruhm ge­führt, und in­ner­lich ei­ni­ger­ma­ßen ru­hig ge­hal­ten hat­te, konn­te dies nur da­durch be­wir­ken, dass sie den Staat durch eine Par­tei re­gier­te, die sich hin­ter re­pu­bli­ka­ni­sche For­men ver­steck­te, ohne dem Vol­ke wah­ren An­teil an der Ver­wal­tung zu ver­stat­ten. Sie hat­te be­stän­dig, wie man sich in un­se­ren Ta­gen aus­drücken wür­de, eine Art von re­vo­lu­tio­närer Re­gie­rung ge­führt. Sie be­haup­te­ten näm­lich, wie Mac­chia­vel­li ih­nen vor­wirft, dass Flo­renz nicht an­ders re­giert wer­den kön­ne, als durch eine von fünf zu fünf Jah­ren zu wie­der­ho­len­de au­ßer­or­dent­li­che Maß­re­gel, (»Ri­pig­liar lo Sta­to« ge­nannt), wo­durch die ge­fähr­li­chen Bür­ger will­kür­lich aus der Stadt oder von öf­fent­li­chen Äm­tern ent­fernt, die­se aber eben so will­kür­lich mit Hin­t­an­set­zung al­ler vor­ge­schrie­be­nen For­men be­setzt wur­den: das heißt, sagt Mac­chia­vel­li, alle fünf Jah­re den Schre­cken und die Furcht er­neu­ern, wo­durch das ers­te Mal die­je­ni­gen Men­schen in die Flucht ge­schla­gen wa­ren, wel­che, mit den Me­di­ci zu re­den, schlecht ge­han­delt hat­ten.

Wahr­lich, eine schö­ne Re­pu­blik, in wel­cher die For­men, Gleich­heit und Teil­neh­mung so vie­ler Bür­ger an den öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten vor­spie­geln, in der Tat aber eine Fa­mi­lie un­um­schränk­ter herrscht, als ein Fürst nur im­mer könn­te; wo die­se Fa­mi­lie um de­sto ei­fer­süch­ti­ger alle ent­fernt, de­ren An­sprü­che sie fürch­tet, weil sie das öf­fent­lich an­er­kann­te Recht al­le­zeit ge­gen sich hat! Cos­mus ist ein großer Mann, Lo­ren­zo ein noch grö­ße­rer Mann ge­we­sen. Aber ist der Staat frei zu nen­nen, wo sol­che Män­ner aus­schließ­lich re­gie­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­10­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­