Oskar Feifar

Maulwurfhatz

Kriminalroman

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1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Erdbeertorte / photocase.de

ISBN 978-3-8392-5114-0

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Widmung

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 war eines der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Bis zu diesem Tag starben dort insgesamt 374 Menschen, deren Tod später von der ›Arbeitsgemeinschaft 13. August‹ untersucht wurde, die zu dem Schluss kam, dass es sich bei 137 Fällen um sogenannte »Maueropfer« handelte, die den »Mauerschützen« zum Opfer gefallen waren. Gestorben für ihren Wunsch, in Freiheit leben zu können. Der letzte Mensch, der an der Berliner Mauer durch Schüsse starb, war Chris Gueffroy in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar 1989.

Nur acht Tage nach dem Mauerfall, am 17. November 1989, gingen in Prag Studenten auf die Straßen. Das war der Anfang vom Ende des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei. Nach dem Zusammenbruch verschwanden auch die Grenzanlagen an der 453 Kilometer langen Grenze zu Österreich, die in Zeiten des Kalten Krieges zu den am schärfsten bewachten der Welt zählte. Bis zur Öffnung starben an dieser Grenze weit mehr Menschen als an der Berliner Mauer. Es gab über 600 Tote in den Reihen der Grenzsoldaten. Umgekommen im Minenfeld, durch den elektrischen Stacheldraht, Selbstmord oder gegenseitigen Beschuss. 129 Menschen verloren ihr Leben bei Fluchtversuchen. Der letzte im Juli 1989. Sein Name ist der breiten Öffentlichkeit allerdings nicht bekannt. Genau wie die der anderen Opfer.

Dieses Buch ist jenen 129 Menschen gewidmet, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Grenzgebiet zwischen Österreich und der Tschechoslowakei gestorben und in Vergessenheit geraten sind.

Kapitel 1

Wie für jeden anderen Menschen auch, gab es für den Bezirksinspektor Strobel, seines Zeichens Postenkommandant auf dem Gendarmerieposten in Tratschen, einiges, das sein Blut nicht sonderlich in Wallung brachte. Speziell im Alltag, der bei Weitem nicht so aufregend war, wie man sich das bei einem Hüter des Gesetzes vorstellen mochte. Der Brief, den er jetzt in Händen hielt und den er schon dreimal hintereinander gelesen hatte, war ihm allerdings nicht wurscht. Und das lag nicht nur daran, dass er von seinem besten Freund, dem Dorfpfarrer Römer, war, sondern auch am Inhalt. Oder besser gesagt, vor allem am Inhalt.

Dass er nicht mehr in Tratschen bleiben wolle, weil er dies mit seinem Gewissen als Geistlicher nicht vereinbaren könne und dass es ihm leidtäte, dem Strobel die Gründe für diese Entscheidung nicht mitteilen zu können. Zu gern, so schrieb Hochwürden, hätte er sich erklärt. Doch sei ihm dies bei aller Freundschaft leider nicht möglich. Nicht näher genannte Umstände hätten diesen Entschluss von ihm gefordert. Umstände, die ihn auch daran hindern würden, noch einmal einen Fuß in den Ort zu setzen. Eine Pause brauche er. Und Abstand.

So stand es in dem Brief zu lesen. Doch so klar die Botschaft auch formuliert war, der Strobel verstand sie nicht. Zumal sie völlig überraschend kam. Na gut, wenn er ehrlich war, dann musste er schon zugeben, dass sich sein Freund in den letzten Monaten seltsam verhalten hatte. Auch distanziert war er gewesen. Außerdem hatte er bei ihren Treffen des Öfteren abwesend gewirkt. Kein Wunder nach den Ereignissen des letzten Sommers, wie der Strobel dem Gottesmann zugestand. Denn nur da konnte die Ursache liegen, mutmaßte er und lag damit sehr nahe an der Wahrheit. Allerdings ahnte er nicht im Entferntesten, was genau während des großen Unwetters passiert war, das den Römer derart aus der Bahn geworfen hatte. Wie hätte er auch von der furchtbaren Beichte wissen sollen, die sich der Priester hatte anhören müssen?

Natürlich hatte der Strobel immer wieder nachgefragt, was genau los sei und ob er seinem Freund behilflich sein könne. Aber der hatte keine Hilfe annehmen wollen. Vor zwei Wochen hatte er den Ort verlassen. Urlaub wolle er sich nehmen, hatte er behauptet. Nur für ein oder zwei Wochen. Ein bisschen vom kirchlichen Stress erholen. Und jetzt? Jetzt stand der Strobel mit diesem Brief in der Hand vor dem Postkasten und konnte nicht glauben, was sein Freund in fein säuberlicher Handschrift zu Papier gebracht hatte.

Freilich war er ein erwachsener Mann und von daher natürlich mit der Tatsache vertraut, dass es im Leben Überraschungen gab und einem nicht alle davon gefielen, aber das hier grenzte für ihn an Hochverrat. Er konnte nicht beziffern, wie viele Abende er mit dem Gottesmann verbracht und wie viele wirklich gute Gespräche sie geführt hatten. Das war auch nicht nötig. Fest stand, dass der Strobel öfter als einmal seine emotionalen Hosen vor dem Priester hinuntergelassen und versucht hatte, seine innersten Gefühle zu formulieren. Seelenstriptease quasi.

Ob es sein Privatleben oder dienstliche Belange betroffen hatte, war egal gewesen. Immer war er beim Römer auf offene Ohren gestoßen. Und fast immer hatte der Mann einen klugen Rat für ihn parat gehabt. Auch wenn der das eine oder andere Mal etwas kryptisch ausgefallen war und der Strobel ihn deshalb nicht gleich verstanden hatte.

Jetzt kannst du natürlich sagen, der Strobel habe in diesem Moment voll im Selbstmitleid gebadet, weil ihm sein Grabstein abhandengekommen war und er in Zukunft niemanden mehr hatte, dem er mit seinem Blödsinn ein Ohr abkauen konnte. Und damit hast du zu einem gewissen Teil sicherlich recht. Doch es war nicht nur das. Viel schwerer wogen die Tatsachen, dass er sich einerseits verraten fühlte, andererseits aber das Gefühl hatte, seine Aufgabe als Freund nicht wirklich gut erfüllt und den Römer mit dessen Problemen alleine gelassen zu haben, weil er zu sehr mit seinen eigenen beschäftigt gewesen war.

Es stand noch nicht einmal eine Telefonnummer in dem Brief, unter der er den Römer hätte erreichen können. Eine Adresse auch nicht. Weder im Text noch als Absender auf dem Umschlag. Nur, dass er sich irgendwann melden und seine Erreichbarkeit bekannt geben wolle, hatte er überaus geschäftsmäßig und – für den Geschmack vom Strobel – ziemlich unpersönlich geschrieben. Auf die Idee, sein Freund könnte diese Formulierungen gebraucht haben, weil er nicht so genau gewusst hatte, wie er ihm seinen Entschluss und sein damit verbundenes Bedauern erklären sollte, kam der Strobel vorerst nicht.

Wieder im Haus bekam er das Gefühl, die schlechte Nachricht mit irgendjemandem teilen zu wollen, und entschied, die Frau Doktor anzurufen, mit der er seit nunmehr fast drei Jahren in einem beziehungsähnlichen Verhältnis lebte, wie der Pfarrer Römer ihre Verbindung einmal genannt hatte. Genau betrachtet traf diese Beschreibung ziemlich den Kern der Sache. Zumindest, was den Strobel betraf. Die Frau Doktor ihrerseits hatte nie ein großes Geheimnis aus ihren Gefühlen für ihn und ihre damit verbundenen Vorstellungen gemacht. Wie beispielsweise ihrem Wunsch nach einer gemeinsamen Wohnung. Nur ein Thema von vielen, mit dem der Gendarm seinen Freund Römer immer und immer wieder gelöchert hatte. Aber nur, wie der Strobel als Argument seiner Verteidigung betonte, weil der Römer sich nicht wirklich auf eine verbindliche Antwort festlegen lassen wollte.

Vor allem war die Zusammenziehsache nur die Spitze des Eisberges. Denn in Wahrheit litt der Strobel unter Beziehungsangst. Je näher er und sein Herzblatt sich an einem Tag kamen, desto mehr distanzierte er sich am nächsten wieder, um nur ja auf der sicheren Seite zu bleiben. Ehrlich gesagt war es fast so etwas wie ein Wunder, dass die Frau Doktor sich das gefallen ließ. Vor allem über einen solch langen Zeitraum. Böse Zungen haben später einmal behauptet, dass die Frau in Sachen Partnerschaft wahrscheinlich auch nicht ganz sauber getickt hat. Ansonsten, so die Alleswisser, hätte sie wohl Konsequenzen gezogen.

Ich bin heute noch darüber verwundert, wie viel Anteil die Menschen in Tratschen damals am Liebesleben ihres Postenkommandanten genommen haben. Du glaubst gar nicht, wer sich alles für dieses Thema interessiert hat. Die Tratschweiber im Kaufhaus Hörmann überraschenderweise am allerwenigsten. Um diese Frauen bei der Stange zu halten, hätte der Strobel regelmäßig neue Partnerinnen daherbringen müssen. Dieses dauernde Hin und Her aber langweilte die Damen recht bald. Das war mehr ein Thema für die Normalsterblichen und wurde an anderen Orten besprochen. Zum Beispiel auf der Gemeinde, beim Frisör, bei diversen privaten Kaffeekränzchen und im Wirtshaus. Man könnte auch sagen, der Strobel unterlag mit seiner Einschätzung, dass sein Liebesleben seine Privatangelegenheit war, die er nur mit dem Pfarrer Römer teilte, einem Irrtum. Aber wie dem auch sei.

Die Frau Doktor hob jedenfalls nicht ab. Nicht beim ersten Versuch und auch nicht beim zweiten und dritten. Für den Strobel waren die Pausen zwischen den Anrufversuchen zwar lang genug, aber in Wahrheit waren alle drei nach ungefähr sieben Minuten getan. Zeit, die er nützte, um sich noch mehr leidzutun und grantiger zu werden. Noch nicht einmal der Wein, den er sich der Situation zum Trotz aufmachte, wollte ihm schmecken. So ist es halt gekommen, dass der ansonsten so nüchtern und sachlich wirkende Bezirksinspektor Strobel mitten im Winter, eingemummt in eine riesige Decke, bei Kerzenschein auf seiner Terrasse hockte und mit der ganzen Welt haderte. Zumindest solange, bis das Telefon läutete.

Die Frau Doktor war dran. Sie wollte wissen, wie es ihm gehe, und war ebenfalls bestürzt, als ihr der Strobel von dem Brief erzählte. Die Frau wusste schließlich, dass der Römer für ihren Angebeteten ein sehr wichtiger Mensch geworden war. Außerdem kannte sie den Römer selbst gut genug, um zu wissen, dass da etwas nicht in Ordnung war. Das stank förmlich zum Himmel, wie sie ach so treffend bemerkte. Eine Ahnung, was geschehen sein könnte, hatte aber auch sie nicht. Aber sie wusste, dass der Strobel die nächsten drei Tage frei haben würde, und schlug ihm vor, sie am übernächsten Tag zu besuchen. Weil, wie sie meinte, ihm ein bisschen Abwechslung nicht schaden konnte, um auf andere Gedanken zu kommen. Und weil der gute Mann ohnehin nichts Besseres vorgehabt hatte, sagte er zu.

Danach kam das übliche Verliebten-Gesäusel, mit dem ich dich aber verschonen werde. Es genügt ja, zu wissen, dass von der Gefühlsseite her alles eitel Wonne war zwischen den beiden Turteltäubchen. Es haperte nur an der Umsetzung. Genau das, beschloss zumindest der Strobel, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, sollte sich in nächster Zukunft aber ändern. Und zwar grundlegend. Ein Gedanke, der ihn beflügelte und dazu führte, dass er seine Zelte auf der Terrasse abbrach und sich ins warme Wohnzimmer verzupfte, wo er sich die Zeitungen der letzten Tage schnappte und die Kleinanzeigen durchsah. Auf der Suche nach einem Auto nämlich, das er als Grundstein seines neuen Lebens betrachtete. Insofern nämlich, als ihm klar war, dass er, wenn er zur Frau Doktor nach Korneuburg zog, unbedingt einen fahrbaren Untersatz brauchte. Sollte er das Angebot annehmen, das ihm der Chefinspektor Travnicek von der Kriminalabteilung vor Kurzem gemacht hatte, ginge ohne Fahrzeug ohnehin nichts.

Der Mann hatte dem Strobel völlig überraschend eröffnet, dass er ihn gerne als Verstärkung seiner Mannschaft in Wien hätte. Eine Aufgabe, die einerseits total spannend klang, die er sich aber andererseits nicht wirklich zutraute. Deshalb hatte er, bis zu diesem Tag, darüber kaum nachgedacht. Aber jetzt, nachdem er den Brief vom Römer gelesen hatte und wusste, dass in Zukunft nichts mehr so sein würde, wie es einmal war, begann er zu grübeln. Und ganz gleich, für welche Variante der Veränderung er sich auch entscheiden würde, ohne fahrbaren Untersatz ging nichts. Zudem überlegte er schon eine ganze Weile, ein Auto zu kaufen.

Auf diese Idee war er schon gekommen, als er zum ersten Mal mit dem Bus zu seinem Herzblatt gefahren war. Die Zuckelei und Schaukelei hatte ihn dermaßen genervt, dass ihm bei der Vorstellung graute, diese Fahrt mehrmals pro Woche absolvieren zu müssen. Und weil die Bahn keine Alternative war, hatte er eben den Kauf eines Autos beschlossen. Er war tatsächlich einmal in Wien gewesen, um sich umzusehen, aber zu seinem Leidwesen war dieses Unterfangen nicht so einfach, wie er es sich vorgestellt hatte. Zwar gab es dort unglaublich viele Autohändler, aber nirgends sah er einen Wagen stehen, der ihm zu hundert Prozent gefiel. Zumindest nicht in der Preisklasse, die er sich leisten wollte. Denn trotz aller Notwendigkeit wollte es der Sparfuchs in ihm mit dem Geldausgeben nicht übertreiben. Eine Einstellung, die zwar sehr vernünftig war, ihn aber viele Stunden kostete, in denen er auf der Suche nach dem Wagen seiner Träume kreuz und quer durch Wien latschte.

Das Angebot war fast überall gleich. Opel Kadett, Opel Ascona, Ford Escort, Ford Capri, VW Käfer. Alles Modelle, die den Strobel nicht in Verzückung versetzt haben. Denn, was das Thema Auto anging, lebte der gute Strobel in der Vergangenheit. Will heißen, ihm haben die älteren Automobile mit ihren rundlichen Formen und wuchtigen Chromstoßstangen viel besser gefallen. Ganz besonders toll fand er Heckflossen. Je länger er also schaute, desto konkreter wurde das Bild in seinem Kopf. Er fand allerdings nichts Passendes und ließ die Autokauferei vorerst bleiben. Bis jetzt.

Wie das Leben so spielt, stolperte er an diesem Abend über ein passendes Vehikel. Da bot doch tatsächlich jemand einen Simca Chambord an. Baujahr 1961 und angeblich gut in Schuss. Als der Strobel das las, wusste er sofort, dass dies sein Auto war. Er kannte das Modell und war als junger Mann schon von der Karosserieform begeistert gewesen. Hätte er damals Geld gehabt, wäre er längst schon stolzer Besitzer eines solchen Gefährts gewesen.

Jetzt, viele Jahre später, hatte er die Chance, sich diesen Wunsch zu erfüllen. Dass der Simca schon zwölf Jahre auf dem Buckel hatte, störte ihn überhaupt nicht. Zumal der Wagen nur 11.000 Kilometer auf dem Tacho hatte. Das Beste aber war der Preis. Ganze 3.900 Schilling sollte das Auto kosten. Das war weniger als die Hälfte seines angesetzten Budgets. Am liebsten hätte er gleich zum Telefon gegriffen und den Verkäufer angerufen, aber in Anbetracht der späten Stunde verschob er das auf den nächsten Tag und ging ins Bett. Bevor er einschlief, stellte er sich das überraschte Gesicht der Frau Doktor vor, wenn er übermorgen mit einem neuen Auto vor der Tür stand. Rechtzeitig vor ihrer geplanten Urlaubswoche nämlich. Bei dem Gedanken begann der Strobel glatt darüber zu sinnieren, wohin er mit seiner Holden in der Limousine reisen würde. Eine würdige erste Ausfahrt quasi.

Am nächsten Morgen eilte er noch vor dem Frühstück zum Telefon und wählte die angegebene Nummer. Ein Mann, der ziemlich schlecht Deutsch sprach, hob ab. Sie vereinbarten einen Termin am Nachmittag.

Eilig machte sich der Gendarm auf den Weg zur Dienststelle, um den Berti zu bitten, ihn zum Bahnhof zu fahren. Eine Entscheidung, die er kurz darauf bedauern sollte, weil ihn sein Kollege mit der Nachricht empfing, dass der Major Schuch vom Bezirkskommando angerufen und den Strobel zu sich beordert hatte. Dringend und ohne unnötigen Aufschub, wie der Berti betonte. In seiner Freizeit nach Hollabrunn zu fahren, nur, um dem Herrn Major einen Besuch abzustatten, wäre dem Strobel unter normalen Umständen im Traum nicht eingefallen. Jetzt da er zum Bahnhof wollte, fand er die Idee gar nicht so schlecht, ersparte sie ihm doch zumindest den Milchkannenexpress, wie die Leute die Bimmelbahn nannten, die zwischen Tratschen und Hollabrunn verkehrte und tatsächlich bei jeder Gelegenheit anhielt. Manchmal sogar an Stellen, an denen es gar keine Stationen gab. Behaupteten zumindest all jene, die von Natur aus eher ungeduldig und von daher nicht wirklich für den Bahnverkehr geschaffen waren. Tatsächlich war das freilich nur ein böses Gerücht.

Der Strobel hatte jedenfalls eine Möglichkeit gefunden, möglichst schnell nach Hollabrunn zu kommen. Den Besuch beim Major würde er schon irgendwie kurzhalten können. Dachte er zumindest, als er den Berti anwies, so schnell zu fahren, wie es mit dem Dienstkäfer möglich war. Und das machte der Berti dann auch. Allerdings nicht, ohne seinen Chef vorher ausdrücklich auf das Fehlen des Blaulichts und des Folgetonhorns aufmerksam zu machen. Beides gab es nämlich in ihrem Einsatzfahrzeug nicht. Eine Folge des Sparerlasses quasi. Genau wie die strenge Rationierung des Treibstoffs. Da wollte von den Gendarmen schon gut überlegt sein, wohin sie fuhren. Einfach so in der Gegend herumstreifen ging nicht. Der Strobel und seine Männer hatten sich darauf geeinigt, das Auto im Ort nicht mehr zu verwenden. Das war für sie problemlos umzusetzen, weil ohnehin kaum etwas passierte, das Einsatzfahrten nötig machte. Und wenn doch, waren sie mit dem Fahrrad genauso schnell am Ort des Geschehens. Von daher brauchte der Strobel sich wegen der Fahrt nach Hollabrunn keine grauen Haare wachsen zu lassen. Die war immerhin dienstlich notwendig, wo doch der Herr Major gerufen hatte.

Was der Strobel nicht wusste, war, dass sich zur gleichen Zeit, in einem Haus am Rande von Tratschen eine kleine Tragödie anbahnte. Die Eheleute Kalvoda saßen sich händchenhaltend am Küchentisch gegenüber und sahen sich traurig in die Augen.

»Bitte geh nicht«, sagte der Ludwig zum wiederholten Male zu seiner Frau und drückte ihre Hand noch fester, als er es ohnehin schon getan hatte.

»Es tut mir leid, aber ich muss. Wenn alles gut geht, bin ich in einer Woche wieder da«, antwortete seine Frau. »Wir haben das alles schon etliche Male besprochen, Ludwig. Du weißt, was zu tun ist, falls etwas schieflaufen sollte. Mach es uns bitte nicht schwerer, als es schon ist.«

»Es tut mir leid, Agnes. Ich habe große Angst.«

»Ich weiß«, sagte die Agnes, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn sanft.

Kapitel 2

Der Kral Martin, einer der vielen fleißigen Bauersleute, die rund um Tratschen daheim waren, befand sich um diese Zeit auf halber Strecke zwischen Tratschen und Laa an der Thaya, wo er sich auf dem Viehmarkt eine Ziege kaufen wollte. Der gute Mann hatte nämlich beschlossen, nicht mehr vom Zuckerrübenanbau leben zu wollen. Er wollte viel lieber Ziegen züchten und Käse herstellen. Das war seit Langem sein innigster Wunsch. Warum es gerade Ziegen sein mussten und keine Rindviecher oder Schafe sein durften, kann ich dir nicht sagen. Aber er wird sich schon was dabei gedacht haben, der Martin. Keine Frage. Jedenfalls war er auf dem Weg, um eine Ziege zu kaufen, als er am Straßenrand ein Pferdegespann stehen sah, an dessen rechtem Hinterrad zwei dunkelhäutige Männer herumwerkelten.

Hilfsbereit wie der Martin von jeher gewesen ist, blieb er stehen und fragte, ob er ihnen vielleicht zur Hand gehen könne, bekam aber keine Antwort. Die beiden sahen ihn nur an und sagten kein Wort. Dem Martin fielen natürlich sofort ihre dunklen Augen, die schwarzen Haare und die für diese Gegend ungewöhnlich braune Haut auf. Da wusste er gleich, dass er es hier mit Fremden zu tun hatte, die möglicherweise seine Sprache nicht konnten. Also wiederholte er seine Frage, wobei er mit Händen und Füßen wild gestikulierte.

Die Männer sahen ihm scheinbar interessiert dabei zu, wie er sich mehr und mehr zum Affen machte, schienen aber immer noch nicht zu begreifen, was er von ihnen wollte. Schließlich wendeten sie sich dem Hinterrad zu und diskutierten in einer Sprache, die der Martin noch nie zuvor gehört hatte. Dafür konnte er sehr deutlich sehen, dass das Kutschenrad gebrochen war.

Da ihn die Männer nicht weiter beachteten, wollte der Martin zu seinem Auto zurückgehen, als er bemerkte, dass sich vom Kutschbock her eine weitere Person näherte. Eine Frau nämlich, die ihn, obwohl er ein guter Katholik, glücklich verheiratet und eine treue Seele war, auf den ersten Blick verzauberte.

Das bunte Kleid mit dem fröhlichen Muster, ihre zarte Gestalt, ihre langen schwarzen Locken, die unter einem leuchtend roten Kopftuch hervorlugten und ihr Gesicht umrahmten, in dem die braunsten Augen strahlten – und von der Unvollständigkeit ihres Gebisses ablenkten –, die er je gesehen hatte, ließen dem Martin den Atem stocken. Er glotzte diese Grazie derart an, dass es ein Segen war, dass seine Frau nicht dabei war.

Die Frau sprach den Martin mit einer unglaublich rauchigen, aber für ihn dennoch sanft klingenden Stimme, in eher schlechtem Deutsch an:

»Die zwei dich nix verstehen. Nix sprechen Sprache. Ich schon bissel sprechen Sprache. Was du wollen?«

»Hilfe? Du brauchen Hilfe?«, antwortete der Martin mit leicht belegter Stimme und machte den gleichen Fehler, den heute noch sehr viele Menschen machen, wenn sie mit jemandem reden, der nicht gut Deutsch kann. Er redete mit ihr wie ein Depp. Alles, nur keine richtigen Sätze. Wie manch einer halt so spricht, wenn er meint, für sein Gegenüber damit verständlicher zu werden. Das ist fast so, als wollten die Leute unbedingt verhindern, dass Fremde unsere Sprache besser lernen. Da braucht man sich nicht wundern, dass viele Zuwanderer eine Mischung aus Wörterbuchdeutsch und Deppensprache sprechen. Schließlich sind wir es, die denen das beibringen. Vielleicht ist das der Grund, warum sich viele Jugendliche, die in Österreich geboren wurden und hier aufgewachsen sind, heutzutage anhören wie jugoslawische Gastarbeiter der ersten Generation.

»Was guckst du, Alter? Hast du Problem, oder was?«

Floskeln, die immer bedrohlich klingen. Ganz egal, ob sie freundlich gemeint sind oder nicht. Da stellen sich unwillkürlich die Nackenhaare auf. Aber wie dem auch sei.

Der Martin hat sich jedenfalls nichts Böses dabei gedacht, als er so mit dem Mädel geredet hat. Im Gegenteil. Er wollte doch nur sichergehen, dass sie ihn verstand. Und das tat sie auch.

»Rad gebrochen. Du nix können helfen. Oder du Rad dabei?«, fragte sie und sah ihn interessiert an. Ein außenstehender Beobachter hätte wahrscheinlich gesagt, sie betrachtete ihn, wie man eine Kakerlake beäugt, wenn man zum ersten Mal eine sieht. Aber der Martin empfand das total anders. Er fühlte sich angestrahlt. Das wiederum ermunterte ihn dazu, einen Schritt weiterzugehen.

»Mein Großvater gewesen Wagner. Kutschenbauer, verstehst du? Vielleicht ich kann Reparatur machen. Darf anschauen Rad?«

Die Maid warf dem Martin einen Blick zu, in dem eindeutig die Frage lag, warum er so komisch daherredete. Aber das ist ihm nicht aufgefallen. Gefragt hat sie ihn aber nicht, sondern nur genickt. Also sah sich der Martin das Rad an und erkannte gleich, dass das ein Totalschaden war.

»Rad kaputt«, stellte er deswegen bedauernd fest und zuckte mit den Schultern. Und obwohl er es kein bisschen böse meinte, war es gut für ihn, dass die beiden Herren kein Deutsch konnten. Denn sonst hätten die vielleicht geglaubt, der Martin wolle sie ein bisschen pflanzen. Also verarschen, wie man heute sagen würde. Damals hat es das Wort ›verarschen‹ noch nicht gegeben. Da haben sich die Leute noch gegenseitig gepflanzt. Oder auch ›gehäkelt‹. Das hat irgendwie viel netter geklungen als ›verarschen‹. Keine Ahnung, wo dieses Wort überhaupt herkommt. Wer hat das wohl erfunden? Im Duden kann man es jedenfalls finden. Als schwaches Verb im saloppen Gebrauch.

Ob nun gepflanzt, gehäkelt oder verarscht, besonders intelligent war die Feststellung »Rad kaputt« tatsächlich nicht. Das war den Herrschaften selbst auch schon aufgefallen.

»Du reparieren?«

Die zahnlose Schöne hatte seine Worte offenbar nicht übel genommen und sah ihn jetzt fragend an. Zu gern hätte der Martin gesagt, dass er das Rad reparieren könne, aber das konnte er nicht. Schon gar nicht an Ort und Stelle und ganz ohne Werkzeug. Ein Reserverad konnte er allerdings auch nirgends entdecken. Das brachte ihn auf die Idee, den Leuten anzubieten, sie mit nach Laa an der Thaya zu nehmen, wo er jemanden wusste, der das Wagnerhandwerk noch ausübte.

In dem Moment, in dem er das vorschlug, lugte hinten aus dem Wagen eine Ziege heraus und machte sich lautstark bemerkbar.

»Määhhh.«

Der Martin, der sich als angehender Züchter schon eine ganze Weile mit diesen Paarhufern auseinandergesetzt hatte, erkannte sofort, dass er es hier nicht mit einer gewöhnlichen Ziege zu tun hatte, sondern mit einer Pfauenziege.

»Oh, schönes Tier! Du verkaufen?«

Da muss ich dir jetzt nichts vormachen. Natürlich hat der Martin, der auch ein kleines bisschen bauernschlau war, in dem Moment eine Chance gesehen, günstig an seine Zuchtziege zu kommen. Gar keine Frage.

»Du wollen Ziege?«

»Wenn du machen gute Preis.«

»Du uns bringen Stadt für neue Rad. Dann reden über Preis von Ziege.«

Damit konnte der Martin gut leben, und er nahm die beiden Männer und seine Schönheitskönigin, mitsamt dem kaputten Rad, mit nach Laa an der Thaya, wo er sie zum Landauer Ferdi brachte, der tatsächlich Wagner von Beruf war. Bei dem Namen wohl eine Fügung des Schicksals, wenn man bedenkt, dass es eine Kutsche gibt, die Landauer heißt. Aber nicht, dass du jetzt glaubst, der Ferdi hat diese Kutsche erfunden. Oder sonst jemand aus seiner Familie. Das stimmt nämlich nicht. Es war einfach nur Zufall.

Nichtsdestotrotz konnte er das Problem der drei Fremden lösen und ihnen ein passendes Ersatzrad zur Verfügung stellen. Das heißt, er hätte es gekonnt, wenn sie Geld gehabt hätten. Hatten sie aber nicht. Jetzt ahnst du sicher schon, wie es weitergegangen ist.

Genau! Der Martin hat das Rad bezahlt. Dafür bekam er die Ziege. Ein schlechtes Geschäft für ihn. Denn für das Geld, das er für das Rad hinlegen musste, hätte er locker drei Ziegen bekommen. Das wusste er freilich auch. Aber er konnte dieser Frau nicht widerstehen, die ihn so verheißungsvoll anstrahlte, dass ihre beiden Goldzähne im Oberkiefer ziemlich trüb aussahen. Dental gesehen war die Puppe wirklich auf der Leiderseite. Zwei Goldzähne und drei Zahnlücken. Kein besonders schöner Anblick. Aber manch einer sieht eben nur das, was er auch sehen will. Oder wie Christian Morgenstern gesagt hat: ›Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.‹ Und der Martin hat eben eine schöne, rassige Prinzessin sehen wollen. Und rassig war sie, speziell von der Geruchsseite her gesehen allemal, seine namenlose Göttin.

Die lange Geschichte kurz erzählt ist, dass der Martin überglücklich war, weil er helfen konnte und endlich seine Zuchtziege hatte. Die Prinzessin erzählte ihm, dass sie mit ihrer Familie ganz in der Nähe von Tratschen ein Lager aufschlagen und ihm das restliche Geld zu seinem Hof bringen würde. Und das hat er gerne geglaubt, der Martin. Der Landauer Ferdi nicht. Deswegen versuchte er auch, den Martin von diesem Handel abzubringen. Vergeblich. Später sollte er herumerzählen, dass der Martin bei dem Kauf unter einem Zigeunerzauber gestanden hatte. Stichhaltig beweisen konnte er das aber nie.

Kaum war er daheim, ist der Kral Martin daran gegangen, seine eben gekaufte Ziege aus dem Anhänger zu holen. Ein Unterfangen, das sich als weit schwieriger herausstellte, als er gedacht hatte. Die Paula, wie er das Tier getauft hatte, verspürte nämlich nicht die geringste Lust, seinen Kommandos Folge zu leisten, und zog sich immer weiter in den Hänger zurück, je mehr der Martin versuchte, sie hinauszutreiben.

Da hat alles nichts genützt. Noch nicht einmal das Locken mit irgendwelchen Leckerlis. Da sag noch einmal einer, dass Esel stur sind. Die Paula ist dem stursten Esel um nichts nachgestanden. Das kannst du mir ruhig glauben. Sie glotzte den Martin mit ihren hinterlistigen Augen an und achtete auf jede seiner Bewegungen. Keine Chance für ihn, etwas zu erreichen.

Und weil es bekanntlich auch dem gutmütigsten Deppen einmal zu bunt wird, hat auch der Martin nach etwas mehr als zwei Stunden die Nerven weggeschmissen und beschlossen, zu drastischeren Mitteln greifen zu wollen. Er holte einen Stock, mit dem er seinem Wunsch Nachdruck verleihen wollte. Ein paar sanfte Schläge auf das Hinterteil haben schließlich noch keiner Ziege geschadet.

Motiviert bis unter die Haarspitzen ging er in den Hänger, um der Paula ein für alle Mal beizubringen, wer der Herr im Haus war. Zuerst blieb sie ganz ruhig stehen und schaute ihm mit schiefem Kopf entgegen, während er sich Schritt für Schritt näherte. Erst als er auf eine Armlänge heran war, kam schlagartig Leben in die Paula.

Unter lautem Gemecker sprang sie mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft, was schon sehr lustig aussah. Der Martin hatte aber keine Zeit zum Lachen, weil sie wieder gelandet war, die Paula, und dabei fast gestürzt wäre. Im letzten Moment konnte sie sich durch einen kleinen Umweg über Martins Fuß soweit stabilisieren, dass sie sich fing und auf die Beine kam. Und noch bevor der Martin »Aua« sagen konnte, ging Paula in die Offensive.

Mit gesenktem Haupt bahnte sie sich einen Weg am Martin vorbei. Als hätte sie es gewollt, traf sie ihn dabei mit ihren Hörnern am Oberschenkel, dass es nur so krachte und er zu Boden ging. Noch im Fallen bekam er einen von Paulas kleinen, aber trotzdem sehr harten Hufen gegen die Schulter, bevor er mit dem Schädel an die Seitenwand des Anhängers donnerte und kurz die Orientierung verlor.

Die Paula war schon draußen und verlor ebenfalls die Orientierung, weil sie ja neu in der Gegend war und deshalb nicht genau wusste, wo sie hinrennen sollte. Von daher nahm sie den Weg, der ihr am sichersten erschien. Und der führte durch die Blumenbeete der Frau Kral zuerst in den Stall, wo sie eine echt schnelle Runde drehte, bevor sie merkte, dass sie in eine Sackgasse geraten war.

Aus welchen Gründen auch immer, beschloss die Paula, dass es wohl besser wäre, den Stall nicht auf dem gleichen Wege zu verlassen, auf dem sie ihn betreten hatte, sondern durch das Maschendrahttürchen des Hühnerstalls, durch das sie Tageslicht sah.

Tempobedingt stellte der Draht kein großes Hindernis dar. Beim ersten Türchen nicht und beim zweiten, das auf der Rückseite hinausführte, auch nicht. Ob die Ziege dabei Spaß hatte, ist nicht bekannt. Die Hühner fanden die Aktion definitiv nicht besonders lustig und flogen laut gackernd wild durcheinander. Das bekam die Paula aber nicht mehr mit, weil sie da schon auf dem Weg durch das kleine Rosengärtchen war, das die Frau vom Martin gar so sehr liebte und pflegte.

Ich kann dir sagen, dass der Auftritt von der Paula bei den Rosen gar nicht gut angekommen ist, weil das Vieh nicht einfach an ihnen vorbei, sondern tatsächlich mittendurch gelaufen ist. Die Frau Kral, die das alles durch ihr Küchenfenster beobachtet hatte, stürzte aus dem Haus, um zu retten, was noch zu retten war. Aber was soll ich dir sagen?

Die Paula, die in puncto Zerstörung ganze Arbeit geleistet hatte, war schon über alle Berge. Dafür hat die Frau Kral ihren Angetrauten gesehen, der blutüberströmt aus dem Anhänger taumelte. Rissquetschwunden bluten aber auch immer gleich so arg.

So ist es halt gekommen, dass der Kral Martin seine eben erst für viel Geld gekaufte Zuchtziege verloren hat. Entfleucht quasi. Jetzt wunderst du dich vielleicht, warum ich dir das erzähle. Weil so wirklich interessiert so eine Ziegenflucht ja niemanden. Aber diese Paula-Sache hat sich später so schön in die übrigen Ereignisse gefügt.

Kapitel 3

Die Besprechung mit dem Major Schuch verlief völlig anders, als der Strobel es sich erwartet hatte. Sie brachte nämlich eine echte Überraschung für den Strobel. Vorübergehende personelle Verstärkung nämlich. Oder wie der Herr Major das ausdrückte: »Eine temporäre Unterstützungskraft.« Grundsätzlich, so würde man glauben, war das zwar eine gute Sache. Trotzdem freute sich der Strobel nur sehr eingeschränkt darüber. Das lag aber nicht nur daran, dass es für den Major fast unmöglich war, dem Strobel etwas recht zu machen, sondern auch an der Tatsache, dass es sich bei dem Helferlein um einen Gendarmerieschüler handelte, der seine Praxisphase zu absolvieren hatte. Von dem her also keine Erleichterung für die Mannschaft, sondern eher das Gegenteil. Aufpassen würden sie auf den Mann müssen. Und ihm die Abläufe des täglichen Dienstes näherbringen, wie der Major Schuch das – mit ein wenig Schadenfreude im Blick – ausgedrückt hatte. Denn natürlich hat der Mann ganz genau gewusst, dass sich der Postenkommandant eigentlich einen vollwertigen Beamten wünschte und sich die Freude über Zuwachs dieser Art bei ihm arg in Grenzen hielt. Daraus machte der Strobel kein Geheimnis. Nicht besonders nett von ihm. Noch dazu kannte er den Burschen zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht und konnte deswegen nichts gegen ihn haben.

Auch die zweite wichtige Ankündigung, die der Offizier zu machen hatte, hob die Laune vom Strobel nicht. Im Gegenteil.

»Ein neuer Pfarrer soll in den nächsten Tagen kommen, wie ich gehört habe …«, stellte der Major so nebenbei fest und wusste dabei ganz genau, dass diese Nachricht so etwas wie ein Stich ins Herz für den Strobel war, der insgeheim hoffte, der Römer würde sich eines Besseren besinnen und nach Tratschen zurückkehren. Um den Offizier aber nicht wissen zu lassen, wie sehr ihn diese Neuigkeit traf, antwortete der Strobel:

»Ach so? Davon weiß ich nichts. Wird aber eh Zeit.«

Und gäbe es für das Wort ›nebenbei‹ eine Steigerung, dann könnte man sagen, der Strobel klang dabei ›am nebenbeisten‹. So nebenbei sogar, dass der Herr Major ein bisschen unsicher wurde, was die Wirkung seiner Botschaft betraf. Es war halt eine dieser Situationen, aus denen man ableiten konnte, dass die zwei Männer wohl nie Freunde werden würden. Eine richtige Feindschaft pflegten sie jedoch auch nicht. Dafür reichte ihre gegenseitige Abneigung nicht aus. Aber wie auch immer.

Die Laune vom Strobel war deutlich getrübt, als er das Büro vom Major verlassen hatte und sich vom Berti zum Bahnhof bringen ließ. In seinem Kopf klangen die Abschiedsworte vom Herrn Major nach:

»Wenn’ S vom Urlaub zurück sind, Strobel, werden’ S ein paar neue Leute kennenlernen.«

Später, im Zug, kostete es ihn dann einiges an Mühe, sich auf sein neues Auto zu fokussieren, das er, sofern alles gut ginge, in ein paar Stunden besitzen würde.

In Tratschen stand der Kalvoda Ludwig am Wohnzimmerfenster und sah mit sorgenvoller Miene seiner Agnes nach, die sich aufgemacht hatte, ihren haarigen Auftrag zu erfüllen. Der Mann verstand nicht, warum seine Frau das tat und auch nicht für wen. Und er war weit weg davon, stolz auf sie zu sein. Sie hatten die Sache zwar gemeinsam begonnen, aber unter ganz anderen Voraussetzungen. Ihre Situation war eine völlig andere gewesen. Viel neutraler nämlich.

Seit einiger Zeit hatten sie beide das Gefühl gehabt, dass sich die Wertigkeit ihres Auftrages geändert hatte. Begründen konnten sie diesen Eindruck aber nicht. Es lief etwas im Hintergrund, das sie nicht wissen sollten. Davon war der Kalvoda Ludwig überzeugt. Und er hatte es gegenüber der Agnes auch gesagt. Aber sie hatte nur versucht, ihn zu beschwichtigen. Ohne Erfolg.