Einleitung

Die Allgemeine Didaktik als Wissenschaft vom Unterricht, als Theorie des Lehrens und Lernens auf allen Stufen und Arten des Bildungswesens ist immer wieder Gegenstand verschiedener Darstellungen gewesen. Von Zeit zu Zeit ist es sicher sinnvoll, Bilanzen neu zu ziehen und weiterentwickelte Diskussionsansätze übersichtlich darzustellen. Dies allein könnte diese Publikation schon begründen.

Der Autor erhebt den unbescheidenen Anspruch, mit diesem Buch über eine bloße Bilanzierung hinauszugehen. Unter der Überschrift „Vernachlässigte Didaktiken“ z. B. wird der allgemeine Kenntnisstand stark ausgeweitet. Mit dem Kapitel „Aktueller Diskussionsstand“ werden zudem neuere und neueste Entwicklungen markiert. Neu ist der Gedanke, Didaktik nicht nur als Theorie des Unterrichts zu verstehen, sondern unter dem Begriff „Schuldidaktik“ die impliziten wie expliziten Konstruktionsmodi zu erfassen, die das Lernen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Schulzeit mindestens ebenso bestimmen wie der Unterricht im engeren Sinne. Dies gilt in gleichem Maße für jede Hochschule, Volkshochschule und Fachschule.

Als ebenfalls neu darf das Verständnis einer Elementardidaktik angesehen werden. Mitunter sind die Theoriegerüste relativ entfernt von den Lernmöglichkeiten und -notwendigkeiten der Lernenden entwickelt worden. Wenn Didaktik als Theorie der Lerngelegenheiten konzipiert wird, geht es um die Vielfalt der zu initiierenden Lernaufgaben und -wege. Da weitet sich der Reflexions- und Gestaltungsrahmen unerwartet aus, was die entsprechenden Kapitel hoffentlich deutlich machen werden (z. B. Lehrbarkeit des Ethos).

Allgemeine Didaktik ist so gesehen kein trockenes Thema, sondern aufregend, so aufregend, wie Lernen immer wieder sein kann! Das Buch kann hoffentlich alle für Lehr-/Lernprozesse Verantwortlichen anregen.

I Theoriearsenale der Didaktik

Reformpädagogik

Dieses Kapitel arbeitet die Entwicklung der Didaktik in ihrer historischen Dimension auf. Wichtige Ideenlieferanten in der Zeit der Reformpädagogik (etwa von 1900–1933) werden in ihren Grundauffassungen in Kurzform vorgestellt. Darauf folgt die Darstellung des „Mainstreams“ der Didaktikentwicklung. Sie verfolgt im ersten Teil die Zeit von 1945–1965 und im zweiten Teil die Zeit von 1966–1989. Hier werden die am häufigsten diskutierten Ansätze vorgestellt, die entsprechend oft Eingang in die verschiedenen Publikationen gefunden haben. In diesem Buch geht es um ihre kurze Beschreibung, der Schwerpunkt liegt aber auf der Darstellung von Entwicklungen.

Interessant dabei ist, dass eine ganze Reihe weiterer Ansätze ebenso häufig vernachlässigt worden ist. Da dies im Grunde nicht zu rechtfertigen ist, werden sie im Unterkapitel 4 unter der Überschrift „Die vernachlässigten Didaktiken“ beschrieben. Für den Leser/die Leserin wird ein Leseresümee sein, dass die Vielfalt außerordentlich ist und dass die fortwährende Einengung auf einige wenige Konzepte eigentlich nicht zu rechtfertigen ist.

Mit diesem Kapitel ist dann die Grundlage gelegt, um den aktuellen Diskussionsstand pointiert zu beschreiben. Im Mittelpunkt stehen dabei eine neu zu entdeckende Vermittlungsdidaktik, Handlungsorientierung, Autodidaktik und der ganz neue Ansatz der Subjektiven Didaktik.

1 Ideengeber der Reformpädagogik

Berthold Otto (1859–1933) – Zentrales Statement
Gesamtunterrricht

„Meiner Meinung nach bringen historische Veränderungen einen ständigen Wandel der Bildung mit sich. Kinder und Jugendliche haben eigene Formen des Weltverständnisses und des Sprechens miteinander, die wir als Lehrer in der Schule unbedingt beachten müssen. Ich möchte sogar so weit gehen, die spontanen Fragen von Kindern und Jugendlichen als Basis für den Schulunterricht zu bezeichnen. In meiner Schule in Lichterfelde habe ich daher den Gesamtunterricht eingeführt: Mehrere Wochenstunden werden zusammengefasst, in denen sich die ganze Schule versammelt und die Schüler sich gegenseitig befragen können, wobei der Lehrer sozusagen nur als Moderator agiert. Unter der weiterführenden und beratenden Betreuung des Lehrers bilden sich die Schüler in diesem Gesamtunterricht weiter.“

Hugo Gaudig (1860–1923) – Zentrales Statement
Freie geistige Tätigkeit

„Ich bin fest davon überzeugt, dass die größte Gefahr für die Bildung durch zu fest gefügtes Wissen entsteht, welches nur reproduziert werden kann. Freie Entfaltungsmöglichkeiten in der Gesellschaft und vor allem auch im einzelnen Menschen werden dadurch behindert. Daher halte ich die freie geistige Tätigkeit bereits im Schulbereich für erforderlich, denn diese führt automatisch zu einer Persönlichkeitsbildung auf dem Fundament der Selbstentfaltung. Diese geistige Tätigkeit und Mobilität ist aber nur zu erreichen, wenn man Kinder und Jugendliche sich selbst betätigen lässt. Für mich heißt die Konsequenz daraus, dass der Unterricht statt vom Lehrer besser vom Schüler geplant werden sollte. Neue Horizonte können nur durch neue Arbeitsformen und ständig praktizierte Selbsttätigkeit eröffnet werden.“

Hermann Lietz (1868–1919) – Zentrales Statement
Selbstständiges Handeln

„Das öffentliche Bildungswesen schien mir nicht mehr korrigierbar zu sein: Das ganze Auswendiglernen und Wiedervergessen, diese intellektuelle Einsicht konnte ich nicht mehr ertragen. Mein pädagogischer Ansatz beruht auf der Idee, eine neue Erziehung aufzubauen, die fernab der sittenlosen Welt der Erwachsenen liegen sollte. Der Wahlspruch meiner neu gegründeten Landeserziehungsheime war ‚Licht – Liebe – Leben‘; hier sollten die Schüler selbstständiges Handeln lernen. In den Heimen arbeiteten die Jugendlichen körperlich: Zum Beispiel stellten sie Möbel her, gestalteten ihren eigenen Wohnraum, halfen beim Ausbau der Heime und waren verantwortlich für die Planung und Durchführung großer Fahrten. Mein Ziel war es, den Schülern das Leben als Ganzes begreifbar zu machen und es in ihre Hand zu legen, ihre Freizeit selbst zu gestalten.“

Peter Petersen (1884–1952) – Zentrales Statement
Gemeinschaft

„Für mich stellt die Schule ein Gefüge unterschiedlicher Betätigungsformen und -felder dar: Spiel und Fest, straffe Kurse des Wissenserwerbs, Individualarbeit, Gruppenarbeit in kleinen und großen Gruppen und all das gehören für mich zum Leben in der Schule dazu. Alle Aktivitäten führen zusammen in eine notwendige Solidarität der Gemeinschaft. Im Schulplan von Jena wurden einige meiner Ideen aufgenommen. Besonderes Gewicht bekam dabei mein Vorschlag, dass mehrere Schüler und Lehrer gemeinsam eine Aufgabe entwerfen und dies nach eigens gesetzten Richtlinien bearbeiten. Dadurch lernt ein Schüler nicht nur, sich mit seinen Mitschülern auseinander zu setzen, sondern erfährt Schule auch als Ort, wo man sich mit den Dingen des Alltags, die jeden Schüler angehen, auseinander setzt.“

Georg Kerschensteiner (1854–1932) – Zentrales Statement
Konstruktive Betätigung

„Konstruktive Betätigung ist das, was Jugendliche brauchen. Sie sollen vor allem manuell tätig werden und lernen, ihr eigenes Handwerk zu gebrauchen, um der Sache gerecht zu werden. Für wichtig halte ich hierbei besonders eine zielvolle Aufgabenerfüllung und ebenso Material- und Funktionsgerechtigkeit. Mein Ansatz fiel überwiegend in Berufsschulen auf fruchtbaren Boden. Ein sehr berühmtes Beispiel für meine Methode ist die Planung und Herstellung eines Starenkastens.“

Fritz Karsen (1885–1951) – Zentrales Statement
Projekt

„In meinem Ansatz taucht ein Begriff auf, den ich bei meinen Vorgängern und Zeitgenossen noch nicht finden konnte, nämlich der des ‚Projekts‘. Das zentrale Projekt sehe ich darin, die Gesellschaft selber auf eine menschlich höhere Stufe der Kultur zu heben. Schule ist für mich eine ‚soziale Arbeitsschule‘, vergleichbar mit einer ‚modernen Werkstatt‘. Sie sollte genossenschaftlich organisiert werden, d. h. dass ihre Ziele nicht von außen festgelegt, sondern von den Mitgliedern bestimmt werden. Der erste Schritt für die Projektarbeit in der Schule sollte darin bestehen, ein Komitee aus Lehrern und Schülern zu bilden, welches zu Anfang eines Schuljahres einen Projektplan für die ganze Schule entwickelt. Als Nächstes sollten einzelne Klassen überlegen, welche Projekte sie im Rahmen dieses Planes durchführen wollen. Hinter diesem Ansatz steckt das Ziel, dass Schüler Schularbeit als sinnvoll erfahren lernen. Außerdem können sie erkennen, dass Probleme durch Zusammenarbeit und Aufgabenteilung bewältigt werden können. Meiner Ansicht nach liegt der Höhepunkt von Projekten in der Anfertigung ‚vorweisbarer Produkte‘, die am Ende des Schuljahres in einer Ausstellung vereinigt und kritisch gewürdigt werden sollten.“

Otto Haase (1893–1961) – Zentrales Statement
Vorhaben

„Der Unterricht in der Grundschule sollte durch drei methodische Grundformen gestaltet werden: Zentraler Aspekt ist das Vorhaben, daneben steht das Training der Kulturtechniken und der Gesamtunterricht, womit ich eine Idee von Berthold Otto aufgreife. Vorhaben sollen von den ursprünglichen Bedürfnissen und dem Willen der Kinder ausgehen und unmittelbar aus dem gelebten Leben erwachsen. Unter Vorhaben verstehe ich, dass die Schüler ‚zupacken‘, ‚ein Werk schaffen‘, ‚eine Arbeit vollenden‘. Die Schule sollte Ernstsituationen hereinholen und keine Arbeit an künstlichen Objekten durchführen. Die Aufgabe des Lehrers besteht im Wesentlichen darin, den Schülern angemessene Aufgaben zu verteilen. Ein Vorhaben muss allerdings nicht unbedingt mit Planung beginnen, ein Lehrer kann auch spontan ‚Vorhaben‘ von Kindern erlauben. Ein Vorhaben kann beispielsweise das Vorbereiten eines Schulfestes, das Erstellen einer Schülerzeitung oder die Organisation und Durchführung von Kinderspielen sein.“

Adolf Reichwein (1898–1944) – Zentrales Statement
Vollendung eines Werkes

„Ich verstehe unter Vorhaben die Verwirklichung einer ‚selbsttätigen Erziehungsgemeinschaft‘, was bedeutet, dass Schüler und Lehrer zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Werk zu schaffen. Hierin sehe ich eine Möglichkeit, den alten Gegensatz zwischen Denken und Handeln zu überwinden, um den Menschen ganzheitlich gebildet zu erziehen. In der Schule unterscheide ich Werk- und Jahresvorhaben. Werkvorhaben entstehen immer aus ‚lebendigen Anlässen‘, aus ‚Spiel und Versuch‘. Die Themen wie bespielsweise ‚Wir bauen einen Bauernhof sind dabei fächerübergreifend angelegt. Unter der Leitung des Lehrers fügen sich diese Werkvorhaben dann zu Jahresvorhaben wie zum Beispiel ‚die ländliche Welt‘ oder ‚der gemeinschaftliche Mensch‘ zusammen. Das Wissen, das aus der persönlichen Begegnung mit der Sache erwächst, ist nicht toter Besitz, sondern in das kindliche Sein als Erfahrung eingegangen. Gewisse Grundfertigkeiten, die für ein Vorhaben erforderlich sind, werden vor dem Beginn mit diesem eingeübt. Die Vollendung eines Werkes erachte ich als sehr wichtig.“

2 Von der Unterrichtslehre zur wissenschaftlichen Didaktik und deren Ausdifferenzierung. Die Entwicklung der Allgemeinen Didaktik in der BRD und in der DDR von 1945–1965

2.1 Einleitung: Erkenntnisinteresse, Begrifflichkeit, Plan

Definition Didaktik

Da der Begriff „Didaktik“ ein recht schillernder ist, sind zu Beginn wohl einige Erklärungen über die Suchrichtung, den Gegenstand und den dabei zu verfolgenden Plan der Überlegungen nötig. So zentral für einen Schulpädagogen „Allgemeine Didaktik“ ist, so schnell kann man auch verzweifeln, wenn man genauer bestimmen möchte, was unter Didaktik zu verstehen ist. Schon die Klärung des Begriffsverständnisses wäre eine eigene Abhandlung. Für die Historie hätte man damit so viel noch nicht gewonnen.

Bekannt ist die vierfache Bestimmung: Didaktik als Wissenschaft und Lehre vom Lehren und Lernen in allen Formen und auf allen Stufen, Didaktik als Bildungslehre, Didaktik als Wissenschaft vom Unterricht bzw. Allgemeine Unterrichtslehre und Didaktik als Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans (Klafki 1964). Diese Begriffsbestimmung kann schnell beruhigen. Ich möchte sie aber zum eigentlichen Problempunkt machen, weil sie eine nicht konsistente Entwicklung der Didaktik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin aufzeigt, die einen Dualismus hervorgebracht hat, der das eigentliche Erkenntnisinteresse immer wieder verschleiert.

Was und Warum
Wie und Womit

Dieses hätte darin liegen müssen, bis heute übrigens, dass der eigentliche Wortsinn (Didaktik, griech. didaskein, d. h. lehren, unterrichten, klar auseinander setzen) zu Überlegungen führt, die Lehr- und Lernprozesse ungeschieden in ihrer Intention, in ihrem Inhalt und in ihren Wegen und Mitteln betrachten. Stattdessen zerfielen sie im Kontext erziehungswissenschaftlichen Denkens immer wieder in ein Was und Warum und ein Wie und Womit in der Verantwortung für junge Menschen und künftige Erwachsene. Das Durchdeklinieren von materialer und formaler Bildung, von Erziehung und Bildung, von theoretischer und praktischer Pädagogik hat immer wieder dazu geführt, Einzelaspekte in den Vordergrund zu stellen. Und wer in tatsächliche (nicht nur ideell bedachte) Erziehungs- und Unterrichtsprozesse verwickelt war, musste ohnehin dem täglichen Handlungsdruck Tribut zollen und war eher an Realisierungshilfen interessiert. So lief auch die Lehrerausbildung darauf hinaus, dass die theoretische oder allgemeine Pädagogik dazu einlud, Denkhorizonte zu entwickeln, in der Hoffnung, dass diese handlungsleitend wären, und dass die so genannte praktische Pädagogik (sie war bis in die 1960er-Jahre das Pendant, erst danach sprach man von Schulpädagogik) das Handwerkszeug dazu vermitteln sollte. Dies war vornehmlich Unterrichtslehre bzw. Unterrichtskunst.

Diese zentrale Feststellung will ich durch die Skizzierung von Entwicklungslinien von 1945–1965 zu belegen versuchen. Ich hoffe, zeigen zu können, dass sie für beide Teile Deutschlands gelten und von den gesellschaftlichen Verhältnissen wie auch von der erziehungswissenschaftlichen Diskussion verursacht worden sind, wenn auch in je unterschiedlicher Herleitung.

2.2 Die Entwicklung der Didaktik in der BRD von 1945–1965

Unterrichtslehren

Im Unterschied zur verdienstvollen Arbeit von Kersten Reich (Reich 1977) meine ich, dass man die Entwicklung der didaktischen Theorie in der BRD seit 1945 nur durch die Nachzeichnung des so genannten bildungstheoretischen Ansatzes und der Heimannschen Arbeiten nicht angemessen beschreiben kann, so wichtig beide Entwicklungslinien gewesen sind. Die Gemengelage war komplizierter! Sie wird bestimmt durch den von mir behaupteten Dualismus von didaktischen Überlegungen in Gestalt von Unterrichtslehren als handwerklichen Hilfen für die Praxis (mitunter rezeptologisch angelegt) und didaktischen Überlegungen in Gestalt von Theoriegebäuden für die Bildung der Lehrerinnen und Lehrer, ihrer Denkhorizonte und Einstellungen.

Das Handwerkzeug für den Alltag

So erschien 1947 das Buch von Hans-Wildekinde Jannasch „Unterrichtspraxis in der Volksschule“ (Jannasch 1947) als erster Band der von Otto Haase herausgegebenen Reihe „Arbeitsbücher für die Lehrerbildung“, zu der später einige weithin genutzte Publikationen gehörten. Bibliotheken waren noch nicht wieder aufgebaut, Papier war knapp, so dass diese Bücher in den Fokus besonderer Aufmerksamkeit gerieten. Unter ausdrücklichem Bezug auf Richard Seyfert (Seyfert 1920) – dies zeigt die Anknüpfung an die Zeit vor 1933 – war es eine Unterrichtslehre, die „bis in den letzten Satz Abbildungen aus Schulwirklichkeit enthält“, und darum sollte sich jeder Satz wieder aus der begrifflichen Erstarrung in lebendiges Geschehen zurückverwandeln lassen, d. h. die auf induktivem Wege gewonnenen Erkenntnisse müssen auf deduktivem Wege lebendig werden nach dem Worte Goethes vom „denkenden Tun“ (Jannasch 1947, S. 6). Jannasch ging dann unmittelbar auf die Beantwortung der Frage zu: Was heißt unterrichten? „Sicherlich ruht das Unterrichten auf der Grundlage eines sauberen handwerklichen Könnens ..., (aber) die wahrhaft bildende und erziehende Wirkung des Unterrichtens entquillt erst der Zeugungskraft eines lebendigen Lehrerherzens“ (S. 9). Nach der Beschreibung der Voraussetzung eines guten Unterrichts (Lehrer, Schüler, Schulzucht) werden dann der Unterrichtsvorgang, die Unterrichtsarbeit (Handwerk oder Kunst? – für die Mehrheit wird es ein Kunsthandwerk sein, von den künstlerisch veranlagten Lehrernaturen wird allerdings die stärkste Wirkung ausgehen!), der Unterricht auf der Unterstufe und der Unterricht in der ländlichen Schule dargestellt. In der Frage der Gliederung einer Stunde wird auf Johann Friedrich Herbart Bezug genommen. Unterrichtsvorbereitung und Unterrichtsgestaltung werden sehr praktisch beschrieben. Wenn auch die Wertfrage (Wertgehalte der Unterrichtsstoffe) aufgeworfen wird, werden mögliche Antworten nicht gegeben. Das „Wie“ (Methodik) steht im Vordergrund. Sinn und Inhalte sind unausgesprochen vorgegeben oder sie sind durch die Verantwortung der Lehrperson abgesichert. Vielfältig sind die Bezugnahmen auf die Reformpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Was heißt unterrichten?
Kunsthandwerk

Nach einer zweiten Auflage, die 1948 erschien, brachte Gerhard Jop-Pich, ein Schüler von Jannasch, mit der dritten Auflage 1959 eine Neubearbeitung heraus.

Der „Jannasch/Joppich“ erlebte einige Auflagen mehr und repräsentierte einen Typ von Publikationen, der in die Rubrik „Unterrichtslehren“ eingeordnet werden kann. Diese haben z. T. außerordentlich hohe Auflagen erlebt und sind damit von großer Breitenwirkung gewesen. Zu nennen sind Autoren wie Franz Xaver Eggersdorfer, Josef Esterhues, Franz Huber, Fritz Kade, Rudolf Münch, Hans Olsen, Rudolf Peter, Ferdinand Rettenmaier, Wilhelm Reyer, Max Rösner, Gustav Rose, Karl Stocker, Theodor Schwerdt, Josef Tille, Oskar Vogelhuber. Dazu kamen immer wieder neue Auflagen von reformpädagogischen Autoren wie Hugo Gaudig, Georg Kern, Maria Montessori, Peter Petersen u. a.

Prototypen von Unterrichtslehren

Man kann diese Unterrichtslehren „Prototypen“ nennen – am verbreitesten sind die von Jannasch/Joppich, Stöcker und Huber – und sie folgendermaßen charakterisieren:

Auf den ersten Blick könnten es Methodiken sein. Dies stimmt aber nicht ganz. Überlegungen zu Schule, Unterricht, Schülerinnen und Schülern, zu den Bildungsinhalten wie zum Lehrplan, zum Verhältnis Schule – Leben, mitunter auch metatheoretische Überlegungen (Didaktik als Wissenschaft vom Unterricht, Sinn und Aufgabe der Unterrichtslehre) schaffen jeweils einen Denkhorizont, der in der Regel geisteswissenschaftlicher Provenienz ist und die unterrichtlichen Fragen in einen größeren Rahmen einbettet. So werden die gesellschaftlichen Funktionen der Institution „Schule“ bestimmt, es werden Überlegungen zum Begriff der Bildung angestellt, der Didaktik-Begriff wird reflektiert, ehe dann der Unterricht in seinen Formen und in seinen Bedingungen dargestellt wird sowie Unterrichtsprinzipien entwickelt werden.

Denkhorizonte
Intuition
Vorwissenschaftliche Didaktik

Dieser Denkhorizont hat aber, so ist der Eindruck, den Charakter einer Pflichtübung. Der Lehrer und seine Gebildetheit sind der Transmissionsriemen, der den Unterricht reflektierten und bildungsorientierten Charakter geben muss. Mit Stöckers Worten: „Die persönliche Gestaltungskraft des Lehrers, seine methodische Kunst sprechen das letzte Wort und nicht eine im Voraus zu berechnende Theorie“ (Stöcker 198418, S. 37). Und weiter: „Jede Methode muss sich den individuellen Situationen anpassen können“ (ebd.). Das ist quasi die salvatorische Klausel, die zum Schluss didaktisches Handeln immer an individuelles Handeln, an Subjektivität und Intuition zurückgibt. Dies ist die „Bruchstelle“, an der Bildung und Unterricht, Lehrplan und Schülerschicksal, Kanon und Selbstständigkeit schnell auseinander brechen und Reflexionshorizont (Feiertagsdidaktik) und tägliches Werkeln zweierlei werden können. Der pädagogische Takt mag das vermeiden, „unter dem wir die glückliche Fähigkeit eines Lehrers verstehen, im entsprechenden Moment geschickt, klug und bei nachträglicher Besinnung auch ‚richtig‘ zu ‚handeln‘“ (ebd.). Die Intuition ist Bindeglied zwischen individueller Gebildetheit und zu initiierenden Bildungsprozessen bei Schülerinnen und Schülern! Wir haben damit den klassischen Fall einer vorwissenschaftlichen Didaktik, der freilich auch immer ein besserer Unterricht als der heutige entspringen konnte.

Handwerkszeug

Es ist interessant, einmal die Gewichtung zwischen Bildungshorizont und Handwerkszeug zu bestimmen. Bei Jannasch/Joppich teilt sich der Text im Verhältnis 1:2,6 auf, wobei ein dritter Textteil der Aufgabenbestimmung der Schulstufen gilt. Bei Stöcker ist das Verhältnis 1:6 und bei Huber schließlich 1:2, bei jeweils großzügiger Rechnung. Dazu muss man aber sagen, dass es bei Erörterungen zum Lehrplan beispielsweise häufiger um die Darstellung formaler Gesichtspunkte (z. B. Gesamtunterricht und Fächerunterricht, Wesen des Lehrganges, Prinzipien der Auswahl und Verknüpfung des Lehrgutes) geht.

Wichtig erscheint mir die Erinnerung daran zu sein, dass sich dieser Dualismus in der Lehrerausbildung widerspiegelt. Der pädagogischen Hochschule als Bildnerhochschule ging es nicht so sehr um die Verschränkung von Fachkompetenz und didaktischer Kompetenz. Fachlich konnten künftige Lehrerinnen und Lehrer „gebildete Dilettanten“ sein (man denke an die große Zahl zu studierender Fächer). Wenn sich in ihrer Person kognitive, soziale und emotionale Bildung zu einer Ganzheitlichkeit integrierten, war dies die entscheidende Voraussetzung für schulisches und unterrichtliches Handeln, das dann eben noch des Handwerkszeuges bedurfte.

Erster Einschub

Ehe ich die Entwicklung bildungstheoretischer Horizonte, geleitet von der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik, als Parallelentwicklung darstelle, will ich aber kurz darauf hinweisen, dass die so genannte Berliner Didaktik, 1965 von Paul Heimann, Gunter Otto und Wolfgang Schulz publiziert und als Wendepunkt didaktischen Denkens zu charakterisieren, in den damals und auch heute wenig beachteten Arbeiten von Heimann ab 1947/48 einen Vorläufer hatte. 1947 begann Heidmann mit Reflexionen über das so genannte Didaktische Dreieck – im Übrigen auch keine so neue Denkfigur (Lehrer–Schüler–Stoff) –, um den Mängeln bisheriger Didaktik, nämlich unzureichende wissenschaftliche Grundlagen, abzuhelfen (Heimann 1947). Seine sich in den 1950er-Jahren fortsetzenden Bemühungen um eine wissenschaftliche didaktische Theorie folgten der Linie, durch analytische Unterrichtsbetrachtung mindestens so etwas wie eine theoretische Haltung zu erreichen, die er als Gegenteil eines doktrinären, d. h. unplastischen Verhaltens ansah. Diese könne zu einem theoriegesteuerten Lehrerverhalten führen.

Didaktisches Dreieck
Theoriegesteuertes Lehrerverhalten

Bemühen um theoretische Zusammenhänge bliebe ein „Wissen aus toter Hand“, wenn es nicht in Wechselwirkung mit einer „provisorischen Praxis“ zur Bildung eines leistungsfähigen, theoretischen Bezugsfeldes führe (Heimann 1948). 1961/62 war er dann so weit, eine Strukturtheorie des Unterrichts aufzustellen, die im Weiteren Grundlage der Berliner Didaktik war. Ich erwähne dies hier schon, um unterschiedliche Entwicklungen anzuzeigen. Ich komme auf den Ansatz der lerntheoretischen Didaktik noch zurück.

Die Bildungs- und Reflexionshorizonte der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik
Geisteswissenschaftliche Pädagogik

Das pädagogische Denken und damit auch das schulpädagogische Denken waren von 1945 bis in die 1960er-Jahre vorwiegend durch die Geisteswissenschaftliche Pädagogik bestimmt, die dann auch Grundlage der bildungstheoretischen Didaktik war. Ihr Bezugspunkt ist die Lebenswirklichkeit, ihre Sehweise begründet sie als Lebensphilosophie, so Wilhelm Dilthey. Wesentlich für die Geisteswissenschaft im Unterschied zur Naturwissenschaft ist, dass in dem zutiefst individuellen Erleben des Menschen das menschliche Dasein in der Welt sichtbar und analysierbar wird. Das Verstehen, das Deuten oder die Hermeneutik, wie das intuitive Auslegen der Wirklichkeit in Anknüpfung an Friedrich Schleiermacher genannt wird, ist der Ausgangspunkt zur Erklärung der gesellschaftlichen Realität. Kerngedanke ist die programmatische Aussage Diltheys: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir“ (Dilthey 1924, S. 144). Hermann Nohl sah in Anknüpfung an Dilthey das Bildungsleben in einer doppelten Spannung: einerseits in der Kontinuität der Überlieferung, die die Vergangenheit als „tiefen Hintergrund unseres Lebens“ zur Geltung bringt, andererseits als Ausdruck der „Zentriertheit jedes Lebens in sich selber“ (Nohl 1949, S. 95). Die große Frage für den Erzieher sei, was zuerst komme und was zuletzt, Vergangenheit oder Zukunft, Leben oder Schule, Humanität oder Religion. Die Leidenschaftlichkeit des Lehrers, verbunden mit einer gewissen Überparteilichkeit und der Beachtung der Vielfalt des Lebens, müsse auf die Erziehung als Ganzes bezogen sein. „Nur der wird die pädagogische Aufgabe seiner Generation erfüllen, dem es gelingt, die Bildungsmächte seines Volkes und die lebendigen Strebungen der Zeit so zu einem Ganzen zusammenzunehmen, dass eine an sich bedeutsame Gestalt des Menschentums dadurch erfüllt wird, wie es der Stil eines großen Kunstwerkes auch tut, und damit die Bildungsgestalt und den pädagogischen Stil seiner Zeit und seines Volkes sichtbar zu machen und zugleich ans Gesamtmenschliche zu knüpfen“ (S. 111). In der postulierten (relativen) Autonomie der Pädagogik steckt die pädagogische Verantwortung des Lehrers, dem jungen Menschen, und zwar um seiner selbst willen, zu helfen, zu seinem Leben und seiner Form zu kommen, gleichzeitig ihn über Denktraditionen und innere Werte in Zeit und Gesellschaft einzuordnen. Der Lehrer ist bei alldem die führende Persönlichkeit, er ist als Persönlichkeit das Zentrum, an dem sich die Jugend im Schulalltag bildet.

Autonomie der Pädagogik
Bildungstheoretische Didaktik

Damit sind die Grundgedanken der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik skizziert, die Erich Weniger dann für die bildungstheoretische Didaktik fortschrieb. Ich kann und brauche hier die Wenigerschen Didaktikvorstellungen nicht in ihrer Gänze zu entwickeln. Wichtig ist mir zu sagen, dass folgende didaktische Kerngedanken Wenigers den von mir postulierten Dualismus im didaktischen Denken beförderten: Obwohl er einerseits einen weiten Begriff von Didaktik hat (Didaktik als Lehre vom Lehren und Lernen), kennzeichnet er andererseits einen Bereich der Didaktik als Kernbereich, nämlich die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans, von dem die Methodik als bloße Vermittlung dieser Inhalte im Vergleich zu den Bildungsinhalten als sekundär abzuheben, gar nachzuordnen sei (Primat der Didaktik; Weniger 1952). Die von ihm explizierten drei Schichten der pädagogischen Theoriebildung (erste Schicht: latente Theorie der Praxis, die eine unausdrückliche Anschauung von Wirklichkeit ist mit einem weltanschaulichen Apriori, einem Ethos; zweite Schicht: Erfahrungssätze, Lebensregeln als Besitz des Praktikers; dritte Schicht: wissenschaftliche, systematische Besinnung auf pädagogisches Handeln) kumulieren in der Auffassung, dass die Praxis den Horizont der Theorie bestimme (Weniger 1952).

Primat der Didaktik

Das Verhältnis eines Erziehers zu einem Zögling ist als bildende Begegnung zu konstituieren. Dafür ist ein Raum pädagogischer Freiheit nötig, der allerdings gleich wieder durch die Tatsache eingeengt wird, dass der Lehrer Amtsträger ist, d. h. im Dienst und im Auftrag geistiger Mächte steht. Dies ist vor allem der Staat, nachgeordnet sind die Wissenschaft, die Wirtschaft und die Kirche. Damit wurde – zugespitzt formuliert – erstens Unterrichtslehre als zweitklassig diskriminiert, zweitens auch die Didaktik im Sinne einer Theorie der Bildungsinhalte als reaktive Theorie konzipiert – es blieb, das Elementare, Fundamentale, Typische, Repräsentative in den Vorgaben zu finden – und drittens die Perspektive, nach der die Gebildetheit des Lehrers der eigentliche Hebel für die Gestaltung von Schule und Unterricht sei, verschoben. Notwendigerweise haben später die didaktischen Diskussionsstränge in Gestalt der Curriculumdiskussion, der lehrtheoretischen und der kritisch-kommunikativen Didaktik die damit gegebenen Probleme aufzuarbeiten versucht.

Zweiter Einschub
Grundlegende Geistesbildung

In einem zweiten Einschub will ich darauf hinweisen, dass interessanterweise seit Beginn der 1950er-Jahre in Bezug auf das Gymnasium – in den Inhalten aber darüber hinausreichend – eine Gedankenentwicklung zu beobachten war, die vor allem Wilhelm Flitner mit der Signalchiffre „Grundlegende Geistesbildung“ promovierte. Sie hätte an sich stärker das didaktische Denken beeinflussen müssen im Sinne eines integrativen Bedenkens des Zusammenhangs von Bildung und Unterricht und ihrer Intentionen, Inhalte, Be- und Verarbeitungsmodi und Medien wie der Verständigung über die dafür unerlässlichen Beziehungsdimensionen (Lehrer–Schüler–Verhältnis). In der Ausbildung der Volksschul- und Mittelschullehrer aber waren andere, nämlich die schon beschriebenen Denkmuster vorherrschend, und die Gymnasiallehrerausbildung war damals wie heute übrigens auch noch viel zu stark fachwissenschaftlich orientiert, als dass sie diese Überlegungen wirklich hätte wahrnehmen können. Flitner setzte nach Ende des Zweiten Weltkrieges Arbeiten aus den 1930er-Jahren fort. Ich beziehe mich hier auf zwei Sammlungen aus den Jahren 1954 und 1965 mit Texten, die in den 1930er-, 1940er- und 1950er-Jahren entstanden sind (Flitner 1954 und 1965). Ein markantes Datum ist sicher die Veröffentlichung der so genannten „Tübinger Beschlüsse“ von 1951, mit denen Vertreter von Universitäten, höheren Schulen und der Schulverwaltung auf die von ihnen gesehene Gefahr reagieren wollten, dass das geistige Leben durch die Fülle des Stoffes zu ersticken drohe. Die dringende Aufgabe der Didaktik sei es, das Wesen jener grundlegenden Geistesbeschäftigungen aufzuweisen, die von der eigentlichen Wissenschaft und Forschung zu unterscheiden wären, mit denen sie häufig verwechselt würden (Flitner 1965, S. 13). Die öffentliche Schule solle der Jugend helfen, diese unübersichtlich gewordene Welt wieder einfach und mit sicherem Wertgefühl zu verstehen und selbstverständlich in ihr verantwortlich zu handeln. Dies könne nicht gelingen, wenn die Schule ein bloßer Hörsaal für informierende Vorträge oder eine rational geordnete Stätte des Unterrichts einzelner Schüler bleibe, die, nach Altersstufen sortiert, nebeneinander gesetzt und in gleicher Front durch einen Stoffplan hindurchgeführt würden. Die Schule der Gegenwart müsse eine ganz andere soziale Gestalt und andere Lehrverfahren haben. Sie müsse eine Stätte des geselligen geistigen Verkehrs sein, in der sich eine Atmosphäre der „Menschlichkeit“ bilde, wo jedem Einzelnen Lebenshilfe geboten werde. Ein Kernstück dieser Hilfe liege in dem Aufbau einer allgemeinen Geistesbildung, welche auf die möglichen Lebensbahnen des heutigen Menschen bezogen sei (S. 191).

Tübinger Beschlüsse

Dies liest sich wie eine Programmaussage zu dem heute aktuellen Thema „Was ist eine gute Schule?“. Und da Flitner das Insgesamt von Lebensformen, Lehrplan, Stufen der Geistesbeschäftigung, politischer und pädagogischer Methoden, Beziehungsqualitäten (Macht in der Erziehung) entwickelte, war hier frühzeitig der Ansatz einer die einzelnen Aspekte integrierenden Didaktik angelegt. Er hat aber den von mir beschriebenen viel wirksameren Dualismus nicht aufheben können.

2.3 Zwei Bündelungen: Das Ergebnis der Didaktik-Diskussion bis 1965 in der BRD

Die bisher beschriebenen Ansätze und Stränge bündelten sich Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre zu zwei Arbeiten, die anschließend von außerordentlicher Breitenwirkung waren und die das, was davor war, fast in Vergessenheit gerieten ließen. Die eine der Arbeiten ist Wolfgang Klafkis „Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung“. Dieser Ansatz erschien 1958 zuerst in der Zeitschrift „Die Deutsche Schule“. Viele Lehrergenerationen mussten sich an ihm abarbeiten. Die andere war die von Heimann mit dem Titel „Didaktik als Theorie und Lehre“, sie erschien 1962 ebenfalls in der „Deutschen Schule“ und bekam dann ihre Breitenwirkung in dem Buch „Unterricht – Analyse und Planung“ (Heimann/Otto/Schulz 1965). Auch diese Publikation war für viele Jahre eine Art „didaktische Bibel“ für die Lehrerschaft.

Klafkis didaktische Analyse
Didaktische Analyse

Klafkis didaktische Analyse ist als Gelenkstück zu verstehen zwischen der Didaktik als Bildungslehre und der davon abgekoppelten Unterrichtsmethodik einerseits und den von den so genannten gesellschaftlichen Mächten vorgegebenen inhaltlichen Ansprüchen und der Unterrichtspraxis andererseits, und zwar in dem Sinne, dass den Lehrerinnen und Lehrern eine Arbeitshilfe gegeben wird, mit der sie ein Stück Autonomie zwischen den gesellschaftlichen und den wissenschaftlichen Ansprüchen und ihrer Verantwortung für die Bildung der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen zurückbekommen.

Mit den berühmten fünf Grundfragen sollte der Bildungsgehalt der Lehrgegenstände gehoben werden:

Fünf Grundfragen
  1. Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er – vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen – darin haben?
  2. Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
  3. Welches ist die Struktur des (durch die Fragen 1 und 2 in die spezifische pädagogische Sicht gerückten) Inhaltes?
  4. Welchen allgemeinen Sachverhalt, welches allgemeine Problem erschließt der betreffende Inhalt?
  5. Welches sind die besonderen Phänomene, Situationen, Versuche, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes den Kindern dieser Bildungsstufe interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, „anschaulich“ werden kann?

Erst von der didaktischen Analyse eines geplanten Unterrichtsthemas aus kann der zweite Schritt der methodischen Vorbereitung vollzogen werden, obwohl sich dieser Übergang schon in einzelnen Fragen andeutet. Über Reichweiten und Grenzen der didaktischen Analyse ist nun schon oft gehandelt worden. Da ist einmal die nicht weiter hinterfragte Vorgabe der Lehrpläne und Richtlinien, da ist zum anderen der von Klafki so bezeichnete „pädagogische Standpunkt“, der die Sonde bei der Suche nach Antworten auf die gestellten Fragen sein soll, da ist zum Dritten das Problem, inwieweit sich gefundene Antworten stringent in das methodische Verfahren umsetzen lassen. Dies sind wohl die zentralen offenen Stellen.

Sinntheorie

Unabhängig davon kann man mit Herwig Blankertz (Blankertz 1969, S. 46) sagen, dass Didaktik bei Klafki als Sinntheorie verstanden wird, wie sie auch von Josef Derbolav in dessen Theorie der Bildungskategorien entwickelt worden ist (Derbolav 1960). Das Problem aber ist, dass ein Fragenschema den Sinn noch nicht enthält und die griffige Formel der Kategorialen Bildung (die Wirklichkeit erschließen – als Individuum für die Wirklichkeit erschlossen worden sein) die konkrete Lebenslage von jungen Menschen (Bedingungen von Bildungsprozessen) und die Zielrichtung des doppelten Erschließungsprozesses noch nicht angibt.

Die Berliner Didaktik
Berliner Didaktik
Kategorialanalyse

Heimann setzte bei dieser Publikation zunächst die Prämissen. Didaktik wird als Theorie des Unterrichts verstanden. Einer solchen Theorie komme es zu, alle im Unterricht auftretenden Erscheinungen unter wissenschaftliche Kontrolle zu bringen. Dabei werde grundsätzlich die Totalerfassung aller im Unterrichtsgeschehen wirksamen Faktoren angestrebt. Unterricht werde grundsätzlich als Prozess und als ein Vorgang von größter „Faktorenkomplexion“ (Winnefeld 1957) angesehen, das adäquate theoretische Verhalten bestehe demzufolge in einer vieldimensionalen Reflexion über alle Phasen seines wirklichen Verlaufs. Innerhalb einer pluralistisch organisierten Gesellschaft könne eine solche Theorie nur als offenes, nicht aber als normatives, programmatisch und inhaltlich festgelegtes System mit konkreter Anweisungsfunktion entwickelt werden. Das System sei vielmehr so zu organisieren, dass es eine wertfreie theoretische Betrachtung von Unterricht auf kategorialanalytischer Grundlage ermögliche. In der Kategorial-Analyse erweise sich Unterricht als ein bestimmt strukturiertes (Inter-)Aktionsfeld, in dem eindeutig zu benennende Entscheidungen zu fällen seien: für bestimmte Unterrichtsziele, Inhalte, Verfahren und Medien. Die Entscheidung selbst sei ein Akt der Freiheit, der den theoretischen Bereich transzendiere (Heimann in: Heimann/Otto/Schulz 1965, S. 9 f.).

Schulz sprach in seinem Beitrag davon, dass Lehrer an öffentlichen Schulen einer wissenschaftlichen Theorie des Unterrichts bedürfen. Gemeint war damit im Unterschied zum Unterrichtshandwerk und zum Unterricht als Kunst ein theoretisch kontrolliertes Praktizieren: die Didaktik als Disziplin der Erziehungswissenschaft habe Lehre und insbesondere Unterricht einschließlich seiner Voraussetzungen und seiner Folgen wissenschaftlich zu erforschen und ihre Ergebnisse in einer Theorie der Lehre und des Unterrichts (Allgemeine Didaktik) zusammenzufassen (Schulz in: Heimann/Otto/Schulz 1965, S. 13 ff.).

Die Unterrichtstheorie stellt sich – in aller Kürze skizziert – folgendermaßen dar (Grundzüge der Unterrichtsanalyse):

Erste didaktische Reflexionsstufe: Strukturanalyse

Strukturanalyse

Sechs Momente konstituieren in ihrem Zusammenwirken Unterricht als absichtsvoll-pädagogisches Geschehen:

Zweite didaktische Reflexionsstufe: Bedingungsprüfung Dazu gehören:

Bedingungsprüfung

Mit diesen Analysekriterien verbanden sich dann Prinzipien der Unterrichtsplanung (Prinzip der Interdependenz, Prinzip der Variabilität, Prinzip der Kontrollierbarkeit).

Lerntheoretische Didaktik

Die Berliner sprachen von lerntheoretischer Didaktik in bewusster Absetzung zur bildungstheoretischen, ohne allerdings streng an psychologische Lerntheorien anzuschließen. Es handelt sich eher um eine polemisch gemeinte Absetzung vom Bildungsbegriff, der zu allgemein und nicht griffig genug sei (Blankertz 1969, S. 89 f.).

Ergebnis und Ausblick

Damit ist die Entwicklung in knappen Zügen beschrieben. Ich hatte anfangs eine Art von Dualismus in der Entwicklung der Didaktik behauptet: das Handwerkszeug für den Alltag mit einem immer mitgedachten Verantwortungshorizont bildungstheoretischer und pädagogischer Provenienz, konfigurierend im Ethos und in der Gebildetheit der Lehrerinnen und Lehrer auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Geisteswissenschaftliche Pädagogik mit ihrer prägenden Kraft in Bezug auf das (schul-)pädagogische Denken, die die Subjektivität der Bildung betonte – und von daher auf den Erzieher hoffte – und die Niederungen des schulischen und unterrichtlichen Alltags vernachlässigen konnte. Natürlich gab es immer wieder Verknüpfungsansätze. Insgesamt gesehen aber kamen Unterrichtslehre und Geisteswissenschaftliche Pädagogik nicht zusammen. Trotz des Postulates, von der Lebenswirklichkeit auszugehen, blieben wichtige Dimensionen ausgeklammert (z. B. die gesellschaftlichen Bedingungen von Schule und Unterricht). Die Unterrichtslehren ihrerseits blieben Sammlungen von Erfahrungswissen und so genannten „Wesensbestimmungen“, sie verfolgten nur in Ansätzen das Ziel wissenschaftlicher Theoriebildung (Schwager 1962).

Wissenschaftliche Didaktik

Wenn man von einer Entwicklung hin zu einer wissenschaftlichen Didaktik sprechen möchte, so kann man dies angesichts der Entwicklung bis hin zu Klafkis Didaktischer Analyse und zur Konstruktion der Berliner Didaktik wohl nur in dem Sinne tun, dass beide als konzeptionelle Schemata je für sich integrative Ansätze mit hohem Theoretisierungsanspruch darstellen. Klafki machte den bildungstheoretischen Ansatz praktisch, die Berliner hoben die Analyse und Planung von Unterricht auf eine intersubjektiv nachvollziehbare Reflexionsebene. So lagen mit beiden Ansätzen Denkschemata vor, die einen höheren Grad von theoretischen Bemühungen um die Praxis des Unterrichts sichern helfen konnten. Der genauere Rekurs auf psychologische Lerntheorien etwa, wie er mit Heinrich Roths Arbeiten seit 1957 (Roth 1957) vorlag oder sich in Hans Aeblis psychologischer Didaktik im Anschluss an Jean Piaget zeigte (Aebli 1963), stand noch aus. Zudem muss man wohl auch auf eine wissenschaftstheoretische Schwierigkeit hinweisen, die sich in dem hier explizierten Zusammenhang in der alten Frage dokumentiert, ob wertneutrale, intersubjektiv überprüfbare Exaktheit Wissenschaft bestimmen solle oder die Explikation von Normen und Werten – man erinnere sich an die Diskussion über die Problematik so genannter normativer Didaktiken – auch wissenschaftlich zu betreiben sei. Jedenfalls lassen sich beide Ansätze (Klafkis Didaktische Analyse und die Berliner Didaktik) zu mancherlei Herrschaftsdiensten missbrauchen, wenn man sie pur nimmt und den jeweiligen Denkhintergrund der Autoren nicht berücksichtigt.

Weitere Ansätze

Die Didaktik am Ausgang der Epoche Geisteswissenschaftlicher Pädagogik (Dahmer/Klafki 1968) sah sich jedenfalls in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre schnell einer Reihe von Versuchen gegenüber, die wahrgenommenen Defizite anzugehen: Curriculum-Diskussion (z. B. Robinsohn 1967), die Rezeption der angelsächsischen Lernzieldiskussion (z. B. Mager 1965; Möller 1966), kybernetisch-informationstheoretische Didaktik (z. B. Frank 1962; Cube 1968), die Kritik bürgerlicher Didaktik (z. B. Beck u. a. 1970; Combe 1971; Huisken 1972) und schließlich die kritisch-kommunikative Didaktik (z. B. Schäfer/Schaller 1971). Aktuelle Tendenzen aufnehmend, haben Schulz und Klafki ihre Denkansätze weiter fortgeschrieben (Schulz 1980; Klafki 1985). Aber das ist ein anderes Thema!

2.4 Die Entwicklung der Didaktik in der DDR von 1945–1965

Didaktik in der DDR

In aller Kürze will ich versuchen, die Entwicklung der Didaktik in der DDR von 1945–1965 nachzuzeichnen und in ihren wichtigen Entwicklungslinien zu kennzeichnen. Zunächst ist festzustellen, dass die westdeutsche erziehungswissenschaftliche Literatur sich bisher stärker mit der Entwicklung des Schulwesens generell befasst hat, weniger mit der Entwicklung der Didaktik. Am ehesten findet man Arbeiten zur Polytechnischen Bildung und Erziehung, die mit Interesse verfolgt wurden, wohl gerade auch wegen der Schwierigkeiten, die in der BRD mit dem Lernfeld „Arbeit – Wirtschaft – Technik“ bestanden und immer noch bestehen.

Der Ausgangspunkt und die marxistische Orientierung
Marxistische Orientierung

Institutionell gesehen wurde der Anfang mit den Gesetzen zur Demokratisierung der deutschen Schule in den ostdeutschen Ländern im Sommer 1946 gemacht. Das, was als Anlehnung an Ideen der Weimarer Zeit angefangen hatte, wurde dann schnell durch eine Anknüpfung an sowjetische Pädagogen und Didaktiker ersetzt (Hearnden 1981). Die Entwicklung der 1950er-Jahre gipfelte 1959 in dem „Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik“, curricular gesehen im Lehrplanwerk, das zwischen 1964 und 1971 diskutiert und veröffentlicht wurde (Niermann 1981). Besonders Edgar Drefenstedt hat die Entwicklung der Didaktik nachgezeichnet (Drefenstedt 1977 und 1985). Die Didaktik als allgemeine Unterrichtstheorie trage große Verantwortung dafür, dass der Praxis geholfen werde, an die tägliche Unterrichtsarbeit aus einer politischen und wissenschaftlich begründeten Sicht heranzugehen (Drefenstedt 1985, S. 12). Bereits 1947 markiert Robert Alt deutlich die Linie, die im Weiteren zu gelten hätte. Er stellte fest, dass es zu einem Widerspruch zwischen den neuen Unterrichtsinhalten und den vorherrschenden Unterrichtsrealisierungen gekommen sei, besonders durch die These, dass der Unterricht vom Kinde aus gestaltet werden solle und dass das Lernen des Kindes ein Natürliches sein müsse und daher nicht von den im Lehrplan festgelegten Inhalten ausgehen könne. Ziel und Weg seien in der Pädagogik aber keine unabhängigen Größen, und die Bejahung eines Weges und Mittels könnten immer nur aus der Totalität des Erziehungsziels resultieren (Alt 1947). Inhalt und Prozess hätten mit dem Wesen der Gesellschaftsverhältnisse übereinzustimmen. Eine solche Sicht der Didaktik erfordere das volle Aufschließen der materialistischen Didaktik, formulierte Lothar Klingberg in Anlehnung an Wladimir I. Lenin (Klingberg 19863). Damit war die Didaktik in der DDR von vornherein planmäßig in den Prozess gesellschaftlicher und politischer Aufgaben einbezogen und ein mehr oder minder direkter Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung durch gesteuerte Parteilichkeit. Sie war zur Einlösung politischer gesetzer Ansprüche verpflichtet. Die grundlegende Voraussetzung war die marxistisch-leninistische Ideologie. Die erschien den Marxisten-Leninisten nicht als eine der Wissenschaft vorausgesetzte Dogmatik, der Wissenschaftler war nur insofern parteilich, wie er wissenschaftlich im Sinne des Marxismus-Leninismus war (Reich 1977). Der Marxist-Leninist stellte diese Abhängigkeit seiner Wissenschaft gegenüber der relativen Unabhängigkeit „bürgerlicher Wissenschaft“ als Vorteil dar. Die sozialistische Wissenschaft sei sich von vornherein der Notwendigkeit ihrer Entscheidungen bewusst und finde hierin ihre Freiheit als Entfaltung von Ideen.

Materialistische Didaktik
Arbeitsbegriff

Der „bürgerliche Wissenschaftler“ stelle zwar die Freiheit seiner Ideen vor, werde letztlich aber durch die Notwendigkeit der „kapitalistischen Gesellschaft“ kontrolliert (Tomberg 1973). 1945/46 war es keinesfalls eindeutig, dass sich im Osten Deutschlands eine marxistische Orientierung durchsetzen würde. Es wurde auch versucht, an die Reformpädagogik der Weimarer Zeit, ja sogar an die Herbartsche Schule anzuknüpfen (Uhlig 1965). Wegbereitend im Sinne einer Neubestimmung war Alt (1946). Er setzte die Inhalte der Erziehung in ein Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung. Ausgangspunkt seiner methodischen Überlegungen war der Arbeitsbegriff. Die Notwendigkeit, auf Arbeit vorbereitet zu werden, um mittels der Arbeit den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess vorantreiben zu können, bedingt, den Schülerinnen und Schülern ein fest umrissenes und funktional auf die Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bezogenes Wissen auf der Grundlage verbindlicher Lehrpläne zu vermitteln (Alt 1947).

In der Lehrerschaft konnte sich diese Neuorientierung wohl nur über einen längeren Zeitraum durchsetzen. Zunächst besaß lediglich ein Teil ein gefestigtes Wissen auf dem Gebiet des Marxismus-Leninismus (Günther/Uhlig u. a. 1968). Die Ausrichtung an sowjetischen Publikationen in Absetzung zur westdeutschen Reformpädagogik nahm zu (siehe Schtscherbow 1947; Oreschko 1948; Jessipow/Gontscharow 1948; Ogorodnikow/Schimbirjew 1949; Danilow 1950).

Obwohl „revisionistische“ Erscheinungen auch in den 1950er-Jahren immer wieder auftraten (Drefenstedt 1985, S. 20), entwickelte sich im Zug des Aufbaus der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule, also eines einheitlichen sozialistischen Bildungswesens, in den 1950er-Jahren eine Didaktik als Theorie des Unterrichts, die – den gesellschaftstheoretischen Vorgaberahmen immer mitbedenkend – interessanterweise manche Ähnlichkeiten mit den erwähnten Unterrichtslehren in der BRD hat. Als Beispiel sei der Entwurf der didaktisch-methodischen Richtlinien vom 11. Juli 1949, der in Vorbereitung des IV. Pädagogischen Kongresses 1949 erstellt wurde, kurz skizziert.

Die didaktisch-methodischen Richtlinien von 1949
Unterrichtsgrundsätze