Über dieses Buch:

Eigentlich wollen Mike und seine Freunde nur ein paar Tage Urlaub in Kairo machen. Also gehen sie vor der Küste mit der NAUTILUS vor Anker. Die beeindruckenden Pyramiden sind jedoch schnell vergessen, als eine Gruppe schwarz gekleideter Männer sie zwingt, einen Schatz aus dem Wrack der TITANIC zu bergen: Ausgerechnet die NAUTILUS ist das einzige Tauchboot, das diese heikle Mission erfüllen kann … Aber was hat es mit dem geheimnisvollen Schatz auf sich – und was hat die schwarze Bruderschaft damit vor?

Über den Autor:

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.

Der Autor im Internet: www.hohlbein.de

Die Romane der Operation-Nautilus-Reihe:

Die vergessene Insel – Erster Roman

Das Mädchen von Atlantis – Zweiter Roman

Die Herren der Tiefe – Dritter Roman

Im Tal der Giganten – Vierter Roman

Das Meeresfeuer Fünfter Roman

Die schwarze Bruderschaft – Sechster Roman

Die steinerne Pest – Siebter Roman

Die grauen Wächter – Achter Roman

Die Stadt der Verlorenen – Neunter Roman

Die Insel der Vulkane Zehnter Roman

Die Stadt unter dem Eis Elfter Roman

Die Rückkehr der Nautilus – Zwölfter Roman

Bei jumpbooks erscheint von Wolfgang Hohlbein ebenfalls:
Der weiße Ritter – Erster Roman: Wolfsnebel
Der weiße Ritter – Zweiter Roman: Schattentanz
Nach dem großen Feuer

Teufelchen
Schandmäulchens Abenteuer

Ithaka
Der Drachentöter

Saint Nick – Der Tag, an dem der Weihnachtsmann durchdrehte

NORG – Erster Roman: Im verbotenen Land

NORG – Zweiter Roman: Im Tal des Ungeheuers

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eBook-Neuausgabe August 2018

Copyright © der Originalausgabe 1995 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © 2018 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Attitude, Design Projects, Triduza Studio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96053-249-1

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Wolfgang Hohlbein

Die schwarze Bruderschaft

Operation Nautilus – Sechster Roman

jumpbooks

Mike hob die Hand über die Augen und blinzelte in das grelle, fast weiße Licht der Sonne, die als glühende Scheibe hoch am Himmel über Kairo stand und die Stadt mit unerträglicher Hitze und fast ebenso unerträglicher Helligkeit überschüttete. Obwohl er erst vor wenigen Stunden aufgestanden war, fühlte er sich schon wieder müde. Dabei konnte er sich kaum daran erinnern, jemals so viel geschlafen zu haben wie in den drei Tagen, die seit ihrer Ankunft hier vergangen waren.

Die Zeit, die hinter ihnen lag, war sehr anstrengend gewesen. Seit ihrem Abenteuer am Polarkreis – bei dem es um nicht weniger als die Rettung fast der gesamten menschlichen Zivilisation gegangen war! – waren gute zwei Monate verstrichen. Kapitän Nemos berühmtes Unterseeboot war wenig mehr als ein Wrack gewesen, als es Trautman endlich gelungen war, es aus dem unterseeischen Mahlstrom herauszumanövrieren, in den es von der Explosion der LEOPOLD hineingeschleudert worden war. Die NAUTILUS war ein fantastisches Schiff; obwohl mehr als zehntausend Jahre alt, war ihre Technik der der übrigen Menschheit doch um Jahrhunderte, wenn nicht um Jahrtausende voraus. Aber der Kampf gegen Winterfeld und seine Piratenflotte hatte das Schiff stärker in Mitleidenschaft gezogen, als sie im ersten Moment gemerkt hatten. Während der vergangenen Monate hatten Trautman, Singh und alle anderen fast ununterbrochen an der NAUTILUS gearbeitet – sie hatten repariert, ausgetauscht, improvisiert, umgebaut ...

Aber nun war es geschafft. Die NAUTILUS war bis auf einige wenige Kleinigkeiten überholt, und was fehlte, das besorgten Singh und Trautman gerade irgendwo dort draußen in der pulsierenden Millionenstadt. Es war Mike zwar ein Rätsel, woher Trautman ausgerechnet in Kairo Ersatzteile für die NAUTILUS bekommen wollte, aber während der letzten drei Tage hatten Singh und er doch Kisten, Kartons und in Tücher gewickelte Bündel voll merkwürdiger Dinge herbeigeschleppt, und Mike hatte schließlich aufgehört zu fragen, woher all dies stammte. Wenn er eines über Trautman wusste, dann, wie sinnlos es war, ihm Fragen über etwas zu stellen, über das er nicht reden wollte. Was zählte, war, dass sie es schafften – und dass er und die anderen die Zeit jetzt nutzen konnten, sich ein wenig von den Strapazen der vergangenen Monate zu erholen.

Mike lächelte flüchtig, als ihm klar wurde, dass sie nun endlich den Vorsatz ausführten, mit dem ihr fantastisches Abenteuer vor nunmehr drei Jahren begonnen hatte: Sie machten Urlaub. Zwar nicht auf einem Kriegsschiff der kaiserlich deutschen Marine und auch nicht unter Aufsicht ihrer Klassenlehrerin, sondern in einem der vornehmsten Hotels von Kairo und in Begleitung eines wortkargen Inders, eines umso schwatzhafteren einäugigen Katers und einer leibhaftigen Prinzessin von Atlantis – aber sie machten Urlaub.

Und langweilen uns dabei zu Tode.

Mike drehte sich herum, als er die lautlose Stimme in seinem Kopf hörte, und bedachte Astaroth mit einem leichten Kopfschütteln. Der einäugige Kater war das einzige Besatzungsmitglied der NAUTILUS, das den Aufenthalt in Ägypten sichtlich nicht genoss. Mike konnte den Kater verstehen – für einen Menschen war Kairo eine aufregende und interessante Stadt, aber für einen Kater, selbst einen wie Astaroth, einfach zu gefährlich, um sich allein darin zu bewegen. So hatte sich Astaroth in den ersten Tagen damit amüsiert, die Hotelmäuse zu terrorisieren, aber er war dieses Spiels rasch überdrüssig geworden. Jetzt sehnte er sich auf die NAUTILUS zurück – und vor allem nach Serena. Astaroth hätte es niemals laut zugegeben, aber Mike wusste, wie sehr er darunter litt, von seiner Herrin getrennt zu sein.

Ich nehme an, Serena ist wieder einmal unterwegs und versucht den Basar leer zu kaufen?, fragte Mike auf dieselbe lautlose Art, auf die der Kater gerade zu ihm gesprochen hatte.

Seit dem frühen Morgen, bestätigte Astaroth. Allmählich hat sie unter den Händlern hier einen gewissen Ruf. Wir werden einen zweiten Laderaum an die NAUTILUS anbauen müssen, wenn sie noch ein paar Tage so weitermacht.

Mike lachte. Natürlich übertrieb Astaroth – aber nicht sehr. Serena war tatsächlich seit Tagen nur ins Hotel gekommen, um zu schlafen und zu essen, und verbrachte die restliche Zeit fast ununterbrochen in den Basars der Stadt – vorgeblich nur, um sich umzuschauen und die Sitten und Gebräuche der Menschen hier zu studieren. Aber sie war trotzdem noch kein einziges Mal zurückgekommen, ohne von mindestens zwei Trägern begleitet zu werden, die Unmengen von Paketen, Kisten und Tüten schleppten.

Mike hatte es aufgegeben, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihre Beute an Bord der NAUTILUS zurückbringen wollte. Das Schiff lag in Alexandria vor Anker und sie waren mit einer der zahlreichen Fähren den Nil herauf nach Kairo gekommen. Wenn Serena so weitermachte, würden sie wohl einen Lastkahn mieten müssen.

Chris und Juan sind unten, teilte ihm Astaroth mit. Sie langweilen sich wieder mal am Pool.

Mike entging der spöttische Ton in der Stimme des Katers keineswegs, obwohl sie nur in seinem Kopf erscholl, und auch in diesem Punkt konnte er Astaroth sehr gut verstehen – auch ihm war es ein Rätsel, wieso jemand, der die letzten drei Jahre an Bord eines Unterseebootes verbracht hatte und somit ständig von Wasser umgeben war, Spaß daran haben konnte, den ganzen Tag in der Sonne zu liegen und zu schwimmen! Was Chris und den jungen Spanier jedoch keineswegs daran hinderte, genau das zu tun. Aber wahrscheinlich, dachte Mike, wundern sich die beiden umgekehrt genauso über mich, der ich die letzten drei Tage mit nichts anderem als Nichtstun verbracht habe. Jeder hatte eben seine eigene Art, sich zu erholen.

Mike sah auf die Uhr, die hinter dem Kater an der Wand hing. Es war fast Mittag. Er war zwar kein bisschen hungrig, aber er wusste, dass Trautman und Singh normalerweise um diese Zeit von ihrem vormittäglichen Beutezug zurückkehrten, ebenso wie Serena – und auch wenn er es vor den anderen niemals laut zugegeben hätte, so gab es zwischen ihm und Astaroth doch noch eine weitere Gemeinsamkeit: Auch er fühlte sich wohler, wenn er in Serenas Nähe war. Bei dem Gedanken, dass sie ganz allein in den Basaren der Stadt herumstrolchte, war ihm am ersten Tag heiß und kalt geworden und er hatte darauf bestanden, sie zu begleiten. Am zweiten Tag nicht mehr. Kairo war zweifellos ein gefährliches Pflaster für ein fünfzehnjähriges Mädchen, aber nachdem er ihr stundenlang dabei zugesehen hatte, wie sie Stoffe und Kleider bewunderte, Schmuck begutachtete und darum und um anderen vorstellbaren (und unvorstellbaren) Krempel mit wachsender Begeisterung feilschte (das hatte sie überraschend schnell gelernt), hatte der Beschützer in ihm einen gehörigen Dämpfer bekommen. Seitdem teilten sie sich die Aufgabe, Serena auf ihren endlosen Einkaufsbummeln zu begleiten. Heute war Ben an der Reihe.

Wofür er dich für den Rest deines Lebens hassen wird, verkündete Astaroth.

Mike blickte ihn mit übertriebener Feindseligkeit an. »Schnüffelst du schon wieder in meinen Gedanken herum?«, fragte er scharf.

Ich schnüffle nicht, antwortete Astaroth beleidigt. Hunde schnüffeln. Katzen ziehen Erkundigungen ein und sammeln Informationen!

»Blödsinn!«, antwortete Mike ärgerlich. »Das ist dasselbe! Du solltest allmählich wissen, dass ich es hasse, wenn du meine Gedanken liest!«

Aber das weiß ich doch, antwortete Astaroth ungerührt. Schließlich denkst du es oft genug.

Mike gab auf. Er hatte nicht nur wenig Lust, sich mit einem Kater zu streiten, es war auch vollkommen sinnlos, zumindest, wenn dieser Kater Astaroth hieß.

Stimmt.

Mike zog es vor, diese Bemerkung zu ignorieren, drehte sich vollends um und ging mit schnellen Schritten an Astaroth vorbei zur Tür.

Als er das Hotelzimmer verließ, wäre er um ein Haar mit einer Gestalt zusammengeprallt, die unmittelbar vor der Tür stand. Mike fuhr erschrocken zurück und setzte zu einer geharnischten Bemerkung an, aber dann sah er, um wen es sich handelte, und statt wütend zu werden, starrte er sie verblüfft an.

Es war eine vielleicht vierzigjährige, schlanke Frau, die sehr elegant gekleidet war und einen großen Hut mit einem hauchdünnen Schleier trug. Sie stand so dicht – und in eindeutiger Haltung! – vor seiner Zimmertür, dass gar kein Zweifel daran bestehen konnte, dass sie gelauscht hatte; etwas, worauf Mike normalerweise ziemlich ärgerlich reagiert hätte. Vielleicht lag es an dem beengten Leben, das sie notgedrungen auf der NAUTILUS führen mussten, aber ihnen allen war ihre Privatsphäre heilig. Ungefragt darin einzudringen oder einen anderen gar zu belauschen, das wäre Mike und den übrigen Besatzungsmitgliedern der NAUTILUS niemals in den Sinn gekommen. Wenn sie nicht gerade Astaroth hießen ...

He! Das ist eine Verleumdung! Ich habe noch nie jemanden –

Halt die Klappe, Astaroth, sagte Mike auf dieselbe lautlose Art, auf die die Stimme des Katers in seinem Kopf erscholl. Zugleich konzentrierte er sich wieder auf sein Gegenüber. Die Frau machte ein ziemlich verlegenes Gesicht. Es war Lady Grandersmith, die wie er und die anderen hier im Hotel wohnte, und sie hatten sich bereits am ersten Tag ihres Aufenthaltes kennen gelernt. Mike wusste, dass sie eine verwitwete englische Adelige war, die sich den größten Teil des Jahres auf Reisen befand und gerne und eifrig von ihren Abenteuern erzählte. Außerdem war sie einer der nettesten Menschen, die Mike seit langer Zeit kennen gelernt hatte. Dass sie so unhöflich sein sollte, an einer fremden Tür zu lauschen, erschien Mike fast unvorstellbar.

Und doch hatte sie eindeutig ganz genau das getan.

»Hallo, Mike«, sagte sie. »Ich ... ich war gerade auf dem Weg nach unten. Es ist Zeit für den Lunch. Ich dachte mir, wir essen vielleicht zusammen? Wir könnten unser Gespräch von gestern Abend fortsetzen. Wie ist es – begleitest du mich?« Lady Grandersmith reckte den Hals, um über Mikes Kopf hinweg einen Blick in sein Zimmer werfen zu können. »Ist Serena nicht da?«

»Ihr Zimmer liegt auf der anderen Seite«, sagte Mike knapp und deutete über den Hotelflur.

»Oh, sicher, wie konnte ich das nur vergessen.« Lady Grandersmith hatte sich allmählich wieder in der Gewalt. »Ich dachte nur, ich hätte Stimmen gehört.«

»Ich ... habe mit Astaroth gesprochen«, antwortete Mike ausweichend. Er fragte sich immer noch, warum Lady Grandersmith an seiner Zimmertür gelauscht haben mochte – bestimmt nicht, um Serena und ihn zum Essen abzuholen.

Vielleicht sehe ich auch nur Gespenster, dachte er ärgerlich. Sie ist nichts als eine freundliche, harmlose Frau, die wahrscheinlich Anschluss sucht, weil sie einsam ist. Hör auf, in jedermann einen Spion zu sehen!

Das war ein Problem, mit dem er in letzter Zeit sowieso immer mehr zu kämpfen hatte. Seit sie das Erbe seines Vaters angetreten hatten und mit der NAUTILUS auf große Fahrt gegangen waren, befanden sie sich praktisch ununterbrochen auf der Flucht – mal vor Winterfeld, mal vor der englischen Marine, mal vor prähistorischen Ungeheuern aus Serenas Vergangenheit; und vor allem davor, entdeckt zu werden. Die NAUTILUS war viel zu gefährlich, um in falsche Hände zu geraten, und die Erfahrung hatte Mike und die anderen gelehrt, dass sie kaum einem Menschen wirklich trauen konnten. Trotzdem musste er aufpassen. Jedem Menschen zu misstrauen, das war auf die Dauer sicher ebenso falsch, wie zu vertrauensselig zu sein. Er entschuldigte sich in Gedanken bei Lady Grandersmith und zwang sich zu einem Lächeln.

»Ich komme gern mit. Serena ist in der Stadt und kauft ein. Aber sie muss bald zurückkommen.«

»Dann können wir ja gemeinsam auf sie warten«, schlug Lady Grandersmith vor. »Nimm deinen kleinen Freund ruhig mit.«

Sie deutete auf Astaroth, der schräg hinter Mike saß und sie beide aus seinem einzigen Auge aufmerksam musterte. Auf seinem Katergesicht zeigte sich keine Regung, aber seine Ohren zuckten leicht und Lady Grandersmith erwies sich als ausgezeichnete Beobachterin, denn sie sagte: »Ich glaube, das hat er verstanden.«

Worauf du dich verlassen kannst, sagte Astaroth.

Mike beeilte sich, Lady Grandersmith zu antworten. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, sagte er. »Nach seinem letzten Ausflug in die Küche war der Hotelmanager ziemlich verärgert. Wir mussten ihm versprechen, Astaroth nur noch hier im Zimmer zu halten.«

He, he!, protestierte Astaroth. Das war alles ganz anders! Ich habe die Küche dieses Etablissements lediglich vom Ungeziefer gesäubert. Sie wimmelte nämlich von Mäusen! Und so was nennt sich Vier-Sterne-Hotel!

Mike konnte sich gerade noch im letzten Moment beherrschen, um Astaroth nicht laut zu verbessern. Der Kater hatte tatsächlich einige Mäuse in der Hotelküche aufgestöbert und zur Strecke gebracht – aber er hatte dabei auch einen Gutteil der Inneneinrichtung kaputtgemacht, den Chefkoch und zwei seiner Gehilfen gekratzt und den Schäferhund des Hotelbesitzers so verdroschen, dass das arme Tier sich zwei Tage lang verkrochen hatte.

Lady Grandersmith lachte schallend. »Ach das! Das ist doch längst vergessen. Und wenn nicht – nur keine Sorge. Der Hotelbesitzer ist ein Freund von mir, ich regle das schon. Deine Katze wird ja ganz trübsinnig, wenn du sie dauernd hier im Zimmer gefangen hältst.«

»Also ich weiß nicht ...«, sagte Mike.

Astaroth kam mit steil aufgestelltem Schwanz herangeschlendert, rieb sich an seinen Beinen und blickte ihn flehend an. Dabei miaute er so herzzerreißend, dass Mike sich vornahm, ihn für diese schauspielerische Meisterleistung für die nächste Preisverleihung nominieren zu lassen.

»Siehst du? Ich glaube, er versteht mich wirklich! Und jetzt komm. Ich habe Hunger – und dir spendiere ich eine Riesenportion Eis!« Lady Grandersmith ergriff ihn lachend am Arm und zog ihn einfach mit sich. Sie war jetzt keine ertappte Sünderin mehr, sondern wieder ganz die vor Lebenslust sprühende Frau, als die Mike sie kennen gelernt hatte. Ehe er es sich versah, hatte sie ihn bereits am Arm hinter sich her- und den halben Weg zum Aufzug hingezogen.

»Aber ... ich muss wenigstens die Tür ...«, stammelte Mike, kam aber auch diesmal nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu bringen.

»Keine Sorge«, unterbrach ihn Lady Grandersmith. »Yasal! Schließ bitte Mikes Tür – und bring das Kätzchen mit!«

Von der Wand des Flures löste sich eine hoch gewachsene, dunkle Gestalt. Yasal und sein Bruder Hasim gehörten so unverzichtbar zu Lady Grandersmith wie ihr Schleierhut und ihre ständige gute Laune. Die beiden schwarz gekleideten Beduinen waren Lady Grandersmiths ständige Begleiter – wie sie selbst sagte, Diener, Köche, Chauffeure, Leibwächter und überhaupt Mädchen für alles in einem. Es waren ziemlich unheimliche Gesellen. Sie trugen lange schwarze Gewänder und ihre Gesichter verbargen sich hinter schwarzen Tüchern, die nur die Augen freiließen, und Mike hatte niemals einen der beiden reden hören. Sie bewegten sich so lautlos und schnell wie Schatten, was bei Mike immer ein leichtes Frösteln verursachte.

Auch jetzt bewegte sich Yasal, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Er glitt auf die Zimmertür zu, zog sie ins Schloss und wandte sich dann um, um sich nach Astaroth zu bücken. Der Kater wich seinen Händen mit einer eleganten Bewegung aus und rannte dann los, um Mike und Lady Grandersmith einzuholen. Er huschte durch die Tür, gerade als sich der Aufzug schloss. Er mochte Yasal und seinen Bruder nicht, das wusste Mike, wahrscheinlich aus demselben Grund wie er. Auch er empfand ein leises Schaudern beim Anblick der hünenhaften, vollkommen schwarzen Gestalt, die sich jetzt herumdrehte und mit raschen Schritten zur Treppe ging, um schneller im Erdgeschoss anzukommen als sie und unten bereits auf den Aufzug zuwarten. Irgendetwas war unheimlich an dem Beduinen.

Unsinn!, dachte Mike. Er wurde allmählich wütend auf sich selbst. Er war hier, um Urlaub zu machen und wenigstens einmal für ein paar Tage zu vergessen, dass die Welt für die Erben des legendären Kapitän Nemo zum größten Teil aus potentiellen Feinden bestand. An diesem schwarz gekleideten Beduinen war absolut nichts unheimlich, basta!

Wenigstens redete er sich das ein.

Es sollten nicht einmal zwölf Stunden vergehen, bis er sich wünschte mehr auf seine Gefühle gehört zu haben.

Sie trafen Juan und Chris am Swimmingpool des Hotels, ganz wie Astaroth gesagt hatte. Chris planschte wie üblich im Wasser. Juan lümmelte in einem Liegestuhl und hielt ein riesiges Glas Orangensaft in der Hand, aus dem ein Strohhalm herausragte. Er trug nichts als eine Badehose und einen großen Panamahut. Mike grinste flüchtig, als er den Spanier so am Rande des Schwimmbeckens gewahrte. Vermutlich bildete sich Juan ein, besonders weltmännisch auszusehen, aber das Gegenteil war der Fall.

Du urteilst wie üblich wieder einmal vorschnell, flüsterte Astaroths Stimme in seinem Kopf. Jeder hat eben seine Art, sich zu amüsieren.

Indem er sich lächerlich macht?

Indem er sich über andere amüsiert, die glauben, dass er sich lächerlich macht, verbesserte ihn Astaroth.

Mike warf dem Kater einen schrägen Blick zu, aber er antwortete nicht. Lady Grandersmith war eine zu aufmerksame Beobachterin, um in ihrer Nähe auch nur das geringste Risiko einzugehen, und außerdem musste er über Astaroths Bemerkung nachdenken – er war nicht ganz sicher, dass er sie wirklich verstanden hatte.

Ich habe auch nichts anderes erwartet, sagte Astaroth spöttisch.

»Hallo, Don Juan!« Lady Grandersmith lächelte Juan fröhlich zu, wobei sie dessen missbilligendes Stirnrunzeln gar nicht zu bemerken schien. Aber Mike wusste, dass ihr selten etwas entging, schon gar nicht die Tatsache, dass sich Juan darüber ärgerte, wenn sie ihn so nannte.

»Hallo, Lady Grandersmith«, antwortete er einsilbig.

»Mike und ich sind hungrig«, fuhr Lady Grandersmith ungerührt fort. »Wir wollen gemeinsam eine Kleinigkeit essen – habt ihr nicht Lust, uns zu begleiten?«

Juan sah nicht so drein, als hätte er zu irgendetwas anderem Lust, als weiter in seinem Liegestuhl zu bleiben, aber jetzt tauchte Chris aus dem Pool auf, stemmte sich prustend aus dem Wasser und nickte als Zustimmung, sodass Juan gar keine Gelegenheit fand zu protestieren. »Warum nicht?«, sagte er stattdessen. »Es wird sowieso Zeit. Singh und Trautman müssen bald zurückkommen.«

Als sie gemeinsam auf das Restaurant zugingen, das auf der anderen Seite des weitläufigen Hotelhofes lag, hatte Mike plötzlich keine Lust mehr, mit Lady Grandersmith zu essen, auch nicht, sich mit ihr zu unterhalten. Er fühlte sich sogar äußerst unbehaglich in ihrer Nähe und er wusste sofort, warum.

Yasal.

Mike hatte bisher noch nie so deutlich gespürt, was für eine unheimliche Atmosphäre ihn umgab, und als er in Juans und Chris' Gesichter sah, glaubte er zu erkennen, dass sie dasselbe fühlten.

»Heute ist möglicherweise unser letzter Tag«, sagte Juan unvermittelt.

»Wie?« Mike schreckte hoch.

Juan nickte und wiederholte: »Vielleicht reisen wir morgen früh schon ab.«

»Wieso denn das?«, fragte Mike.

Juan seufzte. »Trautman hat fast alles beisammen, was er braucht, um unsere Reisevorbereitungen zu treffen. Ihm fehlen nur noch ein oder zwei Kleinigkeiten und er hofft, dass er sie heute auftreiben kann. Hättest du nicht den halben Vormittag verschlafen, sondern zusammen mit uns gefrühstückt, wüsstest du es. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen.«

Mike war etwas enttäuscht. Sie hatten zwar nie eindeutig darüber geredet, aber er hatte ganz selbstverständlich angenommen, dass sie länger in Kairo bleiben würden.

»Aber wir haben doch noch gar nichts von der Stadt gesehen!«, wandte er ein.

Juan zuckte mit den Schultern und wollte etwas entgegnen, aber Lady Grandersmith kam ihm zuvor: »Es ist schade, dass ihr schon abreisen wollt. Mike hat Recht – ihr habt bisher nichts von Kairo gesehen, ganz zu schweigen von den anderen Sehenswürdigkeiten, die dieses herrliche Land bietet. Seid ihr überhaupt bei den großen Pyramiden gewesen?«

Juan schüttelte den Kopf und Lady Grandersmith sagte: »Also die müsst ihr euch unbedingt ansehen, bevor ihr die Stadt verlasst. Kairo zu besuchen, ohne die Pyramiden zu sehen, ist eine Todsünde! Ich werde gleich nachher mit Mister Trautman darüber reden.«

Juan atmete hörbar ein. »Ich glaube nicht, dass –«

In diesem Moment betraten sie das Hotelrestaurant und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Mike begriff sofort, was geschehen würde – als sein Blick durch den Saal flog, der zu dieser Stunde bis auf den letzten Platz gefüllt war, und an dem Schreibtisch am anderen Ende des Restaurants hängen blieb, an dem der Hotelmanager saß –, und an dem langhaarigen Deutschen Schäferhund, der neben ihm auf den Mosaikfliesen vor sich hin döste.

»O nein!«, murmelte Mike, aber es war bereits zu spät. Astaroth hatte unmittelbar hinter ihm und Lady Grandersmith das Restaurant betreten und ebenfalls sofort den Hund erspäht. Mike bückte sich nach dem Kater, um ihn festzuhalten, aber Astaroth schlüpfte mit einer flinken Bewegung unter seinen Händen weg und raste los.

Mike sah, wie die Augen des Hotelmanagers groß wurden. Sein Gesicht färbte sich in einer einzigen Sekunde bleich, dann puterrot und dann schneeweiß. Der Hund, der den Kopf auf die Vorderpfoten gebettet hatte, fuhr mit einem Ruck hoch, erkannte den schwarzen Riesenkater, der auf ihn zuschoss, und stieß ein überraschtes Heulen aus. Dann sprang er auf und raste mit Riesensätzen davon, wobei er wieder ein Heulen ausstieß, als wären sämtliche Furien der Hölle auf einmal hinter ihm her.

»O nein!«, keuchte Mike noch einmal. Und dann schrie er: »Astaroth! Nein! Komm zurück!«

Astaroth wäre nicht Astaroth gewesen, hätte er auch nur im Geringsten auf diesen Befehl reagiert. Wie ein pelziger schwarzer Ball galoppierte er hinter dem Hund her, der Haken schlagend zwischen den Tischen hindurchflüchtete.

Astaroth kannte solche Hemmungen nicht. Er jagte in gerader Linie seinem Opfer nach, wobei er rücksichtslos über Stühle, Tische oder auch über Hotelgäste hinwegsetzte. Eine Spur aus zerrissenen Tischdecken, zerbrechendem Geschirr und hastig aufspringenden Menschen markierte den Weg, den die beiden Tiere durch das Restaurant nahmen.

»Astaroth!«, schrie Mike verzweifelt und begann ihm nachzulaufen. »Lass den Hund in Ruhe!«

Der Schäferhund rannte nun ebenfalls ohne Rücksicht Tische, Stühle und alles, was sich in seinem Weg befand, einfach um und nicht nur ein Hotelgast landete aufschreiend oder lauthals fluchend auf dem Boden.

Mike sah aus den Augenwinkeln, wie der Hotelmanager zur Verfolgung der beiden Tiere ansetzte, und auch Chris und Juan riefen nach dem Kater und liefen ebenfalls los. Aber sie vergrößerten damit nur das allgemeine Chaos. Mike prallte gegen einen Mann, der überrascht von seinem Stuhl hochgesprungen war, und wäre wohl gestürzt, wäre nicht in diesem Moment Juan von hinten in ihn hineingerannt. Der Zusammenprall nahm ihm die Luft und er musste mit aller Gewalt um sein Gleichgewicht kämpfen. Als er wieder aufblickte, sah er, wie der Schäferhund auf die große metallbeschlagene Pendeltür zujagte, hinter der die Küche lag.

Als er sie fast erreicht hatte, wurde die Tür geöffnet und ein Kellner mit einem hoch beladenen Tablett trat heraus. Er machte einen energischen Schritt, um der zurückpendelnden Tür mit jahrelanger Routine auszuweichen, doch in diesem Moment prallte der Hund gegen seine Beine. Mensch und Tier stolperten in entgegengesetzten Richtungen davon. Der Hund schlitterte über die glatten Bodenfliesen und verschwand heulend in der Küche, während der Kellner gegen die Wand stürzte und mit fast komisch anmutenden Bewegungen sein Tablett festzuhalten versuchte.

Dann jagte Astaroth heran, flitzte direkt zwischen seinen Beinen hindurch und verschwand hinter dem Schäferhund in der Küche. Der Mann verlor endgültig das Gleichgewicht und kippte mit einem schrillen Schrei nach vorne. Das Tablett flog ihm aus den Händen und schüttete seinen Inhalt über den Hotelmanager aus, der das Pech hatte, gerade in diesem Augenblick anzukommen. Inmitten eines Hagelschauers aus dampfender Fleischbrühe, zerbrechendem Geschirr, Salat, Soßen, fliegenden Brotscheiben, splitterndem Glas und gerösteten Kartoffeln stürzte der Mann zu Boden.

Mike schenkte ihm kaum einen Blick. Er sprang kurzerhand über ihn hinweg, stieß die Pendeltür mit der Schulter auf –

und blieb wie vom Donner gerührt stehen.

Er konnte Astaroth und den Hund von hier aus nicht sehen – aber ihre Spur war deutlich zu erkennen: Töpfe und Geschirr flogen in hohem Bogen durch die Luft, überall schepperte und klirrte es, und mehr als ein Angehöriger des Küchenpersonals brachte sich mit einem entsetzten Sprung in Sicherheit, um nicht von den beiden außer Rand und Band geratenen Tieren über den Haufen gerannt zu werden.

»Astaroth!«, schrie Mike. Der Kater und der Schäferhund hatten mittlerweile das gegenüberliegende Ende der Küche erreicht, und als Mike losstürmte, machte der Hund kehrt und versuchte Haken schlagend wieder aus der Küche hinauszurennen – wobei er eine zweite Spur der Verheerung durch den Raum zog. Mike versuchte den Punkt abzuschätzen, an dem sein Kurs den des Hundes kreuzen würde, rannte geradewegs auf das Tier zu und streckte die Arme aus. Der vollkommen verängstigte Hund schnappte nach ihm, aber damit hatte Mike gerechnet. Im letzten Moment zog er die Hände zurück, warf sich zur Seite und sprang mit weit ausgestreckten Armen vor. Seine Hände gruben sich in Astaroths Fell und versuchten ihn aufzuhalten.

Astaroth fauchte wütend. Sein Schwung war so groß, dass Mike von den Füßen gerissen und hinter dem Kater her geschleift wurde, ehe es ihm endlich gelang, Astaroth richtig zu packen.